Ist Religiosität eine Adaption?

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Blogleser Frank fragte: "Herr Blume, ich verfolge Ihren Blog durchaus mit Interesse, allerdings möchte ich Sie mal fragen, gerade heraus, ist Religiosität eine Adaption oder nicht? Sie scheinen da, verzeihen Sie, durchaus gespalten zu sein, je nach Diskussionspartner sind sich ziemlich sicher oder Sie relativieren diese These." Ich finde diese Frage nicht nur völlig berechtigt, sondern hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, sie mal in einem eigenen Blogbeitrag aufzugreifen. Ein Dank an Frank für den Impuls, es einfach "jetzt" zu tun.

 
Was ist mit Religiosität und Adaption (Anpassung) gemeint?

"Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande.", lehrte Konfuzius vor Jahrtausenden. Und so kommen auch Wissenschaften nicht darum herum, sich immer wieder neu ihrer Begriffe zu vergewissern. So definierte bereits Charles Darwin Religiosität als "belief in spiritual beings" – "Glauben an spirituelle Wesenheiten" – und hat damit den heute vorherrschenden Sprachgebrauch in der Evolutionsforschung ("Glaube an übernatürliche Akteure") ziemlich gut vorweg genommen. Auch da gibt es allerdings durchaus weitere Diskussionen. So wird die (m.E. gewichtige) Auffassung vertreten, dass sich "Glaube" doch gar nicht direkt beobachten, sondern erst interpretierende erschließen ließe und empirische Forscherinnen und Forscher also lieber von "Verhalten zu übernatürlichen Akteuren" sprechen sollten. Und auf der Explaining Religion-Konferenz in Bristol hat Konrad Talmont-Kaminski (Lublin / Wien) den m.E. sehr starken Vorschlag gemacht, statt von "supernatural – übernatürlichen" lieber von "superempirical – überempirischen" Akteuren zu sprechen – auch um unseren unklar-vielschichtigen Naturbegriff nicht auf andere Kulturen zu übertragen. Wenn also auch ein recht breiter Konsens besteht, so bleibt im Detail noch viel zu leisten – die Entwicklung ist noch (lange?) nicht zu Ende!

Beim evolutionsbiologischen Begriff der "Adaption" (für Feinschmecker auch gerne noch: Adaptation) sieht es leider aber sogar etwas schlimmer aus, wohl gerade weil der Begriff so zentral für die Evolutionsforschung ist – nahezu jede(r) versteht etwas anderes darunter und oft wird der Begriff Ad hoc verwendet. Daher habe ich mir angewöhnt, auf die Frage, ob Religiosität eine Adaption sei – wie zuletzt z.B. durch Edgar Dahl oder jetzt durch Frank – um die zugrundeliegende Definition zu fragen, die gemeint sei. Eine klare Antwort war und ist jedoch bislang leider nicht zu erhalten.

Ernst Mayr übersetzt Adaption als "Anpassung" und schrieb dazu in "Das ist Evolution", S. 187:

"Für Anpassung dürfte es in der Literatur buchstäblich Hunderte von Definitionen geben. Die meisten stimmen letztlich darin überein, dass eine Eigenschaft als angepasst zu bezeichnen ist, wenn sie die (wie auch immer definierte) Eignung oder "Fitness" eines Lebewesens steigert, das heißt, wenn die Eigenschaft zum Überleben und/oder besseren Fortpflanzungserfolg eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen beiträgt."

Religiosität ist also adaptiv – aber damit schon eine Adaption?

Nun, diese Bedingung sehe ich eindeutig als belegt und erfüllt an – und freue mich, dass sich die entsprechenden Befunde zunehmend durchsetzen. Auch erklärte Atheisten wie David Sloan Wilson oder auch Antitheisten wie Susan Blackmore erkennen ja das kooperative und reproduktive Potential von Religiosität längst an (selbstverständlich ohne deswegen zu Theisten zu werden oder Religion pauschal "gut" zu finden, denn Adaptivität ist weder ein Wert- noch Wahrheitsurteil!)

Religiosität ist also (sowohl statistisch wie in Fallstudien beobachtbar) adaptiv – aber ist sie deswegen schon eine Adaption? Das hängt davon ab, welche Zusatzbedingungen erwartet werden. Reicht eine durchschnittliche Adaptivität oder muss ein Merkmal (fast) immer vorteilhaft sein? Wie eigenständig und universal muss es sein? Wie alt, wie erblich? Wie genau und mit welcher Sicherheit muss man das alles bestimmen können? Sie sehen: Je nach Gusto können Diskutanten die Anforderungen an den Adaptions-Begriff beliebig herauf oder herunter fahren – und damit letztlich fast zur Geschmacksfrage werden lassen. Daher rührt meine Zurückhaltung oder, genauer gesagt, Tendenz zur Gegenfrage: Wer wissen möchte, ob Religiosität eine Adaption ist, sollte zunächst sagen können, was genau mit Adaption gemeint ist. Sonst verirren sich Frage und Antwort im Begriffsnebel.

Wie wäre es mit Exaptation?

Hinzu kommt ein weiterer Vorschlag, der innerhalb der evolutionären Religionsforschung leider noch kaum diskutiert wird, den ich aber durchaus interessant finde. Wie Sie wissen, vertraten und vertreten vor allem Evolutions- und Kognitionspsychologen die Nebenprodukt-Perspektive auf Religiosität: Sie betonen, dass Religiosität aus der Verschaltung älterer Gehirnfunktionen (wie z.B. Agency Detection, Theory of Mind oder Narrativität) evolviert ist. Erst in seinem jüngsten Buch (das er mir zusandte und ich in den kommenden Woche hier vorstelle) hat Pascal Boyer eingeräumt, dass sich die Zukunft der Nebenprodukt-Hypothese am Reproduktionserfolg entscheide: Wenn das Merkmal zum (durchschnittlich) höheren Reprodkutionserfolg der Träger führt, ist es mehr als "nur" ein Nebenprodukt.

Umgekehrt aber sollte m.E. anerkannt werden, dass tatsächlich sehr viel dafür spricht, dass Religiosität tatsächlich als Nebenprodukt anderer Gehirnfunktionen evolvierte und funktionierte – und womöglich "erst" seit einigen Jahrzehntausenden größere Wirkung und Eigenständigkeit gewonnen hat. Dann aber könnte ein Begriff sehr interessant sein, den Stephen Jay Gould und Elisabeth Vrba 1992 vorschlugen: Die Exaptation.

Damit ist ein Merkmal gemeint, dass durch die "kreative Zweckentfremdung" früherer Strukturen entstanden und adaptiv geworden ist – gewissermaßen ein Zwischenschritt zwischen Nebenprodukt und Adaption. Kritiker wenden freilich dagegen ein, dass dabei das gleiche Problem auftaucht wie beim deutschen Begriff "Migrationshintergrund" – wenn man nur lange genug zurück geht, trifft es auf alle(s) zu. Federn sind beispielsweise bei Dinosauriern wohl ursprünglich zur Balz oder Wärmespeicherung evolviert und wurden erst sehr viel später zum Fliegen eingesetzt. Sind Vogelfedern also nur eine Exaptation? Oder doch eine Adaption? Solange der Adaptions-Begriff nicht klar ist, landen wir auch hier wieder bei der Geschmacksfrage…

Wissen, was wir nicht wissen

Mir ist völlig bewusst, dass sich mit einfachen Schlagworten ("Religiosität ist eine Adaption!") sehr viel leichter Aufmerksamkeit erringen ließe – und dass ich geschätzten Lesern wie @Frank damit ggf. auch den Gefallen leichterer Einordnung machen würde. Aber ich halte nun einmal nichts davon, Klarheit zu behaupten, wo sie noch nicht besteht. Evolutionsforschung funktioniert immer nur über vorläufige Begriffe und Beobachtungen, die – Stück für Stück – überprüft, vertieft und auch überboten werden. Sie eröffnet eine interdisziplinäre und historische Perspektive, die sich der unendlich komplexen Wirklichkeit immer nur stückweise annähern kann. Friedrich August von Hayek folgend – und durch die aktuellen Diskussionen um die Wiederbelebung von "Eugenik" bestärkt – sehe ich dabei die vorschnelle "Anmaßung von Wissen" als ebenso verführerisch wie gefährlich an.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Jahren weitere Fortschritte bei den Forschungen zu und Definitionen von Religiosität, Exaptation, Adaption etc. machen werden. Aber gerade dafür ist es notwendig, dass wir Unklarheiten nicht vorschnell überspielen, sondern gemeinsam sorgfältig erkunden und diskutieren. Ja, das ist mühsam. Aber ich denke, (nur) so funktioniert Wissenschaft.

Und Spaß machen kann (muss!) sie trotzdem. Wie die Kolleginnen und Kollegen der Evolutionsbiologie Tübingen beweisen. 😉

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

87 Kommentare

  1. @Frank: Gehirnaktivität

    Zunächst ist ein Grund für Religiosität in unserer ganz normalen Gehirnaktivität zu suchen. Z.B. gehört das Erleben von sprechenden, liebevollen Licht-/Geistwesen zum Verarbeiten von Erinnerungen von uns Menschen. D.h. hier ist eine rational begreifbare mentale Basis für das, was manchmal als ´übernatürlicher Akteur´ bezeichnet wird.

    Der Grund dafür ist die Arbeitsweise unseres Gehirns. Unsere Erinnerungen sind zustandsabhängig: Sie hängen von dem Zustand ab (körperlich, geistig, emotional) als die Erfahrung im Gedächtnis abgespeichert wurde – und sie hängen zusätzlich von dem Zustand ab (körperlich, geistig, emotional) welcher vorherrscht, wenn ein Erlebnis wieder erinnert wird.
    Wenn dann die Erlebnisse z.B. eines Babys mit dem Verstand eines erwachsenen Menschen erinnert werden, dann können einige u.a. als ´Lichtwesen´ empfunden werden (Lichtwesen, das sind Menschen,welche sich um das Baby kümmern).

    Derarige Erlebnisse gibt es massenhaft, im Rahmen der sogenannten ´Nahtod-Erlebnisse´. Leider wird dieses Thema von der Wissenschaft bisher ignoriert.
    Ihre Fragestellung kann daher nicht seriös beantwortet werden, wenn die Forschung diesen Fehler nicht korrigiert.

  2. Individualisierung ist eine Nichtadaption

    Wenn schon biologisch argumentiert wird, dann scheint es mir eher sinnvoll zu sein, bei der Individualierung (speziell auf Seiten der Frauen) von einer Nichtadaption zu sprechen, jedenfalls unter den aktuellen Bedingungen.

    Kontrazeptiva und Abtreibung haben es den Frauen erlaubt, jegliche ungewollte Schwangerschaft zu unterbinden und ein individualisiertes Leben zu führen, ggf. wie Uschi Obermaier: “Eltern sind Sklaven ihrer Kinder!” (http://www.bild.de/…i-obermaier-serie-teil3.html)

    Hierdurch werden nur noch ganz wenige Kinder geboren. Ein religiöser Mensch würde so etwas wie Uschi Obermaier nie sagen, sondern eher Dinge wie: “Kinder sind ein Geschenk Gottes.”

    Nimmt man das Zitat Ernst Mayrs als Maßstab, dann wäre Individualisierung (insbesondere auf Seiten der Frauen) das Gegenteil von Adaption, da es die biologische “Fitness” der Individuen senkt.

    Charakteristisch für biologische Arten ist im Allgemeinen ihr Fortpflanzungssystem. Bei der sexuellen Selektion sind allein schon die weiblichen Präferenzen Art-definierend, wie Geoffrey F. Miller erläuterte. Würden die Pfauenweibchen nicht mehr anhand der Augenzahl auf den männlichen Schweifen selektieren, sondern der Länge ihrer Fußnägel, entstünde schon bald eine neue Art, die sich optisch von den bisherigen Pfauen unterschiede.

    Die Individualisierung der Frauen war ein massiver Eingriff in das Fortpflanzungssystem des Menschen. In früheren Zeiten gab es sowohl Haremsbildung als auch (beiderseitige) sexuelle Selektion. Frauen bevorzugten insbesondere kluge Männer, die aufgrund ihrer Klugheit sozialen Einfluss (Macht) oder sonstige günstigen Fertigkeiten erlangten. Das ist noch heute der Fall. Es konnte z. B. nachgewiesen werden, dass auch in modernen Gesellschaften sozial erfolgreiche Männer mehr Sexualparterinnen (und mehr Sex) als andere Männer haben. Allerdings haben sie nun weniger Nachkommen. Dies ist logisch: Denn wenn sich klug mit klug paart und klug beiderseits nach sozialem Erfolg strebt, dann bleibt besonders wenig Zeit für eigene Kinder.

    Folgt man der Mayrschen Adaptionstheorie, dann wäre heute vor allem Dummheit adaptiv. Würde es so weitergehen, dann dürften Menschen irgendwann wieder eine fliehende Stirn haben und ständig Uga Uga von sich geben.

    Glücklicherweise wird es so nicht weitergehen …

  3. James’ “Vielfalt”:

    Die plausibelste Erklärung ist doch immer noch die von W. James von Religiosität als sublimierter Geistesstörung bzw. Psychopathie. Bildungsferne hilft auch, man muss aber aufpassen, daß man nicht doch anfängt zu lesen.

  4. Diskussion oder eigene Fuzzis?!

    @KRichard/PMersch/J.
    Muss man eine Sachfrage um wissenschaftliche Begriffsbildung so kaputt zu machen versuchen, indem man auch diesen thread dazu benützt, schlicht nichts zum eigentlichen Thema beizutragen sondern nur als Plattform, um das jeweilige eigene Lieblingsthema vorzuführen?! Alles OT.
    Wieder einmal klar, wessen Kommentare zu lesen ich mir nicht werde antun müssen.

  5. Begriffsbildung – auch interessegeleitet

    Danke für diese Klarstellung zu den (noch) bestehenden Unklarheiten. Nach meinem (laienhaften) Eindruck kann die Begriffsklarheit derzeit wohl nicht weiter sein. Man kann wohl noch weiterkommen, aber vielleicht nicht viel weiter kommen. Denn – und das scheint mir wichtig darauf hinzuweisen – bei einem emotional so hoch besetzten Thema, in dem sich alle möglichen und unmöglichen Leute zu Wort melden – das zudem politisch und gesellschaftlich immer wieder so umstritten ist – ist die Entscheidung über die Begriffsbildung auch interessegeleitet, von Interessen abhängig. Man vergleiche die Begriffsbildung um militärische Einsätze, die man nicht kriegerisch nennen will oder darf oder darum, welche Leute sich zu einem „Volk“ zählen dürfen…
    Einigen, die den Begriff Adaption in Bezug auf Religion positiv verwenden, ist abzuspüren, dass sie eben auch eine positive (Zu)Stimmung mit verbreiten (wollen). Und in diesem Verdacht hatten eben Dich, Michael, auch schon Mitdiskutierende. Gerade deshalb sind Deine Klarstellungen jetzt gut und wichtig. Und dabei der Satz “Adaptivität ist weder ein Wert- noch Wahrheitsurteil!“ Soll noch jemand meinen, Dich darüber belehren zu müssen…
    Leuten, die zu Religion „Beiprodukt“ sagen, ist öfters auch abzuspüren, dass sie damit (durchaus beabsichtigt) ein negatives Werturteil mittransportieren wollen – besonders wenn sie gelernt haben, wie man Wissenschaft einem Publikum darstellt: Und wenn sie ihre Begriffsbildung mit netten Beispielen zu illustrieren wissen, wie etwa von den Insekten, die dem brennenden Licht entgegen fliegen. Man merkt an der Begriffsbildung und an der gezielten Auswahl der Beispiele – öfters mal – die Absicht und ist … darauf eingestimmt.
    Da finde ich einfach entspannend, wie die Tübinger Biologen ohne ideologische Zwänge und ohne propagandistische Absicht mit der Sache umgehen können.
    Ich müsste allerdings auch selber mal die spannende Frage intensiver durchdenken, wie sich die Theologie zu dieser Debatte stellt oder stellen sollte. Biologische Nützlichkeit ist ja, wie gesagt, kein gesellschaftliches Werturteil oder sonstiges Wahrheitsurteil. Doch was wäre wenn alles „nur“ deshalb entstanden wäre und haupsächlich deshalb Bestand hätte? Wäre das für die Theologie, die ja immer die Frage nach der Nützlichkeit zu hinterfragen hätte, nicht doch eine harte Nuss?
    Oder wenn schon gesellschaftlicher Nutzen (was man kirchlich vielleicht gerne als Pluspunkt vereinnahmt) – dann kommt man auf die bekannten Nutzen-Schadensrechnungen quer durch die Kirchengeschichte. (Dabei bin ich allerdings etwas auf der Spur, dass einige Schadensrechnungen erst besonders durch interessengeleitete Legendenbildungen des 19. Jahrhundert entstanden sind.)
    Oder – religionspolitisch durchaus ernst zu nehmen –, was Du in letzter Zeit auch immer mehr zu betonen scheinst: Reproduktionserfolg ist ja schön und gut; aber vielleicht wäre es auch gut, wenn ´das nicht nur den Fundamentalismen zugute käme. In Deinem englischen Bloghast Du ja auch schon um ein strategisches Bündnis zwischen liberaleren Kräften aller Lager geworben: ”I do think that all people interested in science and education would be well advised to stop throwing polemics at each other and to start serious, informed dialogue about the ongoing evolution of religiosity and its consequences… we should start to take our respective responsibilities to ensure a framework of peace, human rights and liberties.“
    Ja, hoffentlich kommen wir da weiter.

  6. Nein, T.
    “W. James und Dan’s Verein gehören zum Thema.”
    Dort finde ich nichts über *Adaption oder nicht*; sondern nur darüber, was durch den Begriff ausdrücklich nicht genannt sein soll, nämlich bestimmte Werturteile. Aber vielleicht ist mein Englisch zu mangelhaft…
    Gerade ich finde gerade solche bewertende Stellungnahmen immer interessant; aber ich hätte sie nicht gerade als erstes hier bei diesem Thema erwartet. Wobei ich selber ja gerade eben Dinge formulierte zum Zusammenhang über Begriffsbildungen, die wertneutral sein sollen, aber gerade hier nie ganz von wertenden Interessen freikommen.
    Na ja, und seien Sie versichert: Sie passten nur so schön in die Reihe besonderer Steckenpferd-Reiter. Aber soooo lästig hätte ich gerade Sie nicht gefunden.

  7. Adaptive Evolution

    Der Begriff der Adaption wird m. E. von den Evolutionsbiologen sehr problematisch verwendet, da sie sich – aus Einfachheitsgründen – zu sehr auf den Reproduktionserfolg stützen.

    Beispielsweise definieren Stearns/Hoekstra in ihrem Standardwerk “Evolution”:

    “Natural selection causes adaptive evolution in traits and genes; neutral evolution causes non-adaptive change in traits and genes; and two conditions are necessary for both adaptive and neutral evolution to occur. These two conditions are:

    1. variation among individuals in lifetime reproductive success, in the number of their offspring that survive to reproduce;

    2. heritable variation in the trait; that is, whether the state of the trait in the parent – at least whether it is above or below average – is inherited by the offspring. Only if at least some of the variation in the trait is heritable will the genes that are responsible for the trait change in frequency and record the action of selection or drift.

    It is not these two conditions but the link between them that determines whether evolution is adaptive or neutral. The link is the correlation of the trait or gene with lifetime reproductive success; that is, a consistent relationship between a state of the trait or gene and whether or not the individual carrying it has more or fewer than the average number of offspring that survive to reproduce.

    Thus two conditions and the link between them are the key elements of microevolution. The conditions are heritable variation in traits and the variation in lifetime reproductive success. The link is the correlation between the two. The difference between adaptive and neutral evolution lies in the correlation (…). When the correlation is positive or negative, natural selection is operating on the trait, and evolutionary change will move the trait from generation to generation in the direction of increasing adaption. When the correlation is zero, natural selection disappears, and then the things that are inherited and that vary, whether genes or traits, fluctuate randomly in the population.”

    Geht man davon aus, dass Intelligenz zu erheblichen Anteilen erblich ist (was als erwiesen gilt, siehe z. B. http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/mensch/hirnforschung-intelligenz-liegt-in-den-genen_aid_381723.html), dann wäre niedrige Intelligenz in unserer Gesellschaft adaptiv. Stearns/Hoekstra schreiben nämlich: “When the correlation is positive or negative, natural selection is operating on the trait, and evolutionary change will move the trait from generation to generation in the direction of increasing adaption.”

    Die negative Korrelation zwischen IQ und Kinderzahl führt gemäß Stearns/Hoekstra zu zunehmender Adaption. In Wirklichkeit dürfte die Entwicklung jedoch zu Verarmung und ggf. Aussterben führen.

    Die Ursache des Dilemmas ist ein grundsätzlicher Fehler in der Synthetischen Evolutionstheorie, der in der Systemischen Evolutionstheorie jedoch behoben wurde.

  8. @Aichele: Fehlschuss

    Hart geschossen – aber grandios danebengeschossen! (Zumindest was meinen Beitrag betrifft)

    Ich habe darauf hingewiesen, dass die Erfahrung von Licht-/Geistwesen eine Realität ist, welche sich aus der Funktion unseres Gehirns ergibt. => Daher hat der Glaube an diese Wesen, welcher ein Grund für das Enstehen von Religiosität ist, eindeutig nachvollziehbare Ursachen.

    Wenn aber jetzt belegbar ist, warum/wie diese Geistwesen in unseren Gedanken entstehen => dann ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass diese ´Wesen´ und diese spezielle Entstehungsursache für Spiritualität/Religiosität neu bewertet werden muss.

    Dies bedeutet, dass die Fragestellung von @Frank neu überdacht werden muss – da sie diese Fakten nicht berücksichtigt: Wenn man an Geistwesen nicht glauben(!) muss, da sie nachvollziebar beweisbar(!) sind – dann ist die Aussage ´es gibt Geistwesen´ korrekt. Aber die Annahme, dass es sich dabei um übersinnliche Erfahrungen handeln könne – ist falsch.
    Was wiederum zu der Schlussfolgerung führt, dass durch den Glauben an übersinnliche(!) Geist-/Lichtwesen eine fehlerhafte Grundlage für Religiosität gegeben ist.

    Herr Aichele, es wäre schön, wenn von Ihnen eine sachliche Reaktion kommen würde. Das Thema ´Nahtod-Erlebnisse´ zu ignorieren, zählt sicherlich nicht dazu – sie sollten meine Behauptung argumentativ widerlegen, wenn sie der Meinung sind, dass sie nicht sinnvoll ist.

  9. @KRichard & T.

    Ob auch psychopathologische Dispositionen oder auch Nahtodeserlebnisse eine Rolle bei der Evolution von Religiosität und Religionen gespielt haben, wird weiter diskutiert. Persönlich halte ich es für sehr wahrscheinlich – allerdings nur als wenige Quelle neben vielen anderen. Und es ist ja auch beinahe schon banal, darauf hinzuweisen: Ob z.B. das Damaskus-Erlebnis von Paulus mit einem epileptischen Anfall einher ging, sagt aber auch gar nichts über Wert und Wahrheit des Ereignisses und der Botschaft aus. Dem einen mag es als Beleg für eine Illusion dienen, der anderen als Weg, über den sich Gott offenbarte.

    Insofern hat H. Aichele hier schon Recht: Mit der Frage Adaption haben solche “Debatten” nun wirklich nichts zu tun. Gehirne evolvieren nicht einfach entlang wahr oder falsch, gut oder böse, sondern indem sie sich in der Realität bewähren. Beispielsweise tendieren wir Menschen auch dazu, uns je selbst für besonders wichtig zu nehmen. Objektiv gesehen mag das eine geradezu lächerliche Illusion sein – aber sie half unseren Vorfahren, sich in Leben und Fortpflanzung zu bewähren. Und bahnte so Weiterem den Weg.

    @Frank hat eine präzise Frage gestellt und ich habe mich um eine präzise Antwort bemüht. Es wäre doch hilfreich, wenn sich gebildete Leute ein wenig bemühen könnten, eine Diskussion erst ein wenig zu durchdenken und auf das eigentliche Theman einzugehen, bevor sie in die Tasten hauen. Damit wäre uns allen doch am besten gedient, oder!?

  10. Video der Tübinger Biologen

    Schön, lieber Michael, dass Sie noch mal dieses Video präsentieren. Das gibt mir Gelegenheit, der interessierten Leserschaft mitzuteilen, was mir seinerzeit beim Betrachten des Clips so durch den Kopf ging.

    Also, ich finde ja, dass wir hier ein schönes Beispiel für Vulgär-Darwinismus vorliegen haben: Wettbewerb und “Kampf ums Dasein”, als ginge es um die Frage, wer als Sieger den Platz verlässt. Wir sehen also einen Wettkampf zwischen, ja was eigentlich, Reproduktionsvarianten einer Spezies oder zwischen zwei konkurrierenden Arten mit unterschiedlicher Reproduktivität im gleichen Lebensraum?

    Evolutionserfolg, so lernt der Zuschauer, besteht darin, dass die eine Spezies oder Variante die jeweils andere zahlenmäßig überflügelt. Denn, ist ja klar, der Lebensraum ist begrenzt, da können sich nicht alle beliebig stark vermehren. Man stelle sich vor, die Blauen wären genauso reproduktiv gewesen wie die Orangefarbenen—wäre ganz schön eng geworden auf dem Spielfeld (da will ich mir jetzt gar nicht ausmalen, welche Gruppen für Blau und Orange stehen, ich heiße ja nicht Sarrazin ;-).

    Das Video zeigt eigentlich sehr schön, wie man die differentielle Reproduktion, die mit der Zeit zum Wandel der Arten beiträgt, nicht verstehen sollte, nämlich als einen innerartlichen Reproduktionswettbewerb. Das war wohl auch einer der vielen Irrtümer der Sozialdarwinisten. Die differentielle Reproduktion ist in erster Linie ein statistischer Effekt, der sich aus natürlichen Selektionsprozessen (Tauglichkeit) und Zufallsereignissen (Blitzschlag u.ä.) ergibt.

    Die abschließende Aufforderung: “Ab ins Bett”, lässt vermuten, dass die Tübinger Kollegen aus der Evolutionsgeschichte Empfehlungen für ein bestimmtes Verhalten ableiten. Sehr fragwürdig finde ich das…

  11. @Balanus: Erlauben Augenzwinkern?

    Nun, ich finde das Video sehr gelungen, weil es die fehlerhafte Verkürzung vom “Überleben des Fittesten” aufdeckt: Ohne (eigene oder verwandte) Fortpflanzung ist bloßes “Überleben” eine evolutionäre Sackgasse. Stärke, Klugheit, IQ etc. sind eben noch lange keine Gewähr für evolutionären Erfolg – wie das Video m.E. pfiffig aufzeigt. Damit rücken Verhaltensebenen wie Kooperation, Brutpflege, “Liebe” etc. endlich stärker in den Mittelpunkt, die vom klassischen “Sozialdarwinismus” zugunsten von Wettbewerbs- und Kampfszenarien noch verächtlich gemacht wurden. Weshalb die meisten Biologen übrigens auch lange nicht in der Lage waren, Darwins Überlegungen zur Evolution von Religiosität und Religionen zu folgen, wie es heute (endlich) interdisziplinär geschieht – nicht zuletzt in Tübingen.

    Die geflüsterte “Komm ins Bett”-Aufforderung ist m.E. wunderbar als augenzwinkernder Humor zu entschlüsseln. Und “aggressiv” ist das ja nun wirklich nicht (außer, zugegeben, man empfände sexuell selbstbewußte Frauen von vornherein als bedrohlich).

    Wenn das Video aber bei Ihnen darüber hinaus kritisch-konstruktive Reflektionen angestossen haben sollte, so ist daran m.E. gar nichts auszusetzen! Das dürfte auch ganz im Sinne der Tübinger Erfinder sein, die Wissen und Diskussionen rund um die Evolution an eine breitere Öffentlichkeit vermitteln wollen.

  12. @ H. Aichele

    Ja, ich stimme Dir zu. Einerseits tendiert jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler dazu, bewusst oder unbewusst Hypothesen auch nach persönlichen Vorlieben auzuwählen. Und verstärkt wird das dann auch durch eine Sortierung des Publikums, das in seiner jeweiligen Weltanschauung lieber bestätigt werden möchte. Und da entsteht dann auch ein Bedarf am “Festnageln” anderer, obwohl (um ein prominentes Beispiel zu wählen) z.B. Dawkins ja korrekt feststellt, dass er ja gar kein Atheist, sondern Agnostiker sei.

    Wenn wir aber wissenschaftlich wirklich vorankommen wollen, dann brauchen wir m.E. aber doch den Mut, zu sagen, was wir (noch) nicht wissen und einzuräumen, wenn auch andere Recht haben. Susan Blackmore ist mir da ein Vorbild und ich würde mir wünschen, dass es auf allen Seiten (!) – auch einschließlich der Theologien – mehr Leute mit dieser wissenschaftlichen Integrität und diesem Mut gebe. Daher stimmt Deine Beobachtung: Ich habe mir vorgenommen, auch selbst offener zu formulieren, was (mir) unklar ist oder wo ich auch Befürchtungen hege (z.B. im Hinblick auf das Kaufmann-Modell des Fundamentalismus-Erfolges, das ggf. zutreffend sein könnte).

    Die Frage von @Frank fand ich so berechtigt und präzise formuliert, dass ich direkt darauf eingegangen bin. Und möchte in den kommenden Wochen die Fragen aus dem Evolutionäre Religionswissenschaft-Thread abarbeiten.
    http://www.chronologs.de/…-rde-sie-interessieren

  13. allgemeiner Hinweis

    Ich möchte hier – als dringende Empfehlung zur Lektüre – hinweisen auf:
    Julian Jaynes, Der Ursprung des Bewußtseins, Reinbek bei Hamburg 1993, engl. original: The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind, Boston 1976.
    Im Zusammenhang mit der Suche nach einer Erklärung der Religion und der Religiosität muss dieses Werk rezipiert und kritisch diskutiert werden!

  14. @Günter Buchholz

    Ja, und deswegen haben wir Hypothesen von Julian Jaynes auch in “Gott, Gene und Gehirn” vorgestellt und diskutiert. Zu der konkreten, evolutionsbiologischen Frage, ob Religiosität adaptiv bzw. eine Adaption wäre, hat er sich aber m.W. überhaupt nicht geäußert – oder!?

  15. Adaptiv

    Adaptiv ist ein Merkmal dann, wenn es zum Reproduktionserfolg seines Trägers beitragen kann. Ob ein Merkmal eine Adaptation (Angepasstheit) darstellt, hängt hingegen davon ab, ob es primär durch einen natürlichen Selektionsprozess entstanden ist. Soweit korrekt?

    Im Falle der Religiosität, die nicht nur von manchen Religionswissenschaftlern als “adaptiv” angesehen wird, stellt sich die Frage, wie diese zum Reproduktionserfolg beitragen kann, was die genauen Mechanismen sind, die das bewirken. Da Religiöse vermutlich nicht über eine bessere Qualität der Keimzellen verfügen, liegen die kausalen Ursachen also woanders, vermutlich im mentalen, sprich soziokulturellen Bereich. Das heißt, die Zusammenhänge zwischen (angeborener) Religiosität und Fortpflanzungsverhalten sind überaus komplex und alles andere als eindeutig.

    (Ganz abgesehen davon, dass aktuelle Geburtenraten kein hinreichender Indikator für die adaptive Tauglichkeit eines so diffusen Merkmals wie Religiosität sein kann (aus evolutionstheoretischen Gründen, die ich hier nicht erneut referieren möchte).

    Kurz: Auch die Feststellung, Religiosität sei definitiv “adaptiv”, erscheint mir recht gewagt.

    Vielleicht noch zur Verdeutlichung des religiösen Effekts auf die Fortpflanzung in der Westeuropäischen Bevölkerung einige Zahlen:

    Wenn ich recht informiert bin, dann liegt der Reproduktionsvorteil der Religiösen bei maximal 0,25 Kindern pro Frau. Das heißt, wenn bei den Nichtreligiösen vier Familien jeweils ein Kind bekommen, dann sind es bei den Religiösen drei Familien mit einem Kind und eine mit zwei Kindern.

    Warum hat die Religiosität als angeblich adaptives Merkmal bei drei von vier Familien keinen Einfluss auf die Reproduktion? Die übliche Antwort darauf ist: Religiosität begünstigt nur das Fortpflanzungsverhalten, Religiöse sind eher geneigt, mehr Kinder zu wollen als Nichtreligiöse. Auch bei vergleichbarer Religiosität reicht das Spektrum der Kinderzahlen also von Null bis zehn oder so, was bedeutet, dass nichtgenetische, also nichtreligiöse Faktoren wichtiger sind als die genetische Prädisposition zur Religiosität.

  16. @Balanus

    Danke fürs konzentrierte Mitdiskutieren!

    Sie fragten: Adaptiv ist ein Merkmal dann, wenn es zum Reproduktionserfolg seines Trägers beitragen kann. Ob ein Merkmal eine Adaptation (Angepasstheit) darstellt, hängt hingegen davon ab, ob es primär durch einen natürlichen Selektionsprozess entstanden ist. Soweit korrekt?

    In der Definition von “Adaptiv” stimme ich Ihnen zu – und wir stimmen auch überein, dass dies durch Religiosität gegeben ist. Unklar ist mir, woher Sie die “maximal 0,25 Kinder pro Frau” beziehen – denn selbstverständlich kennen wir zahlreiche Gemeinschaften (wie Old Order Amische, Hutterer, orthodoxe Juden etc.), deren Reproduktionsvorteil noch viel weiter über dem jeweiligen, gesellschaftlichen Durchschnitt liegt. Aber sei’s drum: Auch 0,25 Kinder pro Generation wären natürlich in Evolutionsprozess ein (geradezu beängstigend) gewaltiger Reproduktionsvorteil und (auch) ich neige dazu, für unsere Vergangenheit deutlich geringere Werte anzunehmen.

    Schwieriger tue ich mich mit Ihrer Definition von Adaption, insofern “es primär durch einen natürlichen Selektionsprozess entstanden ist.” So gelten ja auch Merkmale, die z.B. durch sexuelle Selektion evolviert sind (wie der Pfauenschwanz) gemeinhin als Adaptionen.

    Und auch im Hinblick auf Ihre weiteren Überlegungen zu kulturellen und sozialen (“nichtgenetischen”) Faktoren darf ich auf den Vergleichsfall unseres genetisch angelegten Sprechapparates verweisen: Auch dieser ist ja für sich genommen überhaupt nicht adaptiv. Vielmehr gewinnt er seine Funktionalität erst, wenn wir kulturelle Traditionen (sprich: konkrete Sprachen wie Deutsch oder Japanisch) aufgenommen haben und diese in einem sozialen Umfeld mit anderen, verstehenden Menschen einsetzen können. Wäre der menschliche Sprechapparat nach Ihrem Verständnis also deswegen keine Adaption?

  17. @Peter Mersch: Adaption

    Es ist Ihr gutes Recht, die gängige Definition von Adaptivität über den differentiellen Reproduktionserfolg für sich abzulehnen – dann müssten Sie jedoch eine bessere Definition anzubieten haben.

    Es reicht m.E. nicht aus, zu beklagen, dass demnach ja unter bestimmten Bedingungen auch Intelligenz oder Bildung maladaptiv sein könnten. Evolutionsforschung ist schließlich kein Wunschkonzert – und wenn sich “intelligente” bzw. “gebildete” Menschen nicht oder zu selten (unter der Bestandserhaltungsgrenze) fortpflanzen, dann ist auch das ein Evolutionsprozess, den die Wissenschaft m.E. erst einmal zur Kenntnis zu nehmen und ggf. zu reflektieren hat. Warum auch sollte sich Evolution denn auch immer an unseren Wünschen, Planungen oder Fortschrittsszenarien orientieren?

    Im übrigen bekommen nicht “die” intelligenten oder gebildeten Menschen zu wenige Kinder – in einigen Religionsgemeinschaften etwa des orthodoxen Judentums und einiger christlicher Gruppen gelingt eine Kombination von hoher IQ und hoher Fertilität. Das Geheimnis: Eine religiös untermauerte Wertschätzung sowohl von Familien wie von Bildung sowie ein starkes Angebot an Familiendiensten, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Vgl. zu dieser Fragestellung auch den schon älteren Blogpost “Bildung, Beten, Babys”:
    http://www.chronologs.de/…on-iq-und-religiosit-t

  18. Adaptiv/Adaptation /@Michael Blume

    » Unklar ist mir, woher Sie die “maximal 0,25 Kinder pro Frau” beziehen… «

    Es geht um Westeuropa. Die Zahlen stammen von Frejka und Westhoff (2008): Ohne Religion 1,75; Katholisch 2,00; Protestantisch 2,08 (mittlere Kinderzahl bei 35-44-jährige Frauen).

    » Auch 0,25 Kinder pro Generation wären natürlich in Evolutionsprozess ein (geradezu beängstigend) gewaltiger Reproduktionsvorteil und (auch) ich neige dazu, für unsere Vergangenheit deutlich geringere Werte anzunehmen. «

    Wenn es sich bei der Religiosität um ein voll erbliches Merkmal handeln würde und dieser Reproduktionsvorteil über Generationen hinweg Bestand hätte, dann wäre damit in der Tat ein (erschreckender) evolutionärer Wandel verbunden. Aber da das mit der Erblichkeit ja nicht zutrifft und die Zukunft ohnehin im Dunkeln liegt, kann Entwarnung gegeben werden.

    » Wäre der menschliche Sprechapparat nach Ihrem Verständnis also deswegen keine Adaption? «

    Doch, der Sprechapparat und die Sprachfähigkeit sind sicherlich aus Anpassungsprozessen an die soziale Umwelt hervorgegangen, also ganz klar das Ergebnis eines natürlichen (sexuellen) Selektionsgeschehens. Man kann sich leicht vorstellen, wie die kontinuierliche Entwicklung der physischen und mentalen Fähigkeiten abgelaufen ist. Für die Entwicklung der Religiosität fehlen mir solche plausiblen Vorstellungen. Zumal, wenn es dann heißt, es handele sich bei der Religiosität nur eine Prädisposition, die erst durch entsprechende Umweltfaktoren ausgeprägt wird—oder eben auch nicht (vgl. R. Sosis: The Adaptationist-Byproduct Debate on the Evolution of Religion: Five Misunderstandings of the Adaptationist Program. Journal of Cognition and Culture 9 (2009) 315–332).

  19. @Balanus: Ist Intelligenz eine Adaption?

    Sehr spannender Beitrag, danke!

    Die Zahlen stammen von Frejka und Westhoff (2008): Ohne Religion 1,75; Katholisch 2,00; Protestantisch 2,08 (mittlere Kinderzahl bei 35-44-jährige Frauen).

    Ach so – dann sprechen wir hier aber über einen Durchschnittswert aufgrund von Religionszugehörigkeit und eben gerade nicht über einen Maximalwert. In den Auswertungen von Volksabstimmungen oder auch “nur” schon in der Differenzierung z.B. liberaler, moderater und fundamentalistischer Gruppen des Protestantismus werden noch deutlich höhere Werte sichtbar.
    http://www.chronologs.de/…en-reproduktionserfolg

    Sehr spannend finde ich auch Ihre Überlegungen:

    Doch, der Sprechapparat und die Sprachfähigkeit sind sicherlich aus Anpassungsprozessen an die soziale Umwelt hervorgegangen, also ganz klar das Ergebnis eines natürlichen (sexuellen) Selektionsgeschehens. Man kann sich leicht vorstellen, wie die kontinuierliche Entwicklung der physischen und mentalen Fähigkeiten abgelaufen ist. Für die Entwicklung der Religiosität fehlen mir solche plausiblen Vorstellungen.

    Denn natürlich ist auch die Evolution von Sprachfähigkeit und Sprachen noch keineswegs lückenlos geklärt, weder über Grundlagen noch Verlauf und schon gar nicht über Adaptivitätswerte in Vergangenheit und Gegenwart besteht ein breiter Konsens. Und dennoch ist für Sie die Adaption-These hier “ganz klar”, denn Sie haben eine intuitiv-zustimmende “Vorstellung”, im Gegensatz zur Religiosität! Ja – genau das erlebe ich immer wieder: Wir nehmen Evolution intuitiv als Erzählung auf Basis unsicherer Datenbasis wahr, die wir also je nach Geschmack einrichten. Vielleicht geht das gar nicht anders, ein hartes, wissenschaftliches Kriterium ergibt sich aber daraus nicht.

    Zumal, wenn es dann heißt, es handele sich bei der Religiosität nur eine Prädisposition, die erst durch entsprechende Umweltfaktoren ausgeprägt wird—oder eben auch nicht.

    Das trifft auf Sprachfähigkeit und Intelligenz selbstverständlich ganz genau so zu – auch hier haben wir biologische Prädispositionen, die aber zwingend auf Umweltfaktoren angewiesen sind, um ihr (individuell unterschiedliches) Potential entfalten zu können. Und bei der Frage der partiellen Heritabilität liegen ja auch Intelligenz und Religiosität dicht beieinander:
    http://www.chronologs.de/…-der-verhaltensgenetik

    Und das führt mich zu der Frage, bei der ich wirklich auf Ihre Antwort gespannt bin, da ich selbst damit ringe: War oder ist Ihres Erachtens denn Intelligenz adaptiv oder gar eine Adaption?

  20. @Michael Blume

    Ach so – dann sprechen wir hier aber über einen Durchschnittswert… «

    Ja, natürlich, liegt bei 0,25 Kinder ja auch irgendwie nahe. 😉

    Ich hatte missverständlich formuliert, sorry. Ich hatte die genauen Zahlen nicht mehr Kopf, meinte mich an 0,2 zu erinnern und schrieb dann halt “maximal 0,25”. Der Wert hat also nur zufällig für die Katholiken genau gepasst.

    Westeuropa habe ich deshalb gewählt, weil hier die Aufklärung gewütet hat und Religionsgebote (“Seid fruchtbar…”) nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Denn uns geht es ja um die adaptiven Effekte der genetisch fixierten Religiosität.

    » Denn natürlich ist auch die Evolution von Sprachfähigkeit und Sprachen noch keineswegs lückenlos geklärt, weder über Grundlagen noch Verlauf und schon gar nicht über Adaptivitätswerte in Vergangenheit und Gegenwart besteht ein breiter Konsens. «

    Natürlich nicht, darauf kommt es auch nicht an. Wichtig ist mir, dass es plausible Geschichten gibt (je mehr, desto besser).

    » Und dennoch ist für Sie die Adaption-These hier “ganz klar”, denn Sie haben eine intuitiv-zustimmende “Vorstellung”, im Gegensatz zur Religiosität! «

    Wenn mir ein Geschichte plausibel erscheint, dann deshalb, weil ich keine logischen Widersprüche oder sachliche Ungereimtheiten oder gar Fehler entdecke. “Intuition” würde ich das nicht nennen. Und solche in sich stimmige Geschichten fehlen mir halt bei der Religiosität (gemäß obiger Definition). Da scheinen mir die By-Produkt-Verfechter die besseren Karten zu haben. Oder man sieht es so wie Richard Sosis, der nicht die Religiosität als solche bereits für eine Adaption hält, sondern das ganze “Religions-System”, also die gesamten kognitiven Eigenschaften, die Religionen ermöglichen und von denen die Religiosität nur ein Teil ist.

    » Das trifft auf Sprachfähigkeit und Intelligenz selbstverständlich ganz genau so zu – auch hier haben wir biologische Prädispositionen, die aber zwingend auf Umweltfaktoren angewiesen sind, um ihr (individuell unterschiedliches) Potential entfalten zu können. «

    Das sehe ich anders. Die Sprachfähigkeit ist derart in den Genen verankert, dass der Mensch zum Spracherwerb determiniert ist. Er kann nicht anders, er muss die Sprache seiner sozialen Umwelt erlernen. Und auch seine kognitiven Fähigkeiten (Intelligenz) entwickeln sich zwingend im Laufe seiner Ontogenese (aber leider nicht immer vollständig).

    Das ist bei der Religiosität alles nicht der Fall. Auch wenn ein Mensch religiöse Eltern hat und in einer Religionsgemeinschaft aufwächst, muss er noch lange nicht religiös werden bzw. bleiben (nach Ausreifung seines Gehirns, also so ab 20 Jahren). Umgekehrt kann ein in einer religionsfreien Umgebung aufgewachsener Mensch später durchaus religiös werden.

    » Und bei der Frage der partiellen Heritabilität liegen ja auch Intelligenz und Religiosität dicht beieinander. «

    Nicht “Religiosität”, sondern religiöses Verhalten wurde untersucht, wenn ich mich nicht irre. Leider kann man Religiosität nicht so leicht messen wie Intelligenz. Ich denke ohnehin, dass Religiosität (immer noch nach obiger Definition) nur in drei Ausprägungen vorliegt: Vorhanden, nicht vorhanden, oder zeitweilig vorhanden. Entweder man glaubt oder glaubt nicht an die Existenz und das Wirken überempirischer Akteure, oder aber man weiß nicht, was man glauben soll.

    » War oder ist Ihres Erachtens denn Intelligenz adaptiv oder gar eine Adaption? «

    Ich denke schon, dass Intelligenz adativ war und auch eine Adaption darstellt. Da sich der Mensch ja nicht selbst bewusst auf immer höhere kognitiven Fähigkeiten hin gezüchtet hat, muss man den Selektionsprozess wohl als “natürlich” bezeichnen. Auch Sarah Hrdy hat hierzu interessante Überlegungen angestellt. Aber es gab wohl sehr viele, zusammenwirkende Faktoren, die die evolutionäre Entwicklung der menschlichen Intelligenz befördert haben.

  21. Natur oder Kultur

    Bezüglich des “reproduktiven Potentials von Religiosität” müsste man hier wahrscheinlich trennen, zwischen monotheistischen Religionen und nicht-monotheistischen Religionen. Letztgenannte vermehren sich nämlich weniger. Wenn also Mitglieder patriarchaler Religionen mehr Kinder bekommen, so liegt es sicher auch am System. Wenn Religion direkt vererbbar wäre, so müsste der Reproduktionsvorteil doch für alle Religionen gleich sein, oder?

    Religiöse Normen prägen häufig die Kultur eines Landes. In islamischen Ländern konnte man feststellen, dass die Geburtenrate niedriger wird, wenn sich das Bildungsniveau der Frauen erhöht und sie nicht mehr so stark von den Traditionen, welche Männer privilegieren, abhängig sind . Viele afrikanische Staaten können die Armut in ihrem Land nur besiegen, wenn sie die Geburtenraten senken. Dabei müssen Kinder ihre Rolle als Status- und Potenzsymbol verlieren, denn gerade in den großen monotheistischen Religionen spielen Kinder ja eine zentrale Rolle für das “Volk”. Man denke nur an Abraham und seine Frau Sara, die älter und älter werden ohne dass sich Kindersegen einstellt. Erst nach vielen Umwegen wird ihnen Isaak geschenkt und mit ihm eine reiche Nachkommenschaft. Abraham konnte also “Vater der Völker” werden, wie es im Islam heißt, und wird vom Judentum, Christentum und Islam als Stammvater anerkannt. Welch eine Karriere!

    M.E. wird nicht Religion, sondern Spiritualität vererbt. Denn spirituelle Menschen findet man überall auf der Welt, auch wenn sie keiner Kirche angehören. Umgekehrt kann man in einem Gottesstaat wohl kaum zugeben, dass man kaum eine religiöse Empfindung verspürt.

    M.E. wird Religiosität nicht direkt vererbt, sondern jeder Mensch verfügt ein gewisses spirituelles Potential, welches angeboren ist. Das gleiche könnte man für Intelligenz vermuten, aber da spielen sicher auch noch andere Faktoren eine Rolle und manche davon sind noch gar nicht erforscht. Über eine gewisse Intelligenz verfügen jedoch alle Menschen, also wird sie sicher auch vererbt sein. Die Frage wäre demnach, ob sich (religiöse) Kulturleistungen auf die Gene zurückführen lassen. Damit kommen wir aber zu der, hier schon öfter gestellten, Frage: Gibt es eine Gen-Kultur-Koevolution?

  22. Qualitätsproblem…

    “Die Sprachfähigkeit ist derart in den Genen verankert, dass der Mensch zum Spracherwerb determiniert ist. Er kann nicht anders, er muss die Sprache …” Da biegen sich einem ja die Fußnägel hoch. Ich denke, die Moderatoren/Betreiber dieser blogs sollten ein bischen besser auf die Qualität achten. Mein Mitleid mit den Betreibern …

  23. @Balanus:

    Ja, und damit sind wir am Ausgangspunkt angelangt. So nehmen Sie für Intelligenz an, dass sie adaptiv war (!) und eine Adaption ist (!), obwohl es noch lange keinen Konsens zur Evolution von Intelligenz gibt und sie in vielen heutigen Gesellschaften negativ mit dem Reproduktionserfolg korreliert…

    Und so ließe sich die Debatte zu jedem Merkmal des Menschen immer wieder führen, lassen sich Definitionen, Daten und Herleitungen immer wieder hinterfragen. Und bei dem Argument, das die eine überzeugt, rollt es dem anderen die Fußnägel… Wer ehrlich zu sich und anderen ist, wird dabei auch den Einfluss der eigenen Haltung auf die Bevorzugung dieses oder jenes Hypothesenstranges reflektieren und einräumen.

    Aber dieser Zustand ist ja nicht neu. Genau so funktioniert Evolutionsforschung – nur Stück für Stück fortschreitend, mit immer neuen Beobachtungen und Experimenten und im interdisziplinären, kritisch-konstruktiven Gespräch lassen sich die “Plausibilitäten” gewinnen und überprüfen. Zwar könnte es öffentlichkeitswirksamer sein, mehr zu versprechen. Aber ich finde, das wäre dann eben auch unehrlich gegenüber den Leserinnen und Lesern und deswegen habe ich mich dafür entschieden, lieber ehrlich einzuräumen, was sich bei aller Forschungsdynamik m.E. noch nicht sicher sagen lässt.

  24. @Mona

    Ja, ich stimme Dir auf jeden Fall zu, dass man in der Evolutionsforschung Religiosität (als Glauben an überempirische Akteure) von Spiritualität (als Offenheit für überempirische Erfahrungen) begrifflich unterscheiden muss, wenn sie sich in Geschichte und Gegenwart auch oft verschränken. Aber sie werden mitunter ja auch in ganz unterschiedlichen Gehirnregionen “erarbeitet” und ggf. könnte Spiritualität tatsächlich das deutlich ältere Merkmal sein. Einen eigenen Blogbeitrag und eine lange Diskussion dazu gab es ja schon einmal hier:
    http://www.chronologs.de/…ge-nach-hirngespinsten

  25. Der Spirituelle sucht Gott in sich, der Gläubige über sich.

    @Michael Blume

    Du schriebst: “Ja, ich stimme Dir auf jeden Fall zu, dass man in der Evolutionsforschung Religiosität (als Glauben an überempirische Akteure) von Spiritualität (als Offenheit für überempirische Erfahrungen) begrifflich unterscheiden muss, wenn sie sich in Geschichte und Gegenwart auch oft verschränken. Aber sie werden mitunter ja auch in ganz unterschiedlichen Gehirnregionen “erarbeitet” und ggf. könnte Spiritualität tatsächlich das deutlich ältere Merkmal sein.”

    Ja, und man hätte auch eine Erklärung für das unterschiedliche Reproduktionsverhalten. “Echte” Religionen sind also monotheistische Religionen, deren Mitglieder sich stärker vermehren. Philosophische Systeme mit einem stark spirituellen Hintergrund zeigen kein gesteigertes Reproduktionsverhalten, ebenso wenig wie Atheisten, die ja u.U. auch über eine angeborene Spiritualität verfügen. Insofern ist es bei religiös vergemeinschafteten Menschen fast schon egal, ob sie spirituell sind, da sie ja nur gläubig sein müssen.

    Wenn man davon ausgeht, dass sich auf der einen Seite eine eher philosophische Richtung entwickelt hat, mit den Veden als Grundlage und auf der anderen Seite eine religiöse Richtung mit einem starken Gottesglauben, so könnte man vieles besser erklären. Was meinst Du?

  26. @Mona

    Ich würde sagen, dass ich Deine Überlegungen nicht nur teile – sondern dass es auch einige Beobachtungen und Daten gibt, die in die von Dir vermutete Richtung weisen! Und es freut mich enorm, dass die kritisch-konstruktive Mitarbeit von Leserinnen und Lesern wie Dir, @Balanus und anderen im Blog offenkundig auch wirklich zu gemeinsamen Überlegungen, Kompetenzen etc. führt. Bei manchen Beiträgen – wie Deinem gerade eben – hat man da echte Aha-Erlebnisse! Danke dafür! 🙂

  27. @Michael Blume

    » Ja, und damit sind wir am Ausgangspunkt angelangt. «

    Wieso denn das?

    » So nehmen Sie für Intelligenz an, dass sie adaptiv war (!) und eine Adaption ist (!), obwohl es noch lange keinen Konsens zur Evolution von Intelligenz gibt und sie in vielen heutigen Gesellschaften negativ mit dem Reproduktionserfolg korreliert… «

    Was spricht gegen meine Annahme? Dass es keinen Konsens hinsichtlich eines evolutionsgeschichtlichen Vorgangs gibt, ist doch völlig normal.

    » Und so ließe sich die Debatte zu jedem Merkmal des Menschen immer wieder führen, lassen sich Definitionen, Daten und Herleitungen immer wieder hinterfragen. «

    Aber eine Kapitulation vor Fragen zur evolutionären Herkunft von bestimmten Merkmalen kann es doch auch nicht sein, oder?.

    » Und bei dem Argument, das die eine überzeugt, rollt es dem anderen die Fußnägel… «

    Ich denke, zum Austausch von Argumenten sind wir hier.

    » Wer ehrlich zu sich und anderen ist, wird dabei auch den Einfluss der eigenen Haltung auf die Bevorzugung dieses oder jenes Hypothesenstranges reflektieren und einräumen. «

    Natürlich formuliert jeder seine Hypothesen vor dem Hintergrund dessen, was er weiß oder zu wissen glaubt, was denn sonst. Und wenn diese Hypothesen unsinnig sind, dann soll das auch gesagt und möglichst entsprechend begründet werden.

    » …und deswegen habe ich mich dafür entschieden, lieber ehrlich einzuräumen, was sich bei aller Forschungsdynamik m.E. noch nicht sicher sagen lässt. «

    Sehr schön! Da ist auch überhaupt nichts gegen einzuwenden.

    Bezogen auf das Thema hier, heißt das also, dass Ihrer Auffassung nach Religiosität, nach allem was wir wissen, adaptiv war und ist, es aber für die Annahme, sie sei eine Adaptation, keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Gut. Ich denke halt, dass es für die Adaptivität des isolierten Merkmals Religiosität ebenfalls keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Ich habe versucht, meine Auffassung zu begründen, bin aber damit offenbar nicht durchgedrungen. Macht aber nix, solange ich hier schreiben darf, bin ich’s zufrieden und nehme auf irgendjemandes Fußnägel keine Rücksicht.

  28. @Balanus

    Nun, ich denke schon, dass es Sinn gemacht, Argumente auszutauschen – für manche Leserinnen und Leser war das sicher sehr gut. Aber ich mache mir halt auch keine Illusionen, dass es gelingen würde oder auch nur überhaupt meine Aufgabe wäre, Sie zu überzeugen. Denn die “Plausibilität” von Evolutionserzählungen hängt nun einmal bei uns Menschen wohl immer auch von biografischen und emotionalen Faktoren ab. Sie finden Intelligenz gut und nehmen also an, dass es eine Adaption sei – obwohl sie derzeit oft mit niedrigeren Geburtenraten einhergeht. Und Sie finden Religion eher schlecht und stören sich also daran, dass sie adaptiv sein soll.

    Und vermuten umgekehrt, dass ich die Befunde zu rosig sehe, weil auch ich nun einmal biografisch und emotional geprägt sei. Seien wir doch ehrlich: Da könnten wir uns nun also ewig im Kreise drehen! Und das wäre dann doch schade um die Zeit, oder!? 🙂

    Aber ich bin sicher, wir finden auch weiterhin spannende Themen und schätze Ihre Einwände und Beiträge weiterhin sehr!

  29. @Mona: Vererbung

    Zur Frage ob Religiosität oder Spiritualität vererbt wird, sollten Sie meine ersten beiden Beiträge nochmals genau durchlesen.
    Daraus geht hervor, wie unser Gehirn/Gedächtnis arbeitet – und dass Licht-/Geistwesen als Neuinterpretation früherer Erlebnisse beim Erinnern empfunden werden. D.h. es gibt nahvollziehbare biologische Grundlagen.

    Mir ist es jetzt ein bisschen unangenehm dass keine Reaktion kam: ich habe mit diesen Beiträgen eines der letzten großen Rätsel um die Entstehung von Spiritualität/Religiosität gelöst – und niemand hat es hier gemerkt. Besser kann man sich nicht blamieren – und mein Ziel ist es nicht, dass hier jemand, unabsichtilich als Nebeneffekt meiner Antworten, bloß gestellt wird.

  30. Fußnägel

    @Balanus: Meine Nägel bleiben unten! Ich finde Ihre Einwände gegen die Adaptionsthese ziemlich bedenkenswert. Also habe ich gerade das Paper von Sosis bestellt. Vielleicht finden sich darin konstruktive Ansätze.

    Danke bei der Gelegenheit für die Empfehlung von Edelman, dessen Buch ich mit Gewinn gelesen habe. Ich hoffe, Ihnen hat Damasio auch zugesagt.

    @Michael Blume: Was ich nicht verstehe, ist warum Sie Balanus Einwänden nicht argumentativ begegnen und stattdessen genealogische Überlegungen anstellen. Ich halte das nicht für hilfreich. Ich hoffe, Sie nehmen es nicht persönlich, wenn ich darauf hinweise, daß Alain Renaut und Luc Ferry die genealogische Argumentation in “Antihumanistisches Denken” als ‘terroristisch’ ablehnen. Ich führe das nur an, um auf das Konfliktpotential dieser Vorgehensweise hinzudeuten.

    Wir Internet-Junkies sind natürlich dickfelliger als die post-(+anti-)68er. Aber hilfreicher wäre die argumentative Auseinandersetzung in jedem Fall.

  31. @Jürgen Bolt: Internet-Junkies

    Das Problem ist, dass ich kein Gemeineigentum bin, sondern Verantwortung in Familie, Beruf und Wissenschaft zu erfüllen habe. Diesen Blog betreibe ich in meiner verbleibenden, sehr knappen Freizeit. Ich schätze alle Kommentatoren sehr, aber schauen Sie, was allein hier in den letzten Tagen an Thesen so aufgeworfen wurde:

    – Religiosität sei allein aus Nahtodeserlebnissen erklärbar
    – Die etablierte Evolutionsforschung sollte durch neue Begriffe ersetzt werden
    – Religiosität sei pathologisch, W. James
    – Religiosität werde durch Julian Jaynes erklärt
    – Religiosität erhöhe zwar den durchschnittlichen Fortpflanzungserfolg, sei aber dennoch irgendwie nicht adaptiv
    usw.

    Einige Kommentatoren scheinen es auch völlig normal zu finden, dass ich Stunden und Tage für ihre je persönlichen Argumente verwende, ohne umgekehrt ausreichend Interesse und Zeit z.B. für “Gott, Gene und Gehirn” gefunden zu haben.

    Bei allem Respekt vor den Auffassungen und dem Informationsstand jedes Einzelnen ist das alles irgendwann zeitlich nicht mehr schaffbar. Wenn Natur des Glaubens weiterhin aktiv bleiben soll, werde mich daher im Kommentarbereich zunehmend zurücknehmen und Debatten auch beenden müssen. Stattdessen könnten ja die Diskussionen zwischen den Kommentatoren an Gewicht gewinnen, die ich schon jetzt mit hohem Interesse lese.

  32. Licht in den Zellen @KRichard

    Sie schrieben: ” Zur Frage ob Religiosität oder Spiritualität vererbt wird, sollten Sie meine ersten beiden Beiträge nochmals genau durchlesen.
    Daraus geht hervor, wie unser Gehirn/Gedächtnis arbeitet – und dass Licht-/Geistwesen als Neuinterpretation früherer Erlebnisse beim Erinnern empfunden werden. D.h. es gibt nahvollziehbare biologische Grundlagen.”

    Woher wissen sie das?

    “…ich habe mit diesen Beiträgen eines der letzten großen Rätsel um die Entstehung von Spiritualität/Religiosität gelöst – und niemand hat es hier gemerkt.”

    Hm, ich möchte jetzt nicht über den Zustand meiner Fußnägel berichten, aber hier gab es schon öfters Leute, die meinten, der Weisheit letzten Schluss gefunden zu haben. Ich nehme an, Ihre Erkenntnisse stehen mit den Nahtod-Erlebnissen in Verbindung über die Sie hier öfters schreiben. Über diese Lichterscheinungen usw. gibt es aber unterschiedliche Annahmen. Eine davon ist, dass die Zellen Licht abgeben, welches sich kurz vor dem Tod der Zelle verstärkt und langsam erlischt wenn die Zelle kaputt ist. Allerdings erstreckt sich die Biophotonen-Forschung momentan hauptsächlich noch auf Pflanzen, aber Esoteriker übertragen das natürlich auch auf Menschen.
    Annahmen sind halt keine Beweise, auch wenn sie einem persönlich noch so plausibel erscheinen. Darin unterscheidet sich die Wissenschaft nun mal vom Stammtisch

  33. @Mona: Licht in den Zellen

    Mein Modell beruht nur auf Vorgängen, wie wir uns Erinnern, mehr nicht. (Denn ich gehe ausschließlich davon aus, dass Nahtod-Erlebnisse nur von Menschen berichtet werden können, welche beim Erleben bei Bewusstsein waren.)

    1) Lesetipp: Falsche Erinnerungen – Die Sünden unseres Gedächtnisses, Kühnel, Markowitsch, Spektrum Sachbuch
    d.h. im Gedächtnis gespeicherte Erlebnisse werden beim Erinnern neu bewertet. Diese Grundaussage ist schon vielfach wissenschaftlich belegt.

    2) Überlegt man (theoretisch), was ein Mensch ab dem 6. Schwangerschaftsmonat erleben kann und wie dies dann neu bewertet würde, wenn man sich als Erwachsener daran erinnert => dann kommen genau solche Erfahrungen heraus, wie sie bei Nahtod-Erlebnissen berichtet werden. Und zwar in einer Struktur, wie sie im Buch ´Leben nach dem Tod´ bereits vor 35 Jahren niedergeschrieben wurde (Lesen Sie dazu in http://www.wissenslogs.de > Großundklein, Blog ´Denkanstöße…`ab 6.8.2010.)
    Es ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass im Rahmen von NTEs das episodische Gedächtnis durchsucht wird. (Für Annahmen wie z.B. Biophotonen gibt es keinerlei Hinweise.)

    Die Korrelation zwischen theoretischem Überlegungsmodell und der Struktur der Berichte ist so groß, dass diese Schlussfolgerung zwingend ist. Für andere Denkmodell warum das so ist, müsste man Argumente bringen.

    Dies bedeutet aber auch, dass mit den Erlebnissen von Licht-/Geistwesen eine nachvollziehbare Basis für Spiritualität/Religiosität vorhanden ist.
    Meine Argumentation kann geprüft werden oder ignoriert – man kann sich auch für den Zustand der eigenen Zehennägel interessieren; je nachdem welcher wissenschaftlicher Anspuch vorhanden ist.

  34. @Michael Blume: Zeit

    Daß Sie Ihre begrenzte Ressource Zeit sinnvoll verwenden möchten, verstehe ich voll und ganz. Und, nur damit wir einander nicht mißverstehen, noch einmal deutlich: ich empfinde die genealogische Methode NICHT als terroristisch sondern als nicht hilfreich. Mich hat die Gnade der späten Geburt vor Horkheimer und Marcuse, Althusser und Lacan bewahrt und stattdessen mit Kirk und Spock (und später Picard) aufwachsen lassen. Friede und langes Leben!

  35. @Michael Blume

    » – Religiosität erhöhe zwar den durchschnittlichen Fortpflanzungserfolg, sei aber dennoch irgendwie nicht adaptiv «

    Das ist ein Missverständnis, ich sage keineswegs, dass Religiosität den durchschnittlichen Fortpflanzungserfolg erhöht. Ich weiß nur, dass Religionsangehörige durchschnittlich mehr Kinder kriegen als andere. Ob’s an deren Religiosität liegt oder an etwas anderem, und ob dadurch tatsächlich die Religiosität verbreitet wird, wäre erst noch zu zeigen. Da bin ich ganz der Meinung von Rüdiger Vaas, dem Mitautor von “Gott, Gene und Gehirn”.

    @Jürgen Bolt

    Danke für die aufbauenden Worte. Den Damasio habe ich durchaus mit Gewinn gelesen, fand das Buch aber längst nicht so “biologistisch” (Elmar Diederichs) wie das von Edelman (klar, wirklich “biologistisch” ist weder das eine noch das andere): Damasios Vorstellungen von der Entwicklung des Bewusstseins vom Wachsein über Proto-Selbst, Kernbewusstsein mit Kernselbst, erweitertes Bewusstsein (Selbst-Bewusstsein) bis hin zum Gewissen haben ja fast schon was Philosophisches.

    Richard Sosis schreibt am Ende seines Aufsatzes von 2009: “All of this suggests that the religious system is an adaptation. Now we must begin to properly evaluate this possibility.

    Entscheidend ist hier das Wörtchen “system”. Das ist, finde ich, der einzig richtige Ansatz.

  36. @Balanus: Religiöses System

    So hatte ich Ihre Hinweise und das abstract von Sosis auch verstanden. Wenn ich Ihre zahlreichen Argumente, soweit ich sie verfolgt habe, zu einem Satz zu verkürzen versuche, dann heißt er so: Wenn Religiosität positiv selektiert wird, woher kommen dann die vielen Atheisten?

    Und da sehe ich drei mögliche Entgegnungen:

    1. Religiosität ist nicht positiv selektiert sondern ein Nebenprodukt.
    2. Nicht nur Religiosität sondern auch Atheismus sind positiv selektiert und zwischen beiden stellt sich z.B. ein evolutionär stabiles Gleichgewicht ein.
    3. Religiosität ist ein Bündel von Verhaltensmodulen, von denen einige positiv selektiert sind, andere nicht. Atheisten haben eine andere Zusammenstellung aus denselben Modulen.

    Ob 3. der “einzige richtige Ansatz” ist, weiß ich nicht. Aber er hat immerhin den Vorzug, die genetische Einheit menschlichen Verhaltens nicht zu bestreiten. (Unter uns: Mit meinem eher vulkanischen Geist finde ich allerdings die gegenteilige Idee durchaus faszinierend. Es wäre ja sonderbar, wenn ausgerechnet der Homo sapiens nicht irgendwann in verschiedene Arten diversifiziert.)

    Und er hätte den weiteren Vorzug, daß man das Bündel aufschnüren und die Teile herauslösen könnte, die sich als evolutiv entbehrlich und ethisch problematisch erweisen. Es wäre ja geradezu tragisch, wenn sich zeigen würde, daß ein zur voll ausgeprägten Religiosität gehörendes Modul wie z.B. das Beleidigt-auf-Kritik-Reagieren, für den Fortbestand der Menschheit unverzichtbar wäre.

  37. @Jürgen Bolt – Wozu Module?

    Ich bin auch nicht unbedingt überzeugt, dass sich Religiösität so präzise genug definieren ließe, dass man sagen könnte, sie sei als Merkmal alleine, nicht mitbedingt durch andere Merkmale, adaptiv. Aber Ihr Ansatz philosophischen Ideen ein Selektionspotential zuzusprechen scheint mir ein Missverständniss zu beinhalten. Soweit ich die Studien zur Heridität von Religion verstanden habe, ist es das religiöse Verhalten was zum Teil hereditär ist, nicht das konkrete Credo. Dass heißt, dass Studien, die nur das Bekentniss zu übernatürlichen Akteuren untersuchten, mit den Antwortmöglichkeiten “ja, nein, weiß nicht”, praktisch keine Erblichkeit finden konnten. (Nur) bei der religiösen Haltung und dem Verhalten der Menschen kann wirklich die Variation zu c.a. 40% genetisch erklärt werden. Dieses Verhalten kann mehr oder weniger (auch erblich bedingt) in Richtung religiös tendieren, ohne das z.B. der Gottglaube selbst überhaupt erblich ist. Auch ein Atheist kann somit in einem solchen Test, wie er für diese Studien durchgeführt wird, einen hohen Grad an religiösem Verhalten aufweisen. Wir müssen deswegen nicht diese Haltungen in zu viele Module aufteilen. Michael Blume hat m.E. darin Recht, dass wir selbst bei einem stabilen Vorteil von 0,25 Kinder pro Frau nicht davon ausgehen können, dass Atheismus in irgendeiner Weise positiv selektiert wird. Nur ist es auch der Theismus an sich nicht. Was positiv selektiert wird ist Religiösität als Haltung und Verhalten. Dem Atheismus soll man schon genug kulturelle Kraft zusprechen können TROTZ Disposition bei vielen Individuen erfolgreich zu sein. Gleichzeitig kann sich der Theismus als Idee auf diese Dispositionen stützen und auf ihnen aufbauen und wir kommen so zum aktuellen stabilen Verhältniss von religiösen und areligiösen ohne Theismus oder Atheismus als selektiert ansehen zu müssen.

  38. @Balanus

    Meine Reaktion bezog sich nicht auf Fragen zu “Religion” und “Adaptivität” (Begriffe die ich für sehr schlecht definiert halte), sondern auf Ihre Aussagen zur Evolution, Sozialität, Sprache, Intelligenz usw., die etwas sehr fragwürdig sind. Ihre Insistenz deutet auf ein Interesse an diesen Themen hin, das aber durch die oberflächliche Wahrnehmung des Forschungsprozesses kontakariert wird.

  39. @Balanus

    Die Diskussion bleibt dadurch unterhalb des Informationslevels, jenseits der sie produktiv und sinnvoll werden könnte. Das scheint typisch für diese scilogs zu sein, z.B. haben in einem anderen Blog Leute über Quantenmechanik geredet, die offensichtlich noch nie ein Physikbuch gelesen haben. Ich würde Ihnen vorschlagen, mal ein paar nicht zu alte Informationsquellen zu Paläoanthropologie etc. zu lesen, bevor Sie sich dazu wieder äußern.

  40. @T.

    » Ich würde Ihnen vorschlagen, mal ein paar nicht zu alte Informationsquellen zu Paläoanthropologie etc. zu lesen, bevor Sie sich dazu wieder äußern. «

    Tja, was soll ich sagen…

    Ihre Sorge um die Qualität von Scilogs ehrt Sie, und gegen Ihre Empfehlung, aktuelle Quellen zu studieren, ist absolut nichts einzuwenden. Aber dass ich so lange schweigen soll, können Sie im Ernst nicht von mir verlangen.

    » Sie meinen also so etwas oder sowas? «

    Wen meinen Sie mit “Sie” in Ihrem Kommentar zum Religiositätsbegriff?

  41. Religiosität =?

    Die Frage richtete sich an die Teilnehmer insgesamt, denn ich wüßte gerne, was unter dem Begriff verstanden werden soll. W. James’ Untersuchungen nahmen ja die religiösen Bewegungen seines Umfelds zum Ausgangspunkt, die gegenwärtigen großen Religionen sind ja wohl eher jüngere Erfindungen. Also wäre nach Religionen von Jägern und Sammlern zu fragen. Solche Kulturen wurden zwar von Ethnologen untersucht, aber zum einen sind mir deren Resultate unbekannt, zum anderen schätze ich das Risiko religiositätsorientierter Fehlinterpretationen für hoch. Wie unterscheidet man “religiöse” von “nichtreligiösen” Bestandteilen solcher Kulturen? Wie kommt man zu Daten über den Erlebnisgehalt religiöser Kulte dort?

  42. @Balanus

    Der Schlussaussage von Richard (Sosis) kann ich nur zustimmen – er ist ja in der Sache sogar noch ein Stück mutiger als ich. Und selbstverständlich ist erst das “System” (biologische Veranlagung + kulturelle Ausprägung) potentiell adaptiv – ganz genauso wie bei Sprache(n). Ohne biologische Veranlagung können wir weder an sprachlichen, musikalischen noch religiösen “Systemen” partipieren, deren Erfolge wiederum auf die Grunlagen rückwirken. Also: Kein Dissens zu Richard, mit dem ich mich immer wieder gerne austausche und der es ja sogar für wahrscheinlich hält, dass Religiosität und Religionen eine Adaption (!) darstellen. 🙂 Da bin ich ja noch zurückhaltender…

  43. Bicameral Mind:

    Hier ein sehr interessanter Essay eines Bekannten (durch den ich übrigens auch auf W. James’ Ausführungen aufmerksam wurde) dazu. Hier ein interesanter Videovortrag zu einem bekannten Mathematiker, der beinahe Oberhaupt einer führenden jap. buddh. Sekte wurde, einen wesentlichen Anstoß zum Entstehen der Umweltbewegungen gab und umfangreiche philosophisch-religiösen Meditationen schrieb.

  44. @T.

    Ihr Interesse an evolutionärer Religionswissenschaft freut mich sehr – und Sie dürfen sicher sein, dass wir hier nicht länger völlig am Anfang stehen. Hier im Blog finden Sie eine ganze Reihe von Diskussionen, aber auch Links und Artikel, zum Beispiel einen Übersichtsartikel zur Religionsbiologie.
    http://www.chronologs.de/…andbuch-der-religionen

    Oder auch z.B. ein Probekapitel aus “Gott, Gene und Gehirn”.
    http://www.chronologs.de/…s-gott-gene-und-gehirn

    Zufrieden mit dem Stand der Dinge sind wir hier natürlich alle nicht – Wissenschaft und Evolutionsforschung sind immer dynamische Prozesse und nie “fertig”. Konstruktive Mitdiskutanten sind immer herzlich willkommen!

  45. @Blume

    Danke für die links, aber mir ist immer noch nicht klar was “Religiosität” sein soll. Die in dieser und anderen Diskussionen genannten Characteristika werden auch bei nicht als religiös betrachteten Alltagsvorgängen erfüllt (z.B. Glaube an Aussersinnliches bei Feynman’s “Innere eines Ziegelsteins”). Umgekehrt passen als religionsbezogen betrachtete Dinge nicht unbedingt solche Kriterien, jedenfalls nicht in den Darstellungen jap. und koreanischer Bekannter über die Praxis dortiger Naturreligionen (Shintoismus, Shamanismus).

    Zur stabilisierung “sinnloser” Zufälle in der Evolution und der Fragwürdigkeit, überall sinnvolle Adaptionen zu suchen, hatte übrigens Stanislav Lem eine sehr treffende Geschichte geschrieben. (Text)

  46. @T.

    Darwin definierte Religiosität als “belief in spiritual beings”, wir sprechen heute vom “Glauben an überempirische Akteure”. Wenn sich also Lebewesen zu Anderen verhalten, deren Anwesenheit geglaubt wird, aber empirisch nicht nachweisbar ist (wie Ahnen, Geister, Götter, Bodhisatvas, Gott etc.), dann liegt religiöses Verhalten vor. Das trifft auf den Schamanismus ebenso zu wie auf den real existierenden Buddhismus (in dem von den Ahnen über Geister bis zu Bodhisatvas überempirische Akteure verehrt werden) und natürlich die poly- und monotheistischen Religionen. Und es gibt uns eine schöne Möglichkeit, die Evolution dieser Glaubens- und Verhaltensdispositionen zu erforschen.

  47. @T

    Lesen Sie meine Beiträge hier in diesem Blog. Darin zeige ich eine konkrete und nachvollziehbare Grundlage dafür auf, wieso z.B. der Glaube an übernatürliche Wesen (Licht-/Geistwesen) entstehen kann. Damit haben Sie eine konkrete Grundlage für Religiosität/Spiritualität.

    Ein Myterium bleibt allerdings. Niemand sonst in diesem Blog kann Ihnen keine konkrete und nachprüfbare Grundlage für das Entstehen von Religiosität/Spiritualität nennen. Und die Reaktion auf meine Beiträge zeigt, dass auch kein Interesse dafür besteht. Verstehen Sie diese Reaktion?

  48. @T.: Nachtrag

    Mit meinem Beitrag zeige ich nur, dass es einen (Stückzahl: 1) auf realen Gehirnfunktionen beruhenden Hinweis auf eine mögliche Ursache für Religiosität/Spiritualität gibt. Mehr nicht.
    Dieses Thema (R/S) ist aber wesentlich komplexer wie Sie aus sehr lesenwerten Überlegungen von @Blume bzw. @Aichele immer wieder lesen können.

    (Diese Nachtrag war mir wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden.)

  49. Richard (Sosis) /@Michael Blume

    » Der Schlussaussage von Richard (Sosis) kann ich nur zustimmen…«

    Na sehen Sie, dann sind wir doch schon ein Stückchen weiter.

    (Hab mich schon gewundert, dass Sie nicht gleich bei der ersten Erwähnung von “Richard” entsprechend reagierten 😉

    Unter “System” scheint Sosis aber etwas anderes zu verstehen als Sie, also nicht “biologische Veranlagung + kulturelle Ausprägung”, sondern, ich zitiere:

    a » collection and interaction of defined cognitive, emotional, and behavioral elements «.

    Also nix mit Kultur, wir bleiben absolut in der Biologie.

    Zur weiteren Klarstellung, immer noch O-Ton Sosis (2009):

    » To clarify, I am not claiming that we should abandon the study of individual core elements of the religious system, such as supernatural agent beliefs, ritual, music, or emotionally charged symbols. Quite the contrary; studying these core elements are essential. The point here is that it is the religious system – the coalescence of these elements – that must be the focus of an adaptationist analysis. «

    Mich interessiert ja vor allem das Kernelement “supernatural agent beliefs”, also die “Religiosität” im eigentlichen Sinne, so wie sie oben definiert ist.

    Ganz offensichtlich können beim Menschen auch dann, wenn nicht an überempirische Agenten geglaubt wird, alle sonstigen Kernelemente (@Jürgen Bolt sprach von “Modulen”) des religiösen Systems vorhanden sein. Das wirft Fragen auf.

    Ich persönlich bin ja davon überzeugt (Achtung, der folgende Absatz ist für Zehennägel über 2 mm Länge nicht geeignet!), dass die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, überempirische Agenten für real existent halten zu können, letztlich in den Genen verankert ist (natürlich nicht im Sinne eines direkten Determinismus, sie wirken über den Aufbau der entsprechenden Hirnstrukturen unter dem Einfluss der Umwelt).

    So, und zum Abschluss hat noch einmal Richard Sosis das Wort:

    » Azim Shariff (2008:119) cautions, “In studying the evolution of religion, one misstep to avoid is treating “religion” as a seamless whole”. It would appear that not only have I taken this misstep, I have unashamedly embraced it. Shariff ’s concerns are not unfounded.” «

  50. @Balanus

    “cognitive, emotional, and behavioral elements” – und das soll “nix mit Kultur” sein? Meinen Sie das ernst?

  51. Kultur /@N. Hagthorpe

    » “cognitive, emotional, and behavioral elements” – und das soll “nix mit Kultur” sein? Meinen Sie das ernst? «

    Klar. So, wie ich Michael Blume verstanden habe, meint er nämlich Kultur als prägendes Element für die Ausgestaltung einer Religion (das, was eben nicht genetisch weitergegeben werden kann).

    Bei der Gelegenheit kann ich noch mal die genaue Sosis-Quelle nachreichen, die war mir oben abhanden gekommen:

    R. Sosis: The Adaptationist-Byproduct Debate on the Evolution of Religion: Five Misunderstandings of the Adaptationist Program. Journal of Cognition and Culture 9 (2009) 315–332.

  52. Frage @all

    Herr @Balanus schrieb: “Ganz offensichtlich können beim Menschen auch dann, wenn nicht an überempirische Agenten geglaubt wird, alle sonstigen Kernelemente (@Jürgen Bolt sprach von “Modulen”) des religiösen Systems vorhanden sein. Das wirft Fragen auf.”

    Mit dieser Frage habe ich mich auch schon öfter befasst und als ich den Kommentar las, fiel mir ein, dass mal jemand die Ansicht vertrat Religion und sexuelle Selektion könnten zusammengehören. Besonders die Gretchenfrage finde ich ja ganz aufschlussreich, deshalb habe ich mir auch den Beitrag dazu von Michael Blume noch einmal durchgelesen. Da heißt es: “Und fragt Gretchen nach Kontostand, Titeln oder Vertrag? Nein – die Gretchenfrage lautet: “Sag, wie hast Du’s mit der Religion?” Mehr braucht sie auch gar nicht zu fragen, denn der Autor des unten verlinkten Textes meint: “Religion ist nicht sparsam, sondern aufwändig. Weil religiöse Rituale Ressourcen verschlingen, ist Religion ein Fitness-Indikator. Die Religion schmückt, vor allem den Mann für die Frau, aber – typisch Mensch – auch die Frau für den Mann. Ein religiöser Reproduktionspartner, alle anderen Eigenschaften gleich, ist besser als ein nicht-religiöser Partner. Vielleicht auch deswegen stellt Gretchen die Religionsfrage an Faust, bevor sie bereit ist, sich weiter auf ihn einzulassen.”

    Der Autor des Zitats beschäftigt sich mit dem Thema “Sexuelle Selektion und Religion” und kommt dabei zu einigen sehr erstaunlichen Einsichten, die mich streckenweise an die Forschungen von Michael Blume erinnerten. Meine Frage wäre nun: Hängen Ihrer Meinung nach Religion und sexuelle Selektion zusammen?

    Hier der gesamte Text: http://www.uni-kassel.de/…nal/euler/Religion.pdf
    Mit Religion beschäftigt sich der Autor ab Seite 18.

  53. “überempirische Akteure”

    Sie meinen also so etwas wie: “Religiosität = halluzinierende Spiegelneuronen”? “Überempirische Akteure” sind doch wohl zuerst die anderen Menschen unterstellten Persönlichkeitsstrukturen, Intentionalität usw., also das was Gehlen und Plessner als “exzentrische Positionalität”, Luhmann einschränkend als “doppelte Kontingenz” bezeichnete. Die Frage nach anthropologischen Erklärungen wurde bereits von Gehlen, Plessner usw. gestellt. Als ich mich mal mit N. Birbaumer und anderen Neurologen/Anthropologen zu dem Thema austauschte, kam die Frage auf, ob diese Form intuitiver Sozialkompetenzen überhaupt characteristisch für den modernen Menschen ist, obwohl ich es für plausibel halte, sie als Ausgangspunk für das Denken in Sinn- und Bedeutungszusammenhängen zu sehen. Ihrer Definition zufolge wäre “Religiosität” somit eine regressive Form und Fehlfunktion dieser Erlebnis- und Interpretationsstrukturen.

  54. Sexuelle Selektion /@Mona

    Benennt Euler irgendwelche Beobachtungen, die belegen, dass es in menschlichen Gesellschaften bei der Paarung eine Präferenz für die gleiche Religion gibt?

  55. Antwort@Mona

    Es wird Sie nicht überraschen: Der von Ihnen verlinkte Text Eulers entspricht ziemlich genau meinen Vorstellungen. Nur die Frage von Balanus scheint er mir nicht zu beantworten. Ich kann jedenfalls nicht sehen, daß der Glaube an übernatürliche Akteure zusätzliche Ressourcen verbraucht.

    Zu dieser Frage kenne ich nur zwei einigermaßen überzeugende Antworten. Die erste ist von D.S. Wilson. Der gemeinsame Glaube an übernatürliche Akteure ist prosozial, weil man sich über nicht Wahrnehmbares nicht streiten kann. (Gegebenfalls braucht man dann in der Glaubensgemeinschaft noch einen Exklusivzugang zum übernatürlichen Akteur.)

    Die zweite ist von mir – und hat außer mich selbst noch niemanden überzeugt. Sie besagt, daß sich in einer kaum durchschaubaren Welt Hypothesen, die auf den ersten Blick absurd erscheinen, gegen alle Plausibilität als richtig erweisen können. Ein Beispiel wäre Moses Überquerung des Roten Meeres, um das gelobte Land zu erreichen. Wäre da ein Rationalisten wie ich an seiner Stelle gewesen, dann hätte die Reise nie stattgefunden. Was qualifiziert die Wüste Sinais als Gelobtes Land? Ich wäre in Ägypten geblieben. Und hätte das fruchtbare Jordan-Tal nie entdeckt.

    Ich vermute, daß eine gewisse Mischung spekulativer Tendenzen (wie der Glaube an übernatürliche Akteure) und rationaler, evidenzbasierter Züge und die unterschiedliche Verteilung dieser Module auf verschiedene Mitglieder einer sozialen Gruppe für Menschen bisher erfolgreicher war als es einseitigere Alternativen hätten sein können.

    So gesehen ist die Gruppe der Diskutanten hier vielleicht auch ganz günstig zusammengesetzt. Trotz gelegentlicher podologischer Probleme.

  56. @Balanus

    “Benennt Euler irgendwelche Beobachtungen, die belegen, dass es in menschlichen Gesellschaften bei der Paarung eine Präferenz für die gleiche Religion gibt?”

    M.E. geht er davon aus, dass die Menschen früher fast nur Angehörige der gleichen Religion geheiratet haben. Noch vor fünfzig Jahren war es z.B. einem Katholiken so gut wie unmöglich eine Evangelische zu heiraten und umgekehrt.

  57. “Hypothesen, die auf den ersten Blick absurd erscheinen”

    Meinen Sie die “Quants”, math. Ökonomen und die Finanzkrise? Kurz vor deren Eintreten hielt mir ein amerik. Spitzenmathematiker und Investor einen lustigen Vortrag, der in der Prognose, dass demnächst jeder Millionär sei …

    Man schon seit langem schöne Experimente zu Hypothesenbildungen durchgeführt. (z.B. zufallsgenerierte Figurbewegungen auf Bildschirmen, dann wurden die Probanden zu deren “Erklärung” befragt; Aufgefordert, die Bilder mittels Schein-Enzephalographen durch “Gedanken” zu beinflussen, entwickelten die Probanden schnell absurde Überzeugungen)

  58. @Jürgen Bolt

    Danke für die Antwort! Sie schreiben: “Ich kann jedenfalls nicht sehen, daß der Glaube an übernatürliche Akteure zusätzliche Ressourcen verbraucht.” Verstehe ich nicht ganz! Den Ressourcenverbrauch beschreibt Euler doch in seinem Text: “Prächtige Gewänder,grandiose Tempel, goldene Idole, seltene Harze für feine Gerüche…” Verbraucht all das keine zusätzlichen Ressourcen?

    Schön jedenfalls, dass Sie keine podologischen Probleme bekommen haben 😉

  59. @T.

    Ich dachte nicht an “Quants”, die ich bisher nicht kannte, sondern z.B. an die Behauptung, daß sich eine Spezies über sehr lange Zeiträume zu einer anderen entwickeln kann, oder daß schnell bewegte Uhren langsamer gehen. Ich selbst hätte 1905 vermutlich eher das Michelson-Morley-Experiment bezweifelt als die SRT zu entwickeln. Aber die hat sich als richtig erwiesen. Und inzwischen haben wir uns daran gewöhnt.

    Natürlich stimme ich Ihnen zu, daß die meisten absurd erscheinenden Hypothesen auch tatsächlich absurd sind. Aber eben nicht alle.

    Was mich interessiert ist, warum Menschen zur Bildung unzutreffender Hypothesen neigen. Wenn diese Neigung nur nachteilig wäre, müßte sie dann nicht negativ selektiert werden?

  60. @Mona: Ressourcen

    Ich möchte zwischen dem Glauben an übernatürliche Akteure und den von Ihnen erwähnten Riten unterscheiden. Ich sehe nicht, daß beides notwendig zusammenhängt. Ich kenne auch Gläubige, die keine religiösen Rituale pflegen. Und ich kenne Atheisten, die sich gelegentlich aufwändig kleiden. Hier in Köln, z.B. an Karneval.

  61. Jaja @Jürgen Bolt

    “Ich möchte zwischen dem Glauben an übernatürliche Akteure und den von Ihnen erwähnten Riten unterscheiden. Ich sehe nicht, daß beides notwendig zusammenhängt. Ich kenne auch Gläubige, die keine religiösen Rituale pflegen. Und ich kenne Atheisten, die sich gelegentlich aufwändig kleiden. Hier in Köln, z.B. an Karneval.”

    Schrieben Sie nicht selbst:” Religiosität ist ein Bündel von Verhaltensmodulen, von denen einige positiv selektiert sind, andere nicht. Atheisten haben eine andere Zusammenstellung aus denselben Modulen.”

    Anmerken möchte ich noch, dass Euler unter Religion m.E. eher die klassischen Ausprägungen verstand und da legt man nun mal Wert auf Prachtentfaltung.

  62. @Bolt, Mona

    @Bolt: Ich verwies auf den Artikel über “Quants” (= Spitzenphysiker und -mathematiker aus Harvard, Yale, Princeton usw., die von den Banken rekrutiert werden), um auf die Problematik der hinter Ihren Bemerkungen stehenden Vorstellungen einer kontextunabh. Rationalität hinzuweisen.

    @Bolt, Mona: Ich empfehle diesen Abschnitt über die “Fremdheit des Archaischen” zur Lektüre. Denn Ihre Äußerungen orientieren sich an unreflektierten Eindrücken aus Ihrer Umgebung, die für das Thema irrelevant sind. Falls “Religiösität und Evolution” überhaupt ein sinnvoll diskutierbares Thema sind, dann gehören erst seit ein paar tausend Jahren existente Religionsformen ebenfalls nicht zum Thema.

  63. @Mona

    Im Rahmen der Spekulationen über die Bedeutung der sexuellen Selektion für die Evolution der Religion die “Gretchenfrage” zu erwähnen, diente wohl nur der Auflockerung des Vortrags. Seine Definition von Religiosität scheint auch nicht die hier gebrauchte zu sein.

    Sexuelle Selektion ist zuvörderst ein evolutionstheoretischer Begriff und beschreibt einen Mechanismus, der bestimmte, Merkmale und Verhaltensweisen erklären kann. Diese sind in der Regel bei allen (!) Individuen eines Geschlechts vorhanden (Pfauenschwanz, Balz, etc.). Religiosität in unserem Sinne kommt nun aber gerade nicht bei allen Menschen vor. Vielleicht ist das der Grund, weshalb dieser Selektionsmechanismus kaum für die Entstehung der Religiosität diskutiert wird.

    Hinzu kommt: Bei Befragungen, welche Eigenschaften der zukünftige Partner haben sollte, rangiert “gleiche Religion” ziemlich weit unten.

    @Jürgen Bolt

    » Sie besagt, daß sich in einer kaum durchschaubaren Welt Hypothesen, die auf den ersten Blick absurd erscheinen, gegen alle Plausibilität als richtig erweisen können. «

    Etwas ganz Ähnliches schildert Euler in seinem Vortrag doch auch:
    “Eine entscheidende Voranpassung war der kognitive Apparat des Hominiden. Menschen haben die allgemeine tierliche Fähigkeit, ursächliche Zusammenhänge erfassen zu können, zu höchster Blüte gebracht. […] Diese grandiose Befähigung, aus Reizeindrücken Sinn zu machen, geht sogar so weit, dass er größte Schwierigkeiten hat, keinen Sinn zu sehen, wo keiner ist. In Farbklecksen auf Papier, in Punkten am Firmament und in Wolkenformationen sieht er Bilder. “

    @T.

    » Falls “Religiösität und Evolution” überhaupt ein sinnvoll diskutierbares Thema sind, dann gehören erst seit ein paar tausend Jahren existente Religionsformen ebenfalls nicht zum Thema. «

    Das ist eine nicht begründete Behauptung. Evolutionsprozesse sind meines Wissens nicht auf die ferne Vergangenheit beschränkt.

  64. @Balanus

    “Etwas ganz Ähnliches schildert Euler in seinem Vortrag doch auch.” Ja. Meine zusätzliche Vermutung ist, daß diese leichtfertige Kausalattribution adaptiv sein könnte, weil sie exploratives Verhalten begünstigt. Und das die Gesamtpopulation davon prfitiert. So etwas in dieser Art: “How within-group behavioural variation and task efficiency enhance fitness in a social group.” (In diesem Fall Kugelspinnenpopulationen, die sich aus aggressiven und friedfertigen Individuen zusammensetzen.)

    http://rspb.royalsocietypublishing.org/…d7c29cd8

  65. @Jürgen Bolt

    Aus dem Abstract der von Ihnen verlinkten Studie:

    “These results imply a reciprocal fitness benefit of within-colony behavioural variation, and perhaps division of labour in a spider society.”

    Das mit der Arbeitsteilung gefällt mir. War auch schon mal mein Gedanke hinsichtlich des unterschiedlichen Reproduktionsverhaltens in rezenten menschlichen Gesellschaften (Religiöse vs. Säkulare).

    Was nun die “leichtfertige Kausalattribution” angeht, da kann man sich schon vorstellen, dass es insgesamt günstiger ist, gelegentlich eine Kausalität fälschlicherweise anzunehmen, als einen tatsächlichen Kausalzusammenhang zu übersehen.

  66. @balanus

    Die z.Z. gängigen Spekulationen zu kürzlicher Evolution beziehen sich auf einen Zeitraum von ca. 50.000 Jahren, aber selbst das wird nach neuen Datenanalysen bezweifelt bzw. sehr eingeschränkt. Zudem richten sich Überlegungen zur Evolution einer Eigenschaft/eines Verhaltens an die Entstehungs-, Ausbreitungs- und Stabilisierungsphasen, bei Religionen also nicht auf solche Spätformen wie Sie betrachten wollen. Schliesslich stellt sich die Frage wieso evolutionsgeschichtliche Betrachtungen für gegenwärtige Religionen überhaupt von Interesse sein sollten?

  67. Spätformen /@T.

    Gibt es belastbare Hinweise darauf, dass es sich beim modernen religiösen Verhalten um Spätformen handelt? Aus den aktuellen Geburtenraten religiöser Gemeinschaften könnte man ja schließen, dass sich die Religiosität noch (oder wieder) in der Ausbreitungsphase befindet. Dass es bei religiösem Verhalten eine gewisse Erblichkeit gibt, ist durch Zwillingsstudien gut belegt.


    Btw, ich würde mich freuen, wenn Sie mir einige Quellen nennen könnten, die Ihre These stützen, die Sprachfähigkeit sei nicht genetisch verankert.

  68. @Balanus

    1. existieren die von Ihnen betrachteten Religionen erst seit ein paar tausend Jahren, weshalb die Religionswiss. u. -geschichte, -soziologie Fragen nach Genese, anthropol. Kontext usw. nicht an diesen, sondern an den z.B. von Gehlen diskutierten Fällen orientiert.

    2. habe ich nicht behauptet, Sprache habe keine genetische Komponente. Über Wesen und Herkunft von Sprache kann man aber nicht so reden, wie Sie das tun. Z.B. stützten sich bisherige Erklärungsmodelle an universellen Sprachstrukturen, deren Existenz inzwischen bezweifelt wird, z.B. nimmt man inzwischen nicht mehr an, Sprache komme von Sozialität u. Kommunikation her.

  69. @T.

    Zu 1. Möglicherweise liegt hier ein Missverständnis vor. Es geht uns, oder zumindest mir, um das menschliche Verhaltensmerkmal “Religiosität”, also die Fähigkeit, überempirischen Agenten eine reale Existenz zuzusprechen. Diese Fähigkeit ist unter Religionsangehörigen stark verbreitet. Welche Religion das im Einzelfall ist, ob eine moderne oder eine uns unbekannte vor 30.000 Jahren, spielt da m. E. keine Rolle.

    Zu 2. Also gibt es keine neuen Erkenntnisse seit der Bekanntgabe, dass Chomskys Universalgrammatik tot sei (letztens z.B. durch: Evans und Levinson: The myth of language universals: Language diversity and its importance for cognitive science. Behavioral And Brain Sciences 2009; 32:429–492, die PDF gibt es hier:
    http://journals.cambridge.org/…=&aid=6427084

    » … z.B. nimmt man inzwischen nicht mehr an, Sprache komme von Sozialität u. Kommunikation her. «

    Das nun ist interessant. Was nimmt “man” denn stattdessen an?

  70. @Balanus

    unterscheidet sich menschliche Sprache dabei prinzipiell von den Kommunikationsmitteln anderer Tiere?

  71. @Sascha Bohnenkamp

    » unterscheidet sich menschliche Sprache dabei prinzipiell von den Kommunikationsmitteln anderer Tiere? «

    Kommt darauf an, was Sie unter “prinzipiell” verstehen. Auffallend ist halt die enorme Verschiedenheit der Lautäußerungen innerhalb ein und derselben Art, also die mit den Lauten verbundenen unterschiedlichen Bedeutungen. Das kommt im (übrigen) Tierreich in dieser Form so nicht vor. Und dann natürlich all das, was die menschliche Sprache zu etwas Besonderem macht und was es so bei Tieren eben nicht gibt (Grammatik, Semantik, etc.).

    Aber @T. macht da ja dunkle Andeutungen, dass die Sprache ursprünglich gar nicht zur Kommunikation diente. Gut möglich, dass meine Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht auf dem neuesten Stand sind :-).

  72. @Balanus

    In einer “Spektrum” glaube ich kam mal ein Artikel, wo man bei einer Vogelart eine primitive Form von Grammatik beobachtet haben will.
    Dabei war u.a. ein “Wort” abhängig von einem “Prefix” einmal als “Gefahr!” und einmal als “Futter hier!” zu verstehen.
    Die Laute etc. sind vermutlich eher den physiologischen Gegebenheiten geschuldet, denke ich.
    Es gab doch auch einmal eine Gorillafrau, die dazu im Stande war nicht triviale Sachverhalte zu kommunizieren. D.h. da war eine “echte” speziesüberschreitende Kommunikation möglich.

    Es sieht so aus, als ob die Sprache keine Erfindung der Menschen wäre, richtig?

    Sind Tiere dann ggf. auch religiös?
    (falls es da einen Zusammenhang zwischen Sprache und Religiösität gibt)

  73. @Sascha Bohnenkamp

    » Es sieht so aus, als ob die Sprache keine Erfindung der Menschen wäre, richtig? «

    Wenn Sie Sprache allgemein als Kommunikationsform verstehen, und Kommunikation im weitesten Sinne als Austausch von Information zwischen dynamischen Systemen bzw. Teilsystemen, dann wäre dem zuzustimmen.

    Aber die menschliche Sprache hat schon einige Besonderheiten, die sich so im übrigen Tierreich nicht finden lassen.

    » Sind Tiere dann ggf. auch religiös? «

    Diese Frage wurde hier bereits ausführlich diskutiert:

    http://www.chronologs.de/…-gar-religi-se-gef-hle

  74. Religiosität und Religion

    Hallo,
    ich habe nach dem Blogeintrag nicht mehr alle Kommentare gelesen, daher weiß ich nicht, ob dieser Gedanke vielleicht schon einmal aufgegriffen wurde, aber ich frage mich, inwiefern Religiosität überhaupt adaptiv sein kann, da sie ja eigentlich nur beschreibt, wie stark (genetisch und kulturell bedingt) die persönliche Religion ausgeübt wird. (?)
    Über den Reproduktionserfolg scheinen mir dann doch die verschiedenen Werte und Lehren der kulturell geformten Religionen zu entscheiden (wie in “Gott, Gene und Gehirn” anhand der Fallbeispiele von Shakern, Juden, Mormonen usw. ausgeführt wurde). Stark religiöse Menschen haben also bei den Shakern keine Kinder, während stark religiöse Menschen bei vielen anderen Religionen viele Kinder haben… wie kann also die genetische Veranlagung zur Religiosität den Reproduktionserfolg steigern (wenn dies das einzige Adaptivitätsmerkmal ist)?
    Die kulturell geformten Religionen (die vermittelten Werte, Einstellungen usw.) scheinen doch viel mehr über die Adaptivität der Religiosität zu entscheiden…
    Schöne Grüße,
    Sebastian

  75. @Sebastian

    Ja, das ist richtig! Streng genommen eröffnet Religiosität ja nur ein Potential an sowohl adaptiven wie maladaptiven Verhaltensweisen. Und erst in der historischen Entwicklung – der kulturellen Evolution – setzen sich adaptive Traditionen häufiger durch – z.B. das Erblühen pronataler Gruppen gegenüber dem Erlöschen der Shaker. Und daher ergibt sich der adaptive Zusammenhang “im Durschnitt”, oder – wie es F.A. von Hayek so schön formulierte: “nicht intrinsisch, sondern historisch”

    Das gilt im Übrigen aber auch für andere biokulturelle Fähigkeiten wie z.B. Werkzeugherstellung oder Sprache. Auch da ist ja nicht jedes Produkt adaptiv, erst im historischen Schnitt kann es dazu werden… 😉

  76. Religiositäts-Definition?

    „Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht.“ (Albert Schweitzer)

    Wenn dieses Zitat stimmt, welche Aussage macht die Quantität von Gottesdienstbesuchen dann über Religiosität? Was ist Religiosität überhaupt? Ich wäre dankbar über eine Begriffsdefinition.

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