Mythenwandel: Von der Überbevölkerung zur Bevölkerungsimplosion

Schon vor über 12 Jahren war hier auf “Natur des Glaubens” Thema, dass die angeblich unvermeidliche Überbevölkerung ausfällt. Das war – und ist – einfach der Befund, der sich aus der Religionsdemografie ergab. Zehn Jahre später – im Juni 2019 – schrieb auch der SPIEGEL: “Die Bevölkerungsexplosion fällt aus”. Und das Nicht-Eintreffen einer beliebten Dystopie (Unheilsgeschichte) ist doch an sich erst einmal eine klar gute Nachricht, oder!?

Geburtenrückgang nach einer Prognose schon von 2009. Grafik: NdG 2009

Auch aus meiner Sicht sind mit dem Geburtenrückgang sehr positive Aspekte verbunden:

  1. Bessere Chancen, Umweltzerstörung und Klimakrise abzubremsen

Auch wenn es uns immer besser gelingen sollte, Wohlstand und Ressourcenverbrach zu entkoppeln, so werden doch mehr Menschen auch immer mehr Energie, Nahrungsmittel, Rohstoffe etc. benötigen. Sinkende Geburtenraten können die in den letzten Jahrzehnten oft negativ beantwortete Frage, ob weitere Kinder ins Leben gerufen werden sollten – die sog. #Anthropodizee – vielerorts neu aufrufen.

2. Mehr Wertschätzung für Kinder, Familien, Religionen jenseits der Traditionalismusfalle

Noch immer glauben leider viele Wirtschafts-Esoteriker:innen, Geld würde sich allein durch Geld (und Gold) vermehren. Tatsächlich aber ist klar, dass in jeder Population mit mehr älteren Sparerinnen und Sparern und weniger jüngeren Kreditnachfragenden die Zinsen sinken müssen. Schon 2014 warnte ich hier vor dem absehbaren “Ende der Kapitalverzinsung” und Niedrigst- bis Negativzinsen haben sich ja inzwischen herumgesprochen. Wer für sein Geld auch in Zukunft Zinsen oder gar Güter und Dienstleistungen (Bauten, Anlagen, Pflege usw.) erhalten möchte, sollte schon jetzt auf die Förderung von Familien und die Integration von Zugewanderten setzen!

3. Bessere Chancen insbesondere für qualifizierte, junge Menschen auf dem zunehmend internationalen Arbeitsmarkt

In klassischen Modellen wurde gerne behauptet, dass Gastarbeiter:innen mit einheimischen Arbeitskräften “konkurrieren”. Nun wachsen aber nicht nur Branchen, die selbst bereits massiven Nachwuchsmangel haben, sondern auch das Interesse von Kommunen, zum Beispiel Kindergärten, Schulen, Apotheken, Läden (etc.) noch offen halten zu können. Städte und Gemeinden, denen dies möglich ist, werden daher zunehmend nicht nur an Arbeitskräften, sondern auch an Familien interessiert sein. Es geht um ihr eigenes Überleben.

Selbstverständlich wird es aber auch negative Effekte geben – die wir anhand bereits betroffener Regionen auch bereits erkennen können. Denn nach ersten Erkenntnissen hat die Covid19-Pandemie vielerorts den Geburtenrückgang noch einmal beschleunigt. Und dieser außerordentlich gute Tagesspiegel-Artikel von Thomas Roser, Dominik Straub und Ralph Schulze zeigt die Dramatik der Entwicklungen am Beispiel Italien, Serbien und Spanien. Ich hatte ihn daher heute morgen auch zum Twitter-“Tässle Kaffee” gereicht.

Twitter-Empfehlung für einen Demografie-Artikel beim Tagesspiegel. Screenshot: Michael Blume

Welche Herausforderungen sind also zu erwarten bzw. finden bereits statt?

  1. Gegenseitige Beschleunigung von Abwanderung und Geburtenrückgang

Wo junge Menschen wegziehen, bekommen sie logischerweise auch ihre Kinder nicht mehr. Und wo es immer weniger Zukunft gibt, ziehen wiederum junge Menschen weg. So verstärkt sich das demografische Verebben bis zur Bevölkerungsimplosion: Die Natur holt sich Dörfer und ganze Regionen Stück für Stück zurück. (Sog. “Rückbau”). Das findet auch in Europa bereits statt.

2. Mehr Rassismus und Rechtspopulismus in Abwanderungsregionen

Es scheint auf den ersten Blick kontra-initutiv: Warum sollten Regionen, aus denen viele Menschen abwandern, dann stärker von Rassismus und Rechtspopulismus geprägt werden? Auf den zweiten Blick wird aber klar: Weil gerade jene gehen, die für sich Chancen auch woanders, auch im Ausland sehen. So entstehen regionale Kulturen, in denen Narrative gepflegt werden, “zurückgeblieben” zu sein – samt verklärter Erinnerungen an “die gute, alte Zeit”. Zuwanderung, die ja zur Belebung helfen könnte, trifft dann bisweilen auf Ablehnung – in Ungarn, Polen oder Italien, in Japan oder Russland und, klar, auch in Teilen Deutschlands. Rechtspopulismus profitiert zeitweise vom demografischen Verfall.

3. Stadt – Land – Gefälle

In der Summe werden wir also europa- und dann auch weltweit ein Nebeneinander von modernen, durch Zuwanderung noch länger wachsenden Städten & pfiffigen Gemeinden haben – neben denen immer mehr andere Regionen ausbluten. Der “Kampf um junge Kräfte” wird dabei zunehmend international geführt werden, so dass wir stärker interkulturelle, urbane Kulturen neben stärker rechtspopulistischen, verschwörungsgläubigen Kreisen haben werden. Auch Religionen werden heiß diskutiert werden, da sie einerseits Familien stärken, aber andererseits auch in kinderreichen Fundamentalismus eskalieren können.

Die apokalyptische “Überbevölkerungs-Bombe” wird also ausfallen. Aber langweilig wird auch die Zukunft nicht werden… #Evolution

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

42 Kommentare

  1. Gute Zusammenstellung von zu erwartenden demographischen Veränderungen. Ein Punkt aber fehlt: die zunehmende Überalterung von Gesellschaften und ihre Auswirkungen. Gemäss Aging of Japan waren in Japan bereits 2014 33% der Bevölkerung älter als 65. Grund dafür ist nicht nur die kleine Geburtenrate in Japan, sondern auch die immer längere Lebensdauer. Im Jahr 2016 war in Japan die Lebenserwartung 81.7 Jahre für Männer und 88.5 Jahre für Frauen. Und das ist allein natürlichen Ursachen zu verdanken. Doch wir stehen unmittelbar vor einem Durchbruch einer Anti-Aging Medizin, die das Lebensalter noch weiter erhöhen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass im Jahr 2100 in Japan mehr als 10% der Bevölkerung über 100 Jahre alt sein werden und viele dann noch bei bester Gesundheit. Irgendwann könnten die Leute überhaupt aufhören zu altern und zu sterben. Das wird dann so ziemlich alles verändern. Jugendliche werden dann nur noch einen ganz kleinen Anteil an der Gesamtbevölkerung haben.

  2. Vielleicht könnte man dieses Problem auch aus evolutionärer Sicht sehen. So
    existiert Stress als eine Form der Anpassung und Auslese .(Nur stressresistente Arten überleben ) Die moderne Gesellschaften produzieren mit ihrem Leistungsprinzip vermehrt Stressfaktoren die dann auch Einfluss auf die Zeugungsfähigkeit bei Männern haben können, was ja wohl auch statistisch mal belegt wurde. Der “moderne ” Mensch, könnte ,salopp gesagt, also ,will man die evolutionären Faktoren berücksichtigen, ein stress geschädigter und zunehmend unfruchtbar werdender Homo Konsumentis werden ? Genetisch gesehen scheint Dauerstress die Erbfaktoren zu beeinflussen, was ja der tiefere Sinn der Evolution ist.

  3. Zu Amish
    Mennoniten und Hutterer sind Gemeinschaften die sich ja im Prinzip von der “modernen” Welt abkapseln und ihre alten traditionellen Werte -auch in Fragen der Religiosität- noch leben. Sie sind also dieser neuen Form von Stress noch nicht ausgeliefert da ja auch persönliche Schicksalsschläge (Krankheiten, Tod Depressionen, etc.) von der Gemeinschaft aufgefangen werden die auch andererseits eine Form von sozialer Sicherheit verspricht. Man befindet sich also nicht täglich in irgendeiner Form des Existenzkampfes bzw. im Streben nach materiellen Werten die die Befriedigung von Glücksgefühlen versprechen. Der moderne Mensch wird diese Befriedigung nie erreichen da er diesem Glück immer hinterherläuft und glaubt das man es kaufen kann (Neues Auto, Neue Wohnungseinrichtung, viele Reisen, materielle Reichtümer) Werte, die diese von ihnen erwähnten Gemeinschaften nicht leben….

    • Nun leben aber doch z.B. die Haredim sogar oft und überwiegend in Städten, @Golzower. Ich verstehe den Ansatz Ihrer These, doch scheint mir „Stress“ sehr willkürlich definiert zu sein. Eine Amish-Familie arbeitet sicher nicht weniger als mancher Städter… 💁‍♂️

      • Gemeint ist vermutlich Stress jenseits des Hormesis- Effektes, dieser ist als toxischer Stress benannt.
        Dabei geht es nicht primär um den Anlass für den Stress, sondern um den individuellen Effekt auf den Körper.

        📚🖖

      • @MICHAELBLUME
        Harte Arbeit hat erst mal nichts mit Streß zu tun. Streß ist eine physiologische Reaktion des Körpers auf äußere Reize (“Stress (englisch für ‚Druck, Anspannung‘; von lateinisch stringere[1] ‚anspannen‘) bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung.” Quelle wikipedia). Man kann auch sagen, dass die Stressoren Kampf- oder Fluchtreflexe hervorrufen. Der Softwareentwickler oder Autoverkäufer hat bei dieser Definition sicher wesentlich mehr Stress, als der seinen Acker pflügende Amish.

        Die Haredim leben in Städten, sehen aber die “Segnungen” der modernen Welt äußerst kritisch; sie können ja auch nicht alle Jobs ausüben. Damit entfallen auch viele Stressoren. Dazu kommt das Kinderreichtum positiv konnotiert ist.

        P.S. Es gibt ja ein eBook zu dem Thema Haredim, welches ein Update im Titel vertragen könnte: “Die in nichtjüdischen Medien gängige Bezeichnung „ultraorthodox“ wird von den Anhängern selbst zumeist abgelehnt; sie bezeichnen sich als „streng orthodox“ oder „charedisch“. ” Quelle wikipedia

  4. Ich kann nicht verstehen, wie Christen Kinder zeugen, wenn doch eine 100% Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihre Kinder nicht in die Hölle kommen, wenn sie nicht gezeugt werden.

    • Danke, @Duriel. Selbstverständlich ließe sich die gleiche Frage auch an den Schöpfer selbst stellen, womit die enge Verbindung von #Theodizee und #Anthropodizee noch einmal unterstrichen ist.

      • Meine Güte, so ein Blödsinn. Als ob es im Christentum nicht sogar kontroverse Debatten um das Zölibat gebe…

        Manchen Leuten tut das Internet einfach nicht gut… 🤦‍♂️

        • Selbstverständlich Blödsinn. Und offizielle Doktrin der katholischen Kirche. Jegliche willkürlich herbeigeführte männliche Ejakulation außerhalb einer ungeschützten weiblichen Vagina ist beichtpflichtige Sünde. Habe ich auch nicht glauben wollen. Steht so im gültigen Katechismus.

        • Manchen Leuten tut das Internet einfach nicht gut… 🤦‍♂️

          Vielleicht habe ich deswegen so lange gefastet?
          Ich habe aber endlich die Wahrheit über Eva durchgelesen, eines der aufschlussreichsten Bücher, die ich kenne und Inspiration meiner Reaktion.
          An das Zolibat habe ich nur als Ausnahme von der Regel gedacht, weil da die Weitergabe des Evangeliums auf professioneller Ebene eben ein Verzicht auf Kinder nicht nur erlaubt, sondern gebietet.
          Argument No. 1: Jesus hatte auch keine Kinder!

          Sei fruchtbar und mehret euch ist das Gebot, um Gott zu gefallen, denn sonst lässt Gott fallen.
          Die Hölle gilt nicht mehr als Ort an sich, sondern als selbst durch Abkehr von Gottes Gnade hervorgerufen, hier auf der Erde.
          Hoffe ich kann Johannis Paul II so plump zusammenfassen.

          Mir tat schon der Geschichtunterricht nicht gut. Schon am frühen Morgen Horrorgeschichten von Rassismus, Skaverei, Folter und Krieg.
          Und der Biologielehrer danach warnt vorm Artensterben, vor 25 Jahren!
          Wir haben als Schulkinder demonstriert für die Vermeidung von Plastikmüll, und haben den Gelben Sack bekommen, sonst alles wie gehabt, Produktionssteigerung zum Wirtschaftswachstum.

        • “Ein Christ muß Kinder zeugen um nicht in die Hölle zu gelangen.”
          Warum ist das Blödsinn? Wenn es ein Zeugungsgebot gibt, könnte dessen Verweigerung mit Höller bestraft werden.
          Aber ich gehen davon aus, dass die meisten Gläubigen (und Ungläubige) aus Ingnoranz der Folgen Kinder zeugen und nur egoistisch ihren Fortpflanzungstrieb folgen.

  5. Weltweit sind folgende demographischen Veränderungen zu erwarten (gemäss UNO):
    – 2 Milliarden mehr Menschen bis 2050, wobei 50% des Zuwachses aus 9 Ländern kommt, nämlich: Indien, Nigeria, Pakistan, Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Tanzania, Indonesien, Ägypten, USA (3 asiatisch/pazifische, 5 afrikanische Länder mit starkem Eigenwachstum und die USA als Immigrationsland)
    – Verdoppelung der subsaharischen Bevölkerung bis 2050 mit starker Zunahme von Menschen im aktiven Arbeitsalter (25 bis 64)
    – seit 2018 gibt es weltweit mehr über 65-Jährige als unter 5 Jahre alte, Tendenz zunehmend.
    – starke Zunahme der Migration: während im Jahr 2000 2.8% fern ihrer Heimat lebten, waren es 2019 3.5%.
    – die Stadtbevölkerung weltweit nimmt von 55% heute auf 70% im Jahr 2050 zu.

    Auswirkungen der demographischen Trends auf Europa: Europas einheimische Bevölkerung schrumpft und altert und Europa wird mit einer zunehmenden Zahl von Einreisewilligen konfrontiert. Schon jetzt zeichnet sich in Europa eine zunehmende Festungsmentalität ab und sogar die sozialdemokratische Regierung in Schweden hat gerade das Asylrecht verschärft.

    Afrika wird zum eigentlichen Kontinent des Wachstums sowohl der Bevölkerung als auch der Arbeit. China wird sein Afrika-Engagement weiter ausbauen, Europa eher nicht. Die Welt um 2050 wird von Aktivitäten und Problemen in China und Afrika dominiert sein, wenn sich China als Führer der sich entwickelnden Welt etablieren kann. Europa wird vielleicht eine Art Altersparadies werden wie heute Florida in den USA.

    • Lieben Dank, @Martin Holzherr. Die UN-Prognosen werden immer wieder fortgeschrieben – und der Punkt, an dem die Weltbevölkerung in die Schrumpfung übergehen dürfte, wurde schon mehrfach nach vorne verlegt.

  6. Warum sollten Regionen, aus denen viele Menschen abwandern, dann stärker von Rassismus und Rechtspopulismus geprägt werden? Auf den zweiten Blick wird aber klar: Weil gerade jene gehen, die für sich Chancen auch woanders, auch im Ausland sehen.

    Und das sind die, die weltoffen, neugierig, dem Fremden und den Fremden gegenüber aufgeschlossen sind – So sehr, daß sie dahin gehen, wo ihnen alles und alle fremd sind. Die Mutigeren gehen, die Ängstlicheren bleiben. Platt: Die Grünen-Wähler ziehen weg, die mit den fremdenfeindlichen Ressentiments bleiben.

    • Ja, @Alubehüteter – Systemumbrüche sind Gift für Projektionen. Auch schon die Covid19-Pandemie wirft manche Prognose über den Haufen. So weisen die o.g. Befunde auf einen weiteren Geburtenknick hin, aber in Afrika oder Afghanistan könnte das anders aussehen.

      Aber es hilft ja nichts: Wenn sich die Wissenschaft aufgrund ihrer Fehlbarkeit der Arbeit an Zukunftsszenarien enthielte, würde sie Agierenden mit weniger Skrupeln das Feld überlassen…

  7. Es war ein Genuss hier in der Kommentarspalte zu stöbern.
    So viel konstruktives miteinander findet sich leider viel zu selten im Netz.

    • Vielen Dank, @Paul! 🙏 Ja, nachdem ich schweren Herzens einigen besonders Destruktiven die Tür weisen musste, gibt es hier wirklich hochklassige Diskussionen. Wissenschaftsblogs können chancenreich sein.

  8. Die Lunte für die apokalyptische Überbevölkerungsbombe brennt ja nicht in Europa, sondern in den anderen Ländern die bereits oben aufgeführt worden sind. Aus diesem Grund sind Länder, wie Italien, Serbien, Spanien, als Beleg für das Ausbleiben der Explosion nicht stichhaltig.

    Zu den “positiven” Aspekten:
    (1) Umweltzerstörung und Klimakrise abzubremsen: Haupttreiber nach gängiger Lesart ist die CO2 Erzeugung durch Verbrennung von Öl und Kohle. TOP3 hier China, USA und Indien (hat die EU mittlerweile überholt) – hier teile ich nicht den Optimismus des Autors, da China und Indien darauf angewiesen sind und ihre Wirtschaftspolitik drauf ausrichten, den Wohlstand der jeweiligen Länder zu verbessern.
    (2) Mehr Wertschätzung für Kinder, Familien, Religionen: ich weiß nicht was der Autor hier zum Ausdruck bringen will, aber es lässt sich ja beobachten, dass die Menschen dorthin gehen, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienen und sozialen Status halten und verbessern können. Die Leute mit Geld wissen, das es sich nicht durch Geld vermehrt, sondern dass es dort investiert werden muss, wo es Gewinn abwirft. Zum Einstieg empfehle ich die Dagobert Duck Geschichten in den Lustigen Taschenbüchern!

    (3) Der internationale Arbeitsmarkt: siehe (2) und die Firmen lernen intensiv gerade, dass eine Menge Arbeit von jedem Platz in der Welt gemacht werden kann. Es ist schon so, dass bei großen Firmen die Buchhaltung in Osteuropa läuft, sie Softwareentwicklung in Indien und nur noch ein Vertriebler und Geschäftführer in einem Hochlohnland sitzt. D.h. es finden 2 Bewegungen statt: (a) die Leute gehen dorthin, wo Arbeit ist und (b) die Arbeit wird dorthin verschoben, wo sie am günstigsten eingekauft werden kann.

    Den Herausforderungen stimme ich zu, wo ich nicht glaube, dass (2) hier alleine in die Liste gehört. Dort sollte das Thema der Gefahr durch das Entstehen von Parallelgesellschaften durch Zuwanderung ergänzt werden.

    • Lieber @GC,

      auch in bei Rechtspopulisten „beliebten“ Ländern wie der Türkei, Russland und Iran ist die Geburtenrate längst abgestürzt. Aber, ja, ob sich wirtschaftlich aufstrebende Länder auf Einsparungen von CO2 und Methan (Massentierhaltung) einlassen werden, wird zu einer Schicksalsfrage. Auch deswegen sind m.E. unser eigenes Verhalten sowie die Verfügbarkeit von Technologien / Preisfragen ganz entscheidend.

      Danke für den konstruktiven Kommentar! 🖖

  9. @Dekadenz und Überflusswirtschaft

    Die so empfindliche Reaktion auf das Coronavirus überrascht mich eigentlich. Das ursprüngliche durchschnittliche Sterbealter an Corona soll bei 82 Jahren liegen, das würde bedeuten, das die meisten Coronatoten sowieso schon so ziemlich am Ende waren. Aktuell haben wir in NRW 3624 Coronapatienten in den Krankenhäusern bei einer Bevölkerung von 18 Mio, also kommen auf einen Krankenhauspatienten ca. 5000 Bürger im monatelangem Dauerlockdown. Wir haben aktuell in NRW eine um 7 Tage gemittelte Sterblichkeit von 44 pro Tag, das ist deutlich weniger, als bei einer normalen winterlichen Grippewelle.

    Trotzdem gibt es viele, die eine Lockdownverschärfung fordern. Ich kann das anhand der dargestellten Daten schon länger nicht mehr nachvollziehen. Aber offenbar sind wir ja auch auf einem Konsumniveau, das verbreitet jenseits aller Vernunft anzusiedeln ist. Selbst unser medizinisches System ist völlig aufgeblasen, mindestens die Hälfte der Kosten gehen für recht überflüssige Operationen und andere Maßnahmen drauf. Es würde schon reichen, diesen Überfluss mal vorübergehend auszusetzen, dann könnten wir locker noch 3 mal mehr Coronapatienten in den Kliniken versorgen.

    Irgendwie gibt es den paradoxen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Kindersegen. Je besser die Lage, desto weniger Kinder auf der einen Seite, das verwundert. Und auf der anderen Seite ist uns unverständlich, wieso die in Syrien mitten im Bürgerkrieg noch fleißig Kinder in die Welt setzen. Man kann sich kaum noch vorstellen, wie es sich damit lebt.

    Die Klimakrise ist auch eine Überflusskrise, der nachlassende Überfluss durch Corona hat auch direkt – ich glaube 7% – weniger Treibhausgase für 2020 in Deutschland zur Folge, ohne dass hier ein einziger Euro dafür ausgegeben werden musste. Ganz im Gegenteil, die Kosten, die für Urlaubsreisen normalerweise ausgeben wurden, konnte wir uns komplett sparen. Was wohl nicht unerhebliche Summen sind.

    Das effektivste Mittel gegen die Klimakrise wäre ein schneller gründlicher Ausbau des Radwegenetzes, aber hier in Dortmund passiert da einfach viel zu wenig. Mutmaßlich wünscht man sich im Autoland Deutschland weiterhin die riesigen Umsätze durch die Anschaffungen von Privatautos. Natürlich geht das dann auch elektrisch mit grünem Strom aus Wind und Sonne. Aber es bleibt eine Riesenverschwendung. Und wenn hier das Potential des Fahrradverkehrs genutzt würde, wäre genug Geld gespart, um den Rest der Klimawende in recht kurzer Zeit auch noch umzusetzen.

    Nein, hier geht es um dauerhaften Umsatz, und offenbar weiß keiner, warum überhaupt. Der Stress um Nichts wird immer mehr, und die Geburtenraten sinken immer weiter. Wenigstens wird inzwischen das Kapital kaum noch nachgefragt, dauerhafte Nullzinsen sind eigentlich richtig gut. Sowohl kann man Immobilien günstiger finanzieren, dass müsste mittelfristig bis langfristig die Mieten senken, als auch würde alles andere günstiger, was hohe Investitionen erfordert, also auch Windräder, Photovoltaik, neue Fernleitungen und Backupkraftwerke und dergleichen.

    Ich habe den Eindruck, dass tatsächlich die eigentliche Herausforderung der Zukunft darin besteht, sich jenseits von Erwerbsarbeit sinnvoll zu beschäftigen. Nicht nur angesichts der weiteren Automatisierung, auch angesichts des längst praktizierten Überflusses, der auch in der Coronakrise deutlicher sichtbar wird.

    • Lockdown wie die Forderung nach Lockdownverschärungen erklären sich ganz einfach mit einem Blick auf z.B. diese Grafik von Anfang Februar. Genau so ist es gekommen.

      Mit dem viel zu späten Lockdown ist es uns gelungen, den Coronavirus weitgehend auszutrocknen. Den „Wildtypus“, den ursprünglichen Coronavirus.

      Was uns jetzt beschäftigt, das ist in Deutschland die Mutation, die als erstes in Großbritannien festgestellt worden ist, und die um rund ein Drittel ansteckender ist. Für ihn reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus. Trotz des bisherigen Lockdowns haben wir Samstag den bisherigen Höchststand der Covid-Auslastung in den Intensivstationen erreicht, Tendenz steigend. Das Einzige, was ihnen jetzt noch einfällt, ist eine abendlich/nächtliche Ausgangssperre. Das wird nicht reichen.

      Die weitaus gefährliche brasilianische Variante ist inzwischen mehrfach in Deutschland nachgewiesen, unter anderem in Bochum.

      Da Politik sich als unfähig erweist, selbst bei einem vergleichsweise unterkomplexen Geschehen wie einer Pandemie auf die Wissenschaft zu hören, brauchen wir uns um den Klimawandel keine Gedanken mehr zu machen. Er wird kommen. Mit ihm Völkerwanderungen noch nie gesehenen Ausmaßes.

  10. Dass wir nicht mehr so schnell und demnächst vielleicht gar nicht mehr wachsen, heißt nicht, dass die Welt nicht überbevölkert ist. Wenn ein 200kg schwerer Mann nicht mehr so schnell zunimmt, sodass man ausrechnen kann, dass sein Gewicht bei 250kg stagnieren wird, dann heißt das ja auch nicht, dass er aufhört übergewichtig zu sein.

    Gemessen an dem Ziel, dass irgendwann alle Menschen ein Leben in Wohlstand führen können, ohne dass wir den Planeten gegen die Wand fahren, ist die Welt bereits mit acht Milliarden eindeutig überbevölkert. Es gibt einfach keine Technologie, die acht Milliarden Menschen auch nur ein Leben auf Hartz IV-Niveau ermöglicht, ohne dass daraus ökologische Probleme entstehen. Eine wirklich nachhaltige Weltbevölkerungsgröße läge vermutlich bei unter einer Milliarde.

    Dass die Weltbevölkerung sich dauerhaft stabilisieren und aufhören wird zu wachsen, halte ich außerdem für zweifelhaft. Denn seit Menschen sich aussuchen können, ob und wie viele Kinder sie kriegen, gibt es einen Selektionsdruck zugunsten aller Faktoren, die einen starken Kinderwunsch begünstigen. Das betrifft konservative Formen von Religiosität ebenso wie Genvarianten, die zu einem starken Kinderwunsch beitragen.

    • Tatsächlich hatte ich noch gelernt, dass die Geburtenraten nach einem Tal wieder auf 2+ zurückpendeln würden, @Thomas Friedrich. Aber bisher ist es dazu nicht gekommen, vgl. Tagesspiegel-Artikel oben. Dennoch stimme ich Ihnen insofern zu, dass nicht „einfach alles gut“ wird und wir dringend auf Ressourcenverbrauch reagieren müssten.

  11. Michael Blume Zitat 1:

    Schon vor über 12 Jahren war hier auf “Natur des Glaubens” Thema, dass die angeblich unvermeidliche Überbevölkerung ausfällt.

    Schon vor 30 Jahren warnten meine Eltern vor dem demographischen Niedergang (früher als Blume oder der Spiegel). Nichts Neues unter der Sonne also. Zudem ist die regionale und globale Demographie einigermassen rational nachvollziehbar und berechenbar, denn
    1) (Fast) Alle Länder haben mit zunehmendem Wohlstand und einer Orientierung entlang von Lebenskarrieren weniger Kinder, wobei (staatliche) Anreize dafür sorgen können, dass die Bevölkerung sich knapp reproduziert (siehe Frankreich).
    2) Länder, die gerade aus der grössten Armut aufsteigen und die die ersten Wohlstandswohltaten erleben, haben für einige Jahrzehnte eine starkes Populationswachstum.
    Beispiel 1: Deutschland vorindustriell 1834: 23 Millionen Einwohner; frühindustriell 1840: 27 Millionen; hochindustriell 1870: 40 Millionen; Ende der hochindustriellen Phase 1914: 65 Millionen;
    Beispiel 2: Ägypten 1965 31 Millionen Einwohner; 1985 50 Millionen; 2000 70 Millionen; 2016 90 Millionen; in weiteren 30 Jahren wird Ägyptens Bevölkerung etwa bei 120 Millionen beginnen zu stagnieren.

    Michael Blume Zitat 2:

    So verstärkt sich das demografische Verebben bis zur Bevölkerungsimplosion

    1) Selbst wenn Deutschlands Bevölkerung wieder auf den Wert von 1834 zurückfallen würde, also auf 23 Millionen, so würden diese 23 Millionen bei heutigem Wohlstand die Umwelt mindestens 5 Mal mehr belasten als es die Deutschen 1834 taten, denn ein Heutiger hat einen mehrfachen Flächenbedarf eines 1834ers. Er braucht Asphaltstrassen, Flugplätze, überdachte Sporthallen, Eisenbahnlinien und vieles mehr und um vieles mehr davon als 1834 dem Einzelnen zur Verfügung stand. Mit andern Worten: Wenn man den materiellen Output und die Inanspruchnahme von Ressourcen in die Betrachtung miteinbezieht so haben wir sogar bei stagnierendem Wachstum oder gar Bevölkerungsrückgang noch ein materielles Wachstum. Tendenziell hat dieses Wachstum keine Obergrenze. Unsere Eltern begnügten sich noch mit einer Weltreise im Leben, unsere Nachkommen aber werden Ferien auf dem Mond oder Mars verbringen und jeder wird (im Durchschnitt) die Erde mehrmals umrunden in seinem Leben.
    2) Selbst bei den heutigen Reproduktionsraten wird Deutschland nicht vor 2150 auf die Bevölkerungszahl von 1834 zurückgefallen sein.

    Allerdings könnte es sehr gut sein, dass es im Jahr 2150 sehr viel weniger Menschen als heute gibt, einfach darum, weil es einen grösseren „Unfall“ gegeben hat.

  12. Vamos a la Playa
    Nicht Deutschland, Frankreich, Grossbritannien oder Skandinavien werden massiv schrumpfen, sondern Italien, Spanien, Portugal und Polen (also die katholischen Länder). Gemäss BEVÖLKERUNGSPROGNOSE 2100: DEUTSCHLAND SCHRUMPFT AUF 66 MILLIONEN gilt: In Ländern wie Spanien oder Italien könnten im Jahr 2100 nur noch etwa halb so viele Menschen leben wie heute., während Deutschland, Frankreich und Grossbritannien sich bevölkerungsmässig halten können.
    Der Artikel sagt eine Machtverschiebung aufgrund der neuen Bevölkerungsverteilung aus. Da hat er wohl recht: Spanien und Italien, die heute schon wichtige Feriendestinationen innerhalb der EU sind, werden bei halbierter Bevölkerung und unveränderter inkonsistenter, rückwärtsgewandter Politik wie schon lange in Italien, wohl zu reinen Touristendestinationen verkommen. In Italien kann man dann als Schwede oder Deutscher Führungen durch ehemalige oder noch aktive Mafiahochburgen mitmachen („visit Naples Big Bosses“) und sich anschliessend am Strand von der einheimischen Jugend verwöhnen lassen.
    Vamos a la Playa

  13. Martin Holzherr,
    die statistischen Zahlen beziehen sich auf gemeldete Einwohner.
    Tatsächlich wohnen viel mehr Leute , meist mit Migrationshintergrund , in den Städten. Allein in Brüssel schätzt man den Anteil der Nichtgemeldeten auf 60 – 80 000.
    Auf Spaniens Feldern sieht man viele Farbige. Die wohnen doch auch irgendwo und die haben auch Kinder.
    Der heimliche Zuzug hat längst eingesetzt und das Paradoxe dabei. Diese Zuwanderer sind gegen weitere Zuwanderer.

  14. Vielleicht ist ja alles ganz anders!

    Erin Brockovitch (ja die!) hat im Guardian (https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/mar/18/toxic-chemicals-health-humanity-erin-brokovich) eine interessante Sicht auf das Ende der Menschheit geworfen. Hintergrund: seit Anfang der 1970er ist die Fruchtbarkeit der Menschen um 60% wohl am abnehmen. Ursache sollen Umweltgifte (z.B PFAS) sein, wie sie seit Jahrzehnten in die Umwelt kommen und dort zum Teil nicht abgebaut werden.

    Wird die Abnahme der Fruchtbarkeit extrapoliert, werden ab 2045 keine Kinder mehr geboren. Das können wir, die wir das hier lesen, auf die eine oder andere Art noch erleben. Ich denke, die Vorstellung ist nicht mehr lustig. Mir drängen sich da Szenarien wie in dem Film “Children of Men” (Alfonso Cuarón, 2006) auf.

  15. “Der Kampf um junge Kräfte…”
    Wie die Geschichte zeigt geht ja das Kapital dorthin wo es den größten und schnellsten Profit bekommt. Es werden also da vermehrt Industrien entstehen wo billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen . Dieser Kampf ist also nicht unbedingt erforderlich, siehe auch das Ausbluten der deutschen Ostländer. Da gibt es Gebiete im Ostharz , Altmark, Mecklenburg etc. wo die Bevölkerung sich mehr als halbiert hat, wo durch die Treuhand damals ganze Industrien kaputt gemacht wurden und der Westen lange Zeit als “Besatzungsmacht” empfunden wurde. Wer ist da Rassist bzw. handelte so ? Ansonsten gehe ich davon aus dass sich die Bevölkerung wohl kaum verringern wird in Deutschland da Lobbyistengruppen zum Zwecke des Profitwachstums daran interessiert sind weiterhin genügend Renditen/Umsatz zu machen. Siehe den geplatzten Mietpreisdeckel , die Bauindustrie, Autoindustrie, Nahrungswirtschaft etc…. Aus diesem Grunde könnte ein weiterer Nachzug von Ausländern/Migranten zur Norm werden um die zunehmenden Lücken aufzufüllen und Unqualifizierte sind ja auch billige Arbeitskräfte bzw. drängen auf den Wohnungsmarkt, wo der Staat dann auch Mietkosten übernimmt . Die Erfordernisse des Marktes könnten also meiner Ansicht zunehmend die Bevölkerungsstrukturen/Zusammensetzung bestimmen .Der Kapitalismus muss Wachstum haben da er ohne Wachstum nicht bestehen kann bzw. sich selbst abschaffen würde.

    • Nein, @Golzower – diese Einschätzung ist m.E. klar überholt. Zwar werden teilweise Produktionsstätten in Länder verlegt, wo die Arbeitskosten niedriger sind – aber spätestens bei Entwicklung und Forschung kommt es ganz entscheidend auf die Infrastruktur an. Bereits wohlhabende Regionen mit Verkehrswegen, Märkten, Schulen, Hochschulen und auch Rechtssicherheit werden also tendenziell noch reicher – und ziehen Zuwanderung an. Ärmere Regionen ohne solche Infrastruktur verlieren dagegen gerade auch jüngere, engagierte Abwandernde – und riskieren, noch ärmer zu werden. Gerade auch mein Heimatland Baden-Württemberg profitiert enorm von der Zuwanderung aus den neuen Bundesländern, aus Süd- und Osteuropa sowie darüber hinaus. Wir liefern Autos und holen junge Menschen.

      Mittelfristig werden wir daher m.E. weltweit ein Nebeneinander weniger blühender Metropolregionen neben demografisch und wirtschaftlich verebbenden Landschaften sehen. Es hat ja längst begonnen, auch innerhalb Europas, auch innerhalb Deutschlands. Und das muss ja auch gar nicht schlimm, sondern kann etwa ökologisch auch sehr sinnvoll sein. Allerdings sollten wir darüber nachdenken und sprechen, anstatt uns in – oft rassistische – Fantasiewelten zu flüchten. Japan ist das Beispiel einer reichen Volkswirtschaft, die es fast ohne Zuwanderung versucht hat. Die Folgen kann jede/r sehen.

    • Meine Antwort wäre ein Jein @Golzower – Die Dinge sind kompliziert geworden.

      Für die Zeiten eines Karl Marx war die wesentliche Kapitalressource Arbeit. Das hat er analysiert für die Textilindustrie, und da ist es im Wesentlichen so gekommen wie vorhergesagt. Die Textilindustrie ist weg, dahin, wo die Ressource Arbeit billig ist. Indien ist denen auch lange schon zu teuer, die sind inzwischen weiter gezogen nach Bangladesh. Man hat noch lange versucht, in der Qualität dagegen zu halten: Ich komme vom Linken Niederrhein, dort hat man in meiner Kindheit noch hochwertige Samt- und Chordstoffe produziert. Alles weg.

      Heute aber ist die wesentliche Ressource Wissen, und das ist teuer. Nehmen Sie Piloten. Die stecken immense Gelder in ihre Ausbildung, verdienen aber danach auch sehr beachtlich.

      Nehmen Sie alle Bestandteile weg aus dem iPhone, die in Deutschland produziert werden, und das Ding fällt auseinander. Im Wortsinne: Alles, was bei Apple verschraubt wird, kommt von einer Firma in Wuppertal. Wobei –

      Auch hier wieder nicht ganz richtig, denn gefertigt wird inzwischen in der Tschechei. In Deutschland bleibt der Vertrieb, der Verkauf, die Verwaltung und die Ingenieurbüros. (Das ist eigentlich eine Werkzeugfirma.) Wir denken immer, die Dinger kommen aus China. Wo früher drauf stand: Made by Apple, California, steht heute Designed by Apple. Aber sie kommen auch nicht mehr aus China, wie noch vor 15 Jahren die MacBooks; da werden sie nur noch zusammengebaut. Wobei, natürlich, die Hülle aus Aluminium wird nach wie vor in China gefertigt. Aber z.B. der Touchscreen, auch der kommt aus Deutschland, das kriegen die Chinesen so nicht hin.

      Wiederum: Noch. Das erschrickt uns gegenwärtig: Daß eine chinesische Firma, Huawei, uns in der 5G-Technologie restlos überholt hat.

      Um den Bogen zurück zu schlagen zur Textilindustrie: Ohne Gewähr, aber ich meine, in Deutschland werden inzwischen schußsichere, also kugelfeste Textilien produziert, die sich so leicht tragen wie ein Baumwollhemd.

      Ich habe mir intensiv die Geschichte von Apple angeguckt. Bevor Steve Jobs wieder und schließich als Chef einstieg, stand Apple drei Monate vor dem Konkurs. Ohne Jobs wären sie pleite gegangen, eine Anektote der frühen Computergeschichte wie Commodore und Atari. Einen solchen Unterschied kann ein einzelner Mann heutzutage machen. Denken Sie an BionTech aktuell, oder auch an Christian Drosten. Der binnen Wochen nach der Sequenzierung des Corona-Virus einen PCR-Test aus dem Boden gestampft hat, der immer noch Goldstandart ist.

      • Wobei ja gerade auch die Geschichten von Steve Jobs (Apple), Ugur Sahin & Özlem Türeci (Biontech), Abdus Salam (erster muslimischer Physik-Nobelpreis) usw. zeigen: Talente können ihre Fähigkeiten vor allem dort entfalten, wo Infrastruktur und Rechtssicherheit bestehen. Sie stärken damit eben auch Zuwanderungs-Regionen.

  16. @Golzower 17.04. 18:52

    „Der Kapitalismus muss Wachstum haben da er ohne Wachstum nicht bestehen kann bzw. sich selbst abschaffen würde.“

    Sagt man so, aber stimmt das denn? Seit über 2 Jahren haben wir Nullzinsen. Das ändert ein wesentliches kapitalistisches Grundprinzip: Das Kapital immer Zinsen abwerfen muss. Wenn ich auf Kredit mit Nullzins ein Windrad baue und den Strom dann verkaufe, muss ich keine Kapitalzinsen einkalkulieren, und kann den Anschaffungspreis gleichmäßig auf die Betriebsjahre verteilen, und muss nur noch die Wartungskosten dazunehmen. Plus die unternehmerische Gewinnspanne, aber genau die muss sich gar nicht mehr am Anschaffungskapital orientieren, sondern kann sich ganz an einer Vergütung der eigenen Arbeit am Projekt orientieren. Und an dem konkreten unternehmerischem Risiko, also an den Unwägbarkeit des Windertrages und des zukünftigen Strompreises.

    @Michael 17.04. 22:00

    „Talente können ihre Fähigkeiten vor allem dort entfalten, wo Infrastruktur und Rechtssicherheit bestehen. Sie stärken damit eben auch Zuwanderungs-Regionen.“

    Das sind nicht unerhebliche Vorteile. Aber die Zuwanderung von weniger Qualifizierten bzw. aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse im Niedriglohnsektor Tätigen sind schon eine unangenehme Konkurrenz auf einigen Bereichen des Arbeitsmarktes. Als LKW-Fahrer oder Taxifahrer z.B. verdient man inzwischen wirklich schlecht. Und die höheren Mieten in den florierenden Regionen sind dann auch nicht nur Pluspunkte – für die, die sie zahlen, sieht die Bilanz nicht so gut aus, als für die, die sie kassieren. Die Nullzinsen wiederum entschärfen mittelfristig aber das Mietenproblem, vorausgesetzt es werden genug Flächen als Bauland ausgewiesen.

    Ich glaube auch nicht, dass wir wirklich so wenige Kinder haben wollen. Die Rahmenbedingungen für qualifizierte Frauen, die Karriere machen wollen, passen gar nicht gut zu 2 oder mehr Kindern, und bei den wenig Qualifizierten fehlt es an finanzieller Sicherheit, falls man den weniger solventen Partner verliert. Wenn man hier mal die Rahmenbedingungen anpassen würde, gäbe es mehr Nachwuchs, und es wäre auch weniger Bedarf für Zuwanderung.

    Die Hochqualifizierten können von mir aus gerne weiter kommen. Aber gerade hier wäre es für die Herkunftsländer günstiger, wenn die zuhause ihr Land aufbauen. Aber klar, so lange es da nicht mal mit der Stromversorgung und der Rechtssicherheit funktioniert, ist das besser, die kommen zu uns. Wenn es mal besser läuft in den Herkunftsländern, könnten die zurückkehren, und würden jede Menge der hier erworbenen Kompetenzen mitnehmen können. Das wäre ziemlich wirksame Entwicklungshilfe.

  17. @Tobias Jeckenburger
    Ganz kurz: das Wissen war auch schon früher ein wichtiger Produktionsfaktor. (Bsp. Venezianische Spiegel, aktuell die Verteilung von Land: es nützt den armen Bauern gar nichts, wenn sie Land bekommen, wenn sie nicht wissen, wie sie es bearbeiten sollen). Marx und die ganze liberale Schule erkannten es aber nicht als solchen.
    Hochqualifizierte: sie müssen schon zu unserer Wirtschaftskultur (ich habe keinen besseren Namen) passen. Konkret: ein hochqualifizierter japanischer Fugumeister kann hiertzulande nicht arbeiten: er bekommt keine Fische und darf sie in Deutschland auch nicht anbieten. Ein früherer Kollege, promovierter Ingenieur aus Russland, bekam in Deutschland keine Arbeit, weil er auf Röhren und keine Transisitoren spezialisiert war. Um nicht von HartzIV leben zu müssen, arbeitete er als Kellner.

  18. Ein wichtiger demographischer Faktor ist auch das durchschnittlich erreichte Lebensalter und wie man in How Humanity Gave Itself an Extra Life nachlesen kann, gilt (Zitat): Zwischen 1920 und 2020 hat sich die durchschnittliche menschliche Lebensspanne verdoppelt. Wie haben wir das geschafft? Die Wissenschaft spielte eine Rolle – aber auch der Aktivismus.

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