Möge das Buch der Sith mit Dir sein – Gedanken zum Star Wars-Day des 4 Mai 2023

Als ich den Star Wars-Day des 4. Mai – May the Fourth be with you – 2020 im deutschen StaMi-Podcast “anerkannte” wurde das meist als eine Fan-Marotte belächelt. Doch was ich damals schrieb und sagte, bekräftige ich auch drei Jahre später: In einer zunehmend medialisierten Welt wird es für alle von uns lebenswichtig, gute (also monistische), belanglose (relativistische) und böse (dualistische) Mythen zu unterscheiden. Dazu kann die ScienceFiction ein Weg sein, im Deutschen beispielsweise die kulturell noch immer unterschätzte Rekordserie Perry Rhodan. Dazu können Rollenspiele wie Dungeons and Dragons, Das Schwarze Auge oder Shadowrun ein Weg sein, da sie in besonderer Weise die Mit-Arbeit an Mythen fördern. Und dazu kann Star Wars ein Weg sein, das zuletzt mit brillanten Serien wie dem Arbeiterepos “Andor” und dem Space-Western-Ordensweg des Mandalorianers brillierte. Das ist der Weg.

Eine Kachel zum erkenntnis- und spielphilosophischen Podcast-Gespräch mit Kathrin Fischer & Björn Herzig bei “Ungeheuer vernünftig”. Grafik: Vernunftgeheuer

Im dualistischen Denken sind alle privatwirtschaftlichen Konzerne entweder gut (marktradikal) oder böse (kommunistisch). Ein geschichtlich informierter Monismus weiß dagegen, dass es enorme Unterschiede zwischen der Kapitalisierung von Erdöl oder Trinkwasser einerseits oder der Herstellung von Mythen im ständigen Dialog mit den Fan-Szenen gibt. Niemand muss also Walt Disney selbst bemühen, um zu erfassen, warum der Disney-Konzern gerade den US-republikanischen Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, verklagt. De Santis hatte den zunehmend demokratisch-monistischen Kurs des Konzerns wiederholt als “woke” kritisiert und ihm Steuervorteile entzogen. Dass im antifaschistisch angelegten Lucasfilm-Star-Wars-Universum auch der US-Republikaner Newt Gingrich als Nute Gunray verspottet worden war, hatte die Sympathien sicher nicht erhöht.

Bei aller Loyalität zur Star Wars-Saga kritisierte ich jedoch nicht nur einige nach meiner Auffassung missglückte Entwürfe wie rassistische Klischees um Jar Jar Binks und die eher schwache Han-Solo-Verfilmung. In Ulm sprach ich zum Star Wars-Day 2022 auch eine weitere Kritik an: den Dualismus in der Konzeption der Sith, die “zum Bösen geboren” erschienen.

Entsprechend gespannt erwarb ich mir anlässlich des Besuches der 501st Garrison in der Stadtbibliothek meines Heimatplanet… meiner Heimatstadt FilderstadtDas Buch der Sith” (2022) von Daniel Wallace, ins Deutsche übersetzt von Marc Winter.

 “Das Buch der Sith” – Nur Merchandise oder auch Philosophie? Foto: Michael Blume

Inhaltlich und grafisch bietet sich “Das Buch der Sith” (DBdS) als eine Textzusammenstellung von Darth Sidious – dem höchsten Sith-Lord und zeitweisen Imperator – an. Es enthält damit Texte und Bilder verschiedener Sith wie der Alchemistin Sorzus Syn und Darth Bane, aber auch einen Einschub der Nicht-Sith-Nachtschwester Mutter Talzin und “handgeschriebene” Marginalien etwa von Luke Skywalker, Palpatine oder gar Yoda. Durch zahlreiche auch ganzseitige Grafiken wird das Ganze optisch und inhaltlich zusätzlich angereichert.

Und zu meiner positiven Überraschung bietet DBdS eine philosophisch-mythologisch durchaus überzeugende Erklärung des Sith-Dualismus als sozialdarwinistischer Rechtslibertarismus: Da Jedi aller Völker mit einem besonderen Zugang zur Macht geboren worden seien, hätten einige immer wieder auch gegen den monistisch-republikanisch orientierten, “in seiner Orthodoxie erstarrten Jedi-Rat” (S. 10) rebelliert, stattdessen auf ihren Macht-Privilegien wie dem Recht auf der Beherrschung und Manipulation aller anderen Lebensformen bestanden.

“Schon nach seiner [Jedi-Orden-]Gründung auf Tython erkannten die Wissbegierigsten unter ihnen die Fehler ihrer Lehrer, und es kam zum Ersten Großen Schisma. Damals ließ ein Kashi-Mer-Außenseiter namens Xendor einige Jedi an der Hellen Seite, dem Ashla, zweifeln. Sie erkannten den Nutzen der Dunklen Seite, des Bogan, und lösten die Fesseln, die ihre Meister um die Macht gelegt hatten.” (S. 12 – 13)

Nach der Niederlage einer rechtslibertären Sezession hätten sich die Ersten Jedi-Häretiker um die Überlebenden Ajunta Pall und Sorzus Dyn auf Korriban niedergelassen und das dortige Volk der Sith in ein elitäres Kastensystem gezwungen: An der Spitze die “Dunklen Jedi”, darunter die Priesterkaste loyaler Sith-Kissai, die Ingenieure der Sith-Zuguruk, die Krieger der Sith-Massassi und schließlich die Unterworfenen aller Völker, die Sklaven-Grotthu. (Grafik S. 21)

Ein besonders mächtiger Sith-König, Adas, sei nach seiner “Herrschaft der Axt” und dem Tod auf dem Schlachtfeld schließlich gar als Sith’ari, Gott der Sith (S. 32) verehrt worden und habe messianische Hoffnungen auf eine Wiederkehr auf sich gezogen. Schon der dunkle Jedi Ajunta Pall habe sich bei der Hinrichtung von König Hakagram Graush und der Besteigung des Thron der Sith auf diesen alten Mythos bezogen.

Verschiedene Varianten des Sith-Kodex (S. 46 – 48) zeigen die entsprechende, dualistisch-mythologische Entwicklung vom ego-zentrierten, rechtslibertären Relativismus (“Frieden ist eine Lüge, es gibt nur Leidenschaft. […] Die Macht wird mich befreien.“) bis zur religiös grundierten Tyrannophilie auf: “Der Sith’ari wird keine Grenzen kennen.

Doch nach Jahrhunderten erfolgloser Kämpfe – dargestellt unter anderem durch Tagebuch-Auszüge des Malgus – habe Darth Bane die Logik der Masse verworfen und “Die Regel der Zwei” (S. 65 ff.) eingeführt: Statt sich öffentlich zu zeigen und auch untereinander zu zerfleischen, sollte stets nur noch ein Sith-Lord seine Macht an je einen Schüler weitergeben, die beiden aus dem Verborgenen kämpfen. Nachdem Darth Plagueis Forschungen zur Unsterblichkeit begonnen hatte, wurde er von seinem Schüler Darth Sidious ermordet, der nun selbst den “ewigen Sieg” (S. 145) und die “Regel des Einen” (S. 155) anstrebte. Während diesem letzten Sith-Lord sein Schüler Count Dokuu nur als zeitlich nützliche Spielfigur erschien, glaubte er in Anakin Skywalker als Darth Vader einen Schlüssel zur eigenen Unsterblichkeit zu finden. Dies erklärt nicht nur das Verhalten des Sith-Lord Kanzler-Imperators in Star Wars-Episode 3 “Die Rache der Sith”, sondern auch die boshafte Wiederkehr in den Folgen 7 bis 9 überzeugend.

In Summe bietet DBdS also nicht nur eine Zusammenstellung verschiedener Sith-Charaktere, sondern eine ausgearbeitete “Philosophie & Geschichte des Freund-Feind-Dualismus”, der sich aus dem immergleichen Egoismus und Machtanspruch speist, dabei aber immer wieder historisch wandelbare Formen annimmt. Unklare und manchmal auch nervige Verhaltensweisen der “Dunklen Seite” (oh, NOCH ein Todesstern!) werden damit gekonnt verbunden, ja erklärt: Wer von der eigenen Überlegenheit so überzeugt ist wie ein Sith-Lord läuft immer wieder gegen die gleichen Wände, um diese zu durchbrechen…

“Das Buch der Sith” bietet daher nach meiner Einschätzung nicht nur farbenprächtige Unterhaltung, sondern philosophisch wertvolle Mit-Arbeit am Star Wars-Mythos, ja gar echte Hilfe beim psychologischen Verstehen des von Rabbi Sacks, sel. Ang., entschlüsselten Dualismus. Gerade auch für die klügeren Rechtspopulisten unserer Erde ist Inhalt und Erfolg dieses Buches keine gute Nachricht.

So “propagiert” Darth Sidious im abschließenden Kapitel die regelmäßigen Tricks des Dualismus in Form des Rechtspopulismus, Faschismus samt historischen Sexismus, Rassismus und Antisemitismus:

“Und Wut stärkt mein Imperium. Auf Autoritäten gerichtete Wut ist allerdings gefährlich. Sie muss schwächere Personen zum Ziel haben. […] Macht man die Machtlosen zum Ziel, wird sich das Volk nicht gegen die Herrschenden richten. Ganz im Gegenteil, man wird diese als Helden verehren, da sie die Schwachen entlarvt haben.” (S. 155)

Nun verstehen Sie meinen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und so schließe ich im Hinblick auch auf den morgigen Erdentag:

May The Force (Fourth) Be With You! – Möge die Macht mit Dir sein!

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

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