Iran in der Krise – Die Frauen-Revolution als letzte Chance vor der Klima- und Wasserkrise

Von allen meinen bisherigen Büchern wirkt bisher “Islam in der Krise” (Patmos 2017) am stärksten. Es erreichte die SPIEGEL-Bestsellerliste und liegt bereits in 3. Auflage vor. Vor allem aber werde ich immer wieder von (gerade auch muslimischen!) Leserinnen und Lesern auf die Daten, Beobachtungen und Prognosen abgesprochen – derzeit vor allem zum Iran. Denn dass der Zerfall des Ressourcenfluch-Regimes eingesetzt hat und auf die islamische nun eine iranische Revolution folgt, wird von kundigen Reporterinnen wie Düzen Tekkal täglich berichtet.

Harald Stutte fragte für RND Mahdi Rezaei-Tazik, Ali Fathollah-Nejad und mich über die Revolution und Säkularisierung im Iran.

 RND-Gespräch zur Krise der islamisch-schiitischen Theokratie im Iran. Screenshot: Michael Blume

Die letzte Chance für eine Zukunft des Iran?

Persönlich bange ich sehr mit den mutigen Revolutionär:innen und ihren Rufen seit der Ermordung der iranischen Kurdin Mahsa Amini: “Jin – Jiyan – Azadi, Frauen – Leben – Freiheit”. Denn das iranische, auch zutiefst antisemitische Regime greift nach der Atombombe, finanziert sich fast nur noch aus Rohstoff-Einnahmen und -Schmuggel und versucht die junge und zunehmend Islam-kritische Generation durch Verhaftungen, Folter, Hinrichtungen und vor allem Vertreibungen zu unterdrücken. Trotz brutaler Verfolgungen wenden sich dabei viele Iraner:innen dem Christentum, den Bahai, regimekritischen Traditionen des Sufismus oder auch vor-islamischen Traditionen des Zoroastrismus zu. Und während das Existenzrecht von Israel nach wie vor antizionistisch = antisemitisch bestritten wird, hält auch eine schrumpfende, jüdische Gemeinde tapfer durch.

Da die iranischen Geburtenraten schon länger unter der sog. Bestandserhaltungsgrenze sind, die Korruption grassiert und die Klimakrise zu massivem Wassermangel einschließlich des Vertrocknens der Flüsse führt, könnte schlimmstenfalls ein autoritäres Gewaltregime alter Männer wie in Russland und China drohen. Dann wäre der Iran wohl auch als Staat mittelfristig dem Untergang geweiht. Der derzeitige, heldenhafte Versuch so vieler Frauen und Männer, statt der verkrusteten Theokratie eine säkulare Republik einzuführen, könnte also tatsächlich so etwas wie eine letzte Chance sein. Sollte es dagegen dem Regime gelingen, sich mit Gewalt an der Macht zu halten, immer mehr kritische Bürger:innen zu vertreiben und sogar einen Nachfolger für den greisen “Obersten Führer” Ali Chamenei zu installieren, wird es für eine der bedeutendsten Kulturen des eurasischen Gürtels sehr finster. Für diesen Fall prognostizierte ich nicht weniger als eine Zukunft voller Hitzemord-Gewalt. Es wäre eine Katastrophe, weit über die Region hinaus.

Ja, ich weiß: Bücher vermögen die Welt nur sehr wenig zu verändern. Doch sie können helfen, sie besser zu begreifen.

Auch von Gert Scobel empfohlen: “Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug“. Screenshot: Michael Blume

Und weil ich auch diesen Blogpost nicht mit einer Eigenempfehlung beschließen möchte, hier ein Hinweis zur (englischsprachigen) Videoreihe von Shruti Mandhani zur Wissenschaftskommunikation. Abgesehen davon, dass ich eher Mastodon als Twitter auch für diese Zwecke empfehlen würde, stimme ich diesem Video vollständig zu! 🙂

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

9 Kommentare

  1. Zitat aus obigem Beitrag:

    Sollte es dagegen dem Regime gelingen, sich mit Gewalt an der Macht zu halten, immer mehr kritische Bürger:innen zu vertreiben und sogar einen Nachfolger für den greisen “Obersten Führer” Ali Chamenei zu installieren, wird es für eine der bedeutendsten Kulturen des eurasischen Gürtels sehr finster. Für diesen Fall prognostizierte ich nicht weniger als eine Zukunft voller Hitzemord-Gewalt. Es wäre eine Katastrophe, weit über die Region hinaus.

    Zustimmung. Nur sollte man von der Demokratie nicht zu viel erwarten. Im Problemlösen, etwa was die Klimakrise angeht, ist die Demokratie nicht von vornherein im Vorteil. Hier auf scilogs, gibt es sogar einige Kommentatoren, die immer wieder den fehlenden Sachverstand des breiten Volkes hervorheben und die für eine Expertokratie, jedenfalls eine von Sachverstand geleitete Regierung als Ideal eintreten.

    Doch für die Demokratie spricht etwas ganz anderes als der kollektive Sachverstand.
    Bei der Demokratie geht es in meinen Augen nicht unbedingt um bessere Lösungen, sondern darum, dass die grundlegenden Ziele und Bestrebungen der Bevölkerung einen sehr hohen Stellenwert haben, ja nicht ignoriert werden können.
    Angewendet auf den Iran bedeutet das konkret: Der Iran nimmt Sanktionen in Kauf nur um sein Ziel zur atomaren Macht zu werden, realisieren zu können. Meine Behauptung: Die meisten Iraner wollen gar nicht, dass der Iran eine atomare Macht wird. Und ganz sicher wollen sie nicht die wirtschaftlichen Nachteile, die Sanktionen, die sich durch das Festhalten an diesem Ziel für sie ergeben. Das bedeutet: Der Iran verfolgt Ziele, die nicht den Zielen der Mehrheit seiner Bevölkerung entsprechen.

    Kurzum: Demokratie bedeutet die Herrschaft der Wünsche und Ziele des Volkes und verhindert, dass Herrscher das Volk als Mittel für ihre eigenen Visionen benutzen können.

    • Ja, @Martin Holzherr – so ist es. Auch Demokratien tun sich schwer mit Ignoranz und vor allem Reaktanz.

      Allerdings können sich in ihnen Wissenschaftler:innen frei und auch kritisch am Diskurs beteiligen (vgl. das Blogportal scilogs.spektrum) und viele Wähler:innen schauen auch schon über den Tellerrand hinaus. Wie heftig dagegen Diktaturen alter Männer nicht nur an der Klimakrise, sondern auch an der Covid19-Pandemie scheitern, ist derzeit in China, Russland, Nordkorea usw. zu sehen. Und während die Folgen des erhöhten CO2-Ausstoßes global sind, so wirkt doch die unterschiedlich starke Anpassung und Resilienz etwa auf den Süßwassermangel ganz klar regional und lokal. Derzeit profitieren Tyrannen noch von der Abwanderung kritischer Leute, doch auf Dauer richten sie ihre Länder auch damit zugrunde.

    • Die drei zentralen Leistungsmerkmale der (liberalen) Demokratie sind :

      1.) Herrschaft des Volkes, des Staatsvolkes

      2.) friedliche ritualisiert erfolgende Machtwechsel (Popper legte darauf besonderen Wert, mehr fast als auf (1), Popper war Elitist)

      3.) Systemfeindschaft von Feinden des Herrschaftssystems kann ausgehalten werden, nur dieses Herrschaftssystem erlaubt diesbezügliches Aushalten, solange nicht gegen Gesetze verstoßen wird, was “eine ganze Menge an Ressourcen” einspart, andere Herrschaftssysteme müssen einen großen Apparat unterhalten um hier bedarfsweise zu knechten (Webbaer legt darauf besonderen Wert, Popper ist dieses wichtige Leistungsmerkmal womöglich entgangen).
      Außerdem gibt es die sog. integrative Kraft der Demokratie, Systemfeinde werden insofern, älter und weiser geworden, oft ins System zurück geholt, weil es eben tolerant und nett ist.
      Beispiele könnten genannt werden.

      MFG
      WB

    • Bonuskommentar hierzu :

      Hier auf scilogs, gibt es sogar einige Kommentatoren, die immer wieder den fehlenden Sachverstand des breiten Volkes hervorheben und die für eine Expertokratie, jedenfalls eine von Sachverstand geleitete Regierung als Ideal eintreten.

      Es gibt ja diese Stimmen, die sich fragen, ob bei großen Krisen die (liberale) Demokratie noch die richtige Herrhschaftsform sei, bspw. Louisa Neubauer ist hier unverständig und bösartig genug, um hier mitzufragen.
      Sie ist abär auch ein schönes Beispiel dafür, dass solche Personen nicht an die Macht kommen können, auch die nur wenig bessere Annalena Baerbock ist in der Demokratie sozusagen wie mit einem Bleischild von Anderen umgeben und kann sich nicht austoben – Checks and Balances :
      -> https://de.wikipedia.org/wiki/Checks_and_Balances
      Sollte sich derartige Einstellung allerdings en masse durchsetzen, ist es mit der Demokratie vorbei, so darf dem Böckenförde-Diktum folgend geschlossen werden.

  2. Herzlichen Glückwunsch zum Sieg gegen Twitter.

    Ich befürchte, auch eine Demokratie kann die ökologischen Probleme des Iran nicht mehr rechtzeitig lösen. Und es geht natürlich auch um soziale und wirtschaftliche Probleme.
    Tunesien ist nach der Revolution wirtschaftlich auch nicht viel weiter gekommen. Dazu braucht es viele Reformen.
    Trotzdem wünsche ich einen Sieg der Revolution. Dazu müssten aber wohl die Revolutionsgarden die Seiten wechseln. Das ist ein Staat im Staate. Wie groß sind die Chancen dafür?

    • Entschuldigen Sie, dass ich nachfrage, @Käthe Parlow – aber Ihre Satzfetzen und „Heil“-Beschimpfungen lesen sich so, als ob Sie lediglich einen marktfeindlichen Dualismus anzubieten hätten. Oder hätte ich da argumentative Substanz übersehen?

  3. Auch wenn die mutigen Männer und Frauen Erfolg im Kampf gegen die iranische Theokratie haben sollten, wird der Export von Erdgas und Erdöl weitergehen. Vermutlich wird die Förderung noch deutlich ansteigen, weil
    1. Die Sanktionen werden fallen, die gegen das theokratische Regime verhängt wurden.
    2. Der weltweite Hunger nach Energie wird in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. „Peak Oil“ und „Peak Gas“, also die Höhepunkte der Öl- und Erdgasförderung, sind noch lange nicht erreicht.
    3. Die iranischen Förderanlagen leiden an einem Mangel an moderner Technologie – und diese werden die demokratischen Industrieländer nach einem Wechsel zu einem demokratischen Iran zur Verfügung stellen. Dadurch dürften in wenigen Jahren neue Höchstwerte bei er iranischen Öl- und Gasförderung erreicht werden.
    4. Wenn die demokratischen Kräfte siegen, sind sie mit einem immensen Nachholbedarf an Modernisierung in allen Bereichen konfrontiert. Dazu sind riesige Geldmengen erforderlich, die auch in einem demokratischen Iran auf viele Jahre hinaus nur durch Rohstoffexporte erwirtschaftet werden können.
    5. Das Bevölkerungswachstum im Iran wird noch auf Jahrzehnte hinaus weitergehen, Auch wenn „die iranischen Geburtenraten schon länger unter der sog. Bestandserhaltungsgrenze sind“, wird sich das lineare Wachstum (immerhin kein exponentielles Wachstum mehr!) fortsetzen. Ein gutes Beispiel liefert die Volksrepublik China: seit ca. 1980 gilt die „Ein-Kind-Politik“, aber die chinesische Bevölkerung stieg noch 40 Jahre lang an, wenn auch mit abnehmender Wachstumsrate.

    Fazit: auch ein säkularer, demokratischer Iran wird Erdöl und Erdgas in enormen Mengen exportieren (müssen); die exportierten Mengen werden höher liegen als in den bleiernen Jahren und Jahrzehnten der theokratischen Diktatur. Die größte Hoffnung für einen demokratisierten Iran dürfte der Verzicht auf den Griff nach der Atombombe sein.

  4. So geht es halt nicht :

    A)
    ‘Bei allem Respekt vor kulturellen und religiösen Unterschieden: Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts [Hervorhebung : Dr. Webbaer] mit Religion oder Kultur zu tun. Dann ist das schlicht ein entsetzliches Verbrechen.’ [Quelle]

    B)
    ‘Herr Präsident,
    zum Nationalfeiertag der Islamischen Republik Iran übermittle ich Ihnen, auch im Namen meiner Landsleute, meine herzlichen Glückwünsche.’ [Quelle]

    Kommentar :
    Nichts gegen ‘Klima- und Wasserkrise’ natürlich, so könnte dort in gemeiner Region ebenfalls vorliegen, anzunehmenderweise.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

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