Marcus Knaup – Aristoteles jenseits von Physikalismus und Dualismus

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Gegenüber griechischer Philosophie hatte ich einige Jahre lang eher Vorbehalte. Zwar hielt ich sie für grundlegend und wegweisend gerade auch für den Erfolg westlicher Wissenschaften, doch andererseits auch für weitgehend ausgeschöpft. Und hatten nicht einige dieser gefeierten Denker die Minderwertigkeit der Frau(en) und die Sklaverei vertreten? Hatte nicht die griechische Inkulturation die christliche Tradition von einer dynamischen Glaubensbewegung zu einem schwer fassbaren System abstrakter Glaubenssätze verschoben? Und war nicht Platos einflußreiches Höhlengleichnis und also die Suche nach festen Ideen hinter den vermeintlich unwirklichen Erscheinungen eines der Haupthindernisse beim Erfassen des Evolutionsprozesses einschließlich der Entstehung neuer Arten? Als der junge, katholische Theologe Marcus Knaup bei einer Tagung das Wort zum Thema Aristoteles und moderner Hirnforschung ergriff, war ich zunächst also mehr als skeptisch. Und dann fasziniert. Am neu erwachten Interesse an antiker Geistesgeschichte – wie dem Materiebegriff – war jener Vortrag auf jeden Fall beteiligt. Und im Sammelband "Post-Physikalismus" ist nun von Marcus Knaup das Kapitel "Jenseits von Physikalismus und Dualismus! Der Hylemorphismus als wirkliche Alternative in einem aktuellen Streit" erschienen (S. 189 – 215), in den der Autor erkennbar auch Argumente der damaligen Diskussionen einbezogen hat.

 

Knaup macht darauf aufmerksam, dass Aristoteles in seinem Werk Über die Seele (griechisch Peri psyches, lateinisch De anima) bereits einen Mittelweg zwischen einem reduktionistischen Physikalismus und einem leib-seelischen Dualismus beschritten habe.

Zwei Vokabeln sind für Aristoteles wichtig, um seinen Lesern zu erläutern, dass die unterschiedlichen Lebensäußerungen zu lebendigen Organismen, zu leib-seelischen Ganzheiten, gehören: Form und Materie. Seine Sichtweise wird Hylemorphismus genannt. Hiermit ist eine Position gemeint, die davon ausgeht, dass physische Prozesse, die Materie (Hyle), und die Formkraft der Seele (morphe) komplementär zueinander gehören. Wenn Aristoteles von der "Materie" spricht, meint er damit das Zugrundeliegende. Es zeichnet sie laut Aristoteles aus, dass sie dies und das werden kann (dynamis). Und wenn von "Form" die Rede ist, ist damit das gemeint, was Materie strukturiert, organisiert, durchwaltet, gestaltet. (S. 197)

Die Morphe als Formkraft der Seele ist dabei nicht an einem spezifischen Ort zu finden (wie noch etwa bei Rene Descartes fast zwei Jahrtausende später in der Zirbeldrüse des menschlichen Gehirns), sondern die Realisierung eines Potentials des Gesamtorganismus. Aristoteles verdeutlicht dies am Beispiel eines Auges, das erst in der Gesamtheit aller Teile Sehkraft (als seine Morphe) erlange und erst damit zum Auge werde – im Gegensatz zu einzelnen Teilen oder einem nur materiellen, aber nicht sehenden Nachbau. Diese Zielstrebigkeit von Organismen zur Ausprägung ihrer Form ergibt das aristotelische Konzept der Entelechie (die u.a. Johann Wolfgang von Goethe beeindruckte und prägte). Und mehr noch: Dieses Seelen-Konzept beschränkt sich eben gerade nicht auf den Menschen, sondern schließt auch Pflanzen und Tiere ein, in denen sich in abgestuften Varianten ebenfalls je Hyle und Morphe verwirklichen.

Über die konzentrierte Darstellung der Darlegungen Aristoteles zwischen Physikalismus und Dualismus hinaus weist Marcus Knaup auch verkürzte Lesarten des großen Griechen etwa durch Dietrich Dörner oder Thorsten Streubel scharf bzw. bedauernd zurück und knüpft umgekehrt an Beobachtungen moderner Hirnforscher wie Antonio Damasio an.

Fazit: Hylemorphismus und Emergenz

Dem Autor gelingt es, aufzuzeigen, dass einige aristotelische Überlegungen für heutige Diskussionen außerordentlich fruchtbar sein können. In der Tat erinnern die Überlegungen des Hylemorphismus verblüffend stark an aktuelle Diskussionen um die Emergenz, in denen u.a. zwischen den materiellen Dingen (Hyle?) und ihren in System hervor tretenden Eigenschaften (Morphe?) unterschieden wird.

Und mehr noch: Die katholische Kirche hat zur Amtszeit von Papst Johannes Paul II. die Evolutionstheorie anerkannt (und diese Anerkennung durch Papst Benedikt XVI. und dessen Bezug auf Teilhard de Chardin noch einmal verstärkt), jedoch an der Existenz von "Seele" fest gehalten. Gerade der in der katholischen Tradition bereits breit verankerte Aristoteles könnte hier möglicherweise eine Brücke bilden, die 1. philosophisch und religiös unhaltbare Reduktionismen zurück weist, dabei aber 2. vor-evolutionäre Seelenvorstellungen hinter sich lässt und 3. auch Pflanzen und Tieren Beseeltheit zuerkennen kann, ohne sie dem Menschen völlig gleich zu stellen.

Mir scheint, dass wir von Marcus Knaup im Kontext christlich-katholischer Theologie noch hören bzw. lesen werden – und ich freue mich gespannt darauf… 

Und für alle, die immer noch Zweifel daran haben, dass Philosophie Spaß machen kann – hier das unsterbliche Fußballmatch deutscher gegen griechischer Philosophen von Monty Python. O-Zitat: "Aristoteles hat übrigens in dieser Saison einen starken Formanstieg zu verzeichnen." 😉

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

49 Kommentare

  1. Können Sie mir erklären, warum Religion immer wieder neue Brücken schlagen soll? So wie sie es hier darstellen, sollte man versuchen Glaube und moderne Vorstellungen immer wieder neu zu verbinden. Beständigen Glauben und Neue Erkenntnisse zu verbinden. Für mich klingt das aber eher wie der Versuch die Reste religiöser Vorstellungswelten zu retten ohne dabei das Gesicht zu verlieren. So als ob Religion versucht in den Schatten der Erleuchtung zu flüchten.
    War da nicht noch was mit dem Baum der Erkenntnis? Die Geschichte hat irgendwie parallelen zu Obigem. Die habe ich übrigens auch noch nie überzeugend erklärt bekommen.

  2. RKK und Evolution

    Ja die RKK hat die Evolution anerkannt, aber warum?

    Wäre alles andere viellicht schon zu peinlich gewesen?

    Ich denke auch das die “mainstream” Religionen und insbesondere das Christentum auf der Flucht die Lücken wissenschaftlicher Erkenntnis sind.

  3. @Anton Maier & Sascha

    Danke für das Interesse. Warum ich den Dialog zwischen Religion(en) und Wissenschaft(en) wichtig finde, ist schnell erklärt: Unnötige Konflikte verschlingen Kräfte und verzögern den Erkenntnisgewinn. Auch kann z.B. ethische Reflektion kaum stattfinden, wo Theologen und Philisophen aktuelle, empirische Befunde nicht verstehen. Und zuletzt gilt zumindest in den monotheistischen Religionen der Glaube an einen Schöpfer. Angst vor der Erforschung der Natur ist.

  4. Dialog

    … ist in sicher immer gut, um unnötigen Streit zu vermeiden.

    Die Griechen wieder “auszugraben” kann auch nicht schaden 😉

    Ist “Post-Physikalismus” vielleicht das gleiche wie der “Übermensch” von Nietzsche?

  5. @Michael Blume

    Ich sehe mich in meinem Verdacht bestätigt, weil sie garnicht auf meine Frage eingehen. Stattdessen begründen Sie einen Dialog um Konflikte zu vermeiden. Sie tun so als ob beide Parteien auf gleicher Augenhöhe stehen würden. Das widerspricht aber dem begründeten Verdacht Religion flüchte immer in den überbleibenden Schatten der Wissenschaft, um noch so tun zu können man würde in zwei verschiedenen Räumen stehen.

  6. @Sascha

    Nö, Nietzsche war doch auch schon einer von jenen, die an den baldigen Tod Gottes glaubten.

    Graffito: “Gott ist tot! – Nietzsche”
    Darunter:
    “Nietzsche ist tot. -Gott”

  7. @Anton Maier: Falsch

    Leider haben Sie meine Antwort nicht erfasst: Ich begründete den Dialog aus der Suche nach Erkenntnis. Dafür braucht es m.E. mehr Aufmerksamkeit und weniger Vorurteile & Über-Eifer. Was motiviert Sie?

  8. Entschuldigen Sie die Mehrfach-posts, aber ich hab hier irgendwie Schwierigkeiten mit FF4.

    Also ich sehe ein ganz klares Problem darin, Glaube entwickeln zu wollen. Als wäre es eine Theorie die überprüfbar ist oder es rationale Gründe gebe sowas wie Religion einzuführen und dadurch Erkenntnisgewinn entstehen würde, wenn man es an wissenschaftliche Erkenntniss anpasst. Das ist Heuchelei, um Theologie zu retten. Ich rege mich darüber auf, das Leute so tun Glaube sei eine Art Wissenschaft die sich mit anderen wissenschaftlichen Ergebnissen abstimmen muss.

  9. Seele

    Oben haben Sie geschrieben, dass man über Aristoteles die Brücke zu einem Seelenbegriff finden könnte, der auch Tiere und Pflanzen mit einschließt und vor-evolutionäre Seelenvorstellungen zurücklässt… wie könnte so ein Seelenbegriff aussehen? Gibt es da schon ausformulierte Ideen?
    Würde mich sehr interessieren!

  10. “Form ist Leere…”

    Michael, Dein Beitrag gibt mir Rätsel auf, um es mal so auszudrücken. Ich hoffe, in Details gehen zu können.

    Als erstes muss ich sagen, dass sich manches in Deinem Text für mich so liest, als sei für Dich “Form” dasselbe wie “Formkraft”. Kann doch nicht sein, oder?

    Und noch weniger geht es doch um “Form”, wenn von der “Formkraft” von etwas Drittem die Rede ist wie in dem von Dir zitierten Textteil Deines katholischen Kollegen Knaup. Dort schreibt er von der “Formkraft der Seele (morphe)” – lat. übr. forma -, wobei dieser Ausdruck wegen des in seinem Bezug unklaren Klammerzusatzes auch noch vieldeutig ist…

    Als wenn “die Seele”, anima im Lateinischen (griechischstämmig wie morphé ist bekanntlich auch unser gewöhnlich dafür verwendete Begriff Psyche oder eigentlich Psychä – von psýchein für atmen!), oder vielmehr: als wenn das als “Seele” Bezeichnete seinerseits “Formkraft” hätte oder ausübte, aktiv also etwas formen und damit wie ein Agent etwas machen würde bzw. durch Kraftentfaltung etwas bewirken könnte!

    Ob Aristoteles das gemeint, was dieser Autor meint, dass er gemeint hat, weiß ich nicht; weißt Du es? Whatever: unabhängig davon bleibt immer die Möglichkeit zu fragen und das will ich hier tun, wie die Rede von “Form” sinnvoll zu verstehen ist und was vernünftiger Weise unter “Formkraft” verstanden werden kann. (Man kann beide Begriffe rein willkürlich natürlich gleichsetzen; dann bliebe nur die Frage, warum für Dasselbe zwei verschiedene Worte verwendet werden sollen, und ungeklärt, wann das eine, wann das andere Wort verwendet werden soll bzw. wofür.)

    Zu Form gibt es im Buddhismus die berühmte Formel aus dem Herz-SutraForm ist Leere, Leere ist Form“.

    Hier ist die Unbeständigkeit aller (Erscheinungs)Formen gemeint, die Tatsache, dass alles, was wir kennen, sich bei genauer Untersuchung als vergänglich oder veränderlich “zeigt” oder erweist, sich daher nichts davon oder “in” ihm als ewig gleichbleibend erweist, es schon immer bestanden hätte und auf immer weiter existieren würde.

    Man könnte mit gewissem Recht sogar sagen, , dass “Form” für sich nicht einmal existiert. Als Form benennen und heben wir ja nur die Gestalt, den Umriss, die Anordnung von Einzelheiten oder die Art und Weise hervor, in der uns etwas erscheint. Erscheinungsformen beschreiben wir denn ja auch nur, während wir ihr Zustandekommen aufwändig erklären müssen.

    Für Erklärungen benötigen wir mehr an Wissen, als für Deskriptionen nötig ist; denn aus der Beschaffenheit von Phänomenen und ihren Formen allein können wir nicht entnehmen, aufgrund welcher Umstände und Vorgänge sie zustande gekommen sind.

    Wenn wir Entstehungsprozesse analysieren wollen, müssen wir Annahmen über vorausgegangene und ursächlich wirkende Bedingungen und “Wirkkräfte” für das dynamische Geschehen machen, das jeder Entstehungsprozess darstellt. Bei der Frage nach dem Zustandekommen von Formen ist es durchaus sinnvoll und m.W. auch üblich, analog von Formkräften zu reden. Dann allerdings wären Formen nicht identisch mit den Formkräften, denen Formen Entstehen und Ausprägung “verdanken”.

    Wenn demnach Formen Ergebnisse von Vorgängen sind, können die Formkräfte, die der Dynamik dieser Vorgänge als “zugrunde liegend” gedacht oder hypothetisch “unterstellt” und damit von uns zugrunde gelegt werden, nicht diesen Formen selbst zugeschrieben werden – nicht einmal dann, wenn sie zur Aufrechterhaltung einer Form wie zB. der einer Flamme aktuell sogar nötig sein sollten.

    “Form” als Ergebnis eines Entstehungsprozesses kann diesem Vorgang aber auch nicht gleichzeitig als Ausgangsbedingung zugrunde gelegt werden. Sonst wäre beides dasselbe, ein Entstehungsvorgang unnötig und einen solchen anzunehmen unsinnig.

    Was Du von dem Text von Herrn Knaup zitierst und referierst, lässt für mich nicht erkennen, ob er die Zusammenhänge so sieht wie skizziert. Ich habe den Eindruck, dass er sich “Form” eher als Ausgangsbedingung und die versehen mit “Formkraft” vorstellt, wenn er wörtlich meint, was Du auch zitierst: “‘Form’ … ist … das …, was Materie strukturiert, organisiert, durchwaltet, gestaltet.”

    Danach wäre Form ihre eigene Voraussetzung und gleichzeitig ihr eigener Entstehungsprozess, würde also als sich selbst erschaffend gedacht. Wie sinnig eine derartige Annahme ist, will ich nicht einmal fragen. Warum sie für Theologen so verführerisch ist, brauche ich sicher auch nicht zu fragen, ebenso wenig danach, wie ein Theologe zu einer solchen Deutung oder Rekonstruktion eines Textes kommt, der Jahrhunderte vor Aufkommen des Christentums verfasst worden ist.

    Psyche meint bei Aristoteles nämlich, soweit ich weiß, nirgendwo “Seele” in einem theologischen, gar christlichen Verständnis, sondern schlicht Leben und Lebendigkeit entsprechend der wörtlichen Bedeutung dieses Begriffes i.S.v. “Atem” (griech. gibt es für den Atemhauch auch das Wort ánemos, dessen sprachliche “Verwandtschaft” mit lat. animus oder wie o.a. anima geradezu “ins Auge springt”) wie auch i.S.v. “Atmen” als ebenso auffälliger wie zentraler Lebensfunktion oder -aktivität von uns und anderen uns ähnlichen Lebewesen, engl. “animals“: Seelen- oder besser gesagt: Lebensträgern – solange sie atmen…

    (NB: wenn der Volksmund zum “Lebensende” auch sagt, man würde “das Leben” mit dem letzten Atemzug aushauchen, “versteht” wohl niemand die nur sprachlich mögliche Versubstantivierung des Verbs ‘leben’ oder des Ausdruck ‘lebendig sein’ wörtlich so, als würde da zusätzlich zum letzten Atemhauch auch noch eine Substanz, ein Ding, ein Etwas, genannt “Leben” ausgehaucht! Unerkannte Versubstantivierungen von Aktivitäten, Geschehnissen, Vorgängen verführen leicht zu einer Glaubenshaltung, die philosophisch als “naiver Realismus” bezeichnet wird und vor der nicht genug gewarnt werden kann; man könnte diese Glaubenshaltung auch als Begriffs- oder Wortgläubigkeit bezeichnen.)

  11. Um es anders Auszudrücken:
    Eine Wissenschaft die irationale Beweggründe für ihre Theorie berücksichtigt begeht Selbstmord.

    Irationale Vorstellungswelten, die sich nicht den rationalen Vorstellungen in irgend einer Weise anschließen, machen sich auf Dauer lächerlich. (wie man am Vatikan sehen kann)
    Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die Theologie immer in den Schatten der Wissenschaft hüpft.

    Es ist also kein Dialog zum Erkenntnisgewinn

  12. @Sebastian Voß & Ingo Wolf-Kittel

    Spannende, inhaltliche Fragen! Klar, in einer Blog-Zusammenfassung eines sehr viel umfangreicheren Textes lassen sich nicht alle Nuancen integrieren, zumal einige Fragen wohl auch noch über den Text selbst hinaus reichen. Aber ich werde Marcus Knaup einmal anmailen und fragen, ob er ggf. bereit wäre, ein, zwei Fragen selbst zu beantworten.

  13. @Anton Maier: Theologie(n) Wissenschaften?

    Nun bin ich ja – bewusst – Religionswissenschaftler und eben kein Theologe geworden. Allerdings bin ich gerne bereit, die Frage, inwiefern Philosophie(n) und Theologie(n) zur Wissenschaft gehören, einmal auf Natur des Glaubens ausführlicher zu diskutieren.

    Erlauben Sie mir eine Frage dazu? Da Sie “Rationalität” zur Meßlatte von Wissenschaftlichkeit machen, würde ich gerne Ihre (abschließende? allgemein gültige?) Definition von “Rationalität” erfahren. Ich bin ehrlich gespannt!

  14. Ganz recht Karl Popper ist glaube ich immernoch der Stand der Dinge. Um es genauer zu Formulieren: Karl Poppers Methoden zur Erkenntnistheorie würde ich als Rational begutachten. Anders formuliert ist Rational, was sich an der Realität messen lassen muss.
    Das schöne aus Karl Poppers Wissenschafts-/Erkenntnistheorie ergeben sich zahlreiche Schlüsse, die sich über die Geschichte hinweg bewehrt haben. (Bspw. Ockhams Messer) Aus ein paar einfachen Regeln, entfaltet sich das moderne wissenschaftliche Weltbild. Das ist einfach wunderschön.

    {Mal eine generelle Kritik an dem Wort Gott:
    Entweder ich hab keine Vorstellung von ihm, dann ist er keine Erklärung für irgendwas.

    Wenn ich eine Vorstellung von ihm habe, stellt sich die Frage warum ist Gott, so wie er ist.

    –> Daraus ergibt sich für mich der Schluss, dass Gott keine Erklärung für irgendwas sein kann.}
    Die selbe Position bezieht übrigens Steven Weinberg.

  15. Logik?

    Wenn ich eine Vorstellung von ihm habe, stellt sich die Frage warum ist Gott, so wie er ist.

    Leuchtet mir nicht ein. Rein logisch stellt sich vielmehr die Frage, warum und ggf. woher Sie Ihre Gottes-Vorstellung haben. Im einfachsten Fall haben Sie sich die schlicht ausgedacht, also phantasiert, oder andere haben sich die ausgedacht und Ihnen davon erzählt, so dass Sie sich eine ähnliche ausphantassiert haben.

    Nicht einmal dann, wenn Sie glauben, eine sog. Gotteserfahrung gehabt zu haben, muss es sein, dass Ihre Gottesvorstellung eine Erinnerung an Gott ist: es kann ja sein, dass Sie Ihre Erfahrung als Gotteserfahrung nur gedeutet haben – dass Sie also selbst da phantasiert haben, wenn auch zusätzlich zu Ihren Erinnerungen. Ist ja auch ganz leicht: schon Erinnerungen sind Vorstellungen – nur halt an Erlebtes.

    (Zu was wir aufgrund unserer Vorstellungsfähigkeit alles imstande sind, hat der Philosoph Colin McGinn in seinem genialen und psychologisch selten stimmigen Buch “Das geistige Auge – Von der Macht der Vorstellungskraft” gezeigt.)

  16. Gott und unsere Begriffe

    Im Wesentlichen möchte ich mit @Ingo-Wolf Kittel einig gehen. Und meinerseits fragen: Können die vor-wissenschaftlichen Begriffe wirklich zur Klärung heutiger Begriffsbildungen beitragen? Beitragen ja, im Sinne von Inspirieren, die begriffliche Phantasie aus eingeschliffenen Geleisen herausholen. Aber nötig ist eine Um-Setzung und nicht eine Fortschreibung, nur weil es durch ähnlichen Klang heutigen Fragestellungen entgegenkommt. Das müss(t)en auch Theologen immer beachten; und das ist eine harte Aufgabe – obwohl es immer „verführerisch“ (Kittel) ist, sich dieser zu entziehen. Auch Philosophie muss durch den „Feuer-Bach“ der Aufklärung und der Naturwissenschaft.
    Bei „Formkraft der Materie“ denke ich auch an die lange beibehaltene Vermutung, ein Klumpen Dreck könne Insekten, Würmer, ja Mäuse produzieren. Dahin wollen wir alle nicht. Aber hat nicht das auch Aristoteles veranlasst?
    Interessant finde ich, was Kittel schreibt über die „Versubstantivierungen von Aktivitäten, Geschehnissen…“. Wobei man „naiven Realismus“ erkenntnistheoretisch zwar kritisieren kann; aber – da sind Psychologen, Hirnforscher… am Zuge – : Ist das nicht die evolutionär herausgebildete Form der Vorstellungen, mithilfe derer Menschen ihr Leben gestalten? Sie wirken in Religionen. Ich halte es einerseits für unumgänglich, andererseits soll man sich ihnen nicht unbesehen ausliefern.
    Ebenso interessant finde ich Kittels Bemerkungen über die Seele bei Aristoteles: „Psyche meint bei Aristoteles nämlich, soweit ich weiß, nirgendwo ‚Seele’ in einem theologischen, gar christlichen Verständnis, sondern schlicht Leben und Lebendigkeit entsprechend der wörtlichen Bedeutung dieses Begriffes i.S.v. ‚Atem’ “. An dieser Stelle sage ich: Das entspricht auch dem „nichttheologischen“ Sinn von 1.Mose 2, 7: „So ward der Mensch eine lebendige Seele“! Und das dürfte nicht nur Gleichklang sein. Später wurde daraus die entsprechende „Versubstantivierung“ und das begriffliche Gegenüber von Geist und Materie.
    Ja, und bei allen Begriffsbildungen und Vorstellungen – auch Versubstantivierungen – geriet der christliche Glaube (der jüdische bei weitem nicht so!) auf das Geleise, dass die Begriffe und Vorstellungen zu Glaubensinhalten wurden. Und Spuren Gottes womöglich in der Materie oder im Aufbau von Gehirnwindungen, im Makrokosmos oder Mikrokosmos… gesucht werden (als „Erklärung für irgendetwas“?, wie Anton Maier und nicht nur er süffisant anmerken kann) anstatt dort, wo er wirklich zu suchen wäre: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24, Die Spurensuche wäre natürlich zu erweitern…)
    Das war natürlich auch immer wieder „verführerisch“, auf dem andern Geleise zu fahren. Aber dann gab es infolge wissenschaftlicher Neuentdeckungen verkrampfte Kämpfe und immer kompliziertere Theorien (die Epzykeln bei den Planetenbahnen waren noch einfach dagegen!). . Ich vermute, auch Marcus Knaup kämpft an der falschen Front. Nun Katholiken brauchen wohl eine „Theorie des Ganzen“ – wie Hawking 😉 . Aber Protestanten müssen auch immer wieder beweisen, dass sie die besseren Katholiken sind.
    Ja, Michael, ich teile noch die „Vorbehalte“, die Du überwinden möchtest.

  17. @Hermann Aichele
    Wenn ich die Abrahamitischen Religionen angucke, sehe ich, dass Physik und Metaphysik eng umschlungen sind. Glaubensinhalte beider Gebiete werden wechselseitig begründet.
    Da frage ich mich ob der Gott dieser Religionen und andere metaphysische Vorstellungen, wirklich metaphysisch sein kann. Das deutet für mich eher darauf hin, dass sie rein physisch sind.

  18. @Anton Maier & Sascha: Popper

    Wie bereits von @Anton Maier geschrieben: Popper präsentierte eine m.E. geniale Erkenntnistheorie! Nach dieser kann Wissenschaft u.a. eben “keine” (!) absoluten Existenzaussagen machen. Für einen plumpen Atheismus ohne selbstkritische Reflektion der eigenen Erkenntnisgrenzen lässt sich also gerade Popper nicht verwenden.

    Vor allem aber liefert auch Popper keine Existenzaussage und Realdefinition zu Rationalismus – und das war meine einfache Frage, der Ihr beide letztlich einfach per Name-Dropping ausgewichen seid. Daher gerne noch einmal wiederholt: Wie genau definiert Ihr “Rationalität”? Oder gibt es diese gar nicht und ist es damit doch auch selbst eher so eine (etwa selbst irrationale?) Gefühlssache? 😉

  19. @Ingo Wolf-Kittel & Hermann Aichele

    Ihr beide schriebt von einer “christlichen Seelenvorstellung”. Erlaubt mir, dagegen Zweifel anzumelden – meines Erachtens hat es eine solche in einer einheitlichen Form nicht gegeben, sondern völlig unterschiedliche Auffassungen, die sich v.a. aus der biblischen Überlieferung einerseits und griechisch-philosophischen Modellen andererseits speisten (und speisen). Ich finde es gut, dass heutige Theologen in diese Debatten zunehmend auch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften einbeziehen. Und dass Aristoteles über dualistische Seelen-Vorstellungen hinaus weist, ist ja genau das, was auch Marcus Knaup fasziniert, lieber Ingo.

    Bei allem Respekt vor populären Klischees: Lasst uns bitte nicht so tun, als hätte es “die” christliche Seelenvorstellung in absoluter Einheitlichkeit jemals gegeben. Auch die christliche Tradition evolviert über Vielfalt.

  20. Seele

    Was sich Menschen schon alles unter einer Seele (oder Himmel, Jenseits, Paraddies usw. usf.) vorgestellt haben, ist weniger interessant, als der Kerngehalt: das da etwas “von” uns oder von dem, was uns ausmacht, beim Sterben nicht stirbt, sondern weiterexistiert oder weiterlebt, wie widersinniger Weise so gesagt wird, weil man selbst ja tot ist. An dieser Idee ist noch mehr widersinnig, aber das ist auch nicht weiter interessant, sondern dieser Ewigkeitsgedanke wider die tägliche Erfahrung von jedermann sein ganzes Leben lang, dass ständig alles “im Fluss ist”, wie auch schon für Veränderlichkeit oder Vergänglichkeit gesagt wurde. Letztlich geht es also um die Vorstellung von einer Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Unvergänglichkeit. Und natürlich: DAS ist keine genuin christliche Vorstellung oder Idee, sondern schon bei den Ägyptern und selbst bei den Griechen mit ihren Vorstellungen vom Weiterexistieren der “Schatten” von Menschen im Schattenreich des Todes, dem Hades vorhanden gewesen und wer weiss noch bei welchen Völkern oder Ethnien noch früher; “nachweisen” lässt sich eine derartige Idee ja erst, seit es “schriftlich” möglich ist, davon Zeugnis abzugeben. (Ob die viel ältere Bestattung von Toten zwangsläufig mit so einer Vorstellung verbunden gewesen sein muss, wird nach meinem Eindruck allgemein einfach und m.E. gedankenlos unterstellt, ist aber überhaupt nicht zwingend und erst recht nicht zu beweisen.)

  21. @blume

    Da habe ich was misserstanden .. wer will den einen plumpen Atheismus ohne Selbstreflexion?

    Das Wissenschaften keine absoluten Aussagen machen können ist ja genau ihr Vorteil gegenüber “Traditionen”, so bleibt immer Raum für Verbesserung.

    Was ist “Real” oder “wahr”?
    Das ist vermutlich erstmal nur subjektiv zu erfassen.

    Man könnte auch sagen, “wahr” ist das dem sich die Wissenschaften asymptotisch annähern.

  22. @Sascha

    Mit dieser Antwort bin ich sehr einverstanden – zumal sie das Zugeständnis enthält, dass es nicht einmal eine allgemeinbgültige Definition des Begriffes “rational” gibt, mit dem Phänomene von vornherein als rational oder irrational einzuordnen wären.

    Lieber Herr Maier, können Sie das ebenfalls eingestehen? Oder haben Sie doch eine Definition und einen Existenzbeweis für Rationalität, die Sie uns und der Welt hier mitteilen könnten?

  23. @Sacha Bohnenkamp

    Tolle Metapher, das mit der Asymptote!

    Doch jetzt mal zu Ihrer Aussage an sich, wie bestätigt sich so etwas?

    Es steuern uns doch folgende Faktoren:

    a) Emotionen
    b) Empirie

    beiden arbeiten gemeinsam und versuchen sich selbst zu bestätigen.

    a) Emotionen sind abhängig vom Subjekt, das Ich kann sich nie von seiner Subjektivität lösen.
    Das Ich muss sich in Reflektion bestätigen und ist immer Reflektion dieser Welt. Die Welt die keinen Sinn haben soll.

    b) Empirie ist abhängig von dem was Sie, hier auf dieser Erde erlebt haben und bestätigt das eigene System nur selbst.

    Beide arbeiten zusammen, um einen Kompromiss, eine Entscheidung zu treffen, um dann einen Fortschritt zu erzielen.

    Wenn Atheisten dann schreiben, dass Religion ein alter Zopf ist, der endlich abgeschnitten werden sollte.
    Ist das dann nicht einfach nur eine emotionale Bestätigung der eigenen Erfahrung?

    Wie kann diese Aussage einen Wert haben, wenn es auf dieser Erde keinen Wert gibt?
    Haben die den Wert nicht einfach durch die 2 Faktoren gegeben?

    Ebenso Rationalität, sie ist auch nur ein Mittel, das von emotionalen und von Erfahrungen geprägten Menschen, produziert wurde und genutzt wird.

    Ich finde ausserdem Metaphern, bildliche Darstellungen sehr beeinflussend, da sie Emotionen auslösen und so in die Meinung ergreifen, durch Reflektion einer “Wirklichkeit”.

    Trägt die emotionale Erfahrung eines Darwinisten mehr Wahrheit, als die eines betenden Religiösen?

    Also wenn der Sinn ausserhalb dieser Erde liegt, kann dieser nicht mit den Mitteln dieser Welt erklärt werden. Wenn doch das Produkt aus einem sinnlosen, zufälligen, adaptiven Prozess entsteht und keinen sinnvollen Weg geht.
    Und wir nur Mittel nutzen, zur Erreichung diesen wertlosen Weges,
    welcher ohne Sinn, keinen Sinn erklären kann.
    Wir geben uns also immer einen Sinn, obwohl es sinnlos ist?

  24. Hylemorphismus

    Lieber Michael,

    Die Wiederauferstehung des aristotelischen Hylemorphismus ist eine interessante Entwicklung. Dass er einen Widerpart zum descartschen Dualismus darstellt, ist klar. Mir scheint aber auch noch ein anderer Aspekt wichtig. Mein Argument ist: Der Hylemorphismus könnte eine Bedeutung für den Informationsbegriff haben. Denn der klassische Informationsbegriff Shannons betrachtet Information als eine rein quantitative Größe, messbar in bits. Es könnte aber sein, dass bei Informationsübertragungen auf molukularer Ebene, z.B. innerhalb der Zellen und der DNS und RNS der Informationswert an die Form des Informationsträgers gebunden ist (z.B. durch die räumliche Faltung), und dann hätten wir den Fall einer formabhängigen Informationsübertragung – als einen Hylemorphismus. Formprägung nimmt mit der Organisationshöhe eines Systems zu, weswegen die kleinsten Bausteine der Physik so formlos sind. Auch für den Geistbegriff der künstlichen Intelligenz wäre dann der Hylemorphismus von Wichtigkeit.
    Grüße
    Wolfgang

  25. Sinn?

    “Also wenn der Sinn ausserhalb dieser Erde liegt,…”
    Warum muss es einen Sinn unabhängig vom Individuum geben?

  26. @Sascha Bohnenkamp

    Na weil das Individuum, ein Teil eines grossen Ganzen ist, die Differenzierung zu einem Individuum, nur sie selbst machen.
    Wieso muss man in Zahlen denken?
    Wieso kann man sich nicht, als ein Ganzes fühlen?
    Statt binär, könnte man stetig denken und jeden Wert in einem Bereich des Erkennens annehmen. (aber das ist irgendwie noch nicht möglich)

    Also der Mensch gibt sich einen Sinn, weil er dazu gezwungen ist.
    Ohne Sinngebung, gibt es dann keine Motivation und somit auch keine Aktion.

    Lässt sich das nicht auf die Welt projizieren?

    Ist die Distanzierung von Mensch und Umwelt nötig?
    Und machen Sie das nicht nur im Kopf, damit Sie ein Individuum sein können?

  27. @Sascha Bohnenkamp

    Ich muss mich berichtigen,
    ich denke, dass Gefühle stetige Verfahren sind,
    dass der Geist ohne sich Grenzen zu setzen, nutzen kann und
    ohne dabei in Etappen zu denken, eine Art Erfahrung wie z.B. das heilig sein einer Liebe, erfahren kann.
    Denn durch Sprachen wie Mathematik oder alle anderen auch, nutze ich wieder ein unstetiges Verfahren, dass nur AN oder AUS kennt.

  28. Hylemorphismus und Information

    Meines Wissens – hier dargestellt – gehört das Sprachspiel über Information, sich informieren u.dgl. zur Rede über uns selbst. Es auf andere Wirklichkeitsbereiche zu “übertragen” hieße, über anderes als Menschen zu reden wie über Menschen. So zu reden heißt, sich metaphorisch auszudrücken. Metaphorik passt eher zu Poesie jeder Art, weniger, wenn überhaupt zu einer sachbezogenen und sachlich adäquaten, erst recht wissenschaftlich-genauen Ausdrucksweise.

  29. Hylemorphismus

    Ich freue mich und bin dankbar für diesen regen Austausch über meinen Artikel zum aristotelischen Hylemorphismus. Es war die Absicht des Buchprojektes “Post-Physikalismus”, unterschiedliche Stimmen zu sammeln, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie gegen den Physikalismus argumentieren und ein tragfähiges Gegenmodell aufzuzeigen versuchen. Ich möchte daher die Chance nutzen, auch auf die anderen schönen Beiträge zu verweisen, die sicherlich hier auch noch vorgestellt werden und die zur Lektüre einladen.
    Die von Sebastian Voß (Seele von Tiere/ Pflanzen)und von Ingo-Wolf Kittel (wie kann man sinnvoll von Form sprechen?) aufgeworfenen Fragen habe ich in meinem Beitrag zum Sammelband angesprochen. Ich teile die Ansicht von Wolfgang Achtner, dass der Hylemorphismus als Gegenentwurf zum Dualismus gelesen werden kann – und eben auch zum Physikalismus, der heute leider mainstream unter vielen Philosophen ist. Ebenfalls kann ich zustimmen, dass die Formprägung mit der Organisationsebene zunimmt (da wären wir wieder bei den Pflanzen und Tieren). Inwieweit der Hylemorphismus für die KI hilfreich sein kann, sehe ich (noch) nicht.
    Herzliche Grüße aus Freiburg,
    Marcus Knaup

  30. “Also der Mensch gibt sich einen Sinn, weil er dazu gezwungen ist.
    Ohne Sinngebung, gibt es dann keine Motivation und somit auch keine Aktion.

    Lässt sich das nicht auf die Welt projizieren?”

    Warum soll das gehen? Hat die “Welt” einen Willen oder eine “Motivation”?

  31. @knaup

    “Ich teile die Ansicht von Wolfgang Achtner, dass der Hylemorphismus als Gegenentwurf zum Dualismus gelesen werden kann..”

    Ich kann da nicht folgen, der Hylemorphismus enthält doch bereits einen Dualismus? Vielleicht ist der anders als der von Aristoteles … aber eine Trennung on Körper / Geist wohnt dem Hylemorphismus doch inne .. oder habe ich da einiges nicht mitbekommen?

    Das Wort selber gibt das doch schon sehr deutlich wieder. (Matiere + Form)

  32. Nicht einmal “angesprochen”, geschweige denn diskutiert

    Die von Sebastian Voß (Seele von Tiere/ Pflanzen)und von Ingo-Wolf Kittel (wie kann man sinnvoll von Form sprechen?) aufgeworfenen Fragen habe ich in meinem Beitrag zum Sammelband angesprochen.

    Zumindest haben Sie dort, Herr Knaup, wie ich heute Vormittag in Ihrem Beitrag nachgelesen habe, anders als Herr Blume erwähnt und damit bestätigt, worauf ich in meinem Beitrag “Form ist Leere…”: hingewiesen hatte: dass Aristoteles dem griech. Verb psychein entsprechend – für die zentrale Lebensfunktion oder Lebensaktivität ‘(zu) atmen’ – mit dem davon abgeleiteten Substantiv psychä nicht im entferntesten etwas meint, was wir gewöhnlich unter “Seele” vertehen, sondern schlicht Lebendigkeit (oder “Leben”, der versubstantivierten Form des Verbs “zu leben”)!
    Lebendigkeit ist aber kein seinerseits irgendetwas formendes “Prinzip”, etwas unserem Leben “zugrunde Liegendes” oder was immer, sondern schlicht ein Unterscheidungsmerkmal!

    (Sc. gegenüber Gegenständen oder Objekten nicht-lebender, nicht-“belebter” Art; nebenbei bemerkt: diese “tot” zu nennen ist sprachlich nicht sinnvoll, dem üblichen Sprachgebrauch auch nicht entsprechend und sachlich falsch, weil unbelebte Dinge nicht gestorben sind.)

    Lebendigkeit als Form kann umgekehrt aber auch selbst nichts “formen”. Leben oder Lebendigkeit “drückt sich” (wie wir umgangssprachlich so sagen, obwohl es sich dabei nicht um Tubeninhalt handelt) in Lebensformen der verschiedensten Art vielmehr “aus”, einer Wendung, mit der meinem Sprachverständnis nach nur gesagt werden soll und somit “gemeint” ist, dass wir Lebewesen wie uns selbst in unterschiedlichsten Formen vorfinden.

    Leben(digkeit) ist deswegen an Formen von “biologisch” fassbaren zellulären Prozessen “erkennbar”, bei Tieren sogar an “Aktivitäten”, die für uns mit unbewaffneten Augen zu sehen sind wie eben zu atmen oder an – mehr oder weniger “lebhaftem”… – Verhalten: all das endet schlicht beim individuellen “Ableben” oder Tod eines Lebewesens, dessen Form danach in einem Vorgang “zerfällt”, sich also weiter schlicht verändert, den wir Verwesung nennen – weil dabei gleichzeitig “das Wesentliche” dieses Lebewesens, seine Lebendigkeit “vergangen” wie weggegangen ist. (Von der Metaphorik unserer Ausdrucksweisen sollten wir uns auch nicht verführen lassen.)

    “Lebendigkeit” aber auf “Leben” irgendwie – kausal oder sonstwie gedacht – “zurückzuführen”, eins von beiden gar als (aktiv) formendes innerliches oder zugrunde liegendes “Prinzip” anzusehen oder wie immer formuliert werden kann, um Leben und Lebendigkeit in eine scheinbare Relation zu bringen, als würde man mit diesen beiden Worten Verschiedenes meinen, “beruht” auf oder “besteht in” einem gleich doppelten sprachlichen Taschenspielertrick.

    Erstens bedeuten beide Begriffe wie angedeutet “eigentlich” eh dasselbe. Und dann “erklären” Worte grundsätzlich nichts. Erklärt werden kann vielleicht die Herkunft oder “Bildung” von Worten; und Worte selbst kommen in Erklärungen auch vor – mehr aber nicht.

    Damit “Leben” eine “Form” hat, braucht es so wenig ein formendes “Prinzip” wie die Bildung der Form von Wassermolekülen von “Prinzipien” bestimmt ist, sondern sich aus den Eigenschaften von anderem “ergibt”.

    Ich verstehe von daher die Verführung, nach immer “Grundlegenderem” zu forschen oder sich “Grundlegendes”, gar etwas Erstes, Primäres wie Prinzipien auszudenken, “Dahinterstehendes” oder -liegendes zu phantasieren, “Voraussetzungen” sich vorzustellen oder zu “unterstellen” (die wörtliche Bedeutung von Hypo-These) u.dgl. und dann im Rahmen unseres Wissenschaftssystems Zuflucht zu nehmen zu Extremen wie “Physik” oder: “Theologie”…

    Durch Wortakrobatik erreichen wir aber nirgendwo etwas.
    Ich habe in Ihrem Buchbeitrag nicht erkennen können, dass Sie derartige Einzelheiten und Zusammenhänge “angesprochen” hätten. Deswegen stelle ich sie hier weiter zur Diskussion.

  33. @Sascha Bohnenkamp

    Sie schrieben:

    >>Warum soll das gehen? Hat die “Welt” einen Willen oder eine “Motivation”?

  34. @Bernoulli

    Ich habe nachgeschaut, der Text wurde leider abgeschnitten. Es scheint an den Sonderzeichen gelegen zu haben, die HTML als Befehle las. Schade, ich hätte Ihre Sätze dazu gerne gelesen!

  35. @Sascha Bohnenkamp

    Also noch einmal:

    Sie schrieben:

    Warum soll das gehen? Hat die “Welt” einen Willen oder eine “Motivation”?

    Also die Physiker behaupten ja, dass die Erde der Verteilung von Energie unterliegt, durch den Urknall als Beginn der potentiellen Energie.
    Wenn ich den Prozess im Gehirn bei einer Willensausführung naturwissenschaftlich betrachte, ist dies doch auch “nur” eine Verteilung von Joule, oder? 🙂
    Wir Menschen stammen aus der Materie der Erde und gehören zu ihr,
    wir haben schließlich die selbe potentielle Energie.

    Wir sind die einzigen Lebewesen auf der Welt, die sehr weit im voraus planen können, obwohl Raben kognitiv auch sehr weit sind. So schaffe ich dann doch noch den Spagat zur Kreativität, 🙂
    beide Lebewesen nutzen ihre Kreativität um eine Aufgabe zu lösen.
    Das hat sehr viel mit Intelligenz zu tun.
    Wenn ich mir nichts vorstellen kann und nicht kreativ bin, löse ich meine Aufgaben schlechter oder langsamer.
    Die Vorstellung von Gott ist m.E. eine kreative Aufgabe, wird deshalb auch immer wieder angepasst. Ich denke das wussten wir schon damals, deswegen das Bilderverbot.
    Die Vermutung, dass es etwas schützendes gibt, lässt den Menschen empirisch nachweisbar aufblühen, da er als Säugetier, immer sehnsüchtig ist. Hunde haben das gleiche Verhalten.
    Ein Eingriff in die Natur des Menschens, ist ein Fehler, ein Rückblick von dem was Wissenschaftler gemacht haben, wenn sie sich in die Natur eingemischt haben, genügt denke ich.
    Ich meine für ein Grundbedürfnis, der Sehnsucht nach Liebe braucht sich kein Mensch schämen.
    Das ist völlig normal
    und dies rational zu bekämpfen halte ich für falsch,
    weil es in unserer Natur liegt.
    Warum wir sehnsüchtig sind, kann ich mir nicht erklären andere Lebewesen haben dies nicht.

  36. @Sascha Bohnenkamp

    “Auf den Kopf klatsch”, aber natürlich.
    Sehnsucht ist ein Mittel zur Kooperation, wenn ich mir die Affengesichter anschaue und bedenke, dass Affen bereits gegenseitig Emotionen deuten konnten, dann hat dies alles mit Kooperation und Kommunikation zu tun.
    http://tinyurl.com/62o68qq
    Wir sind so wie wir sind, weil die Evolution uns das lehrte.
    Zu dem glaube ich, dass Religiösität zwangsläufig entstand, die Faktoren, die in der Welt spielen, haben Religionen geschaffen, es kann keine Erfindung von nur einer Gruppe sein,
    ich glaube, dass der Glaube konvergent mehrmals auf der Welt entstanden ist, obwohl ich mir im Hinterkopf behalte, dass der Neandertaler vom Menschen abgeschaut haben könnte.
    Also hat die Natur den Menschen, einen Sinn geschenkt? So wie alle anderen menschlichen Eigenschaften auch. 😉

  37. Entstehung von “Religiosität”

    Zur Entstehung religiöser Vorstellungen hat der verstorbene amerikanische Psychologe Julian Jaynes in seinem genialen Werk zum “Ursprung des Bewusstseins” Überlegungen angestellt. Er macht dort plausibel, dass derartige Vorstellungen von Menschen, die noch nicht zur Reflexion, insb. noch nicht zur Selbstreflexion (oder gar zur Selbstkritik) imstande waren, im Rahmen des vorbewussten Erlebens von sozialer Erinnerungen mitentstanden, also quasi nebenbei und unabsichtlich entwickelt wurden (s. den Abschnitt “Kulturentwicklung bei präreflexiven Menschen” S. 8ff der Kurzdarstellung der Thesen von Jaynes hier

  38. @Ingo-Wolf Kittel

    Danke! Ich komme z.Zt nicht dazu, mich damit zu beschäftigen, ist aber mit Sicherheit sehr spannend! Ich hab’s nicht ignoriert.
    Wird zu 100% gelesen!

  39. Der Weisheit letzter Schluss

    “Seht, ich lehre euch den Übermenschen!
    Der Übermensch ist der Sinn der Erde.
    Euer Wille sage:
    der Übermensch sei der Sinn der Erde!
    Ich beschwöre euch, meine Brüder,
    bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht,
    welche euch von überirdischen Hoffnungen reden!
    Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.”

    Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra

    “But please remember: this is only a work of fiction.
    The truth, as always, will be far stranger.”

    Arthur C. Clarke: Vorwort zu “2001”

    Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert:

    http://www.deweles.de/willkommen.html

  40. Ja, auch ich …

    … danke @IW Kittel für die Verlinkung von Julian Jaynes. Und las mich jetzt schon etwas fest. Ist ja weitläufig.
    Erster Eindruck: Aha, daher können manche Fragen aufgeworfen werden. Manche Antworten sind eigenwillig, zumindest gewöhnungsbedürftig. Man möchte manche Behauptungen – historische, literargeschichtliche Einordnungen – sicherheitshalber auch gerne bei jemand anderem nachlesen. Und es wid mich doch nicht so schnell loslassen.

  41. Pingback:Leib und Seele oder mind and brain? von Marcus Knaup › Natur des Glaubens › SciLogs - Wissenschaftsblogs

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