Mit den Kirchen glaubwürdig gegen Geschichtsvergessenheit und Verschwörungsmythen

Nachdem Ulf Poschardt in der Berliner “WELT” massive Deep State-Verschwörungsvorwürfe gegen die Zivilgesellschaft samt Kirchen erhob, schrieb heute Norbert Wallet im Leitkommentar am Samstag / Schabbat der Stuttgarter Zeitung: Die Kirchen seien aufgrund der schnellen Säkularisierung Keine wichtige Stimme mehr” und, zuspitzend “Selbst für die Union sind die Kirchen keine entscheidende Stimme mehr.”

Nun will ich nicht für die gesamte CDU / CSU sprechen, bin aber doch seit 32 Jahren aktives Mitglied und habe vom Ortsverband Filderstadt und Kreisverband Esslingen bis zum Bundesverband und der EVP allerhand Erfahrungen sammeln können. Und ich darf also sagen: Für Zehntausende Christdemokratinnen und Christdemokraten gerade auch in der Kommunalpolitik sind und bleiben die Kirchen persönlich und zivilgesellschaftlich wichtig. Viele von uns abonnieren und lesen ja auch noch Zeitungen, obwohl diese insgesamt an Auflagen und Reichweite verloren haben. Und auch Menschen, die selbst keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft (mehr) angehören, achten nach meiner Beobachtung doch oft sehr darauf, ob Politikerinnen und Politiker glaubwürdig, verlässlich und berechenbar Überzeugungen vertreten oder nur kurzfristig-taktierend auf Karrieren und fossilen Lobbyismus schielen. Dialogische Weite der Zeit ist die Quelle des Guten.

Und nachdem der SPIEGEL bereits den damaligen SPD-ler Thilo Sarrazin mit wissenschaftlich fragwürdigen Thesen pushte, durfte in der Ausgabe vom 22.03.2025 auf den Seiten 60 – 61 ein gewisser Andreas Rödder als vermeintlicher “CDU-Vordenker” historisch abseitig behaupten: “Die ,Brandmauer’ ist die goldene Fessel, mit der die rot-grüne Linke die Union in die Gefangenschaft ihrer Deutungshoheit nimmt. […] Im Zentrum eines christdemokratischen Denkens steht das positive Selbstbild einer offenen Gesellschaft mit klaren Grenzen. Die bürgerlich-liberale, westliche Gesellschaft hat das historisch und global größte Maß an Freiheit und Wohlstand hervorgebracht.”

Aus meiner Sicht ist das verkürzender Unsinn. CDU und CSU gründeten sich als direkte Antwort auf die furchtbare, moralische, militärische und wirtschaftliche Niederlage des Nationalsozialismus, dem auch die getrennten Kirchen und christlichen Parteien zu selten widerstanden hatten. Die von Rödder zitierte offene Gesellschaft und ihre Feinde” (!) schrieb der österreichische Liberale Karl Popper (1902 – 1994) nicht in einem blühenden Europa, sondern als Flüchtling vor den deutschen Nationalsozialisten im neuseeländischen Exil. Der erste CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876 – 1967) hatte noch hautnah miterlebt, wie viele Politiker auch der DNVP und des Zentrums die Unterwerfung unter die NSDAP mit dem Leben bezahlt hatten. Wer da die Brandmauer gegen jede Zusammenarbeit mit Antisemiten, Faschisten und Nazis als “goldene Fessel” linker Parteien und nicht als eindeutige Lehre der deutschen Geschichte aus den NS-Massenmorden bezeichnet, wird immer meinen Widerspruch gerade auch als Christ und Demokrat finden.

Meine Erklärung vom 03.02.2025 zu Medien-Anfragen steht heute noch genau so fest wie damals:

“Ich war bewusst mit der Biografie von Angela Merkel auf der Brandmauer-Demonstration in Stuttgart. Wenn diese große Kanzlerin gemeinsam mit den Kirchen und dem Zentralrat der Juden einen Rat gibt, dann erwarte ich auch von Konservativen ernsthaftes Zuhören.” 

Und wo wir bei den Religionen sind: Auch der jüdische Rabbi Jehoschua, griechisch Jesus ist nicht einfach für “das positive Selbstbild einer offenen Gesellschaft mit klaren Grenzen” gekreuzigt worden, sondern für die in der Tora offenbarte Wahrheit samt zahlreicher Gebote, deren messianische Auslegung er auch gegenüber den römischen Besatzern vertrat, für Barmherzigkeit und Nächsten-, sogar Feindesliebe. Ganz unabhängig vom persönlichen Glauben: Wer das “C” also nur noch als Abkürzung für “Carbonblase”, “Climaleugnung”, “Capital” und “Carriere” verstehen möchte, wird sich verständlicherweise über die Säkularisierung und Individualisierung auf Kosten der Kirchen und Religionen freuen. Deren auch gemeinsame Einsprüche stören dann, klar.

Jesus bei einem Sterbenden des 1. Weltkrieges. Foto aus Bühlertann.

Steht das C wie christlich wirklich nur noch für “das positive Selbstbild einer offenen Gesellschaft mit klaren Grenzen”? Jesus bei einem sterbenden Soldaten des 1. Weltkrieges. Foto: Michael Blume, Bühlertann

Kurz: Für mich und Abertausende christlich und demokratisch Aktive, für noch immer Millionen Deutsche, Europäerinnen und Europäer haben das Christentum, die Kirchen und Religionen weiterhin eine Bedeutung. Dies gerade nicht, weil wir unsere Gehirne an religiöse oder politische Obrigkeiten abgetreten hätten, sondern weil wir verstehen, dass Menschen aus der Geschichte auch ihres Scheiterns lernen sollten. Viele von uns ehren daher auch bewusst mutige, christlich-kritische Stimmen wie Meister Eckhart (1260 – 1328), Jacob Böhme (1575 – 1624) und Antoinette Brown Blackwell (1825 – 1921).

Und so habe ich mich gefreut, als mein örtliches Gemeindeblatt der evangelischen Kirche in Filderstadt-Plattenhardt um einen Textbeitrag gegen Verschwörungsmythen bat, den ich hier als jpg und pdf einstelle:

"Echt jetzt? Verschwörungsmythen machen die Welt einfacher", Gemeindeblatt-Text von Dr. Michael Blume

“Echt jetzt? Verschwörungsmythen machen die Welt einfacher” von Dr. Michael Blume, April 2025. Screenshot des Layout der evangelischen Gemeindezeitung Filderstadt-Plattenhardt, mfG

Oft schon haben die Kirchen besonders dann geleuchtet, wenn sie in der Minderheit und fern von der Macht waren. Und selbstverständlich könnten sich in CDU und CSU auch jene durchsetzen, denen ihre Karrieren wichtiger sind als das C. Das werde ich nicht verhindern können, zumindest nicht alleine. Aber ich werde bis zuletzt daran erinnern, dass niemand eine christdemokratische oder auch nur konservative Partei braucht, die ihre eigene Geschichte und Glaubwürdigkeit für kurzfristige Spielchen geopfert hat. Es gibt kein einziges Beispiel – nicht in Österreich, Großbritannien, nicht in den USA, nicht in Italien, Frankreich, Deutschland usw. – in der eine bürgerliche Partei durch das Paktieren mit Faschisten und Antisemiten gewonnen hätte. Aber es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Karrierismus und Korruption auch langjährige, christdemokratische und konservative Parteien zerstört haben. Behaupte also niemand, man(n) habe ja nicht wissen können…

 

  

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

22 Kommentare

    • Danke für das Interesse & gerne, @Dorothea

      Nachdem heute morgen sogar meine langjährige Abo-Qualitätsquelle Stuttgarter Zeitung in den Abgesang auf die Bedeutung der Kirchen ⛪️ einstimmte, entschied ich mich zu einem Bekenntnis. Kann schon sein, dass wir gegen den feindseligen Dualismus und Fossilismus unterliegen werden. Aber zumindest von meiner Seite her gebe ich das C in der CDU/CSU nicht feige und kampflos her. Es hatte in seiner Tiefe und Weite für den Erfolg der Bundesrepublik und das Wohlergehen von Millionen große Bedeutung!

  1. Das sehe ich ähnlich. Ich feiere auch Gottesdienst mit drei oder vier Menschen, weil mir mein Glaube wichtig ist und ich Jesu Wort von der Bedeutung der “zwei oder drei”, die in “seinem Namen zusammenkommen”, schätze und immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass er “mitten unter uns” ist. Klar ist manchmal auch ein Kirchentag schön, bei dem man vielen Menschen begegnen kann, aber es kommt nicht auf die Anzahl an, sondern auf Glaubwürdigkeit in der Nachfolge Jesu: Orientiere ich mich am Willen des dreieinigen Gottes oder sind mir seine Aufträge bzw. Gebote letztendlich egal. Bonhoeffer bezahlte für seine radikale Bereitschaft zur Nachhfolge Jesu mit dem Leben. Das muss ja nicht sein, aber wenn viele Menschen etwas mehr Solarpunk leben würden, weil das Gottes Willen für seine Erde mehr entspricht als der Fossilismus, dann wäre viel gewonnen. In dem Sinn: Einen gesegneten Sonntag!

    • Vielen Dank & Zustimmung, @Dorothea 🙏

      Ich habe mich oft mit der Beobachtung unbeliebt gemacht, dass ich bei aller Wertschätzung in den verschiedenen, politischen Milieus auch Herausforderungen sehe: Dass Linke häufiger von Arroganz betroffen sind, Liberale von Gier und Konservative von Reaktanz.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/was-ich-vom-politischen-koordinatensystem-links-mitte-rechts-halte/

      Spiritualität und Religiosität können wertvolle Korrektive sein, die auch politisches Denken in die „Weite der Zeit“ öffnen. Dass sich weder Poschardt noch Rödder in ihren genannten Traktaten ernsthaft mit Jesus von Nazareth auseinandersetzten, hat ja einen Grund: Es lässt sich einfach kein rechtslibertärer Fossilist aus ihm machen.

      Verstehen wir uns dabei nicht falsch: Ich sage nicht, dass demokratische Politikerinnen und Politiker christlich oder überhaupt religiös sein müssten. Sondern ich sage, dass es unglaubwürdig ist, das „C“ im Parteinamen zu beschwören und Kreuze in Amtszimmern aufhängen zu lassen, ohne sich dann auch inhaltlich befragen zu lassen.

      Und ich ahne, dass angesichts der fossil finanzierten Gewalt, eines heranrollenden Hitzesommers 2025 und eines jetzt schon stinkend absackenden Bodensees die Wut gegen fossilistische Karrieristen auch in Europa 🇪🇺 weiter zunehmen wird.

      Vielen Dank für die dennoch ermutigenden Drukos & die besten Wünsche für einen gesegneten Sonntag! 🙏⛪️🙌

  2. Guten Morgen Michael und Mitleser/-schreiber,

    danke, gleichfalls guten Sonntag,
    unglaubwürdig ist es tatsächlich “C” im Namen der Partei und das wirkliche Handeln nicht C.
    Wäre es nicht sogar weitergehend das als Etikettenschwindel zu bezeichnen.
    Und dieser Etikettenschwindel zieht sich womöglich breiter und nicht nur auf C.
    Leider ist das C nicht geschützt. Versteht, was ich meine!

    • Danke für die Wortmeldung, @RalfH.

      Wie im Blogpost erwähnt bildete sich die deutsche Christdemokratie als direkte Reaktion auf die auch moralische Katastrophe des Nationalsozialismus. Das C stand also für den Versuch einer Neubesinnung und mit Konrad Adenauer wurde ein tapfer dem NS trotzender, einstiger Oberbürgermeister zum ersten Bundeskanzler gewählt. 🇩🇪 Die Westbindung 🇪🇺🇺🇸 und auch die Versöhnung mit Frankreich 🇫🇷, mit dem Judentum und dem Staat Israel 🇮🇱 gehören zu den wegweisenden Verdiensten dieses knorrigen, aber authentischen Christen.

      Adenauers zahlreiche Kritiker „vergessen“ dabei auch gerne zu erwähnen, dass ihm schon bei den deutsch-israelischen Verträgen Teile der CDU und vor allem CSU von der Fahne gingen und er diesen Erfolg gegen den Antisemitismus und für das jüdische Über-Leben nur mit den Stimmen der SPD durch den Bundestag bekam!

      “Der Vertrag wurde im Deutschen Bundestag am 18. März 1953 mit 239 von 360 abgegebenen Stimmen ratifiziert. Nur die Fraktion der SPD stimmte geschlossen zu, dagegen verweigerten Abgeordnete der CDU/CSU in großer Zahl ihre Zustimmung, obwohl Konrad Adenauer den Vertrag schon aus moralischen Gründen für notwendig und als unerlässliche Vorbedingung für die Westintegration bezeichnete. Neben namhaften Finanzpolitikern wie Fritz Schäffer (CSU) befürchteten weitere Politiker, das Abkommen werde das Verhältnis zu den arabischen Staaten nachhaltig belasten, da diese Israel ökonomisch boykottierten.

      Öffentlich durchgehend ablehnend sprachen Thomas Dehler, Justizminister aus der FDP, und Franz Josef Strauß, MdB der CSU. Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts befürworteten nur elf Prozent der Bevölkerung das Abkommen vorbehaltlos.“

      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Luxemburger_Abkommen

      Auch das von Rödder sogar angeführte „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ des großen Humanisten und Erkenntnistheoretikers Karl Popper entstand unter drastischen Umständen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Neuseeland 🇳🇿 und enthält nicht zufällig die Formulierung vom „Tragen des Kreuzes“ als Annehmen von schmerzhaften Wahrheiten. Nicht nur der deutschsprachige Konservatismus, sondern auch der Liberalismus des 20. Jahrhunderts besann sich in seinen Besten seiner christlichen, jüdischen und humanistischen Wurzeln.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/das-schrumpfen-der-freiheit-poppers-kreuz-der-wahrheit-im-hossa-talk-184/

      Gerade auch als Christ und Demokrat erwarte ich von Politik und Parteien keine weltferne Perfektion und würde es auch ablehnen, wenn sich demokratisch Gewählte als verlängerter Arm von Kirchen und Religionsgemeinschaften verstünden. Was beim größten Teil der Bevölkerung – einschließlich der religiösen Minderheiten – aber zu Recht als „Etikettenschwindel“ erscheint ist die Verwendung des „C“ und des Kreuzes bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber dessen Geschichte und Werten. Aus Rabbi Jehoschua von Nazareth lässt sich kein menschenverachtender, fossiler Lobbyist machen. Wer sich nur für Steuererleichterungen für Reiche und Putin-Pipelines, aber nicht für den ÖPNV, erneuerbare Friedensenergien und für die ärztliche Versorgung von Kindern und gesetzlich Versicherten stark macht, missbraucht das C. Jesus stand dem selbständigen Wirtschaftsleben nahe, aber starb nicht für Profitmaximierung am Kreuz. Der christliche Sozialflügel ist keine Folklore, sondern Garant für die Glaubwürdigkeit einer noch großen Partei!

      Die italienische Christdemokratie ging vor allem an Korruption zugrunde und bereite damit Rechtspopulisten und Neo-Faschistinnen den Weg an die Macht. Ich will mich nicht damit abfinden, dass „meine“ CDU in gleicher Weise in den Fossilismus absackt und damit auch die Europäische Union 🇪🇺 verraten würde. Denn das wäre dann kein Etikettenschwindel mehr, sondern Betrug am Weg, an der Wahrheit und am Leben. Es ist m.E. höchste Zeit für eine Wieder-Besinnung der deutschsprachigen Christdemokratie und des deutschsprachigen Liberalismus. Und auch Medienredaktionen sollten sich schon aus Verantwortung nicht für das Abdrucken von geschichts- und demokratievergessenem Quark hergeben.

      • Ich danke Ihnen sehr für alle Gedanken, die ich nur nicht so gut formuliert und mit dieser Stringenz hätte ausdrücken können.
        Heiner Geißler sagte vor vielleicht 30 Jahren einmal in Zwickau auf einer Wahlveranstaltung vor geladenen Gästen, auf das C in der CDU angesprochen, wir reißen sicher oft die Messlatte, aber wir minimieren deshalb nicht die Höheneinstellung der Latte.
        Dies versöhnte mich mit der CDU.
        So muss es möglich sein, die christliche Stimme deutlich – und wohl auch z.t. für manche verstörend – zu Gehör zu bringen. Herr Merz sollte darauf sehr wohl achten.

  3. Wer mit Blut schreibt, bleibt.

    Custers letzte Schlacht haben nicht die Guten verloren, aber die Verlierer gewonnen. Häuptling Shitting Bull Merz führt seine Sioux nach Wounded Knee. Saigo Takamori lässt die Samurai ins MG-Feuer laufen. Don Quixote ist tot, die Windmühlen haben gewonnen, doch er hat ein letztes Opfer zu bringen: Er wird zum Märchen. Er stirbt den Heldentod und wertet so eine Vergangenheit auf, die nie existiert hat. Für den Dämon Volk ist er faulendes, wertloses, entbehrliches, lästiges Fleisch, […ab hier wegen unangemessener Sprache und Überlänge gekürzt, M.B.]

  4. @Paul S.: “Wer mit Blut schreibt, bleibt.”
    😇👍🏻
    Gelungener Spott über die Unglaub- und Verachtungswürdigen.
    👋😇

  5. Nun ist auch die drei-tägige Mastodon-Umfrage mit 217 Antworten zu Ende gegangen.

    https://sueden.social/@BlumeEvolution/114272794378806800

    „Immer mehr Leute bedanken sich bei mir dafür, dass ich als Christ & Demokrat das Suchen gemeinsamer Mehrheiten von #Union, #FDP und Faschisten im #BTW25 klar ablehnte. Hielt das für moralisch & politisch falsch.

    Aber wie seht Ihr das im Rückblick im Ergebnis bzw. politikwissenschaftlich? Hat dieses Bundestags-Manöver Union & FDP denn nun genutzt, hat es die AfD „halbiert“?“

    94 Prozent (!) antworteten, es habe „Union & FDP geschadet, AfD genutzt.“, ein Prozent (!) sieht einen Nutzen für CDU/CSU und FDP, fünf Prozent sehen keine Auswirkungen.

  6. Hallo Herr Blume,
    Die Relevanz der Kirche war mir viele Jahre nicht Bewusst, bis ich vor wenigen Monaten zum ersten mal seit zig Jahren wieder einen Gottesdienst besuchte. Ich tat dies als frisch ausgebildeter Heilerziehungspfleger und begleitete einiger meinet Klienten (Menschen mit Behinderung). Es war ein Gottesdienst wie ich ihn noch nie erlebt habe: Voll von direkter Ansprache des Pfarrers an die Kleine Gemeinde im Panoramasaal der Einrichtung. Es gab mir die Chance die Menschen mit denen ich arbeite in neuem spirituellen Licht zu sehen. Eine Seite die mir sonst nicht sonderlich auffiel und nun unübersehbar war.
    Ich habe in den Jahren vor meinet Ausbildung zum Hep kirchliche Kreise eher als reaktionär und irgendwie zu nah am rechten Rand wahrgenommen, was ich nun durchaus differenzierter sehe.
    Unweit meiner Einrichtung liegt der Geburtsort von Mathias Erzberger. Er war Mitglied der Zentrums Partei und wurde 1921 von rechtsnationalen Terroristen ermordet. Ich spare mir hier die Details seines Lebens, denn ihnen als langjähriges CDU Mitglied dürfte der Name und sein Wirken bekannt sein.
    Ich würde mir von der heutigen CDU mehr Erzberger wünschen. Ein Aufrechter Mann der für seine Werte einstand und sich nicht mit destruktiven Kräften einließ…
    Danke, Herr Blume. Ohne ihre erhellenden Sätze wäre es dunkler in Deutschland.

    • Vielen herzlichen Dank für Ihren berührenden Kommentar, @Dave Lister 🙏

      Und, ja, ich bin da ganz bei Ihnen! Glaubwürdige Kirchen, Religionen und auch Philosophien transzendieren nach meiner Einschätzung das politische Links-Rechts-Schema, weil sie überzeitliche Werte verkünden. Dazu gehört die Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen, die zwar in der Bibel verankert ist, aber immer wieder neu erkämpft werden muss. Vor neunzig Jahren verrieten auch deutsche Ärzte ihre behinderten und dauerhaft erkrankten Patientinnen & Patienten und vor fünfhundert Jahren skandierten die süddeutschen Bauern zu Recht: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“. Leider wurden sie davon von vermeintlich christlichen Fürsten & Söldnern zu Abertausenden niedergeschlachtet, auch gefoltert und hingerichtet.

      Deswegen macht die dialogische Unterscheidung des säkularen Staates (saeculum = Jahrhundert, Jetztzeit) von den Religionen und Weltanschauungen auch Sinn und ich will weder in einer Theokratie noch in einem religionsfeindlichen Staat leben. Spirituelle und religiöse Erfahrungen vermögen Menschen und Zeiten zu verbinden.

      Herzlichen Dank auch für die Erinnerung an den von den Faschisten ermordeten Zentrums-Politiker Matthias Erzberger (1875 – 1921)! Für meine christlich-demokratische Entwicklung war es sehr wichtig, dass gestandene Christdemokraten wie Erwin Teufel und Christoph Palmer immer wieder an Erzberger und auch Eugen Bolz (1881 – 1945) erinnerten. Entsprechend besorgt habe ich gesehen, dass es manche Bundespolitiker von CDU & CSU nicht nötig fanden, zur Ermordung von Walter Lübcke (CDU, 1953 – 2019) durch rassistische Rechtsextremisten öffentlich zu kondolieren.

      Auch etwa die österreichische FPÖ hatte ja erst kürzlich wieder sehr deutlich gemacht, welches Schicksal sie im Austrofaschismus 2.0 auch Konservativen & christdemokratischen ÖVP-Politikern wünschte. Ich finde es schon krass, wie wenig sich manche mit Geschichte befassen, die von sich selbst doch behaupten, „konservativ“ zu sein. Es muss ja niemand religiös sein, um aus der Geschichte zu lernen…

  7. Danke für Ihr Statement.

    Das “C” in CDU war aus meiner Erfahrung noch bis vor wenigen Jahren von den meisten Mitgliedern in Stein gemeißelt und die Grundlage des Denkens und Handelns. Stand und steht es doch mE. auch dafür, dass die CDU nach dem Krieg es ernst damit meinte, Katholiken und Protestanten gleichermaßen unter dem Dach einer Partei zu vereinen. Man wollte auch da aus den Fehlern lernen, die vor 1933 gemacht worden waren.

    Ich habe über Jahre hinweg immer wieder an den Nominierungsversammlungen der CDU für Bundestag und Landtag teilgenommen. Dabei war es allen Bewerbern und Bewerberinnen ein Anliegen, dass ihnen das C wichtig ist und sie ihren Glauben auch leben. Es schien eine Selbstverständlichkeit und glaubwürdig zu sein. Dabei spielte es keine Rolle, ob ein Kandidat evangelisch oder katholisch war.

    Die Frage, die sich heute stellt: Wie wichtig ist den Wählerinnen und Wählern die religiöse Grundlage im Denken und Handeln von Politikern? Hier meine ich, dass die CDU/CSU durchaus in einem Zwiespalt ist. Und es haben heute mit den Vertretern und Vertreterinnen des Wirtschaftsrates Menschen das Sagen in der CDU, die auf die sog. “kleinen Leute” eher abschätzig herabschauen. Jesus aber war für die Ausgestossenen aus der Gesellschaft oder die am Rande leben mussten, da.

    Herr Rödder war mal Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät “Neuere Geschichte” der Universität Stuttgart, die damals von Eberhard Jäckel geleitet wurde (1967-1997). Das nur zum Stichwort: “Aus der Geschichte lernen”.

    Die CDU täte aus meiner Sicht auch gut daran, sich an das Schicksal von Auguste “Gussi” Adenauer zu erinnern. Es passt imho nicht zusammen, die aktuellen Farben der CDU nach Adenauers Wohn- bzw. Urlaubsort zu benennen und andererseits das Andenken an die Ehefrau von Konrad Adenauer so wenig zu würdigen.

    Ihnen nochmals herzlichen Dank für Ihr Engagement!

    • Vielen Dank, liebe @Marie H., auch für die persönlichen Schilderungen! 🙏

      Als ich zur CDU stieß, war ich noch nicht einmal getauft und hatte auch noch keinen Religionsunterricht, sondern Ethik. Aber das christliche Menschenbild mit Menschenwürde, Bildung und Freiheit sprach mich als Sohn von Stasi-Verfolgten an. Bei meiner Erwachsenen-Taufe waren Christdemokratinnen und Christdemokraten als Gäste und auch Taufpaten reichlich präsent.

      Eine nur konservative Partei, die kein Verständnis für Ökumene und interreligiösen Dialog, für die europäische Einigung und die deutsch-französische sowie die deutsch-israelische Versöhnung gehabt hätte, hätte mich schon damals nicht erreicht. Und, ja, noch vor wenigen Jahren wurden selbstverständlich auch Parteifunktionäre und Abgeordnete abgestraft, die sich vom fossilen Ressourcenfluch-Regime in Aserbaidschan korrumpieren ließen. Halten wir denn die Öffentlichkeit für so beschränkt, dass sie Fossilismus und Korruption in Zukunft ignorieren würde?

      Noch als ich in Utah, USA, 2023 den anständigen Konservativen und Republikaner Mitt Romney würdigte, in Washington meine Kollegin Deborah Lipstadt im State Department sowie die ADL besuchte, hätte ich mir nicht vorstellen können, auch einmal übelste Angriffe gegen unsere langjährige Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel abwehren zu müssen. Dabei genoss gerade auch diese christlich-demokratische Kanzlerin in Deutschland, Europa und weltweit Vertrauen und Glaubwürdigkeit weit über rechtsgerichtete Kreise hinaus!

      Wenn ich mir dagegen die heutigen Wahl- und Umfragewerte anschaue, dann müssen wir wohl bemerken: Vertrauen ist schwer aufgebaut, aber leicht zu zerstören.

      Dass mich die Bundestagsfraktionen von CDU und CSU ausgerechnet in der Woche des Gedenkens an den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz vor eine Gewissensfrage stellen würden, hatte ich mir nicht ausmalen können. Und die Ergebnisse dieses Glaubwürdigkeits-Chaos einer offensichtlich miserabel beratenen Spitze spüren und sehen wir ja nun alle.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/ein-schritt-in-die-digitale-thymokratie-mein-heutiger-tag-mit-zwei-parlamenten/

      Noch immer habe ich die Hoffnung, dass sich christlich, jüdisch, humanistisch, europäisch aufgeklärte Vernunft auch in der Union wieder durchsetzen werden und dass mehr und mehr Christdemokratinnen und Christdemokraten zu einer glaubwürdigen Haltung zurückfinden. Aber wenn nicht, so möchte ich wenigstens nicht zu denen gehören, die zum moralischen und politischen Niedergang einer großen, christdemokratischen Volkspartei geschwiegen haben. Für eine Umkehr ist es spät, aber noch nicht zu spät. Meine ich.

      • Herzlichen Dank!

        Für Deutschland, aber auch für Europa wäre es mit Blick auf die allgemeine Lage der Welt wünschenswert, wenn sich in der Union wieder etwas mehr Pragmatismus durchsetzen könnte.

        Friedrich Merz hat uns Wählerinnen und Wähler belogen, und es ist gut, dass er das eingesehen hat.

        Es ist ihm gelungen, sich selbst als harten Mann zu verkaufen, der stark und gelegentlich kompromisslos agieren werde. Der Ausgang der Wahl stellt uns alle vor die Herausforderung, damit klarzukommen, dass es in einer Koalition Kompromisse braucht.

        Die Medien haben auch dazu beigetragen, dass Kompromissfähigkeit ein Makel und keine Stärke sei. Das sollte ein Ende haben, damit die neue Regierung arbeiten kann.

        Was ich befürchte, geht leider in die andere Richtung. Besonders die BILD und die WELT werden ihren publizistischen Einfluss dazu nutzen, um ihrer Leserschaft zu vermitteln, dass eine starke Regierung nur aus Union und AfD bestehen sollte, denn nur diese wäre handlungsfähig.

        Aber auch für viele Mitglieder der CDU wird die neue Rolle eines moderierenden Bundeskanzlers Merz eine Enttäuschung sein. Zu lange haben sich auch die eigenen Leute darin gefallen, das Bild des starken Parteivorsitzenden zu bejubeln. Merz wird mehr Merkel wagen müssen – für viele eine Horrorvorstellung.

        Meine Sorge ist, dass die AfD in Baden-Württemberg bei den nächsten Landtagswahl stärkste Fraktion werden könnte.

        Ich kann nur beten, dass es Herrn Merz gelingen wird, den Weg vom starken Mann hin zum kompromissfähigen, ausgleichenden Regierungschef erfolgreich zu gehen.

        Ihnen danke ich hiermit ganz besonders dafür, dass Sie den Mut haben, der eigenen Partei ins Gewissen zu reden. Viel Kraft!

  8. Heute habe ich Gedanken eines Ghanaers zum Evangelium der katholischen Leseordnung hören können, die mich sehr an die Diskurse hier im Blog und auf Mastodon erinnert haben.
    Es ging um den Umgang mit der Ehebrecherin, die ertappt worden war, und zu Jesus gebracht wurde – auch als gewisse Falle (mehr im Kapitel 8 vom Johannesevangelium).
    Er motivierte uns, mit dem Zeigefinger auf ihn als Prediger zu zeigen, sich gewisser Maßen zu solidarisieren auch in Empörung. Beim Bibliolog in dieser Woche von der Aktion 7-Wochen-ohne ging es auch um Empörung und um die Kraft dieser Emotion im Miteinander.
    Jesus schafft es in dieser Situation, das Empörungsmuster zu durchkreuzen, die sich Empörenden dazu zu bringen, über sich selbst nachzudenken, und so das dualistische Muster zu verlassen.
    Diese Perspektive gibt er ja auch der Frau mit, wenn es heißt:
    Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
    Persönlich merke ich, wie viel leichter oft ein eher dualistischer Umgang mit Themen ist, die mir wichtig sind, und wie es gleichzeitig nicht wirklich viel bringt. Neben den Projektionen, die da laufen, verhärtet es ja oft das Miteinander – wie landen auf weniger konstruktiven Ebenen der Konfliktaustragung, wie sie z.B. ein Herr Glasl beschrieben hat. Vor kurzem wurde darauf auch hier noch einmal hingewiesen.
    Diese Kompetenz der Durchkreuzung zu fördern ist ein Thema, was zumindest in den Evangelien immer wieder aufscheint und somit auch die Praxis von Glaubenden, von Kirche, bestimmen wird.
    Ein sehr institutionelle Sicht auf diese Vergemeinschaftung ist ja schnell auch in sich dualistisch, dh es gibt welche, die drin sind, und andere, die draußen sind. Ein Thema, dass Propheten einschließlich Jesus immer wieder bewegt haben.
    Am Ende des Posts bleibt als offene Frage: ,Was ist ein angemessener Umgang mit Empörung, Hetze und weiteren destruktiven Formen, die sich bei uns Menschen leider auch zeigen?’ und wir sind dann bei Gedanken, die im Hossa-Talk 184 bewegt werden.

    • Vielen herzlichen Dank, @HG Unckell – genau so sehe ich es auch. Aus meiner Sicht kann und muss es in Demokratien zu unterschiedlichen Themen auch unterschiedliche Meinungen geben können, allerdings auf dem gemeinsamen Boden des dialogischen Monismus. Andere Demokratinnen und Demokraten sind nicht meine Feinde – und die Brandmauer gegen jeden Faschismus ist kein Zugeständnis an andere Parteien, sondern eine zwingende Lehre aus der deutschen Geschichte auch des Christentums, des Konservatismus und Liberalismus.

      Heute hatte ich eine Veranstaltung mit Abgeordneten von CDU, Grünen und SPD gemeinsam gegen jeden Antisemitismus und für jüdisches Leben in Schwäbisch Gmünd:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/redeskript-zur-heutigen-eroeffnung-des-juedischen-bildungswerkes-in-schwaebisch-gmuend/

      Noch einmal lieben Dank für den nachdenklichen und tiefen Kommentar! 🙏🙌

  9. Hier eine knackige Zusammenfassung der Einstellung in der Union zum Mitweltschutz, Ausgangspunkt ist der tiefe Glaube an die Kernfusion (Hervorhebungen von mir):

    “Mariam Lau, Journalistin, DIE ZEIT

    “Die Union möchte Klimaschutz, aber sie möchte es eben ganz anders machen als die Grünen. Die Hauptmessage der Union ist: Unseretwegen braucht ihr auf nichts zu verzichten. Ihr könnt weiter euren Verbrenner fahren, ihr könnt weiter eure Wurst essen, ihr könnt weiter heizen, wie ihr es gewohnt seid. Und so weiter. Mit uns kriegt ihr diesen Ärger nicht. Wir lösen das mit der berühmten Technologieoffenheit, und da kommt eben der Fusionsreaktor ins Spiel.”

    Heinrich Strößenreuther kennt die CDU von innen. Er war Mitbegründer der Klimaunion – heute ist er bei den Grünen. Die Fusions-Euphorie der Union ist für ihn vor allem eins: Ideologie.

    Heinrich Strößenreuther, Umweltaktivist

    Den CDU-Mitgliedern und Funktionären kann man viel erklären und am Schluss macht es so Peng und dann sind sie wieder in der CDU-Werkseinstellung, als ob irgendwie 20, 30 Jahre kein Wissenszuwachs da war, dass sich die Welt nicht verändert hat. Und vor allem der Abstand zu erneuerbaren jeglicher Art ist einer, der eigentlich heute der Zeit nicht mehr angemessen ist.””

    http://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/umwelt/mission-kernfusion-energiewende-oder-fehlinvestition.html

    • Lieben Dank, @Paul Stefan

      Ja, es gibt in der Union noch immer fossilen Lobbyismus und auch umstrittene und wirtschaftlich fragwürdige Träume von der Wiedereinführung der Atomenergie, auch Erwartungen zu einer zeitnahen Einführung von Kernfusion.

      Es gibt aber auch eine wachsende Zahl von uns, die sich auch aus wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Realismus in der KlimaUnion engagieren. Und ich darf für mich in Anspruch nehmen, den Begriff der erneuerbaren Friedensenergien am 9.11.2023 in den parlamentarischen Diskurs eingebracht zu haben, vgl.

      https://energiewinde.orsted.de/koepfe-der-energiewende/michael-blume-antisemitismus-ressourcenfluch-oel-gas-konflikte-interview

      Mit der fossilen Finanzierung antisemitischer Regime und Terrorgruppen von Russland über Iran und Katar, Hamas, Hisbollah und Huthi bis nach Venezuela und Teilen der US-Thymokratie werde ich mich niemals abfinden. Und ich freue mich, dass Fossilisten auch in CDU und CSU, die etwa weiterhin für Gas und Öl aus Russland oder Aserbaidschan lobbyieren, längst auch innerparteilichen Widerspruch erfahren. Wer ehrlich für Demokratie, Frieden, Mitweltschutz und auch wirtschaftliche Unabhängigkeit eintritt, der und die muss erneuerbare Friedensenergien fördern – und zwar besser, als dies auch in den letzten Jahren geschehen ist.

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