Plädoyer für Weihnachtsfilme & die Heldinnenreise nach Gail Carriger

Heute habe ich zum ersten Mal bei einer öffentlichen Veranstaltung in Stuttgart nicht nur über meine Zeitenumbruch-These gesprochen, sondern als Politik- und Religionswissenschaftler auch für Weihnachtsfilme und die Heldinnenreise nach Gail Carriger plädiert. Lust auf eine neue Perspektive?
Weihnachtsfilme sind für das soziale Miteinander noch wichtiger als Actionfilme, meint Dr. Michael Blume. Mit Leonardo.AI
Seit Langem arbeitete und rang ich mit der Monomythos-Theorie des Literaturwissenschaftlers und Mythenforschers Joseph Campbell (1904 – 1987), wonach alle Mythen der Welt Variationen einer Heldenreise seien. Das Campbell auch die Star Wars-Saga inspirierte, sprach dabei für ihn. Noch in Folge 18 von Blume & Ince wandte ich das Heldenreise-Konzept kritisch auf den Podcast Hoss & Hopf an.
Doch etwas fehlte – und ich machte es an Liebesfilmen sowie besonders an Weihnachtsfilmen wie “Der kleine Lord” (1980), “Das letzte Einhorn” (1982), “Tatsächlich… Liebe” (2003) und inzwischen einem ganzen Streaming-Genre fest. Während sich Liebesgeschichten mit einiger Mühe noch als Er-kriegt-sie-Geschichten uminterpretieren ließen, erschien mir das bei den Weihnachtsfilmen nicht mehr glaubhaft. Beim “kleinen Lord” rettete der kindliche Lord Fauntleroy den verhärteten Earl of Dorincourt aus der Bitterkeit. Beim “letzten Einhorn” überwogen noch erkennbar christliche Motive, diese traten aber bei späteren Weihnachtsfilmen immer stärker hinter Alles-wird-auf-vielfältige-Weise-gut-Narrativen vor christlichem Musikteppich zurück. Und wenn all dies doch nur noch schwache Varianten von Heldenreisen und Christentum darstellen sollten, woher rührte dann der anhaltende Erfolg als heimliches Vergnügen, als “guilty pleasure”? Auch in unserer Familie entwickelten sich Weihnachtsfilm-Traditionen.
Bei der studierten Archäologin und Bestseller-Autorin Gail Carriger wurde ich endlich fündig, genau genommen in ihrem Buch “The Heroine’s Journey”, auf deutsch: Die Heldinnenreise.
Gail Carriger: The Heroine’s Journey. For Writers, Readers, and Fans of Pop Culture. Gail Carriger LLC
Carriger überzeugte mich am Beispiel der griechischen Demeter, der babylonischen Inanna und vor allem des ägyptischen Isis-Osiris-Mythos: Hier ist es klar die Göttin Isis, die ihren von Set ermordeten und zerstückelten Göttergatten aus Liebe gemeinsam mit ihrer Schwester Nephthys zusammensucht und heilt – und doch wurde die Geschichte meist nur nach dem toten Mann benannt. (Die Abbildungen von Isis mit ihrem Sohn Horus nahmen die späteren Maria-Jesus-Bilder vorweg.)
Carriger entwirft so eine duale, aber nicht dualistische Polarität aus Kampf-zentrierten Heldenmythen und Kooperation-zentrierten Heldinnenmythen, die nicht zwingend an biologisches Geschlecht gebunden sind: In Wonder Woman (2017) spielte Gal Gadot eine Frau auf Heldenreise, wogegen Joanne K. Rowling mit Harry Potter (ab 1997) einen jungen Mann auf Heldinnenreise schickte.
Nach Gail Carrigers Einordnung sind also Liebesromane und -filme keine schwachen Abklatsche von Abenteuer- und Actiongeschichten, sondern bedienen jeweils Mythenfolge auf Basis von Konkurrenz & Gewalt (Heldenreise) und Kooperation & Liebe (Heldinnenreise). In fantastischen Weltenerzählungen wie “Herr der Ringe” oder “Game of Thrones” wären entsprechend sowohl Heldinnen- wie Heldenreisen zu finden, die sich nicht selten auch überschneiden, herausfordern, ergänzen. Weihnachtsfilme wären damit das Gegenstück zu Horrorfilmen – mit dem gleichen Recht auf Existenz. Cyberpunk wäre meist Heldenreise, Solarpunk öfter Heldinnenreise. Mit den Jahrhunderten der akademischen Abwertung von “Frauenliteratur” und “Frauenfilmen” könnten wir dann auch mal langsam aufhören.
In Abgrenzung von der bisherigen Campbell-These vom Monomythos spreche ich inzwischen vom Duomythos – es gibt m.E. mindestens zwei Arten der mythischen Narration (Erzählung)!
Eine Frau auf Heldenreise, ein Mann auf Heldinnenreise. Ich spreche vom Duomythos. Michael Blume mit Leonardo.AI
Aus meiner wissenschaftlichen Perspektive mit Doktorarbeit zur sog. Neurotheologie und Evolution der Religiosität als In-Group-Kooperationsverstärker sehe ich starke Entsprechungen der Carriger-Unterscheidung zum Gegensatz evolutionspsychologischer Konkurrenz versus Kooperation. Wer sich wie damals Charles Darwin (1809 – 1882) in “The Origin of Man” (!) die Menschenwelt nur als Heldenreise-Kampfplatz vorstellen kann, wird die Frau zur Beute des Siegers herabwürdigen. Wer sich aber wie seine Theologie-Kollegin und Menschenrechtlerin Antoinette Brown Blackwell (1825 – 1921) in “The Sexes Throughout Nature” auf den Gedanken der elterlichen Kooperation einlässt, kommt zu einem dualen, aber nicht feindselig-dualistischen, zu einem nicht-binären Bild der Wirklichkeit. Wir müssen uns nicht für eine Art der Reise entscheiden, sondern können je nach individueller Neigung und Situation an beiden teilhaben.
Freiheit heißt, auch im eigenen Leben zwischen Helden- und Heldinnenreisen, zwischen Cyberpunk und Solarpunk wählen zu können. Michael Blume mit Leonardo.AI
Darüber wird, so hoffe ich, noch viel zu sprechen und zu schreiben sein.
Für den Moment aber möchte ich mich einfach dafür aussprechen, dass wir Liebes- und Weihnachtsgeschichten nicht länger als “peinlich” oder “unrealistisch” abtun, als wäre die tausendste Geschichte vom thymotischen Rächer noch irgendwie originell oder realistisch. Und schon angesichts der Demografie, der fossil finanzierten Gewalt und Anthropodizee-Fragen meine ich – es fehlt unseren Gesellschaften doch eher an Kooperation, Beziehungen, ja Liebe als an noch mehr Egomanen oder feindseligen Dualisten. Auch im Irak habe ich gelernt, die ezidischen Heldinnen zu bewundern, die sich durch den Terror des sog. IS weder brechen noch entmutigen ließen.
Eine Freundin & starke Heldin, die nie getötet hat: Nadia Murad. Foto: Nadias Initiative
Ich meine also, dass sich nicht nur in der Biologie, sondern auch in der Mythologie die Prinzipien von Kooperation und Konkurrenz ergänzen, nicht verdrängen. Wir sind auch innerlich vielfältiger, als wir glauben. Und wir dürfen, ja sollten das auch gerade nach dem Wahlsieg von Trump-Musk leben! Daher plädiere ich auch als Mann dafür, gerade auch zum Ende dieses thymotischen Jahres Weihnachtsfilme und überhaupt Heldinnenreisen gemeinsam zu genießen!
Wieder einmal bin ich tief fasziniert und habe dazugelernt. Das Wechsel- und Zusammenspiel von Seriencharaktern ist faszinierend zu beobachten – ich finde, über die Jahrzehnte sind die Heldinnenreisen mit Kooperation und erlebter Gemeinschaft, in der sowohl Stärke wie auch Brüche erfahren werden können, häufiger geworden. Ich denke da an Serien wie ‘Lost’, ‘The walking Dead’, ‘The X-Files’ und andere, die ich mit Begeisterung schaue. Star Trek mit seinem komplexen Universum gehört ebenfalls dazu. Selbst einsame Helden wie Batman erhalten in den neueren Werken Partner, an denen die Figur wachsen kann, und in der Serie ‘Titans’ sogar das bessere Konzept der Heldinnenreise gegenüber gestellt.
Ich finde es inspirierend, hinter die vordergründige Serien- oder Filmstory zu blicken und mythologische Ideengeber zu entdecken oder zu suchen.
Ich wünsche dir/Ihnen ermutigende Entdeckungen in Filmen, Serien und erzählten Geschichten. Weiß Gott, dass wir alle das dringend brauchen.
Vielen herzlichen Dank, @Ines Schauer – bin wirklich erleichtert, dass mich jemand versteht! 🙂
Vor Kurzem habe ich ja den Sinn von Musik in der Erfahrung von Hoffnung vermutet (ver-Mut-et) und nun plädiere ich für das Miteinander von Heldinnen- und Heldenreisen für unsere innere Vielfalt. Wenn die Zeiten bedrängen, so können wir doch innerlich und gemeinschaftlich wachsen. Hoffe ich.
Werde jetzt einfach mal versuchen, die Taktung der beiden Reisen nach Gail Carriger vorzustellen und ins Deutsche zu übersetzen.
Danke für den Druko! 😊🙏☕️
Die Hero’s Journey / Heldenreise nach Joseph Campbell und Gail Carriger bestünde aus acht Beats / Takten:
Call to Adventure / Ruf zum Abenteuer
1. The hero refuses the call / Der Held lehnt den Ruf ab
2. He receives aid from a mentor and / or the supernatural / Er erhält Hilfe von einem Mentor und / oder dem Übernatürlichen
Withdrawal AKA Quest / Rückzug, auch bekannt als Queste
3. The hero abandons his community and begins his quest / Der Held verlässt seine Gemeinschaft und beginnt seine Queste
4. He is tempted, distracted and encounters many obstacles / Er wird versucht, abgelenkt und begegnet vielen Hindernissen
5. He visits the underworld (metaphorical, second withdrawal) / Er besucht die Unterwelt (metaphorisch, zweiter Rückzug)
6. He defeats his enemy one on one and retrieves a boon / Er besiegt seinen Feind eins zu eins and erhält eine Gabe
Return / Rückkehr
7. The hero is acknowledged for his success, presented with a reward, honored / Der Held wird für seinen Erfolg anerkannt, mit einer Belohnung versehen, geehrt
8. The hero receives glory but isolation (Pathos) / Der Held empfängt Ruhm, aber auch Isolation (Pathos)
Die Heroines Journey / Heldinnenreise nach Gail Carriger bestünde aus zwölf Beats / Takten, die allerdings nicht alle abgearbeitet werden müssten:
The Descent / Der Abstieg
1. Broken familial network / Zerbrochenes Familiennetzwerk
2. Pleas ignored and abdication of power / Hilferufe werden ignoriert und Aufgabe der Macht
3. Involuntary withdrawal / Unfreiwilliger Rückzug
4. Offers of aid but no solution / Hilfsangebote, aber keine Lösung
The Search / Die Suche
5. Loss means isolation, risk / Verluste meinen Isolation, Risiko
6. Disguise, subversion / Verstecken, Unterwanderung
7. Formation of surrogate network / Aufbau eines ersetzenden Netzwerkes
8. Visit to the underworld, aided by companions / Besuch der Unterwelt, Hilfe durch Gefährten
The Ascent / Der Aufstieg
9. Success means new, reborn familial network / Erfolg meint neue und wiedergeborene Familiennetzwerke
10. She excels at delegating, networking, communicating, and portioning out tasks and achievement / Sie brilliert mit Delegieren, Netzwerken, Kommunizieren, dem Verteilen von Aufgaben und Erfolgen
11. Her negotiation and compromise benefits all / Ihre Verhandlungen und Kompromisse nutzen allen
12. Revenge and glory are not important / Rache und Ruhm sind sehr wichtig
Mich überzeugt das mythologisch und literarisch, zumal Carriger ausdrücklich nicht einfach auf die Biologie zurückbindet, sondern auch kulturelle Einflüsse wie Gothic, patriarchale Traditionen in Wissenschaft und Literatur klar benennt.
Aus meiner evolutionären Perspektive könnte es naheliegen, ganz vom Geschlecht wegzukommen und konfrontative versus kooperative Wertereisen zu erkunden. Allerdings möchte ich vor eigenen Weiterarbeiten erst einmal das m.E. großartige Werk von Gail Carriger vorstellen und für sich wirken lassen. Ich glaube, sie hat etwas Bleibendes erkannt und gekonnt beschrieben.
Vikings! Raise the shield wall! Hold the front line! Fight ’til death! Kooperation und Konfrontation in perfekter Harmonie. Es kommt mir vor, als ob wir diese Männlein-Weiblein-Nummer mit dem Brecheisen in beliebige Widersprüche hineinzwängen. Es ist eher eine Form von Flirten, Geschlechterkampf und eher die Zuweisung als das Herausfinden von Unterschieden.
Isis backt sich ‘nen Bro aus Fertigzutaten, die sie nur noch einsammeln muss. Doch jede Sammlerin ist eine Beeren-Jägerin, nur sind die so viel schwächer als Bären, dass sie im Verhältnis zu ihnen mächtig ist wie Zeus, über sie kommt wie der Tag des Jüngsten Gerichts und deren Armeen so easy-peasy bezwingt, dass sie es nicht mal nötig hat, Stelen mit Gangsta-Rap-Angeberei vollzukritzeln wie irgend so ein lumpiger Pharao, der nicht zugeben will, wie viel Mühe es ihm tatsächlich bereitete, ein paar magere Hethiter vom Busch zu pflücken. Fauntleroy erlegt den verbitterten Earl of Dorincourt und hängt sich den glücklichen als Trophäe an die Wand. Sie bejubeln ihn, wenn Sie die Geschichte lesen, wie den Cäsar bei einem Triumphzug. Er ist der Sieger. Er hat den Earl gegessen, die Verhärtung der Ritterrüstung mit seiner Happy Keule zertrümmert, jetzt verdaut er ihn in beidseitiger Glückseligkeit. Im Grunde hatten die beiden Sex.
[Meine Güte, das ist zunehmend unverständlich und m.E. auch einfach falsch. Es gibt zwischen Menschen auch nicht-sexuelle Beziehungen und Zusammenfinden, in denen beide “Sieger” sind. Ich beende daher den Textfluss daher hier einmal und bitte darum, angemessener zu formulieren. M.B.]
Diesmal muss ich Ihnen doch mal klar widersprechen, @Paul S.
Vikings! Raise the shield wall! Hold the front line! Fight ’til death! Kooperation und Konfrontation in perfekter Harmonie. Es kommt mir vor, als ob wir diese Männlein-Weiblein-Nummer mit dem Brecheisen in beliebige Widersprüche hineinzwängen. Es ist eher eine Form von Flirten, Geschlechterkampf und eher die Zuweisung als das Herausfinden von Unterschieden.
Nein, ist es nicht. Klar können Sie dabei stehenbleiben, dass “Wonder Woman” auch beim Kämpfen ästhetisch ausschaut oder “Harry Potter” am Ende Ginny Weasley heiratet und mit ihr Kinder zeugt. Aber genau darum geht es Gail Carriger nicht – sie reduziert die Geschichten weder auf Sex noch auf das biologische Geschlecht. Sondern sie zeigt, dass eine tapfere Einzelkämpferin entlang der Heldenreise anders erzählt wird als ein Teamspieler (Quidditch!), der am Ende eine Familie gründen darf.
Und, ja, ich ringe noch mit dem Gedanken, diesen Ansatz auf eine je konfrontative oder kooperative Wertereise auszubauen, weil – wie Carriger auch selbst sieht und beschreibt – diese narrativen Takte zwar auf evolutionspsychologischen Strukturen aufsetzen, aber im Wesentlichen kulturelle Werte vermitteln. Die Jagd nach Geld oder auch der Kuss unter dem Mistelzweig sind beispielsweise jeweils nur wenige Tausend Jahre alt und können evolutionspsychologisch nicht vorausgesetzt werden.
Also, nein: Es ist nicht alles das Gleiche und “Der kleine Lord” hatte mit seinem Großvater keinen “Sex”. Wir dürfen die sorgfältige und erfolgreiche Arbeit von Gail Carriger wertschätzen und als Chance begreifen, bestehende Perspektiven zu erweitern. Zumindest in diesem Druko ist Ihnen das leider nicht gelungen.
Ich freue mich sehr über diesen Beitrag, auch da ich den Band von Gail Carriger zufällig gelesen habe und ebenfalls sehr spannend fand in Bezug auf gesellschaftliche Narrative. Darauf gebracht hat mich der Podcast „Sexy und bodenständig“ von Till Raether und Alena Schröder, die Folge zu Gail Carrigers Heldinnenreise (und auch den Podcast an sich) kann ich sehr empfehlen:
Vielen lieben Dank für die Ermutigung und den starken Hinweis, @Elena Luz!
Ich habe die vorgeschlagene Podcast-Folge gleich gehört und bin sehr angetan – wenn ich mir auch einen etwas höheren Redeanteil von Alena Schröder dazu gewünscht hätte. Paradoxerweise verstehe ich als Mann aber auch den Enthusiasmus von Till Raether dazu – sich als Mann ernsthaft mit der Heldinnenreise nach Gail Carriger zu befassen fühlt sich befreiend an, wie das Ablegen einer lange schon drückenden Rüstung. Die Euphorie verstehe ich also. 🙂
Für meine Mutter gehörte “Der kleine Lord” jedes Jahr zum Weihnachtsfest dazu. Andere lieben jedes Jahr “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel”.
Erinnerungen an die Weihnachtsvierteiler im ZDF werden wach. ,”Der Seewolf” (1971), “Michael Strogoff” (1975) ua. Das waren dann wohl Heldenreisen. Ich habe sie gerne gesehen.
Außerdem bleibt mir die Verfilmung der Operette “Schwarzwaldmädel” (1973) mit Janet Perry und Wolfgang Windgassen in Erinnerung.
Heutzutage bleibt der Fernseher an Weihnachten meist aus, und ins Kino gehe ich schon lange nicht mehr.
Ich finde es großartig, dass Sie für die Weihnachtsfilme eine Lanze brechen. In diesem Jahr besteht Bedarf an etwas Ablenkung – wenigstens für kurze Zeit.
Zum Thema Ägypten fiel mir noch Hatschepsut ein, die sich mit dem männlichen Attribut des Bartes darstellen ließ. Eigentlich auch eine Heldinnenreise.
Darstellungen von Nofretete zeigen sie auf Augenhöhe mit ihrem Mann Echnaton.
Dokus an Weihnachten habe ich auch immer wieder gerne gesehen.
Wie schön, jetzt Weihnachtsfilme gucken zu können und dafür auch einen intellektuellen Unterbau zu haben.
Die Gegenüberstellung von Weihnachtsfilmen mit Horrorfilmen ist interessant, weil beide Gattungen in der Weihnachtszeit (oder Rauhnächten) gerne gesehen werden.
Ich denke, dass bei beiden die Kooperation das verbindende Element ist. Und ich denke auch, dass Horrorgeschichten (sowie Märchen auch) einen positiven Gegenpart zum Heldenmythos liefern können.
Was Weihnachtsfilme, Märchen und Horror verbindet ist die räumliche Achse: In Heldengeschichten wird meistens ins Außen exploriert und erobert, in den o.g. kooperativen Gattungen bleibt die Story meistens an einem Ort. Weihnachtshaus, Rapunzelturm und Geisterhaus sind Orte, denen die Protagonistinnen “ausgeliefert” sind. Sie müssen sich mit “dem anderen” arrangieren, und kooperieren. (Dümmste Idee in Horrorgeschichten: “Wir müssen uns aufteilen”)
Unser aller Heim (der brennende Planet Erde) – ist unser Horrorhaus,- hat aber auch das Potential, zum Handlungsort von z.B. Dickens Weihnachtsgeschichte zu werden.
Für mich war folgender Vortrag (siehe Link) zu Buddhistischer Mythologie sehr erhellend, wo es genau um den Kontrast zwischen “männlicher” Eroberung in Heldengeschichten, versus “weiblicher” Kooperation in Märchen und Horrorgeschichten geht
Danke, @Hauke – der Link zum buddhistischen Mythologie-Vortrag würde mich interessieren!
Ich erlebe Horrorfilme als konfrontatives Genre, in denen das Böse ja nicht eingemeindet, sondern tötet und getötet wird. Die Kooperation der Verfolgten wird erzwungen und scheitert oft. Meist siegt ein Held, seltener eine Heldin, die gezeichnet bleiben.
Ihre Unterscheidung von nach außen gerichteter Heldenreise, nach innen sich wendender Heldinnenreise und dem brennenden Planeten erinnerte mich verblüffend an die Oikos-Diskussion mit Prof. Inan Ince (BWL):
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/blume-ince-28-feministische-oekonomik-und-familienwerte/
Auch hier haben wir ja das faszinierende Phänomen, dass aus dem familienbezogenen Oikos = Haushalt die außerhäusige Ökonomie, aber auch die Ökumene und Ökologie wurde. Schon ein Blick in das biblische „Lob der Haus(!)frau“ zeigt, wie kulturell variabel die Thematik ist.
Ja interessant, stimmt, Oikos passt gut.
Zu Horrorgeschichten: Das ist aus meiner Sicht die große Tragik der meisten (mir fällt keine Ausnahme ein) Stephen King Verfilmungen, dass Hollywood Kings tiefen Humanismus nicht rüberbringt. Das Buch ES zb ist eine Geschichte von heimgesuchten Kindern, die sich in sehr tiefer Freundschaft solidarisieren um dadurch etwas Böses zu transzendieren. Vor allem die Neuverfilmung setzt das überhaupt nicht um.
Ja, die Kooperation im Horror ist oft aus der Not heraus und es bleibt oft eine Verletzung zurück. Aber guter Horror (wie King) liefert oft Antworten auf die Frage „Du bist in diese Welt voller Leid ausgesetzt, was kannst Du tun?“ Daher vermutlich auch die Assoziation mit dem Buddha-Dharma.
Ich hatte versucht, den Link einzubauen, hat das nicht geklappt? Ich Versuchs nochmal, wenn nichts zu sehen, Versuch ich’s über Mastodon
Ja, @Hauke – ich hatte hier sehr bewusst Weihnachts- und HorrorFILME kontrastiert, da Bücher seit der Romantik und Gothic sehr viel komplexer geworden sind und Sub-Genres ausgebildet haben. Auch das ES-Buch habe ich als Jugendlicher verschlungen; es war sehr viel komplexer als die spätere Verfilmung!
Ein aktuelles Beispiel ist ja auch der deutsche Theologe und NS-Widerständler Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945), dessen Heldinnenreise gerade von US-Rechtsdualisten zu einer Heldenreise umgedeutet wird – auf dem Filmplakat sogar mit Pistole! Hier der Protest der Familie gegen diesen Missbrauch:
https://www.dietrich-bonhoeffer.net/forschung-aktuell/forschung-einzelmeldung/stellungnahmen-zur-politischen-vereinnahmung-dietrich-bonhoeffers/
Danke für den Dialog und beste Grüße 🖖
Nur weil “Das letze Einhorn” sich zu einer Weihnachtstradition im Fernsehen entwickelt hat ist er in meinen AUgen nicht so wirklich der klassische Weihnachtsfilm.
Und so ganz Heldinnenreise, wenn man es geschlechtsbezogen auffasst ist er auch nicht: Sowohl Sie ( Ich finde “Das” Einhorn an der Stelle gerade irgendwie inpassend ^^) als auch Schmendrick lernen viel über sich selbst und wachsen dabei. Und auch Molly Grue und Lir ^^
Mir fällt leider kein passendes Wort ein, das die verknüpften Geschlechterstereotypen umgeht. Wenn ich das gender´ wird es irgendwie auch nicht besser ^^ UndTransformationsreise ist irgendwie sperrig …
@Uli Schoppe
Tatsächlich habe ich zum Einhornmythos und Einhornglauben gearbeitet und publiziert, kostenfrei zu lesen oder auch zu hören etwa hier:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/lesung-sammelband-artikels-einhoernerglauben-ein/
„Das letzte Einhorn“ 🦄 ist direkt aus der christlichen Symbolik abgeleitete, säkulare Fantasy. Passt also geradezu perfekt zu Weihnachten.
Mit Bezug auf die Unterscheidung von Heldinnen- und Heldenreisen tendiere ich dazu, je von konfrontativen oder kooperativen Wertereisen zu sprechen. Denn jede heldische Geschichte impliziert ja nicht nur, „wie“ Heldentum auszusehen habe, sondern auch wofür (Geld, Liebe, Macht, Gott usw.). Dieser Aspekt bliebe m.E. bei Transformationsreise noch ausgespart. Selbst wenn der Weg das Ziel sein soll, so kann doch nicht bestritten werden, dass offenkundig jeder sinnhafte Weg ein Ziel braucht.
Ich würde mich da um die Wurzeln gar nicht streiten wollen. So als Symbol der Reinheit, später (ich würde sagen eher so im Mittelalter, das ist aber nur eine Einschätzung (“Meinung” 🙂 ) hat sich die Symbolik noch erweitert um sowas wie Edelmut und Güte. Da ich nicht in einer säkularen Blase lebe habe ich mal kurz und unaufdringlich nachgeforscht: Zumindest in meinem Umfeld ist das eher unbekannt bzw. wie bei mir nicht bewußt. Mir war aber wie ich zu meiner Schande gestehen muss noch nicht mal klar, das die Grundlage zum Film aus meinem Geburtsjahr stammt ^^ Da reiht sich die Geschichte schön in einen im Vergleich zu Heute schon ganz anderen Bezugsrahmen ein was die bei den Menschen direkt präsenten Symboliken angeht.
Ich würde Dir ganz unabhängig von meiner religiösen Einstellung also ganz klar zustimmen, dass die Geschichte und der Film in dem Sinne passt, hatte aber ganz andere Weihnachtsfilme im Kopf. Ich denke Du kannst Dir denken was für welche. Das letze Einhorn ausgerechnet im Zusammenhang mit sowas zu setzen hat selbst für jemanden mit meiner religiösen Einstellung etwas von Sünde 😎
Finde ich auch viel treffender. Schliesslich hat der Film Heldinnen und Helden 🙂
Auch eine Transformationsreise hat aber einen Zielpunkt. Der ist nur nicht so ganz im Vorhinein zu erfassen. Wobei mir persönlich die Transformationsreise heutzutage zu sehr mit blahblah angereichert ist. Und auch noch als Therapieangebot vorhanden ^^ 🙂
Das wäre aber an der Stelle jetzt sinnloses Insistieren auf meinem Standpunkt wenn ich das irgendwie anders gesehen haben wollte. Wir sind uns ja einig was die grundsätzlichen Bedeutungen angeht, da mag ich das nicht auswalzen. Das sind unnötige sophistische Spielchen…
Eine nette und interessante Notiz zur Wahrnehmung von Schauspielerinnen in Weihnachtsfilmen fand sich in der heutigen Stuttgarter Zeitung, S. 8 unter “Aus aller Welt / Leute”:
Auch wenn sie nur eine kleine Rolle in dem britischen Weihnachtsklassiker hatte, wird Heike Makatsch (53) laut eigenen Worten zunehmend auf “Tatsächlich… Liebe” angesprochen. “Lustigerweise werde ich immer mehr darauf angesprochen, je länger es zurückliegt”, sagt die Schauspielerin in der neuen “Vogue”.”
“Love Actually” – “Tatsächlich… Liebe” von Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis kam vor 21 Jahren – im Jahr 2003 – in die Kinos. Laut Wikipedia von heute wird die deutschsprachige Wikipedia-Seite zum Film derzeit pro Tag 602 mal aufgerufen.
Freue mich sehr, dass auch Silke Jäger von Riffreporter auf web.de das Modell der Heldinnenreise nach Gail Carriger im Kontext der Klimakrise aufgegriffen hat. Sehr empfehlenswerte Lektüre am Übergang vom individualistischen Konstruktivismus zur gemeinschaftlichen Performativität!
“Die Heldinnen-Reise setzt auf Gemeinschaften
Dabei könnten uns Geschichten helfen, die einer anderen Erzählstruktur folgen. Eine Erzählweise, die Erfolg, Stärke, Gewinnen und Verlieren anders versteht. Eine, die nicht den Einzelkämpfer in den Mittelpunkt stellt, sondern die Kraft der Gemeinschaft betont. Eine, die den Wert von Zusammenarbeit, Zusammenhalt und sozialen Beziehungen hervorhebt und das Weitergeben von wichtigen Werten an zukünftige Generationen.
Genau das ist das Prinzip der Heldinnenreise – einer Erzählstruktur, die ebenfalls eine lange Tradition hat und zurückreicht bis zu Legenden in der Antike. Die Archäologin und Bestseller-Autorin Gail Carriger erklärt die Struktur und ihre Tradition in ihrem Buch “The Heroine’s Journey”. Geschichten dieser Art kennen Sie vermutlich alle. Die Erzählstruktur ist zum Beispiel im erfolgreichen Fantasy-Epos “Der Herr der Ringe” enthalten.”
https://web.de/magazine/wissen/klima/held-klimakollaps-rettet-40356766
Ob ich mich über einen kleinen Shoutout / Ausruf gefreut hätte? Ich sag mal so: Klar, aber Hauptsache ist doch, die besseren Inhalte verbreiten sich! 🙂