Reflektionen: Mit Nadia Murad und Amal Clooney bei den Vereinten Nationen – UNO in New York
BLOG: Natur des Glaubens
Ich war noch ein Kind, als ich im Fernsehen zum ersten Mal von den “Vereinten Nationen” sah und hörte – einem Ort, an dem sich Vertreterinnen und Vertreter aller Völker trafen, um gemeinsam über Frieden und Recht zu beraten. Seit damals hat mich dieses Symbol, dieser Traum nie ganz losgelassen – und doch hätte ich nie damit gerechnet, eines Tages an Sitzungen der UNO (United Nations Organisation) in New York teilzuhaben.
Doch die letzten Wochen haben mich schließlich überrollt und bis in die Vollversammlung der Vereinten Nationen getragen. Auf meinem Schreibtisch fand ich eine persönliche Einladung der UN zur Ernennung von Nadia Murad zur UN-Sonderbotschafterin für Überlebende des Menschenhandels durch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Sie war eine jener Frauen gewesen, die wir im Rahmen des Sonderkontingentes aus dem Irak hatten evakuieren können – und hatte um Einladungen u.a. an mich und Ministerpräsident Winfried Kretschmann gebeten.
Und mehr noch: Nadia besuchte Stuttgart gemeinsam mit ihrer Anwältin – Amal Clooney, einer bekannten Menschenrechtsjuristin, die unter anderem am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gearbeitet hatte. (Ihr Ehemann macht irgendwas mit Film.) Soviel darf ich aus dem (spontan um eine halbe Stunde verlängerten) Arbeitsgespräch verraten: Frau Clooney war hervorragend vorbereitet, unter anderem mit einem ganzen Fragenkatalog zum Sonderkontingent und zur Lage der Yeziden, Christen und Kurden im Irak.
Keine leichten Themen… Nach einem Gespräch mit Amal Clooney. Foto: Michael Blume
Gemeinsam mit der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) des Landes Baden-Württemberg, Theresia Bauer, MdL, durfte ich die Einladung zur Ernennung von Nadia schließlich annehmen. In New York aber trafen wir auf ein überwältigend breites Interesse am Sonderkontingent – die UN selber, aber auch viele Mitgliedstaaten und Regionen wollten mehr (und Konkretes) darüber erfahren, wie es einem deutschen Bundesland möglich war, über eintausend IS-Opfer aus schlimmsten Lebensumständen in einem Kriegsgebiet direkt aufzunehmen. Es gab viel Dank und Anerkennung und die älteste aller Ausreden (“Man kann ja doch nichts tun.”) stand in Abrede.
Neben einer Flut von Anfragen und Einladungen bat schließlich auch Nadia darum, dass ein Vertreter des Landes bei ihrer Rede vor der UN-Vollversammlung am Montag dabei sein sollte. Schließlich entschied Staatsminister Klaus-Peter Murawski, diesem Wunsch zu entsprechen – und ich hatte (nach einem erschrockenen Blick in meinen nur für einen Kurzaufenthalt ausgestatteten Reisekoffer) allerhand zu organisieren, um auch dies zu ermöglichen. Es gelang und so fand ich mich plötzlich Montag zum ersten – und ich vermute: einzigen – Mal in einer Vollversammlung der Vereinten Nationen – die mucksmäuschenstill wurde, als Botschafterin Nadia Murad an die Weltöffentlichkeit appellierte.
Botschafterin Nadia Murad (23 J.) spricht vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Foto: Michael Blume
Reflektionen: Was kann die UNO, was können “wir” tun?
Wahrscheinlich kann sich jede Leserin, jeder Leser vorstellen, dass die Anforderungen und Eindrücke jener Tage zunächst verarbeitet werden mussten. So war es einerseits eindrucksvoll zu sehen, wie professionell organisiert alles war und wie stark Nadia “eingespannt” wurde, um die Welt aus ihrer Gleichgültigkeit zu reißen. Doch als Mensch und auch Freund fragte ich mich natürlich auch, ob sie sich nicht zuviel zumutete und sprach mit ihr über die Notwendigkeit von Ruhe und dem Erkennen von Grenzen. Tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass Nadia die Schattenseiten des PR-Rummels durchaus auch erlebte und bedachte.
Nadia Murad vor ihrer Rede zur UN-Vollversammlung – und Medien sind immer dabei… Foto: Michael Blume
Auch sind die Vereinten Nationen selbstverständlich kein Ort außerhalb der Welt. So sah und hörte ich die Polizei- und Feuerwehrzüge auf dem Weg zum Bombenanschlag in Manhattan – dann gefolgt von einer Nachricht an alle Handys im Stadtgebiet auf der Suche nach dem Verdächtigen.
Eine Nachricht auf alle Mobiltelefone in der Stadt: New York suchte und fand den Verdächtigen. Foto: Michael Blume
Geprägt war die Stimmung selbstverständlich auch vom 15. Jahrestag des Terroranschlages vom 11. September 2001. Bei einem Besuch an der Stätte von “Ground Zero” (die ich zuletzt vor über zehn Jahren als Trümmerfeld gesehen hatte) wurde mir noch einmal schmerzvoll die zunehmende Verbreitung übler Verschwörungsmythen bewusst. Beachten Sie beispielsweise den Namen eines Opfers (“Charles Alan Zion”), auf der Gedenkplatte links von meinem Ellbogen – und dennoch gibt es immer noch Antisemiten, die wahrheitswidrig behaupten, “die Juden” hätten das World Trade Center vor dem Anschlag verlassen…
Mit Ministerin Theresia Bauer, MdL am Gedenkort “Ground Zero”, an dem Tausende beim Anschlag auf das World Trade Center den Tod fanden. Foto: Michael Blume
Vor allem aber wurde mir während dieser Tage in New York schmerzhaft bewusst, dass die UNO nur so stark sein kann, wie die Mitgliedsstaaten – vor allem die Mitglieder des Sicherheitsrates – es zulassen. Zu Recht sprach der scheidende Ban Ki Moon sogar von den “blutigen Händen” mancher UN-Mitglieder. Tatsächlich ist nur ein Teil der UN-Mitgliedsstaaten bereits demokratisch regiert – und selbst diese Demokratien werden derzeit oft stark von Rechtspopulismus, Verschwörungsglauben und Fremdenfeindlichkeit attackiert.
Ich meine, dass ein Teil des internationalen Interesses am Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg auch daher rührt, dass die großen, von allen Nationen mitgetragenen Lösungen derzeit kaum erreichbar scheinen. Stattdessen kündigt sich möglicherweise eine Zeit an, in der demokratische Nationen und auch Regionen (Bundesländer, Departments, States etc.) sowie Städte, Kommunen, zivile Verbände und Kirchen auf dem Wege direkter Projekte und Partnerschaften noch mutiger und aktiver werden (sollten). Terror, Kriege, Flüchtlingsströme, Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie der Klimawandel sind keine Aufgaben, die irgendein Volk, irgendeine Nation dieser Erde alleine bewältigen könnte. Als Kind hatte ich naiv geträumt, die UNO stünde für “das Gute”. Als Erwachsener aber ist mir bewusst geworden, dass es so einfach nicht ist, dass wir eher dem Volksmund Recht geben müssen: “Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es.”
Das UNO-Hauptquartier in New York am Ende eines sehr langen Tages. Foto: Michael Blume
Und so setze ich meine Hoffnungen nicht mehr primär in Institutionen, sondern in Menschen wie Botschafterin Nadia Murad, die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney und all die vielen Menschen, die sich engagieren. Die Realitäten sind schmerzhaft, doch gerade deswegen dürfen wir die Hoffnungen – und ja, auch Träume – für eine bessere, gerechtere Welt nicht aufgeben.
Grosses Kino und sehr berührend, die Bilder und Videos sogar mehr als der Text des Beitrags.
Traurig nur über was Nadia Murad berichtet. Dabei sollte die UNO Krieg und Terror von vornherein verhindern oder aber möglichst schnell beenden und niemals solche Eskalationen zulassen wie im Syrienkrieg. Doch die UNO ist nicht viel mehr als die Summe ihrer Mitgliedsstaaten und diese sind im 21. Jahrhundert nicht viel besser und gescheiter geworden.
Vielen Dank für die Rückmeldung, @Martin Holzherr. Ja, ich wollte gerne hinter das Gesagte zurücktreten – freut mich, wenn das geklappt hat.
Und, ja, die UNO kann leider stets nur so “gut” wie ihre Mitglieder sein – und da ist der Trend derzeit eher bedrückend. Man stelle sich vor, jetzt gewönne auch noch Trump die US-Wahlen… :-/
Dennoch: Jedes Land, jede Gemeinde, letztlich jeder Mensch kann doch “etwas” für diese Welt und die Menschen darin tun…
Nadia Murad sagt in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, am glücklichsten sei sie bei Arbeiten auf dem Bauernhof und bei Picknickausflügen in die Berge gewesen. Das erinnert mich an meinen 4-wöchigen Arbeits-Aufenthalt im irakisch-kurdischen Sulaimaniyya um 2005 herum. An einem Wochenende machten wir Fremdarbeiter auch einmal einen Picknick-Ausflug in die Berge mit, denn das scheint eine der wichtigsten Freizeitbeschäftigungen der Kurden zu sein: Picknick in den Bergen. Es wird getanzt, geredet und jung und alt treffen sich dort. Das hat wohl auch Nadia Murad bei ihren Ausflügen erlebt, denn sie wuchs im irakischen Kurdistan auf. Solche Treffen, solche Feiern bleiben in Erinnerung und gehören zur Freiheit. Wenn dagegen nur noch über haram und halal geredet wird, laut dem algerischen Autor Kamel Daoud heute – nach der Reislamisierung – das wichtigste Gesprächsthema in seinem algerischen Herkunftsdorf, dann ist die Freiheit und wohl auch das Glück weg.
Hier kann wie folgt webverwiesen werden:
-> http://www.911memorial.org/names-memorial-0
Ansonsten gehen einige davon aus, dass Dr. Michael Blume -mit gewisser Wahrscheinlichkeit- ebenfalls vor der UN-Vollversammlung auftauchen wird, in einigen Jahren – und wenn kein Irrtum vorliegt.
MFG
Dr. Webbaer (der i.p. Prädiktion vglw. gut ist)
https://www.1843magazine.com/features/two-women-one-cause
Das ist wirklich ein starker Artikel, @Axel Krüger – Danke fürs Verlinken! 🙂
http://www.signature-reads.com/2017/11/on-nadia-murads-the-last-girl-and-why-memoirs-of-trauma-are-vital/?ref=PRHBF8A7B2BC7