Nimmt die Gewalt weltweit ab? Gedanken zum 4. Jahrestag des Genozides an den Yeziden und zu Steven Pinker
BLOG: Natur des Glaubens
Am 3. August 2018 war ich mit einer Kollegin und mit Nadia Murad in Gießen, wo der Zentralrat der Eziden den 4. Jahrestag des IS-Genozids an der religiösen Minderheit beging. Bemerkenswerte Reden unter anderem des Zentralratsvorsitzenden Irfan Ortac und des Bundesministers für besondere Aufgaben und Chefs des Bundeskanzleramts, Helge Braun (CDU), erinnerten daran, dass der IS noch immer unterwegs ist, der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete sowie die Rückkehr von Flüchtlingen noch immer nur schleppend vorankommen und dass noch immer Tausende Yezidinnen und Yeziden verschollen sind. Auch für das Wiedersehen mit lieben Freunden wie dem yezidischen Tempelhüter Baba Chavusch, den ich zuletzt in “seinem” Tempelbezirk in Lalisch getroffen hatte, sowie für ein Totenmahl im yezidischen Zentrum Lollar nahmen wir uns Zeit.
Ein religiöser Qewl-Gesang im Gedenken an die Opfer des IS-Terrors am 4.8.2018 in Gießen. Der Zweite von Links ist der Baba Chavush. Foto: Michael Blume
Neben vielen bedrückenden Momenten gab es an diesem Tag auch Lichtblicke, so den überraschenden und anerkennenden Tweet der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne).
Danke-Tweet von Muhterem Aras vom 03.08.2018 für die Leitung des Sonderkontingentes. Screenshot: Michael Blume
Als ich schließlich spätnachts wieder zuhause ankam, lag bereits die neue Ausgabe von Gehirn & Geist vor. Und dort fand ich dann das wissenschaftliche Kontrastprogramm zum gerade Erlebten: Ein Interview mit dem Psychologen Steven Pinker zu dessen These: “Die Gewalt nimmt stetig ab.”
Nachtlektüre. Foto: Michael Blume
Wie fühlte sich dieser Widerspruch zwischen Selbsterlebtem und Wissenschaftlichem an?
Nun, ich halte Pinkers empirische Beobachtungen für sehr überzeugend, wonach die Zahl der zwischenmenschlichen Tötungen pro 100.000 Menschen seit Jahrhunderten – und vielleicht Jahrtausenden – kontinuierlich zurückgeht. Tatsächlich kennt die yezidische Geschichte Dutzende Vernichtungszüge vor allem in den Zeiten des Osmanischen Reiches, ohne dass dies der Rest der Menschheit überhaupt mitbekommen hätte.
Dagegen erinnerte ich mich an eine damalige Aussage des Baba Scheich in Lalish. Dort hatte er erklärt:
Schon 73 Mal wurden wir verfolgt. Doch zum ersten Mal kamen andere Völker, um uns zu helfen. Vielleicht wird es also das letzte Mal sein, dass wir so leiden müssen.
Mit dem Baba Scheich 2016 in Stuttgart. Foto: Abu Kashin
Und eine entscheidende Rolle für die schnelle, auch internationale Hilfe gegen den IS spielten damals bereits die neuen, digitalen Medien. So hatte der IS gezielt Bilder und Videos digital versandt, um Propaganda und Terror zu verbreiten. Zudem hatten sich mutige Journalistinnen wie Düzen und Tezcan Tekkal (#GermanDream) umgehend auf den Weg ins Kriegsgebiet gemacht und direkt von dort berichtet. Bald konnte niemand mehr behaupten, von nichts gewusst zu haben – und wenigstens einige wurden auch aktiv.
Ausschnitte des Films “Hawar” von Düzen Tekkal über das Schicksal der yezidischen IS-Opfer
Obwohl ich also die Schrecken des IS-Terrors im Irak – die psychischen und körperlichen Folterspuren, die Massengräber und Zerstörungen – mit eigenen Augen sehen musste, bin ich davon überzeugt, dass Steven Pinker Recht hat. Die Medien erzeugen durch Berichte über Gewalttaten aus aller Welt zwar einerseits den (objektiv falschen) Eindruck, es gebe heute mehr Gewalt als in vergangenen Jahrhunderten. Doch die gleichen Medienberichte führen auch dazu, dass sich sehr viel mehr Menschen politisch und humanitär für die Opfer von Kriegen und Genoziden einsetzen.
Jedes Leben ist einzigartig wertvoll und der globale Rückgang von Tötungsdelikaten pro 100.000 kann das konkrete Leid einer Frau, eines Mannes, eines Kindes nicht aufwiegen. Aber wir dürfen Hoffnung haben. Und das Unsere dazu beitragen, dass unsere Welt noch friedlicher wird. Beispielsweise durch die auch von der Rentierstaatstheorie nahegelegte Reduzierung unseres Verbrauchs an Öl und Gas.
Der Computerwissenschaftler und Statistiker Aaron Clauset widerlegt Steven Pinkers These: https://www.heise.de/tp/features/Wann-ist-mit-einem-naechsten-grossen-Krieg-zu-rechnen-3981654.html
Vielen Dank, @Mona! Klasse, dass auch Pinkers Thesen kritisch überprüft werden!
Eine vollständige „Widerlegung“ Pinkers kann ich Clausets Daten jedoch nicht entnehmen. So definiert er ja im Wesentlichen „kleine“ und „große“ Kriege anhand fester Zahlen (wie ab 1.000 Tote), wogegen Pinker die Opferzahlen anteilsmäßig (Tote per 100.000) heranzieht. Pinkers Ansatz scheint mir da etwas überzeugender zu sein – denn selbstverständlich ist bei einer noch wachsenden Weltbevölkerung auch mit mehr Konflikten und Kriegen zu rechnen. Dass sich dennoch auch nach Clausets Daten durchaus noch Friedenstendenzen abzeichnen, überrascht mich positiv. Gleichwohl finde ich den Ansatz gut, auch den „Pinker-Optimismus“ datengestützt zu überprüfen und herauszufordern. 😊👍📚
Nochmal vielen Dank für den Fund!
Gewalt braucht Gewalttäter, Anführer, Rechtfertigungen und tiefere Gründe. Die Gewalttäter sind fast immer junge Männer und diese brauchen gar nicht soviele Gründe für ihre Gewalttaten. Irgendeine Ideologie wie diejenige des IS genügt Ihnen. Der tiefere Grund für jugendliche Gewalt ist oft eine Situation, die diesen jungen Männern Erfolg und eine sichere Stellung in der Gesellschaft verwehrt. Im nahen Osten beispielsweise die Tatsache, dass die Polygamie den Ärmeren die Bräute stiehlt (die sie dann vom IS zugewiesen erhalten).
Früher war Gewalt auch häufig ein Mittel der Verteidigung: besser den andern umbringen bevor man von ihm umgebracht wird. Allein schon ein funktionierendes Rechts-, Justiz- und Polizeisystem reduziert die allgemeine Gewalt deshalb stark.
Die offene Gewalt geht in fortgeschrittenen Gesellschaften sicher zurück. An ihre Stelle könnte die Repression treten wie es sie in China schon gibt und die chinesische Form der Repression könnte zum Exportschlager Chinas werden und überall entlang der neuen Seidenstrasse aufblühen – und diese neue Seidenstrasse könnte die
umspannen.
Die Jesiden wurden Opfer des IS. Und IS wurde von Obama zumindest geduldet.
Ja und Moslems sind IS auch. So ein Zufall.
Ist klar, @Markweger: Der Obama ist schwarz und heißt mit Zweitnamen Hussein, muss also ein Freund des IS sein. Gefühlte Wahrheiten…
Tatsächlich ist der IS aus der Zerstörung des Irak durch die Koalition unter Bush hervorgegangen. Auf die Saddam-Regierung der sunnitischen Minderheit folgte das Regime der schiitischen Mehrheit. Tausende Saddam-Soldaten und Offiziere saßen entlassen und gedemütigt zuhause, die sunnitische Jugend fühlte sich entrechtet. Es braucht keine absurden Verschwörungsmythen, um den Aufstieg erst von Al Qaida und dann vom IS zu verstehen. Und Syrien zündelte gerne mit, um die eigenen Dschihadisten los zu werden und die US-Armee im Nachbarland zu binden.
Und wir – auch Sie, auch ich – fördern durch unsere Importe von Öl und Gas weiterhin autoritäre Regime in der Region. Rassismus ist ja auch soviel bequemer wie Einsicht in auch unsere Verstrickungen. Schon klar…
Physische Gewalt nimmt wohl tatsächlich weltweit ab, doch Steven Pinker macht daraus gleich eine Phase des Enlightement, er suggeriert gar (ganz ähnlich wie die an sozialistische Ideen Glaubende) die ganze Menschheit ziehe bald in den Garten Eden um.
Morde, Tötungen, Vergewaltigungen, erniedrigende Strafen nehmen tatsächlich weltweit ab, weil heute nicht mehr War Lords und Krieger die Welt beherrschen, sondern immer mehr Menschen in Staatssystemen leben, die ein stetig besseres Leben und immer mehr Wohlstand versprechen. Auch Krieg zwischen solchen Staatssystemen rechnet sich heute kaum noch, denn die Zerstörungen, die damit einhergehen, können auch in Jahrzehnten nicht wettgemacht werden. Doch das heisst noch nicht, dass die Supermächte USA, China, Europa (?), also die Mächte welche die andern in die Schranken weisen und die ihren Bürgern immer mehr Wohlstand versprechen, an und für sich für die Sache des Menschen eintreten. Realistischer ist die Annahme, dass diese Grossmächte vor allem ihre eigene Macht steigern wollen und diese Macht für eigene Interessen einsetzen und dass sie Regelungen in ihrem eigenen Interesse favorisieren über ein regelbasiertes System, welches Kleinen die gleichen Rechte gibt wie Grossen. Trump und der Zuspruch, den er erhält, unterstützen diese These, aber auch China und Russland verhalten sich gegenüber angrenzenden Ländern (Ukraine, südchinesisches Meer) in diesem Sinne. Vor allem könnte eine wichtige Qualität menschlichen Lebens durch Regime wie China unter die Räder kommen: Die Freiheit nämlich, eigene Gedanken entwickeln und mitteilen zu dürfen.
Was Bush betrifft und Al Qaida habe ich keinen Einwand und gegen die anderen Schlußfolgerungen auch nicht.
Dass Obama gegen IS keinen Finger gerührt hat ist aber auch eine Tatsache, ganz unabhängig von seiner ethnischen Zugehörigkeit.
Ja, @Markweger: Immer wieder hatte man den USA 🇺🇸 #Imperialismus vorgeworfen. Als sich aber #Obama aus dem Orient zurück zog, war das Geschrei auch wieder groß…
Meines Erachtens gibt es für die Situation dort keine militärischen Lösungen, solange wir selbst vom Öl abhängig sind.
… wobei man nicht unterschlagen kann, zu welchen Abenteuern 09/11 die USA samt den Rest der Welt hingerissen zu haben scheint.
Öl ist einer der beiden Gründe dass es seit rund 80 Jahren dort einen Krieg um den anderen gibt.
Ob Öl der trifftigere Grund ist kann man sehen wie man will.
Pinker dürfte recht haben, ein Grund zum Jubeln beteht aber nicht.
Wir haben neben der extremen finanziellen Ungleichheit auch eine extreme Ungleichheit bei der Verteilung der Gewalt.
Die Zahl der realtiv sicheren Staaten wächst, aber wo Gewalt ausbricht, ist sie oft besonders exzessiv, brutal und die Betroffenen besonders chancenlos, ihr zu entgehen.
Die Kriminalität nimmt ab, aber wir haben eine kleine Zahl von Tätern, die extrem viele Delikte begangen haben.
Wer bei uns Gewalt in der Familie erlebt hat, wird oft immer weiter mit zusätzlichen Problemen belastet, die Andere nie kennenlernen.
Wo schon was ist, kommt noch was hinzu, wenn sich daran nichts ändert, wird das Folgen haben.
Darüberhinaus ist offene Gewalt eine Reduktion des Begriffs, subtilere Formen fehlen dabei, es könnte sein, daß diese sogar zunehmen (z.B.Mobbing).
Steven Pinker kann das Selbstverständliche – es werden weltweit heute im weltweiten Durchschnitt weniger Menschen durch Menschen getötet als vor 100 oder gar 500 Jahren – , als Sensation verkaufen, weil fast alle – gebildet oder ungebildet – glauben, was sie in den Medien konsumieren sei ein Spiegel der Realität. Was völlig falsch ist, denn Nachrichten waren schon immer schlechte Nachrichten und das tolle Klima in der Bay Area oder eine Gegend mit lauter glücklichen Menschen hat schlicht keinen Nachrichtenwert. Hans Rosling, der verstorbene schwedische Gesundheitsökonom, fand gerade bei Gebildeten völlig falsche Vorstellungen über die weltweite Entwicklung von Gesundheit, Lebenserwartung, Reichtum und Armut. Weil kaum ein Gebildeter sich mit solchen Entwicklungen fernab von der eigenen Heimat beschäftigt – ausser es komme gerade wieder eine Kriegs- oder Hungersnotmeldung in der Glotze oder auf SPON.
Dabei ist die Beobachtung von Steven Pinker überhaupt nicht neu. Schon in der Antike sprach man von der Pax Romana, einer 200-jährige Friedenszeit, die es einfach darum gab, weil das römische Imperium auf seinem Gebiet keine Kriege, ja nicht einmal Fehden zuliess. Statt dessen überwies Rom die Streithähne einem Tribunal oder sorgte mit militärisch/polizeilichen Mitteln für Frieden und Ruhe. Auch von einer Pax Britannica oder Pax Americana spricht man, weil auch das englische oder anerikanische Imperium auf seinem Gebiet für Ruhe sorgte.
Kritisch sehe ich aber die Tendenz Steven Pinkers alle Formen der Gewalt in den gleichen Topf zu werfen. Kann man Familienfehden und Stammeskriege gleich behandeln und einstufen wie beispielsweise Stalins „Krieg“ gegen die eigenen Bauern mit 20 Millionen Toten? Oder Hitlers Holocaust? Ich bezweifle das. Das sind neue Phänomene, die es nur in einem diktatorisch geführten Staat geben kann und die wenig mit den alten Motiven für Gewalt im engeren Kreis zu tun haben.
Zusätzlich zu dem Absinken des Anteils der Gewalttaten, ist es auch auffällig, dass die Vertreter von Recht und Gesetz bei der Befragung von Verdächtigen und bei der Bestrafung von Verurteilten wesentlich schonender vorgehen, als das noch vor einigen Jahrhunderten üblich war.
Die Daten von “Our World in Data” widersprechen klar der Aussagen Pinkers, dass die Gewalt stetig abnimmt. Zwar mag die Behauptung Pinkers stimmen, dass wir gerade in einer recht friedvollen Zeit leben, dass allerdings die Gewalt insgesamt abgenommen hat stimmt mit den Daten des Conflict Catalog keineswegs überein. Einen kurzen Abriss zu diesem Thema findet man hier
@DH (Zitat): Pinker dürfte recht haben, ein Grund zum Jubeln beteht aber nicht.
…
Die Zahl der realtiv sicheren Staaten wächst, aber wo Gewalt ausbricht, ist sie oft besonders exzessiv, brutal und die Betroffenen besonders chancenlos, ihr zu entgehen.
Damit sagen sie: Weniger Gewalt ist gut und keine Gewalt wäre das Paradies. Das Paradox ist nur, dass die ganze Menschenheitsgeschicht zeigt, dass es scheinbar ohne Gewalt nicht geht. Ich behaupte: Schon die alten Griechen haben mit der Erfindung des Sports und der Olympiaden eine Kulturtechnik erfunden, deren Zweck es unter anderem war, Gewalt zu kanalisieren und Kriege zwischen den griechischen Stadtstaaten weniger wahrscheinlich zu machen. Auch die Wiedererfindung des Sports in der Moderne hat eine solche kulturtechnische Komponente.
Ganz sicher schadet massive physiche Gewalt selbst den Überlebenden, aber andererseits scheint der Mensch – oder mindestens der männliche Teil – so angelegt zu sein, dass es immer wieder zu Gewalt in verschiedensten Formen kommt. Vom Duell über die blutig ausgetragene Familienfehde bis zu Raubzügen und Raubkriegen. Von den meisten Menschen wird Gewalt und Krieg sehr negativ gesehen – andererseits gibt es auch Sprüche wie “”Der Krieg ist der Vater aller Dinge.” und in Abwandlung dazu, die Behauptung die meisten Erfindungen gingen auf den Krieg zurück. Ich interpretiere dies als ambivalente Haltung gegenüber Gewalt und Krieg.
Vielleicht wäre noch anzumerken, dass Pinkers Zahlen lediglich bis zum Jahr 2000 reichen. Nach dem Ende des Kalten Krieges ließen sich ja viele von der allgemeinen Euphorie anstecken und propagierten eine friedlichere Welt. Der IS wurde um diese Zeit erst gegründet und auch die Terroranschläge vom 11. September 2001, die die Welt stark veränderten, wurden nicht berücksichtigt. Seit damals gibt es jede Menge neue Konflikte in der Welt und unzählige Terroranschläge bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden und werden.
Eine Rezension wirft Pinker zudem einen „riskanten Ritt durch die Geschichte“ vor, weil er beispielsweise die Bibel als Quelle angibt, den Holocaust aber unerwähnt lässt. Die von ihm propagierte Humanitäre Revolution, die im Zeitalter der Aufklärung entstanden sei, und zur Ächtung von Gewaltherrschaft, Sklaverei, Folter, Tötung aus Aberglauben und Duellen führte, scheint in vielen Teilen der Welt nicht angekommen zu sein. Seine Aussagen beziehen sich demnach in erster Linie auf Europa und Nordamerika.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt:_Eine_neue_Geschichte_der_Menschheit
Es scheint ein menschliches und gesellschaftliches Bedürfnis nach physischer Gewalt bis hin zu Tötungen zu geben. Und zwar nicht nur aus materiell/egoistischen Gründen, sondern sogar aus ideellen Gründen, also weil die Gewaltanwender glauben durch Beseitigung von Menschen eine bessere Welt zu schaffen. Klar ist oft beides kombiniert. Die Juden wurden von den Nazis ausgeraubt bevor sie vernichtet wurden um eine judenfreie und damit bessere Welt zu schaffen. Die Nazis gehören zum rechtsextremen politischen Spektrum. Doch eliminatorische Gewalt wird auch von links her verteidigt. Die traditionelle Linke hat immer wieder Menschenvernichtungen im Namen einer besseren Welt gerechtfertigt. Und zwar gerade auch die akademische, intellektuelle Linke, die etwa trotz Wissen um die stalinistischen Säuberungen diese oft verteidigt hat. Jean Paul Sartre, ein dezidiert Linker, war mit dem Austritt aus der kommunistischen Partei nach Invasion der Sowjetunion in der Tschechoslowakei 1968 geradezu die Ausnahme. Viele Linke hier in Westeuropa rechtfertigten Gewalttaten der Sowjetunion oder Kubas immer wieder.
Warum das? Weil sowohl rechts wie links viele daran glauben, dass Gegner/Feinde eine bessere Welt verhindern und dass nur die Beseitigung dieser Gegner schliesslich die Schaffung dieser besseren Welt ermöglicht. Auch darum weil wir alle in den Kategorien von Freund und Feind denken. Der Mensch hat das bereits bei seinen tierischen Verwandten vorhandene Freund/Feind-Denken allerdings noch in die spirituelle Dimension erweitert, in die Welt der Gedanken, Pläne und Idealvorstellungen wie sie nur der Mensch kennt. In dieser höheren Sphäre gibt es auch das Konzept der besseren oder gar idealen Welt. Für diese bessere Welt zu kämpfen rechtfertigt Opfer – und zwar nicht nur bei sich selbst, sondern gerade auch beim Gegner.
Somit ist für mich auch unsere Zivilisation und Kultur mit der Idee infiziert, Gewalt sei unverzichtbar.
Bei all den Anmerkungen wird veregessen, dass wir uns im Atom(bomben)zeitalter befinden.Dieses Gleichgewicht des Schreckens sorgt seit dem 2. Weltkrieg dafür, dass auf der Erde bestenfalls noch “Stellvertreterkriege” geführt werden. Inzwischen sind noch weitere Atomstaaten incl. den dazu gehörenden Einflußsphären hinzugekommen. Diese Mächte werden also kaum noch Kriege untereinander führen und den eigenen Untergang damit provozieren.Die Welt ist also in dem Sinne “besser” geworden, dass man erkannt hat, dass der nächste größere Krieg die Büchse der Pandora für ALLE öffnen würde.
Zusätzlich zu dem Absinken des Anteils der Gewalttaten, ist es auch
auffällig, dass die Vertreter von Recht und Gesetz bei der Befragung
von Verdächtigen und bei der Bestrafung von Verurteilten wesentlich
schonender vorgehen, als das noch vor einigen Jahrhunderten üblich war.
…“and here we are“…
Ahnen Sie wer das gesagt hatte?
Richtig: Norman Schwarzkopf.
Erinnern Sie?
Werden Sie den kommenden Finanzmarkt-Crash erinnern?
Was indes erstaunt: dass man sich dermassen an Gewalt gewöhnt zu haben scheint, dass es fast kaum auffällt Gewalt anzuwenden.
Indes fällt auf, dass es seit zivilisatorischen Gegebenheiten der Gegenwart bislang noch nie so viele Kriegstote wie heute gegeben hat.
Und das alles so still
Gewalttaten sind die (überzeugendsten, treffendsten) Worte einer Sprache, die alle verstehen und die alle beschäftigen. Gesellschaften in denen es kaum noch reale Gewalttaten gibt, kennen Gewalt immer noch, sogar in gesteigerter Form – allerdings dann beispielsweise als Skandinavien-Krimis (Hauptsache blutig, sadistisch und brutal).
Heute aber passieren die meisten Gewalttaten im TV (Zitat, übersetzt von DeepL): Ein durchschnittlicher amerikanischer Jugendlicher wird 200.000 Gewalttaten im Fernsehen erleben, bevor er 18 Jahre alt wird. TV-Gewalt ist oft beträchtlich, selbst in Programmen, die nicht als gewalttätig beworben werden. Insgesamt erscheinen Waffen zur besten Sendezeit im Durchschnitt neunmal pro Stunde.19 Schätzungsweise 54 Prozent der amerikanischen Kinder können dieses Programm von ihren eigenen Schlafzimmern aus verfolgen.
sgh Holzherr
Gewalt ist weder überzeugend noch treffend.
Was Kunst indes leistet: abzubilden was die Kinderlein besser nicht sehen sollten und was dennoch geschieht.
und ja Herr Holzherr: wie sollten medieninkompetente Erwachsene ihre Kinder anders erziehen als zu Medieninkompetenz?
“Multikulti” ist ja der Code für das, was aus Sicht einiger zu Doitschland gehört, ansonsten funktioniert der Multikulturalismus, wäre auch kein Gegenstand der öffentlichen Erörterung.
Köstlich ist natürlich, dass die Dame, die zwar sprechen, aber nicht reden kann, sehr wohl weiß, dass das oben genannte Multikulti nicht funktioniert, sie hat es mehrfach gesagt, und dennoch dieses Multikulti in großem Stil einführt.
Ich misch mich mal erneut in Sachen von denen Mittelschüler wie ich nix zu verstehn habn werter Dr Webbär.
Da indes Sie hier ungefragt von „Multikulti“ herumzuschwefeln erlaube ich mir diese Intervention.
Da ist natürlich vieles köstlich für herrn Dr Webbär
Hoffen wir, dass er sich net verschluckt an seinen Köstlichkeiten.
Multikulturalismus funktioniert, wenn die beteiligten Kulturen kompatibel (“mitleidend” – genau dies meint ‘kompatibel’) sind, Parallelgesellschaften hat es insofern immer gegeben, an das Judentum soll an dieser Stelle erinnert werden, insbesondere an das devote, oder an “fahrendes Volk” verschiedener Bauart oder an andere “Außenseiter”.
Insofern gab es für verständiges Personal hier wenig Erläuterungsbedarf, bei einem “Sie sind halt anders, aber sie stören nicht weiter!” könnte es belassen bleiben.
“Multikulti” dagegen ist ein aufgesetztes Konzept, das kulturmarxistischer Bauart ist und insbesondere von politisch Linken beworben wird, “Multikulti” meint gerade auch Kultur, die nicht kompatibel ist mit der aufklärerischen und vorgefundenen.
‘Mittelschüler’ sind womöglich ganz OK, Dr. W hat im Laufe der Zeit auch Hauptschüler (Akif Pirinçci, lol) und Sonderschüler kennengelernt, die etwas zu sagen hatten.
Dr. W ist ja eher Populist als Elitist (das Antonym).
MFG
Dr. Webbaer (der nichts dagegen hätte, wenn seine kleinen Nachrichten möglichst komplett veröffentlicht werden; da gab es ja schon mal “Engpässe”)
@Webbaer
Da bin ich einen Tick härter als Sie: Ich glaube, dass Multikulturalismus im Sinne eines unverbundenen Nebeneinanders von Kulturen auf Dauer nicht funktionieren kann.
Auch deswegen setze ich auf Integration, Begegnungen und Dialog, damit Kulturen miteinander interagieren, Interkulturalität entsteht. Und bei mir hat sich das ja sogar bis in die Familie hinein ergeben.
Deutschland ist m.E. bei allen auch notwendigen Konflikten ein interkultureller Erfolg. Wenn ich mir auch höhere Geburtenraten und damit auch einen stärkeren Kulturtransfer in die Zukunft wünschen würde.
Durch die illegale Zuwanderung unter dem Vorwand des Asyls haben wir jetzt wieder mehr Gewaltverbrechern.
Ich bin mir nicht sicher ob das nicht gewollt ist.
@Markweger
Auch durch die Wiedervereinigung haben wir ja viele v.a. rechtsextreme „Gewaltverbrecher“ hinzubekommen – dennoch halte ich die Wiedervereinigung für richtig und im Übrigen auch für weitgehend gelungen. Wie sehen Sie das?
Und interessant zu wissen fände ich: Stützt sich Ihre Wahrnehmung auch auf reale Daten, oder sind es eher Medienblase & Gefühl? 🤔
Das unverbundene Nebeneinander der Kulturen funktioniert recht gut durch das Wirtschaftssystem, in dem Arbeit, Geld und Waren ausgetauscht werden.
Jede Form von Konflikten würde großen wirtschaftlichen Schaden verursachen.
@Karl Bednarik: Das unverbundene Nebeneinander der Kulturen funktioniert recht gut durch das Wirtschaftssystem. Jede Form von Konflikten würde großen wirtschaftlichen Schaden verursachen.
Trump eröffnet ja gerade eine Handelskrieg und er beschleunigt mit seinen Sanktionen noch den Währungszerfall in der Türkei. Hier funktioniert das unverbundene Nebeneinander der Kulturen also nicht besonders gut und ihre Annahme, die Akteuere würden wirtschaftlichen Schaden nicht in Kauf nehmen, ist falsch. Während des jugoslawischen Bürgerkriegs schossen sogar Bewohner eines Stadteils von Sarajewo auf Bewohner eines anderen Stadteils von Sarajewo. Auch während des libanesischen Bürgerkriegs brachten sich Nachbarn gegenseitig um und der einzige Unterschied zwischen den Nachbarn war die Ethnie und die Kultur. Sie kauften vielleicht sogar im gleichen Dorfladen ein – bis dann der eine den anderen liquidierte.
Hm, wenn man einen PEGIDA-Spaziergang in Dresden mit den G20-Krawallen in Hamburg vergleicht, scheint es mit der Gewalt-Affinität der “rechten Ossis” nicht weit her zu sein, um mal ein bißchen mit den Stereotypen zu spielen…
… im übrigen hat meine Begeisterung über die Wiedervereinigung (es war kurz vor meinem 18. Geburtstag, als 1989 die Mauer fiel) mit zunehmendem zeitlichen Abstand doch nachgelassen – mein Bruder wunderte sich damals schon, wieso ausgerechnet wir Deutschen wieder einen 80-Millionen-Staat zusammenschustern müssen, wo doch der Trend der 90er eher zu kleineren, überschaubaren Einheiten ging (Tschechien-Slowakei, Russland-Ukraine-Georgien, Slowenien-Kroatien-Serbien, usw.) . Solange Kohl Kanzler war, störte das nicht weiter, weil das vereinte Deutschland einfach das traditionell bescheidene Auftreten der Bonner Republik weiterpflegte.
Aber: seit Per Steinbrück als Minister unter Merkel der Schweiz mit der “Kavallerie” drohte, und seit die “Energiewende” (zu oft ohne erkennbare Ironie!) als Vorbild für die industrialisierte Welt dargestellt wird, bekomme ich Angst davor, daß mal wieder “am deutschen Wesen die Welt genesen” soll. Es ist nicht gut, zu viel Macht an einem Ort zu konzentrieren. Berlin ist heute wieder so ein Ort.
Vielleicht wäre eine neue Verfassung, die den einzelnen Bundesländern größere Autonomie gibt und die Macht der Bundesregierung konsequent auf die Außen- und Sicherheitspolitik beschränkt, der bessere Weg zur Wiedervereinigung gewesen. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, wir wissen es nicht. Und mit einem Beitritt Bayerns zur Bundesrepublik Österreich ist so bald nicht zu rechnen.
Lieber @Störk,
die Gewaltbereitschaft und die Verschwörungsmythen von Linksextremen waren hier bereits ausdrücklich Thema:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/kleinbuerger-und-bullen-die-hoelle-von-hamburg-vom-verschwoerungsglauben-der-nog20-linksextremisten/
Ihre Perspektiven zur Wiedervereinigung finde ich interessant, möchte hier jedoch nicht weiter darauf eingehen. Denn dieser Blogpost diente ja dem Gedenken an Ludwig Marum…