Pforzheimer Friedenspreis 2025: Laudatio für Düzen Tekkal

Während eines arbeitsreichen und aufregenden Tages in Pforzheim gelang ein sogenannter kleiner Schnappschuss, den ich gerne mit Ihnen teilen möchte.

Sie sehen hier, von rechts nach links, die Muslimin Gökcen Tamer-Uzun, die Ezidin Düzen Tekkal, die Jüdin Susanne Jakubowski und einen christlichen Blogger, gemeinsam zu Gast in der jüdischen Gemeinde der Stadt. Wir alle sind Deutsche, wir alle stehen für Demokratie und Dialog ein, wir alle geben die Hoffnung nicht auf.

Eine muslimisch-ezidisch-jüdisch-christliche Freundesgruppe zu Pforzheim

Ein kurzer, kleiner Moment der interreligiösen Gemeinsamkeit in Pforzheim. Foto: Michael Blume

Am Abend dann sprach ich die Laudatio für Düzen als duale Rede: Ich hatte also ein ausführliches Redeskript geschrieben, sprach dann aber doch frei.

Dr. Michael Blume bei der Laudatio für Düzen Tekkal am 20.02.2025 in Pforzheim

Hier finden Sie den Livestream der Veranstaltung, der vor allem von vielen Schülerinnen und Schülern gewünscht worden war. Denn Düzen hat eine große Anhängerschaft insbesondere unter jungen Menschen, die eine zugleich deutsche und interreligiöse, inter-ethnische Identität aufbauen. Auch die Musik des Abends lohnt sich!

Für die vielen freundlichen Reaktionen auf die Laudatio danke ich und stelle hier auch wieder den Redetext als pdf und Blogtext zur Verfügung:

Liebe Düzen,

lieber Herr Baral,

ich grüße unsere gewählten Abgeordneten des Bundestages,

Katja Mast,

Gunther Krichbaum,

Rainer Semet,

und des Landtages von Baden-Württemberg,

Stephanie Seemann,

Prof. Dr. Erik Schweickert,

Marianne Engesser (MdL a.D.),

Herrn Bürgermeister Tobias Volle,

die Mitglieder Jury des Friedenspreises,

für die Kirchen Christiane Quincke,

für die jüdischen Gemeinden Rami Suliman,

für die Ezidinnen und Eziden Ahmet Kurt,

für die Musliminnen und Muslime Gökcen Tamer-Uzun, 

liebe Freundinnen und Freunde,

es ist mir eine große Ehre und Freude Dir, liebe Düzen, heute zu Deiner Auszeichnung gratulieren und sogar laudieren zu dürfen!

Denn als wir uns kennenlernten und Freunde wurden, hatte ich zwar bereits ein positives Verständnis von deutschen Ezidinnen und Eziden. Aber ich war, ehrlich gesagt, sehr zurückhaltend gegenüber Journalistinnen und Journalisten.

Heute kann ich aus ganzen Herzen sagen, was ich in Kurzform so fassen möchte:

“Mit der deutschen Journalistin und Demokratin Düzen Tekkal wird heute eine starke Stimme für Menschenrechte und gegen die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten ausgezeichnet. Als Journalistin hat sie im Irak neue Standards für Medienethik gesetzt. Mit ihrer Organisation Hawar.help, dem “German Dream”, den sie ins Leben gerufen hat und ihren Dokumentarfilmen über den Völkermord an ihrem Volk, den Eziden, zeigt sie uns seit vielen Jahren, wie man mit klaren Worten und Herzensbildung gegen Leid und Unterdrückung angehen kann.”

Liebe Düzen, ich habe Dich und Deine Familie in einer Zeit kennen und bewundern gelernt, als mein Glauben an den westlichen Journalismus in eine tiefe Krise gestürzt war. Der sogenannte „Islamische Staat“ / Daesh hatte ab 2014 das Gleiche gemacht, was auch die Hamas und rechtsdualistische Terroristen seit Jahren mit uns allen machen: Sie fluteten das Netz mit brutalen Aufnahmen ihrer Verbrechen und erzeugten damit Schocks, Traumatisierungen und Polarisierungen. Wir nennen das heute “Aufmerksamkeitsfalle”, mit denen Terroristen und Populisten vor allem über antisoziale Medien das demokratische Miteinander zerstörten.

Und schon damals erzeugten sie damit eine unglaubliche Präsenz auch auf unseren Schulhöfen und gewannen Anhänger und auch Anhängerinnen auch aus Baden-Württemberg. Und viele, viel zu viele Journalistinnen und Journalisten spielten dieses Spiel ungewollt oder auch gewollt mit.

Da unser Landes-Sonderkontingent für 1.100 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus Kurdistan-Irak unter Geheimhaltung startete, hatten wir kein sogenanntes „Public Relations-Konzept“, sondern mieden den Kontakt zu Medien und arbeiteten einfach für die Menschen, denen wir helfen sollten und helfen wollten. Es machte Prof. Jan-Ilhan Kizilhan als Traumapsychologen, das ganze Team und auch mich eher fassungslos, dass uns Frauen und auch Jugendliche immer wieder von Journalisten berichteten, die nur die sogenannten „Sex Stories“ haben wollten, um dann weiter zu ziehen, ohne den Betroffenen zu helfen.

In dieser Situation versuchten viele Medienschaffende mit uns in Kontakt zu treten und wir wimmelten die Anfragen wo immer möglich ab.

Doch dann war da plötzlich die Rede von deutschen Journalistinnen, die anders waren, für die sich auch von Gewalt Betroffene bei uns einsetzten. Düzen Tekkal und ihre Schwestern, so hieß es, seien selbst Ezidinnen – deutsche Ezidinnen -, die anders berichten würden. Sie würden die Würde der Betroffenen hoch achten, auf manche Ausstrahlung auch einfach verzichten und vor allem versuchen, wo immer möglich auch zu helfen.

Und schon eine kurze Recherche zeigte, dass Düzen Tekkal als Journalistin tatsächlich Risiken eingegangen war, um wirklich etwas zu verändern. Ja, sie hatte über Rassismus und Sexismus berichtet und sich nicht damit abgefunden, dass Femizide unter Deutschen als „Familientragödie“ verniedlicht, jene unter Zugewanderten aber als „Ehrenmorde“ skandalisiert wurden. Düzen Tekkal hatte in ihrer Arbeit mutig sowohl die Mehrheitsgesellschaft gefordert, aber auch etwa die Gewalt in ezidischen Familien thematisiert. An einem Teamabend diskutierten wir, ob wir Eure Kontakt-Anfrage annehmen sollten. Und weil Du schon bisher mutig und „anders“ gearbeitet hattest, liebe Düzen, wurde das Team Tekkal die erste Gruppe von Medienschaffenden, denen wir uns öffneten.

Und Du hast, Ihr habt unser Vertrauen nicht enttäuscht. In gewissem Sinne habt Ihr es sogar erst aufgebaut.

Liebe Düzen, Du hast oft von der Dankbarkeit erzählt, die Deine Eltern Dir und Deinen Geschwistern für das Leben und die Freiheit in Deutschland vermittelt haben. Wie Deine Mutter Euch antrieb, die Bildung anzustreben, die Generationen von Frauen nicht anstreben durften. Wie Dich Dein Vater an der Hand an den Landtag in Hannover führte und Dir dort erklärte, wie wichtig es sei, keine Wahl zu verpassen. So hast Du nach meiner Beobachtung nicht nur eine starke, formale Bildung erhalten, sondern auch eine Herzensbildung: Was es bedeutet, keine Angst mehr zu haben, ezidisch zu sein. Was es bedeutet, auch als Frau die Stimme erheben zu dürfen. Was es bedeutet, den eigenen Lebensweg und die eigene Regierung wählen zu dürfen. Welche Chance, aber auch Verantwortung es bedeutet, frei aufzeichnen, fragen und berichten zu dürfen.

Wenn Du für den „German Dream“ wirbst, liebe Düzen, dann ist das kein fancy Slogan einer Werbeagentur. Es ist eine Lebenseinstellung.

Diese Herzensbildung habe ich bei Dir und Deinen Schwestern erleben dürfen. Dass ich dann eine Anfrage annahm, ab 2017 an einer Hochschule Berufs- und Medienethik zu lehren, hatte auch damit zu tun, dass ich sie bei Dir und Deinem Team erleben durfte. Auch hier und heute möchte ich allen von uns sagen, die wir ja gerne über „die Medien“ oder „die Politik“ schimpfen: Es gibt in jedem Beruf die Chance, es besser oder schlechter zu machen. Und wir zeichnen heute eine Frau aus, die sich jeden Tag bemüht, es immer noch besser zu machen! In der Debatte darüber, wie sich Journalistinnen und Journalisten zu verhalten haben, ist Düzen Tekkal eine Stimme, die zu hören ist!

Selbstverständlich wusstest Du, welche Sensationen und Bilder die Menschen in Deutschland sehen wollten. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass Du darüber vergessen hast, die Frauen als Menschen zu sehen. Du hast sie nicht zu Objekten gemacht, sondern ihre Stimmen verstärkt. Nadia Murad hat diesen kleinen, aber riesigen Unterschied einmal in den Satz gefasst: „I am not a victim, I am a survivor. – Ich bin kein Opfer, ich bin eine Überlebende.“ Düzen Tekkal hat Überlebende interviewt.

Und Deine medienethische Rücksicht galt sowohl den von Terror und Trauma Betroffenen wie auch uns als Baden-Württemberg-Team.

Nach der gängigen Medienlogik hätte es für die Fernsehsender deutsche Helden gebraucht, um Berichte spannend zu machen. Aber wir waren direkt an der Front und jeder entsprechende Bericht hätte unser Team und auch unsere Familien in Gefahr gebracht. Wir wollten einfach nicht mit Namen und Gesichtern ins Fernsehen.

Und, ja, es ist auch eine kulturelle Sache: Wir in Baden-Württemberg reden eigentlich erst dann gerne über eine Arbeit, wenn sie abgeschlossen ist. Mir ist klar, dass das heute seltsam klingt, aber kaum jemand hier will mit einem Werk angeben, das noch nicht fertig ist. Die Goldschmiede von Pforzheim und die Autobauer von Stuttgart zeigen ihre Werke erst, wenn sie glänzen oder fahren. Das „Pitchen“ vor einer Jury gehört nicht zu unseren Stärken. Wenn jemand zu oft in Talk-Shows erscheint, dann fragen wir uns, ob der nix zu schaffen hat.

Du, liebe Düzen, gabst uns Dein Wort, nichts über uns zu senden und uns auch in keine Talk-Show zu zerren, bevor nicht alle von uns aus der Gefahrenzone waren. Und Du hast dieses Wort gehalten. Ich danke Dir, liebe Düzen, also für Dein Medienethos im Namen der Aufgenommenen und auch der Teammitglieder des Sonderkontingentes von Baden-Württemberg. Du bekommst diesen Friedenspreis auch, weil Dein Wort galt und gilt.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Pforzheimer Jury, sicher sind Sie schon an dieser Stelle zu Recht davon überzeugt, die richtige Preisträgerin ausgewählt zu haben. Aber weil wir hier unter Freunden sind, möchte ich Ihnen von zwei Dialogen erzählen, über die ich mehrfach mit Düzen, aber noch nie in der Öffentlichkeit gesprochen habe. Die eine ist schmerzhaft, die andere ist Schmerz-lösend. Und beide unterstreichen, warum Düzen Tekkal diesen Friedenspreis bekommen muss.

Zu den schmerzhaftesten Erfahrungen im Irak gehörte eine Besprechung mit UN-Organisationen, in denen uns Baden-Württembergern vorgehalten wurde: „You take away our cases! – Ihr nehmt uns die Fälle weg.“ Denn für manche Leute waren die verfolgten Eziden und vor allem die Ezidinnen eben auch ein Geschäfts- und Spendenmodell.
Bis heute sitzen Abertausende auch deswegen in Flüchtlingscamps fest, weil sich damit gutes Geld verdienen lässt – ohne dass sich die Situation der Betroffenen wirklich bessert.

Das ist ein Grund, warum wir die Arbeit etwa von der IOM und von „Helfen bringt Freude“ der Schwäbischen Zeitung und von Hawar.help so unterstützt haben. Wir brauchten Mitwirkende, die wirklich halfen – und die nicht davon lebten, die Menschen im Elend zu belassen.

Und als ich mich eines Abends über diese schmerzhafte Erkenntnis mit Düzen Tekkal unterhielt, hatte sie schon eine Idee, wie dieser Widerspruch aufzulösen wäre. Und so kam es zu Hawar.help, die als Hilfsorganisation eben nicht bestehende Verhältnisse zementieren, sondern verändern will. Und deswegen auf die Frauen setzt. Bis heute bin ich Dir, liebe Düzen, für dieses Gespräch und vor allem für Dein Engagement dankbar. Für Dich und Euch waren die Betroffenen eben keine „Cases“, sondern Menschen, deren Leben sich verbessern sollte.

Wir leben in einer Zeit, in der vertriebene Menschen für mediale und politische Profite missbraucht werden. Lassen Sie uns daher genau darauf achten, welche Organisationen die Stimmen der Betroffenen zu Wort kommen lassen und welche sie nur zu stummen Objekten machen. Düzen Tekkal hat viel dafür geleistet, dass auch Aufgenommene des Sonderkontingentes für sich selbst sprechen konnten!

Hinzu kommt, dass ich Deine politikwissenschaftlichen Analysen des Extremismus wesentlich teile. Immer wieder wird ja versucht, die Bedrohungen durch rechtsextreme und islamistische Gewalttäter gegeneinander auszuspielen. Du aber hast darauf zu Recht mit dem Sprachbild der „bösen Zwillinge“ geantwortet – beide Gruppen profitieren von der Gewalt der anderen.

Und beide bekämpfen unsere gemeinsamen, demokratischen Werte: Gleichberechtigung, Bildung, Integration, Zusammenleben in Vielfalt.

Die gleiche klare und nach meiner Auffassung richtige Haltung hast Du, liebe Düzen, auch im Angesicht des Hamas-Terrormassakers am 7. Oktober 2023 gezeigt: Während sich auch Philosophie-Professorinnen dazu herabließen, von der Hamas als vermeintlichen „Widerstandskämpfern“ zu schwurbeln, hast Du sehr klar und deutlich auf allen Kanälen gesagt:

Es gibt keine, absolut gar keine Rechtfertigung für sexualisierte Gewalt.

Du hast erkannt und benannt: Wer irgendwelche Gründe dafür findet, dass Frauen vergewaltigt werden dürfen, hat den Boden der Menschenwürde weit hinter sich gelassen.

Dieser unbedingte Schutz gilt für Israelis und Jüdinnen, für Irakerinnen und Ezidinnen, für Musliminnen, Christinnen, Hindus, Anders- und Nichtreligiöse, er gilt ohne Wenn und Aber für jeden einzelnen Menschen.

Ich betone das am heutigen Tag, an dem die Terrororganisation Hamas mit einer zynischen Inszenierung die Leichen einer Mutter und ihrer Söhne freigab.

Und ich darf Ihnen versichern, dass auch die Wut unter Musliminnen und Muslimen gegen diese Gruppe steigt, die Schande und Leid verursacht und auch den Menschen in Gaza nur Zerstörung, Tod und Verzweiflung brachte.

Lassen Sie mich das daher gemeinsam mit Düzen Tekkal, mit muslimischen, christlichen, jüdischen, ezidischen, anders- und nichtreligiösen Stimmen gemeinsam sagen: Wer Frauen und Minderjährige als Objekte, als Beute missbraucht, ist niemals ein Widerstands- oder gar Freiheitskämpfer und spricht auch für keine Religion, sondern ist schlichtweg ein Verbrecher und Widerling. Und wie tief sind die sogenannten „sozialen Medien“ und Radikale darin eigentlich gesunken, dass es heute wieder den Mut einer Düzen Tekkal braucht, diese Selbstverständlichkeit auszusprechen?

Und damit möchte ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend auch einige persönliche Worte als Mann sagen. Denn wir diskutieren ja gerade auch in diesen Tagen wieder sehr viel darüber, ob nun arabische, afghanische, deutsche oder russische Verbrecher die größte Bedrohung für unser Zusammenleben darstellen.

Und dabei ignorieren, ja verdrängen wir den Elefanten im Raum.

Die Gewalt- und Sexualstraftäter unserer Zeit haben verschiedene ethnische, religiöse, kulturelle Hintergründe. Aber es sind fast immer Männer.

Die alten Griechen sprachen vom Thymos, dem ständigen Streben nicht nur, aber besonders von Männern nach Status und Ruhm. Dieser ringe ständig mit dem Logos, der Vernunft.

Ich denke, das ist auch der Grund, warum schwache Männer immer und immer wieder ein Problem miteinander und mit starken Frauen haben. Ich bin mir sehr sicher: Ein Hauptgrund dafür, dass sich Angela Merkel und Düzen Tekkal so gut vertragen, ist diese gemeinsame Erfahrung.

Denn ich beobachtete damals im Irak und auch heute in Deutschland: Thymotische Männer sind derzeit das Problem. Zu viele von uns lassen sich immer noch von klein auf darauf trimmen, unseren Status auf Kosten anderer zu verbessern – und nicht wenige von uns kippen dann um in feindseligen Dualismus und in Verschwörungsmythen.

Viele von uns bemerken und schauen sehr genau, wer für was gerühmt und berühmt wird – und zwar auch von Frauen. Als Donald Trump das erste Mal gegen Hillary Clinton gewählt wurde, konnten wir noch ein Versehen annehmen.

Doch seine Wiederwahl gegen Kamala Harris stellt uns alle vor die vom Politikwissenschaftler Francis Fukuyama aufgeworfene Frage, ob Demokratien auch am eigenen Thymos scheitern können. Ich meine, das ist der Fall. Und gemeinsam mit Düzen Tekkal und Hawar.help möchte ich die These vertreten, dass sich keine Gesellschaft gut entwickeln kann, die Frauen unterdrückt und verdrängt.

Entweder, wir sind gleichberechtigt, oder wir sind es nicht. Entweder wir haben als Frauen, Männer und Diverse die volle Menschenwürde, oder wir haben sie nicht. Erlauben Sie mir die klare Ansage als Mann: Wer nicht auch für Frauenrechte einsteht, steht nicht wirklich für Menschenrechte ein!

Mehr noch: Schon nach dem Schulmassaker von Winnenden und Wendlingen 2009 hatte ich von einem Journalisten den heftigen Satz zu hören bekommen: „Blut und Tote steigern die Quote.“ Und es ist ja so wahnsinnig leicht, sich dabei über „die Medien“ aufzuregen. Aber die Quote – das sind wir.

Wir entscheiden doch mehr denn je, welchen Medien, Bildern, Videos, Schlag-Zeilen und Thesen wir unsere Aufmerksamkeit schenken.

Und was wir zu Selbsttötungen doch längst wissen und beachten, scheint uns bei sogenannten Amokläufen, Terrorismus, Antisemitismus immer noch egal zu sein: Wir machen Taten und Täter berühmt, obwohl wir wissen, dass wir damit nicht nur, aber überwiegend männliche Nachahmer anlocken.

Dann reden wir mal über sogenannte „Killerspiele“, mal über rechtsextreme Terror-Manifeste und dann wieder über den Islam. Aber über die Wurzeln der Gewalt, über die gegenseitige Verstärkung von Thymos und medialer Radikalisierung, darüber reden wir noch immer kaum. Und darüber sollten wir sprechen, gerade auch am guten Beispiel von Düzen Tekkal!

Lassen Sie uns Betroffenen von Gewalt, Kämpferinnen und Kämpfern gegen Radikalisierung, Verschwörungs-glauben, gegen Gewalt und Femizide berühmt machen – und nicht jene, die sogar darauf wetten, mit Verbrechen nach einer Abschiebung in bestimmten Gruppen und Ländern noch als Helden anzukommen!

Liebe Düzen, Du siehst – Pforzheim ist eine Stadt, in der miteinander gesprochen wird. Deine Auszeichnung erfolgte durch christliche und jüdische, ezidische und nichtreligiöse Stimmen; übrigens auch von dialogischen Männern, die es besser machen wollen. Wir diskutieren hier die Vielfalt, weil wir begreifen, dass sie unsere Zukunft ist.

Hier fand 2022 auch auf Betreiben von Rami Suliman die erste gemeinsame Chanukka- und Adventsfeier statt, in der jüdische und christliche Geistliche die Lichter ihres Glaubens entzündeten. Muslimische – sunnitische, alevitische – Gäste waren willkommen und segnend dabei. Und als ezidische Anwesende spontan darum baten, ob auch sie eine Kerze entzünden dürften, da stimmten alle sofort zu. Wir feierten, lachten und weinten gemeinsam. Weil Mitgefühl uns menschlich macht. Weil Pforzheim nur als Stadt der Vielfalt eine gute Zukunft hat!

Wir hier in Baden-Württemberg wissen und ahnen, dass die Welt auf dunkle Zeiten zugeht. Aber wir gehen wählen, wir wählen demokratisch und wir zünden Lichter an.

Und wir erkennen Menschen den Pforzheimer Friedenspreis zu, die uns Mut machen und Hoffnung geben. Deswegen bist Du, liebe Düzen, unsere Pforzheimer Friedenspreis-Trägerin 2025.

Wir sind viele, wir sind bunt und wir sind Dir dankbar. Wir alle hier wünschen Dir von Herzen Gutes. Und einige von uns, aus ganz verschiedenen Religionen, wünschen Dir auch aus ganzem Herzen Segen.

Vielen Dank für Deine, für Ihre Aufmerksamkeit.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

36 Kommentare

    • Danke, @mentalsports. Nur weiß ich nicht genau, was Sie meinen. Ich bekam keinen Preis, sondern habe einer starken und engagierten Frau laudiert.

      War das schon mehr, als Sie ertragen konnten? Und wenn ja: Bestätigt das dann nicht Thesen der Rede? 🤔🤷‍♂️🤗

  1. ps: stets der Ihre, auch beim Krötenschlucken, wenngleich nicht gemeinsam.
    Greetings from another pit: kets keep friendly in difference.
    warmest whishes

  2. is doch alles paletti: Quatschereien mit noch mehr Quatscherein begegnen zu wollen.
    ich hab da null prob mit.

  3. Vielen Dank für die Zurverfügungstellung der Rede (insbesondere als von mir geschätztes Transkript)! Gerade in der gegenwärtigen Zeit (ich befürchte leider Schlimmstes für den kommenden Sonntag und die daran anschließenden Jahre) ist es wohltuend zu sehen wie Menschen “aus verschiedenen Lagern” doch gemeinsam und effektiv Gutes schaffen können. Und danke auch für die mir bis dato unbekannt gewesen seiende Begrifflichkeit “Thymos” und deren Bedeutung (inklusive des provozierten Beispiels mittels des ersten Kommentars zu diesem Blogbeitrag). Gratulation für den Friedenspreis an Düzen Tekkal und Dank ans sie und auch alle anderen Beteiligten, für die Bemühungen, die Welt ein wenig sicherer zu machen!

    • Vielen herzlichen Dank, @Solomon 🙏

      Ja, mir macht der Blog-Dialog derzeit auch sehr viel Freude. Klar wird es immer Menschen mit feindseligem Dualismus wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus u.a. geben. Aber das darf die Dialogischen doch nicht entmutigen – im Gegenteil! 🤗

      Auch auf Mastodon hatte ich heute sehr positive Erfahrungen und konnte @KarlE auf seine Nachfrage antworten:

      Vielen Dank für Ihr Interesse und die Nachfrage!


      Und Sie haben völlig Recht: Timokratie und Plutokratie sind Synonyme und bedeuten Herrschaft durch Geld, dazu als Wirtschaftsform Kapitalismus.


      Doch die digitale Aufmerksamkeitsökonomie setzt direkt beim Thymos – griech. Statuswillen, Empörung – an.

      Dieser ist Abertausende Generationen älter als die Geldwirtschaft. Deswegen sitzen heute nicht mehr Banker, sondern Medientypen vorne: Digitale #Thymokratie!

      https://sueden.social/@BlumeEvolution/114042823918564147

      Dieser Blog ist wie das ganze Fediversum ja freiwillig und wird schon deshalb immer auch destruktive Thymoten anziehen. Umso dankbarer bin ich für konstruktive Drukos und Rückmeldungen wie Ihre! Danke, sehr. 🙏🖖

  4. aber vlt muss man ja erst promoviert sein, um mit Leuten wie Ihnen erst in einen von Ihnen ernst genommenen Dialog treten zu können.
    Bestenfalls einsichtig in Ihre krude wirkenden Gesellschaftstheorien, die Sie für exemplarisch avanciert zu halten scheinen.

  5. Wo Feiglinge regieren, sind die Schwächeren der Todfeind.

    Wenn du Angst vorm Hund hast, zieh die Katze am Schwanz und nenn sie Löwe, bist Löwenbändiger. Scheiterst du am Berg, Zwerg, werd Riese, tritt Kiesel. Wenn Sie sich die „starken Männer“ des Populismus anschauen – es sind immer Schwächlinge, Feiglinge, die große Probleme leugnen, sich leichte Opfer suchen und zur Ursache aller Probleme stilisieren. Frauen, Minderheiten, Partnerländer, von denen keine Gefahr ausgeht, imaginäre Verschwörungen.

    Vice Vance Wince Whine Witchfinder General von der Stange reitet ins Dorf, spult die gleiche Leier ab wie seit Jahrtausenden, und sofort sammeln die Bauern Reisig für Scheiterhaufen. Meine Fresse. Wenn ich mir den Hexensabbat ansehe, den Sie mir präsentieren, dann sieht er für Trump wohl eher wie ein Flyer vom Pizzaservice aus. Für mich, wie ein zartes Pflänzchen in der Wüste. Man wird es gießen, hüten, pflegen, düngen müssen, bevor es von selbst die Kraft zum Leben hat, und ob es überhaupt eine Chance hat, weiß ich nicht.

    Tja, im Ozean treten Sie Wasser, bis Sie Land finden oder untergehen. Wie hoch Sie Ihre Chancen einschätzen, spielt keine Rolle. Sie können nur Zeit gewinnen oder das Spiel verlieren.

    Sie brauchen Masse. Struktur. Handlungsfähigkeit. Mehr davon. Ganz platt: Sie müssen fett genug sein, um nicht von anderen Fettwänsten erdrückt zu werden, und im Moment mampfen die, was das Zeug hält.

    Die Wahlbenachrichtigung, die ich mir griffbereit zurechtgelegt hatte, hat sich vor ein paar Tagen als Flyer von Uber Eats entpuppt. Wenn ich in der geistigen Verfassung wählen gehe, mache ich nicht nur ein Kreuz, ich schlage sie alle bei Tic Tac Toe. Tja, auch im Ozean kommen Sachen auf einen zu, mal ein Haifisch, ein Strohhalm, ein Schwimmflügelchen, ein totes Eichhörnchen, das einem Hoffnung gibt und raubt, denn es ist Land in der Nähe, doch man muss gegen den Strom schwimmen. Die Leute, die Sie mir hier vorstellen, wirken zumindest wie der sympathische Keim einer bunt zusammengewürfelten Piratenbande aus allen Herren Ländern. Kein Schiff in Sicht, nur etwas Treibgut, das Captain Dick und Moby Doof hinterlassen haben, aber solange ein Sarg schwimmt, ist es ein Rettungsboot.

    Und nach all den wirren nautischen Metaphern gebe ich von meiner geistigen Verfassung zurück ins Standardprogramm. Daumen hoch an jeden, der mehr macht, als bloß das Internet mit seinem Gesülze zu fluten. Schön, dass es euch gibt, denn sonst gäb’s ja nur so Typen wie mich, und dann wäre echt alle Hoffnung verloren.

  6. @Hauptartikel

    „Wir sind viele, wir sind bunt und wir sind Dir dankbar.“

    Wie menschlich will man sein, wieweit guckt man nur, wie es einem selber geht?

    Perplexity.ai sagte mir, dass im Jahr 2024 von ca. 300.000 Asylanträgen mit einer Schutzquote von 44 % entschieden wurden. Das waren Asylberechtigte nach Artikel 16a des Grundgesetzes, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention, Subsidiär Schutzberechtigte und Personen mit Abschiebeverbot.

    Immerhin, ich dachte, es wären weniger als diese 44%.

    • Doch, @mentalsports – ich denke, Sie könnten das und wollen das auch. Und der Thymos ist ja nicht unbesiegbar!

      Wenn Sie sich in echte Dialoge trauen, sind Sie hier jederzeit willkommen. ✅

  7. … so vlt könnte das Märchen von einer zivilisierten Population begonnen haben.
    Indes: was bleibt einer bis auf die Zähne bewaffneten Zivilisation mehr als sich mit ihren Waffen gegenseitig in Schach zu halten in ihrer Belassenheit?

  8. Eine mutige Frau. Ich habe den Eindruck, dass sie von dem, was sie macht, vollkommen überzeugt ist. Das drückt auch Ihre sehr persönliche Laudatio aus.

    Der Name ist mir zwar bekannt, allerdings wusste ich nichts über sie und musste Wikipedia zu Rate ziehen.

    Sie hat offenbar ein gutes Standing in der Union. Das war eine echte Überraschung für mich.

    Ich hoffe, sie kann ihre Arbeit noch lange fortsetzen. Stimmen wie die von Ihnen und Frau Tekkal sind wichtig.

  9. Herzlichen Glückwunsch an Düzen Tekkal, Danke für deine Rede und noch viel mehr für eure Aktion damals.

    Als ich den Teil mit “you’re taking away our cases” gelesen habe, ist mir wahrhaft schlecht geworden.

    Was für eine Schande, zu denken, dass immer noch Menschen in Flüchtlingslagern sitzen, vielleicht weil es ein Geschäft ist – und weil Europa keine legalen Fluchtrouten kennt.

    Da komme ich nicht umhin zu denken, warum es nach 75 Jahren immer noch palästinensische Flüchtlingslager gibt.

    Die Generationen, die dort geboren, aufgewachsen und gestorben sind, weil es bestimmten Kräften nützlicher ist, ihnen den Traum von der “verlorenen Heimat” vorzugaukeln.

    (Sorry, bisschen vom Thema abgekommen, aber das beschäftigt mich seit Jahrzehnten und ist gerade aktuell wie nie).

    PS: Ich poste das auch hier, weil ich nicht weiß, ob ich bei Mastodon noch stumm geschaltet bin.

    • Danke, @Mina, für Dein Interesse!

      Ja, da ist etwas dran: Auch internationale Organisationen können ein Eigenleben entwickeln, in dem es gar nicht mehr um die Lösung, sondern um die Verlängerung von Problemen geht. Keine Behörde und auch kein Unternehmen wird sich gerne selbst überflüssig machen.

      Und, nein, derzeit bist Du bei mir auf Mastodon nicht stummgeschaltet. Ich würde mich freuen, wenn das so bleiben kann.

  10. Mein Anliegen bezieht sich nicht auf diesen Bericht im besonderen, sondern allgemein auf viele ihrer Berichte (Blogs).
    Sie verwenden gerne und ständig, wieder und wieder, den altgriechischen Begriff des Thymos und der Thymokratie und noch viele weitere Fremdworte.

    Wenn sie auch Menschen “von der Straße” (mit Haupt-/Realschulabschluss, mit Gesellenbrief, angelernte Arbeitnehmerinnen, Meisterinnen, Handwerker u.v.a. Menschen) mit ihren Berichten/Ausführungen/Vorträgen etc. erreichen wollen, dann sollten sie auf Fremdworte ganz, oder so gut als möglich, verzichten und dafür klar verständliche deutsche Begriffe oder Umschreibungen gebrauchen, die dann auch jede r verstehen kann, egal ob im Zeitungsbericht, in den TV-Nachrichten oder in allen anderen Medien.
    Aus meiner Sicht (desjenigen von der Straße) erzeugen sie durch den Gebrauch von nicht in die Umgangssprache eingegangenen Fremdworten, eine gewisse Abgehobenheit, ja vielleicht sogar den Eindruck des arroganten und alles (besser) Wissenden, weil sehr gut gebildeten, Mitmenschen.
    Ich hoffe dass dies nicht ihr Bestreben ist, sondern, dass es ihr Anliegen ist, alle Menschen, egal welcher Hautfarbe, Bildung, Identität, zu erreichen.

    Mit freundlichen Grüßen

  11. @ Michael G

    Dieses ist ein Wissenschaftsblog. Ich habe die Erwartung, dass man sich Begriffe, Theorien und Methoden, wenn sie nicht gleich verständlich sind, erarbeitet. Selbstständiges arbeiten ist in der Wissenschaft die Norm.
    Dafür ist das Internet hervorragend.
    Es gibt andere Medien und Mittel Ihren Ansprüchen gerecht zu werden.
    Und: ich kann Ihr Bedürfnis nach deutschen Normierungen verstehen. Aber die Zeiten, in der deutsch Wissenschaftssprache war, ist vorbei.
    Einfache Sprache ist ein Entgegenkommen an der Verteilung des Intelligenzquotienten. Das findet aber da statt, deren Institutionen Sie ansprechen.
    Ohne das ex- und implizit abzuwerten!!!
    Es ist einfach so.

  12. Hallo allerseits,

    Wie ich bereits auf Mastodon gepostet habe, fand ich @Michaels Rede bei dieser Veranstaltung wieder einmal sehr bewegend und pointiert – insbesondere durch die persönliche Geschichte, die dich mit der Preisträgerin verbindet.

    Es lohnt sich aber auch, sich die anderen Reden im Video anzuschauen. Diese Veranstaltung ist sehr lehrreich und ermutigend, finde ich.

    Aus der Rede von Gerhard Baral (ab 27:20) habe ich etwas über Johannes Reuchlin gelernt, einen Pforzheimer, der sich im 16. Jahrhundert gegen die Konfiszierung jüdischer Bücher einsetzte und damit maßgeblich zum Erhalt der jüdischen Kultur und ihres Wissens beitrug.

    Auch die wunderbare Rede der Jugendvertreterin Paula Moj (ab 38:30) bringt treffend auf den Punkt, wie wichtig gute Vorbilder für junge Menschen sind. Das erscheint umso bedeutsamer in einer Zeit, in der ausgerechnet diejenigen, die ethisch und moralisch fragwürdig handeln, die größte Macht und Wirkung entfalten.

    Aus der Rede von Düzen Tekkal (ab 1:12:00), die großartig ist, habe ich mir folgender Sätze herausgeschrieben, die in Gold eingraviert werden sollten. Finde ich.

    „Wir haben Mehrfachidentitäten. Es gibt eine jesidische Identität, es gibt eine kurdische Identität, die ich habe. Es gibt auch eine Identität als Migrantin aus der Türkei, es gibt eine deutsche Seele in mir und eine europäische. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich für eine entscheiden muss, sondern ich habe das Gefühl, dass ich von diesen Mehrfachidentitäten getragen bin.“

    • Sehr gerne, lieber @Peter!

      Die Beiträge von Dir, @Marie H., @Tobias Jeckenburger, @Mussi, @Elisabeth K, @N. und vielen mehr halten diesen Blog dialogisch und lebendig! 🤗

      Und als mich gestern Abend die evangelische Kirchengemeinde in Aichtal um ein Spendenziel bat, konnte ich Hawar.help von Düzen Tekkal empfehlen. Es stimmt einfach nicht, dass wir die Welt nicht verbessern könnten. Niemand kann alles, aber alle können etwas tun! ✊

      Im neuesten Blogpost geht es um das Rätsel der griechischen Philosophie und römischen Staatslehre – das seine Antwort in den vollvokalisierten, jafetitischen Alphabeten findet:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/sind-die-usa-noch-eine-demokratie-und-warum-ist-das-ein-griechischer-begriff/

      Freue mich auf weitere Dialoge! 🤓📚💡

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