Mythen ergänzen die Vernunft. Kulturelle Evolution bei Karl Popper und Hans Blumenberg
Es gibt sie auch in der Philosophie – jene unerwarteten Entdeckungen, bei denen sich Puzzleteile plötzlich ineinander fügen, neuen Sinn ergeben und das Herz höher schlägt. So hatte ich mich nach der Erstabgabe meines neuen Christentum-zwischen-Rückzug-und-Kreuzzug-Buches (erscheint September) eigentlich mit vertiefender Lektüre von Hans Blumenberg (1920 – 1996) eigentlich “nur” vom Schreibdruck erholen und “belohnen” wollen. Nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass sich dieser tanzende Meister der Phänomenologie mit dem liberalen Erkenntnistheoretiker Karl Popper (1902 – 1994) ausgerechnet bei den Grenzen der Vernunft berühren würde. Und sinnigerweise fielen die Fundstücke passend nach einem schönen Gespräch mit dem Mit-Filderstädter Dr. Inan Ince über die Güte und Gefahren des Mythos zusammen! Was für ein Sonntag!
Mit dem Blumenberg-Portrait von Jürgen Goldstein wagte ich mich an eine Neu-Lektüre von Hans Blumenberg “Arbeit am Mythos”. Und plötzlich überkreuzte sich dieser mit Popper! Foto: Michael Blume
Evolutionäre Erkenntnistheorie und der pragmatische Rationalismus bei Karl Popper
Worin bestand der Kreuzungspunkt? In seinem monumentalen Grundwerk des Liberalismus “Die offene Gesellschaft” von 1944/45 hatte Karl Popper aus der Perspektive der evolutionären Erkenntnistheorie argumentiert, dass Freiheit und Vielfalt notwendig wären, um immer wieder neue, unerwartete Entdeckungen machen zu können. Entsprechend entfaltete er – auf Seite 482 des zweiten Bandes über Marx und Hegel – seine Position eines “pragmatischen Rationalismus”. Er bekannte: “Die Welt ist nicht rational. Es ist aber die Aufgabe der Wissenschaft, sie zu rationalisieren. […] Der pragmatische Rationalismus verhält sich zu einem unkritischen Rationalismus und zum Irrationalismus ähnlich wie der kritische Rationalismus. Denn ein unkritischer Rationalismus kann behaupten, dass die Welt rational sei und dass es die Aufgabe der Wissenschaft sei, diese Rationalität zu entdecken, während ein Irrationalist geltend machen wird, dass die Welt, die im Kern irrational ist, erfahren und ausgeschöpft werden sollte durch unsere Gefühle und Leidenschaften (oder durch unsere intellektuelle Intuition), nicht aber durch wissenschaftliche Methoden.” Zur Verdeutlichung seiner pragmatischen, mittleren Position zitierte Popper aus “Der logische Aufbau der Welt” von Paul Rudolf Carnap (1891 – 1970): “Es ist die Gesinnung, die überall auf Klarheit geht und doch dabei die nie durchschaubare Verflechtung des Lebens anerkennt.”
Mythos als Ergänzung der Vernunft und kulturelle Evolution bei Hans Blumenberg
Auf seinen völlig eigenständigen Denkwegen kam Hans Blumenberg in seinem großen “Arbeit am Mythos” von 1979 zu identischen Befunden. Weder Wissenschaft noch Kunst könnten aus dem Nichts erschaffen, was Jahrzehntausende kultureller Evolution hervorgebracht hätten. “Der Glaube, die Phantasie müsse in einem Wurf leisten können, was die Selektion der langen Nächte einmal und einmalig geleistet hatte, ist eine Illusion.”, genau genommen sogar “eine von der Vernunft erzeugte Illusion.” Entsprechend gelte leider: “Jeder historischen Formation von Aufklärung ist der Mythos daher eher als eine Last denn als ein Schatz erschienen.” Doch tatsächlich gelte: “Es kann vernünftig sein, nicht bis zum Letzten vernünftig zu sein.” So habe Rene Descartes (1596 – 1650) Unrecht gehabt, als er behauptet habe, “man könne Städte am besten rational bauen, wenn man die Alt-Städte erst einmal niederlegte. Nicht einmal der Zweite Weltkrieg hat Nachweise für diese Chance der Rationalität geliefert.” Denn es gelte zu bedenken: “Rationalität ist nur allzu leicht zerstörungswillig, wenn sie die Rationalität des Unbegründeten verkennt und sich Begründungseuphorie leisten zu können glaubt.” Deswegen überfordere die rationalistische Anweisung zum schrankenlosen Selbst-Bedenken von Allem schlichtweg die Menschen. Diese Forderung stünde “im unauflöslichen Widerspruch zur schmalen Endlichkeit des Einzellebens, das der Selbstdenker für sich selbst hat.” (Und kaum ein Mensch hinterließ mehr selbstgedachte Texte zu mehr Themen als Hans Blumenberg selbst, der dennoch nie auch nur annähernd “fertig” wurde.) Als Gewährsmann für seine These, dass also in bewährten Mythen vieles mehr gespeichert und denkmöglich geworden ist, als je vernünftig von Einzelnen gedacht werden konnte, zitierte Blumenberg Ernst Cassirer (1874 – 1945): “Die Vergangenheit selbst hat kein >Warum< mehr: sie ist das Warum der Dinge. Das eben unterscheidet die Zeitbetrachtung des Mythos von der der Geschichte, daß für sie eine absolute Vergangenheit besteht, die als solche der weitergehenden Erklärung weder fähig noch bedürftig ist.” (Alle Zitate aus der suhrkamp-Ausgabe 2005 von “Arbeit am Mythos” (1979), S. 178 – 181)
Die Mythos-Definition von David Atwood (Basel) und “Verschwörungsmythen”
Leserinnen und Leser von “Verschwörungsmythen” (Patmos 2020) werden sich ggf. erinnern, dass ich genau so mit Mythen arbeite, jedoch die Begeisterung für kulturelle Evolution um einen eher popperschen Punkt ergänze: Mythen haben sich nicht schon dadurch als “gut” erwiesen, dass sie über Generationen hinweg tradiert wurden. Gerade auch antisemitische Verschwörungsmythen mögen nichtjüdischen Menschen für einfache Freund-Feind-Dualismen und sogar als Rechtfertigungen für Raubzüge gedient haben – doch das macht sie ebensowenig “vernünftig” wie Vergewaltigungen durch evolutionäre “Reproduktionserfolge” zu rechtfertigen wären. Nützlich und erfolgreich sind – wie gerade auch Karl Popper betont – keinesfalls schon gleichzusetzen mit “wahr” und “gut”. Vielmehr gehört es zu unserer Aufgabe als vernünftige Menschen, zwar die Funktionen von Mythen und Verschwörungsmythen anzuerkennen – aber doch vernünftig zwischen ihnen zu unterscheiden, sie zu prüfen und nur die guten Mythen weiter zu tragen. Kulturelle Evolution wird von uns mit-verantwortet!
Als Definition von Mythen verwende ich dabei auch weiterhin den Vorschlag von Dr. David Atwood (Universität Basel):
“Unter einem Mythos werden diejenigen Erzählungen verstanden, die durch die Imagination einer paradigmatischen, d.h. bedeutsamen Geschichte die Welt raumzeitlich ordnen und damit Handlungsanweisungen für Individuen wie für Kollektive anbieten.” (David Atwood, “Schwellenzeiten“, Ergon 2019, S. 26)
Und wie es der sogenannte Zufall wollte, durfte ich just am 15. Juni 2021 an einer digitalen Podiumsdiskussion des Kantons Basel (Schweiz) mit dem besagten David Atwood, mit Laila Knotek und Dr. Michael Wilke teilnehmen. Mit der YouTube-Aufzeichnung dieser Veranstaltung möchte ich schließen – und Ihnen zurufen, dass Sie sich für heute einen philosophisch durchglückten Blogger vorstellen dürfen. 🙂
Ja, ich kenne auch so Aha-Momente, wie den, als ich erkannt habe, dass es allein vom Standpunkt des Betrachters abhängt, ob wir ein Objekt als Masse oder „masselos“ sehen – wir nehmen dasselbe Verhalten als Gravitation oder Impuls wahr, je nachdem, ob wir mit dem Auto mitfahren, oder es an uns vorbeifahren sehen. Dann verflucht man sich, weil man Ewigkeiten gebraucht hat, zu erkennen, was eigentlich eine Frage von „einfach mal hingucken und fünf Minuten darüber nachdenken“ hätte sein sollen, versucht, mit Leuten darüber zu reden, stellt fest, dass es entweder keinen interessiert, oder sie unbedingt streiten wollen, und beschränkt sich darauf, Andeutungen in Texten unterzubringen, wo sie nicht so richtig hingehören, aber irgendwie dann doch.
Es geht um Standpunkte – jeder Mensch ist eine Sonde, ein Sensor, die Facette eines riesigen Insektenauges, das einen winzigen Teil der Welt um sich beobachtet. Je mehr davon, desto wahrscheinlicher, dass man etwas Interessantes sieht. Aber dazu müssen sie erst mal hingucken.
DNA ist nur eine Art von Gencode – alle Information kämpft frei nach Darwin ums Überleben. Deswegen kann man kulturelle Evolution in einem Abwasch mit aller anderen behandeln.
Zwei Arten unermesslicher Blödheit ergeben zusammen Intelligenz. Bei der einen sind wir Corona hoffnungslos unterlegen. Sie setzt auf Masse, man mehrt die Schachbretter, macht auf jedem einen zufälligen Zug, dann mehrt man die Schachbretter, auf denen man noch nicht verloren hat. Unter allen möglichen Schachzügen sind auch die richtigen, unter allen Partien auch die Partien der Großmeister – je schlauer der Gegner, je effektiver er die Fehler aussortiert, desto klüger erscheint man. Wenn er richtig gut ist, bleibt am Ende nur die geniale Strategie übrig, mit der man ihn geschlagen hat.
Diese Intelligenz erfordert also eine hohe Anzahl von debilen Versuchskaninchen, die nach dem Jackass-Prinzip das Dümmste tun, was ihnen gerade in die Hohlschädel plumpst. Da die Menschheit nur acht Milliarden solcher lebenden Petrischalen hat, und jedes Exemplar zu einem Virenlabor mit Abermillionen Petrischalen umfunktioniert werden kann, haben wir bislang nur dem Virus gedient und seine Evolution angekurbelt: Indem es uns gerade so aufscheuchte, dass wir dagegen kämpfen, aber nicht so sehr, dass wir es ernst meinen, hat es sich gegen uns geimpft, eine schwache Immunreaktion provoziert, bei der wir jedes Mal, wenn es schien, als würden wir gewinnen, das Schlachtfeld räumten, sodass es einen neuen, besser angepassten Prototypen testen konnte. Selbst unsere Vorteile – wir können lichtschnell kommunizieren und müssen nicht warten, bis sich die Versuchskaninchen gemehrt haben, weil wir einfach nur den mutierten Gencode in alle Köpfe kopieren können – können den Vorteil seiner Masse nicht aufwiegen. Unsere Dummheit fordert das Virus zwar kaum heraus, macht es nicht schlauer, doch sie lässt ihm alle Zeit der Welt, zu spielen, zu lernen, erwachsen zu werden. Wir bieten ihm alle Vielfalt und Freiheit, die es braucht.
Zum Großmeister wurden wir erst, als die zweite Stufe der Intelligenz ins Spiel kam: Die Verblödung. Man versucht gar nicht erst die Dinge, die immer falsch sind, sondern speichert die Algorithmen ab, die immer funktionieren. Man probiert erst gar nicht, wie viel 2+2 ist, man nimmt einfach an, dass Diamant, Mond und zwei Kiesel zusammen immer 4 Steine sind. Dadurch kommt man viel schneller zum Ergebnis, und braucht deutlich weniger Versuchskaninchen. Wenige Wissenschaftler mit viel Wissen, wenige Computer, die sehr schnell mit langen Strängen Daten-Gencodes hantieren konnten, brachten in kürzester Zeit einen Impfstoff hervor – eine Mutation, die Corona zumindest theoretisch ernsthaft in Bedrängnis bringen könnte. Auch wenn die Menschheit sich derzeit an allen Fronten müht, daraus einen Evolutions-Booster für das Virus zu bauen.
Der Preis ist Überspezialisierung: Auch mit allen Spielzügen aller Schachgroßmeister aller Zeiten auf der Festplatte kommt man nicht weiter, wenn die Umwelt sich ändert und plötzlich Dame spielt. Dann macht man, was die Menschheit derzeit macht: Mehr vom Gleichen. Der Fisch auf dem Trockenen macht immer eifriger Schwimmbewegungen und atmet mit Kiemen, einfach, weil er nicht fähig ist, etwas anderes zu tun. Die Einzige und Allein Seligmachende Wahrheit, das klare Licht der Vernunft, das ihm den Weg gewiesen hat, ist zur Lüge geworden.
An dem Punkt kommt die Macht der Masse zu tragen – weil wir selbst beim Dumm sein Fehler machen, macht irgendwann irgend jemand etwas Kluges. Viele Standpunkte, Sichtweisen, Irrtümer, falsche Spielzüge, um den einen richtigen herauszufinden – die falschen schaffen Dünger, Futter für die Sieger, räumen sich selbst aus dem Weg, die Biomasse wird vom Störfaktor zur Ressource, wird umgeformt vom Versager zum neuen Erfolgsmodell. Wenn wir schneller dumm sind, machen wir auch mehr Fehler, das heißt, es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eine Lösung finden wird, die uns unsere Kristallkugel, das Wissen der Vergangenheit, nicht mehr bieten kann. Mehr Blödeln, mehr Irrwege, mehr Extremismus, mehr Wahn, mehr QAnon und Verschwörungstheorien – in dem wir uns panisch an eine Norm klammern, die auf einen anderen Planeten gehört, tasten wir blind und widerwillig auf dem vor, auf den uns der Zeitenwandel teleportiert hat. Mit vielen kleinen Jackass-Experimenten passen wir uns an die neue Welt an.
Weil jeder seinen eigenen Soll-Wert schützt, seine eigene Normalität, und immer auf Kosten der anderen, geraten wir in Konflikt und zerstören die Reste der Welt, die wir bewahren wollen. Das zwingt die Überlebenden zu neuer Anpassung, neuen Risiken, neuen Experimenten. Wir sind so programmiert, dass wir uns zur Evolution prügeln, ob wir wollen oder nicht. Je weniger wir wollen, desto mehr Blut und Schwund.
Eigentlich würden die Datenstränge, Gencodes, Versatzstücke in unserer Kristallkugel reichen, um uns schmerzfrei anzupassen. Doch wir sind schon zu überspezialisiert, zu perfekt an die Vergangenheit angepasst, um das Wissen zu nützen, um Neues zu basteln. Stattdessen sehen wir überall Regression: Territorialverhalten, Nationalismus und Führerkult von Schimpansen. Wenn das Menschenhirn nichts mehr nützt, löschen wir es und fangen wieder mit dem an, das darunter war.
Vermutlich sind unsere Hirnzellen allesamt Versuchskaninchen, Petrischalen: Jede für sich schrecklich dumm und nur an sich selbst interessiert, doch zusammen ergeben sie ein Auge, das sich sowohl in der Kristallkugel, wie auch in der Realität umsehen kann. Das Datenstränge prüft, vergleicht, nach Mustern sucht, ohne sich um das scheren zu müssen, was die derzeit amtierende Allein Seligmachende Wahrheit sagt. Ein Versuchslabor, in dem wir den ganzen Anpassungs-Quatsch durchlaufen können, ohne deswegen in der Realität den dritten Weltkrieg vom Zaun zu reißen. Das nennt man dann Phantasie.
Weil unser Hirn nicht mit Buchstaben arbeitet, sondern mit Bilderschrift, schreibt die Kristallkugel Mythen: Die Zombie-Apokalypse oder der Babelturm sind physikalische Formeln, sie zeigen ein tieferes Verständnis von Mechanismen der Entropie, als die Wissenschaft bisher hat. Dabei unterscheidet sie aber nicht zwischen Mythen, die noch der Erfahrungswelt eines Schimpansen entstammen, und solchen, die bereits der Mensch erstellt hat. Es ist eine Bibliothek, nur so gut, wie das, was man daraus macht.
Wenn Sie genau überlegen, sind beide Systeme das gleiche, in verschiedenem Maßstab – jedes im Innern noch so überangepasste System ist nach Außen, innerhalb eines größeren Systems, nur eines von vielen blödelnden Versuchskaninchen. Wir kombinieren hier die Vor- und Nachteile verschiedener Fraktal-Ebenen in Relation zur unseren.
Welches Weltbild, welches Betriebssystem sich am Ende herauskristallisieren mag – es muss nicht wahr sein, nur gut genug, um zu überleben. Eine Physik, in der zwischen Masse und masselos unterschieden wird, funktioniert ja auch recht gut seit hundert Jahren, auch wenn sie sich da nur reale Phänomene mit Hexerei erklärt. Wir können alle Löcher mit Fudge Factors kitten, alle unbeantworteten Fragen mit Gott, Zufall, Schicksal, okkulten Mächten. Solange wir nahe genug an der Realität bleiben, um Essen auf den Tisch zu bekommen, ist es der Evolution egal.
Kurzum, die menschliche Vernunft scheitert daran, dass wir Idioten sind. Oft genug ist es schlauer, die Klappe zu halten, der Realität zu rauschen, und darauf zu vertrauen, dass man in all dem Chaos irgendwann die höhere Vernunft erkennt – die rationalen Zusammenhänge, die sie zusammen bilden. Wissen macht dumm, wissen wollen macht weise.
Danke, @Paul S.
In Ihren Ausführungen zur vermeintlich fehlenden Vernunft anderer Menschen fehlt mir ein wesentlicher Aspekt: Die Frage nach dem Sinn. Denn es stimmt einfach nicht, dass „die Evolution“ nur auf das „Essen auf dem Tisch“ ziele. Evolutionäre Fitness definiert sich über die Nachkommenschaften, die Zukunft. Deutschland ist ein hervorragendes Beispiel für ein gleichzeitig wohlhabendes wie kinderarmes Land.
Eine rationalistische Gnosis, die sich an der vermeintlichen „Dummheit“ engagierter Eltern ergötzt, scheint mir auch evolutionär-erkenntnistheoretisch längst überholt zu sein.
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/dennoch-liberale-anthropodizee-nach-karl-popper/
Ihnen aber Dank für das Aufzeigen gedanklicher Alternativen!
Evolutionäre Fitness definiert sich über die Nachkommenschaften, die Zukunft. Deutschland ist ein hervorragendes Beispiel für ein gleichzeitig wohlhabendes wie kinderarmes Land.
Schließt das Eine denn das Andere automatisch aus? Es ist doch weltweit (über alle Kultur- und Religionsgrenzen hinweg, soweit ich weiß) zu beobachten, dass höher gebildete Menschen weniger Nachkommen produzieren als weniger gebildete (immer als Durchschnittswert zu verstehen, natürlich). Ich denke nicht, dass dieser Umstand kontra-evolutionär ist, denn daraus ließe sich doch ableiten, dass Bildung und Wissen kontra-evolutionär wären, was mir sehr unwahrscheinlich scheint.
Stattdessen denke ich, dass Kinderarmut eine Folge von Wissen ist: Anstatt 2 Kinder nur zu je 50% oder 4 Kinder nur zu je 25% fördern zu können, kann ein Paar ein einziges Kind zu 100% fördern und damit dessen Chancen deutlich erhöhen. Zudem ist es gerade in bevölkerungsreichen Ländern auch oft so, dass viele, noch dazu schlecht gebildete Menschen sich auf dem Arbeitsmarkt gegenseitig Konkurrenz machen und so ihre eigene Armut zementieren. Mit der Reduzierung der Kinderzahl erreichen Eltern also für das eine Kind dann bessere Lebenschancen. Auch im Hinblick auf den Klimawandel kann es durchaus evolutionär richtig sein, pro Paar (also pro ZWEI Erwachsene) nur EIN Kind zu haben, um Ressourcen zu sparen, weniger Fläche zu verbrauchen oder dergleichen.
Kinderarmut wäre dann die (richtige und kluge) Antwort gebildeter Menschen auf die Probleme unserer Zeit, um eben jene zu lösen und dennoch ihre Gene weitergeben zu können (im Gegensatz zu Leuten, die gar keine Kinder haben). Die Kinderarmut könnte also gerade der Garant für die Zukunft sein, denn die geringere Gesamtanzahl könnte die Zukunft der neuen Generation absichern.
Das würde sich freilich mit dem Generationenvertrag unseres Rentensystems und ähnlichen Konstrukten beißen, aber dadurch allein wird der Gedankengang ja nicht falsch – möglicherweise ist ja eher unser Rentensystem veraltet und nicht mehr zeitgemäß.
Dessen ungeachtet treibt freilich auch die Kinderarmut ihre Blüten, indem das einzige Kind dann allein die Last der Träume und Erwartungen der Eltern tragen muss (ganz abgesehen von ihrer Altersversorgung), und das Fehlen von Geschwistern hat ja auch soziale Effekte auf die Kinder usw. usf. – all das heißt aber dennoch nicht, dass die These von der “evolutionär richtigen” Kinderarmut deswegen automatisch falsch sein muss.
Vielen Dank, @tranquebar. Nach meiner Einschätzung zielen Evolutionsprozesse auf Selbstorganisation, nicht auf „wahr“ oder gar „gut“. Evolutionäre Fitness hilft uns daher bei ethischen Betrachtungen menschlichen Verhaltens für sich alleine noch nicht weiter.
Toller Beitrag und sehr informativ.
Sollte der Titel aber nicht
Mythen ergänzen den Verstand
heißen? 😉
Danke für Interesse und Rückmeldung.
Ich würde sowohl Mythos wie Vernunft als Verstandesleistungen verstehen. Die Frage war ja, wie sie zueinander stehen.
Hm.
Ich habe überlegt, aber jemand sollte es Ihnen doch sagen. Keine Sorge, nur eine kleine Kritik – Nicht einmal Kritik, nein, mehr so ein … Verbesserungsvorschlag? Und da ich bei Ihnen ohnehin derzeit nicht so gut angesehen bin (ja ja, ich weiß, aus Gründen), dachte ich, könnte ich gut derjenige sein, der ohnehin nicht mehr viel zu verlieren –
Kurzum: Als Sie in der Videokonferenz kurz hinausgingen, um Ihren sicherlich reizenden WaffWaff zu beruhigen, war hinter Ihrem nun nicht mehr sichtbaren Gesicht ein Computer-Monitor zu sehen. Nehmen Sie doch einmal für Videokonferenzen diesen in Betrieb und fixieren Sie doch einfach mal an diesem eine externe Webcam, schon ab 30€ (bis natürlich sehr viel teurer) zu haben!
Sie blicken dann nicht mehr auf eine Laptop-Cam, und damit auf uns, herab, sondern in die knapp über den Monitor, und damit uns geradewegs auf Augenhöhe in dieselbe. Schon sprachlich spüren Sie: Auf uns herab – Auf Augenhöhe. Sehen Sie sich noch einmal in diese Webkonferenz hinein: Das ist, was Ihre Gesprächspartner machen, und diese gleich viel sympathischer, vor allem auch: Die Situation gleich viel weniger gekünstelt wirken läßt. (Finde ich auch einen Aspekt, vor allem für Zuschauer, die Bewegtbilder noch mehr vom Fernseher kennen als aus Computerperspektive.)
Zudem Sie nun auch die Mitte 40 erreicht haben (ach ja, Glückwunsch nachträglich!) und sicherlich auch, aber ich denke doch, gar nicht mal so sehr, die vorzügliche Küche Ihrer Frau, vor allem aber doch jene fatal geneigte Kopfhaltung Sie ein Doppelkinn andeuten läßt, das Sie in Wirklichkeit, ich bin da sicher, noch gar nicht haben! 😳😉😁
Extra-Servicetipp: Ein Monitor läßt sich auch unter Windows für gewöhnlich sehr einfach als Zweitmonitor einrichten. Auf diesen könnten Sie abbilden, was Sie auf dem Laptop-Screen zu erwarten sähen, dann hätten Sie letzteren wiederum frei als Kontrollbildschirm. Auf dem Sie etwa das Endergebnis, den fertigen Livestream sehen könnten (ACHTUNG! UNBEDINGT TON AUSSCHALTEN! Ein solches Verfahren hat für gewöhnlich eine gewisse Latenz; Sie sehen das Endergebnis erst einige Millisekunden später. Aber Sie könnten mit einem kurzen Blick nach unten selber kontrollieren, etwa ob sich, wie erwünscht und erwartet, zum Beispiel wirklich eine PowerPoint-Folie im Endergebnis wiederfindet.)
Nix für ungut, bittegerne 😉
Ihr
Alubehüteter
Ach, @Alubehüteter…
In Ihnen könnte soviel mehr stecken.
*Seufzt.
Zitat:
“….Gerade auch antisemitische Verschwörungsmythen mögen nichtjüdischen Menschen für einfache Freund-Feind-Dualismen und sogar als Rechtfertigungen für Raubzüge gedient haben – doch das macht sie ebensowenig “vernünftig” wie Vergewaltigungen durch evolutionäre “Reproduktionserfolge” zu rechtfertigen wären. Nützlich und erfolgreich sind – wie gerade auch Karl Popper betont – keinesfalls schon gleichzusetzen mit “wahr” und “gut”. Vielmehr gehört es zu unserer Aufgabe als vernünftige Menschen, zwar die Funktionen von Mythen und Verschwörungsmythen anzuerkennen – aber doch vernünftig zwischen ihnen zu unterscheiden, sie zu prüfen und nur die guten Mythen weiter zu tragen. Kulturelle Evolution wird von uns mit-verantwortet!…..”
(Zitatende)
1.
Es gibt Zweckrationalität und humanistische Ethik. Sozialdarwinistische Zweckrationalisten halten jegliches Handeln, das dem Zweck der (darwinistischen) Arterhaltung und evolutionären Verbesserung der Art dient nicht nur für vernünftig, sondern auch für in hohem Maße ethisch.
Popper allerdings meinte bzw. versuchte zu begründen, dass sich Ethik grund- sätzlich nicht aus zugrundeliegenden wisssenschaftlichen bzw. wissenschaftstheoretischen Überlegungen (vernünftig bzw. rational) ABLEITEN liese. Man könne einfach nur entscheiden oder besser FÜHLEN, (humanitisch- ) handeln zu wollen. Als mögliches Beispiel (wenn man denn unbedingt eines brauche) nannte er den (entmythologisierten) protestantischen Theologen Albert Schweitzer.
2.
Zur Bedeutung des “Mythos” hat der Wisssenschaftsphilosoph Paul K. Feyerabend zeitlebens vermutlich schon sehr Wesentliches beigetragen.
Vertieft nachzulesen z.B. in seinem 2009 postmum erschienenen Skript “Naturphilosophie” (Suhrkamp, 384 Seiten)
Meint er den gefeierten entmythologisierenden Jahrhunderttheologen? Oder nicht doch eher den (meines Erachtens unterschätzten) Ethiker Albert Schweitzer? Und beruft der sich nur auf ein Gefühl?
In Kultur und Ethik legt Schweitzer dar, daß alle bisherige Ethik eingebettet sei in eine Metaphysik, in ein von Gott her gedeutetes Weltganzes, von wo aus die Menschheit wie davon abgeleitet der Einzelne Sinn, Bedeutung, Stellung, Aufgabe erhalte. Das sei bis auf weiteres nicht mehr möglich. Auf eine solche gemeinsame Deutung des Weltganzen werden wir uns kaum mehr einigen können, und damit auch nicht auf eine von dieser Weltdeutung abgeleiteten gemeinsame, verbindliche Ethik.
„Gefühl“ ist in der Tat ein Schlüsselerlebnis Schweitzers. Aber er macht es zur Grunderfahrung, zur Ausgangserfahrung eines jeden, daß er wahrnehme „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“. Von da aus, nicht mehr von einem Weltganzen müsse sich Ethik begründen.
Es ist übrigens interessant, sich mit der Familiengeschichte der Schweitzers zu befassen: Denn Sartre war auch einer. Und aus der Perspektive protestantischer Theologie nach dem Tode Gottes liest sich Sartre noch einmal ganz neu. Eigentlich treibt er in der Sache das Anliegen seines Großonkels (den er nur wenig gelesen hat, nicht persönlich begegnet ist) weiter.
Und ja – Heidegger ist für diese Zeit zu nennen als der unerwartete Antipode. Noch einmal. Heidegger ist der faszinierende Versuch, diese Rückbindung des Menschen an ein Größeres doch noch einmal wieder herzustellen – Bzw. ganz neu zu begründen. Das macht ihn zum so großen Bildungs- wie Ausgangserlebnis für katholische Phänomenologen, die Wege jenseits der Neuscholastik der pianischen Epoche suchen wie Karl Rahner, Bernhard Welte, wie eben auch Hans Blumenberg (wie der große Kurt Flasch ja in seiner wegweisenden Blumenberg-Forschung aufzeigt). Wenn Blumenberg seinen Aufbruch auch irgendwann abbricht (haben sich aber noch ganz Andere die Zähne dran ausgebissen: Thomas und Buenoventura mit Heidegger neu zu lesen und gegen Heidegger zu verteidigen), das Grundthema bleibt ihm: Daß ich Mensch eben doch nicht nur bin aus cartesianischer Selbstsetzung (wieder: Sartre!), sondern aus einem mir nicht Verfügbaren.
“Mythen ergänzen die Vernunft”
Eine naheliegende Frage hier ist, um was es sich bei Vernunft handeln soll.
Sind Mythen und Vernunft überhaupt von einer Art, dass diese sich ergänzen könnten, oder ist Vernunft an sich schon ein eigener Mythos?
Vernunft?
Erkenntnisfähigkeit? Das stünde ja in keiner Weise irgendwie gegen Mythen, ergo könnten die da nicht ergänzen.
Als ordnendes Prinzip? Mmh das scheint eher religiös zu sein .. als Vermittlungshilfe von dieser Vernunft kann man sich Mythen gut vorstellen, aber als Ergänzung?
Sicher gibt es noch viele weitere mögliche Bedeutungen von Vernunft, aber welche ist hier gemeint?
Lieber @einer,
sowohl Popper wie Blumenberg definieren Vernunft als das Erkennen von regelhaften Zusammenhängen, zuletzt v.a. durch die wissenschaftliche Methode (Theorie). Dass aus Vernunft alleine jedoch noch keine ausreichende Motivation etwa zu zielgerichtetem Handeln abgeleitet werden kann, würden sie bestätigen. Auch deshalb wäre es nach beider Auffassung auch immer notwendig, die Vernunft auch dadurch zu ehren, dass man ihre Grenzen anerkennt.
Mit freundlichen Grüßen
Wären Mythen dann eine Art Gedankenexperiment über eine Welt mit erdachten und nicht erkannten Regeln?
Auch, @einer. Sicher ist Ihnen z.B. aufgefallen, dass „Prophezeiungen“ oder auch „Zauber“ & „Flüche“ in mythischen Erzählungen nahezu Gesetzeskraft haben.
Mythen nicht schlecht sein müssen, (unfalsifizierbare) Mythen, die erkennbar Schlechtes wollen, schon.
Schön auch die beigebrachten Definitionen im Artikeltext.
In diesem Zusammenhang bleibt auch zu beachten, dass die Naturwissenschaften Vieles nicht erklären können, nur sogenannte Szientisten glauben dass dies ginge, sie setzen dann auf zukünftig zu erwartende wissenschaftliche Erkenntnis, was unvernünftig sein muss, insofern kann so eine “dicke fette Erzählung” helfen und Grundlage und Stand geben.
Wobei bei Mythen nie vergessen werden darf, dass sie Mythen sind.
MFG
WB
Danke, @Webbaer. Tatsächlich bekomme ich ja einigen Gegenwind dafür, dass ich gegen platonische, romantisierende und esoterische Traditionen feststelle, dass Mythen ebenso anfällig für Missbrauch sind wie Sprachen, Religiosität, Wissenschaften. Wir dürfen uns der vernünftigen Unterscheidung zwischen konstruktiven Mythologien und Verschwörungsmythen ebenso wenig verweigern wie der ethischen Reflexion anderer Lebensbereiche.
Die Idee des Sapere-Aude ist ein Mythos, insofern gibt es eine Art Grundbegründung (die Redundanz ist beabsichtigt), für bestimmte Axiomatiken, die auch Mythen genannt werden dürfen, das gesellschaftliche wie irdische Sein meinend,
Auch der Wahn kann mythisch sein.
>:->
Q: Wie unterscheiden wir?
A: Durch sinnhafte Axiomatik.
Axiomatik zH nehmend :
-> https://www.etymonline.com/word/axiom#etymonline_v_19028
Das eine und das andere auf einen zum Vergleich geeigneten Apparat ist gemeint, das eine kann schwerer sein als das andere, die Achse meinend, dann ist es sozusagen für alle Zeiten gesetzt wahr.
MFG
WB
“Mythen ergänzen die Vernunft.”…
tatsächlich?
ist es nicht eher so, dass man sich aus Vernunftverzicht auf zusehends brüchiger wirkende Mythen verlassen möchte, weil “das Leben ist ja auch sonst recht schwer”?
Ich kann zwischen beiden Thesen keinen ernsthaften Widerspruch erkennen, @donald mueller – auch Sie verweisen ja m.E. implizit auf eine Bewältigungs-Funktion von Mythen.
@Michael 06.07. 00:37
„Auf einen plumpen Reduktionismus läuft dies schon deswegen nicht heraus, weil Popper dabei 3 Welten unterscheidet: 1. Die materielle Welt. 2. Subjektive Überzeugungen und 3. etabliertes, allgemeines Wissen von mathematischen Formeln bis zu Menschenrechten. Popper würde gleich zugeben, dass Letztere nicht wissenschaftlich überprüfbar sind, sondern durch Beschlüsse in Welt 3 eingetragen werden. Die Realität ist bei ihm emergent, die Zukunft offen.“
Das ist zunächst mal schon ganz gut, finde ich. Um jetzt aber religiösen Mythen, spirituellen Erfahrungen und esoterischen Ansichten gerecht zu werden, ist dieses 3-Welten-Modell aber doch noch etwas zu klein.
Ich würde also zur Welt „1. Die materielle Welt“ noch eine Erweiterung hinzunehmen, nämlich geistige Aktivitäten, die erstens in der materiellen Welt wirksam werden können, und zweitens auch eine eigenen Unterabteilung im ganzen Kosmos ausmachen. Dies würde dann auf Welt „2. Subjektive Überzeugungen“ einwirken, dass wir uns dessen mehr oder weniger bewusst sein können, und auch in Welt „3. etabliertes, allgemeines Wissen“ könnte dieses zukünftig allgemein bzw. schon jetzt persönlich Eingang finden.
Reduktionismus ist dieses also schon mal gar nicht mehr, und die Realität ist dann immer noch emergent, die Zukunft immer noch offen, kann aber aufgrund von spezifischer Geistesinitiative dann auch noch planvolle Anteile haben.
Innerhalb dieses Horizontes kann man viel besser zwischen fundamentalistischem und weltoffenem religiösen Glauben unterscheiden: Der Weltoffene hält sich an das Regime des Regelmäßigem, das die Wissenschaft in der Welt sicher festgestellt hat, bleibt aber darüber hinaus bei Geisteswelten, soweit sie noch nicht von gesichertem Wissen verdrängt wurden. Der Fundamentalist dagegen ignoriert die Evidenz wie es ihm passt.
Und der fundamentalistische Naturalismus ignoriert einen Teil der subjektiven Wirklichkeit, was ebenfalls ins Nichts führt. Hier werden auch schnell mal Innenwelten ganz zum Epiphänomen degradiert, wenn man anders nicht mehr weiter kommt.
@ Tobias jeckenburger und zum Folgenden:
“…Innerhalb dieses Horizontes kann man viel besser zwischen fundamentalistischem und weltoffenem religiösen Glauben unterscheiden: Der Weltoffene hält sich an das Regime des Regelmäßigem, das die Wissenschaft in der Welt sicher festgestellt hat, bleibt aber darüber hinaus bei Geisteswelten, soweit sie noch nicht von gesichertem Wissen verdrängt wurden. Der Fundamentalist dagegen ignoriert die Evidenz wie es ihm passt.
Und der fundamentalistische Naturalismus ignoriert einen Teil der subjektiven Wirklichkeit, was ebenfalls ins Nichts führt. Hier werden auch schnell mal Innenwelten ganz zum Epiphänomen degradiert, wenn man anders nicht mehr weiter kommt….” (Zitatende)
In Absatz eins (des obigen Zitats) könnte man zudem für “religiösen Glauben ” auch “Wissenschaft ” oder “Wissenschaftler” einfügen. Da läufts nämlich sehr oft ähnlich. Auch wenn das immer wieder als “Verschwörungsschwurbelei von Wissenschaftsfeinden” abgetan und diffamiert wird.
@little Louis
Die beliebte Gleichsetzung von Religion und Wissenschaft wurde seit Ihrem Abgang auch von einem Account namens @Quasselstrippe betrieben – und ging ebenso daneben.
Bei Norbert Bischof habe ich dazu ein sehr schönes Zitat im Kontakt der Evolutionspsychologie und evolutionären Erkenntnistheorie gefunden:
“Fundamentalismus und Aufklärung, so diametral entgegengesetzt sie auch erscheinen, berühren einander doch in einer gemeinsamen Voraussetzung: Beiden erscheint es selbstverständlich, daß Mythos und Wissenschaft konkurrierende Erklärungsmuster zu einem und demselben Gegenstandsbereich anbieten.
Träfe diese Voraussetzung indessen wirklich zu, wäre der Mythos also nichts weiter als ein archaisches Wissenschaftssurogat, so bliebe seine zeitlose Attraktivität einigermaßen rätselhaft, der sich auch jene kaum entziehen können, die durchaus nicht in der Denkknechtschaft des Fundamentalismus stehen.
In der empirischen Forschung pflegen veraltete Erklärungsansätze nach kurzem Widerstand, der die Generation der auf sie eingeschworenen Lehrer kaum je überdauert, von allein ihre Faszinationskraft einzubüßen. Max Planck hatte in diesem Sinne ungeduldige Mitarbeiter, die den Gegnern der Quantentheorie apologetische Gefechte liefern wollten, mit dem weisen Ratschlag gebremst, solche Leute widerlege man nicht, man lasse sie aussterben.
Beim Mythos ist das eigentümlicherweise anders. Er denkt nicht daran auszusterben.”
Bischof, Norbert: Das Kraftfeld der Mythen, Piper 1996 / 1998, S. 35 – 36
Es lohnt also für jedes Erkennen, wissenschaftliche Theorien und evolutionär gewachsene Mythen sorgsam zu unterscheiden.
Daß der bildungsferne Pöbel hier auf die belächelte Philosophenkarikatur Popper abfährt, liegt in der Natur der Sache.
Danke, dass Sie uns daran erinnern, dass brillante Philosophen wie Karl Popper auch Hass auf sich gezogen haben & ziehen. Nett auch, dass Sie Ihre Menschenverachtung gleich mit ausdrücken.
Und, nein, ein „Antifaschist“ sind Sie nicht. Im Gegensatz zum NS-verfolgten Ehepaar Popper.
Ihre Trollerei hat übrigens gerade zu meiner Antwort & damit dem 36.000ten Kommentar geführt! 🤩
Ihnen gute Besserung, vor allem im Herzen.
@little Louis 08.07. 14:58
„In Absatz eins (des obigen Zitats) könnte man zudem für “religiösen Glauben ” auch “Wissenschaft ” oder “Wissenschaftler” einfügen.“
In der Tat kann man beobachten, das Wissenschaftler ihren eigenen Spekulationen ein höheres Gewicht einräumen. Was sie sicher wissen, darum geht es mir nicht. Das ist meistens tatsächlich richtig. Aber was noch unsicher und spekulativ ist, da meine ich, dass hier die Experten auch nicht so viel besser in ihren Einschätzungen sind als etwa Fachfremde oder Laien.
Insbesondere ist es der Kern aller Weltoffenheit, dass man sich der Spekulation bzw. dem Mythencharakter von Spekulationen stets bewusst ist. Nutzen darf man die Mythen aber doch, schließlich müssen wir mit dem Nichtwissen irgendwie umgehen, und oft kommt man einfach nicht da dran vorbei, irgendetwas zu glauben. Genau deswegen gibt es auch keine Alternative zur Religionsfreiheit.
Was aber nicht impliziert, dass man für die Kirchen Steuern erhebt, und ihnen andere Sonderrechte und Vergünstigungen gewährt. Auch kann man keine Straftaten akzeptieren, die aus Glaubensgründen begangen werden. Das gilt nicht nur für islamistische Anschläge und für Ehrenmorde, sondern auch für die Vertuschung von Kindesmissbrauch in den großen christlichen Kirchen.
@alle
Marx halte ich- tut mir leid für alle seine Bewunderer – für einen schwarzen Gnostiker ( so Eric Voegelin) oder einen psychisch kranken Menschen (ähnlich wie Nietzsche) .
Als Wirtschaftswissenschaftler taugt er gar nichts, wie schon Boehm-Bawerk zeigte https://www.marxists.org/deutsch/referenz/boehm/1896/xx/3-widerspruch.htm
Zu den verbotenen Büchern: Ich erinnere daran, dass in der DDR (eigentlich sollte ich das zweite D hier in Klammern setzen, denn die DDR war so demokratisch, wie sich das eine blaue Partei vorstellt) Immanuel Kants Erkenntnistheorie im Giftschrank stand.