Karl Popper 2021 – Führt die Digitalisierung in ein Zeitalter der Falsifikation?

Seit vielen Jahren unterrichte ich im Wintersemester Berufs- und Medienethik am KIT Karlsruhe – und lerne dabei von den sehr interdisziplinären Master-Studierenden nicht weniger als diese von mir. Diesmal haben wir wegen Covid19 sogar das komplette Blockseminar einschließlich Präsentationen, Diskussionen und Klausur komplett digitalisiert. Und obwohl mir die “echte Begegnung” gerade auch in der Lehre fehlt, kann ich sagen – es hat auch dank einer starken, studentischen Mitarbeiterin (mehr als “Hilfskraft”), KIT-Unterstützung und des Engagements der Studierenden doch sehr gut geklappt!

Im Einführungsvortrag hatte ich einen recht klassischen Schwerpunkt auf Medientheorie und Mediengeschichte gelegt. Auch bei einer sehr gut besuchten Digital-Diskussion beim Weltethos-Institut mit Dr. Christopher Gohl wurde sehr intensiv nach den Auswirkungen neuer Medienkanäle auf die politische Kultur gefragt.

Im Seminar selbst überraschten mich die Studierenden mit sehr tiefgehenden Analysen etwa von den Impfgegner-Bewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (mit Schwerpunkten in Stuttgart und Leipzig…), mit eigenen Untersuchungen zu Geld & Verschwörungsmythen etwa im Reichsbürger-Bereich von Peter Fietzek und sogar mit einer starken Perspektive zu monarchistischen Verschwörungsmythen aus China. Auch meine eigene Perspektive auf (S)Influencerinnen veränderte die Analyse der Arbeit der Instagramerin Madita Dorn zu Selbst- und Körperbildern durch eine vielfältige Seminargruppe.

Und so nutzte ich das Seminar auch für etwas Philosophie auf Nerd-Level: Ich habe erstmals öffentlich die These ausformuliert, dass die Digitalisierung die gesamte, gesellschaftliche Kommunikation nicht nur “beschleunigt”, sondern sie (wie etwa auch die sog. “Massenmedien” Radio und Film im 20. Jahrhundert) auch inhaltlich “formt”! Konkret vertrete ich dabei die These, dass wir einen Schub der #Falsifikation nach Karl Popper (1902 – 1994) erleben, gegen den sich vor allem männlich-weiße Verteidiger der traditionellen #Induktion erbittert wehren.

Die schweren, crossmedialen Konflikte und Verschwörungsmythen rund um eine angebliche Geldabschaffung, die Covid19-Pandemie und die Klimakrise sind also nach meiner These auch Geburtswehen eines ganz und gar nicht banalen Prozesses, der jede (auch unbewusste) Weltanschauung, Philosophie und Religion auf unserem Planeten erfasst, bedroht und auch umformt. Als konkrete Beispiele nenne ich etwa Teile der Esoterik in der Anthroposophie und die verbleibenden, nicht weniger esoterischen Homo-Oeconomicus-Modelle der Ökonomie, die jeweils der empirischen Überprüfung nicht standhalten. In einem weiteren Sinne werden aus der jahrhundertelangen, männlich-weiß dominierten Induktion geformte Traditionen des Sexismus, Rassismus und Antisemitismus öffenlich sichtbar und herausgefordert – nicht nur bei heutigen AkteurInnen, sondern auch etwa bei Platon, Kant, Steiner oder Marx.

Ich plane diese These in diesem Jahr verschiedentlich mündlich und schriftlich auszuarbeiten und damit auch der inhaltlichen Kritik – also der empirischen Falsifikation – auszusetzen. Den Studierenden am KIT Karlsruhe danke ich dafür, dass sie mein erstes, kritisch-konstruktives Publikum für Philosophie auf Nerd-Level gebildet haben.

Hier die Aufzeichnung des Vortrags:

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

26 Kommentare

  1. Ich habe erstmals öffentlich die These ausformuliert, dass die Digitalisierung die gesamte, gesellschaftliche Kommunikation nicht nur “beschleunigt”, sondern sie (wie etwa auch die sog. “Massenmedien” Radio und Film im 20. Jahrhundert) auch inhaltlich “formt”!

    Das ist allerdings keine ganz neue These. Schon in den 80er Jahren wurde in den USA vielfach untersucht, welchen Einfluss die damaligen digitalen Kommunikationskanäle auf Debatten auf unterschiedlichen politischen Ebenen hatten, wie sie die Debatten verzerren und worin ihre Gefahren liegen könnten. Radikalisierung und Hate-Speech konnte man ja durchaus schon vor Jahrzehnten im Usenet oder (deutlich reduziert) in Mailboxforen beobachten. Den Begriff “Fake-News” gab es noch nicht, dafür haben haufenweise ganz ähnliche Kaskaden der Form “Du liegst falsch”-“Nein, Du liegst falsch”-“Nein, Du liegst falsch” usw. Eben das, was passiert, wenn Unbekannte mit Unbekannten in einem technischen Kanal (fast) ohne soziale Hinweise diskutieren.

    Was heute sicher viel größer ist, ist die Responsivität der Politik auf die Debatte in den digitalen Medien. Vor 10 Jahren konnte kaum ein deutscher Politiker etwas mit dem Internet anfangen, heute müssen sie oft auf Internetdebatten reagieren.

    • Lieben Dank, @Tim. Einen großen Einfluss auf mein Denken hatte sicher das Auf und Ab der „New Atheists“, „Memetiker“ & Brights um Richard Dawkins, dann „The Offensive Internet“ von Martha Nussbaum et al. Allerdings führte die Fokussierung auf negative Aspekte wie Shaming, toxic masculinity etc. eher dazu, vor Emotionalisierungen zu warnen. Vgl. auch das wunderbare „Die gereizte Gesellschaft“ von Pörksen sowie natürlich Lanier. Ich denke, ja, das ist ein Gedanken- und Debattenstrom, in dem wir uns befinden.

  2. Induktion ist hier also das Festhalten an “alten” Regeln, Werten etc.
    und Falsifikation das kritische Überprüfung des Alten und das Hinwenden zum Neuen?

    Ist oder kann Falsifikation zu einem Szi­en­tis­mus oder Technologiegläubigkeit führen? Oder sind das völlig verschiedene Dinge?

    Wie passen ggf. Religionen da hinein? Religionen sind ja in der Regel eher das Festhalten an alte Regeln etc.

    • Die Begriffe entstammen aus der Erkenntnistheorie und bezeichnen den Weg, wie „Wahrheiten“ geschöpft werden. Induktionen – z.B. religiöse, philosophische und juristische Texte – können durch Auslegungen aktualisiert werden, umgekehrt eine falsifikatorisch bewährte Theorie bis zur Widerlegung / Überbietung „festgehalten“ werden.

      Ich erwarte, dass sich das Ausmaß des falsifikatorisch gewonnenen Wissens ausweitet, sehe aber nicht, dass naratologisches und induktives Wissen zum Beispiel in den Bereichen von Recht, Politik und Religion(en) völlig abgelöst werden könnten. Die sog. „Memetik“ hatte es ja schon in den frühen Jahren des Netzes letztlich erfolglos versucht.

      • Wie passt das Konzept der “Alternativen Fakten” in den Falsifikation-Induktion-Dualismus?

        Für mich als Laie scheint es so, als ob das alte Konzept der Religion, also des “Glaubens, ohne zu wissen”, von Leuten, denen das aus welchen Gründen auch immer in den Kram passt, ganz einfach auch auf Bereiche ausgeweitet wird, in denen eine Falsifikation sehr wohl möglich wäre – man erkennt die Fakten eben einfach nicht an. Natürlich hält so etwas im Zweifelsfall vor der Wirklichkeit nicht stand, ist aber dennoch eine sehr wirkmächtige Erzählung, die die Wirklichkeit beeinflussen und formen kann. Man leugnet das Konzept der Fakten nicht, sondern ignoriert/leugnet einfach diejenigen Fakten, die einem nicht passen.

        Ist auf diese Weise nicht eine Art “Induktion der Falsifikation” möglich? Oder genauer gesagt, eine Induktion der Fakten, aus denen dann eine “induzierte Falsifikation” abgeleitet werden kann?

        • Ganz genau, @tranquebar: Religiöse, viele philosophische oder auch juristische Aussagen sind Induktionen. Und das ist auch völlig okay so, solange sie hinterfragt und diskutiert werden dürfen. „Alternative Facts“ aber sind nicht nur induktiv, sondern – soweit empirische Erkenntnisse bewusst ignoriert werden – auch schlichtweg Lügen. Sie zerstören jeden rationalen Dialog. Trump verlor die Wahl. Einsteins Relatitätstheorien sind unübertroffen. Der Holocaust hat stattgefunden. Meinungsfreiheit bezieht sich auf die Interpretation von Fakten, nicht auf diese selbst.

        • Nur ergänzend :
          Fakten werden gemacht, Tatsachen getätigt, es finden sich jeweils erkennende Subjekte, die messen und Sachen oder Sachverhalte feststellen, was dann Fakt oder Tatsache genannt wird.
          Über Tatsachen lässt sich schlecht streiten. >:->
          Allerdings, dies weiß bspw. jeder Richter, der auf sich widersprechende Zeugenaussagen (oft Unbeteiligter) trifft oder jeder Naturwissenschaftler, der bestimmte experimentelle Ergebnisse nicht reproduzieren kann, müssen Fakten oder Tatsachen nicht präzis das widerspiegeln, was tatsächlich passiert ist.
          Sondern es liegen eben Zeugenaussagen, Testamente vor, die a bisserl skeptisch bearbeitet werden dürfen.

          Nicht gemeint ist im Geschriebenen, dass Fakten irrelevant sind und der eine es so und der andere so sieht, ganz und gar nicht, sondern nur ist gemeint, dass es “alternative Fakten” geben muss.

          HTH (“hope to help”)
          Dr. Webbaer (der also nicht direkt widersprechen möchte und dem hiesigen werten Inhaltegeber für seine Arbeit dankt, wieder einmal, haha)

          • PS @ tranquebar :

            Was Sie meinen ist die empirische Inadäquatheit von Theorie, die dazu veranlassen sollte diese Theorie abzulegen und durch eine andere zu ersetzen. [1]
            Sog. Evidenz wird aber angehäuft, eine Theorie wird nicht direkt unwahr (oder besser : empirisch inadäquat), wenn nur eine Datenlage gegen sie spricht, am besten finden sich Prozeduren, die immer wieder empirische Inadäquatheit zu widerlegen in der Lage sind.
            Was Herr Dr. Michael Blume mit der “Induktion” meint, sofern ich ihn korrekt verstehe, ist die Ableitung von Erzählung, also die Mythenbildung, die nicht mit der gewohnten Sacharbeit (“Theorie und Messung, Bestimmung von Fakten”) konkurrieren darf, weil sie per se unfalsifierbar ist.
            Die Theorie, dass böse Juden irgendwie geheim organisiert sind und böse Sachen denken und machen, ist zum Beispiel ein Verschwörungsmythos (keine Theorie), eben weil unfalsizierbar.

            [1]
            Empirisch inadäquate Theorie kann einen gewissen Wert behalten.

  3. Nehmen wir einmal ein konkretes Beispiel , die Yellow Press.
    In der Yellow Press werden Fakten mit einem Fragezeichen versehen, wenn die Journalisten nur auf Vermutungen angewiesen sind, oder wenn die Meldungen übertrieben sind.
    Die Meinungen dazu, die werden nicht mehr mit einem Fragezeichen versehen, die sollen ja die Gerüchteküche am Kochen halten.

    Soll man das als Lüge bezeichnen. Diese Entscheidung will ich jetzt nicht treffen.
    Noch nicht. Dazu muss man auch die Wirkung von „Falschmeldungen“ betrachten.
    Sind sie positiv, dann gehört das in den Bereich Entertainment und da würde ich den Begriff Lüge nicht anwenden.
    Sind sie negativ, Beispiel Der Fall Kachelmann, dann sollte man von Lüge sprechen.

    • Nehmen wir einmal ein konkretes Beispiel , die Yellow Press.
      In der Yellow Press werden Fakten mit einem Fragezeichen versehen, wenn die Journalisten nur auf Vermutungen angewiesen sind, oder wenn die Meldungen übertrieben sind.

      Eventuell ist dies eine Methode, um Klagen gegen den Bericht zu entgehen. Die Leser sollen diese Vermutung teilen, aber man vermeidet dies direkt als Tatsachenbehauptung zu schreiben.

      Die Meinungen dazu, die werden nicht mehr mit einem Fragezeichen versehen, die sollen ja die Gerüchteküche am Kochen halten.

      In Kommentaren oder Meinungsartikeln habe ich schon öfters unrichtige Tatsachenbehauptungen gefunden.

      Soll man das als Lüge bezeichnen. Diese Entscheidung will ich jetzt nicht treffen.
      Noch nicht. Dazu muss man auch die Wirkung von „Falschmeldungen“ betrachten.
      Sind sie positiv, dann gehört das in den Bereich Entertainment und da würde ich den Begriff Lüge nicht anwenden.
      Sind sie negativ, Beispiel Der Fall Kachelmann, dann sollte man von Lüge sprechen.

      Lüge ist es im Prinzip in jedem Fall. Wenn die Aussage aber dem Ansehen einer Person oder Personengruppe schadet, dann ist dies sogar strafbar.

      Gruß
      Rudi Knoth

  4. @Medienrevolution

    „Die schweren, crossmedialen Konflikte und Verschwörungsmythen rund um eine angebliche Geldabschaffung, die Covid19-Pandemie und die Klimakrise sind also nach meiner These auch Geburtswehen eines ganz und gar nicht banalen Prozesses, der jede (auch unbewusste) Weltanschauung, Philosophie und Religion auf unserem Planeten erfasst, bedroht und auch umformt.“

    In den neuen Medien ist die Schwelle, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen sehr viel niedriger geworden. Die alten Medien haben im wesentlichen ihre interne Agenda gehabt, und auch in unserer freien Gesellschaft viele Sichtweisen weggefiltert.

    Vielleicht ist hier die Gegenreaktion so zu verstehen, dass hier die Befreiung der Inhalte jetzt zunächst einmal überschießt.

    Insbesondere ist hier ein Gegensatz zu beobachten zwischen dem was Politik und Medien kommunizieren, und das was wirklich dahinter steht. Es gibt nun mal durchaus nichtöffentliche Absprachen, die maßgeblich die aktuelle Politik mitbestimmen können. Öfter sogar ganz offen nichtöffentlich, wie z.B. vor Jahren bei den TTIP-Verhandlungen, die waren wirklich geheim. Oder Verträge der Kommunen mit Cross-Border-Leasing, die werden einfach geheim gehalten. Und nicht nur das.

    Was Politiker mit den Lobbyisten verhandeln, bleibt teilweise genauso verborgen, wie was auf den G7-Gipfeln oder beim Weltwirtschaftsforum in Davos ausgekungelt wird.

    Natürlich hilft es uns nicht, jetzt maßlos zu fantasieren, was da ausgekungelt wird. Aber genau das passiert, und manch einer nutzt die Lage aus, um seinerseits Politik damit zu machen. Zwischen weltweiten Verschwörungen und tatsächlich nichtöffentlichen Absprachen gibt es offenbar ein Kontinuum, das man etwas genauer betrachten muss. Hier muss man wirklich gucken, was da von oben kommt, und etwa genauer prüfen, was jetzt tatsächlich dahinter stecken kann, oder auch eben nicht.

    Das eben nicht ist inzwischen wohl wichtiger geworden, was nützt es uns, wenn wir die demokratischen Prozesse mit unsinnigen Zuschreibungen kritisieren, und damit Leuten auf den Leim gehen, die hier wirklich die Demokratie gefährden.

    Derweil sind die Menschen teilweise nicht darauf vorbereitet, dass ihnen absichtlich so massive Lügen aufgetischt werden, und das wird ausgenutzt. Insbesondere ist ein Diskurs kaum noch möglich, wenn hier keine Faktengrundlage mehr existiert, von der aus man sich verständigen kann, und dann auch vernünftig diskutieren kann.

    Was bleibt, ist eben selber zu prüfen, was man von den jeweiligen Ansichten zu halten hat und sich mit Redlichkeit und Augenmaß an den Diskussionen zu beteiligen. Und so eben zu Falsifizieren, was unhaltbar ist und vernünftige Ansichten zu fördern und zu teilen.

  5. Konkret vertrete ich dabei die These, dass wir einen Schub der #Falsifikation nach Karl Popper (1902 – 1994) erleben, gegen den sich vor allem männlich-weiße Verteidiger der traditionellen #Induktion erbittert wehren. [Artikeltext]

    Als Early Adopter des Webs, ich heiße nicht umsonst Dr. Webbaer, habe ich mir ebenfalls mehr Information und die Widerlegung von Desinformation im Web erhofft, guter Ansatz, Herr Dr. Michael Blume!
    Bei der Festlegung nicht etwa auf Barbaren (oder “Barbaren”, sofern hier eine zusätzlich eingezogene Abstraktionsebene gewünscht ist, die nun durch doppelte Anführungszeichen hoffentlich erkennbar hergestellt werden konnte), sondern auf ‘männlich-weiße Verteidiger’ wäre ich sehr vorsichtig.
    Auch um nicht sozusagen das Kind mit dem Bade auszuschütten.

    Ein gesteuertes Web für die Menge wäre aus meiner Sicht sehr problematisch, insgesamt bin ich im Web auch eher pessimistisch geworden, trotz seiner Möglichkeiten, ohne natürlich Kulturpessimist geworden zu sein, das Gute gewinnt bekanntlich am Schluss immer.

    MFG
    Dr. Webbaer

    • Vielen lieben Dank, @Dr. Webbaer. Zumal ich ja selbst auch zur Gruppe der alternden, weißen Männer gehöre, dürfen Sie zuversichtlich sein, dass es mir nicht um Diskriminierung derselben geht. Ich denke einfach, dass wir damit klarkommen müssen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen ein Argument schon deswegen höhere Gültigkeit beanspruchen konnte, weil es von einem weißen Mann mit – idealerweise echtem – akademischen Titel vorgetragen wurde. Wir können, dürfen, ja sollen sogar weiterhin Thesen und Argumente vortragen – doch müssen wir damit klarkommen, dass andere dies ebenso tun und alle gemeinsam der Falsifikation unterliegen.

      Das hat schon Nietzsche geängstigt und geschmerzt, aber ich denke, wir werden es überleben. 🙂

      Ihnen alles Gute, bitte bleiben Sie gesund!

      • Im allgemeinen Wettbewerb, Herr Dr. Michael Blume, ist der Teilnehmende, quasi als Homo oeconomicus, quasi gefangen, um Risk-Reward-Überlegungen folgend sein bestmögliches Auskommen zu suchen, an dieser Einschätzung ist nichts ‘esoterisch’ und sie ist bestens belegt.
        Richtig bleibt, dass hier einige in der Lage sind auszuscheren, um das Gemeinwohl und die allgemeine Vernunft verlautbarend erhalten sehen zu wollen, der Philosoph ist ja idealerweise immer auch Idiot (im Wortsinne, das Bonmot stammt von mir, es gab da wohl keine Vorgänger, viele meiner Bonmots hatten leider Vorgänger, wie bspw. der Gag, dass Bildung übrig bleibt, wenn (sozusagen) alles vergessen worden ist, was je gelernt).

        Oder anders formuliert, die Europäische Aufklärung darf gerne auch auf weißen Männern basierend entstanden sein dürfen, der Pleonasmus ist beabsichtigt.

        Schwierig, wenn Sie wünschen werde ich mir Ihre Zentralnachricht, das Vid ist gemeint, das dankenswerterweise hier bereit gestellte, ein audiovisuelles Dokument liegt streng genommen vor, beizeiten, vielleicht noch an diesem Wochenende “reinziehen”, besonderen Bedarf sehe ich wegen der Länge (zehn Minuten hätte ich gerne investiert) im Moment nicht.

        I.p. Web fühle ich mich besonders angesprochen, abär ich glaube nicht so recht, dass sich die Mühe lohnt, Sie legen ja auch stets, durchaus nachvollziehbar : in Ihrem ehrvollen Aufgabenbereich, darauf wert, dass nicht besonders (!) angeeckt wird, dass nichts auf Sie zurück fällt, ansonsten würde ich einen etwas längeren Text verfassen können, der aber in der BRD wohl letztlich und womöglich allgemein nicht gut tun würde.

        MFG + weiterhin viel Erfolg + schöne Grüße an die werte Frau Gemahllin!
        Dr. Webbaer (der sich das Dokument vielleicht doch noch am WE zur Gänze “reinziehen” wird, ohne Feedback, nur der Notation geschuldet, wenn es zeitlich passt, also “fifty-fifty” diesbezüglich)

  6. Rudi Knoth,
    nun sind Sie mal nicht so streng bezüglich der Lüge. Unterhalten Sie sich einmal mit den Frauen in ihrer Nachbarschaft. Oder hören sie nur zu. Da wird geratscht und getratscht. Die lügen nicht, sonst wären viele Frauen nur Lügner.
    “Lüge” kann man nicht steigern. Das Wesen der Lüge steckt in ihrer negativen Motivation. Das Wort Unwahrheit ist etwas neutraler.

    • “Lüge” kann man nicht steigern. Das Wesen der Lüge steckt in ihrer negativen Motivation. Das Wort Unwahrheit ist etwas neutraler.

      Das sehe ich einfach anders. Wenn Ihnen ein Gebrauchtwagenhändler Sie über Mängel des Fahrzeugs täuscht, dann sehen Sie ihn auch als Lügner an, obwohl er etwas positives über das Auto gesagt hat.

      Gruß
      Rudi Knoth

  7. Rudi Knoth,
    Kinder mogeln, wenn sie sich einen Vorteil versprechen. Das primäre Motiv ist nicht ihnen zu schaden, sondern sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
    Anmerkung: Vor einigen Jahren war ich bei einer evangelischen Sekte.
    Der Pfarrer sagte wörtlich: “Alle Menschen sind von Geburt an böse.”
    So eine Meinung kann ich nicht teilen.

  8. Sie schreiben hier im Text etwas von “männlich-weißer” Induktion. Also ich verstehe unter Induktion aus Beobachtungsdaten eine allgemeine Regel abzuleiten. Dies funktioniert trotz den erkenntnistheoretischen Bedenken ganz gut und erlaubt uns, hier uns zu unterhalten. Nun da sie von “männlich-weiß” sprechen, ist für Sie denn dies hier eher Ihrem Wissenschaftsverständnis näher, weil es doch “weiblich-farbig” ist?

    Gruß
    Rudi Knoth

    • Keine Sorge, @Rudi Knoth – Sie haben das mit der Induktion schon richtig verstanden. Und wissen sicher auch, dass über Jahrhunderte hinweg fast nur ältere, weiße Männer in der Position waren, für ihre induktiven Lehren Gehör und Anerkennung zu finden.

      Nun befinden wir uns zunehmend im Zeitalter der Falsifikation – und das bedeutet gerade nicht, dass nun jede Aussage etwa junger Frauen geglaubt würde. Es bedeutet „nur“, dass die alten Privilegien der Induktion fallen und auch historische Gestalten neu hinterfragt werden. Wir verlieren nichts außer ungerechten Privilegien, @Rudi Knoth – und auch das nur langsam. Schlimmeres droht uns nicht, don’t worry. Ich freue mich auf die Zukunft gerade auch der Wissenschaften. 👍📚✅

  9. Ich habe erstmals öffentlich die These ausformuliert, dass die Digitalisierung die gesamte, gesellschaftliche Kommunikation nicht nur “beschleunigt”, sondern sie (wie etwa auch die sog. “Massenmedien” Radio und Film im 20. Jahrhundert) auch inhaltlich “formt”! Konkret vertrete ich dabei die These, dass wir einen Schub der #Falsifikation nach Karl Popper (1902 – 1994) erleben, gegen den sich vor allem männlich-weiße Verteidiger der traditionellen #Induktion erbittert wehren.

    Ich hoffe dass ich mich da irre und nicht Sie.

    Aber ich beobachte genau das Gegenteil. Eine immer stärker werdende Emotionalisierung der Argumente, ein Pochen auf einen vermeintlichen Moralismus und eine Mischung aus ignorantem bis hin zu absichtlichen Kampf gegen Falsifizierbarkeit von Ideen und Inhalten.

    Und da seh’ ich weniger Probleme bei den alten, weißen Männern und mehr bei den jungen, diversen und Gender-Study geschulten Menschen.

    Denn plötzlich dreht es sich nicht mehr um Inhalte und Argumente, sondern einer Quote oder irgend einem anders gearteten Kontexts der anhand ethnischen, geschlechtlichen Eigenschaften oder auch der sexuellen Orientierung fest gemacht wird.

    Mir hallt noch immer ein Interview mit zwei Gender-Study-Professorinnen der Uni Wien im Österreichischen Standard aus 2013 im Kopf. Die Damen antworteten doch tatsächlich auf die Kritik ihre Arbeiten wären inhaltlich völlig politisch motiviert darauf, dass auch andere Arbeiten indirekt politisch seien, da das ja in einem bestimmten Machtefüge passiere. Das ist allerdings kein gutes Argument um unwissenschaftliches Arbeiten zu verteidigen. Wenige Jahre später gab’s dann die Grievance Studies Affaire, aber auch in jüngster Zeit kam dann die unsägliche Debate rund um 2+2=5 auf.

    Die Basis dessen war, ein Dekonstruktionsargument zu spinnen um Falsifizierbarkeit auszuschließen – da es ja eine rein subjektive Definitionsfrage sei. Mit dem Blödsinn kann man sich alles her argumentieren.

    Und Ja, die Ökonomie ist auch nicht besser – im Gegenteil, da wird’s noch schlimmer, wenn man sich mal anschaut was den Modern Money Theory für wilde Thesen rund um Schulden und Gelddrucken aufstellt.

    Ich seh’ allerdings ein, dass ich als Außenstehender, da der Gefahr unterliege, mir die Infos anhand des schon erzählten Narrativs heraus zu picken. Ich hab’ nur das Gefühl, dass Sie diese Gefahr nicht weniger betrifft.

    • Danke, @Martin. Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass wir ohne ein ernsthaftes Verständnis von Falsifikation in einen bodenlosen Relativismus zurückfallen würden. Und dieser droht keinesfalls nur von Rechts, sondern auch von Links und von Homo Oeconomicus-Ökonomen. Was nicht passt, wird passend gemacht…

  10. An sich eine interessante These. Die Verfügbarkeit von Information im digitalen Zeitalter offenbart schlichtweg unsere eklatante Ahnungslosigkeit. Vielleicht hilft uns das Web sokratischer zu denken.

    Allerdings stört mich, dass dieser Artikel die (unspezifischen) Modeworthülse männlich-weiß nitzt. Karl Popper hat selbst vor so etwas stets gewarnt. Weil es dem Autor bei so etwas meistens mehr darum geht Aufmerksamkeit zu erhalten, als substantiell zu debattieren. Speziell doe genannten Zusammenhänge (Induktive Schlussfolgerung) sind eben keine originär männlich-weiße Probleme. Die Tatsache, dass der Autor es so vermutet ist wahrscheinlich nur Resultat seiner eurozentrischen Perspektive (China hat Kritikverweigerung zum Fundament seiner Staatsform gemacht). Mag sein, dass Kritikverweigerung originär männlich ist – Frau Thatcher ließ hier aber auch das Gegenteil vermuten.

    Damit möchte ich nicht in Abrede stellen, dass viel Grauen von weißen Männern geschaffen wurde. Stolz auf seine Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ist stets zu verlachen. Trotzdem halte ich diese Floskel als modische Anbiederung an Mainstreamdiskurse für fragwürdig.

    • Danke, @Mustafa Turgut.

      In Sachen „männlich-weiß“ darf ich Sie beruhigen: Ich bin ja weder Relativist – der die jeweilige Sprecher-Position verabsolutieren würde -, noch Dualist, der Männer und Weiße für minderwertig halten würde.

      Stattdessen plädiere ich als Monist dafür, sich der eigenen Sprecherpositionen samt Privilegien, Klischees und Nachteile bewusst zu sein und damit auch humorvoll umzugehen. Als weißer, alternder Mann kann, darf und soll ich Richtung Wahrheit beitragen – und zwar gerne auch mit einem Schmunzeln.

      Genau dies können leider diejenigen nicht mehr, die andere abgezockt haben oder sich abzocken ließen…

      https://youtu.be/5yqz2nzNu3I

      Freue mich auf weitere Kommentare von Ihnen!

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