Ist Baden-Württemberg überempfindlich? Rede zu Rosch Ha-Schana 5783 – 2022

Am Abend des 25. September 2022 christlich-gregorianischer Zeitrechnung begann das jüdische Neujahr in 5783. Wörtlich übersetzt heißt Rosch Ha-Schana “Kopf des Jahres” und wurde vor Jahrhunderten über das Judendeutsche auch zum “Guten Rutsch!” des gesamtdeutschen Neujahrsgrusses.

Es war mir eine besondere Ehre, dieses Jahr zu Rosch Ha-Schana in Vertretung unseres Ministerpräsidenten bei den Freund:innen der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs sprechen zu dürfen.

Rosch Ha-Schana Rede 2022 bei der IRGW in Stuttgart. Foto: Manuel Hagel (Danke!)

Getreu dem Konzept der dualen Rede hatte ich dazu ein inhaltliches Skript ausgearbeitet, dass ich dann in freier, spontan reagierender und angesichts der fortgeschrittenen Zeit gekürzter Form vorgetragen habe. Über die vielen positiven und auch interessierten Reaktionen gestern freute ich mich sehr!

Gerne finden Sie den Redetext hier als pdf und im Folgenden als Fließtext:

Sind wir in Baden-Württemberg “überempfindlich”?

Sehr geehrte Geistlichkeit,

stellvertretend Rabbi Pushkin und Bischof Gohl,

liebe Vorstandssprecherin Traub, liebe Barbara,

lieber Vorsitzender Suliman, lieber Rami,

lieber Abraham Lehrer vom Zentralrat der Juden in Deutschland,

lieber Landtags-Vizepräsident Born, lieber Daniel,

liebe Fraktionsvorsitzende Schwarz (Grüne) & Hagel (CDU), lieber Andi, lieber Manuel,

liebe Generalsekretärin Huber (CDU), liebe Isabell,

liebe Abgeordnete Kern & Goll (FDP),

liebe Frau Steege für das Generalkonsulat des Staates Israel, liebe Maren,

liebe Bürgermeisterin Fezer, liebe Isabel,

lieber Kriminaldirektor Ziway, lieber Klaus, für unsere Polizei,

lieber Rektor Arnold, Hochschule für jüdische Studien Heidelberg, für die Wissenschaften,

liebe Freundinnen und Freunde,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

es ist mir eine große Ehre, heute zum jüdischen Neujahrsfest zu Ihnen zu sprechen und die herzlichen Grüße von Ministerpräsident Kretschmann und der gesamten Landesregierung zu überbringen.

Beauftragung vor vier Jahren

Und zumindest in meinem Fall ist das auch keine Floskel: Vor vier Jahren haben Sie, die jüdischen Landesgemeinden von Baden und Württemberg, mich gemeinsam für das Amt des Beauftragten gegen Antisemitismus bei Herrn Kretschmann und beim Landtag vorgeschlagen. Sie wussten natürlich, dass ein gemeinsamer Vorschlag aus Baden UND Württemberg von besonderer Wucht ist – egal in welcher Religion. Und die Vorstände haben mich vorher nicht gefragt und als ich etwas überrascht gefragt habe, warum nicht, kam die einleuchtende Antwort: „Wenn wir Dich vorher gefragt hätten, hättest Du vielleicht ‚Nein‘ gesagt.“

Und auf meine Nachfrage, warum Sie denn nicht ein Mitglied der jüdischen Gemeinde vorgeschlagen haben, bekam ich die Antwort, die mich dann auch überzeugte: „Du bist Christ, mit einer Muslimin verheiratet, Du hast für das Land mit einem interreligiösen Team Ezidinnen aus dem Irak evakuiert und Du bist Wissenschaftler. Vielleicht glauben die Leute ja Dir und werfen Dir nicht vor, „überempfindlich“ zu sein.“

So wurde ich also zum ersten Beauftragten einer deutschen Regierung gegen Antisemitismus, gefolgt von meinem Bundeskollegen Felix Klein und vielen Kolleginnen und Kollegen auf Landesebene, von denen einige ihr Amt auch schon wieder aufgegeben haben.

Und an diese Worte, die mich sehr verpflichtet haben, musste ich zuletzt oft denken, weil mir und weil uns vorgeworfen wurde, „überempfindlich“ zu sein.

Der Vorwurf der „Überempfindlichkeit“

Auslöser war das, was wir wohl eine Standardsituation im Kampf gegen Antisemitismus nennen können. Der Schweizer Kardinal Kurt Koch hatte den deutsch-katholischen Dialog- und Reformprozess des „Synodalen Weges“ mit den Nazi-verbündeten „Deutschen Christen“ des Protestantismus gleichgesetzt. Er hatte also gerade nicht seriös „verglichen“, wie es leider immer noch schlampig formuliert wird. Und er hatte auch nach Aufforderung durch deutsche Bischöfe diese Aussage nicht zurückgenommen.

Daraufhin hatte die Stadt Schwäbisch Gmünd den geplanten Eintrag ins Goldene Buch der Stadt zurückgezogen und ein katholisches Medium der Schweiz hatte auch mich um eine Stellungnahme dazu gebeten.

Im gleichen Medium kath.ch hatte dann der emeritierte Basler Weihbischof Martin Gächter eingeworfen, Zitat:

„Ich denke, dass der Kardinal falsch verstanden wurde. Die Deutschen sind diesbezüglich überempfindlich. Es kommt nicht gut an, wenn die Deutschen an ihren ungenügenden Widerstand während der Nazizeit erinnert werden.“

Gerne würde ich Ihnen sagen, dass dies nur ein einzelnes Argument aus der rechtskonservativen Ecke wäre. Aber wir haben genau den gleichen Vorwurf auch von links und von indonesischen Künstlern gehört, als es um den massiven Antisemitismus auf der documenta15 in Kassel ging: Wir Deutschen seien eben – ob jüdisch oder nichtjüdisch – von der Geschichte „traumatisiert“ und würden also „überempfindlich“ auf „Kunst“ reagieren, in der orthodoxe Juden mit SS-Mütze und Israelis als Schweine dargestellt werden.

Indonesien gehört übrigens zu den Ländern, aus denen alle jüdische Gemeinden vertrieben wurden und das Israel bis heute noch nicht diplomatisch anerkannt hat. Der Deutsch-Israeli Arye Shalicar, den wir mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Stuttgart, dem Buch und Kinofilm zu seinem Berliner Leben gerade zu Gast hatten, hat in seinem bemerkenswerten „Shalom Habibi“ dazu Bemerkenswertes geschrieben.

Wirklich überempfindlicher Schuldkult?

Sind wir also alle miteinander „überempfindlich“? Treffen wir uns hier zu RoschHaSchana, um als Nachfahren von Opfern und Tätern unsere Traumata und einen gemeinsamen „Schuldkult“ zu zelebrieren?

Ich sehe das nicht, übrigens gerade auch als vergleichender Religions- und Politikwissenschaftler nicht. So erfuhr ich in Gesprächen mit der Gedenkarbeit des KZ Dachau, dass sehr viele Besucherinnen und Besucher aus Italien dorthin kämen. Auf meine verblüffte Nachfrage, „Warum aus Italien?“ kam die Antwort: Weil es in Italien keine größeren Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus und Nationalsozialismus gibt.

Nun liebe ich Italien und war gerade erst diesen Sommer wieder mit der Familie zu einer deutsch-italienischen Hochzeit guter Freunde in Kalabrien. Doch ich war eben auch traurig und beschämt, als ich meinem jüngsten Sohn im Olympico-Stadion in Rom erklären musste, was die rassistischen Affenlaute gegen einen schwarzen Spieler aus Mailand bedeuten. Als Fans des VfB Stuttgart und des BVB können wir in Sachen Fußball und Bundesliga wohl kaum „überempfindlich“ sein! Aber der Kleine fühlte sich unwohl, weil er bereits gelernt und begriffen hatte, dass es böse und falsch ist, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe abzuwerten und zu beleidigen.

Und als mich dann in einem Souvenirladen auf Sizilien auch der mittlere Sohn herbeirief, ahnte ich, dass die Faschisten die Parlamentswahl in Italien wirklich gewinnen würden: Völlig unproblematisch zwischen Gandalf und Napoleon war da auch Mussolini zu kaufen, die Hand gereckt zum „römischen Gruß“. Es war gerade diese Normalität des Abgründigen, die uns verstörte. Und auch die meisten unserer deutsch-italienischen Freund:innen meinten eben nicht, dass wir „überempfindlich“ wären, sondern dass große Teile von Italien gegenüber der eigenen Geschichte zu „unempfindlich“ geworden war.

Bedeutung Erinnerungskultur

Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch ich feiere das Partisanenlied „Bella Ciao“ – vor allem in seinen aktuellen mutigen, iranischen Versionen. Doch jede Erinnerungskultur, die den Dualismus und Faschismus aus der eigenen Mitte bequem verleugnet, verharmlost und sogar romantisiert, führt in Abgründe. Und auch jetzt noch höre und lese ich Verharmlosungen des italienischen Wahlergebnisses, die darauf verweisen, dass italienische Regierungen doch ohnehin nichts durchsetzen könnten und auch eine jüdische Abgeordnete für die Faschisten ins Parlament eingezogen sei. Dass eine der großen, europäischen Gründernationen eine Partei in der Tradition des ersten „Duce“ – Führers – gewählt habe, sei angesichts der hohen Energiepreise doch verständlich.

>Seien Sie doch bitte nicht so „überempfindlich“, Dr. Blume. Oder meinen Sie etwa, dass sich die Geschichte wiederholt?<

Nein, ich bin fest davon überzeugt: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Ich meine, dass Rabbi Jonathan Sacks – seligen Angedenkens – Recht hatte, als er davor warnte, dass alle Menschen für den verschwörungsgläubigen Freund-Feind-Dualismus und damit auch Antisemitismus anfällig seien. Und ich meine, dass Sacks auch in der Schlussfolgerung Recht hatte: Der Hass, der mit den Juden beginnt, endet nie mit ihnen. Der mörderische Verschwörungsglauben der Nazis richtete sich daher auch gegen Roma und Sinti, gegen Zugewanderte, gegen Homosexuelle und selbstverständlich gegen Oppositionelle. Wo immer auch bürgerliche und „konservative“ Parteien beginnen, den Antisemitismus zu verharmlosen – wie es nach dem Untergang der italienischen Christdemokratie südlich der Alpen wieder Usus wurde -, zerfällt der politische Diskurs, breiten sich antisemitische Verschwörungsmythen wie „Kulturmarxismus“ und „Ökosozialismus“ aus. Ich arbeite bewusst und aus Überzeugung mit allen demokratischen Fraktionen unseres Landtags zusammen, weil wir alle verlieren werden, wenn wir uns an dieser Stelle spalten lassen.

Und ich nehme nicht an Gedenkveranstaltungen teil, weil es mir Spaß machen würde und schon gar nicht, weil ich Schuldgefühle hätte! Und ich gehe auch nicht in Schulen, um den Kindern ein schlechtes Gewissen zu machen und sie aufzufordern, gefälligst Mitleid mit „den armen Juden“ zu haben!

Ich nehme an Gedenkveranstaltungen teil, weil es nicht um persönliche Schuld, sondern um persönliche Verantwortung geht und weil sie uns für die gemeinsame Zukunft stärken. Und ich gehe in Schulen, um den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass der Hass auch ihre eigene Zukunft bedroht; dass sie die Wahl haben zu entscheiden, ob wir in einer freien und vielfältigen Demokratie leben, oder in einer von Hass, Gewalt und Verschwörungsmythen zerrissenen Gesellschaft, die dann wieder ihr Heil in Dualismus und Tyrannei suchen wird. Selbstverständlich ist es bequemer, vermeintliche Weltverschwörungen zu beschimpften, anstatt sich den echten Problemen zu stellen. Allerdings kenne ich in der Geschichte kein einziges Beispiel, keines, in dem das Ausweichen in Verschwörungsmythen ein Problem gelöst hätte. Stellen wir uns doch nur einen Moment vor, wieviel besser es den Menschen im Gaza-Streifen, im Iran oder auch in Russland gehen würde, wenn die Regime dort das Geld in Bildung, Entwicklung und Frieden investiert hätten, statt in Propaganda, Verschwörungsmythen und Terrormilizen! Es ist nicht „überempfindlich“, wenn wir als Deutsche gemeinsam aus der Geschichte begreifen: Antisemitismus führte und führt jede Nation in den Abgrund!

Hass darf sich nicht lohnen

Deswegen sage ich, dass wir auch weiterhin Erinnerung für unsere gemeinsame Zukunft brauchen, auch wenn wir immer wieder neue Formen dafür finden müssen. So freue ich mich sehr, dass wir in Bruchsal ein jüdisches, baden-württembergisches Bildungszentrum aufbauen werden – und hoffe, dass wir digitale Angebote wie die verdienstvolle „Alemannia Judaica“ mitsamt ihrer Arbeitsgemeinschaft um Joachim Hahn dort aufnehmen können. Da sich der Hass und gerade auch Antisemitismus im Netz versammelt, sollten wir auch dort mit Aufklärung, Wissen und, ja, Bildung präsent und findbar sein!

Wenn wir hier in Baden-Württemberg gemeinsam trauern und auch gemeinsam feiern, dann tun wir das also nicht, weil wir „überempfindlich“ wären, sondern weil wir begriffen haben, dass Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hohe Errungenschaften sind, die es Wert sind, in jeder Generation neu gelebt und verteidigt zu werden. Ehrliche Erinnerung ist immer auch schmerzhaft, aber sie ist gelebte Verantwortung für die Vielfalt. Und sie stärkt die Demokratie mit einer ebenso einfachen wie schwer umzusetzenden Erkenntnis: Weil der Mensch zu Relativismus und Dualismus neigt, darf sich Hass niemals wieder lohnen.

Kanarienvögel im Bergwerk?

Liebe Barbara, zu unserem gemeinsamen und neuen Brief-Dialog-Buch „Wenn nicht Wir, Wer dann?“ schildertest Du mir ein Bild gegen den Begriff „überempfindlich“. Du sprachst von der Metapher des Judentums als des „Kanarienvogels im Bergwerk“. Die frühen Bergleute nahmen Kanarienvögel mit, weil diese viel feinfühliger und früher als Menschen auf Gefahren reagierten.

Ich tat mich mit dieser Metapher lange schwer, weil ich eine Scheu davor habe, Menschen als Tiere zu symbolisieren. Das Judentum muss sich nicht als Vogel in einem Käfig beweisen, es hätte auch jedes Recht zu existieren, wenn es keinerlei positive Funktion für die nichtjüdischen „Bergleute“ erfüllen würde.

Ich finde auch, jüdische Menschen müssen auch keine besseren Menschen sein, um akzeptiert zu werden. Einige Anwesende haben sich bei mir dafür entschuldigt, dass sich auch jüdische Menschen unter den Hatern und Trollen befinden, die unser Zusammenleben, meine Familie und mich attackieren.

Meine klare Antwort darauf ist: Das ist kein Grund zur Entschuldigung! Kollektivhaftung gibt es nicht, für niemanden. Und es wäre doch bizarr und wissenschaftlich verstörend, wenn sich bei über 15 Millionen Jüdinnen und Juden nur Gute und Tapfere, aber „keine“ extrem linken, libertären, rechten oder religiösen Dualisten finden würden.

Ich kenne überhaupt keine Religion und kein Volk, in der es keine Spannungen gäbe. Friedensstifter wurden immer auch aus den eigenen Reihen angegriffen. Der ägyptische Präsident Anwar al-Saddat wurde von islamischen Radikalen ermordet, der Mahatma Ghandi von hinduistischen, Solomon Bandaranaike von buddhistischen, Yitzhak Rabin von jüdischen und Martin Luther King jr. von christlichen Extremisten. Dass sich in Italien, Frankreich, Brasilien und auch Deutschland auch wenige jüdische Unterstützer für rechtsextreme Bewegungen gefunden haben, unterstreicht doch nur, dass Rabbi Sacks mit seiner Analyse Recht hatte: Niemand von uns ist alleine durch Herkunft oder Religionszugehörigkeit vor der Psychologie des Dualismus sicher! Wir sind und bleiben alle Menschen!

Ich gehe sogar einen Schritt weiter und behaupte, dass niemand den Antisemitismus überwunden hat, der ihn einfach umdreht: Wer aus „Alle Juden sind meine Feinde“ die Aussage „Alle Juden sind meine Freunde“ macht, leugnet immer noch die Vielfalt und Individualität der jüdischen Menschen. Und wehe, wenn diese es dann wagen, den allerhöchsten Ansprüchen nicht zu genügen! Dann kippt der Philosemitismus schnell wieder in den hasserfüllten Antisemitismus zurück.

Lange vor meiner Beauftragung war ich gemeinsam mit Stefan Kramer erfolgreich als Streitschlichter um den Bau der Synagoge Ulm tätig. Und die Anwesenden mögen mir verzeihen: Ich habe in den Diskussionen innerhalb der jüdischen Repräsentanz keine grundlegenden Unterschiede zum Oberkirchenrat oder den Ausschüssen unseres Landtags wahrgenommen. Überall begegnete ich Menschen. Und ehrlich gesagt kenne ich keine Religion oder Weltanschauung, die mit Fingerschnippen aus allen Angehörigen Heilige formen würde. Und wenn ich die hebräische und die christliche Bibel, den Koran, die Bhagavad Gita, die buddhistischen Sutras und die besten Schriften nichtreligiöser Philosophie richtig verstanden habe, dann lehren sie auch genau das: Dass wir alle uns auf einem Weg befinden – und noch nicht am Ziel.

Ich möchte den jüdischen Gemeinden daher heute kraft meines Amtes zusagen: In Baden-Württemberg dürfen Sie, dürfen wir alle gerne jeden Tag neu danach streben, „bessere Menschen“ zu werden. Aber Ihre Menschenwürde und Ihr Status als Religionsgemeinschaft hängen nicht davon ab, dass dies gelingt! Sie müssen genauso wenig wie alle anderen Badener und Württemberger „beweisen“, dass Sie hierhergehören, dass Sie ein gleichberechtigter und ein vollwertiger Teil von Baden-Württemberg sind! Sie sind es unabhängig von jeder Leistung!

Dafür, dass sich in jeder Tradition auch vereinzelt weniger sympathische Leute finden, muss sich niemand bei mir und bei uns entschuldigen.

Dann sollten wir in Politik und Medien aber auch aufhören, uns jüdische Stimmen aus dem Internet zusammen zu picken, die zu unseren jeweiligen Vorurteilen passen – sondern primär diejenigen stärken, die sich seit Jahrzehnten in den jüdischen Gemeinden engagieren und denen das Vertrauen in demokratischen Wahlen und Beauftragungen ausgesprochen wurde.

Wenn ich die Vorstände und Repräsentanten, die Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland und die Gemeinderabbiner in jeder Rede grüße, dann tue ich das nicht als Floskel und schon gar nicht aus Unterwürfigkeit, sondern als ehrliches Zeichen des Respekts. Sie, lieber Ebi Lehrer, liebe Barbara, liebe Mitglieder von Vorständen und Repräsentanzen haben sich das demokratische Vertrauen Ihrer Gemeinde in oft harten Jahren erarbeitet! Sie haben das Recht, nicht nur gegrüßt, sondern auch gehört zu werden! Ich würde mich doch als Christ auch ärgern, wenn irgendwelche lauten Stimmen aus dem Internet als Sprecher „der Kirchen“ gehandelt würden, statt zum Beispiel unserem neuen Landesbischof Gohl, Prälatin Arnold und den Dekanen Schwesig und Hermes zu lauschen! Ich bekenne es als Schwabe: Für Geistliche mit diesem Format entrichte ich gerne Kirchensteuer!

Kanarienvogel-Metapher überzeugt

Liebe Barbara, ich wollte Dir daher trotz meiner langen Skepsis heute auch einfach öffentlich sagen, dass mich die Belege für Deine Metapher des „Kanarienvogels im Bergwerk“ schließlich überzeugt haben. Du hast Recht:

Vor genau zehn Jahren, 2012, erschien die erste europaweite Befragung, in der Jüdinnen und Juden von Spanien bis Polen, von Großbritannien bis Deutschland berichteten, dass sie massiven Hass im Internet erlebten. Damals bekümmerte das nur wenige, aber heute ist es allgemeines Thema.

 

Ich war vor Kurzem als Redner zu einer Konferenz der Pressesprecherinnen und Pressesprecher in Regensburg geladen. Also redete ich; und danach standen Kongressteilnehmer Schlange, um mit mir zu besprechen, was Mitarbeitende in Städten, Gemeinden und Landkreisen, Unternehmen und Ehrenamtliche inzwischen an Hass und Trolling erleben. Sie waren dankbar dafür, dass endlich offen darüber gesprochen wird!

Es ist unglaublich und wäre eine eigene Rede wert, aber in Kürze: Jonathan Sacks hatte Recht. Der digital befeuerte Dualismus, der gegen Jüdinnen und Juden begonnen hat, ist längst zu einem Flächenbrand geworden, der auch in Deutschland immer mehr Menschen, vor allem Frauen und Eltern zweifeln lässt, ob sie sich überhaupt noch mit Klarnamen ins Internet wagen oder gar ein öffentliches Amt in einer demokratischen Religionsgemeinschaft, einer Partei oder gar der Kommunalpolitik „antun“ wollen.

Und hier in diesen Räumen begingen wir daher auch Kanarienvogel-mäßig den bundesweit ersten Landes-Sicherheitskongress mit Polizei und Innenministerium – drei Wochen „vor“ dem mörderischen Anschlag auf die Synagoge von Halle zu Jom Kippur 2019!

Dass die Innenministerkonferenz in Bund und Ländern im Dezember 2021 hier in der jüdischen Gemeinde Stuttgart tagte, war eben auch die Anerkennung dafür, dass wir hier gerade nicht „überempfindlich“, sondern wachsam gewesen sind!

Ebenso haben wir die erste Beauftragung gegen Antisemitismus und die ersten Polizeirabbiner Europas geschaffen, nicht weil wir „überempfindlich“ wären, sondern weil wir den Bedarf an Bildung und Begegnung, die digitale und gesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung früher erkannt haben als andere. Unsere Sicherheit und Demokratie werden wir nur erhalten, wenn wir gemeinsam für sie einstehen! Das lebendige Judentum in Baden-Württemberg ist also nicht nur, aber auch ein Kanarienvogel im Bergwerk – und wenn es singt, sollten auch nichtjüdische Menschen zuhören!

Noch besser ist es, wenn wir zusammen singen. Und auch das hat die jüdische Gemeinde Stuttgart erreicht. In der aktuellen Gemeindezeitung beschrieb Kantor Goldman die bewegende Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben.

Liebe Freundinnen und Freunde, lassen Sie uns doch mal staunen! Wer hätte es nach den Massenmorden des NS-Regimes denn für möglich gehalten, dass hier in der wiederaufgebauten Synagoge einmal Juden und Christen gemeinsam in Hebräisch zum Lobe G’ttes singen würden? Wer hätte es für möglich gehalten, dass wir in der Stadt einen „Rat der Religionen“ erleben würden, in dem Susanne Jakubowski, Michael Kashi und viele andere eine gestaltende Rolle spielen?

Nennen Sie mich gerne „überempfindlich“, wenn ich zugebe, dass ich bei manchen interreligiösen Terminen auch Tränen des Glücks in den Augen habe, weil es noch nie in der ganzen Geschichte der Menschheit ein so gutes Miteinander der Religionen gegeben hat wie gerade jetzt und gerade hier in Stuttgart! Wir schreiben Geschichte und merken es oft gar nicht! Gegenüber den Wundern des Erreichten sind wir oft nicht über-, sondern allzu unempfindlich!

Okay, ich gebe zu, ich bin befangen! Als mich ein Fernsehteam um einen Beitrag über „die Zukunft der Religonen“ bat, schlug ich einen Stuttgarter Gottesdienst mit Rabbi Pushkin vor. Und wie es gute Sitte für lernende Beter ist, steckte mir Kanton Goldman dabei ein Bonbon zu. Ich darf Ihnen sagen, dass dieses Bonbon fast so süß geschmeckt hat wie die Otto-Hirsch-Auszeichnung. Und diese war wiederum die zweitwichtigste Überraschung meines bisherigen Lebens, gleich nach dem Ja-Wort meiner Frau Zehra vor 26 Jahren!

Viele Male habe ich hier in Stuttgart noch erlebt, mit welchem Respekt Sie Alt-OB Manfred Rommel empfangen haben, der mit Ihnen gemeinsam die Otto-Hirsch-Auszeichnung gestiftet und noch im Rollstuhl Einladungen zu Rosch Ha-Schana angenommen hat. Für mich als damals deutlich jüngeren Menschen war es bewegend zu erleben, wie warmherzig ein demokratischer Politiker auch im Ruhestand aufgenommen wurde, der in jungen Jahren dem Hitler-Regime gedient hatte und erst durch den Widerstand und erzwungenen Suizid seines Vaters die Abgründe des Nationalsozialismus und Antisemitismus erfasst hatte.

Wer immer noch behauptet, das Judentum sei „unversöhnlich“ oder gar „rachedurstig“, zelebriere einen „Schuldkult“… hat nicht die geringste Ahnung von der Geschichte der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, ganz konkret hier in Stuttgart!

Hass und Trolling

Viele von Ihnen haben mich gefragt, woher der ganze Hass kommt, der seit 2018 vor allem durch das Internet über uns in Baden-Württemberg ausgekübelt wird. Auch für mich und meine Familie gibt es seitdem kaum einen Tag, in dem wir nicht bis in das private Leben und an den Arbeitsplatz meiner Frau mit rassistischen und sexualisierten Beschimpfungen, Verleumdungen und auch Drohungen angegriffen werden. Einer der schlimmsten Trolle hat dabei auch schon mehrere Mitglieder Ihrer jüdischen Gemeinde sowie des diplomatischen Korps des Staates Israel angegriffen!

Der Schutz gegen solche gewalttätige Kommunikation ist bisher sehr schwach. Und dann hat auch noch eine Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft in Sachsen das Verfahren gegen einen Twitterer eingestellt, der mich öffentlich als „falschen Juden“ diffamierte, der sein „Daseinsrecht verwirkt“ habe.

Unsere Landespolizei hatte ihn mit hohem Engagement ermittelt, doch die deutsche Justiz drückte leider wieder einmal ihr rechtes Auge zu und stellte das Verfahren ohne Anklage ein. In Sachsen – aber eben bisher nur in Sachsen – dürfen Sie straffrei verkünden, dass ich ein falscher Jude ohne Daseinsrecht wäre.

Ebenso tue ich mich schwer mit der Nachgiebigkeit gegenüber „Israel ist unser Unglück“-Plakaten in Baden, so dass Ihre Schwestergemeinde der IRGB sogar ein sogenanntes „Klageerzwingungsverfahren“ anstrengen musste. Oder mit der mehrfachen Milde gegenüber einem deutschen Neonazi, dessen Verhaftung heute aus Großbritannien gemeldet wird. Es beschämt mich, wenn von einzelnen Stellen immer noch höhnische Judenstern-Gleichsetzungen verniedlicht oder Rechtslibertäre wie Elon Musk offiziell hofiert werden.

Derzeit kämpfe ich gemeinsam mit Anwalt Chan-jo Jun darum, dass auch auf Twitter endlich deutsches Recht gilt und die Menschenwürde endlich so geschützt wird wie das Urheberrecht. Ich träume von einem Netz, in dem einmal jede Frau, jeder Mann und auch junge Menschen unter vollem Namen ihre Meinung äußern können, ohne dafür jahrelanges Trolling, SLAPP-Klagen oder gar Drohungen befürchten zu müssen. Ich habe es daher der „Jüdischen Allgemeinen“ gesagt und sage es hier: Es sollte uns Sorgen machen, wenn Trump-Fan Musk, der u.a. den kanadischen Ministerpräsidenten Trudeau mit Hitler gleichsetzte, noch mehr Einfluss über digitale Medien gewinnen sollte!

Wehrhafte Demokratie

Bei allen Fortschritten, die ich vor allem im Bereich der Polizei und manchmal auch bei der Justiz in der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus durchaus sehe, bin ich also wirklich „empfindlicher“ geworden für die immer noch mangelnde Wehrhaftigkeit unserer Demokratie, vor allem unserer Justiz und Medien.

Umso mehr hat mich der Beschluss des Verwaltungsgerichtes Stuttgart vom 22.09.2022 bewegt, den ein Berliner Blogger und Jurist eingefordert hatte. Der bemerkenswerte, inzwischen auch im Netz veröffentlichte Beschluss des Stuttgarter Gerichts bestätigte erstmals, dass folgende meiner Aussagen auf einem – Zitat – „im Wesentlichen zutreffenden Tatsachenkern“ beruhen: „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie und ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden.“

Wenn der Beschluss auch einige weitere Einschränkungen für mein Amt mit sich brachte, so war und bin ich doch schon alleine für die erstmalige, juristische Anerkenntnis des digitalen Trollings bereit, ihn zu akzeptieren. Es ist die Gegenseite, die den Beschluss zunächst als vermeintlichen Sieg über Berliner Medien feierte, ihn aber inzwischen anfechtet!

Und wenn Sie über dieses spannende Kapitel der Stuttgarter Rechtsgeschichte noch nichts gelesen haben, so wundern Sie sich bitte nicht: In der Berliner WELT erschien eine Kommentierung dieses VG-Beschlusses mit einem Foto von mir, für die aber nur der teilweise gescheiterte Blogger um eine Stellungnahme gebeten worden war – ich nicht. Diverse Agenturen und dann leider auch regionale und lokale Medien in Baden-Württemberg übernahmen diesen einseitigen „Spin“ dann ebenfalls ohne eine einzige Nachfrage bei mir und sogar mit weiteren Verkürzungen, ohne die Sache auch nur einmal nachzuprüfen.

Ähnliches hatten wir als Baden-Württemberger bereits mit dem sogenannten „Wiesenthal-Center Los Angeles“ erlebt. In den jüdischen Gemeinden ist weithin bekannt, dass bereits der späte Simon Wiesenthal (1908 – 2005) entsetzt über den Missbrauch seines in gutem Glauben verliehenen Namens in den USA war und deswegen sein Vermächtnis dem seriösen Wiesenthal-Institut in Wien übergab. Ich habe es diesen Sommer besucht, die wunderbaren, vor allem wissenschaftlich Engagierten dort getroffen und einen Vortrag im Ansehen auch der Aktentasche des echten Simon Wiesenthal gehalten.

Dass sog. SWC L.A. ist dagegen längst auf Trump-Kurs eingeschwenkt, der unsere Europäische Union als „foe“ / Feind bezeichnete. Seit Jahren greift dieses Center mit willkürlichen Prangerlisten ohne Anhörung der Betroffenen und der gewählten, jüdischen Gemeindeleitungen immer wieder demokratische und europäische Politiker:innen an. Wenige Monate vor der Verleumdung von Baden-Württemberg behauptete es mit Donald Trump und gegen das FBI sogar mit einem Symbolbild schwarzer Menschen, „die Antifa“ sei eine „Terrororganisation“, die polizeilich verfolgt werden sollte!

Auf den zu Recht ungehaltenen Brief unseres gewählten Ministerpräsidenten Kretschmann hat dieser unseriöse Trump-Verein bis heute nicht einmal geantwortet! Dabei sind wir ein demokratisches Land mit mehr Einwohnerschaft als unsere Nachbarn Österreich und Schweiz, Heimat aller Weltreligionen und eben auch lebendiger, jüdischer Gemeinden!

Ich kann Ihnen und uns die bittere Wahrheit also leider nicht ersparen: Die durch das Mehrheitswahlrecht zusätzlich polarisierte, durch einen auch von QAnon-Verschwörungsgläubigen betriebenen Putschversuch und am Rande eines Verfassungskrise stehende Republik der USA ist bereits so stark unter Druck, dass sie den guten, österreichisch-jüdischen Namen von Simon Wiesenthal nicht einmal mehr vor schwerem Missbrauch beschützen kann.

Die nächsten Kongress- und Präsidentschaftswahlen entscheiden über das demokratische Schicksal der Vereinigten Staaten. Und wir in Baden-Württemberg werden von US-Dualisten angegriffen nicht „obwohl“, sondern „weil“ wir gemeinsam interreligiös, demokratisch und antifaschistisch erfolgreich sind.

Ich glaube also nicht, dass ich „überempfindlich“ bin, wenn ich mir auch in Baden-Württemberg stärkere Medien wünsche, die nicht länger auf solche feind-seligen Spins und Schlagzeilen hereinfallen, sondern die mutiger und tiefer recherchieren, von wem und warum unser Zusammenleben in „The Länd“ immer heftiger und vor allem digital angegriffen wird! 

 

Zum Abschluss

 

Liebe Freundinnen und Freunde, wie Sie sich also vorstellen können, bin auch ich manchmal tief erschöpft und am Zweifeln. Es gibt Tage, da möchte ich ein ruhigeres Leben mit weniger Hass und weniger Sorgen um meine Familie und mein Team. Es lebt sich so viel leichter als Mitglied einer gesellschaftlichen Mehrheit, die es sich leisten kann, gegenüber Antisemitismus, Rassismus und Sexismus „unempfindlicher“ zu sein.

Dass ich bisher nicht aufgegeben habe, liegt an der wunderbaren Unterstützung meiner Familie, meines kleinen, aber unglaublich fleißigen und tapferen Teams im Staatsministerium und, ja, auch an der Religion. Denn unsere Arbeit macht nicht immer Freude, aber meistens Sinn. Ich möchte also mit einem guten Wort unseres Gemeinde- und Polizeirabbiners Shneur Trebnik ebenfalls aus der aktuellen Gemeindezeitung zum Ende kommen.

Shneur beschreibt darin – meines Erachtens zu Recht –, dass sich auch der Brandanschlag gegen die Synagoge Ulm am 5.6.2021 nicht einfach diffus „gegen alle“, sondern gezielt gegen „Licht und Heiligkeit“ gewandt hat.

Wir kamen daher zu Hunderten zusammen, Juden und Nichtjuden, und noch am gleichen Schabbatabend lud der Rabbi daher auch Nichtjuden wie Wilhelm Gohl – inzwischen zu Recht Landesbischof – und anwesende Landtags- und Bundestagsabgeordnete wie Manuel Hagel zum gemeinsamen Gebet in die Synagoge ein. Denn Rabbi Trebnik meinte, dass wir diesem Antisemitismus am besten begegnen, in dem wir ihm mehr Licht entgegenhalten. Ich zitiere aus seinem aktuellen Artikel:

„Nicht nur dass die Tat, G’tt sei Dank, dem Täter nicht gelungen ist, nein, genau umgekehrt, es wird jetzt noch mehr Judentum und Heiligtum in Ulm, um Ulm, und um Ulm herum geben. Mehr Leute werden zum Gebet kommen, mehr Gebete sollen in der Synagoge angeboten werden. Feiertage sollen größer gefeiert werden. Es, das Ganze, soll sicht- und spürbar sein. Und mit voller positiver Energie.“

Das ist es, liebe Freundinnen und Freunde, was ich auch erlebe und warum ich Ihnen trotz aller Angriffe auch gegen meine Person und gegen meine Familie nicht sauer bin, dass Sie mich für die Beauftragung gegen Antisemitismus vorgeschlagen haben:

 

Wir Baden-Württemberger werden nicht angegriffen, weil wir zu wenig tun würden, sondern weil wir gemeinsam so viel erreicht haben! Wer aus antisemitischen oder generell dualistischen Gründen das Zusammenleben der Religionen, die Staatsform der Demokratie, die Würde von demokratisch Gewählten und Ernannten in staatlichen und religiösen Parlamenten ablehnt, der „muss“ unser Baden-Württemberg und jede einzelne lebendige Synagogengemeinde und interreligiöse Familie darin logischerweise hassen. Hater aller Völker können nicht verstehen, dass Ukrainerinnen und Russen, auch jüdische Überlebende der Schoah und deren Nachkommen, bei uns Zuflucht suchen und finden. Sie können nicht verstehen, dass wir heute Sukkot und Rosch Ha-Schana gemeinsam begehen!

Einen der ersten deutsch-jüdischen Staatsverträge zu verhöhnen, den ersten Beauftragten gegen Antisemitismus einer deutschen Regierung fertig zu machen, das Zusammenleben der Religionen in unseren Städten zu beschädigen – all das wäre ein digitaler Zwischensieg, um auch den Kanarienvogel des Judentums im Herzen Europas wieder zum Schweigen zu bringen. Und ich persönlich kann ja nicht mal ordentlich mitsingen, sondern nur reden und schreiben!

Doch solange ich mit Ihnen, mit Euch auch die schönen, die lichten und sogar heiligen Momente erleben und feiern darf, möchte ich mit Ihnen für unser Land und unser Zusammenleben einstehen, nicht aufgeben und nicht verstummen. Solange die Kinder der jüdischen Grundschule Stuttgart uns jedes Jahr Mut zusingen, haben wir doch gar kein Recht, aufzugeben!

Lassen wir als jüdische und nichtjüdische, als demokratische Bürgerinnen und Bürger also gemeinsam nicht zu, dass unsere Zukunft in Vielfalt wieder zerstört wird. Lassen Sie uns feiern und verteidigen, was wir gemeinsam in Baden-Württemberg erreicht haben! Bleiben wir miteinander, füreinander – empfindlich!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – Gesegnetes Sukkot & Schana Tova!

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

6 Kommentare

  1. @Hauptartikel

    „Lassen wir als jüdische und nichtjüdische, als demokratische Bürgerinnen und Bürger also gemeinsam nicht zu, dass unsere Zukunft in Vielfalt wieder zerstört wird.“

    Ein Versuch ist es wert, allemal. Aber wie stark sind wir noch? Wir im Westen haben über Jahrhunderte einen technischen Vorsprung gehabt, mit der Folge, die Welt dominieren zu können. China hat inzwischen nachhaltig nachgeholt, und wir müssen inzwischen damit leben, dass wir nicht mehr die Einzigen sind, wo man fortgeschrittene Technik aller Art einkaufen kann.

    Neben unserer Wirtschaft ist jetzt aber auch unser demokratisches Modell weniger dominant. Und jetzt kommt noch dazu, dass einige demokratische Länder sich anscheinend zumindest teilweise selber zerlegen. Was passiert, wenn Trump wiedergewählt wird?

    Putin droht hin und wieder mit Atomwaffen, und wir reagieren schärfstens verurteilend, und im gleichen Satz noch, dass wir uns auf keinen Fall erpressen lassen. Wie sieht es aber aus, wenn ein neuer Trump sich von der Unterstützung für die Ukraine zurückzieht? Wir haben vermutlich auch ohne die USA auf konventionellem Gebiet genug militärisches Potenzial, um Russland weiterhin aufzuhalten. Aber auf atomarem Gebiet in keinster Weise, hier haben wir Russland wenig entgegenzusetzen.

    Es kann sich dann eine Situation ergeben, dass Selenskyj militärisch so erfolgreich ist, dass er die derzeit besetzen Gebiete zurückerobern kann. Ohne die USA im Hintergrund kann dann Putin sich tatsächlich mit Atomwaffen effektiv schützen, und die ukrainische Armee nachhaltig reduzieren, und sich die besetzten Gebiete so sichern.

    Das ist, denke ich, eine Möglichkeit. Wir können ohne die USA da dann wenig gegen tun.

    Im 2.Weltkrieg hat die demokratische Welt nur gewonnen, weil die beiden stärksten Gegner, Hitler und Stalin, aufeinander losgegangen sind. Hätten die weiterhin zusammengearbeitet, wäre der 2. Weltkrieg vielleicht ganz anders ausgegangen.

    Von daher, müssen wir vielleicht mehr auf die globalen Verhältnissen gucken, und berücksichtigen, dass wir als demokratisch-pluralistisch Orientierte keine Übermacht mehr haben? Und uns entsprechend auf den Erhalt unserer eigenen Freiheit konzentrieren, und uns selbst u.a. mit einer erfolgreichen Energiewende unabhängig von Autokraten machen. Um dann in einer autokratischeren Welt wenigstens selber frei bleiben zu können.

    • Vielen Dank für das Interesse, @Alubehüteter.

      In “Wenn nicht wir, wer dann?” formulierte Prof.in Barbara Traub schließlich in einem anderen, m.E. noch tieferen Sprachbild:

      “Wir sind sensibilisiert und werden es auch bleiben. Und wir reagieren manches Mal wie Seismographen, indem wir Gefahren wahrnehmen, die noch unter der Oberfläche schwelen.” (S. 151)

      Aber dazu werde ich – so G’tt will – einmal an anderer Stelle sprechen und schreiben!

  2. Die Benutzung des Begriffs “Judendeutsch” ist aber sehr fraglich. Das ist ein veralteter Begriff und wurde meist abwerten verwendet.
    komisch, dass Sie als Antisemitismusbeauftragter das nicht wissen oder haben Sie diesen Begriff bewusst verwendet?

    • Ja, @Sabine Quandt, ich verwende den historischen Begriff „Judendeutsch“ sehr bewusst, um ihn wieder ins Bewusstsein zu bringen und aufzuwerten. Seine Verstoßung und Abwertung im modernen Deutsch nehme ich ebensowenig hin wie die Verwendung von „Jude“ als Schimpfwort auf Schulhöfen. Ich denke, hier sollten wir sehr bewusst für einen besseren Sprachgebrauch kämpfen.

      Einen ausführlichen Blogpost genau dazu habe ich mir erlaubt hier einzustellen:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/warum-jiddisch-judendeutsch-nicht-judengermanisch-und-warum-das-wichtig-ist/

      Ihnen Dank für Ihr Interesse, bitte bleiben Sie dran! 🙏🙌

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