Mitwelt Metaversum – Warum wir Fantasy und Spiele brauchen

Antisemitismus war nie eine wissenschaftliche Theorie, sondern stets eine medial verbreitete Fiktion. Adorno sprach daher gar vom “Gerücht über die Juden”.

Gerne habe ich die Einladung zu den Next Frontiers 2022 in Stuttgart als Tage für angewandte Fiktion (“Applied Fiction Days”) genutzt, um einmal auf Nerd-Level an Thesen von Karl Popper und J.R.R. Tolkien für die Aufklärung von antisemitischen, rassistischen und sexistischen Verschwörungsmythen durch Spielen und Fantastik sowie den Begriff der Mitwelt zu werben.

Zu den Stuttgarter Kleinoden gehören die “Next Frontiers”-Tagungen und das Dragon Days Fantastikfestival. Screenshot mfG: Michael Blume

Inhaltlich beruht der Vortrag dabei auf meinem Game Studies-Artikel beim Boardgame-Historian. Unten pflege ich aber auch nochmal das Radiostück zur Mythentheorie von J.R.R. Tolkien ein. Eine besondere Freude waren mir aber auch die Diskussionen nach dem Vortrag, bei denen ich u.a. von einem Shadowrunner den wunderbaren Begriff “Identitäts-Bastionismus” lernte und erstmals einen e-lorean-Wagen sah.

Allen Interessierten viel Freude beim Lesen – hier das Vortragsskript als pdf und als Fließtext:

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte Euch von Herzen danken, dass ich die „Applied Fiction Days“ in Stuttgart 2022 mit einer Rede eröffnen darf.

Und vielleicht fragt sich ja wirklich jemand, was die Arbeit eines Religions- und Politikwissenschaftlers sowie die Arbeit eines Beauftragten gegen Antisemitismus mit Fiktionen und Fantasie zu tun hat.

Die Antwort ist denkbar einfach und mein voller Ernst: Alles.

Der Antisemitismus als dualistischer Glauben an eine jüdische Weltverschwörung ist nichts anderes als eine Fiktion – und zwar die gefährlichste Fiktion der Menschheit. Und diese ging vom ersten Schritt der Medialisierung aus, von der Vor-Vorgängerin des Metaversums:

Der Antisemitismus fand seinen neid- und hasserfüllten Ursprung in der simplen Tatsache, dass das Judentum die erste Religion der Alphabetisierung war; jener Medienrevolution, die erstmals eine Schrift aus bis zu 30 Buchstaben für alle Menschen zugänglich machte. Bis heute besteht jede rabbinisch-koschere Thora aus 304.805 von Hand geschriebenen Alphabet-Buchstaben. Aus der mythologischen Aussage, der Mensch sei „im Bilde G’ttes geschaffen“ entstand über den jüdischen Arzt und Gelehrten Maimonides und dessen Aufnahme durch den deutschen Gelehrten Meister Eckhart der edelste Begriff der deutschen Sprache – die „Bildung“.

Jedes Kind – auch jedes nichtjüdische Kind – soll nach diesem Ideal also einmal in einer Welt leben, in der es eine Schule besuchen und seine einzigartigen Potentiale zum Besten aller entfalten kann. Genau darin erkannte die jüdische Bibelauslegung die Funktion des Noahsohnes Sem: Er galt als der erste Begründer einer alphabetisierenden Schule; für alle Menschen, die bei ihm lernen wollten! Der Semitismus steht nicht für eine „Menschenrasse“ – dieses Konzept gibt es auch im Judentum nicht, es gibt Jüdinnen und Juden aller Hautfarben -, sondern für das erste, religiöse Ideal einer allgemeinen Schrift- und Charakter-Bildung! Was für eine fantastische, monistische Idee, was für eine Fiktion, was für eine Jahrtausende überspannende Fantasie!

Heute gehören gerade einmal 0,2 Prozent der Weltbevölkerung – 15 bis 16 Millionen Menschen – dem Judentum an. Aber über 20 Prozent aller Nobelpreise, die jemals verliehen wurden, gingen an jüdische Preisträgerinnen und Preisträger. Für Antisemit:innen ist klar: Dahinter muss eine intellektuelle Überlegenheit und charakterliche Bosheit mindestens einiger jüdischer oder gerne auch „zionistischer“ Superverschwörer verantwortlich sein. Dass auch Bibel, Koran und fast die gesamte wissenschaftliche Literatur der Menschheit alphabetisiert sind, dass evangelische Pfarrfamilien, christliche und humanistische Schulen ebenfalls zu Bildungsexplosionen führten – wird dagegen verdrängt.

Ich teile inzwischen die These von Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, die er in seinem großartigen „Not in God’s Name“ formuliert hat: Demnach gingen der verschwörungsgläubige Antisemitismus wie auch alle – ja, alle! – Formen des religiösen und politischen Extremismus auf die Psychologie des Dualismus zurück: Dualist:innen bestreiten die Einheit der Welt und der Menschheit und behaupten, dass einige Menschen absolut fremdartig und böse seien, vertrieben oder gar vernichtet werden müssten.

Dabei wird der Antisemitismus mit anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie dem Rassismus – etwa des Antiziganismus – und dem Sexismus kombiniert. In verschwörungsmythologischen Begriffen wie „Hexensabbat“ und „Hexensalbe“, heute als „Adrenochrom“ digitalisiert, begegnen uns auch heute noch Fiktionen, die von den Verschwörungsgläubigen nicht als Fiktionen erkannt werden. Und so entdecken wir nicht nur entsetzt antisemitische Darstellungen zum Beispiel in der Kasseler Documenta15, vernehmen die Boykott- und Vernichtungsaufforderungen gegen Israel, sondern müssen uns auch mit dem Befund auseinandersetzen, dass wieder in über 40 Ländern der Erde vermeintliche „Hexen“ verfolgt, vertrieben, ja ermordet werden!

Dualismus bleibt weit verbreitet

Und der feind-selige Dualismus, der die eigene Identität über die Bekämpfung eines fiktionalen Feindes herstellt, bleibt auch in den vergleichsweise wohlhabenden und demokratischen, deutschsprachigen Ländern weit verbreitet.

Wer kennt keine Esoterikerin, die vermutet, „die Schulmedizin“ strebe eigentlich nach „Vergiftung“ der ihr anvertrauten Menschen? Den Reichsbürger, der erklärt, die Bundesrepublik existiere gar nicht, sei eine Verschwörung? Die Impfgegnerin, die das Covid19-Virus für ein Machwerk von Bill Gates und den Rothschilds hält? Den Rechtslibertären, der den Markt für absolut gut und den demokratischen Staat für räuberisch und böse hält, die Einführung eines „Ökosozialismus“ durch grüne Politikerinnen im Dienste des „World Economic Forum“ in Davos befürchtet? Die Plakate, wonach der Holocaust-Überlebende George Soros die Fluchtbewegungen wie auch die EU-Kommission kontrolliere?

Zu meinem Arbeitsalltag gehören Autoren wie Tilman Knechtel, der den Holocaust nicht etwa leugnet, sondern als Teil der angeblichen, jüdischen Rothschild-Verschwörung zur Gründung des Staates Israel und Herbeiführung eines 3. Weltkrieges deutete. Oder auch Holger Kalweit, der „die Deutschen“ als „letzten Kern der überlebenden Atlanter“ im Kampf gegen „Echsengötter“ deutet und den Nazis „deutsche Flugscheiben“ in „Neuschwabenland“ zuschrieb.

Eine alte Vermutung besagt, dass die Fantastik Teil des Problems wäre. „Weil“ Menschen einander Märchen und Mythen erzählten, fantastische Romane und Filme genössen, in Fantasy-Rollenspiele abtauchten und Computerspiele spielten, verlören sie den Kontakt zur Realität und würden in gefährliche Fiktionen abdriften. Ob eine Bibel oder eine Folge von „Big Bang Theory“, ob die Tafelrunde von König Arthus oder der Weg des Tao, ob das Schwarze Auge (DAS) oder Shadowrun, ob der „Star Wars“-Day, den ich per Beauftragten-Podcast 2020 „offiziell anerkannte“ und an jedem 4. Mai begehe, ob Tolkiens „Mittelerde“ oder die Stuttgarter „Dragon Days“ – es wäre doch alles nur Illusion, Weltflucht und Scheitern.

Mediales Vordringen in die Welten 2, 3 – und 4?

Ich vertrete jedoch – wie wir sehen werden mit Prof. Tolkien – genau die gegenteilige Position: Seitdem unsere Vorfahrinnen und Vorfahren das Feuer und immer mehr Zeit- und Spielräume entdeckt haben, eröffnen sich uns Menschen immer größere und vielfältigere, mediale Möglichkeiten – damit aber auch die Notwendigkeit der Unterscheidung.

In den Worten von Karl Popper reichen wir als Menschheit seitdem immer weiter über die Welt 1 der „Körperwelt“, der „materiellen Dinge“ hinaus.

Über die Welt 2 unserer subjektiven „Erlebnisse“ stoßen wir mit jeder Generation weiter vor in die Welt 3 der „objektiven Produkte des menschlichen Geistes“.

Dazu gehören dann, so Popper, klar erkennbares „Menschenwerk“ wie zum Beispiel Geld in Barren-, Münzen-, Papier- oder Datenform sowie Staaten mit umkämpften, auf umstrittenen Landkarten verzeichneten Grenzen – ebenso wie Entdeckungen, die unabhängig von uns zu existieren scheinen, wie etwa die Primzahl. Ob und ggf. wie die Wissenschaften, Menschenrechte, ein Sinn des Universums oder Gott „existieren“ wäre demnach keine Frage von Welt 1, sondern letztlich von Welt 3.

Schon Popper betonte dabei den Erkenntniswert der Emergenz und auch ich halte es zum Beispiel für denkbar, dass etwa die Sprachen, die Methoden der Wissenschaften, spirituelle und religiöse Erfahrungen sowie die Idee der Menschenwürde zwar jeweils Menschenwerk waren und sind, aber durchaus Teil an der Entdeckung der größeren, ja letzten Wahrheit haben. Auch die Mathematik hat ja eine historisch-emergente und eine überzeitliche Seite – und gerade auch in der Spieltheorie – der „Spiel-Theorie“ (!) – eröffnen sich ständig neue Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten.

Womöglich werden zukünftige Philosophinnen entsprechend zwischen einer historisch-kontingenten Welt 3 und einer überzeitlich-glaubwürdigen Welt 4 unterscheiden. Ich meine, dies wäre den Versuch wert.

Beispiel evolutionäre Religionsforschung

Beispielsweise kann ich als Religionswissenschaftler inzwischen empirisch und interdisziplinär gesichert sagen, dass schon die Wahr-Nehmung gemeinsamer, überempirischer Akteure wie Ahninnen, Geister und Gottheiten das Fühlen, Denken und Verhalten von Gläubigen beeinflussen kann. Der Glaube, beobachtet und beurteilt zu werden, hat komplexe und nachweisbare Auswirkungen, die von Erfahrungen der liebevollen „Anschauung“ (einem weiteren Begriff von Meister Eckhart) bis zur Furcht vor Höllenstrafen reichen können.

Religiöse Traditionen können also auf Basis von empirisch nicht überprüfbaren Mythen höhere Kooperations- und also auch Reproduktionsniveaus mit einem kulturellen Trend zum Monismus erreichen, wenn sie von ihren Mitgliedern Glaubwürdigkeit steigernde Signale [Credibility Enhancing Displays, CREDs) wie Opfer-, Zeit-, Speise-, Kleidungs- und Verhaltensgebote einfordern.

Mythologische Fiktionen, Symbole, Rituale waren und sind empirisch nachweisbar in der Lage, religiöse, spirituelle, weltanschauliche Gemeinschaften als emergente Systeme zu erzeugen, in denen Menschen höhere Niveaus des Nash-Gleichgewichtes erreichen.

Allerdings sind diese nicht „moralisch gerichtet“ – und können also nicht nur in freundliche Diakonie, Familien- und Bildungsarbeit umgesetzt werden, sondern ebenso in extremen Freund-Feind-Dualismus wie etwa die Spanische Inquisition oder das „digitale Kalifat“ des selbsternannten „Islamischen Staates“. Weder Religionen noch Mythologien sind immer lebensdienlich und „gut“, schon gar nicht für Anders- und Nichtglaubende.

Dualistische, mit Verschwörungsvorwürfen arbeitende Verschwörungssekten wie QAnon und Querdenken, OneCoin- und manche Bitcoin-Jüngerschaften binden die eigenen Anhängerschaften religionspsychologisch, dualisieren sie gegen die demokratischen Staaten samt ihrer Geldsysteme und zocken sie ab. Tatsächlich sind antisemitische und generell verschwörungsmythologische Verschwörungsbewegungen regelmäßig mit dubiosen, oft kriminellen Geschäftsmodellen verbunden – ich spreche sogar von „Verschwörungsunternehmern“.

Ich behaupte also einen wesentlichen Unterscheid: Menschen in aufgeklärten, monistischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wissen, dass sie glauben. Menschen in dualistischen Verschwörungssekten glauben, dass sie wissen.

Daher habe ich bei der Gedenkrede zu Ehren von Hans Scholl und der Weißen Rose in Crailsheim bewusst über die Bedeutung des Zweifels gesprochen. Und daher bereitet es mir fast körperliche Schmerzen, wenn Verschwörungsmythen etwa des Antisemitismus immer noch – und auch von formal gebildeten, klugen Leuten – als „Verschwörungstheorien“ sprachlich geadelt und verharmlost werden.

Judenfeindliche und zunehmend rassistische Verschwörungsvorwürfe bildeten niemals wirklich wissenschaftliche Theorien. Schon im 14. Jahrhundert wagte der monistische Regensburger Domherr Konrad von Megenberg schriftlich aufzuzeigen, dass der Verschwörungsmythos von jüdischen „Brunnenvergiftern“ widersprüchlich und die Pestpogrome schreiendes Unrecht waren. Auch damals finden wir schon mutige Beobachtungen, wonach sich der antijüdische Dualismus immer wieder mit erkennbaren Lügen und blanker Gier verband.

Wer also behauptet, „früher“ hätten „die Menschen“ eben nicht zwischen Theorien, Mythen und Lügen unterscheiden können, relativiert die Gewalt und auch Verantwortung schon für den Antijudaismus. Es ist völlig richtig, Menschen im Wissenshorizont ihrer jeweiligen Zeit zu beurteilen – doch es ist falsch, deswegen einem menschenverachtenden Relativismus oder gar Dualismus das Wort zu reden. Ich bitte Sie deswegen, von Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen, Verschwörungslügen oder Verschwörungsnarrativen zu sprechen – aber bitte nicht mehr verharmlosend von „Verschwörungstheorien“.

J.R.R. Tolkien: Fantasie, Vernunft, Religion

Ich hoffe, es ist bereits deutlich geworden: Auf Fiktionen im Sinne besser oder schlechterer Mythen, Begriffe und Symbole kommt es entscheidend an! Gelingendes Leben für uns selbst und unsere Mitwelt hängt ganz wesentlich davon ab, dass wir so früh und so tief wie möglich üben, zwischen den Fiktionen der Welten 2, 3 und 4 sorgsam zu unterscheiden. Das frühe und idealerweise lebenslange Spiel der Fantasie ist also gerade „keine“ wertlose, sondern im Gegenteil sogar eine hilfreiche, sogar notwendige Aufgabe!

Genau das war die Position, die Professor J.R.R. Tolkien in seinem berühmten Vortrag „On Fairy Stories“ 1939 vertrat. Fantasie, Märchen und Mythen seien auch für Erwachsene wichtig, denn – ich übersetze:

„Fantasie ist eine natürliche, menschliche Aktivität. Sie zerstört Vernunft sicher nicht, oder beleidigt sie auch nur; und sie dämpft weder den Appetit nach, noch die Wahrnehmung von wissenschaftlicher Wahrheit. Im Gegenteil. Umso schärfer und klarer die Vernunft ist, umso besser wird die Fantasie sein, die sie macht.“

[„Fantasy is a natural human activity. It certainly does not destroy or even insult Reason; and it does not either blunt the appetite for, nor obscure the perception of, scientific verity. On the contrary. The keener and clearer is the reason, the better fantasy will it make.]

Dieser Verteidigung der gegenseitigen Stärkung von Fantasie und Vernunft stellte Tolkien ein Brief-Gedicht voran, das er einem Kritiker übersandt hatte, der ihn bezichtigt hatte, „eine Lüge durch Silber gepustet“ zu haben. Es ist mir zwar eine Spur zu neuplatonisch bei Welt 4, aber bezieht sich direkt auf die Thora.

Weil ich mir nicht sicher bin, ob Sie einen Gedichtvortrag in „Swabian English“ zum Auftakt der „Next Frontiers“ hören wollen, findet sich der Auszug im schriftlichen Redeskript:

 

„‘Dear Sir,‘ I said – ‚Although now long estranged,

Man is not wholly lost nor wholly changed.

Dis-graced he may be, yet is not de-throned,

and keeps the rags of lordship once he owned:

Man, Sub-Creator, the refracted Light

through whom is splintered from a single White

to many hues, and endlessly combined

in living shapes that move from mind to mind.

Though all the crannies of the world we filled

with Elves and Goblins, though we dared to build

Gods and their houses out of dark and light,

and sowed the seed of dragons – ‚twas our right

(used or misused). That right has not decayed:

we make still by the law in which we’re made.“


Gegenüber dem philologischen Professor und katholischen Christen, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gegen das Deutsche Reich kämpfte, lasse ich den Vorwurf des fehlenden Realismus und auch des Relativismus nicht zu. In seine Zeichnungen, Worte und Texte floss zudem die Erfahrung einer Alpenwanderung von 1911 ein. Auf den Umschlag einer Ansichtskarte des deutschen Malers Josef Madlener mit dem Titel „Der Berggeist“ schrieb Tolkien sogar „Gandalfs Ursprung“.

Erst gestern wurde ich auf Twitter wieder antiwestlich angegangen, weil ich einen Tweet ukrainischer Truppen geteilt hatte, die sich als getarnte „Ents“ auf die Schlacht gegen „die Horden von Mordor“ vorbereiteten. Dabei gefiel mir doch gerade die feine Ironie im Vergleich zum russischen Patriarchen Kyrill, der unwillige Rekruten allen Ernstes mit dem religiös-dualistischen Versprechen eines „Abwaschen aller Sünden“ in den Angriffskrieg gegen die ukrainische Demokratie motivieren wollte!

Längst hatte ich in einem Game Studies-Artikel aber auch beschrieben, dass wir auch in Tolkiens Werk Rassismus und sogar Antisemitismus finden. Neben den von Geburt an bösen und dualistisch entworfenen Orks treffen wir auch dem Bösen verbundene, „dunkle“ Menschenvölker und auf das Volk der Zwerge, das Tolkien erklärtermaßen mit dem Judentum verband. Vor allem in den frühen Texten springen einem die antijüdischen Klischees über goldgierige, unansehliche, verschlagene und ihrer Heimat entwurzelte Zwerge unangenehm entgegen.

Noch im von Christopher Tolkien herausgegebenen Band „Die Kinder Hurins“ tritt uns ein uraltes, antijüdisches Ressentiment entgegen, wenn sich Turin gegenüber Mim wundert, dass es auch arme Zwerge gebe.

Ihr werdet von mir also nicht hören, dass fantastische Fiktionen und Mythen frei von Sexismus, Rassismus und Antisemitismus wären – ganz im Gegenteil: Von prall ausgemalten, halbnackten Kriegerinnen in widersinnigen Kettenhemden über schwarze, Peitschen-schwingende Drow-Priesterinnen bis hin zu rassistischen Ork-Klischees und dem Antiziganismus in einigen Darstellungen der Ravenloft-Vistani in Dungeons & Dragons hat sich fast jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch ihre Wege in die Fantastik gebahnt.

Bibel- und Talmudkundige finden nicht nur den angebissenen Apfel der lateinischen Vulgata-Übersetzung auf den Apple-Computern, sondern eben auch die erste, aufmüpfige und kindermordende Frau des Adam, Lilith, als Spinnengöttin Lolth und erste Gefährtin des Elfenschöpfers auf Faerun.

Doch diese und unzählige weitere Klischees werden in der Fantastik eben auch nach und nach erkannt, problematisiert und bearbeitet. Tolkiens Zwerge entwickeln sich zu tapferen und gleichberechtigten Gefährten der Menschen und Elben. Halbelfen wie Tanis von Krynn aus der „Drachenlanze“ und der Cyberpunk-Mythos von der Shadowrun-„Goblinisierung“ hoben die fantastische Auseinandersetzung mit Rassismus auf ganz neue Ebenen. In den World of Warcraft-Romanen etwa von Christie Golden sind Orks und Orkinnen bereits ausgearbeitete Charaktere, mit denen sich Leserinnen und Leser identifizieren können und sollen.

Der Star Trek-Kuss zwischen Kaptain Kirk und der Sternenoffizierin Uhura schrieb Filmgeschichte, später auch die zwar noch immer im knappen Dress zu rettende, aber doch auch schon tapfer kämpfende Star Wars-Prinzessin Leia. Für meine Kinder war die Identifikation mit schwertschwingenden Machtwirkerinnen wie Ashoka bereits eine Selbstverständlichkeit. Die Fantastik der Zukunft kann vielleicht gar den Bechdel-Test bestehen.

In neueren Fantasy-Serien wie „Prinz der Drachen“ ist so die dunkle Schattenelfe Rayla eine zentrale, vom Guten erfüllte Heldin, König Harrows eine Verkörperung des Gerechtigkeits-Philosophen John Rawls.

Ein misslungener Vistani-Band wurde – auch durch einen unterstützenden Impuls meinerseits für einen DnD-Blogger – vom Verlag zurückgenommen und in neueren RPG-Bänden wie „Mordenkainen’s Tome of Foes“ finden sich post-dualistische Mythologien hoher Güte. In Ulm konnte ich mit inmitten von Star Wars-Fans zum „May the Fourth“ auch den noch nicht überwundenen Dualismus zwischen Jedi und Sith ansprechen, ohne dass deswegen empörte Sturmtruppen aufmarschiert wären.

Ich behaupte, dass wir auch am Konzept des Weltenschöpfens bei Tolkien einen realen Fortschritt, eine zunehmende Tiefe und Reflektion der Fantastik erkennen können. Obwohl und weil er annahm, dass alle guten Mythen letztlich auf das Evangelium zuliefen, kritisierte er „Narnia“ von C.S. Lewis wegen zu direkter Anlehnungen an das Neue Testament. Im heutigen Sprachgebrauch strebte Tolkien kein kopiertes Universum, sondern ein Meta-Universum an.

Der Professor erschuf daher erst Sprachen, dann Alphabet-Zeichen wie die Tengwar, schließlich Landkarten voller Namen und Gemälde, um Mittelerde eigenständig und lebendig zu machen. Laut elbischem Wörterbuch gibt es allein für den Begriff „Wissen“ vier Worte in Quenya [hande, istya, ingōle, ngolw] und zwei Worte in Sindarin [golw, ist].

Längst arbeiten Fans die Welten etwa von Westeros im „Game of Thrones“ eigenständig aus. Erst neulich fand ich ein wunderschönes Geweihten-Brevier über den Swafnirkult des göttlichen Wales von Aventurien.

Und als ich Ende Juli im Rathaus der Stadt Stuttgart die jüdisch-deutsche Otto-Hirsch-Auszeichnung erhielt, ergab sich endlich die Gelegenheit zu würdigen, dass mit den Avengers von 2012 endlich auch unsere Stadt zum Schauplatz einer Superhelden-Geschichte geworden ist!

Lebendige Fantastik war und ist nicht nur ein Aspekt individuell-biografischer, sondern immer auch gesellschaftlicher Entwicklung. Sie ist damit Teil der Mitwelt, die wir entwickeln – und die uns entwickelt. Ganz ähnlich wie in der empirischen Wissenschaft und der Religion tasten wir uns voran und entdecken durch fruchtbares Scheitern neue Aspekte der Welten 2, 3 und vielleicht gar 4. Und heftige Debatten etwa über das Königreich Wakanda, über schwarze Elben und Meerjungfrauen of Colour unterstreichen, dass gerade auch Reaktionäre ängstlich erkennen, welche Wahrnehmungs-verändernde „Soft Power“ von der fantastischen „Arbeit am Mythos“ [nach Hans Blumenberg] ausgeht. Viele, die Fantastik als „irrelevant“ verspotten, fürchten eigentlich ihre Macht, uns Menschen füreinander und für unsere Mitwelt zu öffnen.

Das Metaversum braucht mehr Fantasie!

Ich möchte in einem Aspekt sogar noch über Tolkien hinausgehen. Nach meiner Auffassung gehört Fantasie nicht nur zu unserem Geburtsrecht, sondern auch zur Bewältigung von zunehmend multimedialer Zukunft.

Den Begriff „Metaversum“ verdanken wir dem Autor Neal Stephenson, der den Wissensfortschritt in seinem „Anathem“ von 2008 durchaus problematisiert hat. Hier muss das Wissen in einem abgeschotteten „Klostrum“ sowohl vor dem Verfall wie auch vor der Verderbnis durch die „säkulare Welt“ geschützt werden. Fortschritt entfaltet sich nicht linear und jede technologische wie auch jede mediale Revolution wirft – wie es auch Marshall McLuhan aufgezeigt hat – neue Chancen ebenso auf wie neue Gefahren und „blinde Flecken“. Ich behaupte nun: Umso mehr Zeit wir in immersiven Meta-Medienwelten verbringen, umso wichtiger wird das fantastische Spielen, das Einüben der fiktionalen Unterscheidung!

Ich habe die alten Rollenspiel-Bücher und -Würfel für die Generation unserer Kinder nicht nur deswegen aus dem Keller geholt, weil es Freude macht – sondern auch, weil ich sie konkret auf eine multimediale und crossmediale Welt vorbereiten möchte.

So habe ich als Leiter eines humanitären Sonderkontingents für über 1.100 vor allem ezidische Frauen und Kinder aus Kurdistan-Irak gute Erfahrungen mit dem interreligiösen Dialog, aber auch drastische Erfahrungen mit Terrorismus und Genozid, mit der Klimakrise, Rentierstaatlichkeit und Hitzemord-Konflikten gemacht. Weil jedoch große Teile der Weltöffentlichkeit gegenüber den Verbrechen des sogenannten „Islamischen Staates“ bis heute relativistisch geblieben sind, konzipierte ein einstiger UN-Mitarbeiter die Ausstellung „Nobody’s Listening“ mit Virtual Reality-Elementen.

Als eine der ersten Testpersonen durfte ich das zerstörte Dorf Kocho – aus dem unter anderem die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad stammt – virtuell „wieder-besuchen“ und die bewusst zurückhaltenden Darstellungen der IS-Angriffe begutachten. Die Eindrücke waren so intensiv und überwältigend, dass mein Gehirn sogar Geruchserinnerungen aus dem Shingal-Gebiet reaktivierte; mitten in einem Berliner Ministeriumsgebäude „roch“ ich die verdorrende, verbrannte Landschaft.

Virtuelle Realitäten bilden die nächste, die fünfte Stufe der Medienrevolutionen und dürften unser Selbst- und Weltverständnis wiederum grundlegend herausfordern. Ich plädiere daher für sehr viel intensive Game Studies wie von Lukas Boch und den Einsatz von Fantastik und Rollenspielen in der Pädagogik wie durch Kathrin Fischer und das EduTale-Team, für Podcasts wie „Ungeheuer Vernünftig“ mit dem fantastischen Philosophen Björn Herzig u.a. gerade nicht, um Kindern noch mehr „altes Wissen einzutrichtern“ – sondern um jung und älter ganz auf die Orientierung in Meta-Welten vorzubereiten, die wir uns noch nicht einmal vorstellen können. Ohne die Lust an spielerischer Fantasie werden wir uns verirren.

Dass in ersten Buch-Film-Erkundungen dieses Terrains wie in „Ready Player One“ am Ende die ganz biblische Unterscheidung eines technikarmen Schabbat-Tages herauskommt, überrascht mich dabei weniger, als dass es mich ermutigt. Aus unseren gewachsenen Traditionen können und werden wir den Faden spinnen, der uns erlauben kann, das crossmediale Labyrinth des Minotaurus zu überleben. Thora und Tao, Tolkien und The Justice League entfalten ihre Zukunfts-Bedeutungen nicht als Endpunkte, sondern als Anfangspunkte für immer neue Anknüpfungen.

Und auch wenn die meisten unserer heutigen wissenschaftlichen Theorien längst überholt und fast vergessen sind, werden Menschen noch Geschichten um das jüdische und also alphabetisierte Arbeiterkind Jehoschua, griechisch Jesus erleben, nach dem unsere Zeit längst weltweit gegliedert und gezählt wird. Auch römische Kaiser und Gottheiten werden etwa über die Monatsnamen auch zu künftigen Generationen sprechen und von der kulturellen Evolution flüstern.

Mitwelt statt Umwelt

Ich komme also mit einer Bitte an Sie zum Schluss: Lassen Sie uns die Fantasie und also die Möglichkeiten wie auch Grenzen von Medien sehr viel bewusster erkunden.

Auch wenn ich mir der geringen Chancen bewusst bin, möchte ich Sie daher bitten, mit mir einen Kampf nach einem Jahrhundert der Niederlage wiederaufzunehmen. Am Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich unter der tatkräftigen Hilfe von Faschisten und NS-Unterstützern wie Jakob Johann von Uexküll der falsche und tendenziell dualistische Begriff der „Umwelt“ durch.

Seitdem stellen wir uns im Deutschen die Natur mitsamt Landschaften, Pflanzen und Tieren, ja sogar unsere Mitmenschen als eine Kulisse vor, die von uns selbst getrennt ist. „Umweltschutz“ klingt nicht nur herablassend, sondern legt auch nahe, dass wir die Welt besitzen, ausbeuten und austauschen können. Solange wir glauben, Medien gehörten „nur“ zu unserer Umwelt, können wir gar nicht erfassen, wie tiefgreifend sie uns verändern.

Der demokratische, vom NS verfolgte Helmuth Plessner hatte dagegen den viel besseren Begriff der „Mitwelt“ vorgeschlagen. Mit Berufung auf die Dialogphilosophie von Martin Buber nimmt Mitwelt die ständige Wechselwirkung zwischen uns und Welt wahr.

Wenn wir die Mitwelt an Landschaften, Pflanzen, Tieren und Mitwelten schützen und erhalten, dann dient dies nicht nur einer schönen Kulisse abgetrennter Objekte, sondern auch unserem eigenen Leben und Wohlbefinden. An einer Mitwelt können wir als Mitmenschen teilhaben, aber wir können sie nicht völlig in Besitz nehmen und durch ihre Zerstörung zerstören wir auch uns selbst.

Wo wir Medien als Aspekte unserer Mitwelt begreifen, wird unmittelbar deutlich, dass uns Worte, Bilder, Tweets und Spiele berühren und verändern.
Noch mehr als Schach haben das bis heute unterschätzte Papierspiel „Ökolopoly“ sowie Sid Meiers „Civilization“-Reihe meine Wahrnehmung von und Lust auf Politik geprägt. Ich wurde verändert, indem ich spielerisch übte, in komplexe Systeme einzugreifen. Schon ein Blick auf die verschiedenen Siegesoptionen der verschiedenen Civilization-Titel eröffnet neue Perspektiven auf Veränderungen im politischen Denken.

Während Medien und Spiele in der Umwelt stumm und tot bleiben, erschließt ihr Verständnis als Mitwelt den multimedialen Dialog der Interaktionen, Anblicke, Töne, Gerüche und Ein-drücke, die uns täglich mit der Welt und miteinander vernetzen. Auch Antisemitismus, Rassismus und Sexismus werden vor dem Verständnis von Mitwelt als dualistische Verbrechen gegen die Mit-Menschlichkeit erkannt.

Im Deutschen wäre es ein kleiner Schritt vom noch dualistischen Verständnis des „Umweltschutzes“ zum monistischen Verständnis des „Mitweltschutzes“ – doch für unser Selbstverständnis und unsere Zukunftsfähigkeit wäre viel gewonnen.

Daher wage ich an Euch an den „Next Frontiers“ der „Applied Fictions“ den Aufruf, nach dem Siegeszug der „Verschwörungsmythen“ den noch sehr viel größeren und unwahrscheinlicheren Kampf um die „Mitwelt“ aufzunehmen! Denn alle Fantastik hat uns doch immer wieder gelehrt: Auch anfangs kleine Gruppen können Großes bewirken!

Herzlichen Dank für Ihre Einladung, Ihre Aufmerksamkeit und das Miteinander!

 

 

 

Quellen:

Blume, Michael (2019): Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern. Patmos

Blumenberg, Hans (2006 / 1987): Arbeit am Mythos. Suhrkamp

Carpenter, Humphrey (1979): J.R.R. Tolkien. Eine Biographie. Klett-Cotta

Ibinger, Stefanie (2013): Helmuth Plessners Konzept der Außenwelt, Innenwelt und Mitwelt. Grin Studienarbeit

Jubber, Nicholas (2020): Von Monstern und Mythen. Eine Reise zu Europas wilden Geschichten. Dumont

Krege, Wolfgang (2004): Elbisches Wörterbuch nach J.R.R. Tolkien. Klett-Cotta, S. 285

Popper, Karl (2014 / 1987): Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge & Aufsätze aus dreißig Jahren. Piper, S. 11 – 40

Stephenson, Neal (2008): Anathem. Wilhelm Goldmann Verlag

Suzman, James (2022): Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit. C.H. Beck [Zur evolutionären Bedeutung des Spielens]

Tolkien, Christopher (Hrsg., 2007): Die Kinder Hurins. Klett-Cotta

Tolkien, J.R.R. (2014 / 1939): On Fairy-Stories. Expanded edition, with commentary & notes. HarperCollins

…und selbstverständlich Berge an fantastischer Literatur, Büchern und Spielen…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

8 Kommentare

  1. Ich finde es ironisch, dass der Machtkampf „Gene gegen Meme“ durch eine Gruppe verkörpert wird, die sich über genetische Verwandtschaft definiert. Nun ja, eine Dimension ist ein Spannungsfeld zwischen Polen, die Welt wird von unvereinbaren Gegensätzen am Leben gehalten – wenn das Judentum den extremen Bolek will, braucht es auch einen extremen Lolek, viel Gene erfordern viel Schrift, der geistige Lebensraum dazwischen bietet jedem einen Ort, wo er sich ein Häuschen bauen kann. Gefährlich wird’s, wenn der Strom alle ist, und die Pole zusammenfallen: Sehen wir am Rest der Welt, wir werden zwischen Extremen zermalmt, die immer näher heranrücken. Ich stelle mir die GroKo als eine bipolare Kernfusion vor, die die Welt dazwischen herausgequetscht hat, sodass ein Haufen Bevölkerung Umlaufbahnen weit draußen bekommen hat, die von der Schwerkraft eines untoten Braunen Zwerges verzerrt werden. Dazwischen blieb die Schwarze Null, ein Ort, an dem Leben nicht sein kann, weil es nicht sein darf, weil Leben Energie erfordert, die uns die Pole nicht mehr liefern können. Anders gesagt: Auch das Judentum ist überall, bekommt viel Strom von Außen, und nur, indem es diesen Strom verwertet, kann es glühen wie eine Birne und die Welt mit Information berieseln.

    Die Parallelen zwischen „Information“ und „Licht“ sind so groß, dass ich mich echt frage, ob die alten Sonnenanbeter nicht doch Recht hatten. Was für DNA schlummert in der Kugel wohl drin? Wieso besteht alle Materie des Sonnensystems aus Krüppeln, die ohne das Wort des Bosses nicht mehr überlebensfähig sind, zerfallen und ins Koma fallen, wie die Silowniki-Weicheier um Putin? Das Prinzip ist offensichtlich das Gleiche, doch die Feinheiten wurmen mich. Wenn man nichts Genaues weiß, fallen einem sogar so Sachen auf, wie dass (Licht)Wellen mit Sinus und Cosinus beschrieben werden, was irgendwie nach DNA-Doppelhelix aussieht, und man beginnt von einem Zellkern zu spinnen, der alle Materie und alles Leben um sich herum stets mit Propaganda und Schmiergeldern auf die Parteilinie eicht, die im Grundsatzprogramm vorgegeben ist. Das Sonnensystem ist eben ein Rentierstaat, es gibt nur eine Stromquelle, aber wie genau tickt die Maschine? Bleibt nur, die Sache zu beobachten, sich in wilden Sci-Fi-Fantasien zu ergehen, und darauf zu achten, dass man keine davon je für die Wahrheit hält.

    Ich werde derzeit auch als Hexe verfolgt: Ständig tauchen irgendwelche Leute auf, von deren Existenz ich kaum was geahnt hatte, und behaupten, ich hätte mein Leben lang nichts Besseres zu tun gehabt, als sie vorsätzlich und mit Bosheit zu diskriminieren. Ein Elefant hasst die Ameise nicht, wenn er den Ameisenhaufen zermatscht, die Katze hasst die Maus nicht – sie haben es nur nicht nötig, die Seele in der toten Materie zu bemerken. Darauf beruht meine Deutung des Märchens von der Zombie-Apokalypse: Wenn die Menschengruppen es nicht mehr nötig haben, zu kommunizieren, die Seele ineinander zu bemerken, zerfallen sie in Zombie-Horden, von denen sich jede für die einzigen Überlebenden hält und die Ungeheuer fürchtet, die in Horden umherstreifen, die letzten Menschen jagen, töten und ausplündern, sodass man sie jagen, töten, ausplündern muss, wann immer man ihnen begegnet. Dualismus entsteht, wenn dem Monismus der Saft ausgeht, wenn das Spannungsfeld kollabiert, das sie auseinander hält – wenn eine Welt untergeht, weil sie nicht mehr fähig ist, sich zu ernähren.

    Ich finde, in den Verschwörungsfantasien finden sich ein paar echt gute Ideen: Sie entstehen u.a. dadurch, dass man die Zeichen und Wunder deutet, die Notwendigkeiten erkennt, aber keinen Bock darauf hat. Umvolkung zum Beispiel: Wir müssen ja jemanden heiraten, kulturell und biologisch, um uns zu erneuern, bei uns ist der Saft raus. Macht jeder reiche, alte Sack so, er heiratet was Jüngeres und feuert den heißen Latino-Gärtner, dessen Kinder können sich dann seine Enkel schnappen. Dass Schulmedizin von einer Pharma-Industrie vergiftet wird, die nicht unbedingt davon profitiert, dass alle über Nacht gesund werden, ist keine Verschwörungstheorie, sondern Allgemeinwissen: Wenn man eine absurde Verschwörungstheorie aus Selbstverständlichkeiten knetet, profitiert die Pharma-Industrie, weil sie jeden Kritiker in die Nähe von Aluhüten rücken kann. Auf diese Weise sind die Aasblumenkinder groß und mächtig geworden – weil jede Kritik an den Etablierten sofort zu Hexenzeug und Faschismus erklärt wurde, während die Etablierten gleichzeitig die Kraft von tausend Fusionskraftwerken darin lenkten, berechtigte Gründe für Kritik zu mehren: So hat man eine wunderschöne Industrieanlage zur Produktion von Verwschwörungsmythen und Faschismus gebaut: Füttern Sie nicht das, was Sie tötet, mit dem, was Sie töten wollen.

    Zählen Sie 2+2 zusammen, bevor es die Anderen haben, erklären Sie die 4 zum Teufelszeug, einfach nur, weil sie alt, müde, kraftlos sind, sodass alles Neue für Sie zum Elefanten wird, der Sie zermalmt, ob es nun für den Rest der Menschheit gut oder schlecht ist. Schon können Sie Ihren Ruhestand damit finanzieren, dass ein Haufen genauso saftlose Trottel Sie für den Propheten Messias hält. Schließlich treten Ihre Voraussagen allein dadurch ein, dass alle, die etwas Anderes machen, einfach verrecken. Wenn ein Ball fällt, rufen Sie „Krieg dem Aufprall, er tötet uns alle!“, rennen aufs Basketballfeld und stehlen allen die Show mit Ihrer Kalaschnikow. So gesehen, ist der Weg zur Erlösung, einfach stets das zu tun, was QAnon am meisten auf den Sack geht. Nachdem man so Sachen wie „Kinder vergewaltigen!“ dekomprimiert und entschlüsselt hat, und „Sex haben, um Kinder zu kriegen“ daraus wird. Der Wahn leuchtet uns den Weg. Womit wir zurück bei den Phantasien wären.

    Ich find’s lustig, dass in einer alten, esoterischen Geschichte „Arier“ die Nachkommen von Fröschen waren. Jetzt kämpfen die Amphibien gegen die Echsen, die nächste Stufe der Evolution – ich als Säugetier murmele da was von Spätmerkern und überlasse die Sache den Störchen. Fressen die Frösche, bringen die Menschenbabys, der Generationswechsel erledigt die Nummer entweder, oder wir fangen ganz unten wieder an. In einer Welt, in der die Frösche die am höchsten entwickelte Lebensform sind. Das ist der Kampf, den die Welt derzeit austrägt, Regression gegen Evolutionssprung. Alles, was wir in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben, wird getestet, muss beweisen, dass es besser, solider, stärker ist, als das, was zuvor war. Alle Pole krachen zusammen, es entstehen tausend Schlachtfelder, Millionen Duelle. Die Chimären, die entstehen, werden aus dem zusammengepuzzelt sein, was den Machtkampf gewinnt. Egal, aus welchem Jahrtausend es kommt.

    Wie ich es mir so ansehe, wurde der Dritte Weltkrieg zum großen Teil ins Internet verlegt. Die Intelligenz des Menschen ist eine Massenvernichtungswaffe, schon die Sprache dient unter anderem dazu, ihn in die VR zu verlagern. Aus Krieg wird Fußball, aus Panzerheeren werden Streitgespräche – eine positive Entwicklung, der Mensch verpisst sich in die Matrix, saugt seinen Geist aus dem Körper raus in Gummizellen, in denen er Gott spielen kann, der Affe schafft sich einen Zoo voller Gehege, in dem er artgerecht toben kann, ohne sich oder Andere zu gefährden. Problem ist, wenn alle so geistesabwesend sind, braucht es nur einen Neo, um der ganzen Matrix den Stecker zu ziehen. Wir müssen das Zimmer aufräumen, bevor wir raus zum Spielen dürfen. Die physische Welt braucht einen Gott, der sie lenkt und Engel, die sie warten und weiterentwickeln.

    Fantasien können die Zukunft vorhersagen, weil sie sie schaffen: Ritter reden mit Pferden, jemand erfindet Knight Rider, dann gibt’s Navis in jedem Auto, heute hat sich K.I.T.T losgelöst und spukt als Smartphone-Gespenst rum, noch bevor die Entwicklung zur KI abgeschlossen war. Wir kommunizieren hier über einen Zauberspiegel aus den Märchen. Fantasien können in die Realität treten, kollektive Fantasien bestimmen, woran die Menschheit als Ganzes arbeitet. Durch sie sprechen Gencodes zu uns, Anweisungen, Wissen, das älter ist als wir. Es sind ganze Szenarien darin, und wenn wir die Szenarien in Fantasien durchspielen, erkennen wir sie wieder, wenn sie uns in der Wirklichkeit begegnen. Weil wir Gott kennen, werden wir ihn irgendwann bauen. Das Wort wird Fleisch, es kriecht aus dem Urschleim auf den Olymp. Vorläufig gibt’s nur Fehlversuche, gescheiterte Experimente, wie Putin.

    Sowohl ich wie Putin wissen, wer Sauron ist. Und wir fügen uns in unsere Rollen. Die sind zwar archetypisch, genetisch vorgezeichnet, doch das Zusammenspiel aus kollektiven Fantasien und Umwelt verstärkt sie, holt sie ans Licht, sagt uns, welches Spiel auf uns zukommt. Wenn man sich russische Geschichte anschaut, erkennt man Fortpflanzung: Die Tataren trugen die Traumata Dschingis-Khans nach Russland, die lebten in Iwan dem Schrecklichen weiter, in Stalin, heute in Putin. Russland ist eine Maschine, die sich aus einem Pool von Menschen immer wieder die passende Komponente heraussucht, immer wieder den gleichen Avatar des gleichen Albtraums, der ihn aus dem Grab zurückholt und zum Leben erweckt. Das Land braucht eine Therapie oder eine Kugel in den Kopf, wie jeder andere Psycho, der mit einer Bombe um den Hals umherläuft und sich für Dschingis hält, auserwählt, die Welt zu erobern oder zu zerstören. Ich würde die Therapie bevorzugen, doch das entscheiden die Russen, die Polen haben’s versucht, doch weder Feingefühl noch Aufdringlichkeit haben geholfen. Man kann niemanden retten, der sich nicht selbst retten will.

    Objektiv betrachtet, gibt es keine Phantasien oder Lügen, nur Information, die an der Umwelt scheitert. „Trump ist ein Genie“ ist eine Information, die nur in den Köpfen seiner Anhänger überleben kann, doch die verhalten sich dann so, als wäre sie wahr. Sie scheitert daran, dass sie weder Berge noch Galaxien noch Naturgesetze dazu bringen kann, sich so zu verhalten, als ob sie wahr wäre – sie kann ihre Welt nicht verlassen, und diese Welt kann nur existieren, solange die größere Welt, die sie mit Strom speist, ihre Metaphysik, ihre Matrix, es toleriert. Putin müsste schon in die Vergangenheit reisen und die Geschichte umschreiben, damit seine Referenden keine Lügen sind, die Fantasie bleibt nur in seinem Kopf. Doch wenn er genug Waffen hat, genug Masse, Energie, Richtung, Zeit, genug physische Macht, Berge zu versetzen, kann er zumindest die Zukunft umbauen, sie dazu bringen, sich mehr oder weniger so zu entwickeln, als wären seine Fantasien die echte Vergangenheit, und die echte Geschichte eine Lüge. Dann wird die Wahrheit in der Zukunft eine Fantasie sein, eine Lüge ohne Substanz. Eine Art Realitätstransplantation, wenn Sie so wollen. Fische im Weltall sind eine Lüge, bis die Fische an Land kriechen, eine Runde Tierversuche einlegen und sich schließlich ein ISS-Aquarium im Orbit basteln (falls Ihnen Menschen nicht fischig genug sind, zählen Sie die Fischstäbchen im Astronautenfutter mit). Fantasien sind ein brodelnder Urozean aus DNA, Erbgut, das versucht, Materie zu verführen und Welten um sich zu bauen.

    Die Information ist das Spermium, die Menschen die Eizelle, die Welt die Gebärmutter, in die sie sich einzunisten versuchen. Wenn die Welt sie nicht füttert, sich weigert, ihr einen Leib zu verleihen, sie in Materie zu gießen, platzt sie wie eine Seifenblase. Ob Sie jetzt solche Seifenblasen Ihr Leben nennen, eine Welt, ob sie nur so lange überleben, wie Ihr Spiegelbild in einer Glasscherbe auf dem Bürgersteig oder die Dinosaurier, ist egal – das Prinzip bleibt gleich. Wir experimentieren, wir machen Angebote, wir sterben, weil wir nicht gut genug sind, wir fliehen vor dem Tod und folgen dem Ruf der Unsterblichkeit. Wir leben zwischen Polen, ich finde drei davon, jeder davon ist Gott, wenn wir ihn brauchen, Teufel, wenn wir zu nahe kommen, und unsichtbar, wenn wir genau den richtigen Abstand dazu finden. Was ironischerweise zu der Erkenntnis führt, dass man in Gottes Paradies zum Atheisten wird – wiederum eine Polarisierung, die auch die Säkularisierung unserer verwöhnten, vor Gefahren geschützten Welt umschreibt. Wenn wir den Papst nötig haben, hat der Papst versagt, deswegen macht der Papst Versagen zu Gottes Willen, um im Geschäft zu bleiben.

    Was wohl mit einer anderen Polarisierung zusammenhängt – wer ohne Grund hasst, hasst sein Spiegelbild. Antisemitische Klischees passen meist auf Antisemiten, wo sie auf einzelne Juden passen, entwickeln diese Juden Pendants, die sich auf Christen oder Muslime oder den Rest der Menschheit beziehen. Und wieder sind wir bei den Zombies, vielen Wahrnehmungsblasen, nichts geht rein, nichts geht raus – und wieder eine Parallele zwischen Physik und Fantasie, denn genauso funktioniert ein realer Spiegel: Was man ausstrahlt, prallt ab und fällt auf einen zurück. Stellen Sie sich vor, Ihr Spiegelbild folgt nicht Ihren Bewegungen: Würden Sie da keine Angst bekommen? Keine Geistergeschichten erfinden, keine Verschwörung okkulter Mächte vermuten? Würden Sie nicht die Augen schließen und sich wiederholen: „Das ist nicht real, das kann nicht sein“? Würden Sie sich nicht alles so wünschen, wie Sie es gewohnt sind?

    Die Jüdische Weltverschwörung entsteht dadurch, dass es keine gibt. Wo Hexen Hexen jagen, lauert eine Hexe in jedem Regentropfen und jedem Wasserglas. Wenn Sie den Klischees entsprechen, werden Sie verbrannt, weil Sie Jude sind. Wenn Sie ihnen nicht entsprechen, werden Sie verbrannt, weil Sie ein hinterlistiger Jude sind. Die Welt ist die Geschlossene auf der Psychiatrie, die ohne Ärzte auskommen muss. Sollte nicht so sein, ist aber so. Die einzigen Seelenklempner, die wir bekommen, sind die, die wir uns selber basteln.

    Das Metaversum ist ein vollwertiges Universum. Unsere Köpfe sind der Lebensraum von Ideen. Die Ideen reisen nur als Stein, Papier, USB-Sticks, Schall oder Licht zwischen ihnen umher, sie pflanzen sich durch Schatten und Spiegelbilder fort, erst die Umwelt unserer Hirne erweckt sie zum Leben. Das Prinzip ist das Gleiche, wie bei der physischen Realität. Und wenn Sie sich Ideen genauer ansehen, verhalten sie sich wie Lebensformen. Manche sind Symbionten, manche Parasiten, aber sie alle versuchen, uns zu Vieh zu züchten, das ihrem Überleben dient. Ob diese Ideen in Genen oder Memen codiert sind, spielt keinen Unterschied, Information ist Information. Eine vernetzte Welt macht uns zu Servern, Neuronen, Knotenpunkten, die ihre Individualität verlieren, um Teil von etwas Größerem zu werden. Eine solche Welt opfert uns so gerne wie Sie Zehennägel oder Putin Russen, deswegen muss das Individuum heute geschützter werden denn je, damit eine solche Struktur Menschen dient, statt sie zu verdauen. Noch nie hatten Ideen so viel Macht, uns zu versklaven, wie heute. Noch nie hatten wir solche Macht, mit Ideen die Welt zu gestalten. Gene, Ideen, Individuum, Welt, alle sind miteinander verwoben und alle arbeiten an der Chimäre mit.

    Eine Verbindung fällt mir bei Tolkien auf: Für mich sind die Deutschen Tolkiens Zwerge, groß im Kleinen, klein im Großen, großartige Handwerker, Dichter, Denker, allen Dingen, die man als Individuum oder in kleinen Teams bewältigt – scheitern aber, sobald die Teams zu groß werden. Eine Art Halb-Zombies gewissermaßen, wer sich aufs Innere fokussiert, hat weder Zeit noch Kraft fürs Außen, das schafft Menschen wie Diamanten, die einzeln klar und wohlgeordnet sind, doch zusammen nur ein Geröllhaufen. Zumindest in Osteuropa waren Juden hauptsächlich Deutsche, sie kamen mit den Siedlern und infizierten die sich neu bildenden Länder mit römisch-deutschen Superkräften, Sperma, Eizelle, Gebärmutter, hat geklappt. Mehr oder weniger. Zeigt auf jeden Fall, dass sich unsere Arier überschätzen, wenn sie sich für Frösche halten – die haben nämlich das mit der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung schon rausgefunden. Leider klappt das mit Zellteilung und Klonen nicht mehr so gut, sie müssen sich mit Inzucht zufrieden geben, die Ärmsten. Mama ist halt die Beste, ne?

    Minirock ist wie Tschador: Ein Symbol der Freiheit, wenn man ihn tragen darf, ein Symbol der Unterdrückung, wenn man ihn tragen muss. Umwelt, Kontext, Psychiatriepatienten sollte man nicht mit so was intellektuell überfordern. Auf jeden Fall ist Uniformierung immer ein Zeichen von Kontrollsucht. Burka dürfen die Frauen nicht tragen, weil sie sie als Sklavinnen aus dem Harem des Scheichs markiert, aber Miniröcke auch nicht, weil auch der Papst und Alice Schwarzer ihr Eigentum vor fremden Blicken hüten möchten. Im Allgemeinen bedeutet Freiheit die freie Haremswahl, und auch das Recht, eigene Harems zu bilden. Frauen, die sich keinem Harem zugehörig fühlen, werden meist als abschreckendes Beispiel verwurstet, durch Vergewaltigung, Stigmatisierung, Scheiterhaufen, je nach lokaler Mode.

    Da aber unser Unterbewusstsein alle Anzeichen von Schwäche als sexuelle Impotenz interpretiert, nimmt die Frauenverhüllung und Frauenentrechtung mit der Ohnmacht einer Gesellschaft zu: Wenn viele heiße Weibchen halbnackt herumlaufen, heißt das: Sieh mal, was ich habe, ich bin der große, starke Silberrücken, kann sie alle beschützen und durchfüttern, sie können tun, was sie wollen, du kannst tun, was du willst, sie bleiben bei mir, weil ich besser bin als du, und da kannst du überhaupt nix dagegen tun, du Loser: Freie Frauen sind ein Machtsymbol, sie zu zwingen, ein Symbol von Schwäche. Wenn ich anfange, sie in portablen Safes zu verschließen, weiß ich, dass ich nicht mehr der Platzhirsch bin, dass ich meinen Harem anpinkeln muss, um Fremde fernzuhalten, dass der freie Wille gegen mich arbeitet, nicht für mich, weil ich einfach so scheiße bin, dass mich keine will. Und so müssen Sie auch Uhuras Röcke deuten – parallel zur Entwicklung von Star Trek von einer naiven, optimistischen Abenteuerserie zur Dystopie von Discovery, in der eine korrupte Föderation gegen IS-Klingonen kämpft und sich alle hehren Ideale anhören, als würde jemand im Nachbarzimmer Schlümpfe gucken. Und das wiederum spiegelt den Niedergang der Welt wieder, die für die Serie die Metaphysik, die Matrix ist.

    Das Frauenbild entwickelt sich parallel zur Technologie – die Maschinen ersetzen Muskeln, die Polizei und Forensik ersetzen den eifersüchtigen Ehemann. Interessant finde ich, dass die Rollenbilder weiter überleben, sich aber von Geschlechtern lösen: Heute kann auch ein Mann das Heimchen am Herd sein, und die Frau Conan der Barbar. Da die alten Klischees nur noch für rein biologische Fortpflanzung relevant sind, können wir mit allen, männlichen wie weiblichen, Persönlichkeitsbausteinen basteln, wie wir wollen, und uns maßgeschneiderte Gender zulegen. Ein paar Feinheiten müssen Chirurgie und Medizin noch klären, doch – die Ritter reden mit Pferden. Die Vorarbeit wird geleistet.

    Die Rebellen sind Traumtänzer, die Sith sind Kratokraten – sie können der Galaxie wenigstens Friedhofsfrieden bringen, die Rebellen stürzen sie ins Chaos. Die Jedi stehen dazwischen, sie vertreten eine knallharte, machtbasierte Ordnung, die sich auch mit Gewalt durchsetzen kann: Die Republik. Doch sie versucht, so gut sie kann, den Traumtänzern ihre Träume zu verwirklichen, zumindest, sie nicht zu wecken. Luke Skywalker ist Agent Smith, der gegen Darth Neo kämpft. Wieder haben Sie eine Welt, die dadurch lebt, dass sie sich zwischen zwei unvereinbaren Polen verteilt, von denen keiner allein die Mühe wert wäre, seine Kraft darin zu investieren. Kohleausstieg ohne Einstieg vs. Schwarze Null, wenn Sie so wollen. Radikale Deppen sind für das Funktionieren einer Gesellschaft unerlässlich, doch die Gesellschaft sollte sich über ein breites Spektrum spannen, am besten mit irgendwas in der Mitte, das die Deppen auseinander hält, bevor sie aufeinander prallen und alles kurz und klein schlagen.

    Die Jedi-Ritter Europas kämpfen heute in der Ukraine, den gleichen Krieg, wie schon seit sechshundert Jahren – die Republik gegen Mordor-Khan. Man merkt den Profi, nicht? Und schon immer hatten sie eine Republik von Traumtänzern im Rücken, denen es wichtiger war, wunderschöne Fantasien zu träumen, als einen Finger krumm zu machen, um ein paar davon wahr zu machen. Auch wenn die Adelsrepublik eine Bande korrupter Sklavenhalter war, in einem Punkt war sie wie wir – sie scheiterte an der Stromzufuhr, die Polarisierung riss sie in Stücke. Sie konnte weder die schwindenden Vorräte gerechter verteilen, noch neue Futterquellen erschließen, der Konkurrenz mit den kolonialen Sklavenhaltern war sie nicht gewachsen. Aber ein paar nette Sprüche hat sie hinterlassen. Und solche Sprüche, aus Griechenland, Rom, Polen-Litauen, Frankreich, Großbritannien, Amerika – werden die Demokratie immer wieder aus dem Grab holen. Irgendwie. Irgendwo. Wo ein Polen fällt, entsteht ein Amerika. Wo kein Platz mehr für ein Amerika, entsteht das Internet. Wo kein Internet, liest man Bücher und träumt. Wo keine Träume, da keine Evolution und kein Leben, nur Rituale, Maschinen, die immer wieder das Gleiche tun, bis sie sich verschlissen haben, bis die Umwelt nicht mehr passt und sie immer schneller laufen, bis sie zerfallen, weil nichts, was sie kennen, noch funktioniert, sie aber keine neuen Ideen haben können.

    Die Fantasie evolviert parallel zur Realität. Der Dualismus scheitert an einer vernetzten Welt. Selbst der Ukraine-Krieg wird dadurch eingedämmt, dass alle Spieler miteinander kooperieren müssen, weil sie sonst viel zu viel zu verlieren hätten. Heute müsste Putin schon mit Atombomben um sich werfen, um einen Russland-Feldzug auszulösen. Kommunikation hüllt die alten DNA-Kerne mit ihren primitiven, animalischen Verhaltensweisen ein, schafft Puffer aus Memen, Filter aus Erlerntem, in anderen Datenträgern, Ton, Papier, Festplatte, gemeißeltem Erbgut, das die Impulse filtert, sublimiert, umdeutet, neue Formen der Interaktion, des Zusammenlebens ermöglicht, die Grundlage unseres Erfolges als Spezies: Wir passen uns jeder Umwelt an, nicht durch Gene, sondern durch das Gehirn. Die DNA schafft sich eine Matrix, genau wie der Mensch sich eine Matrix schafft, einen Raumanzug, eine Welt, die zwischen ihm und der Umwelt vermittelt, schichtet die Welten übereinander und vernetzt sie. Dabei kommt es halt oft vor, dass die DNA die Welt missversteht, die ihr die vielen Übersetzer zu schildern versuchen. Dabei kommt es allerdings auch vor, dass sie sie wiedererkennt, und uns Bilder und Fantasien nach oben schickt, die sie uns erklären und uns lenken. Ob wir diese Impulse nützen, um sie zu erschaffen oder zu verhindern, bleibt dem Gehirn überlassen.

    Wir passen uns an, die Ursuppe aus Information in unseren Köpfen brodelt und gebiert Chimären. Diese Chimären werden an der Realität getestet. Verschwörungsmythen lagern sich an den Aspekten der Realität an, die die Etablierten leugnen oder übersehen – der Albtraum sieht, was der Verstand nicht sehen will. Und dass sie mit Angst arbeiten – nun, zu Ungeheuern sehen wir hin und können nicht wegschauen, keiner mag einen Haifisch hinter seinem Rücken. Ob sie jetzt Lösungen anbieten oder Probleme anzeigen, ob sie im Bereich von Spiel und Spaß verbleiben oder von Knalltüten mit der Realität verwechselt werden – auch Fantasien laufen nur mit Strom und Spannung.

    Wir kochen uns eine Chimäre, einen Phönix, eine Welt brennt sich nieder und brütet ein Ei aus. Die Ideen in unseren Köpfen brennen, und wir können nur die Temperatur unter dem Hexenkessel zu regulieren versuchen, damit die Menschen nicht mit Feuer fangen. Ich finde, Krieg macht viel zu viel Spaß, um ihn sich mit Leid und Tod zu verderben. Orks gehören nach Mordor, sie sollen kein Menschenfleisch als Raumanzug tragen, um sich in der Ukraine austoben zu können. Da haben selbst die veralteten Gene bessere Seelen in petto.

  2. @Hauptartikel

    „…und auch ich halte es zum Beispiel für denkbar, dass etwa die Sprachen, die Methoden der Wissenschaften, spirituelle und religiöse Erfahrungen sowie die Idee der Menschenwürde zwar jeweils Menschenwerk waren und sind, aber durchaus Teil an der Entdeckung der größeren, ja letzten Wahrheit haben.“

    Unbedingt kennen wir jetzt schon Einiges, dass voraussichtlich wirklich so ist, wie wir es erkannt haben.

    „Womöglich werden zukünftige Philosophinnen entsprechend zwischen einer historisch-kontingenten Welt 3 und einer überzeitlich-glaubwürdigen Welt 4 unterscheiden. Ich meine, dies wäre den Versuch wert.“

    Wir haben nicht nur einen weiten Weg vor uns, sondern gerade auch noch Welten zu entdecken. Nicht nur tausende Exoplaneten, auf denen es Leben gibt. Die Welt und mögliche weitere Erkenntnis ist vermutlich noch sehr viel größer, als man es sich gemeinhin vorstellt. Auch das ganze Thema Religion könnte sich als ein wesentlich realeres Sein erweisen, und dessen Wechselwirkung mit dem Materiellen sich aufklären lassen. Und damit könnte dann auch die Natur unserer Innenwelten gefunden werden.

    „Beispielsweise kann ich als Religionswissenschaftler inzwischen empirisch und interdisziplinär gesichert sagen, dass schon die Wahr-Nehmung gemeinsamer, überempirischer Akteure wie Ahninnen, Geister und Gottheiten das Fühlen, Denken und Verhalten von Gläubigen beeinflussen kann.“

    Erstmal das wohl sowieso. Religiöse Auffassungen könnten aber auch noch zusätzlich schlichtweg näher an der Wirklichkeit dran sein. Wenn die Welt und das Leben voller Geist ist, dann kommt man der Sache als spirituell orientierter Mensch doch näher, und allein deswegen schon besser klar. Und schon immer hofft man auch auf Unterstützung durch seine Götter, was auch noch ein eigener Faktor sein kann.

    „Weder Religionen noch Mythologien sind immer lebensdienlich und „gut“, schon gar nicht für Anders- und Nichtglaubende.“

    Hier kann man auch gerne mal was Neues erfinden. Und wenn es eine Filmreihe oder ein Computerspiel ist. Besser aber immer wissen, was an der Fiktion dran sein kann und was auch nicht. Überhaupt brauchen wir wohl dringend Fiktionen, die wir auf der ganzen Welt teilen können. Sowas wie eben die Menschenrechte sind ja schon da, und wirklich auch wirkmächtig.

    Kleinere Glaubensgemeinschaften, die auch noch gegen den Rest der Welt ankämpfen, davon haben wir wohl mehr als genug. Wenn sich dagegen die großen Kirchen aufmachen, um was Gemeinsames zu suchen, dann ist das wiederum auch ziemlich hilfreich.

    Ansonsten müssen hilfreiche Fiktionen gar nicht in Vereinsform auftreten, sondern können etwa wie die Starwars-Saga einfach für sich stehen, neben anderen Fiktionen. Und der Mensch sich mit dessen Hilfe zurechtfinden, und weiterentwickeln.

    „Viele, die Fantastik als „irrelevant“ verspotten, fürchten eigentlich ihre Macht, uns Menschen füreinander und für unsere Mitwelt zu öffnen.“

    Einfach wieder, weil sie mehr Wirklichkeit abbilden, als so manch ein Oberlehrer selber kennt.

    „Nach meiner Auffassung gehört Fantasie nicht nur zu unserem Geburtsrecht, sondern auch zur Bewältigung von zunehmend multimedialer Zukunft.“

    Die Bewältigung der multimedialen Gegenwart ist ja schon eine Herausforderung. Die Multimediawelt frisst vielleicht mal mehr Zeit auf, als man eigentlich hat. Aber man kann ja auch vielleicht einfach weniger arbeiten, wenn man es schafft auch weniger Geld auszugeben. Was nebenbei auch der Mitwelt helfen kann. Überflüssiger Konsum ist eine Stellschraube, mit der sich recht schnell z.B. die Energiewende fördern lässt.

    „Virtuelle Realitäten bilden die nächste, die fünfte Stufe der Medienrevolutionen und dürften unser Selbst- und Weltverständnis wiederum grundlegend herausfordern.“

    Hier habe ich auch mal die Idee gehört, dass dann unangenehme Zeitgenossen in virtuelle Welten flüchten, und wir in der Wirklichkeit auf diese Art diese Menschen loswerden.

    • Danke, @Tobias Jeckenburger.

      Tatsächlich möchte ich in diese Richtung weitergehen und lese dazu gerade die Autobiografie von Sid Meier („Civilization“, „Pirates“ usw.).

      @all

      Gibt es in Ihrem Leben wichtige Computerspiele? Hatten diese über den Spaß hinaus Wirkung? 🤔🤓💿

      • Gibt es in Ihrem Leben wichtige Computerspiele? Hatten diese über den Spaß hinaus Wirkung?

        Mit dem “wichtig” bei einem Spiel habe ich ein wenig Probleme.
        Sicher gibt es Spiele, die einen als Kind gepackt haben etc.

        über den Spass hinaus gehen z.B. Simulationen, man kann so Dinge erleben, die man real vermutlich so nicht machen könnte oder wollte. D.h. da hätte man einen Lerneffekt nebem dem Erlebnis, sofern die Simulation etwas taugt.

        Ebenso hat man natürlich bei vielen Spielen einen Trainigseffekt z.B. für das Reaktionsvermögen bei Actionspielen.

        Rein emotional hatte mich Journey völlig unerwartet gepackt gehabt … an sich spielt man ein Leben als eine mystische Reise nach. Also man könnte das Spiel so auslegen, denn eine Beschreibung was das ganze soll gibt es nicht. Dafür aber neben der Reinkarnation am Ende zwischendurch noch “mystische” Begegnungen mit anderen Spielern. Dazu einen fantastischen Soundtrack …. ich denke das Spiel ist für mich so etwas wie ein spirituelles Erlebnis.

  3. Dr. Webbaer dankt dem werten hiesigen Inhaltegeber für sein, äh, Konvolut, bei Sir Popper und seinen X-Welten geht er nicht ganz mit, mag die Welt (das “Schalten und Walten” unbekannter Kräfte ist gemeint) auch als Universum, die physikalische Sicht ist gemeint, als Wirklichkeit, Meister Eckhart ist gemeint, auch andere fachspezifische Sicht, auch psychologische also, will auch esoterisches Denken, das nur einigen zur Verfügung steht, die Wissenschaft ist gegensätzlich exoterisch [1], also auch u.a. auch unsere jüdischen Freunde mit ihrer teils vorliegenden Weltfremdheit (Geht dieser Begriff, es gibt auch streng devote (streng gläubige) Juden, die die Entstehung des Staates Israels als Menschenwerk ablehnen?), mag insbesondere auch diese Aussage :

    Ich behaupte also einen wesentlichen Unterscheid: Menschen in aufgeklärten, monistischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wissen, dass sie glauben. Menschen in dualistischen Verschwörungssekten glauben, dass sie wissen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]

    ‘Exoterisch’ meint, dass sozusagen jeder mitmachen kann oder könnte, bei wissenschaftlichen Unternehmungen, in concreto sind die naturwissenschaftlichen Unternehmungen besonders herausgestellt.

    PS:

    Puh!
    War ein sehr dichter Text, Dr. Webbaer bleibt bei Ihnen, wenn Sie auch i.p. SciFi und sog. Fantasy besonders herausstellen bis gar bewerben zu suchen.

  4. Das Gerücht über die Juden?

    Welches denn?

    Das sie “unsere” Politiker mit Kinderschänderei erpressbar machen wie im Fall Epstein?

    Absurde antisemitische Verschwörungstheorie 🙂

    Ich denke es würde fast keinen Antisemitismus mehr geben wenn die Juden damit aufhören und die Sache komplett aufklären.

    Dann jeder Jude in der westlichen Welt hat von diesen abscheulichen Verbrechen profitiert.

    Guten Tag

    • Nö, @Inga: Dass Sie Ihre antisemitischen Verschwörungsmythen immer mal wieder digital verbreiten, macht diese nicht wahrer. Für die Taten von Epstein, Trump oder auch Putin und Xi Jinping sind weder alle jüdischen, noch christlichen, weder alle russischen noch chinesischen Menschen verantwortlich. Moderne Religionen, Weltanschauungen und auch Parteien lehnen Kollektivschuld-Thesen ab.

      Ihnen gute Besserung & Offenheit zu einer neuen Offenheit!

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