Putins Krieg als Getreide-Welt-Krieg mit Definition von Flachdenken

Von 2005 bis zur Finanzkrise 2008 dominierte der große Liberale Thomas Friedman mit “Die Welt ist flach” viele Bestsellerlisten: Die Welt sei auf dem Weg zu einem grandiosen, weltweiten Markt der Gleichen, staatliche Grenzen, Berge und Flüsse verlören ihre Bedeutung. Anti-globalistische Gruppen wie AlQaida seien nur Rückzugsgefechte gegen den Wandel durch Handel.

Wie es sich für einen Monisten im “Zeitalter der Falsifikation” nach Popper gehört, hat Friedman nun seine steile, marktradikale These widerrufen: Am 5. März 2022 titelte er im FOCUS mit “Putins Weltkrieg” und räumte ein: “Vielleicht sind wir gerade tatsächlich in den Dschungel zurückgekehrt. Aber heute ist der Dschungel vernetzt.”

Das respektiere ich. Und werde von nun an Ideologen sowohl des Kapitalismus wie des Marxismus, die alles Geschehen auf Freund-Feind-Gegensätze verflachen und sich im Gegensatz zu Friedman der Falsifikation verweigern, als Flachdenker bezeichnen. Grüße gehen raus an QAnons, Querdenker, die meisten “Achse des Guten”-Rechtsbloggenden, Freiheitstrychler und große Teile der AfD.

Denn die Welt war nie flach und wird niemals flach sein. Darauf verwiesen – schon Jahrzehnte vor der Gebirgsregionen-Medienthese – die volkswirtschaftliche These vom Ressourcenfluch und die Rentierstaatstheorie, die meines Erachtens wichtigste Erkenntnis der Politikwissenschaft des 20. Jahrhunderts. Beide hatte ich im sciebook “Öl- und Glaubenskriege” von 2015 vorgestellt, das ich inzwischen kostenlos stellte. Mit inzwischen Tausendfachen Abrufen und starker Resonanz!

Ein Zitat aus “Öl- & Glaubenskriege” durch Silke Hahn auf Twitter. Danke für das Interesse! Screenshot: Michael Blume

Entsprechend kamen in den letzten Tagen aber auch eine Vielzahl an Anfragen bei mir an, welche Prognosen sich aus der Rentierstaatstheorie denn zu den Folgen der russischen Invasion in die Ukraine ableiten ließe. Drohte ein Atomkrieg? Oder bliebe es doch ein regionaler Konflikt?

Prognose: Welt-Getreide-Krieg

Als gute Nachricht wage ich die Prognose, dass Wladimir Putin mit der Invasion auf die Ukraine den Rahmen einer Rentierstaats-Oligarchie ebenso überschritten hat wie die Sowjetunion in Afghanistan zuvor: Rentierstaats-Oligarchen finanzieren sehr gerne – oft antisemitische – Verschwörungsmythen, Terrorgruppen wie die frühe AlQaida und auch Stellvertreterkriege wie seit Jahren im Jemen. Und indem Putin seinen ehemaligen “Koch” Jewgenij Prigoschin die Söldnertruppe “Wagner” aufstellen ließ, machte er sich auch unabhängiger gegenüber der russischen Armee und dessen Offizieren. Dennoch glauben die meisten Rentierstaats-Oligarchen den rechtsradikal-imperialistischen und religiös-fundamentalistischen Dualismus nicht wirklich, den in Russland etwa Alexander Dugin als “Make Russia Great Again”-Version eines neuen Großrussland verbreitet.

Wie schon sein rüde-autoritär inszenierter Auftritt gegenüber dem eigenen “Sicherheitsrat” am 21.02.2022 zeigte, kann Putin die Gefolgschaft von Armee, Geheim- und Sicherheitsdiensten, Parteien, Justiz, Medien und vor allem Wirtschaft längst nur noch durch Zwang erhalten – und wird gegen die nicht-rentierstaatlich verfasste, weit zur liberalen Demokratie entwickelte Ukraine auch militärisch verlieren. Ich gehe so weit, die Prognose zu wagen, dass Wladimir Putin in 2023 nicht mehr Präsident und auch nicht Zar der “Russischen Föderation” sein wird. Er hat die Rentierstaatlichkeit seines Systems so weit überdehnt, dass er dies – so glaube ich – politisch kaum überleben wird.

Doch auf der anderen Seite muss ich auch vor einem Flachdenken-Bias auch bei uns selbst und unserer westlichen Öffentlichkeit, Medien und Politik warnen. Dieser ist unserem (gerne verleugneten) Wohlstand geschuldet, bei dem in mittleren und höheren Einkommen weit mehr für Energie als für Nahrung ausgegeben wird.

So erinnern wir uns heute noch an das Jahr 2008 als “Jahr der Finanzkrise” – und verstehen nicht so wirklich, warum kurz darauf der schließlich erstickte “Arabische Frühling” ausbrach. Doch der Hintergrund dafür waren gravierende Ernteausfälle in Afrika und im eurasischen Gürtel durch die Klimakrise mit Jahren der Dürre, die auch die Hitzemord-Bürgerkriege und IS-Terrormiliz in Syrien und im Irak befeuerten. Die allermeisten afrikanischen und arabischen Menschen litten nicht unter fallenden Zinsen und Aktienkursen, sondern unter explodierenden Preisen auf Nahrungsmittel, vor allem Getreide.

So stieg der Weltmarktpreis für eine Tonne Weizen von 152 Dollar in 2005 auf 343 Dollar in 2008, Reis von 207 auf 508 Dollar. Die Menschen mussten immer höhere Preise für ihre Grundnahrungsmittel bezahlen, viele verarmten, ja verhungerten.

Und jetzt? Als Einwohner:innen des “reichen Westens” richtet sich unser Blick selbstverständlich erst einmal nur auf die explodierenden Preise von Erdöl und Erdgas – mit denen wir mangels Alternativen auch weiterhin das Putin-Regime finanzieren. Doch Russland und Ukraine gehören – zumal nach dem Bürgerkrieg in Äthiopien – zu den “letzten Kornkammern” Eurafrikas, sogar China bezieht Unmengen an Mais aus der Ukraine. Falls Sie sich gefragt haben, warum auch das NATO-Mitglied Türkei und arabische Mittelmächte wie Ägypten gegenüber Putin so kleinlaut auftreten: Diese Länder stehen vor erheblichen Unruhen und können es sich nicht leisten, nach den Getreide-Lieferungen aus der Ukraine und den erhöhten Preisen für Energie nun auch noch die Getreide-Lieferungen aus Russland zu verlieren! Selbst das mächtige China hob – gleichzeitig verärgert und abhängig – noch am Tag des russischen Einmarsches alle Import-Beschränkungen auf russischen Weizen auf. Zerfallende Staaten wie Jemen und Afghanistan, die bereits von Dauer-Dürren gezeichnet und von Hilfslieferungen abhängig sind, stehen vor bzw. in einer Hunger-Katastrophe.

In diesem Kurzvideo erkläre ich, warum sich die menschliche Geschichte und Gegenwart nicht ohne seine Klimazonen erklären lässt. Und gerade diese geraten jetzt unter klimatischen Stress. Screenshot von YouTube: Michael Blume

Mit einem Klick sehen Sie die Preisentwicklung von Weizen auf einem deutschen Finanz-Portal, bezeichnend mit Werbung für Aktienkäufe versehen: Am Freitag explodierte der Preis auf 396 Dollar pro Tonne – eine Katastrophe für die Ärmeren dieser Welt! Die Nahrungsmittel-Katastrophe hat bereits den Weltmarkt erreicht und wird umso schlimmer werden, umso länger der Krieg in der Ukraine dauert. Ärmere haben noch sehr viel weniger Möglichkeiten, den doppelten Preisschock auf Energie und Nahrungsmittel abzufangen, den Putin als Machtfaktor einkalkuliert hat: Sie können kaum Anschaffungen und keine Urlaube verschieben, sondern müssen die höheren Preise zahlen – oder hungern.

Wäre Putin die schnelle Eroberung der Ukraine gelungen, dann hätte er neben dem russischen Öl und Gas auch die Atomkraftwerke und vor allem das Getreide seinem Rentierstaats-Imperium einverleiben und ärmere Staaten (bis hin zu China!) erpressen können. Mit jedem Kriegstag steigt aber nun die Gefahr katastrophaler Ernte-Ausfälle und AKW-Unglücke.

Nun wissen Sie, warum ich mir trotz der absehbaren Niederlage Putins so enorme Sorgen mache und hier auf dem Blog wie auch auf Instagram dringend dazu aufgerufen habe, wie die USA 1943 unseren Fleischkonsum zu verringern. Mit jedem Kilo Fleisch vergeuden wir Unmengen an Energie, Wasser, Arbeitskräften und vor allem Futtermitteln – 60 Prozent der deutschen Getreideernten gehen in die Massentierhaltung. Damit verschärfen wir die weltweite Knappheit an Lebensmitteln, an Nahrung und Energie, die in den kommenden Monaten Millionen Menschen in Armut, Hunger und weitere Hitzemord-Konflikte treiben wird. Wenn wir uns nicht ändern, morden wir mit.

Mir ist völlig bewusst, dass ich viele Leser:innen mit diesen Wissenschaftshappen nerve – das tut mir ehrlich Leid. Aber hätten wir im Westen die seit Jahrzehnten etablierte Rentierstaatstheorie früher ernstgenommen, dann hätten wir so viel Leid vermeiden können. Und wir können immer noch etwas tun.

So könnten wir durch eine schnelle und deutliche Reduzierung unseres Fleischkonsums direkt die Energie- und Getreidepreise dämpfen und zudem unseren bäuerlichen Betrieben wirtschaftliche Alternativen der Agrophotovoltaik eröffnen. Hier dazu ein Fraunhofer-Forschungsprojekt aus der Bodensee-Region, Baden-Württemberg:

 

Es gibt also, immer in den Wissenschaften, kaum einfache, unhinterfragbare Wahrheiten. Und es kommt auch darauf an, wie und in welchen Allianzen Argumente vorgebracht werden. So hatte ich hier zunächst eine Auseinandersetzung mit Ilja Steffelbauer und Vandana Shiva plädiert – ziehe dies jedoch nach den Recherchen von Psiram zu ihr zurück. Sorry, aber antiwestlicher Dualismus, wissenschaftsfeindliche Esoterik und Verschwörungsmythen gehen nun mal gar nicht.

Man muss schon Flachdenker sein, um nicht zu sehen, wie der putinsche Imperialismus gerade die Argumente der Rentierstaatstheorie gegenüber Handel-durch-Wandel-Utopien stärkt. Wie es Carla Neuhaus & Kolleg:innen im gleichen FOCUS formulierten: “Es ist das alte Problem, das derzeit leider wieder sehr aktuell geworden ist: Wer mit Schurken Geschäfte macht, begibt sich in deren Hand.” (S. 52) 

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

43 Kommentare

  1. Mit dieser Analyse steht auch der freie Welthandel auf der Prüfbank.
    Der Benzinpreis steigt auf über 2 Euro, der Wert des Euro sinkt gegenüber dem Dollar, der DAX fällt, wie können die Lebensversicherer noch ihren Verpflichtungen nachkommen ?
    Deutschland macht auf die Schnelle 100 Milliarden Euro für das Militär locker, wer das später einmal bezahlen soll ?
    Zur Erinnerung, 1923 hatten wir eine Inflation wo auch mit Milliarden gerechnet wurde.

    • Auch deswegen gibt es so große Aufnahmebereitschaft gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine, @hwied. Im deutsch-europäischen Wirtschaftssystem zirkuliert viel zu viel Geld, wogegen es an Arbeitskräften in immer mehr Branchen mangelt. Ohne ständige Zuwanderung wäre der Asset Meltdown schon längst da…

      Vgl. auch zur Energiewende, sogar in Zuwanderungs-starken Bayern:
      https://www.br.de/nachrichten/bayern/handwerkermangel-in-bayern-bremst-energiewende-aus,Syq3TOg

      Danke für Ihr Interesse und herzliche Grüße!

    • Ein Linkhinweis https://geschichtedergegenwart.ch/der-antisemitismus-hinter-putins-forderung-nach-entnazifizierung-der-ukraine/?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
      Ein Auszug dazu “Mit der Behauptung, das Ziel der Invasion sei die „Entnazifizierung“ der Ukraine, appelliert Putin bewusst an die grundlegenden Mythen des zeitgenössischen osteuropäischen Antisemitismus: Dass eine globale Kabale von Juden die wahren Agenten der Gewalt gegen russische Christen waren (und sind), und dass die wahren Opfer der Nazis nicht die Juden, sondern die russischen Christen waren. Genau diese seien das Ziel einer Verschwörung einer globalen Elite, die unter dem Deckmantel der liberalen Demokratie und der Menschenrechte den christlichen Glauben und die russische Nation angreife. Putins Propaganda richtet sich nicht an einen offensichtlich skeptischen Westen. Sie appelliert vielmehr in Russland selbst an genau diese Form des christlichen Nationalismus.” Vielleicht lohnenswert, diese Mythologie näher zu beleuchten. (An der Uni Hohenheim hat übrigens A. Dugin bei Prof. Rohrmoser studiert, Rohrmoser versuchte, diese Theorien als Gegengewicht zu “Frankfurter Schule” aufzubauen.)

  2. Korrekt angemerkt, die Markt-Preise für Getreide steigen aktuell deutlich, übrigens auch für Reis und Mais, wofür weder Russland, noch die Ukraine besonders produziert, anders als beim Weizen, womöglich tritt dieser Effekt begleitend auf.

    Günstiger womöglich bundesdeutsch das gute alte Schwein :

    -> https://www.bmel-statistik.de/preise/preise-fleisch/


    Wobei dem Schreiber dieser Zeilen nicht ganz klar ist, ob die sog. Rentier Theory auch die Produktion von Getreide einschließt, die Produktion von Schwein wohl eher nicht, oder?
    An sich könnte mit der sog. Rentier Theory zuvörderst die Hebung von sog. Bodenschätzen gemeint sein?

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    • Einerseits Korrektur: Die Ukraine exportierte, wie im Text erwähnt, auch grosse Mengen Mais 🌽.

      Und andererseits Zustimmung: Moderne Landwirtschaft funktioniert nicht tentierstaatlich, sondern privatwirtschaftlich. Putin müsste also aus Erdöl- und Erdgas-Einnahmen finanzierte Truppen aufbieten, um die Bäuerinnen und Bauern der Ukraine 🇺🇦 dauerhaft zu kontrollieren. Es wird ihm nicht gelingen.

      • Vielen Dank für Ihre Reaktion, ‘Mais’ ist weniger ein Problem, es wird ja auch oft für sog. Bio-Treibstoff genutzt, Dr. Webbaer hat, bevor er sich bei Ihnen, lieber Herr Dr. Michael Blume, kommentarisch gemeldet hat, die Datenlagen geprüft.

        ‘Energie’ ist eigentlich, auch terrestrisch, einstweilen hinreichend verfügbar, derartige Angaben belegen dies, wobei sie nur detektiertes Uranvorkommen meinen.
        Im Weltall selbst ist ‘Energie’ sozusagen überall, es darf in diesem Zusammenhang auch an Wasserstoff und Kernfusion gedacht werden.

        Abär warum sich Ihr Langzeit-Kommentatorenfreund noch einmal kurz gemeldet hat, war diese Fleisch-Sache, die muss hier vielleicht nicht hineingemischt werden, in bereits hoch komplexe Gemengelage.
        Anders als andere (“Henk” war hier nett und vorsichtig, nicht wahr?), kennt Dr. Webbaer Sie, mag Sie, unterstützt Sie und wünscht weiterhin viel Erfolg.
        Randbemerkung :
        Dr. W hat sich schon, wie er sie seit vielen Jahren kennt, mehr Aufregung [1] erwartet als Sie seinerzeit Ihr wichtiges Amt antraten, Sie sind nun schon bald vier Jahre im Amt des Antisemitismusbeauftragten, viel Glück weiterhin.

        Mit freundlichen Grüßen
        Dr. Webbaer

        [1]
        Formulierungen wie “Querdenker”, “explosives Element” und “extra-kreativ” spart sich der Schreiber dieser Zeilen für die Fußnote, und dies nett meinend, im Sinne des originären Denkertums.

        • Danke, @Webbaer. Sogar in der bürgerlichen FAZ wurde heute schon vorsichtig – neben dem üblichen Spott über „Bienenschützer“ – der Fleischverzicht als eine Möglichkeit angetippt, mit der die Landwirtschaft energie- und flächensparender würde. Unser Bundes-Landwirtschaftsminister wurde gar mit der 60 Prozent deutsches-Getreide-als-Tierfutter-Angabe zitiert.

          Bis zu weiteren, logischen Schlussfolgerungen einschließlich der Agrophotovoltaik wird es selbstverständlich noch ein wenig dauern. Aber es ist ja ein Anspruch dieses wissenschaftlichen Blogs, Themen schon aufzugreifen, bevor sie Mainstream werden.

          Und, ganz unter uns: Wäre es denn sonst (auch) für Sie ausreichend interessant?

          • Webbaer insgesamt schon zufrieden sein, da sind immer neue Ideen dabei, der Schreiber dieser Zeilen war bspw. sofort angeregt die Preisentwicklung bei den Agrarprodukten breit zu prüfen.
            MFG
            WB

  3. @Michael 06.03. 11:30

    „Im deutsch-europäischen Wirtschaftssystem zirkuliert viel zu viel Geld, wogegen es an Arbeitskräften in immer mehr Branchen mangelt. Ohne ständige Zuwanderung wäre der Asset Meltdown schon längst da…“

    Ich habe schon an anderer Stelle angemerkt, dass wir ukrainische Flüchtlinge gut brauchen können, das ist ein Pluspunkt für uns. Die USA können uns Gas verkaufen, die Chinesen mehr Getreide aus Russland importieren und Putin bekommt eine ein wenig größere „Einflusszone“. Nur die Ukrainer haben eine reine Katastrophe.

    „Moderne Landwirtschaft funktioniert nicht rentierstaatlich, sondern privatwirtschaftlich.“

    Naja, erfolgreiche Landwirtschaft schafft vor allem mehr lokale Arbeitsplätze im Vergleich zur Erdgasförderung. Wirkt sich aber durch Steuereinnahmen auch positiv auf den Staatshaushalt von Putins „erweiterter Einflusszone“ aus, vor allem wenn die Erlöse deutlich höher als die Produktionskosten sind.

    „Putin müsste also aus Erdöl- und Erdgas-Einnahmen finanzierte Truppen aufbieten, um die Bäuerinnen und Bauern der Ukraine dauerhaft zu kontrollieren. Es wird ihm nicht gelingen.“

    Da bin ich pessimistischer. Es dürfte für Russland kein Problem sein, innerhalb von Monaten die ganze Ukraine zu kontrollieren und dort eine genehme Regierung zu installieren. Zumal die Kosten der russischen Armee sowieso längst angefallen sind, ihr tatsächlicher Kriegseinsatz kostet nur teilweise extra. Wenn Russland dann trotz Sanktionen die landwirtschaftlichen Produkte der Ukraine ins Ausland verkaufen kann, kommen die Kosten des Krieges durch entsprechende Steuereinnahmen mehr als wieder herein, insbesondere je höher die Weltmarktpreise sind.

    Ein gewisses Paradox sehe ich hier: Wenn die Wirtschaft gut läuft, und vor allem die Menschen Arbeit haben, dann hat auch Demokratie gute Chancen, weil eine grundsätzliche Zustimmung gegenüber dem Staat größer ist. Läuft stattdessen nichts, und es grassiert massenhafte Arbeitslosigkeit, dann kommen auch in eigentlich funktionierenden Demokratien Extremisten an die Macht, die dann eventuell die Rechtsstaatlichkeit wieder einschränken oder im Extremfall ganz abschaffen.

    So wirken dann allgemeine Wirtschaftssanktionen eher verschärfend, die Menschen leiden mehr, und sind umso mehr gegen ihre Regierung. Was dann wieder zu mehr Repressionen führt, und sozusagen demokratische Verhältnisse noch weiter verhindert. Eigentlich müsste man ganz direkt und gezielt auf die Exporte von Öl, Gas und Kohle zielen, dass diese möglichst komplett wegfallen, und gleichzeitig die andere Wirtschaft eher noch fördern, also auch die Produktion und den Export von Getreide.

    Der Weg, mit Wirtschaftssanktionen demokratischere Verhältnisse zu fördern läuft dann wohl erst über den kompletten Zusammenbruch. Der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus ist ja auch auf ähnliche Weise zustande gekommen, allerdings auch und vor allem durch jahrzehntelange exzessive Rüstungsausgaben.

    Andererseits sind Wirtschaftssanktionen sehr naheliegend, einfach weil wir angesichts des Unrechts dieses Krieges einfach die Lust verlieren, mit Russland zusammenzuarbeiten und Handel zu treiben.

    • @Tobias Jeckenburger
      Wie schwer die Ukraine zu kontrollieren ist, hat die deutsche Wehrmacht erlebt und die rote Armee genauso. Stalin hat ja sogar einen Völkermord (Holdomor) versucht und ist damit gescheitert.
      @alle
      Das Problem ist doch ganz deutlich der Flächenfraß in den Industriestaaten. In Stuttgart auf der neuen Messe kann man es beobachten. Beste landwirtschaftliche Böden – seit der Jungsteinzeit unter dem Pflug – wurden für ein wirtschaftlich höchst zweifelhaftes Projekt geopfert. Hier denkt die Wirtschaftswissenschaft anders als die Landwirtschaft. Für erstere ist Boden nur ein Standort (Lebensmittel kann man ja auch woanders produzieren, “Unsere Kühe grasen am La Plata” Zitat Willem II ) für die Landwirtschaft ein komplexes Ökosystem.
      Ich denke, es ist viel wichtiger, den ständigen Flächenfraß zu stoppen, als alle von vegetarischer Ernährung zu überzeugen.
      Und zuletzt, aber ganz wichtig:
      Solidarität mit der russischen Zivilgesellschaft, die trotz allem gegen den krieg protestiert! Zehntausend Menschen sind deshalb schon in Russland in Haft.

      • @Tobias Jeckenburger
        Wie schwer die Ukraine zu kontrollieren ist, hat die deutsche Wehrmacht erlebt und die rote Armee genauso. Stalin hat, genauso wie Hitler, ja sogar einen Völkermord (Holdomor/ shoa ) dort versucht. Beide damit gescheitert.
        @alle
        Das Problem ist doch ganz deutlich der Flächenfraß in den Industriestaaten. In Stuttgart auf der neuen Messe kann man es beobachten. Beste landwirtschaftliche Böden – seit der Jungsteinzeit unter dem Pflug – wurden für ein wirtschaftlich höchst zweifelhaftes Projekt geopfert. Hier denkt die Wirtschaftswissenschaft anders als die Landwirtschaft. Für erstere ist Boden nur ein Standort (Lebensmittel kann man ja auch woanders produzieren, “Unsere Kühe grasen am La Plata” Zitat Willem II ) für die Landwirtschaft ein komplexes Ökosystem.
        Ich denke, es ist viel wichtiger, den ständigen Flächenfraß zu stoppen, als alle von vegetarischer Ernährung zu überzeugen.
        Und zuletzt, aber ganz wichtig:
        Solidarität mit der russischen Zivilgesellschaft, die trotz allem gegen den krieg protestiert! Zehntausend Menschen sind deshalb schon in Russland in Haft.

        • Danke, @Joachim Fischer. Nur den Gegensatz zwischen „Flächenfraß“ und „alle von vegetarischer Ernährung (zu) überzeugen“ habe ich nicht verstanden. Futtermittelproduktion für Fleischtiere beansprucht erhebliche Flächen (plus Energie, Wasser, Dünger, Arbeitskräfte…). Und es müssen gar nicht „alle“ vegetarisch 🌱 werden, damit es besser wird – das habe ich ganz bewusst nicht gefordert.

          Dass sich aber gefälligst alle anderen verändern sollen, nur man(n) selbst nicht, halte ich nicht für eine besonders originelle Argumentation. Wenn wir die anstehenden Krisen wenigstens begrenzen wollen, werden wir alle einige Veränderungen auf uns nehmen müssen. Idealerweise aus wissenschaftlich aufgeklärter Einsicht.

    • Vielen Dank für den Hinweis, @Johannes Güntert. Von Psiram-Hinweisen halte ich viel und nehme die Leseempfehlung raus. Auf den ersten Blick sieht es für mich so aus, als hätte sich da eine Aktivistin mit durchaus berechtigten Anliegen selbst in Freund-Feind-Dualismus und schließlich Verschwörungsmythen verrannt. Schade.

      PS: Kritik und Hinweise sind immer willkommen, es ginge freilich auch in einem freundlicheren Ton. Freund-Feind-Denken ist nicht nur ein Problem anderer…

        • Tja, „ist die Feindin“ ist eben genau das Dualismus-Problem. Es fällt mir schwer, Quellen zu trauen, die Wissenschaft mit Freund-Feind-Denken vermischen. Genau das ist doch der Fehler, den Psiram ihr vorwirft…

          Super, jetzt bin ich doppelt skeptisch… 💁‍♂️

          Andererseits befasse ich mich ja gerade auch mit dem teilweise bizarren Brief von Mahatma Ghandi und der Antwort von Martin Buber darauf. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen, indische Esoterik und Verschwörungsmythen vertieft anzuschauen und zu thematisieren.

          Vielen Dank für die Anregungen – so bringt Wissenschaftsbloggen weiter!

  4. 2 Anmerkungen
    (1) Afghanistan hat sich jahrhundertelang selber ernährt. Das Ernährungsproblem wird getrieben durch das Bevölkerungswachstum (wie in anderen Weltgegenden auch) von ca. 12 Millionen Einwohnern 1990 zu ca. 40 Millionen Einwohnern aktuell.
    (2) Al Quaida wurde erst durch die USA aufgebaut, im Kampf gegen die Sowjetunion. Insofern ist die Behauptung, dass hier Rentierstaaten maßgeblich sind, sachlich falsch. (Saudi Arabien mag eine Rolle gespielt haben.)

    • Danke, @Graf Cagliostro

      1. Klar wirken Bevölkerungswachstum und Klimakrise – Dürren wechselseitig verstärkend. Wer hätte das je bestritten? Oder ging es Ihnen etwa darum, die Klimakrise zu verharmlosen?

      2. Selbstverständlich ist nicht nur das mit den USA verbündete Saudi-Arabien – aus dem heraus AlQaida gegründet und massgeblich finanziert wurde – Rentierstaat, sondern auch die hier angesprochene Sowjetunion, die in Afghanistan scheiterte. Auch hier scheinen Sie unbedingt an einem antiwestlichen Feindbild festhalten zu wollen, statt die Fakten, die für die Rentierstaatstheorie sprechen, einfach mal anzuerkennen.

      Der Einschätzung, dass Putin sich militärisch verhoben hat, schließen sich währenddessen immer mehr auch militärische Beobachter an, vgl.:
      https://web.de/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/putin-verrechnet-ukraine-krieg-gewinnen-36667872

      Das Ganze scheint mir geradezu ein Paradebeispiel dafür zu sein, dass Wissenschaft die Realität eben besser und damit auch zielführender beschreiben kann als Freund-Feind-Dualismus inklusive Verschwörungsmythen.

      • zu (1) mir geht’s hier um folgende Betrachtung: bei der bevorstehenden Veränderung des Klima bzw. bei den Aktivitäten diese zu verlangsamen, kann der die CO2 erzeugende Teil der Menschheit dort den Hebel ansetzen, Länder wie Afghanistan sollten sich die Bevölkerungsentwicklung anschauen. Jeder wie er kann, aber alle sollten helfen.

        zu (2) ich halte Al Quaida lediglich für ein schlechtes oder unpassendes Beispiel, in der Aufzählung von Gruppen, unterstützt von Rentierstaaten – da habe ich mich vielleicht unpräzise ausgedrückt – mea culpa. Meiner Meinung nach wurde in Afghanistan der kalte Krieg in einem überschaubaren Umfang zu einem heißem Krieg, einem Stellvertreterkrieg. Zur Theorie als solchen habe ich mich gar nicht geäußert.

        Da mir bereits alle Arten von Feindbildern unterstellt worden, nehme ich auch diese Anmerkung einfach in meine Sammlung auf.

        • Danke, @Graf Cagliostro

          Dass Geburtenraten dann sinken, wenn auch Mädchen gebildet werden und eine Alters-Absicherung auch unabhängig von der Familie möglich wird, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Auch im Iran, der Türkei etc. sind die Geburtenraten entsprechend schnell unter die Bestandserhaltungsgrenzen gefallen.

          Und wenn Sie weniger missverstanden werden wollen, Sie Ärmster, dann setzen Sie sich doch einfach vor dem Kommentieren mit der hier kostenfrei angebotenen Wissenschaft auseinander!

          (Und, nein, Sie müssen sich dafür nicht bedanken. 🙂 )

  5. Anmerkung zu Ghandi,
    gewaltloser Widerstand wäre die höchste Stufe christlichen Denkens.
    Im europäisch-nahöstlichen Kulturkreis ist diese Denkweise unvorstellbar.

    Martin Buber liegt uns da näher und er bietet einen gesunden Kompromiss aus moralischem Anspruch und realistischer Handlungweise.

    Und es besteht der Verdacht, dass Putin nicht nur aus reinem Machtkalkül handelt sondern , dass er auch eine Form von Moral verinnerlicht hat, die ihm sein Vorbild Andropow vorgelebt hat, den Kommunismus.

    • Ja, @hwied – über Ghandis Israel-Brief von 1938 kann man eigentlich nur entsetzt sein. Buber hat sehr klug geantwortet. Aber ich denke, das ist so ein komplexes Thema, dass es einmal eine eigene Behandlung verdient.

  6. Der NZZ-Artikel Putin zerstört die Zukunft einer ganzen Region nennt schon in der Überschrift den Ressourcenfluch als Hintergrund in dem auch heute ein Land einen Angrifskrieg führen kann. Zitat:

    In Russland offenbart sich die volle Wucht des Ressourcenfluchs. Ein Überfluss an Erdöl, Erdgas oder Nickel begünstigt Autokratien und hemmt den Aufbau einer effizienten Wirtschaft. Moskau macht dreissig Jahre nach dem Fall der Sowjetunion gerade die Hoffnungen auf ein besseres Leben zunichte.

    Wie Paul Krugman in einem New York Times Artikel geschrieben hat, lohnen sich Kriege schon seit beinahe hundert Jahren auch für den Angreifer nicht mehr, wenn man die Auswirkungen auf die Wirtschaft betrachtet. Denn die Zerstörungen, die der Krieg hervorruft, sind erst nach Jahren behoben und seit dem Industriezeitalter kann der Sieger auch keine grosse Kriegsbeute mehr aus dem eroberten Land abholen, da nun der eigentliche Reichtum eines Landes in der aufgebauten Infrastruktur liegt. Und gerade diese wird durch den Krieg ja zerstört.

    Wenn es auch heute noch Angriffskriege gibt, dann steckt dahinter mit grosser Wahrscheinlichkeit ein ganz anderes „Mindset“ als es typisch ist für Politiker in Industrieländern. Ein „Mindset“, welches den Besitz von Ressourcen über den Besitz von Fertigkeiten stellt, das ermöglicht auch heute noch den Krieg, denn gemäss dieser Art des Denkens ist ein territorialer Zugewinn unabhängig von den Auswirkungen auf die Wirtschaft eine Langfristanlage. Putin denkt ohne Zweifel in solchen, letztlich vormodernen Kategorien.

  7. Putins Krieg ist der Krieg eines Ressourcenbesitzers
    Putins Krieg ist kein Krieg der russischen Bevölkerung gegen die Ukraine, sondern es ist ein Krieg des Apparats, den Putin selbst aufgebaut hat ohne die Zustimmung der Bevölkerung nötig zu haben, denn er war als Besitzer von fossilen Ressourcen weit weniger auf Steuereinnahmen angewiesen, als das ein Premierminister oder Präsident in einem demokratischen Land ist.

    Man kann sogar sagen, dass die moderne Demokratie wie sie in Grossbritannien entstand und sich von dort aus verbreitete auf dem Prinzip beruht No taxation without representation. Man kann den Satz auch umgekehrt interpretieren und sagen: Wer zahlt befiehlt und wenn es der Steuerzahler (und damit das Volk) ist, der zahlt, dann befiehlt er – das Volk also -, auch.

    Doch in Russland als Rentierstaat verhält es sich anders wie man auch in Gerald Hosps Artikel Putin zerstört die Zukunft einer ganzen Region liest:

    Ein Überfluss an Erdöl, Erdgas, Kohle oder Nickel begünstigt häufig Autokratien, Korruption, ineffizientes Regieren und Konflikte. Durch den Rohstoffreichtum sind Regierungen nicht oder in geringem Mass auf Wähler und Steuerzahler angewiesen. Der Aufbau effizienter Wirtschaftsstrukturen oder innovativer Unternehmen wird weniger dringlich. Dies ist zwar kein Naturgesetz, aber häufig traurige Wirklichkeit.

  8. Die allermeisten afrikanischen und arabischen Menschen litten nicht unter fallenden Zinsen und Aktienkursen, sondern unter explodierenden Preisen auf Nahrungsmittel, vor allem Getreide.

    So stieg der Weltmarktpreis für eine Tonne Weizen von 152 Dollar in 2005 auf 343 Dollar in 2008, Reis von 207 auf 508 Dollar.

    Ja, der Weltmarkt. Ein Detail wird darin gerne verleugnet: Erstens bekommen Landwirte anscheinend nur einen Bruchteil vom Handelswert. Und ausserdem gab es in der selben Zeit auch strukturelle Veränderungen im Bedarf: der “Biosprit” wurde gesetztlich eingeführt. Also das Benzin zu einem Teil aus Biomasse-Kohlenstoff bestehen soll.

    Nun, es ist eine Sache, wenn man ein Bewusstsein für Umwelt und Energieerzeugung/ (und deren Verbrauch) erzeugen will. Aber wenn das, wie sie und überall immer wieder beklagen, die Nahrungsmittelknappheiten erhöhen, sodass immer mehr Hungersnöte und Populationsstress erzeugt wird, dann hat das so seinen bitteren und geheuchelten Beigeschmack.

    Wenn ich einst feststellte, das Preisstabilisierung gut sei, meinte ich das im Sinne der Landwirte. Aber es stellte sich offenbar herraus, das es viel besser noch für politische Strategen und deren Kriegsführung gegen einen bisher unerklärten Feind war.
    Ja, Islamismus, ja, Autoritarismus… alles nur selbstgerechte und subtile Empfindsamkeits-Erregung. Nicht der eigendliche Kern der Strategie.

    Ich weiß nicht, was daran besser sein soll, das “die unsichtbare Hand des Marktes” alles besser regelt, wenn man mit ihr ganze Völker strukturel so unter Druck setzen kann, das sie daraufhin ins Verderben stürzen, weil Stress eben zu Fehlverhalten führt. Und wenn man jene gestressten dann auch noch mit einer akzelerationsstrategie dazu verhilft, ihre stressinduzierte Drucksituation zu entladen, dann ist man in der Situation, das man ohne Schuld aus der Sache herrauskommt, und den gestressten die Schuld für ein Werk gibt, dessen Ursache/Auslöser sie gar nicht zu verantworten haben.

    Und wie passend, das sie dieses Argument gleich auch in ihrem Beitrag “entkräftet” haben, indem sie Rentierstaats-Strategie mit solchen Szenarien in Verbindung brachten: Wenn Energie-Recourcen mit Nahrungsrecourcen abseits einer Marktsituation gehandelt werden sollen (wie im real existierenden Kommunismus der Sovjetunion wohl üblich)….was nicht handeln ist, sondern tauschen. Wie unter guten Freunden. Ok, das kann jetzt gegen mich verwendet werden, das Freund-Szenario. Aber so ist es eben. Man hat ein höheres Ideal und versucht es gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen. Freunde tauschen ohne den Marktwert dabei anzulegen, weil das Ziel (beider Wohlergehen und Existenz) über dem Handelspreis und dem Handelsziel gesetzt wird.
    Ich sage nicht, das Kommunismus damals dieses höhere Ziel gewesen war. Es war nur das Mittel, das derzeit als Methode gewählt wurde.

  9. Hallo Dr. Blume,

    direkt zum Getreide-Thema nur ein kurzer Denkanstoß: in Europa wurden in den letzten Jahren immer mehr Flächen entweder mit Photovoltaik zugepflastert, oder für Energiepflanzen reserviert. Sowas verschärft das Tank-vs-Teller-Problem.

    Zu Rentierstaaten, Energierohstoffen, Abhängigkeit von Öl und Gas dagegen möchte ich Ihnen gerne einen längeren Artikel von Vero Wendland an’s Herz legen:
    https://www.salonkolumnisten.com/this-machine-kills-fascists/
    Die Machine, die ganze Länder von Öl- und Gas-Despoten unabhängig machen kann, existiert, und hat einen wesentlich kleineren Flächenverbrauch als Wind oder Solar…

    • Danke, @H.Störk. Ob sich die Deutschen nicht nur auf eine Verlängerung, sondern auch auf einen Neubau von Atomkraftwerken einlassen, um weiterhin Energie auf Kosten von Sicherheit und strahlendem Sondermüll verschwenden zu können, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, dass gesellschaftliche Mehrheiten eher für eine Kombination aus Erneuerbaren Energien und Energiesparen – auch durch Fleischverzicht – plädieren werden. Technologische Entwicklungen, die zu einem breiten Umdenken führen würden, kann ich bisher noch nicht erkennen.

      Bei den Salonkolumnisten finden Sie übrigens auch einen Beitrag von mir zur Rentierstaatstheorie:

      https://www.salonkolumnisten.com/oel_antisemitismus/

      Ihnen Dank für Ihr thematisches Interesse an Energiedemokratie!

    • Neben den sehr guten Antworten von Tobias Jeckenburger: Sie möchten uns also von der Abhängigkeit von Öl und Gas und den liefernden Rentierstaaten frei machen, indem Sie Abhängigkeiten zu Importen anderer rarer endlicher Resourcen aufbauen?
      Das klingt nach keinem guten Plan.
      Dann doch lieber Abhängigkeiten zu reichlich vorhandenen oder recyclebaren Stoffen.

  10. @H.Störk 09.03. 09:12

    „.,,in Europa wurden in den letzten Jahren immer mehr Flächen entweder mit Photovoltaik zugepflastert, oder für Energiepflanzen reserviert. Sowas verschärft das Tank-vs-Teller-Problem.“

    Photovoltaik ist mindestens 20 mal effektiver als Photosynthese. Die Flächenkonkurrenz mit Feldfrüchten ist minimal, zumal für PV auch vorerst überwiegend Dächer oder Parkplätze genutzt werden. Und man kann die Module auch auf eher trockenen Viehweiden aufstellen, was insbesondere in Südeuropa dann gar keine landwirtschaftlichen Ertragsverluste ergibt. Der Ertrag hängt hier eher am Wasserangebot, die Verschattung ist ja nur Teilweise vorhanden, weil die Ausrichtung der Paneel Zwischenräume erfordert.

    Wobei allerdings Energiepflanzen zu großem Teil tatsächlich mit dem Teller konkurrieren. Man hat diese auch vor allem genau deswegen in eine Förderung genommen, damit die Bauern angesichts der Überproduktion in Europa dennoch bessere Preise erzielen können. Sollten sich die Weltmarktpreise hinreichend erhöhen, wird man das Projekt Energiepflanzen wohl vernünftigerweise wieder einstellen. Mit Wind und Sonne wird es nicht teurer, und diese Anlagen stehen eben kaum in Konkurrenz mit Lebensmitteln.

    Weniger Fleisch essen kann nicht schaden, wenn man es denn mag. Für die Energieversorgung müssen wir das aber eigentlich nicht.

  11. Hallo Dr. Blume,

    in Ihrem Artikel von 2019 fassen Sie im ersten Teil Ansätze zusammen, die Sie auf dieser Seite hier auch des öfteren thematisiert haben. Sie haben richtig festgestellt, daß die kohlebefeuerte Dampfmaschine maßgeblich zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen hat, aber versäumt, tiefer zu forschen, welche Eigenschaften dieser Form der Energieumwandlung den entscheidenden evolutionären Vorteil gegenüber Sklaven, Ackergäulen und Arbeitselefanten boten.

    Warum konnte die Dampfmaschine sich erst durchsetzen, als sie mit Steinkohle befeuert wurde und nicht mit Brennholz? Meine Vermutung ist, daß die Energiemenge, die ein Bergmann zu Tage fördern konnte, größer war als die, die ein Förster in der gleichen Arbeitszeit aus dem Wald holte. Und wenn man bedenkt, daß der Energiegehalt von Steinkohle vielleicht 10x größer ist als der von Biomasse, währen der von Uran oder Thorium millionenmal größer ist als der von Kohle, ist es kaum vorstellbar, daß die Zukunft nicht nuklear sein wird.

    Dieser Millionen-Faktor in der Energiedichte ist auch der Grund, warum die üblichen Nebelkerzen “aber die Sicherheit, aber der Müll” tatsächlich Fake News sind. Laut https://ourworldindata.org/safest-sources-of-energy ist Kernkraft, was die Todesfälle pro erzeugter Energiemenge betrifft, auf gleichem Level wie Wind und Solar und um Welten besser als alle luftverschmutzenden Verbrennungsprozesse. Und was den Müll angeht, ist er einfach vom Volumen her so wenig, daß er effektiv der unproblematischste Müll aller existierenden Industrien ist.

    Sie erinnern sich an die Geschichte von der Speisung der 5000. Am Ende sind nicht nur alle satt, es bleibt sogar noch was übrig. Ich verstehe das so, daß die Überflußgesellschaft, die post-scarcity-Welt, Gottes Wille ist. Mit “Energiesparen und Verzicht” auf einen vorindustriellen Lebensstandard zurückkehren zu wollen, halte ich für eine Malthusianische Verirrung. Uran und Thorium sind Geschenke Gottes, und es wäre grob undankbar, sie nicht zu nutzen.

    BTW, die Beziehung zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern war niemals nur von Konkurrenz geprägt wie bei Kain und Abel, sondern immer auch von symbiotischem Miteinander. Massentierhaltung muß nicht sein, aber die Viehzucht komplett abzuschaffen, würde die Situation des Getreideanbaus nicht verbessern, sondern mangels Gülle eher verschlechtern. So aus der Sicht eines selten-Fleisch-Essers, dessen Ehefrau nur vegetarisch kocht.

    • Danke, @H. Störk. Wenn Sie schon zu religiösen Argumenten greifen, so sei mir der Hinweis erlaubt, dass religiöse Traditionen meist Sonne, Wasser, Pflanzen und Tiere als „Geschenk Gottes“ feierten.

      In Ihren Ausführungen zu Massentierhaltung und Viehzucht bin ich ganz bei Ihnen.

  12. Wie sind nun die Aussichten für uns in Sachsen? Am letzten Freitag führte ich ein zweites Gespräch mit dem Leiter Referat 43 Hydrologie des Sächsischen Energie- und Umweltministeriums. Zentrale Frage an ihn war: “Können Sie sich vorstellen, das in Leipziger Südraum von 2038 – 2050 genug Wasser aus Flüssen (in dem Fall der Mulde und der Elster) übrig ist, um das Restloch des heutigen Tagebaus Vereintes Schleenhain mit 430 Millionen m3 Wasser zu füllen?”
    Antwort: “Wir haben jetzt schon eine Nutzungskonkurrenz um Wasser in Sachsen. Es liegen viele Anträge von Landwirten zur Nutzung von Grundwasser für Bewässerungszwecke vor. Mittelfristig wird diese Konkurrenz brutal. Der Braunkohlenkonzern LEAG hat vor einigen Jahren eine eigene Studie zur Entwicklung des Dargebots gemacht. Die war so brisant ausgefallen, dass sie sofort geheimgehalten wurde. Aussage : Mittelfristig Halbierung des Dargebotes. Und im übrigen ergeben unsere Modelle beim aktuellen Emmissionspfad für Sachsen die Abflussmenge Null im Jahre 2100.”

    Zum Begreifen: Wir sind auf dem Weg, in 78 Jahren in Sachsen keine dauerhaft fliessende Flüsse mehr zu haben! Nur noch Wadis, die sich bei den außerdem verstärkten Starkregenereignissen kurzzeitig mit katastrophalen Wassermengen füllen.

    Gleiche Aussage übrigens bei einer neuen Studie vom Lehrstuhl Prof. Matschullat der TU Bergakademie Freiberg.

    • Danke für die Hinweise, @Eckehard Erben. Zu Sachsen traue ich mir keine eigene, hydrologische Expertise zu, doch im Iran ist der letzte schiffbare Fluss (der Karun) bereits weitgehend versiegt. Wer in dieser Phase der weiteren Verschwendung von Wasser, Energie und Flächen durch Massentierhaltung & Co. das Wort redet, versündigt sich m.E. an der Zukunft der Menschen, Tiere und Pflanzen, des Lebens.

  13. @H.Störk 10.03. 00:10

    “Uran und Thorium sind Geschenke Gottes, und es wäre grob undankbar, sie nicht zu nutzen.”

    Durchaus möglich. Dann aber nicht, um für ein paar hundert Jahre Strom zu erzeugen, weil das danach dann wohl alle ist, wenn man einen Großteil der Energie so erzeugen will. Die Energiedichte ist gewaltig, aber das Zeug ist auch extrem selten.

    Möglicherweise aber die pure Verschwendung. Was ist, wenn Uran und Thorium dann doch die einzige praktikable Energiequelle für interstellare Reisen sind? Angesichts der geringen Menge auf diesem Planeten, der schon fast 5 MRD Jahre existiert, sollte man vielleicht sehr sparsam damit umgehen. Nachgeliefert wird es sicher nicht. Und wer weiß, wofür wir es nicht noch gebrauchen können. Wäre es von Gott her als Energiequelle für die weltweite Stromerzeugung vorgesehen, müsste mindestens 1000 mal mehr davon da sein.

    Man bedenke hier, das die spaltbaren Isotope wirklich weg sind, nachdem sie eben gespaltet wurden. Gold oder Kupfer und andere Metalle dagegen können ewig wiederverwendet werden, deshalb ist es hier unproblematischer, wenn davon aktuell ziemlich viel ausgegraben wird.

    “Und was den Müll angeht, ist er einfach vom Volumen her so wenig, daß er effektiv der unproblematischste Müll aller existierenden Industrien ist.”

    Die Menge ist in der Tat gering, aber das Giftpotential ist doch unbeschreiblich gigantisch. Das hängt direkt mit der riesigen Energiedichte zusammen. Ich fürchte, dass es am Ende doch noch ziemlich teuer wird, dass zuverlässig zu entsorgen.

    “ist Kernkraft, was die Todesfälle pro erzeugter Energiemenge betrifft, auf gleichem Level wie Wind und Solar”.

    Naja, wir hatten bisher erst 2 Supergaus mit schätzungsweise an die 100.000 Tote oder mehr, hier gibt es verschiedene Aussagen drüber, je nach Quelle. Ob hier die Arbeitsunfälle in der ganzen Produktionskette von Windrädern und PV-Modulen dran kommen, könnte in der Tat irgendwie hinkommen, wenn wir weltweit fast unseren gesamten Energiebedarf damit decken. Allerdings sind die Modalitäten der zukünftigen Supergaus noch nicht bekannt. Im aktuellen Ukrainekrieg wird es gerade spannend, ob hier eine verirrte Rakete oder schlicht ein zu langer Ausfall der Stromversorgung die nächste Kernschmelze verursacht.

    “Mit “Energiesparen und Verzicht” auf einen vorindustriellen Lebensstandard zurückkehren zu wollen,…”

    Wer will das schon. Mit Windrädern und vor allem mit PV-Modulen kann man jedenfalls so viel Strom erzeugen, wie man braucht. Das wird sogar für 100 Mrd Menschen reichen, danach erst wird es aber irgendwann eng.

    Ich habe nicht viel dagegen, wenn die alten AKWs noch weiterlaufen, solange wir sowieso auch noch die fossilen Energieträger im Mix haben. Und wem das nicht zu teuer ist, der soll von mir aus noch ein paar neue AKWs bauen. Insbesondere wenn es hier mit Rohstoffen wie Kupfer oder Lithium noch Engpässe geben wird, die die Energiewende verzögern.

    Aber Windräder und PV-Module sind einfach nachhaltiger, auch wenn sie mehr Fläche brauchen. Aber sie brauchen eben nicht so viel Fläche, dass es ein Problem wäre. Und wenn sie einmal stehen, müssen sie nur noch regelmäßig erneuert wären, wobei es wohl kein Problem sein wird, die wichtigsten Rohstoffe vollständig immer wieder zu recyceln.

    Das geht eben mit dem Brennstoff für AKWs grundsätzlich nicht.

  14. @Michael 10.03. 21:51

    „Wer in dieser Phase der weiteren Verschwendung von Wasser, Energie und Flächen durch Massentierhaltung & Co. das Wort redet, versündigt sich m.E. an der Zukunft der Menschen, Tiere und Pflanzen, des Lebens.“

    Ich finde das übertrieben. Das Ernährungsproblem von Menschen in armen Ländern ist mehr die Armut als unserer Fleischkonsum. Die können sich nur das nötigste leisten, und kaum viel Geld dafür bezahlen. Ein gewisses Dilemma ist die derzeitige Marktsituation, die für ziemlich niedrige Getreidepreise sorgt. Diese sind einerseits für unsere Bauern in der EU ein Problem, dass hier die Erlöse immer wieder nicht mal kostendeckend sind, während die gleichen Preise in den armen Ländern so hoch sind, dass man sich wirklich nur das allernötigste Leisten kann, bzw. nicht mal das.

    Würden wir weniger Fleisch essen, dann müssten wir entweder unsere Bauern massiv bezuschussen, oder eben die armen Menschen bezuschussen, bzw. beides. Dann würden die bei uns freiwerdenden Mengen einerseits nicht zur Preiskatastrophe bei unseren Bauern führen, und die armen Menschen könnten sich nicht nur notmäßig hinreichend ernähren, sondern sogar richtig gut und lecker.

    Gleichzeitig haben wir z.B. in Afrika ein großes ungenutztes Potential hinsichtlich der dort produzierbaren Mengen. Auch hier ist die Armut das Problem, dass die eigene Nachfrage so gering ist, dass es sich nicht rechnet auf großen Flächen moderne und intensive Anbaumethoden anzuwenden. Dazu zählt auch moderner effektiver Bioanbau. Das Problem ist hier, dass die Menschen da eben einfach keine Kaufkraft haben, sich das zu kaufen, was sie eigentlich gerne essen möchten.

    Wenn wir also essen was schmeckt, und das niemandem wegnehmen, sehe ich hier kein so großes Problem. Auch Energiepflanzenanbau macht nur dann Sinn, wenn niemand da ist, dem man die angebauten Pflanzen zur Ernährung verkaufen könnte. Angesichts des Unkrainekrieges und der daraus folgenden Getreidemangels sollte man möglichst sofort erst mal den Energiepflanzenanbau einstellen, zumindest bis die Weltmarktpreise wieder sinken. Wer mit weniger tierischen Produkten klar kommt, der kann das auch noch machen, klar.

    Und nicht so viel wegwerfen ist noch mal eine richtig große Baustelle. Wenn wir das mit Erfolg hinbekommen, gilt dasselbe wie beim Fleischkonsum: dann müssen wir hier die Erzeugerpreise stützen und in den armen Ländern bezuschussen, sonst können unsere Bauern nichts mehr verdienen, und sich die armen Menschen trotzdem keine bessere Ernährung leisten.

    Nur so nützt das auch wirklich was, weniger zu konsumieren und weniger wegzuwerfen. Ich spar mir doch kein Fleisch vom Munde ab, damit das dann als Biosprit endet oder auf dem Müll landet und gleichzeitig in Europa noch mehr Bauern pleite gehen. Wenn es möglich ist, mit den armen Menschen tatsächlich zu teilen, dass unser Einsparung denen eine wirklich gute Ernährung ermöglicht, dann bin ich sofort dabei.

    Nebenbei bin ich natürlich auch für generellen Bioanbau und vernünftige Tierhaltung in Europa und überall. Wenn dann die Marktsituation eine andere wird, macht dann neben weniger wegwerfen auch weniger Fleisch mehr Sinn. Auf jeden Fall käme mir aber die Bio-Qualität sehr entgegen, bei vegetarischen wie auch bei tierischen Produkten.

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