Madonnas Die Another Day-Musikvideo zu James Bond und die Dissertation von Nicole Maria Bauer zum Kabbalah Centre

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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Bis heute spaltet das Musikstück und -video der Sängerin Madonna “Die Another Day” die Zuhörer- und Zuschauerschaft. Inhaltlich lehnt es sich die Anfangsszene des gleichnamigen James Bond-Filmes (deutsch: “Stirb an einem anderen Tag”) an, in dem Bond (Pierce Brosnan) anfangs von nordkoreanischen Kommunisten gefoltert wird. Doch Song und Video enthalten eine religiös-spirituelle Tiefenbotschaft…

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen? In diesem Musikvideo treten sich das gute und das böse Ego Madonnas selbst in einem Kampf auf Leben und Tod – quer durch die Bond-Requisiten – gegenüber. Madonna ruft einmal Siegmund Freud auf (“Analyze this!”) und kämpft gegen ihr böses Ich, jüdisch-hebräisch das Jezer Hara. Und in Israel löste sie sogar Demonstrationen von Ultraorthodoxen (Haredim) aus, weil sie als Nichtjüdin und Frau ab Minute 2 jüdische Teffilin-Gebetsriemen anlegt – und damit im Video aus dem irdischen Foltergefängnis ausbricht.

Madonna legt sich Teffilin-Gebetsriemen an, obwohl Nichtjüdin und Frau. Aus dem offiziellen Musikvideo, Screenshot Michael Blume

Und so entgeht ihr Körper auch dem elektrischen Stuhl, auf dem stattdessen nur drei hebräische Buchstaben verbleiben: Lamed-Alef-Vav. Nach Auskunft ihres kabbalistischen Lehrers Rabbi Michael Berg symbolisiere dies einen der 72 (hebräischen) Namen Gottes, der auf die Verneinung des Egos und die Freude in G’tt verweise. (Man vergleiche dies zum Beispiel zum christlichen Nicht-Ich oder dem islamischen Fana / Entwerden.) Berg lehrt als jüdischer Gelehrter auch via YouTube Aspekte der jüdischen Mystik – der Kabbala – auch in die nichtjüdische Öffentlichkeit.

https://youtu.be/uoUu73zXbyo

Michael Berg ist wiederum Sohn von Philip Berg (1929 – 2013), der – geboren als Feivel Gruberger – in den 1990er Jahren gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Karen in Los Angeles das erste Kabbalah Centre eröffnete. Inzwischen gibt es weltweit über fünfzig dieser Zentren weltweit, seit 2003 auch in Deutschland mit einem Büro in Berlin und Veranstaltungen in verschiedenen Städten.

Mit der Dissertation der Religionswissenschaftlerin Nicole Maria Bauer (Heidelberg) “Kabbala und religiöse Identität. Eine religionswissenschaftliche Analyse des deutschsprachigen Kabbalah Centre” (Transcript 2017) liegt nun auch eine starke Untersuchung dieser neureligiösen und jüdisch-überkonfessionellen Bewegung vor.

Bauer kann dabei überzeugend zeigen, wie die Grundzüge dieser Bewegung in den Jahrzehnten des sog. “New Age” in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. Während sich immer mehr – auch jüdischstämmige – Sinnsuchende des Westens gegen die “Dogmatiken” ihrer Herkunftsreligionen wandten und sich stattdessen für fernöstliche, vor allem indische, Religionen und Philosophien begeisterten, setzte auch ein neues Interesse an “mystischen” Traditionen in Judentum (“Kabbala”), Christentum (“christliche Mystik”) und Islam (“Sufismus”) ein. Dazu wurden alte, häufig auch mittelalterliche Texte neu übersetzt und re-interpretiert – im Kabbalah Centre gilt zum Beispiel der Zohar (belegt ab dem 13. Jahrhundert) als bedeutende Lektüre.

Traditionell wurden die Lehren der Kabbala nur jüdisch-männlichen Thora- und Talmudgelehrten ab dem Alter von 40 Jahren vermittelt. Es gab jedoch auch nichtjüdische Interessenten und Versionen einer “christlichen Kabbala”.

Philip Berg “öffnete” nun seine Lesart der kabbalistischen Lehren auch jüngeren Juden und Jüdinnen, die auf diese Weise eine nicht-dogmatische, spirituelle Perspektive auf ihre Religion angeboten erhielten. Doch vor allem seine Söhne Yehuda und Michael sowie seine Frau Karen wandten sich auch immer offener an nichtjüdische Interessenten und ließen diese nicht nur an Lehren und Ritualen, sondern auch an Festen etwa zum Schabbat oder zu Rosh HaSchana teilhaben.

Eine Konversion zum Judentum war und ist dabei nicht notwendig – auch nach traditioneller, jüdischer Lehre können Nichtjuden als Kinder Noahs “Anteil an der kommenden Welt” erhalten.

Natürlich löste diese mehrfache “Öffnung” der Kabbala heftige, innerjüdische Kritik aus – wie sie sich dann eben auch an Madonnas Musikvideo entzündete. Kritiker bemängelten eine verdünnte “Pop-Kabbala” mit “Instant-Erlösung” sowie die wirtschaftliche Vermarktung gewachsener, religiös-spiritueller Traditionen. Befürworter verwiesen auf den Erfolg der Kabbala-Centers in der Rückgewinnung sinnsuchender Jüdinnen und Juden wie auch in der Vermittlung eines positiveren Bildes vom Judentum in die nichtjüdische Öffentlichkeit.

Mit gebotener, religionswissenschaftlicher Neutralität schildert Bauer nicht nur die rituell-magischen Praktiken der Bewegung (vom Verkauf “heilenden” Kabbala-Wassers bis zum “Scannen” hebräischer Buchstaben), sondern auch die Sinn- und Gemeinschaftserfahrungen der Teilnehmenden. Dabei wird deutlich, dass es sowohl jüdischen wie nichtjüdischen Besucherinnen und Besuchern des Kabbala Centre wichtig ist, sich entlang eigener Fragen und Bedürfnisse und ohne formale Mitgliedschaft einbringen, Lehren und Rituale übend testen zu können. In der Summe beobachtet sie dabei durchaus eine zunehmende Hinwendung zum traditionellen Judentum, die zu einer Konversion führen kann, aber nicht muss.

Bauers fachlich sehr lesenswerte Arbeit bietet damit eine faszinierende Tiefenbohrung in das durchaus weiter zunehmende Interesse an “spirituellen” und “mystischen” Themen, die in einer Spannung zu den offiziellen Religionen gesehen werden.

Lassen wir also zum Abschluss noch einmal Madonna zu Wort kommen, die bereits 2004 im Alter von damlals 46 erklärt hatte:

”Ich habe nach etwas gesucht. Ich meine, ich hatte begonnen, Yoga zu praktizieren und ich suchte nach Antworten zum Leben. Warum bin ich hier? Was mache ich hier? Was ist meine Bestimmung? Wie passe ich in das große Bild? Ich weiß, dass mehr zum Leben gehört als viel Geld zu machen und erfolgreich zu sein und sogar verheiratet zu sein und eine Familie zu haben.”

Was sagt man dazu? Vielleicht: Sterbt heute nicht.

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

4 Kommentare

  1. Ist das Buch eine kritische Auseinandersetzung mit “Kabbala Light” von Philip Berg? Falls ja, könnte mich das interessieren.

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