Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution!

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Sehr viele Menschen haben dieses starke Zitat sicher schon einmal gehört. Einige wissen auch, dass es von Theodosius Dobzhansky (1900 – 1975) stammt, einem der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, der gemeinsam mit Ernst Mayr Genetik und klassische Evolutionstheorie zu einer neuen Synthese verband. Nur sehr wenige Menschen wissen aber auch, dass dieses Zitat auch der Titel eines Essays Dobzhanskys an Biologielehrer darstellt, in dem er betont, dass Evolution und Gottesglauben vereinbar seien – und seinen christlichen Glauben bekennt.

Theodosius Dobzhansky (1900 - 1975)

Scharf kritisierte Dobzhansky in diesem Text fundamentalistisch-kreationistische Gottesbilder, die letztlich darauf hinaus liefen, dass Gott als Schöpfer einen nicht funktionierenden oder gar täuschenden Evolutionsprozess erschaffen habe. Dies (also Kreationismus und heutiges "Intelligent Design") sei „blasphemisch“ – Gotteslästerung. Dagegen erklärte er: „Es ist falsch, Schöpfung und Evolution als sich ausschließende Alternativen zu betrachten. Ich bin ein Kreationist und ein Evolutionist. Die Evolution ist Gottes, oder der Natur Weg der Schöpfung. Die Schöpfung ist nicht ein Ereignis, das 4004 vor Christus geschah; sie ist ein Prozess, der vor 10 Milliarden Jahren begann und immer noch unterwegs ist.“

Heute nennt man diese Haltung, die vom Mitentdecker der Evolutionstheorie Alfred Russel Wallace über den deutschen Zoologen Gustav Jäger, den Jesuitenpater und Paläoanthropolgen Teilhard de Chardin bis zum Leiter des Humane Genome Project Francis Collins vertreten wird "evolutionären Theismus" – sie wird inzwischen in den USA auch schon von Theologen und Wanderpredigern wie Michael Dowd als eine Alternative zwischen Wissenschafts- und Religionsfeindlichkeit verkündet. Dankt Gott für die Evolution! – so der Aufruf.

Und es ist nicht nur Dobzhanskys kraftvolles (und m.E. zutreffendes) Zitat zur Biologie und dem Licht der Evolution, sondern auch sein Essay, die auch nach über einem Vierteljahrhundert angesichts wenig informierter Polemiken sowohl von religiöser wie atheistischer Seite noch ebenso frisch und leider notwendig erscheinen wie bei der Veröffentlichung 1973.

Viel Freude beim Schmökern!

* Theodosius Dobzhansky – "Nothing in Biology makes Sense except in the Light of Evolution", The American Biology Teacher, März 1973, S. 155 ff.

* Wikipedia zu Theodosius Dobzhansky.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

49 Kommentare

  1. Dagegen erklärte Dobzhansky: „Es ist falsch, Schöpfung und Evolution als sich ausschließende Alternativen zu betrachten. Ich bin ein Kreationist und ein Evolutionist. Die Evolution ist Gottes, oder der Natur Weg der Schöpfung. Die Schöpfung ist nicht ein Ereignis, das 4004 vor Christus geschah; sie ist ein Prozess, der vor 10 Milliarden Jahren begann und immer noch unterwegs ist.“

    Wie sind die Arten entstanden?
    1. Erklärung: Durch die Evolution.
    2. Erklärung: Durch die Evolution und durch Gott.

    Warum ist die Straße nass?
    1. Erklärung: Weil es gerade geregnet hat.
    2. Erklärung: Weil es gerade geregnet hat und die Druiden täglich dafür beten.

    Die Evolution erklärt uns hinreichend gut, wie die Arten entstanden sind. Einer zweiten Erklärung bedarf es zwar nicht, aber wenn die erste Erklärung schon hinreichend ist, kann eine zweite, gegebenenfalls falsche Erklärung, niemals schaden.

    Es bleiben die sumerisch-semitischen Schöpfungsmythologien, wie sie z.B. Teile der Bibel geworden sind. Viele der mythologischen Aussagen sind nun aber mit den Erkenntnissen der Evolution NICHT vereinbar. Es gibt z.B. länger flugunfähige Gliederfüßer auf der Landmasse der Erde, als flugfähige Gliederfüßer. Ebenso gibt es länger flugunfähige Chordatiere auf der Landmasse der Erde, als flugfähige Chordatiere. Nennenswertes Licht auf der Erde, gab es ganz bestimmt nicht, bevor die Sonne ihre Aktivität aufgenommen hatte, und höhere Pflanzen gab es auch ganz bestimmt nicht, bevor die Sonne ihre Aktivität aufgenommen hatte.

    mfg
    Luchs

  2. @ Luchs: Erklärung / Deutung

    Danke für die Kritik an Dobzhansky, dem schon lange mal jemand schreiben musste, dass er von Evolutionsforschung wohl keine Ahnung hat(te)… 😉

    Ernsthaft: Ich teile Dobzhanskys Grundaussage, dass eine wissenschaftliche Erklärung von Phänomenen etwas völlig anderes ist als eine lebensweltliche Reduktion! (Das beliebte Spiel des Nothing-butism, der Nichts-Als-Alserei.)

    Die Evolution erklärt uns hinreichend gut, wie die Arten entstanden sind. Einer zweiten Erklärung bedarf es zwar nicht, aber wenn die erste Erklärung schon hinreichend ist, kann eine zweite, gegebenenfalls falsche Erklärung, niemals schaden.

    Sie kann sogar nützen.

    Eine wissenschaftliche Erklärung der Liebe:

    1. Emotionale Grundlagen der “Liebe” in Form neurologischer und hormoneller Dispositionen sind evolviert, um die Fortpflanzungs- und Kooperationsbereitschaft von biologischen Akteuren zu fördern.

    Wunderbare, wissenschaftliche Erklärung, wer braucht schon mehr? Eine Menge Menschen. Zum Beispiel sagen sie “mythologisch”

    2. Liebe gibt dem Leben einen höheren Sinn und manche meinen, sie gehe von Gott aus, der “Liebe ist”.

    Wissenschaftlich im engeren Sinne ist 2. in keiner Weise und kein Bestandteil des Satzes ist für wissenschaftliche Hypothesenbildung notwendig oder geeignet. Aber dennoch ist Satz 2 häufig – und ggf. auch nützlich, vielleicht gar “wahr”. Eine Menge Leute würden wahrscheinlich lieber mit einem Partner leben wollen, der auch etwas zu 2. sagen kann als nur zu sagen “Jeder, der es wagt, über 1. hinaus zu gehen, verstößt gegen die materialistische Dogmatik! Hör auf mit Deinem romantischen, unwissenschaftlichen Quatsch, das sind nur Deine Hormone!”

    Vgl. den Beitrag zur Gretchenfrage:
    http://www.chronologs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/gretchenfrage/2008-04-04/gretchenfrage-sind-religi-se-frauen-dumm

    Das Ganze geht auch mit unbelebten Dingen. Man kann m.E. doch wohl auch der Auffassung sein, dass Gemälde mehr sind als die Summe ihrer chemischen Verbindungen und Musikstücke mehr als eine Aneinanderreihung von Schallwellen. Auch wenn man dieses “mehr” in keiner Weise bräuchte, um sie physikalisch exakt zu beschreiben – Reduktion würde die Phänomene völlig verfehlen.

  3. Kommt noch was zu meiner zweiten Aussage?

    Bzgl. Deiner Erwiderung zu meiner ersten Aussage: Natürlich sind mehrere Erklärungen auf verschiedenen Abstraktionsebenen nützlich. Z.B.

    Warum geht die Sonne auf?
    1. Weil die Erde sich dreht.
    2. Weil die Erde sich dreht und einen Drehimpuls in der Frühzeit der Entstehung des Sonnensystems erhalten hat. Die Sonne steht in erster Näherung gegenüber der Eigenrotation der Erde still.
    3. Weil die Erde sich dreht und Gott jeden Tag die Sonne aufgehen lässt (mit Hilfe …).

    Zwischen 2. und 3. besteht unbestreitbar ein erkenntnistheoretischer Unterschied.

    “Danke für die Kritik an Dobzhansky, dem schon lange mal jemand schreiben musste, dass er von Evolutionsforschung wohl keine Ahnung hat(te)… ;-)”

    Ich dachte, der wär schon lange tot. Wenn ich ihm geschrieben hätte, dann hätte ich auf seine erkenntnistheoretischen Defizite hingewiesen 😉

    mfg
    Luchs

  4. @ Luchs: II.

    Kommt noch was zu meiner zweiten Aussage?

    Die wollte ich eigentlich höflich übergehen. Denn selbstverständlich liest Dobzhansky die Bibel nicht als naturwissenschaftliches, sondern eben als religiöses Buch, was er auch ausdrücklich so schreibt. Vielleicht ist es ja für manche Leute immer noch neu: Aber nicht jeder Christ (nicht einmal die meisten) lesen ihre Bibel fundamentalistisch (und schon Augustinus riet ausdrücklich davon ab!). Überraschend, nicht?

    Bzgl. Deiner Erwiderung zu meiner ersten Aussage: Natürlich sind mehrere Erklärungen auf verschiedenen Abstraktionsebenen nützlich. Z.B.

    Zwischen 2. und 3. besteht unbestreitbar ein erkenntnistheoretischer Unterschied.

    Ja – der eine ist empirisch-wissenschaftlich, der andere mythologisch-deutend. Und biologisch “funktional” können beide sein (vgl. Beispiel Liebe), auch schließen sie sich nicht aus, weil sie das gleiche Phänomen auf anderen Ebenen beschreiben.

    Wenn ich ihm geschrieben hätte, dann hätte ich auf seine erkenntnistheoretischen Defizite hingewiesen 😉

    Und ich habe schon um Dein Selbstvertrauen gefürchtet! 😉

    Ernsthaft: Da er nicht mehr lebt, verteidige ich ihn gerne. Dobzhansky hat m.E. Recht. Nicht er begeht meines Erachtens hier den Kategorienfehler. Manchen mag einfach nicht einleuchten, dass es oberhalb der reduktionistischen Beschreibung noch die Möglichkeit geben könnte, die gleichen Phänomene (unter voller Anerkennung der wissenschaftlichen Beschreibung!) “zusätzlich” auch poetisch, künstlerisch, religiös o.ä. zu beschreiben! Die Biologie der Liebe, Musik, Sprache, Religion löst die Erfahrungen und das Phänomen der Liebe, Musik, Sprache, Religion nicht auf, das Wissen um die Chemie von van Goghs Sonnenblumen oder die Physik von Beethovens Mondscheinsonate kann die Beschreibung auf künstlerischer bzw. musikalischer Ebene nur ergänzen, nicht ersetzen.

    Dass Du religiöse (künstlerische, poetische etc.) Aussagen immer wieder als wissenschaftliche Hypothesen zu behandeln versuchst, bestärkt vielleicht Deine Annahme über die Beschränktheit anderer Menschen (einschließlich Dobzhanskys) – ist aber m.E. doch eine erkenntnistheoretisch (und empirisch!!!) eher schwache Annahme.

    Da Du nachgefragt hast, gerne auch eine einfache Nachfrage von mir: Bekommen wir von Dir noch eine Antwort darauf, inwiefern sich Gemälde und Musikstücke auf ihre physikalisch-chemischen Bestandteile reduzieren lassen? Sind wir alle Spinner, die “mehr” darin sehen?

  5. Bibel im Licht der Evolution lesen

    Hallo Herr Dr. Blume,

    danke für die Hinweise auf Dobzhanskys Denken, das den buchstabenkreationistischen Fundamentalismus als Blaspehmie bezeichnet.

    Doch selbst in Ihrer kurzen Diskussion mit Luchs wir m. E. wieder deutlich, dass es nicht reicht, wie Dobzhansky die einfach die Evolution als schöpferisches Werk zu bezeichnen. Gleichwohl das sicher der richtige Weg ist.

    Ich denke, nicht nur die Biologie, sondern auch die Bibel ist im Licht der Evolution zu lesen. Um nicht nur die Trennung der Weltbilder zu überwinden, sondern im Wissen der Evolution einen universalen und offenbaren verant-wort-lich machenden Lebenssinn als gemeinsame schöpferische Bestimmung nachdenken zu können, was über altreligiösen Opferkult hinausgeht.

    Entegen Ihrer Argumentation, denke ich die Bibel durchaus fundamentalistisch lesen zu können. Nur gehe ich im evolutionären Weiterdenken des heute vorhandenen Wissens um die geistigen Grundlagen davon aus, dass ein gesetzten und zu beweisendes Gottesbild weder das Fundament des Alten, noch des NT war, sondern die Logik/Vernunft allen Werdens in der Antike als Wort verstanden wurde.

    Was nutzt es, wenn wir wie Dobzahansky oder Theilhard de Chardin die Evolution als Werk und Wille Gottes sehen, daneben aber weiter eine geheimnisvoll gesetzte Offenbarung stellen wollen?

    Wenn wir die wissenschaftliche Erklärung des logisch/kreativ-vernünftigen Werdens auf zeitgemäße Weise mit dem ewigen Wort gleichsetzen, das seit Eschnaton den anfänglichen sowie später prophetischen Monotheismus bestimmte und als Logos des griechischen Monismus wiederverstanden wurde, erübrigt sich dann nicht die gesamte Debatte um die Erklärung der Evolution, wie sie nicht nur von Luchs aufgeworfen wird, ebens wie die Deutung der biblischen Mythen?

  6. @ Vernunft: Was nützt wem?

    Lieber Herr Mentzel,

    danke für Ihren Beitrag. Erlauben Sie mir, in drei Punkten konkret nachzufragen?

    Was nutzt es, wenn wir wie Dobzhansky oder Theilhard de Chardin die Evolution als Werk und Wille Gottes sehen, daneben aber weiter eine geheimnisvoll gesetzte Offenbarung stellen wollen?

    1. Was nützt es, immer wieder den Anspruch zu erheben, alle Menschen rational sterilisieren und vereinheitlichen zu können? “Geheimnisvoll gesetzte Offenbarungen” bilden seit Jahrzehntausenden den Humus religiöser (und auch künstlerischer, musikalischer, poetischer etc.) Systeme, die Teil der kulturellen (Religionen) und biologischen (Religiosität) Evolution des Menschen geworden sind. Dagegen haben rationalisierte, monistische Theorien ohne übernatürliche Akteure bislang keine intergenerational lebensfähigen Gemeinden hervorgebracht. Oder kennen Sie eine? Eine einzige? Was nützt es, das einfach zu ignorieren und anzunehmen, unsere individuelle Vernunft sei stärker als das Leben selbst?

    Entgegen Ihrer Argumentation, denke ich die Bibel durchaus fundamentalistisch lesen zu können.

    2. Also wurde die Welt in genau 7 Tagen geschaffen und vor Adam und Eva gab es keinen Tod. Oder wie definieren Sie “fundamentalistisch”?

    Nur gehe ich im evolutionären Weiterdenken des heute vorhandenen Wissens um die geistigen Grundlagen davon aus, dass ein gesetzten und zu beweisendes Gottesbild weder das Fundament des Alten, noch des NT war, sondern die Logik/Vernunft allen Werdens in der Antike als Wort verstanden wurde.

    Wenn ich Sie Recht verstehe, würden Sie Gott also nicht als personales Gegenüber, sondern analog Robert Wright (“The Evolution of God”) als eine Art evolutionären “Logos”-Algorithmus auffassen?

  7. Lieber Michael,

    Du schreibst: „Da Du nachgefragt hast, gerne auch eine einfache Nachfrage von mir: Bekommen wir von Dir noch eine Antwort darauf, inwiefern sich Gemälde und Musikstücke auf ihre physikalisch-chemischen Bestandteile reduzieren lassen? Sind wir alle Spinner, die “mehr” darin sehen? … zuvor: Das Ganze geht auch mit unbelebten Dingen. Man kann m.E. doch wohl auch der Auffassung sein, dass Gemälde mehr sind als die Summe ihrer chemischen Verbindungen und Musikstücke mehr als eine Aneinanderreihung von Schallwellen. Auch wenn man dieses “mehr” in keiner Weise bräuchte, um sie physikalisch exakt zu beschreiben – Reduktion würde die Phänomene völlig verfehlen.“

    Wir müssen hier Erklärungstiefe und Erklärungsbreite voneinander unterscheiden. Ein Beispiel zur Erklärungstiefe. Frage: Warum ist die Straße nass? Erklärung: Weil es gerade geregnet hat. Frage: Warum regnet es manchmal? Erklärung: Rotation der Erde, Abkühlung der Nachtseite, Erhitzung der Sonnenseite, Partialdruck des Wassers in Abhängigkeit von der Temperatur u.s.w. Die Erklärung, weil der liebe Gott es manchmal regnen lässt, bringt keinen Erkenntnisgewinn, sondern täuscht diesen allenfalls vor, wobei ich durchaus eingestehe, dass eine Täuschung im Licht der Evolution durchaus sinnvoll sein kann. Aber aus der nassen Straße einen Bezug zum Stammesgott der Israeliten herzustellen, halte ich für unwissenschaftlich bis absurd.

    Wie lässt sich ein Gemälde oder ein Musikstück „erklären“? Wir suchen also nach einer Erklärung was ein Gemälde/Musikstück ist und wie sich seine Wirkung auf Menschen erklären lässt. Unser Vorhaben wird sicherlich eine außerordentliche Erklärungsbreite und –tiefe benötigen. Zunächst müssen wir uns mit Information, (Un)Ordnung und mit Harmonie beschäftigen. Zu beiden Themen haben Physik und Psychologie Erklärungen anzubieten. Eine Erklärung der Theologie ist mir dagegen unbekannt. Zur Wechselwirkung von Kunst und Mensch hat die Psychologie Erklärungen anzubieten, wobei sie sich völlig zu Recht bemüht, in der Erklärungstiefe möglichst lange auf Biochemische Argumente zurückzugreifen. Je größer die Erklärungstiefe geht, das gestehe ich Dir gerne zu, lieber Michael, umso dringlicher wird eine transzendente Erklärung.

    Die Entstehung des Lebens und der Arten benötigt aber keine transzendente Erklärung und keinen Rückgriff auf den sogenannten „Lieben Gott“. Oder können Sie sich einen Physiker vorstellen, der davon ausgeht, dass der liebe Gott den Planeten immer mal wieder ein Schübserchen mittels der Himmelmechanik gibt, damit diese auf gekrümmten Bahnen laufen können und nicht zusammen stoßen? Der Begriff „Gott“ sollte, wenn überhaupt, auf einer ganz anderen Abstraktionsebene eingeführt werden.

    mfg
    Luchs

  8. Luchs: „Es bleiben die sumerisch-semitischen Schöpfungsmythologien, wie sie z.B. Teile der Bibel geworden sind. Viele der mythologischen Aussagen sind nun aber mit den Erkenntnissen der Evolution NICHT vereinbar. Es gibt z.B. länger flugunfähige Gliederfüßer auf der Landmasse der Erde, als flugfähige Gliederfüßer. Ebenso gibt es länger flugunfähige Chordatiere auf der Landmasse der Erde, als flugfähige Chordatiere. Nennenswertes Licht auf der Erde, gab es ganz bestimmt nicht, bevor die Sonne ihre Aktivität aufgenommen hatte, und höhere Pflanzen gab es auch ganz bestimmt nicht, bevor die Sonne ihre Aktivität aufgenommen hatte.“
    Michael: „Denn selbstverständlich liest Dobzhansky die Bibel nicht als naturwissenschaftliches, sondern eben als religiöses Buch, was er auch ausdrücklich so schreibt. Vielleicht ist es ja für manche Leute immer noch neu: Aber nicht jeder Christ (nicht einmal die meisten) lesen ihre Bibel fundamentalistisch (und schon Augustinus riet ausdrücklich davon ab!). Überraschend, nicht?“

    Lenke bitte nicht vom Thema ab. Es geht um die Reihenfolge bzw. eine zeitliche Ordnung. Wenn die Religion einen Anspruch auf Wahrheit erhebt, dann muss die Reihenfolge des Auftretens der Naturphänomene in der naturwissenschaftlichen und der religiösen Beschreibung übereinstimmen. Da dies nicht der Fall ist, kann die religiöse Beschreibung überhaupt keinen Wahrheitsanspruch erheben – keinen naturwissenschaftlichen Wahrheitsanspruch, keinen ingenieurwissenschaftlichen, keinen mythologischen und keinen religiösen Wahrheitsanspruch. Religion ist in demselben Maße wahr, wie ein Windstoß eine Masse hat.

    mfg
    Luchs

  9. @ Luchs: Danke!

    Lieber Luchs,

    es geht voran!

    Du hast im Bezug auf Musik und Kunst schon mal anerkannt:

    Zunächst müssen wir uns mit Information, (Un)Ordnung und mit Harmonie beschäftigen. Zu beiden Themen haben Physik und Psychologie Erklärungen anzubieten. Eine Erklärung der Theologie ist mir dagegen unbekannt. Zur Wechselwirkung von Kunst und Mensch hat die Psychologie Erklärungen anzubieten, wobei sie sich völlig zu Recht bemüht, in der Erklärungstiefe möglichst lange auf Biochemische Argumente zurückzugreifen. Je größer die Erklärungstiefe geht, das gestehe ich Dir gerne zu, lieber Michael, umso dringlicher wird eine transzendente Erklärung.

    Genau. Und ein Hinweis: Ich bin kein Theologe, sondern Religionswissenschaftler. Und wir erforschen Religion(en) eben ganz genau so wie Musik- oder Sprachwissenschaftler Musik oder Sprache. Und natürlich interessieren uns die basalen Grundlagen – aber aus Physik, Chemie und Genetik alleine lassen sich Jazz oder Französisch nicht ableiten. Auch dann nicht, wenn wir sie als völlig innerweltliche Phänomene erforschen! Sie haben ihre je einzigartige Geschichte, benötigen eine nicht-reduzierbare “Erklärungsbreite” und sind verschiedensten Deutungen zugänglich.

    Ich würde mir einfach wünschen, dass man Religiosität und Religionen mit der gleichen Seriosität diskutiert wie Musikalität und Musiken. Selbst wenn wir keine “transzendenten Erklärungen” für die basale Beschreibung von Phänomenen brauchen, heißt das noch nicht, das wir solche Deutungen anderen absprechen können.

    Mit Ludwig Wittgenstein ausgedrückt: “Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.”

    Und auf dieser Basis können auch Naturwissenschaftler wie Theodosius Dobzhansky selbstverständlich theistisch (gottgläubig) sein, “ohne” empirische Wissenschaft und Religion zu verwechseln!

  10. @ Luchs: Rückfall? 🙂

    Lieber Luchs,

    nun hast Du wieder einen Schritt rückwärts gemacht:

    Wenn die Religion einen Anspruch auf Wahrheit erhebt, dann muss die Reihenfolge des Auftretens der Naturphänomene in der naturwissenschaftlichen und der religiösen Beschreibung übereinstimmen. Da dies nicht der Fall ist, kann die religiöse Beschreibung überhaupt keinen Wahrheitsanspruch erheben – keinen naturwissenschaftlichen Wahrheitsanspruch, keinen ingenieurwissenschaftlichen, keinen mythologischen und keinen religiösen Wahrheitsanspruch. Religion ist in demselben Maße wahr, wie ein Windstoß eine Masse hat.

    Wieder ziehst Du religiöse (mythologische!) Aussagen auf die Ebenen naturwissenschaftlicher Hypothesen! Und warum nur die Bibel? Dobzhansky schreibt in seinem Essay (den Du gelesen hast?) z.B. ausdrücklich auch vom Koran. Wie kommst Du darauf, er würde einen Sieben-Tage-Kreationismus vertreten? Es gibt Tausende Schöpfungsmythologien auf diesem Planeten – und die wenigsten wurden jeweils mit dem Anspruch formuliert, “naturwissenschaftlich” zu sein!

    Um Dein Lieblingsbeispiel (Warum war die Straße nass?) anzusprechen. Wenn jemand darauf antwortet: “Die Straße war nass, damit ich im Wasser das Glitzern der Sterne erblicken konnte, als ich traurig nach Hause ging. Da erkannte ich, wie schön das Universum auch sein kann, wenn der Blick gedrückt ist. Ich atmete auf und dankte Gott dafür. Deswegen war die Straße nass.” so ist das KEINE naturwissenschaftliche Hypothese, sondern eine poetisch-religiöse Aussage! Und ob tatsächlich “deswegen” die Straße nass war, wird der Dichter vielleicht nie, in diesem oder in einem nächsten Leben erfahren – es sprengt den Rahmen von Physik und Chemie. Wie auch schon jedes Gemälde, jedes Musikstück, jede Sprache – und natürlich jede Religion.

  11. “schöpferische” statt inivid. Vernunft

    Hallo Herr Dr. Blume,

    1. Weder erhebe ich einen Anspruch, noch ist Sterilisation oder Vereinheitlichung Ziel meiner Überlegungen. Sie wollen nur Anstöße geben, die bilbischen Gründergestalten und damit auch die Grundlage des Glaubens in Auswertung des heute vorhandenen Wissens mit aufgeklärten Augen zu hinterfragen.

    Ist es nach dem was wir wissen noch haltbar, die als hochtheologisch/-philosophisch nachgewiesenen Texte des Anfangs, die in jeder Zeile bzw. Darstellung eine Bedeutungsaussage verpacken, als Mythenmix von einem groooßen Geheimnis zu lesen, wie wir heute den Glauben betrachten bzw. den Gottesbegriff hin und her wenden?

    “Wer einen Hammer in der Hand hat, für den ist alles ein Nagel!”:

    Die Religiösen sagen dann, dass an diesem Nagel das Heil der Welt hängt, heutige Religionswissenschaftler rechnen… und Aufklärungs-Atheisten schlagen drauf und versenken.

    Doch wenn wir auswerten, was wir wissen, was uns Gott in der Evolution/Schöpfung gegeben hat, können wir dann weiter das antike Denken auf einen Nagel bzw. Guru reduzieren, der als göttliches Wunder gesehen bzw. verherrlicht worden sei und dem daher alte Geheimisse, Mythen… angedichtet wurden?

    Selbst der Papst, auch wenn er als Führer der Kirche dies derzeit noch nur dogmatisch belegen kann, weist die “schöpferische Vernunft” als biblisches und damit als das geschichtlich wirksame Wesen nach, weist auf den Logos, die philosophisch-monistisch erfasste Vernunft hin.

    Es ist sicher richtig, dass monistisch Theorien, Ideenlehren… wirkungslos sind für die kulturelle Gemeinschaft. Das scheint mir auch der Grund, warum die vom jüdischen Monotheismus begeisterten griechischen Glaubensaufkläer nicht weiter in stoischer Form die Vernunft selbst vergotteten, sondern darin den philophisch erfassten wahren Gottessohn (irdische Vermittlung schöpferischen Willens)sahen, ihm eine kultgerechte Gestalt gaben, die Geschichte machte, wirksam war.

    Die individuelle, nur vom Menschen ausgehende Vernunft, scheint mir ohne den “schöpferischen” Bezug zu kurz zu greifen. Genau das bewegt mich. Nur zu wissen, was vernünftig, ökologisch oder ökonomisch nachhaltig bzw. zukunftsoptimierenden und damit evolutionstauglich wäre, wie es täglich in der Zeitung steht, reicht nicht. Das hat die Zeit gezeigt, ist in der heutigen Entwicklung deutlich zu beobachten.

    Doch warum soll eine aufgekärte, alte Grenzen überschreitende Wahrnehmung “schöpfericher Offenbarung” und damit auch “schöpferischen Willens” genau dort, wo uns heute auf universale Weise die Welt erklärt wird, wir darüber nachdenken, was auch sozial für die Weltgemeinschaft und damit unsere Kinder nachhaltig wäre, eine sterile Vereinheitlichung sein?

    2. Fundamentalismus: was ist das wahre Fundament?

    Wer wie ich davon ausgeht, dass am Anfang im Wort/Verstand, d.h. eine echte Offen-barung in Vernunft/in Weltrealität erkannter schöpferischer Weisheit war, für den ist das Fundament der Bibel kein geheimnisvoll in 7 Tagen oder sonst wundervoll wirkender Zambano, als der nach wie vor der Gottesbegriff (Erklärung für Unerklärlichkeiten, Übernatürlichkeiten) gebraucht wird.

    Für den lässt sich auch nur in heutiger Welterkärung über Schöpfung und Offenbarung nachdenken. Genau wie dies Dobzhansky tut. Wie er sich als echter “Kreationist” bezeichnet, so gehe ich davon aus, dass die Bibel in aufgeklärter Weise, anknüfend an die allegorische Lesweise des Anfangs in ganz neuer Weise “fundament-alistisch” verstanden werden kann: Ein Fundamentim Licht er Evolution.

    3. Vernunft/evolutionärer Logos kein Gottesersatz:

    Wie bereits versucht zum Ausdruck zu bringen, nimmt der Sohn nicht die Rolle des Vaters/Vätergottes ein, offenbart das Wort nur den Wille des selbst unsagbaren Sprechers.

    Die Frage nach dem Wesen des Logos, um die wie ich denke, auch am Anfang des Christentums heftig gestritten wurde, lässt sich heute nur im Licht des vernünftigen Denkens lösen, nicht mehr dogmatisch.

    In kreativer Weiterentwicklung des kulturellen Geschehens kann der Logos nicht die Rolle des bekannten Gottes einehmen, bedarf es einer eigenen Person (Rolle, Aufgabe), die auch weiterhin persönlich angesprochen werden muss. Das kollektive, wie das individuelle Bewusstsein ist auf bekannte Bilder angewiesen, die in vollem Bewusstsein ihrer Bedeutung weitergeführt werden.

    Was spricht dagegen, so in aufgeklärter Weise die Wirk-lichkeit des altbekannten Gottes in der realen Welt wahrzunehmen? In evolutionsbiologischer Weltbeschreibung eine schöpferische Bestimmung zu verstehen, damit den universalen schöpferischen Willen in dem wahrzunehmen, was heute als Zukunftstauglich bzw. weltvernünftig zu erkennen ist?

    Mir ist bewusst, dass bisherige Glaubensvorstellungen dagegen sprechen. Auch der Brief an den Papst nach der Veranstaltung zum Thema Evolution mit Ihnen im Vorjahr, in dem ich den Vertreter der schöpferischen Vernunft aufforderte, diese bzw. den historischen Jesus dort zu suchen, wo uns die Wissenschaft die Welt erklärt, musste ins Leere gehen.

    Doch warum sollten Denker, wie Dobžhansky und seine Verehrer, die in alten Glaubensvorstellungen nicht gefangen sind, nicht den Anstoß zu einem Hören des schöpferischen Wortes im natürlichen Werden der Welt geben können?

    Gerhard Mentzel

  12. Ebenen vermischt? / Grenzüberschreitung

    Da Menschen geborene Dualisten sind (Pascal Boyer: Et l’homme crea les dieux) fühle ich mich als (vorläufiger und fast verzweifelt de Chardin/Dowd/Mystikern glauben wollender) Atheist auf der Seite der Minderheitler, der ‘Weltlicheren’ und auch auf der Seite der naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorie. Also auf der Seite von Luchs.

    Ich finde, dass unterm Strich – zunächst einmal gefühlsmäßig (Vorsicht: Truthiness) – besonders die christlich-triumphalistische Position als die freche, die Grenzen überschreitende. Auch psychologisch gesehen ist Spiritualität von Natur aus eine Grenzüberschreitung. Man denke an den Mystiker, der die Welt in einem Sandkorn sieht. Das könnte man als die “maximale Ausdehnung” eines Einzelmenschen bezeichnen. Die totale Eingemeindung sozusagen (psychologisch sozusagen die totale Projektion – schlecht für die Partnerschaft und die Ehe;-) ). Da finde ich Humor, ja auch beißenden Spott, durchaus natürlich und manchmal sogar notwendig. (Das gehört eigentlich in den Thread zum Spott der Atheisten…) Wahrscheinlich gehört es aber andererseits zur erfolgreichen Evolution der Religion dazu, Grenzen zu überschreiten, alles aufzusaugen (mythengeschichtlich und auch sonst)… so wie es möglicherweise seit Jahrtausenden zu den Areligiöseren gehört, nicht nur mitzulaufen, sondern auch mal laut zu lachen. (Wie messbar tolerant sind die Religiöseren eigentlich dafür?)

    Meine Hauptdenkkrücke im Dickicht der Wahrheiten ist momentan die Kohärenz der (auch rein persönlichen) Beobachtungen: Was ist ‘wirklicher’ – Traum oder Wachzustand? – Der Wachzustand, da er die kohärentere und daher plausiblere Geschichte liefert.

    Ganz unten unterm letzten Strich finde ich, dass alle recht haben, einschließlich aller Extreme. Es gehört alles zum Menschlichen dazu. – Vielleicht ist diese Jing-Jang-Sicht eine Basis dafür, über den moralischen Intuitionen (und häufig geht es auch bei religiösen und spirituellen Dingen ja auch darum) zu stehen und sich darüber klarer zu werden, was der Mensch sei.

  13. @ Theo: Danke! 🙂

    Lieber Theo,

    danke für den Beitrag inkl. Einführungssatz, der m.E. die Debatte schön auf den Punkt bringt:

    Da Menschen geborene Dualisten sind (Pascal Boyer: Et l’homme crea les dieux) fühle ich mich als (vorläufiger und fast verzweifelt de Chardin/Dowd/Mystikern glauben wollender) Atheist auf der Seite der Minderheitler, der ‘Weltlicheren’ und auch auf der Seite der naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorie. Also auf der Seite von Luchs.

    Wir sprechen hier plötzlich von “Gefühlen”, von “Seiten” – und dann von der “naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorie”. Und genau das halte ich für so problematisch bzw. manchmal auch frustrierend.

    Wahrscheinlich würde kein ernsthafter Mensch Sprachen, Dichtung, Malerei oder Musik einfach mit Physik oder Chemie weg-erklären wollen. Bei der Religion aber fühlen (!) sich sehr viele auf Seiten (!) der Naturwissenschaft (!) wenn sie genau das tun – dabei völlig die Ebenen verwechselnd.

    Dagegen würde ich mir wünschen, dass Religiosität und Religionen einfach mit der gleichen Ernsthaftigkeit erforscht und diskutiert werden wie die anderen, o.g. Phänomene des Menschseins auch: Sie sind nun einmal da, beobachtbar da, von der schlichten Bäuerin im Allgau bis zum Nobelpreisträger. Das zu verstehen sollte doch das gemeinsame Interesse sein!

    Gott wird man durch Naturwissenschaft ohnehin weder beweisen noch widerlegen können – warum also immer wieder diese Reduktionismen, wie sie keiner gegen Sprachen, Musiken oder Kunstwerke vorbringen würde?

    Dobzhansky habe ich vorgestellt, weil er sehr schön aufzeigt, dass 100% naturwissenschaftliche Erklärungen und religiöse Deutungen auch bei den Besten der Wissenschaft nebeneinander existieren können. Aber anstatt dieses interessante Phänomen an sich (es geht auch für Top-Wissenschaftler) zu erkunden und zu erörtern, ging es plötzlich darum, ob Dobzhansky überhaupt wisse, wovon er schrieb. Das scheint mir in der Tat mehr mit Gefühlen und emotionaler Parteiung (für oder gegen Religion) zu tun zu haben als mit dem Versuch, beobachtbare Phänomene wissenschaftlich zu verstehen. Und das finde ich schade.

  14. @Michael Blume / Gefühle

    Ich stimme fast völlig zu. Bevor ich aber sachlicher werden kann, muss ich mir möglichst genau klar werden, dass ich auch in wissenschaftlicheren Denk-Anwandlungen Gefühlen und moralischen Intuitionen unterliege. (Moral hat viel mit Gefühl zu tun, mit der eigenen Familiengeschichte wohl auch…). In diesem Zusammenhang ist es, wichtig, auch in den Mokassins anderer gehen zu können. Das Blöde dabei ist nur, dass die Erlebnisse des jeweils anderen (besonders bei religiösen/spirituellen Erlebnissen) nicht so leicht nachvollzogen werden können. (Liegt also die ‘Toleranz-Last’ immer bei den religiös Begabten? Hmmh.) Oder geht es lediglich um den Grad des Ausschlags in eine Richtung?

    Es bleibt aber dabei: Wichtig ist es, wie mir scheint, genau über seine eigenen moralischen Intuitionen Bescheid zu wissen. Dazu hilft z. B. Jonathan Haidt (http://www.youtube.com/watch?v=vs41JrnGaxc ; http://people.virginia.edu/~jdh6n/). Für beide Seiten. Von wegen moral high ground. – Wie high sind beide Seiten eigentlich. – Wie high bin ich? (Wie Ähnlich sehe ich dem ‘Wahrheitsfanatiker’ Dawkins …?)

  15. reden wir aneinander vorbei?

    Lieber Michael,

    entweder reden wir immer noch gründlich aneinander vorbei, oder Du willst mich provozieren. Du schreibst z.B.:
    „Wie kommst Du darauf, Dobzhansky würde einen Sieben-Tage-Kreationismus vertreten?“

    Wie kommst Du auf den Gedanken, ich würde ihm dies unterstellen? Also noch einmal. Der Aussage „Dieser Apfel ist schwer“ lässt sich nur sehr bedingt ein Wahrheitswert zuordnen. Ebenso lässt sich der Aussage „Und Gott schuf große Walfische“, nur sehr bedingt ein Wahrheitswert zuordnen. Anders ist es bei folgenden Aussagen. Der Aussage „Der Apfel A ist schwerer als Apfel B“ lässt sich problemlos ein Wahrheitswert zuordnen, der zumeist mit Hilfe der Naturwissenschaft ermittelt werden kann. Ebenso könnte der Aussage „Der Apfel A schmeckt besser als Apfel B“ ein Wahrheitswert zugeordnet werden, der sich auch in vielen Fällen mit Hilfe der Naturwissenschaft eindeutig ermitteln lässt. Nun sagen die sumerisch-semitischen Schöpfungsmythologien z.B., „Die ersten Vögel wurden am 5. Tag erschaffen, die ersten Landtiere am 6. Tag“. Dies ist eine Aussage – wenn auch eine religiöse oder mythologische Aussage – der problemlos mit Hilfe der Naturwissenschaft ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann, und dieser Wert ist FALSCH!

    Du schreibst: „Es gibt Tausende Schöpfungsmythologien auf diesem Planeten – und die wenigsten wurden jeweils mit dem Anspruch formuliert, “naturwissenschaftlich” zu sein!“

    Alle Schöpfungsmythologien wurden meines Erachtens von den Naturphilosophen des jeweiligen Kulturraumes mit einem Wahrheitsanspruch formuliert – das war sozusagen frühe Naturwissenschaft. Die moderne Naturwissenschaft ist lediglich ein Werkzeug, um den Wahrheitsgehalt zu bestimmen. Was die biblische Schöpfungsmythologie betrifft, so lässt die Formulierung „da ward aus Abend und Morgen der … Tag“ darauf schließen, dass hier ganz genau irdische Tage gemeint sind und nichts anderes. Die biblische Schöpfungsmythologie wurde Jahrtausende lang als wahr betrachtet. Erst seit einigen Jahrzehnten bis Jahrhunderten versuchen die Gläubigen die Aussagen so zu interpretieren, dass sie keinen Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Aussagen bilden. Dieser Versuch gleicht einem Schachspieler, der einen Zug vor dem Schachmatt seinem Gegner ein Armdrücken anbietet, um die Partie doch noch irgendwie remis zu halten.

    Du schreibst: „Um Dein Lieblingsbeispiel (Warum war die Straße nass?) anzusprechen. Wenn jemand darauf antwortet: “Die Straße war nass, damit ich im Wasser das Glitzern der Sterne erblicken konnte, als ich traurig nach Hause ging. Da erkannte ich, wie schön das Universum auch sein kann, wenn der Blick gedrückt ist. Ich atmete auf und dankte Gott dafür. Deswegen war die Straße nass.” so ist das KEINE naturwissenschaftliche Hypothese, sondern eine poetisch-religiöse Aussage! Und ob tatsächlich “deswegen” die Straße nass war, wird der Dichter vielleicht nie, in diesem oder in einem nächsten Leben erfahren – es sprengt den Rahmen von Physik und Chemie. Wie auch schon jedes Gemälde, jedes Musikstück, jede Sprache – und natürlich jede Religion.“

    Ich hatte schon geschrieben, dass gerade die Physik sehr sehr viele Aussagen zu Kunst, bzw. Information, (Un)Ordnung und Harmonie machen kann. Auch die Auswirkungen eines Kunstwerks auf den Menschen, lässt sich bis in eine erhebliche Erklärungstiefe rein naturwissenschaftlich beschreiben. Die Psychologie kann heutzutage gut erklären, wie Religionen entstehen, wie sie sich entwickeln und warum ein Mensch, einmal in einem bestimmten Religionssystem erzogen, sich lieber das Gehirn verrenkt, als die Falschheit des Religionssystems zu akzeptieren.

    mfg
    Luchs

  16. @ Theo: Ja 🙂

    Lieber Theo,

    ja, so sehe ich das auch. Wahrscheinlich ist es einfach für die meisten Menschen schwieriger, bei der Diskussion von Religion(en) die fachliche Analyse vor die eigenen Erfahrungen und Emotionen zu stellen. In der Religionswissenschaft ist das Teil des Studienweges – hier wird Thema für Thema und Seminar für Seminar genau diese Unterscheidung eingeübt, zumal dabei Leute mit völlig unterschiedlichen, persönlichen Haltungen zusammen arbeiten. Wer da fanatisch nur seine jeweilige (religiöse, atheistische o.ä.) “Wahrheit” gelten lassen will, kommt nicht weit(er).

    Es ist aber wahrscheinlich richtig, dass man das in allgemeinen Diskussionen über Religion nicht einfach erwarten kann. Manche schaffen, andere wollen es vielleicht auch gar nicht.

  17. @ Luchs: Wahrheitsbegriff?

    Lieber Luchs,

    danke für Deine Darlegungen. Ich will Dir ja auch Deine Weltanschauung nicht nehmen, die ja auch für Dich irgendwie ein geschlossenes System zu ergeben scheint. Ich bitte Dich nur, doch zur Kenntnis zu nehmen, dass es (gelinde gesagt) auch andere Auffassungen gibt – gerade auch unter Wissenschaftlern.

    Sehr schön und zutreffend finde ich z.B. den Satz:

    Alle Schöpfungsmythologien wurden meines Erachtens von den Naturphilosophen des jeweiligen Kulturraumes mit einem Wahrheitsanspruch formuliert – das war sozusagen frühe Naturwissenschaft. Die moderne Naturwissenschaft ist lediglich ein Werkzeug, um den Wahrheitsgehalt zu bestimmen.

    Genau das ist m.E. der Punkt, an dem wir vielleicht weiter kommen. Denn natürlich waren in diesen frühen Gesellschaften die Sphären empirischer Wissenschaft, Religion, Politik, Literatur, Dichtung, Musik etc. noch nicht voneinander getrennt. In einem ganzheitlichen Sinn galten deswegen überlieferte Texte als “wahr”.

    Erst später differenzierten sich die Bereiche und heute können wir unterscheiden, ob ein Text naturwissenschaftlicher, politischer, religiöser, poetischer etc. Art ist. Natürlich sind Bezüge untereinander möglich, aber wenn z.B. der Bundespräsident über die Geltung der Menschenwürde spricht, so würdest Du (hoffe ich) doch auch nicht empört verkünden: “Menschenwürde und Menschenrechte existieren gar nicht, weil wir sie physikalisch nicht nachweisen können. Für Menschenwürde und Menschenrechte einzutreten ist falsch!”

    Ich nehme an (bzw. hoffe), Du würdest erkennen, dass es hier um eine politische, keine naturwissenschaftliche Aussage geht.

    Ebenso können wir überlieferte Texte in ihrem jeweiligen Kontext sehen – und eine Schöpfungsgeschichte nordamerikanischer Indianer eben als Mythos, Poesie etc. erkennen, erforschen, wie sie das damalige Leben bestimmte (z.B. ein bestimmtes Weltbild prägte) usw. Wer aber einen Blick auf die Überlieferung wirft, meine, sie widerspreche der Physik und sei damit uninteressant, hat von menschlicher Natur und Kultur null verstanden. Gerade z.B. Religionspsychologen, -historiker und Religionssoziologen erforschen diese Phänomene.

    Die naturwissenschaftliche (auch psychologische, soziologische etc.) Erforschung der Religion ist Thema dieses Blogs, Du findest z.B. hier auch Artikel dazu :
    http://www.chronologs.de/…eist.de/artikel/982255

    und, wenn Du magst, ein Sachbuch von Rüdiger Vaas (Biologe, Philosoph) und mir:
    http://www.chronologs.de/…shop.de/artikel/969531

    Wichtig ist dabei nur: Sowenig die naturwissenschaftliche Erforschung von Musikalität und Musiken, Sprachfähigkeit und Sprachen, Kunstfertigkeit und Kunst etwas über die “Wahrheit oder Falschheit” von Musik, Sprache oder Kunst aussagt, so wenig lässt sich über Naturwissenschaft Gottes Existenz beweisen oder widerlegen.

    Darf ich Dich fragen – ? Gibt es Menschenwürde und Menschenrechte? Physikalisch und chemisch sind sie nicht nachweisbar. Sie haben “nur” politische Realität auf der Basis philosophischer und religiöser Herleitungen. Ich hoffe jedoch, dass Du sie deswegen nicht für “falsch” hälst und abschaffen möchtest, sondern als menschliche Lebensäußerung gelten lässt, vielleicht sogar bejahst. Also erkennst, dass materialistischer Reduktionismus weder erkenntnistheoretisch noch pragmatisch haltbar ist.

    Herzliche Grüße!

  18. Lieber Michael,

    Du schreibst: „ Natürlich sind Bezüge untereinander möglich, aber wenn z.B. der Bundespräsident über die Geltung der Menschenwürde spricht, so würdest Du (hoffe ich) doch auch nicht empört verkünden: “Menschenwürde und Menschenrechte existieren gar nicht, weil wir sie physikalisch nicht nachweisen können. Für Menschenwürde und Menschenrechte einzutreten ist falsch!”

    Äh, ich trete für die Menschenrechte aus genau diesem Grund ein, weil sie logisch und sogar naturwissenschaftlich herleitbar sind. Der Mensch ist gemäß seiner Biologie ein soziales Wesen. In sozialen Gemeinschaften muss es Regeln des Zusammenlebens geben, um Konflikte möglichst erst gar nicht aufkommen zu lassen oder im Sinne der Lebensqualität (u.a. der Produktion von Nachkommen) schnell schnell lösen zu können.

    „Ich nehme an (bzw. hoffe), Du würdest erkennen, dass es hier um eine politische, keine naturwissenschaftliche Aussage geht.“

    Ich würde es schlicht als logische Aussage bezeichnen. M.E. hat diese Aussage sehr viel mit Naturwissenschaft zu tun (natürlich auch mit Politik). Nicht umsonst spricht man in der Jurisprudenz von Naturrecht oder überpositivem Recht.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Naturrecht

    „Ebenso können wir überlieferte Texte in ihrem jeweiligen Kontext sehen – und eine Schöpfungsgeschichte nordamerikanischer Indianer eben als Mythos, Poesie etc. erkennen, erforschen, wie sie das damalige Leben bestimmte (z.B. ein bestimmtes Weltbild prägte) usw.“

    Einverstanden.

    „Wer aber einen Blick auf die Überlieferung wirft, meine, sie widerspreche der Physik und sei damit uninteressant,“

    Nicht alles was der Physik widerspricht ist uninteressant, aber jede Aussage, die der Physik wirklich (!) widerspricht, ist falsch. Manchmal widerspricht eine Aussage nur scheinbar der Physik, bzw. heute bekannten und anerkannten Gesetzen der Physik.

    „ … hat von menschlicher Natur und Kultur null verstanden.“

    Stimmt, ein Trugschluss s.o.

    „Gerade z.B. Religionspsychologen, -historiker und Religionssoziologen erforschen diese Phänomene. Die naturwissenschaftliche (auch psychologische, soziologische etc.) Erforschung der Religion ist Thema dieses Blogs, Du findest z.B. hier auch Artikel dazu :
    http://www.chronologs.de/…eist.de/artikel/982255
    und, wenn Du magst, ein Sachbuch von Rüdiger Vaas (Biologe, Philosoph) und mir:
    http://www.chronologs.de/…shop.de/artikel/969531
    Wichtig ist dabei nur: Sowenig die naturwissenschaftliche Erforschung von Musikalität und Musiken, Sprachfähigkeit und Sprachen, Kunstfertigkeit und Kunst etwas über die “Wahrheit oder Falschheit” von Musik, Sprache oder Kunst aussagt, so wenig lässt sich über Naturwissenschaft Gottes Existenz beweisen oder widerlegen.“

    Ich denke schon, dass gerade die Naturwissenschaften sehr viel über Musik, bildende Kunst und Sprache aussagen können. Zur Sprache zwei relativ neue Links
    http://www.wissenschaft.de/…aft/news/305158.html
    http://www.wissenschaft.de/…aft/news/305065.html

    Was wäre z.B. die Harmonielehre der Musik ohne Wellenlehre und Bruchrechnen? Nehmen wir einmal die Gemälde von Hieronymus Bosch (1450-1516) und Leonardo da Vinci (1452-1519). Zeitgenossen und beides großartige Künstler. Aber die Zentralperspektive wurde von Bosch allenfalls intuitiv erfasst. Er hat sich darum bemüht; trotzdem enthalten seine Bilder mitunter perspektivische Fehler. Dagegen hat sich da Vinci um einen naturwissenschaftlichen Ansatz der Zentralperspektive bemüht. Seine Bilder enthalten diese Fehler nicht.

    „Darf ich Dich fragen – ? Gibt es Menschenwürde und Menschenrechte? Physikalisch und chemisch sind sie nicht nachweisbar. Sie haben “nur” politische Realität auf der Basis philosophischer und religiöser Herleitungen. Ich hoffe jedoch, dass Du sie deswegen nicht für “falsch” hältst und abschaffen möchtest, sondern als menschliche Lebensäußerung gelten lässt, vielleicht sogar bejahst. Also erkennst, dass materialistischer Reduktionismus weder erkenntnistheoretisch noch pragmatisch haltbar ist.“

    S.o. Es geht nicht um materialistischen Reduktionismus, sondern um logischen Reduktionismus. Ein Verbot z.B. mit menschl. Chimären zu experimentieren, sollte logisch und nicht religiös begründet werden. Einen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Religion bestreite ich. Wie ließe sich sonst erklären, dass heutzutage in den frommsten Staaten, z.B. Iran, USA und Nordkorea, die Menschenrechte die geringste Gültigkeit haben?

    mfg
    Luchs

  19. Verwechslungen

    @Michael Blume
    Die wissenschafttheoretischen Überlegungenn stimmen. Nur sind die Adressaten die falschen. Der Verwechslung der Ebenen sind in den meisten Fällen die Religiöseren schuldig. Das gilt vor allem für die US-Kreationisten, aber m. E. auch für Kardinal Schönborn, den Papst usw. Die wahren Verhinderer der Erforschung von Religion sitzen ebenfalls in jenem ‘Lager’. Im neuen Atheismus sehe ich eine politische Antwort auf eine politische Herausforderung. Keine erkenntnistheoretische…

  20. @ Theo

    Die wissenschafttheoretischen Überlegungenn stimmen.

    Danke. 🙂

    Nur sind die Adressaten die falschen. Der Verwechslung der Ebenen sind in den meisten Fällen die Religiöseren schuldig.

    Naja, der hier vorgestellte Dobzhansky war ebenso religiös wie auch Alfred Russel Wallace, Francis Collins u.v.m. Und alle diese haben die Evolutionsforschung voran gebracht. Es war hier ja der religionskritische @Luchs, der Dobzhansky posthum erkenntnistheoretisch belehren wollte. Also habe ich mit ihm “als Adressat” diskutiert.

    Das gilt vor allem für die US-Kreationisten, aber m. E. auch für Kardinal Schönborn, den Papst usw. Die wahren Verhinderer der Erforschung von Religion sitzen ebenfalls in jenem ‘Lager’.

    Ich bin oft davor gewarnt worden, dass es so sei. Aber meine Erfahrungen sind bisher andere. So habe ich über meine Forschungen mehrfach auch vor religiösem Publikum vorgetragen – und es wurde oft kontrovers, aber stets fair diskutiert. Ich war mehrfach in katholischen und evangelischen Akademien, bin kommende Woche wieder bei einer jüdischen Gemeinde usw. Auch wenn die Leute im Bezug auf die Evolutionstheorie manchmal Bedenken haben, können sie damit meist umgehen.

    Wirklich üble Angriffe, Beschimpfungen und auch Nachstellungen habe ich dagegen vor allem online von sog. “neuen Atheisten” ohne biologische oder religionswissenschaftliche Fachkenntnisse erlebt, so dass ich diesen Blog schließlich moderieren musste. Auf der Kommentarspalte zur YouTube-Fernsehdebatte kann man wunderbar sehen, wie fair es sich z.B. einerseits mit Michael Schmidt-Salomon diskutieren ließ und wie persönlich, beleidigend und mit welchen Fantasien atheistische Extremisten sich danach seitenweise und im Rudel “äußerten”:
    http://www.youtube.com/watch?v=Lsdx1cRSR8s

    Die meisten dieser Atheisten halten sich wohl selbst für rational und wissenschaftlich-aufgeklärt, naja… Fast noch trauriger fand ich es aber, dass keiner mal seinen Mit-atheisten widersprochen oder den Unterschied zwischen Religionswissenschaft und Theologie(n) erläutert hätte. Da bin ich schon froh, in einem Land zu leben, in dem solche Ideologien nicht regieren.

    Auch im Hinblick auf atheistisch legitimierte Ideologien wie sie im ehemaligen Ostblock, Nordkorea etc. herrsch(t)en kann man m.E. doch erkennen, dass dort freies Forschen viel weniger möglich war als z.B. in den USA, Israel, Indien oder Deutschland, auch wenn diese von religiösen Menschen regiert wurden.

    Mein persönliches Fazit lautet also: Radikale aller Seiten (also Atheisten wie Religiöse) haben immer dann ein Problem mit Wissenschaft, wenn ihnen die Befunde nicht in die Weltanschauung passen. Und sie verhalten sich dann auch sehr ähnlich.

  21. Gibt es Menschenwürde und Menschenrechte? Physikalisch und chemisch sind sie nicht nachweisbar.

    Die Geschichte beweist doch recht eindrücklich, dass es Menschenwürde und -rechte nicht “gibt”, sie keine Auswirkung oder Existenz haben, solange niemand daran glaubt. Sie sind also reines Konzept menschlichen Geistes (wie, so behaupten ja manche, Gott eben auch). Man kann also gerne darüber streiten ob Menschenrechte nützlich oder gewollt sind, aber wenn man über die Existenz redet, sollte man klar machen, dass man damit eben die Idee von Menschenrechte meint — es sei denn man vertritt ein Weltbild, in dem es auch ohne jeden Mensch noch Menschenrechte gäbe.

    Der Schluss auf den Reduktionismus oder auf den Naturalismus geht daher schlicht an der Sache vorbei, denn der bestreitet nicht, dass in Gehirnen Konzepte emergieren, und der Naturalismus ist sehr wohl “erkenntnistheoretisch und pragmatisch haltbar”, nur eben nicht in einer verzerrten Version, die Menschen alles abspricht, was wir unter Geist verstehen.

    Ich sehe übrigens gar keine prinzipielle Hinderung, warum man nicht physikalisch-chemisch darüber Aussagen machen könnte, ob jemand an Menschenrechte glaubt.

    Aber noch hierzu:
    Wahrscheinlich würde kein ernsthafter Mensch Sprachen, Dichtung, Malerei oder Musik einfach mit Physik oder Chemie weg-erklären wollen.

    Eine Erklärung ist keine Weg-Erklärung, aber klar bin ich daran interessiert (als ein Endziel eines guten Teils der Wissenschaft), für Sprachen, Dichtung, Malerei und Musik eine physikalisch-chemische Erklärung zu haben. Das Bewusstsein und seine Inhalte und ihre Verknüpfungen zu verstehen ist doch faszinierend, und etwaige Vorbehalte, dabei das Magische zu zerstören, muss ich doch nicht teilen, wenn ich es nicht brauche.

  22. @ Luchs

    Vielen Dank für Deinen Beitrag!

    Du leitest Menschenrechte funktional her: Der Mensch ist gemäß seiner Biologie ein soziales Wesen. In sozialen Gemeinschaften muss es Regeln des Zusammenlebens geben, um Konflikte möglichst erst gar nicht aufkommen zu lassen oder im Sinne der Lebensqualität (u.a. der Produktion von Nachkommen) schnell schnell lösen zu können.

    Aber darf ich Dich darauf aufmerksam machen, dass genau diese Funktionen (Legitimation von sozial stabilisierenden Regeln und hoher Nachkommenschaft) Jahrzehntausende über Religion(en) erfolgte, bevor es die Sphären von Recht und Staat überhaupt gab? Genau deswegen ist der Mensch nicht nur zu ein sozial, sondern auch zu einem religiös begabten Wesen evolviert! Wenn man aber Deiner Argumentation folgen wollte, wonach sich sogar postulierte Existenzen aus ihrem biologischen und sozialen Nutzen “naturwissenschaftlich herleiten” lässt – wäre man dicht bei einem Gottesbeweis!!! Ich wäre da erkenntnistheoretisch vorsichtiger! 😉

    Aber, sei es drum – Deine persönliche Weltanschauung kann ich ja, wie geschrieben, respektieren. Es stört mich nur, dass Du ernsthaft behauptest (vielleicht sogar glaubst), Du könntest damit für “die (Natur-)Wissenschaft” sprechen. So schreibst Du:
    ich trete für die Menschenrechte aus genau diesem Grund ein, weil sie logisch und sogar naturwissenschaftlich herleitbar sind.

    Einen Kommentar später findest Du @Kamenin, promovierten Physiker, einen sehr, sehr klugen Kopf und i.Ü. mindestens so religionskritisch und streitbar wie Du. Und er schreibt:
    Die Geschichte beweist doch recht eindrücklich, dass es Menschenwürde und -rechte nicht “gibt”, sie keine Auswirkung oder Existenz haben, solange niemand daran glaubt. Sie sind also reines Konzept menschlichen Geistes (wie, so behaupten ja manche, Gott eben auch).

    Ihr seid herzlich eingeladen, das miteinander weiter zu diskutieren. Sind Menschenrechte “nur Konstrukt” (Kamenin)? Oder werden sie auch über Naturwissenschaft & Logik “herleitbar” (Luchs)?

    Beide Haltungen sind erkenntnistheoretisch auf Basis ähnlicher Vorannahmen möglich – im Bezug auf Menschenwürde, Gott u.v.m. Das einfach mal zu akzeptieren wäre doch schon ein enormer, erkenntnistheoretischer Fortschritt! 🙂

  23. @ Kamenin: Ja!

    Lieber Sven,

    ja, Deinem Beitrag kann ich so fast völlig zustimmen. Ich würde nur die erkenntnistheoretische Demut noch etwas stärker akzentuieren: Wir wissen nicht, ob “Menschenrechte” nicht doch in einer noch zu entdeckenden Weise “existieren”, das mit philosophischer oder religiöser Begründung zu glauben kann man daher keinem verbieten. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes leiten daher ja auch ein: “In Verantwortung vor Gott und den Menschen…”. Und möglicherweise hat ja auch @Luchs Recht, dass man Menschenrechte irgendwie “naturwissenschaftlich herleiten” kann – was wir beide wohl so direkt nicht sehen. Aber Wissenschaft ist nun mal ein erkenntnisoffener Prozess mit vielen Möglichkeiten.

    Ansonsten von mir: 100% Zustimmung, gerade auch zum hervorragenden, letzten Absatz!

    Herzliche Grüße!

  24. Ich sehe Luchs Aussagen gar nicht so sehr in Widerspruch zu meinen. Dass man die Idee (und dann von mir aus Notwendigkeit) von Menschenrechten logisch und damit vielleicht auch naturwissenschaftlich herleiten kann, halte ich für debattierbar, aber nicht für falsch. Aber das ist etwas anderes, als zu behaupten, dass es eine physikalische Entität Menschenrechte außerhalb menschlicher Gehirne geben müsste, weil ansonsten der physikalische Reduktionismus darüber nichts aussagen könnte.

    Wir wissen nicht, ob “Menschenrechte” nicht doch in einer noch zu entdeckenden Weise “existieren”, das mit philosophischer oder religiöser Begründung zu glauben kann man daher keinem verbieten.

    Es wird ja auch keinem -verboten-. Gleichzeitig muss ich es nicht für plausibel halten, sondern kann fragen, welche Hinweise wir darauf finden können und wie plausibel die Annahme ist. Nur weil eine Annahme als philosophisch oder religiös gekennzeichnet wird, gelten keine anderen Beurteilungskriterien hinsichtlich ihrer Richtigkeit. Je ernster man Philosophie und Theologie nehmen will, um so mehr muss man die brutalen Aussortierungskritierien an Argumentation und Schlussfolgen auf die anwenden, die die Naturwissenschaften so überaus erfolgreich machen. Wenn man die an poetischen Kriterien misst, wird man auch nur Poesie zurückbekommen. Dann erfährt man im besten Fall einiges über den Menschen und seine Bedürfnisse, aber immer noch nichts über Gott und die Welt.
    Dabei bin ich der letzte, der was dagegen hätte, Religion als Poesie zu behandeln (dann aber auch nicht als mehr als das).

    Um das mit dem Erklären/Wegerklären zu präzisieren: das Phänomen verschwindet durch die Erklärung nicht, aber es werden natürlich eine Menge falscher physikalischer und metaphysischer Annahmen damit wegerklärt. So wie die Phlogistontheorie heute wegerklärt ist und mit der Einordnung der Erde als kleinem Dreckball am unspektakulären Rand des Universums eine Menge metaphysischer Annahmen weggefallen sind, die auf der ausgezeichneten Position der Erde begründeten. Du wirst es wahrscheinlich nicht furchtbar überraschend finden, aber für mich ist theistische Evolution ungefähr so plausibel und erkenntnistheoretisch gerechtfertigt wie eine theistische Gravitation oder theistische Stoßgesetze.

    Besten Gruß,
    k.

  25. @ kamenin: D’accord! 🙂

    Lieber Sven,

    danke für den Text, dem ich gar nicht widersprechen mag. Denn letztlich ist ja der Rohstoff der biokulturellen Evolution immer die Vielfalt: Schon deswegen fände ich es schrecklich, wenn alle in allem einer Meinung wären! Mir reicht es völlig, wenn Menschen verschiedener Religion(en) und Weltanschauungen in Frieden und Respekt zusammen leben, freundschaftlich wetteifern und ggf. auch voneinander lernen. Dann klappts ggf. auch mit dem Entdecken von Wahrheiten. 🙂

  26. Lieber Michael,

    Du schreibst: „Ihr seid herzlich eingeladen, das miteinander weiter zu diskutieren. Sind Menschenrechte “nur Konstrukt” (Kamenin)? Oder werden sie auch über Naturwissenschaft & Logik “herleitbar” (Luchs)?“

    Ich denke, dass ist in diesem Zusammenhang gar nicht so wichtig. M.E. muss man Geisteskonstrukte in mindestens 3 Kategorien einteilen.

    1. Die erste Kategorie enthält Konstrukte, die irgendwie in der Struktur des Universums manifestiert sind. Zu dieser Kategorie würde ich z.B. die Zahl Pi rechnen. Ich würde auch die Menschenrechte dazuzählen, weil in fast jeder Gruppe sozial lebender Tierarten irgendwelche Rechte des Individuums existieren.

    2. Die zweite Kategorie enthält Konstrukte, die es ohne den Menschen nicht gäbe. Hierzu rechne ich z.B. musikalische Kompositionen. Wenn ich Kamenin richtig verstanden habe, würde er auch die Menschenrechte zu dieser Kategorie zählen. Kann man durchaus diskutieren.

    3. Die dritte Kategorie enthält Konstrukte, die reine Irrtümer oder Fehler sind. Hierzu rechne ich z.B. Optische Täuschungen, Haptische Täuschungen, …, Denkfehler und logische Fallen. Z.B. betrachten fast alle Menschen ein expotentielles Wachstum irgendwie als Sonderform des linearen Wachstums. Oder nehmen wir mal den Macho unter die Lupe. Der Macho überschätzt seine Wirkung auf Frauen, er überschätzt seine Qualitäten als Liebhaber, seine Penisgröße und Potenz u.s.w., aber gerade diese objektiven Irrtümer machen ihn zum Erfolgsmodell der Evolution. Ein Faschist würde vermutlich auch die Menschenrechte zu dieser Kategorie zählen.

    Die Frage ist nun, zu welcher Kategorie sollte man die Religionen zählen? Ein wichtiger Sortierhinweis ist sicherlich, dass es unzählige Religionen und Religionsmodifikationen gibt, die sich fast alle in wichtigen Aussagen widersprechen. Ich würde deshalb fast alle Religionen Kategorie III zuordnen.

    Nun habe ich mich früher schon als Panentheist geoutet. Warum? Behandelt man die Fragen, wie Materie Bewusstsein erzeugen kann, wie es so etwas wie einen (bedingt) freien Willen und Selbstbestimmung geben kann u.s.w., so kenne ich kein logisch plausibles Konzept, das ohne einen `Urgeist´ auskommt. Ich sehe aber auch die Möglichkeit, dass ich einfach zu unintelligent bin, um solche gottesfreien Konzepte zu verstehen.

    Was aber eine theistische Evolution betrifft, so erscheint mir diese ebenso absurd, wie (Kamenin:) theistische Gravitation oder theistische Stoßgesetze. Wie L. van Beethoven schon gefragt hat: „Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?“ Es gibt schlicht keinen Physiker, der sich vorstellt der liebe Gott gibt den Planeten mit Hilfe der physikalischen Gesetze von Zeit zu Zeit ein kleines Schübserchen.

    mfg
    Luchs

  27. @ Luchs: 3 Kategorien

    Lieber Luchs,

    danke für Deinen letzten Beitrag, den ich wirklich gut fand! Und, ja, man könnte Phänomene wie Menschenrechte, Gott etc. nach diesen oder anderen Kategorien einteilen und über ihre Plausibilitäten diskutieren.

    So habe ich z.B. gerade Robert Wright “The Evolution of God” gelesen, der von einem agnostisch-materialistischen Standpunkt aus die Evolution der Gottesvorstellungen fast analog zu unserer Diskussion sehr kundig und streitbar diskutiert und aus verschiedenen Perspektiven fragt, ob wir es hier nur mit einem Konstrukt oder einer Entdeckung zu tun haben. Es dürfte Dir und @Kamenin wohl gefallen. (Vom Reproduktionsvorteil der Religiosität weiß Wright allerdings noch nichts, obwohl er spieltheoretisch argumentiert.)

    Persönlich glaube ich einfach nicht, dass wir als Menschheit auch nur annähernd genügend Kenntnisse zu haben, um diese Fragen abschließend zu entscheiden. Und philosophische Debatten finde ich nur bis zu einer gewissen Grenze interessant. Wie Du geschrieben hast: Schon bei den Menschenrechten gibt es die Möglichkeit, diese in unterschiedlichsten Kategorien einzuteilen – für Gottesvorstellungen und religiöse Überlieferungen gilt mindestens das Gleiche!

    Deswegen kann ich Äußerungen und Debatten wenig abgewinnen, in denen Andersdenkende vorschnell abqualifiziert werden. Dobzhansky, Collins und viele andere Naturwissenschaftler verorten Gott in einer anderen Kategorie als Du, @Kamenin sieht das Thema wieder anders. Ist deswegen der eine dumm und der andere schlau? Ich würde sagen: Nein, diese Vielfalt der Haltungen ist doch schon an sich interessant, lasst uns forschen! Und DANN, wenn wir mehr wissen, neu diskutieren. Wir sind doch gerade erst dabei zu verstehen – und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit haben wir noch alle Überraschungen vor uns. Wer in jeder Diskussion stets missionarisch Gott beweisen oder widerlegen will, bringt vielleicht die für Religionswissenschaft nötige Geduld einfach nicht auf und sollte lieber Philosophie oder Theologie studieren. 🙂

    Dürfte ich Dich inhaltlich etwas fragen? Wie definierst Du Deine Position, den (agnostischen) Panentheismus?

  28. @ Kamenin: Theistische Gravitation

    Lieber Sven,

    danke für Deine Ausführungen. Nun, die meisten Theisten gehen m.E. davon aus, dass Gott alle Naturgesetze geschaffen habe (bzw. erhält, Formulierungen in den Theologien sprechen z.B. von den “Gewohnheiten Gottes”) – also natürlich auch die Gravitationsgesetze. Die übrigens Newton explizit vor dem Hintergrund seines Gottesglaubens formulierte!

    Erkenntnistheoretisch halte ich es hier mit der klassischen Position: Einerseits soll empirische Wissenschaft auf der Basis des methodologischen Agnostizismus arbeiten, andererseits aber auch ihre Erkenntnisgrenzen bedenken. Vom glühenden Atheisten über den “agnostischen Panentheisten” Luchs bis zum evolutionären Theisten bleibt m.E. genug Freiheit für jeden. Und sowohl das Leben wie die Wissenschaft werden uns ohnehin alle noch mit Erkenntnissen konfrontieren, die wir noch gar nicht absehen können. So, let’s go! 🙂

  29. @ Michael, Luchs

    Ich lehne religiöse Aussagen und Gottesbilder nicht ab, weil ich die Erkenntnisgrenzen der Wissenschaft nicht sehen will, sondern weil ich für Religion nicht so tun will, als gelten die da auf einmal nicht mehr. Dass ich ein Gottesbild so formulieren kann, dass es durch Wissenschaft nicht greifbar wird, ist mir schon klar. Wieso dasselbe Gottesbild dann aber dennoch durch Religion, Gefühle, Wünsche oder Bedürfnisse greifbar sein sollte, scheint mir selbstwidersprüchlich.
    Im Übrigen gibt es kein wie auch immer geartetes Modell oder irgendwas Konkretes, was eigentlich das Theistische an der theistischen Evolution sein soll, nur den teleologischen Wunsch als Vater des Gedanken.

    @Luchs:

    Nichts gegen den Urgeist, bei der grundlegenden Erklärung der Existenz mentaler Phänomene stehen wir ja alle noch auf dem Schlauch. Ich fand’s nur immer plausibler, den Urgeist nicht in einer von der Natur irgendwie getrennten Entität zu suchen (wenn’s auch vielleicht hauptsächlich eine denkkategorische ist, wenn ich den Panentheismus richtig verstehe). Es spricht nichts dagegen, dass der grundlegende mentale Anstoß durchaus Teil der Materie sein kann oder z.B. ihrer Wechselwirkungen, wenn auch natürlich deutlich unterschieden von dem, was wir letztendlich als Bewusstsein erleben. So unterschiedlich, dass wir ihn vielleicht die ganze Zeit schon messen, aber ihn nicht als wie auch immer mental erkennen können, weil uns wir ohne Theorie dafür blind sind.

  30. moralisch zurückgeblieben?

    @Michael und Kamenin

    Michael: „Ist deswegen der eine dumm und der andere schlau? Ich würde sagen: Nein, diese Vielfalt der Haltungen ist doch schon an sich interessant, lasst uns forschen! Und DANN, wenn wir mehr wissen, neu diskutieren.“

    Wir wissen aber heute, dass z.B. die Bibel (wie jedes Heilige Buch einer Schriftreligion) naturwissenschaftliche Fehler, historische Fehler und moralische Fehler enthält. Außerdem ist ein Gottesbild, das einen allmächtigen und allgütigen Gott postuliert, gemäß des Theodizeeproblems nicht haltbar. Wer versucht diese Tatsachen zu leugnen ist m.E. nicht dumm, sondern unmoralisch.

    Kamenin: „Dass ich ein Gottesbild so formulieren kann, dass es durch Wissenschaft nicht greifbar wird, ist mir schon klar. Wieso dasselbe Gottesbild dann aber dennoch durch Religion, Gefühle, Wünsche oder Bedürfnisse greifbar sein sollte, scheint mir selbstwidersprüchlich.“

    Dem stimme ich voll und ganz zu. Ein Gottesbild hat nur da eine Daseinsberechtigung, wo es offene Fragen logisch plausibel beantworten kann. Dabei kann es durchaus sein, dass sich in späterer Zeit die Falschheit herausstellt. Ist das der Fall, hat dieses spezielle Gottesbild dann eben keine Daseinsberechtigung mehr.

    Kamenin: „Nichts gegen den Urgeist, bei der grundlegenden Erklärung der Existenz mentaler Phänomene stehen wir ja alle noch auf dem Schlauch. Ich fand’s nur immer plausibler, den Urgeist nicht in einer von der Natur irgendwie getrennten Entität zu suchen (wenn’s auch vielleicht hauptsächlich eine denkkategorische ist, wenn ich den Panentheismus richtig verstehe). Es spricht nichts dagegen, dass der grundlegende mentale Anstoß durchaus Teil der Materie sein kann oder z.B. ihrer Wechselwirkungen, wenn auch natürlich deutlich unterschieden von dem, was wir letztendlich als Bewusstsein erleben. So unterschiedlich, dass wir ihn vielleicht die ganze Zeit schon messen, aber ihn nicht als wie auch immer mental erkennen können, weil uns wir ohne Theorie dafür blind sind.“

    Welche Ereignisse im Universum gibt es? 1. Materie kann mit anderer Materie wechselwirken. 2. Gemäß der ART können Materie und Energie Raum und Zeit verzerren, jedoch nicht erzeugen. 3. Quantenereignisse die einen Zustandswechsel in einem System bewirken, können ohne Erstursache geschehen. 4. Irgendwie wechselwirken Materie und Bewusstsein miteinander.

    Meiner Ansicht nach kann Materie kein Bewusstsein erzeugen, ebenso wenig wie Materie Raum und Zeit erzeugen kann. Raum, Zeit, Energie und Bewusstein sind Urentitäten. Materie (keine Urentität) kann Bewusstsein, Raum und Zeit nur verzerren. Bewusstsein ist sogar die PRIMA CAUSA, die Raum, Zeit und Energie erst als Urentitäten erzeugt hat. Das Universum ist sozusagen der Traum Gottes. Alles was es im Universum gibt, einschließlich uns Menschen, ist eine Bewusstseinsabspaltung Gottes. Wenn wir Menschen träumen, so ist unser Traum zu dieser Zeit das einzige Universum, das für unser Bewusstsein existiert. Die handelnden Personen in unserem Traum sind nur Abspaltungen unseres Bewusstseins. Trotzdem handeln sie scheinbar autark. Analog sind die Zusammenhänge zwischen Gott und dem Universum als Gottes Traum. Nach unserem Tod können wir wieder ins göttliche Gesamtbewusstsein eingehen oder als weitgehend eigenständige Bewusstseinsabspaltung irgendwie weiter existieren. Gott ist weder allgütig noch allmächtig.

    Natürlich sehe ich die Möglichkeit, dass sich obige Ansicht früher oder später als teilweise oder vollständig falsch erweist. Natürlich sehe ich die Möglichkeit, dass in späterer Zeit Erklärungen erwachsen können, die die Fragen warum überhaupt etwas ist, wie der Zusammenhang zwischen Materie und Bewusstsein ist, wie es überhaupt etwas wie Leben oder selbstbestimmte Aktivität geben kann u.s.w. weit besser beantworten können, als auf obiger Basis. Deshalb bin ich bzgl. dieses Glaubens ein Agnostiker.

    mfg
    Luchs

  31. @ kamenin

    Lieber Sven,

    hmmm, da war die Diskussion schon weiter…

    Ich lehne religiöse Aussagen und Gottesbilder nicht ab, weil ich die Erkenntnisgrenzen der Wissenschaft nicht sehen will, sondern weil ich für Religion nicht so tun will, als gelten die da auf einmal nicht mehr.

    Weiter oben hast Du eingeräumt, dass z.B. poetische Aussagen nicht wissenschaftliche Geltung beanspruchen müssen. Warum religiöse? Woher dieser totalitäre Anspruch, dass sich alle Lebensäußerungen wissenschaftlich beweisen lassen müssen? Poesie, Kunst, Musik, Liebe, Religion – sie alle haben ihre eigenen Regeln und ich bin dankbar, dass sich Dichter, Künstler, Musiker, Liebende und Religiöse entfalten können.

    Im Übrigen gibt es kein wie auch immer geartetes Modell oder irgendwas Konkretes, was eigentlich das Theistische an der theistischen Evolution sein soll, nur den teleologischen Wunsch als Vater des Gedanken.

    Mit der gleichen Argumentation könnten wir auch den Dichter oder die Musikerin “beschuldigen”, die dem Dasein eine Ästhetik abtrotzen, die über die naturwissenschaftliche Beschreibung hinaus geht. Menschen setzen sich seit Jahrzehntausenden mit ihrer Umwelt künstlerisch, musikalisch und religiös auseinander – und das erfolgreich. Das Leben ist einfach größer als seine Physik. Und, ja, ich halte es für möglich, dass Dichter, Künstler, Musiker, Liebende und Glaubende tatsächlich etwas entdecken, was dem materialistischen Reduktionisten immer entgehen wird. 🙂

  32. @ Luchs: Moral & Menschenrecht

    Lieber Luchs,

    Du schriebst: Wir wissen aber heute, dass z.B. die Bibel (wie jedes Heilige Buch einer Schriftreligion) naturwissenschaftliche Fehler, historische Fehler und moralische Fehler enthält. Außerdem ist ein Gottesbild, das einen allmächtigen und allgütigen Gott postuliert, gemäß des Theodizeeproblems nicht haltbar. Wer versucht diese Tatsachen zu leugnen ist m.E. nicht dumm, sondern unmoralisch.

    Beeindruckt nehmen also Milliarden Menschen auf diesem Planeten Dein ganz persönliches Urteil entgegen. Entschuldige, dass ich nicht das nötige Selbstbewusstsein besitze, in so schroffer Weise über unzählige andere Menschen, Überlieferungen, Interpretationen, Gemeinschaften etc. zu urteilen wie Du. Selbst wenn wir beide z.B. sicher darin übereinstimmen, dass Mythologien und Weltbild einer !Kung San-Familie oder Amisch-Gemeinde wissenschaftlich überholt sind, so würde ich doch für deren Menschenrecht eintreten, ihr Leben zu leben. Und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob wir Europäer uns zu den moralischen Richtern über alle anderen eignen – und ob nicht auch unser Lebensstil moralische (und z.B. ökologische) Fragen aufwirft, zumal wir derzeit nicht einmal ein evolutionäres Erfolgsmodell, sondern eine mangels Kindern implodierende Bevölkerung darstellen. Nein, entschuldige – in der pauschalen Verurteilung (Anders-)Glaubender kann ich Dir nicht folgen.

    Ein Gottesbild hat nur da eine Daseinsberechtigung, wo es offene Fragen logisch plausibel beantworten kann. Dabei kann es durchaus sein, dass sich in späterer Zeit die Falschheit herausstellt. Ist das der Fall, hat dieses spezielle Gottesbild dann eben keine Daseinsberechtigung mehr.

    Wer bestimmt über die Daseinsberechtigung religiöser Überlieferungen? Der agnostische Panentheismus? Wer definiert “Falschheit” für Poesie, Musik, Religion? Und was ist mit dem Menschen- und Grundrecht der Religionsfreiheit? Du hattest doch oben noch geschrieben, die ließen sich logisch aus den Naturgesetzen ableiten (was ich bezweifle) – jetzt schränkst Du sie ein?

    Über Gottesbilder und deren Haltbarkeit kannst Du gerne mit Theologen oder Philosophen diskutieren, das ist nicht mein (Forschungs-)Thema. Von der Perspektive evolutionärer Religionswissenschaft kann ich Dir nur sagen, dass die von Dir verachteten Glaubenden sich häufiger biologisch erfolgreich verhalten (z.B. stabile Familien und Gemeinschaften begründen) als es rationalistische Ideologien je vermochten. Aus evolutionsbiologischer Perspektive sind Musikalität, Religiosität u.v.m. Erfolgsgeschichten, die säkular-atheistischen Ideolog(i)en der Neuzeit sind es nicht. Wer sich auf Wissenschaft und Naturwissenschaft beruft und daraus allerhand Normatives ableiten will, könnte das m.E. zur Kenntnis nehmen.

    Herzliche Grüße!

    PS: Darf ich noch einmal nachfragen, was Du eigentlich unter agnostischen Panentheismus verstehst?

  33. @ all: Überlieben

    Die Evolutionsbiologen der Uni Tübingen haben übrigens ein sehr interessantes Video erstellt, in dem sie auf den Erfolg der Liebe und den entscheidenden Faktor Kinderreichtum verweisen:
    http://www.chronologs.de/…erleben-oder-berlieben

    Hat es nicht gar interessante Spielregeln, unser Universum? 🙂

  34. @ Michael

    Weiter oben hast Du eingeräumt, dass z.B. poetische Aussagen nicht wissenschaftliche Geltung beanspruchen müssen. Warum religiöse?

    Weil Poesie etwas über die conditio humaine aussagt, wenn auch weniger beschreibend analytisch als vielmehr in der Praxis des Tuns und Rezipierens, aber eben keinen Wahrheitsanspruch über das Subjektiv-Menschliche hinaus erhebt; diesen Anspruch würde ich auch Poesie nicht zugestehen und er wird ihr auch allgemein nicht zugestanden. Religion erhebt diesen Anspruch aber ständig und wird weitgehend so verstanden.
    Wenn Du eine Religiosität vertrittst, die diesen Anspruch nicht mehr erhebt, dann habe ich keinen Anlass, diese an naturwissenschaftlichen Kritierien zu messen. Aber als Religionswissenschaftler weißt Du auch, dass diese Art Religiosität nicht die ist, die den Großteil der Religionen ausmacht. Selbst wenn man alle überholten Schöpfungsmythen als nicht-wissenschaftliche Metaphern einordnet (und die Religionsanhänger Deine Meinung da teilen würden, was sie auch nur in den meisten säkularen Ländern tun), gibt es immer noch eine Fülle nicht metaphorischer, mit objektivem Wahrheitsanspruch vorgebrachte Ansichten über die Natur des Universums. Teilweise sogar beworben als Einsichten in die ‘eigentliche’ Natur des Universums.
    Das geht mit meiner Erkenntnistheorie nicht zusammen und mit Deiner, wie Du sie auf die Wissenschaften anwendest, eigentlich auch nicht.

    Außerdem funktioniert Poesie normalerweise nicht nach dem Schema: wir alle sollten das und das wissen über die Gefühle bei einem Sonnenuntergang und darum uns folgendermaßen verhalten/entscheiden… Darum, wie gesagt: sobald Religion sich darauf besinnt, dass sie eben auch nur den Wahrheitsanspruch von Poesie für sich in Anspruch nehmen kann, mag ich immer noch ihre Ergebnisse bezweifeln, aber der Streit Erkenntnistheorie vs. Religion hat sich damit erledigt und wird zu einer Frage ästhetischer Vorlieben.

    Und, ja, ich halte es für möglich, dass Dichter, Künstler, Musiker, Liebende und Glaubende tatsächlich etwas entdecken, was dem materialistischen Reduktionisten immer entgehen wird. 🙂

    Das sind einfach zwei gegensätzliche Bedeutungen des Begriffs entdecken, einmal als ‘subjektiv erleben’ und einmal als ‘einen belegbaren Zusammenhang finden’. Solange Du den materialistischen Reduktionisten aber nicht das Menschsein absprechen willst, stehen dem noch am ehesten beide Wege offen 😉
    Wenn Du tatsächlich nur die zweite Bedeutung meinst, würde mich doch das Kriterium interessieren, mit denen Dichter, Künstler, Musiker, Liebende und Glaubende eine falsche Annahme von einer richtigen unterscheiden, damit sie dann die Entdeckung bekannt geben können oder ob um solche ‘Entdeckungen’ derselbe Streit entsteht wie ansonsten über sich widersprechende religiöse ‘Offenbarung’.

    die säkular-atheistischen Ideolog(i)en der Neuzeit sind es nicht.

    Sowas macht mich immer nervös. Säkulare Ideologien… Demokratie ist so eine, der Liberalismus auch. Es sind die nicht-säkularen und metaphysisch-ideologisch aufgeladenen Gesellschaftssysteme, die im letzten Jahrhundert reihenweise gescheitert sind oder heute weitgehend rückständig dahinsiechen.

    Ich habe aber keine Ahnung, welche Erdbevölkerung auf Dauer nachhaltig am Leben gehalten werden kann, darum lasse ich mich lieber nicht auf schnelle Argumentationen ein, ob eine Implosion nicht am Ende noch der beste Weg wäre, eine auf weit weniger angenehmem Weg ablaufende Bevölkerungsreduktion in der Zukunft zu umgehen. Dass es heute für 7 Mia. halbwegs reicht, muss nichts aussagen über das Jahr 2059.

  35. @ kamenin: Wahrheitsansprüche

    Lieber Sven,

    danke – ja, so kommt die Debatte voran! 🙂

    Du siehst richtig, dass ich der Meinung bin, dass kein Subsystem menschlichen Verhaltens für sich beanspruchen kann, absolute, intersubjektiv gültige Wahrheiten zu verkünden. Die Wissenschaft übrigens auch nicht – dass sie immer nur vorläufige und immer neu überbietbare Hypothesen und Theorien entwickelt, erkennen die meisten reflektierten Wissenschaftler längst an. Wir können noch nicht einmal ahnen, was wir in den kommenden Jahrzehnten noch entdecken werden – von den vermeintlichen wissenschaftlichen Gewissheiten z.B. des 19. Jahrhunderts ist heute nicht mehr viel übrig… Deswegen, ja, halte ich religiösen und szientistischen Extremismus je für problematisch, dessen Vertreter sich für absolut wissend halten und letztlich von der Abschaffung je des anderen träumen. Eine sehr schöne Warnung dazu auch vor dem Hintergrund realen Erlebens z.B. von Richard Schröder “Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen”:
    http://www.amazon.de/…3375193&pf_rd_i=301128

    Umgekehrt sehe ich – hier haben wir wohl einen Dissens – nicht, dass sich Religion oder auch “nur” Poesie auf das individuelle Erleben beschränken sollte! Nicht zufällig inhaftieren Diktaturen aller Art immer wieder Geistliche, Dichter und Literaten, die sich ihr Menschenrecht nehmen, auch z.B. gesellschaftliche, politische u.a. Zustände zu hinterfragen, zu kritisieren, Veränderungen zu fordern. Sie dürfen und sollen meines Erachtens sogar wissenschaftliche Forschung und Lehre (z.B. zum menschlichen Klonen, der Waffentechnologien, des Homo Oeconomicus-Weltbildes u.v.m.) kommentieren, kritisieren etc., lieber Sven – niemand darf ihnen das verbieten.

    Und nach meiner Vorstellung von Freiheit sollen poetische, wissenschaftliche und religiöse Erzählungen auch in Zukunft vertreten, gelebt und diskutiert werden können – je unter Achtung der Freiheit Andersdenkender und -glaubender. Da widersetze ich mich gerne religiösen und atheistischen Extremisten gleichermaßen.

    Wenn Du tatsächlich nur die zweite Bedeutung meinst, würde mich doch das Kriterium interessieren, mit denen Dichter, Künstler, Musiker, Liebende und Glaubende eine falsche Annahme von einer richtigen unterscheiden, damit sie dann die Entdeckung bekannt geben können oder ob um solche ‘Entdeckungen’ derselbe Streit entsteht wie ansonsten über sich widersprechende religiöse ‘Offenbarung’.

    Ja, ich weise ganz eindeutig darauf hin, dass (Natur-)Wissenschaft schon aufgrund der ewigen Vorläufigkeit ihrer Erkenntnisse nie wird ausschließen können, dass das Leben sinnvoll ist, Liebe, Musik, Kunst, Religion Zugang zu höheren Wahrheiten eröffnen. Dass die empirischen Wissenschaft qua Definition viele Fragen gar nicht abschließend beantworten können (z.B. Warum existiert überhaupt etwas?), heißt nicht, dass die Fragen unstatthaft sind, sondern verweist erneut darauf, dass eben kein Subsystem absolut ist.

    Und wie werden “falsche” von “richtigen” Annahmen unterschieden? Nun, ganz offenkundig evolutionär: Jahr für Jahr entstehen Tausende von Beziehungen, Gedichten und Texten, Musikstücken und religiösen Erzählungen. Der große Teil verpufft, auf einem kleineren Teil werden Folgeprojekte aufgebaut und der kleinste Teil wird über Generationen hinweg von Menschen als wertvoll und, ja, “wahr” erfahren. Deswegen glauben viele Menschen an die wahre Liebe (obwohl sie diesen Anspruch nicht wissenschaftlich beweisen können und, übrigens überproportional unter Konfessionslosen, viele Menschen am Ende alleine bleiben), verehren viele Menschen Mozart (obwohl er “nur” die gleichen Noten verwendete wie andere auch), lassen sich von Goethe oder Picasso berühren (obwohl sie “nur” Buchstaben und Farben verwendeten wie andere auch) oder erfahren die Bibel, den Koran, die Bhagavad Gita als Heilige Schriften (obwohl es unzählige weniger erfolgreiche Alternativen gibt). Das, lieber Sven, ist die Conditio Humaine, seit Jahrzehntausenden.

    Und selbstverständlich gibt es in jedem dieser Bereiche immer auch Vielfalt, Wettbewerb und Scheiten – wie ja in der Wissenschaft auch! Und dass Newton überboten wurde und Einstein sich im Bezug auf die Quantenphysik irrte stellt doch hoffentlich in Deiner Sicht keine Begründung für eine Totalabsage an Wissenschaft dar! Nein, lieber Sven, alle menschliche Erkenntnis steht immer unter dem Verdikt der Vorläufigkeit. Literaten, Musiker und Religiöse brauchen sich da im Angesicht der Schnelllebigkeit gerade von (Natur-)Wissenschaft gar nicht einschüchtern lassen. Genau deswegen verhebt sich auch jeder Mensch, der seine subjektive Weltsicht zum letzten Maßstab für alle anderen erheben will. Ob im Namen “der” (welcher?) Religion oder “der” (welcher?) Wissenschaft.

    Übrigens ist das ein Grund, warum ich Friedrich August von Hayek so achte.
    http://www.chronologs.de/…-glaubens/fa-von-hayek

    Der Ökonom und Sozialphilosoph kämpfte zeitlebens gegen die “Anmaßung von Wissen” – so der Titel seiner Nobelpreisrede, in der er sich und seine Kolleginnen und Kollegen genau davor warnte – ein Wissenschaftler unter Wissenschaftlern, auf dem Höhepunkt seiner Karriere! Das, lieber Sven, halte ich für Größe und “Weisheit”, wie sie Wissenschaftlern und Religionsführern gleichermaßen gut ansteht.

  36. @ Michael

    Na, wir kommen wieder an den Punkt, wo wir uns streiten wollen. Ich weise einfach mal darauf hin, dass ich keinerlei Verbote gefordert habe, weder was die Lebensführung betrifft und schon gar nicht eines, Wissenschaft oder Wissenschaftler zu kritisieren. Die jeweiligen Argumente dann aber zu bewerten ist kein Verbotsantrag, selbst wenn man zu dem Schluss kommt, bestimmte Argumente aufgrund zweifelhafter und in keiner Weise belegbaren Grundannahmen in bestimmten Zusammenhängen für nutzlos zu halten und sogar öffentlich für die Sichtweise zu werben. Macht die jeweilige Gegenseite ja auch.

    Der Gegensatz, den ich angesprochen habe, war nicht der zwischen privaten Ansichten und gesellschaftlichem Engagement; schon die Rede von der condition humaine ist in der Hinsicht übersubjektiv. Natürlich kann ich bei Goethe, im Gilgamesch-Epos, in der Bibel und selbst bei Rosamunde Pilcher Wahrheiten finden, verschlüsselt, metaphorisch, poetisch, aber es sind alles Wahrheiten über den Menschen und sein Verhältnis zu sich selbst, den anderen und der Natur. Es sind keine Wahrheiten über die Natur an sich oder gar die Natur der Natur, wie es von Religion für sich beansprucht wird, ohne diesen Erkenntnisanspruch begründen oder belegen zu können.

    von den vermeintlichen wissenschaftlichen Gewissheiten z.B. des 19. Jahrhunderts ist heute nicht mehr viel übrig…

    Im Gegenteil, die Wissenschaftstheorie hat eine Menge gelernt, was der wissenschaftliche Kern einer Aussage ist und was schon metaphysische Überhöhung darstellt. “Das ist eine Masse, die verhält sich mit anderen Massen so und so, und so hat Gott die Welt gemacht” — falsch. “Natur zeigt Eigenschaften, die wir als Masse abstrahieren können, die Wechselwirkung mit anderen Massen läuft dann über diesen Zusammenhang bei den uns zur Überprüfung zur Verfügung stehenden Bedingungen…” — immer noch richtig, und immer noch grandioser Erkenntnisfortschritt, der bis heute Grundlage der allermeisten Technik und als solche immerfort neu belegt wird.

    Nur wer Newton an absoluten Kriterien messen will, wird zu dem Schluss kommen, dass die von ihm beschriebenen Zusammenhänge einen Irrtum darstellen. Die Konsequenz ist, keine absoluten Annahmen aufzustellen, sondern klare Aussagen über die bekannten Bedingungen und Begrenzungen aufzustellen, unter denen etwas belegt werden kann.

    Der Ökonom und Sozialphilosoph kämpfte zeitlebens gegen die “Anmaßung von Wissen” (…) Das, lieber Sven, halte ich für Größe und “Weisheit”, wie sie Wissenschaftlern und Religionsführern gleichermaßen gut ansteht.

    Warum folgt daraus Deiner Meinung nach nicht, dass Religion heute im Kern agnostisch sein muss, um erkenntnistheoretisch haltbar zu sein, während Du Wissenschaften, deren beobachtbare Zusammenhänge fortwährend (im Labor und im Alltag) belegt werden, als schnelllebig bezeichnest? Offensichtlich sind die meisten Religionen, wie sie gelebt und vertreten werden, ja eben nicht agnostisch, aber es scheint Dich zu stören, wenn man das an Religionen kritisiert.

    Aber zum Abschluss und nur um Dich zu ärgern:

    Und wie werden “falsche” von “richtigen” Annahmen unterschieden? Nun, ganz offenkundig evolutionär: Jahr für Jahr entstehen Tausende von Beziehungen, Gedichten und Texten, Musikstücken und religiösen Erzählungen. Der große Teil verpufft, auf einem kleineren Teil werden Folgeprojekte aufgebaut und der kleinste Teil wird über Generationen hinweg von Menschen als wertvoll und, ja, “wahr” erfahren.

    Hmm, ‘evolutionär’ scheint es nicht richtig zu treffen, weil das ja eigentlich ein rein biologischer Begriff ist und Gedichte wohl eher nicht biologisch selektiert werden. Vielleicht brauchen wir nur ein anderes Wort dafür, ein Analogon zu ‘Evolution’ und zu, hm, ‘Genen’… Hmm…

    Komm, gib endlich zu, dass Mem-Theorie überhaupt nichts furchtbares ist, und dass Du nur sauer bist, dass Dakwins Religion an sich nur für ein Mem hält 😉 Den Abschnitt findest Du doch fast wörtlich bei Dawkins, Blackmore oder Dennett 🙂

  37. Lieber Michael,

    Du schreibst: “Beeindruckt nehmen also Milliarden Menschen auf diesem Planeten Dein ganz persönliches Urteil entgegen.”

    Luchs: Du hast nicht im Ernst geglaubt, dies wäre mein Ziel gewesen, oder doch? Natürlich interessiert es die Weltbevölkerung eine feuchten Kehricht, was ich so alles meine. Schließlich bin ich kein Popstar, Papst, Supersportler, Dalai Lama oder Schauspieler. Ich bin nur ein kleiner Wissenschaftler, der aber immerhin einen Weltrekord hält. Ich habe das Isolatormaterial mit der größten Dielektrizitätskonstante synthetisiert. Wofür man sowas braucht? Z.B. besonders schnelle elektronische Bauteile. Aber was ist das schon im Vergleich zu oben genannten Geistesgrößen, deren Meinungen und Urteile in den Nachrichten verbreitet werden?

    Michael: “Und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob wir Europäer uns zu den moralischen Richtern über alle anderen eignen – und ob nicht auch unser Lebensstil moralische (und z.B. ökologische) Fragen aufwirft, zumal wir derzeit nicht einmal ein evolutionäres Erfolgsmodell, sondern eine mangels Kindern implodierende Bevölkerung darstellen.”

    Luchs:

    http://info.kopp-verlag.de/…llen-wieder-weg.html

    Michael: “PS: Darf ich noch einmal nachfragen, was Du eigentlich unter agnostischen Panentheismus verstehst?”

    Luchs: “Ich dachte eigentlich, ich hätte die Frage bzgl. dem, was ich für möglicherweise wahr halte, schon beantwortet. Die einschlägigen Beiträge aus Wikipedia bzgl. Agnostizismus und Panentheismus meinst Du vermutlich auch nicht. Was also willst Du wissen, über was willst Du mit mir diskutieren?”

    mfg
    Luchs

  38. @ kamenin

    Vielen Dank für Deinen erhellenden Beitrag!

    Na, wir kommen wieder an den Punkt, wo wir uns streiten wollen. (…) Aber zum Abschluss und nur um Dich zu ärgern

    Hmmm, hier scheinen wir tatsächlich etwas anders zu sehen. Ich betreibe Wissenschaft und auch diesen Blog und seine Diskussionen v.a. aus Freude an der Erkenntnis – nicht um des Streites willen oder um Andersdenkende “zu ärgern”. Warum ist das bei Dir anders? Was gibt Dir die Suche nach Streit und “Ärgern”?

    Naja, Du hast wohl Recht: Es ist wohl naiv anzunehmen, dass andere stets die gleichen (Erkenntnis-)Interessen hätten. Manche wollen sich wohl auch nur ein bißchen Aufmerksamkeit leihen, ohne wirklich an der Erforschung der Sache(n) interessiert zu sein. Schade.

    Natürlich kann ich bei Goethe, im Gilgamesch-Epos, in der Bibel und selbst bei Rosamunde Pilcher Wahrheiten finden, verschlüsselt, metaphorisch, poetisch, aber es sind alles Wahrheiten über den Menschen und sein Verhältnis zu sich selbst, den anderen und der Natur. Es sind keine Wahrheiten über die Natur an sich oder gar die Natur der Natur, wie es von Religion für sich beansprucht wird, ohne diesen Erkenntnisanspruch begründen oder belegen zu können.

    Dem ersten Satz stimme ich absolut zu, den zweiten empfinde ich aber als Widerspruch dazu. Wenn jemand z.B. aus religiöser Überzeugung der Meinung ist, Kinder und Familien seien ein Segen, so ist diese Überzeugung nicht wissenschaftlich beweisbar. Aber sie kann 1. trotzdem wahr sein und wird 2. häufig funktional erfolgreich sein – Religiöse pflanzen sich ja tatsächlich durchschnittlich häufiger fort als ihre konfessionslosen Zeitgenossen auch gleicher Einkommens- und Bildungsschicht. Dass so eine Überzeugung das Werkzeug der Physik übersteigt, heißt doch nicht, dass es unwahr oder unwichtig wäre. Deine Argumentation erinnert mich da an jenes Kind, das sich selbst die Augen zuhielt und dann verkündete, nun könne keiner sie sehen…

    Die Konsequenz ist, keine absoluten Annahmen aufzustellen, sondern klare Aussagen über die bekannten Bedingungen und Begrenzungen aufzustellen, unter denen etwas belegt werden kann.

    Exakt! Und genau diese Selbstbeschränkung übergehen jene Naturwissenschaftler, die behaupten, Liebe, Musik, Religion etc. seien “nichts als” Zufallsprodukte unbewegter Materie. Das können sie glauben (wie auch z.B. an ein sinnvolles, geschaffenes Universum) – beweisen oder widerlegen lässt es sich nicht.

    Warum folgt daraus Deiner Meinung nach nicht, dass Religion heute im Kern agnostisch sein muss, um erkenntnistheoretisch haltbar zu sein, während Du Wissenschaften, deren beobachtbare Zusammenhänge fortwährend (im Labor und im Alltag) belegt werden, als schnelllebig bezeichnest?

    Weil eine “agnostische Religion” etwa genau so funktional wäre wie ein “keine Thesen vertretender Wissenschaftler”. Wenn es so etwas wie Fortschritt geben sollte, so entsteht dieser doch, weil Wissenschaftler Thesen vertreten und diskutieren, Literaten Texte verfassen und publizieren, Musiker Lieder erschaffen und vortragen, Religiöse Überzeugungen erwerben und leben. Erst dann wird doch lernender Wettbewerb möglich: Thesen werden gestärkt oder widerlegt, Texte werden wahrgenommen oder ignoriert, Musik bejubelt oder abgeschafft, Religionen blühen auf oder gehen ein. Für gefährlich halte ich nur jeweiligen Fanatismus: Wenn Wissenschaftler, Literaten, Religiöse etc. ihre jeweiligen Werke oder Überzeugungen so verabsolutieren, dass sie die Menschenrechte anderer nicht mehr anerkennen.

    Hmm, ‘evolutionär’ scheint es nicht richtig zu treffen, weil das ja eigentlich ein rein biologischer Begriff ist und Gedichte wohl eher nicht biologisch selektiert werden. Vielleicht brauchen wir nur ein anderes Wort dafür, ein Analogon zu ‘Evolution’ und zu, hm, ‘Genen’… Hmm…

    Lieber Sven, das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass ein bißchen Geisteswissenschaft auch dem Naturwissenschaftler gut ansteht. Denn es verhält sich genau anders herum: Die Begriffe Evolution und Gen stammen aus der vergleichenden Sprachwissenschaft, die Jahrzehnte vor den Biologen gemeinsame Abstammungen und Entwicklungen erforschte. Darwin schrieb daher z.B. von “Transmutation” und erst später wurden die von Dir angeführten Begriffe von der Biologie verwendet.

    Heute sprechen Forscher längst von der biologischen “und” kulturellen Evolution sowie auch ihren zahlreichen Wechselwirkungen (biokulturelle Evolution). Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die Lactosetoleranz (darüber schreibe ich gerne mal extra). Zur von Dir formulierten Vermutung nochmal ein Hayek-Zitat: “Ein Sozialwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, der von Biologen lernen musste, was Evolution bedeutet, war sein Salz nicht wert.”

    Komm, gib endlich zu, dass Mem-Theorie überhaupt nichts furchtbares ist, und dass Du nur sauer bist, dass Dakwins Religion an sich nur für ein Mem hält 😉

    Warum soll denn die Mem-Theorie furchtbar sein? Sie ist nur schlichtweg gescheitert, hat keine klaren Definitionen, empirischen Studien o.ä. hervorgebracht und findet in der Biologie keine ernsthafte Anwendung. Trotzdem haben wir sie in “Gott, Gene und Gehirn” selbstverständlich vor- und dargestellt.

    Und Dawkins bin ich sehr dankbar! Seine Polemiken haben letztlich den Weg zu vielen empirischen Forschungen bereitet und viele Menschen für die evolutionäre Religionsforschung interessiert. In meinen Vorträgen und auch Blogbeiträgen verwende ich gerne Material der “neuen Atheisten”, das oft wunderbar geeignet ist, um aus den evolutions-logischen Widersprüchen dieser Strömungen zu lernen. Siehe z.B. hier:
    http://www.chronologs.de/…tt-der-neuen-atheisten

    Lieber Sven, ich würde mich freuen, wenn Du doch einmal ernsthaftes Interesse an Religionswissenschaft finden würdest, denn ich halte Dich – wie geschrieben – für einen wirklich intelligenten Typen. Wenn Du aber eher nur streiten und ärgern willst, findest Du sicher im Internet genügend Tummel- und Spielplätze sowie Menschen mit überschüssiger Zeit dafür.

    Beste Grüße!

  39. @ Luchs: Respekt unter Wissenschaftlern

    Lieber Luchs,

    danke für Deinen Beitrag und Deine wissenschaftliche Arbeit! Ich sehe diese mit großem Respekt und kann mir durchaus vorstellen, dass Du dafür vielleicht manchmal nicht ausreichend gewürdigt worden bist.

    Allerdings darf ich Dich daran erinnern, dass in diesem Blogbeitrag eben nicht die Meinung eines Religionsführers oder Popstars vorgestellt wurde – sondern eines Kollegen, eines Wissenschaftlers, einer der bedeutendsten Biologen des 20. Jahrhunderts. Genau deswegen habe ich mich darüber gewundert, wie sicher Du Dir warst, ihn mal eben posthum belehren zu können. Wenn Du für Deine Weltanschauung als Wissenschaftler Respekt einforderst – warum räumst Du diesen Respekt dann nicht auch Dobzhansky ein?

    Ich dachte eigentlich, ich hätte die Frage bzgl. dem, was ich für möglicherweise wahr halte, schon beantwortet. Die einschlägigen Beiträge aus Wikipedia bzgl. Agnostizismus und Panentheismus meinst Du vermutlich auch nicht. Was also willst Du wissen, über was willst Du mit mir diskutieren?

    Nun, Du scheinst eine interessante Weltanschauung zu haben, in der sich z.B. aus der Naturwissenschaft Menschenrechte “herleiten” und Gottesglauben widerlegen lassen. Also ging ich davon aus, dass auch Deine eigene Lebensfundierung über Wikipedia-Artikel hinaus reichte und wäre sehr interessiert gewesen, wie sich diese aus Deinem Verständnis von (Natur-)Wissenschaft ergibt. Daher meine mehrmalige Nachfrage.

    Herzliche Grüße!

  40. @ Michael

    Nein, da hast Du mich missverstanden: das war weder eine Einladung noch Aufforderung zum Streiten, im Gegenteil. Vielleicht les ich da ja auch Dinge rein, aber zwischen den fünf “lieben Svens” im Kommentar davor schien mir der Ton doch etwas gereizter zu werden.

    Ist aber egal. Mach’s gut und auch mal Pause.
    k.

  41. @ kamenin

    Vielleicht les ich da ja auch Dinge rein, aber zwischen den fünf “lieben Svens” im Kommentar davor schien mir der Ton doch etwas gereizter zu werden.

    Ja, mir drängte sich hier der Eindruck aus, dass es (wieder einmal) nicht um Religionswissenschaft (also die wissenschaftliche Erforschung beobachtbarer Phänomene) geht, sondern um die (wissenschaftlich m.E. ohnehin nicht zu klärende) Frage nach Gottes Existenz. Und wenn ich den Unterschied auch bei hoch intelligenten Leuten zig Mal durchkauen muss und dann noch lesen muss, es ginge hier um Streit und Ärgern, dann wird die gute Laune in der Tat beeinträchtigt!

    Aber danke für die liebenswerte Klarstellung! 🙂

    Mach’s gut und auch mal Pause.

    Yo, wobei es mir eher darum geht, nicht zuviel Zeit von der echten Forscherei abzuziehen. Wissenschaftliches Bloggen ist so lange toll, wie man konstruktive Diskussionspartner hat. 🙂

    Aber für heute Abend werde ich Deinen guten Rat jetzt auch einfach mal annehmen! Machs auch gut, bis bald!

  42. Lieber Michael,

    Du schreibst: „ …warum räumst Du diesen Respekt dann nicht auch Dobzhansky ein?“

    Tue ich doch, aber nicht jede Aussage eines ehrenwerten Naturwissenschaftlers ist wahr. Z.B. Einstein, obwohl einer der „Väter“ der Quantenmechanik, hat zur Quantenmechnik manche Ansicht vertreten, von der wir heute wissen, dass sie falsch ist.

    Du schreibst: „Nun, Du scheinst eine interessante Weltanschauung zu haben, in der sich z.B. aus der Naturwissenschaft Menschenrechte “herleiten” … lassen.“

    Ich hatte geschrieben, dass die Menschenrechte auf der Basis von Naturwissenschaft und Logik herleitbar sind. Welches der folgenden Menschenrechte wäre denn Deiner Ansicht nach nicht auf dieser Basis herleitbar und stattdessen eher willkürlich, als Gnade der Staatengemeinschaft gegenüber dem Individuum anzusehen, oder auf der Basis von Ästhetik und Harmonie herleitbar?

    http://de.wikipedia.org/…enschenrechtskonvention
    http://de.wikipedia.org/wiki/Grundrechte
    http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte

    http://www.juraforum.de/gesetze/EMRK/
    Zitat: „Abschnitt I (Rechte und Freiheiten)
    · §Art.2 – Recht auf Leben
    · §Art.3 – Verbot der Folter
    · §Art.4 – Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
    · §Art.5 – Recht auf Freiheit und Sicherheit
    · §Art.6 – Recht auf ein faires Verfahren
    · §Art.7 – Keine Strafe ohne Gesetz
    · §Art.8 – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
    · §Art.9 – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
    · §Art.10 – Freiheit der Meinungsäußerung
    · §Art.11 – Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
    · §Art.12 – Recht auf Eheschließung
    · §Art.13 – Recht auf wirksame Beschwerde
    · §Art.14 – Diskriminierungsverbot
    · §Art.15 – Abweichen im Notstandsfall
    · §Art.16 – Beschränkungen der politischen Tätigkeit ausländischer Personen
    · §Art.17 – Verbot des Missbrauchs der Rechte
    · §Art.18 – Begrenzung der Rechtseinschränkungen“

    Du schreibst: „Nun, Du scheinst eine interessante Weltanschauung zu haben, in der sich z.B. aus der Naturwissenschaft … Gottesglauben widerlegen lässt.“

    Ich hatte geschrieben, dass ich das von mir vorgestellte Gottesbild für möglicherweise wahr und logisch plausibel halte, während ich z.B. das Gottesbild, das einen allmächtigen und allgütigen Gott postuliert, mittels des Theodizeeproblems für logisch widerlegt halte. Glauben im Sinne von „für möglicherweise wahr halten“ ist meiner Ansicht nach sinnvoll (im Sinne der Zielfunktion der Menschheit), Glauben im Sinne von „festes Vertrauen auf ein Konstrukt mit verminderter Wahrheitswahrscheinlichkeit“ dagegen nicht. Noch etwas. Du weist immer wieder stolz darauf hin, dass sich die Individuen bestimmter religiöser Gruppierungen wie die Karnikel vermehren. Das sind für mich Trittbrettfahrer.

    mfg
    Luchs

  43. @ Luchs

    Lieber Luchs,

    vielen Dank für den Diskussionsbeitrag. Du schreibst:

    „ …warum räumst Du diesen Respekt dann nicht auch Dobzhansky ein?“

    Tue ich doch, aber nicht jede Aussage eines ehrenwerten Naturwissenschaftlers ist wahr. Z.B. Einstein, obwohl einer der „Väter“ der Quantenmechanik, hat zur Quantenmechnik manche Ansicht vertreten, von der wir heute wissen, dass sie falsch ist.

    Genau “deswegen” tue ich mich schwer mit vermeintlich finalen Aussagen “der Naturwissenschaft” zur Gottesfrage. Jeder von uns mag in seinem Fach arbeiten – aber mir würde im Traum nicht einfallen, über die Glaubenshaltungen von Religionsführern, Sportstars oder gar Top-Wissenschaftlern wie Theodosius Dobzhansky und Albert Einstein zu urteilen! Wir sind noch sehr, sehr weit von abschließenden Klärungen entfernt, lieber Luchs – vielleicht werden wir diese nie erreichen!

    Ich hatte geschrieben, dass die Menschenrechte auf der Basis von Naturwissenschaft und Logik herleitbar sind. Welches der folgenden Menschenrechte wäre denn Deiner Ansicht nach nicht auf dieser Basis herleitbar und stattdessen eher willkürlich, als Gnade der Staatengemeinschaft gegenüber dem Individuum anzusehen, oder auf der Basis von Ästhetik und Harmonie herleitbar?

    Die Herleitung von Menschenrechten aus Naturwissenschaften halte ich für einen Kategorienfehler – schon der Sozialdarwinismus hat sich darin verhoben, aus dem (kaum verstandenen!) Sein ein Sollen abzuleiten. Dennoch hätte mich natürlich Dein argumentativer Versuch ehrlich interessiert.

    Ich halte die Menschenrechte für relevant und wahr und eben “nicht” materialistisch reduzierbar (wir würden sie z.B. nicht ändern, wenn gerade eine neue Theorie en vogue ist). Unser Grundgesetz begründet sich und sie: “In Verantwortung vor Gott und den Menschen”. Aber, wie geschrieben: Deine naturwissenschaftliche “Herleitung” würde mich wirklich sehr interessieren!

    Übrigens finde ich es klasse, dass Du auch die Religions-, Gewissens- und Meinungsfreiheit als Menschenrechte anerkennst. Oben hattest Du ja noch geschrieben, dass von Dir definierte Glaubensüberzeugungen “nicht haltbar”, sogar “unmoralisch” seien. Da Du das ja auch aus der Naturwissenschaft meintest ableiten zu können, hatte ich mich schon gefragt, wie es in dieser materialistisch reduzierten Welt um Freiheitsrechte Andersdenkender und v.a. -glaubender stünde…

    Ich hatte geschrieben, dass ich das von mir vorgestellte Gottesbild für möglicherweise wahr und logisch plausibel halte, während ich z.B. das Gottesbild, das einen allmächtigen und allgütigen Gott postuliert, mittels des Theodizeeproblems für logisch widerlegt halte.

    Auch diese Glaubensäußerung und das Bekenntnis zu einem bestimmten Gottesbild finde ich als Religionswissenschaftler sehr interessant! Vor allem auch im Hinblick auf den nächsten Satz!

    Glauben im Sinne von „für möglicherweise wahr halten“ ist meiner Ansicht nach sinnvoll (im Sinne der Zielfunktion der Menschheit), Glauben im Sinne von „festes Vertrauen auf ein Konstrukt mit verminderter Wahrheitswahrscheinlichkeit“ dagegen nicht.

    Also gehst Du davon aus, dass das Universum (oder doch mindestens die Menschheit darin) ein Ziel hat! Persönlich würde ich Dir da gar nicht widersprechen wollen, möglich ist es – aber wiederum aus der Naturwissenschaft nicht einfach ableitbar und unter Evolutionsbiologen heiß umstritten. Viele verstehen das Gesamtgeschehen als ziel- und sinnlosen Zufallsprozess. Also wieder: Glaubenshaltungen, die sich je als wahr erweisen können oder nicht.

    Noch etwas. Du weist immer wieder stolz darauf hin, dass sich die Individuen bestimmter religiöser Gruppierungen wie die Karnikel vermehren.

    Dir ist schon klar, dass Du hier über Menschen bzw. Menschenkinder schreibst? Lässt sich nicht auch deren Würde aus der Naturwissenschaft herleiten – sogar, wenn sie religiös sind?

    Lieber Luchs, auch Tausende Deiner direkten Vorfahren haben sich religiös verhalten (z.B. gebetet). Hätten sie sich nicht wieder und wieder für die Fortpflanzung entschieden, würde jetzt hier ein anregender Diskussionspartner fehlen! 🙂

    Das sind für mich Trittbrettfahrer.

    Trittbrettfahrer von was? Bei wem? Das würde mich jetzt doch interessieren.

    Weißt Du, lieber Luchs – der intergenerationale Fortpflanzungserfolg ist nicht irgendein Maßstab, sondern “der” Maßstab für evolutionären Erfolg! Die Evolutionsbiologen der Uni Tübingen (Naturwissenschaftler!) haben dazu ein pfiffiges Video erstellt:
    http://www.chronologs.de/…erleben-oder-berlieben

    Dir alles Liebe!

  44. Lieber Michael,

    Du schreibst: “Genau “deswegen” tue ich mich schwer mit vermeintlich finalen Aussagen “der Naturwissenschaft” zur Gottesfrage.“

    Die Naturwissenschaft und Logik kann manche Aussagen final falsifizieren. Z.B. ist es für alle Zeiten sicher, dass die 4-Elemente-Lehre falsch ist.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Vier-Elemente-Lehre

    Ebenso sicher ist die in der biblischen Schöpfungsmythologie vertretene Hypothese falsch, es gäbe länger Vögel als Landtiere auf der Erde. Ebenso sicher ist ein Gottesbild falsch, das einen allmächtigen und allgütigen Gott postuliert.

    Michael: „Jeder von uns mag in seinem Fach arbeiten – aber mir würde im Traum nicht einfallen, über die Glaubenshaltungen von Religionsführern, Sportstars oder gar Top-Wissenschaftlern wie Theodosius Dobzhansky und Albert Einstein zu urteilen!“

    Und was ist, wenn ausgerechnet DIESE Glaubenshaltung erwiesenermaßen falsch ist? Einstein hat übrigens gemeint, dass die Leute ihn für einen Atheisten halten würden, wäre ihnen sein Gottesbild bekannt.

    Michael: „Wir sind noch sehr, sehr weit von abschließenden Klärungen entfernt, lieber Luchs – vielleicht werden wir diese nie erreichen!“

    In weiten Feldern meine volle Zustimmung, aber einige Teilbereiche (s.o.) sind schon abschließend geklärt.

    Ich hatte geschrieben, dass die Menschenrechte auf der Basis von Naturwissenschaft UND LOGIK herleitbar sind. …
    Michael: „Die Herleitung von Menschenrechten aus Naturwissenschaften halte ich für einen Kategorienfehler – schon der Sozialdarwinismus hat sich darin verhoben, aus dem (kaum verstandenen!) Sein ein Sollen abzuleiten. Dennoch hätte mich natürlich Dein argumentativer Versuch ehrlich interessiert.“

    Willst Du denn wirklich dem Produkt der Legislative jede logische Basis in Abrede stellen? Betrachten wir einmal das vor dem EGMR, Straßburg, umstrittenste Menschenrecht. Das ist Art. 6, Recht auf ein faires Verfahren.
    http://dejure.org/gesetze/MRK/6.html
    Was ist daran unlogisch? Natürlich hat jeder das Recht, dass die Gesetze eingehalten werden. Wurde er durch eine Nichteinhaltung eines Gesetzes geschädigt, muss er natürlich sein Recht einklagen können (Gewaltmonopol des Staates; ansonsten wären keine Geschäfte im allgemeinen Sinne möglich und diese sind für einen funktionierenden Markt und eine funktionierende Gesellschaft unabdingbar), und diese Klage muss gemäß der Gesetzeslage in angemessener Zeit bearbeitet werden (wir haben nun einmal nur eine begrenzte Lebens- und Reproduktionszeit, das ist empirisch belegt).

    Michael: „Übrigens finde ich es klasse, dass Du auch die Religions-, Gewissens- und Meinungsfreiheit als Menschenrechte anerkennst.“

    Ich gestehe jedem das Recht zu sich zu irren und zu lügen (sofern es nicht vor Gericht ist).

    Michael: „Oben hattest Du ja noch geschrieben, dass von Dir definierte Glaubensüberzeugungen “nicht haltbar”, sogar “unmoralisch” seien.“

    Das verstehe ich jetzt nicht. Ich habe im eigentlichen Sinne gar keine Glaubensüberzeugungen und erst recht keine, die ich für unhaltbar oder unmoralisch halte. Aber wie auch immer, gestehe ich jedem das Recht zu zu lügen, halte aber eine Lüge in vielen Fällen für unmoralisch.

    Michael: „Da Du das ja auch aus der Naturwissenschaft meintest ableiten zu können, hatte ich mich schon gefragt, wie es in dieser materialistisch reduzierten Welt um Freiheitsrechte Andersdenkender und v.a. -glaubender stünde…“

    Die Beobachtung zeigt, dass sich jedes Lebewesen irren kann.

    Michael: „Also gehst Du davon aus, dass das Universum (oder doch mindestens die Menschheit darin) ein Ziel hat! Persönlich würde ich Dir da gar nicht widersprechen wollen, möglich ist es – aber wiederum aus der Naturwissenschaft nicht einfach ableitbar und unter Evolutionsbiologen heiß umstritten.“

    So ist es. 1. Gehe ich davon aus, dass das Ziel der Menschheit die Besiedlung des Universums ist. 2. Sehe ich auch, dass sich dieses Ziel nur mühsam aus der Beobachtung der Natur herleiten lässt. 3. Leite ich dieses Ziel aus dem Gedanken ab, dass das Universum der Traum Gottes ist.

    Michael: „Dir ist schon klar, dass Du hier über Menschen bzw. Menschenkinder schreibst? Lässt sich nicht auch deren Würde aus der Naturwissenschaft herleiten – sogar, wenn sie religiös sind?“

    Hast ja Recht, geschenkt.

    Michael: „Trittbrettfahrer von was? Bei wem? Das würde mich jetzt doch interessieren.“

    Trittbrettfahrer einer hochproduktiven, technisierten und gut organisierten Gesellschaft, die aber leider zur Zeit in weiten Teilen der Welt eine höhere Bevölkerungsdichte erzeugt hat, als die Welt langfristig verträgt. Die Atheisten verhalten sich vernünftig und verzichten auf eigenes Kinderglück und die Religiösen benutzen dieses Opfer für sich. Es ist auch so, dass viele Religiöse ihren Kinderreichtum dadurch erkaufen, dass Mädchen und Frauen einzig auf die Rolle als Mutter geprägt werden.

    Michael: „Weißt Du, lieber Luchs – der intergenerationale Fortpflanzungserfolg ist nicht irgendein Maßstab, sondern “der” Maßstab für evolutionären Erfolg! Die Evolutionsbiologen der Uni Tübingen (Naturwissenschaftler!) haben dazu ein pfiffiges Video erstellt:
    http://www.chronologs.de/…erleben-oder-berlieben „

    Einige Hundert Jahre sind in evolutionären Maßstäben eine sehr kurze Zeit. Vor einigen Hundert Jahren gab es nur extrem wenig Atheisten auf der Welt. Dann haben sich diese offensichtlich eine Zeitlang sehr erfolgreich vermehrt. Und jetzt vermehren sich die Religiösen eine Zeitlang sehr erfolgreich, wobei ich in allen Religionen dieser Welt einen starken inneren Rückgang des Glaubens sehe.

    Dir auch alles Liebe!
    Luchs

  45. @ Luchs: Staunend

    Lieber Luchs,

    natürlich juckt es mich, weiter zu diskutieren, beispielsweise über die steile These, früher hätten sich Atheisten einmal erfolgreicher vermehrt. Dafür hätte ich sehr gerne empirische Belege gesehen, denn bisher spricht alles für das Gegenteil (vom schnellen, evolutionären Aufstieg des Phänomens an sich über die biblische Exodus-Geschichte (ein demografischer Konflikt zwischen Poly- und Monotheisten) bis zum jüdisch-christlichen Kinderreichtum im spätantiken Rom etc.)). Solltest Du also wirklich empirische Belege für eine früher höhere Kinderzahl atheistischer Menschen haben, lass es uns bitte sofort wissen!

    Was aber die theologisch-philosophischen Aspekte unserer Diskussion angeht, schlage ich vor zu enden. Denn ich bin einfach nicht der Meinung, weiter zu sehen als Einstein, die Erkenntnistheorie der Evolution besser zu verstehen als Dobzhansky und an Glaubenskunde jeden Theologen, Philosophen und Religionswissenschaftler in den Schatten zu stellen. Mir geht es hier nicht um absolute Wahrheiten, sondern um das wissenschaftliche Verstehen des Phänomens Religiosität. Ganz ehrlich und schon mehrfach geschrieben, lieber Luchs: Debatten über Gott und Glaubenswahrheiten sind nicht der Zweck dieses Blogs, hier geht es “nur” um die biokulturelle Evolution von Religiosität und Religionen.

    So beende ich diese Diskussion, noch einmal durchaus mit Sympathie aus Luchsens Worten zum “Ziel der Evolution” zitierend:

    1. Gehe ich davon aus, dass das Ziel der Menschheit die Besiedlung des Universums ist. 2. Sehe ich auch, dass sich dieses Ziel nur mühsam aus der Beobachtung der Natur herleiten lässt. 3. Leite ich dieses Ziel aus dem Gedanken ab, dass das Universum der Traum Gottes ist.

    Und die Gemeinde sagt: Amen. 🙂

  46. Individuelle Religiosität

    Lieber Luchs,

    für Fragen zu persönlicher Religiosität und Diskussionen darüber habe ich jetzt Links zum Religionsmonitor und einen eigenen Diskussionsfaden eröffnet:
    http://www.chronologs.de/…t-der-religionsmonitor

    Dir vielen Dank für Deine kritisch-konstruktiven Anregungen!

  47. Pingback:Pauschal geurteilt | Der gesunde (T)humor

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