Medienmix – Warum Jesus podcasten würde

Als ich vor der Beauftragung gegen Antisemitismus und vor Covid19 noch Zeit und Gelegenheit hatte, fuhr ich sehr gerne mit dem Zug zu Abenden, auf denen ich meine Bücher vorstellen und diskutieren konnte. Bis heute macht es mir eine riesige Freude, mit Menschen zu sprechen, die mir etwa neue und bereits gelesene Exemplare zum Signieren mitbringen und von ihnen zu hören, was ihnen dieses oder jenes Buch gab oder was sie sich erhoffen. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass ein Buch erst wirklich in uns Wurzeln schlägt, wenn wir die Gelegenheit haben, darüber mit anderen zu sprechen. Erst durch Sprache werden Bücher “lebendig”.

Aus Texten muss Sprache werden, damit sie Wurzeln schlagen. Foto: Michael Blume

Medienwissenschaftlich muss das auch nicht verwundern, denn hier gelten Sprechen und Hören als primäre Medien (keine Technologien notwendig), wogegen das Lesen und Schreiben als sekundäre Medien gelten (Sende-Technologien notwendig). Auch in den alphabetisierten (“semitischen”) Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam sowie in den nichtreligiösen Philosophien wird der Text selbstverständlich Woche für Woche von Rabbinern, Pastorinnen, Imamen und TV-Talkern in gesprochene Worte (Predigten) übersetzt; oft leider nicht besonders gut.

Denn gerade auch in akademischen Ausbildungen ist die Rhetorik und Wertschätzung des Hörens minimiert – stattdessen werden Absolvent:innen über Jahre hinweg auf das Lesen und Schreiben von Texten trainiert. Das Ergebnis sind riesige Textberge mit oft großartigen Inhalten, die jedoch kaum noch gelesen werden.

In meiner Religionstrilogie habe ich jeweils die Bedeutung des Medienmixes für jede semitische Religion herausgearbeitet:

  • Die in 304.805 Alphabet-Zeichen geschriebene (rabbinische) Thora verwandelte das Judentum in die erste Bildungsreligion der Erde, sichtbar bis heute zum Beispiel am hohen Anteil an Nobelpreisträger:innen (ca. 20% bei einem Weltbevölkerungsanteil von 0,2%). Dagegen eskalierten früh und zunehmend mörderische antijüdische Verschwörungsmythen. (“Warum der Antisemitismus uns alle bedroht“)
  • Das Verbot des Buchdrucks arabischer Lettern ab 1485 durch Sultan Bayazid II. stabilisierte das Osmanische Reich, beendete jedoch dessen Wissens- und Bildungsexpansion, mit drastischen Folgen bis heute. (“Islam in der Krise“)
  • Das Christentum zentrierte um eine Person, hebräisch Jehoschua, griechisch Jesus und wurde zur größten Weltreligion, indem es seitdem jede Medienrevolution aktiv mitvollzog; allerdings um den Preis oft katastrophaler, dualistischer Entgleisungen. (“Rückzug oder Kreuzzug“)

Bei einer digitalen Buchvorstellung von “Rückzug oder Kreuzzug?” in Singen hob ich so hervor, dass auch Jesus als frommer Jude die Thora wahrte und in Sprachen und Taten auslegte – das einzige mal aber, in dem er selbst als schreiben vorgestellt wurde, schrieb er in den Sand. Und wie alle Jüdinnen und Juden kannte er auch das Schema Jisrael, das heute gerne (und etwas verkürzt) als “jüdisches Glaubensbekenntnis” bezeichnet wird:

Schema jisrael adonai elohenu adonai echad (sefardisch) bzw.
Schema jisroëil adaunoi elauhëinu adaunoi echod (aschkenasisch)

“Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist Eins” 

Zudem werde Jesus in den Evangelien, aber auch noch etwa im berühmten Gemälde des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann (1847 – 1935) als “fleischgewordenes Wort” und “sprechender Text” vorgestellt. Dem Gemälde “Der 12-jährige Jesus im Tempel” ist ein ganzes Kapitel in “Rückzug oder Kreuzzug?” gewidmet.

Das interreligiöse “Der zwölfjährige Jesus im Tempel” von Max Liebermann 1879 in München präsentiert, gehört zu den wichtigsten Gemälden im deutschen Sprachraum. Vorstellung & Besprechung in “Rückzug oder Kreuzzug?“, Michael Blume

All dies und einiges weitere ließ mich zu der Prognose greifen: Der heutige “Jesus hätte auch einen Podcast gehabt.”

Die digital anwesende Journalistin Sandra Baindl vom Südkurier griff diese Aussage in ihrem Artikel auf, so dass mir Twitter eine freshe, multimediale Kachel ausspielte.

Twitter-Kachel zum Südkurier-Bericht zur Buchvorstellung in Singen. Screenshot: Michael Blume

Fazit: Der Medienmix macht es

Eine bekannte Landespolitikerin fragte mich neulich, ob ich aus der Religionstrilogie denn “eine Empfehlung in drei Sätzen für die Politik” herauspräparieren könnte. Ich bejahte das und komprimierte sogar auf zwei Sätze: “Jede Person und jedes Medium hat Stärken und Schwächen. Deswegen wird der Erfolg jeder religiösen und politischen Botschaft immer darin liegen, ob sie mit einem dynamischen Medienmix erneuert wird.”

Als Positivbeispiele nenne ich gerne den nichtreligiösen Wissenschaftspodcast Hoaxilla und den christlichen Podcast Hossa Talk, in dem ich alle drei oben genannten Bücher vorstellen und mit Jay & Gofi debattieren konnte.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

7 Kommentare

  1. „Warum Jesus podcasten würde“

    Das erinnert doch sehr an ein Zitat des Religionspsychologen William James, der einmal feststellte: „ Die Götter, mit denen wir es halten, sind die, die wir nötig haben und brauchen können.“

  2. @Mona 09.10. 11:50

    „Das erinnert doch sehr an ein Zitat des Religionspsychologen William James, der einmal feststellte: „ Die Götter, mit denen wir es halten, sind die, die wir nötig haben und brauchen können.““

    Warum auch nicht. Was hilft, schadet nicht unbedingt.

    Aber in der Praxis ist es doch komplizierter. Die Vorstellungen, mit denen man aufwächst, die stehen auch erstmal für sich, und müssen verarbeitet bzw. überwunden werden. Und dann gibt es auch noch persönliche spirituelle Erfahrungen und auch oft gerade fehlende einschlägige Erfahrungen. Das muss man dann auch erstmal integrieren.

    Insgesamt macht es dann Sinn, sich genauer mit der eigenen religiösen Auffassung zu beschäftigen. Um hier Wege zu finden, die verschiedenen Einflüsse und Erfahrungen unter eine Hut zu bekommen.

    In diesem Sinne sind dann auch die wirklich geglaubten Götter bzw. Geisteswelten diejenigen, die wir nicht nur für hilfreich, sondern auch für existent halten.

    @Hauptartikel

    „…wird der Erfolg jeder religiösen und politischen Botschaft immer darin liegen, ob sie mit einem dynamischen Medienmix erneuert wird.“

    Der Medienmix aus Ton, Bild und Text ist in den neuen Medien nicht neu. Das gab es auch im fast ganzem 20. Jahrhundert schon. Neu an den neuen Medien ist, dass heute fast jeder Inhalte des ganzen Medienmix fast ohne Kosten selber erstellen und veröffentlichen kann.

    Entsprechend ist es auch die Herausforderung, in einer sehr breit gewordenen Diskussion überhaupt die Zeit dafür zu haben, sich damit aktiv auseinander zu können. Um ausuferndem dualistischem Unfug zu begegnen, brauchen wir vielleicht einfach ganz viel mehr Beteiligung von vernünftigen Leuten mit vernünftigen Argumenten.

    Und wir brauchen Plattformen, auf denen man nur mitreden darf, wenn man auf Beleidigungen, Verleumdungen und Gewaltdrohungen verzichtet. Dafür muss der Plattform der Klarname bekannt sein, damit die Polizei entsprechende Straftaten verfolgen kann. Will man sich da nicht entsprechend erkennbar anmelden, dann darf man da auch nichts posten.

    Das wäre wohl sehr hilfreich, um eine brauchbare Gesprächskultur zu realisieren, an der sich jeder dran beteiligen kann. Ohne zu riskieren, beleidigt, verleumdet und bedroht zu werden. Und wenn die Plattform dann auch noch darauf verzichtet, die eigene Nutzer auszuspionieren, dann hätte man noch ein Problem gelöst.

    Eine solche Plattform kann auch gerne öffentlich-rechtlich organisiert und finanziert sein und in Open-Source implementiert sein.

    • Danke, @Tobias Jeckenburger!

      Um meine Zustimmung zu Ihrem Kommentar auszudrücken, zitiere ich Sie hier einfach im Wortlaut!

      „Der Medienmix aus Ton, Bild und Text ist in den neuen Medien nicht neu. Das gab es auch im fast ganzem 20. Jahrhundert schon. Neu an den neuen Medien ist, dass heute fast jeder Inhalte des ganzen Medienmix fast ohne Kosten selber erstellen und veröffentlichen kann.

      Entsprechend ist es auch die Herausforderung, in einer sehr breit gewordenen Diskussion überhaupt die Zeit dafür zu haben, sich damit aktiv auseinander zu können. Um ausuferndem dualistischem Unfug zu begegnen, brauchen wir vielleicht einfach ganz viel mehr Beteiligung von vernünftigen Leuten mit vernünftigen Argumenten.

      Und wir brauchen Plattformen, auf denen man nur mitreden darf, wenn man auf Beleidigungen, Verleumdungen und Gewaltdrohungen verzichtet. Dafür muss der Plattform der Klarname bekannt sein, damit die Polizei entsprechende Straftaten verfolgen kann. Will man sich da nicht entsprechend erkennbar anmelden, dann darf man da auch nichts posten.

      Das wäre wohl sehr hilfreich, um eine brauchbare Gesprächskultur zu realisieren, an der sich jeder dran beteiligen kann. Ohne zu riskieren, beleidigt, verleumdet und bedroht zu werden. Und wenn die Plattform dann auch noch darauf verzichtet, die eigene Nutzer auszuspionieren, dann hätte man noch ein Problem gelöst.

      Eine solche Plattform kann auch gerne öffentlich-rechtlich organisiert und finanziert sein und in Open-Source implementiert sein.“

      Nochmal Danke!

  3. Der erste getaufte Römer und somit kein Jude war ja der hier :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptmann_Kornelius

    Paulus war bei derartiger Missionierung ebenfalls sehr aktiv, es waren die Apostel, die Jesu Lehre weiter entwickelten und breit missionierten.
    Insofern ist aus diesseitiger Sicht unklar, ob sich Jesus im Web, das bekanntlich in der Lage ist sozusagen Alle zu erreichen, engagiert hätte.
    Das Judentum tendiert nicht zur Missionierung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der für die freundliche inspirierende Nachrichtengebung dankt und zwar “Apostel” Michael)

    • Ja, @Webbaer – freilich predigte Jehoschua / Jesus an öffentlichen Orten und legte sowohl in der Synagoge wie auch unter freiem Himmel die Thora aus. Auch heute podcasten ja auch Jüdinnen & Juden, ohne zu missionieren. Vgl. zum Beispiel “Anti und Semitisch” von Juna Grossmann (von irgendwiejuedisch.com) und Chajm Guski (von sprachkasse.de):

      https://irgendwiejuedisch.com/anti-und-semitisch/

      Chajm engagiert sich ja auch sehr für die digitale Zugänglichkeit des Talmud bzw. deutscher Übersetzungen desselben, vgl.:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/den-talmud-auf-deutsch-online-bringen-interview-mit-chaijm-guski-von-talmud-de/

      Zumal wir uns persönlich kennen und schätzen, darf ich versichern, dass er gerne per Text und Ton jüdisch informiert, aber nicht “missioniert”.

      • Jaja, das war ja auch weiter oben eher spaßeshalber angemerkt, nämlich, dass Jesus (Christus) nicht “gepodcastet” hätte, er hatte sich an Juden gewandt und wollte sozusagen das Judentum nachbessern. (Und er stand mit seinem Vorhaben nicht alleine im Judentum.)
        Er hätte womöglich “podcasten” lassen, Petrus und Paulus wären dann womöglich seine “IT-Leute” gewesen, jedenfalls nach seiner Kreuzigung.

        Juden missionieren aus verschiedenen Gründen, die an dieser Stelle nicht erklärt werden sollen, nicht, meist nicht, wobei “informiert” wird, es auch Konvertiten zum Judentum gibt und dies nicht ganz unproblematisch sein soll, wie berichtet wird, es gibt diesbezüglich auch Häresie-Vorwürfe.

        Hier, bei – ‘Ich habe schon den Suhrkampverlag angesprochen, der in diesem Jahr noch die Rechte an einer Übersetzung hält, aber keine Antwort erhalten [Hervorhebung : Dr. Webbaer]. Wenn wir da einen digitalisierten Text als Akt der Großmütigkeit erhalten hätte – man wird ja träumen dürfen – hätte das sehr viele Ressource gespart.’ – ist es merkwürdig, ein bundesdeutscher Verlag könnte sich hier ein wenig entgegenkommender zeigen, zumindest reagieren wollen.

        Mit freundlichen Grüßen
        Dr. Webbaer

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