Intelligent Design – wirklich intelligent?

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution. Wohl jeder an Evolutionsforschung Interessierte hat dieses Zitat des berühmten Biologen Theodosius Dobhzansky schon einmal gehört. Doch nur wenige wissen: Es war die Überschrift eines Artikels, mit dem der gläubige Christ Dobzhansky die Vereinbarkeit von Bibel und Koran mit der Evolutionstheorie verteidigte.

Kreationisten, die Gott eine Schöpfung voller irreführender Hinweise zutraute, warf er nicht nur (teilweise bewusstes) Unwissen, sondern auch Gotteslästerung – "Blasphemie" – vor. Stattdessen zitierte er Pater Teilhard de Chardin, der schon zuvor (wie auch der Mitentdecker der Evolutionstheorie, Alfred Russel Wallace) ebenfalls Evolutionsbiologie und Gottesglauben verbunden hatte. (Artikel-Download als pdf hier.)

Theodosius Dobzhansky (1900 - 1975)

Kreationismus – Intelligent Design

Nachdem das plumpe Beharren auf eine wortwörtliche Schöpfungserzählung nach der Bibel von ca. 4.000 Jahren kaum noch haltbar war, entwickelten sich neue Varianten, die unter dem Stichwort des "Intelligent Design" firmieren. Die Botschaft lautete nun: Die Komplexität des Lebens lasse sich allein durch die Evolutionsbiologie nicht erklären, vielmehr sei das Eingreifen eines "intelligenten Designers" (also Gottes oder in atheistischen Versionen auch von Außerirdischen) notwendig.

ID – Gottesdienst? Oder Blasphemie?

Wieder stellt sich die Frage, ob es sich bei den monotheistischen ID-Varianten tatsächlich (wie von den Anhängern behauptet) um einen Gottesdienst handelt – oder doch eher um eine Beschränkung und ggf. sogar Beleidigung Gottes?

Denn was wäre eigentlich von einem Schöpfer zu halten, der ein großartiges Universum mit grandiosen Naturgesetzen schafft – dabei aber so stümperhaft vorgeht, dass er allerorten quasi mit der Zange nachhelfen muss? Ist ein solcher, Seiner Schöpfung hinterher reparierender ID-Gott nicht eigentlich eine recht komische Vorstellung? Evolutionäre Theisten halten dagegen die Evolution selbst für einen Weg, über den Sich Gott das Universum schafft und in ihm offenbart.

Biologischer Erfolg als Argument gegen rationalistischen Hochmut?

Und doch gibt es eine Beobachtung, die (atheistische wie theistische) Vertreter der Evolutionstheorie nicht einfach vom Tisch wissen können: Kreationismus und ID mögen wissenschaftlich und auch theologisch bzw. religionsphilosophisch als lächerlich erscheinen – sind aber biologisch erfolgreich. Kreationistische Gemeinschaften wie das orthodoxe Judentum (Beitrag hier), die Amischen (Beitrag hier) u.v.m. zeichnen sich durch einen durchschnittlich hohen Reproduktionserfolg ihrer Mitglieder aus. Auch wegen ihres Glaubens und gemeinschaftlichen Zusammenhalts haben sie wieder und wieder Vertreibungen und Verfolgungen überlebt und ihre religiös-kulturelle Identität bewahrt. Gerade wer gegen allzu schlichte, theistische Deutungen des Naturprozesses eintritt, sollte umgekehrt auch nicht in die rationalistische Falle tappen: Es gibt nicht das geringste Anzeichen dafür, dass sich der Evolutionsprozess allein in Richtung formaler Logik entwickeln würde. In den Worten des Begründers der Soziobiologie, Edward O. Wilson: "Der menschliche Geist ist ein Mittel zu Überleben und Reproduktion, und Vernunft ist nur eine seiner verschiedenen Techniken."

Biokulturelle Evolution oder Gen-Kultur-Koevolution (Schaubild, Blume 2009)

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

17 Kommentare

  1. Willensfreiheit

    Lieber Michael,

    unglaublich spannendes und wichtiges Thema – und gute Annäherung.

    Dennoch glaube ich nicht, daß es richtig ist, von Amischen oder orthodoxen Juden PER SE zu behaupten, sie wären “Kreationisten”. “Kreationist” kann heute nur jemand sein, der das Gegenteil davon einigermaßen gut kennen gelernt hat und sich dennoch bewußt für die Bibelversion (oder Annäherungen an diese) entscheidet.

    Von vielen Amischen – und sicherlich auch orthodoxen Juden – wird man das nicht behaupten können. Sie glauben naiv an die Inhalte ihrer Bibel und haben sich mit Alternativen zum Bibelglauben oft noch nie ernsthaft und konkret auseinandergesetzt.

    Das ist aber Voraussetzung, um mehr als ein “naiver” Kreationist zu sein. Man kann deshalb nicht sagen, daß “Kreationismus” per se biologisch erfolgreich ist, höchstens seine “naive” Form.

    Für Kreationismus per se müßtest Du die Untergruppe der naturwissenschaftlich informierten Kreationsten auf ihre demographischen Parameter hin untersuchen.

    Natürlich sind Menschen, die heute immer noch (und zwar möglichst naiv) angepaßt leben an frühere geistig-moralische Lebensformen, evolutiv besser angepaßt, als Menschen, die sich auf die Suche nach neuen evolutiven Anpassungen gemacht haben, diese aber noch nicht erreicht haben.

    Die menschheitgeschichtlichen Prozesse seit der Aufklärung sind einfach Suche nach neuen angepaßten menschlich-gesellschaftlich-philosophisch/religiös bestimmten Lebensformen. Wie will man denn das sonst interpretieren im evolutiven Rahmen?

    Und Evolution hat – zumal in Phasenübergängen – immer schon viel “experimentiert” und dabei auch viele Lebensformen in Kauf genommen, die zum Aussterben verurteilt waren. Das ist – MEINER Meinung nach – eine Form der Evolution, um “Willensfreiheit” sicherzustellen. Wir sind nicht per definitionem darauf festgelegt, uns evolutiv angepaßt zu verhalten.

    Freilich ist Willensfreiheit etwas evolutiv riskantes. Entsprechend formulierte auch I. Eibl-Eibesfeldt recht treffend: “Der Mensch, das riskierte Wesen”.

  2. @ Ingo: Naivität

    Lieber Ingo,

    danke für Deinen interessanten Beitrag, dem ich weithin zustimmen kann!

    Zum einen hast Du natürlich Recht: Schon im Hinblick auf das orthodoxe Judentum findet man neben direkter Ablehnung sehr unterschiedliche Positionen zur Evolutionstheorie, zumal hierbei nicht wenige Menschen universitäre bzw. auch naturwissenschaftliche Ausbildungen vorweisen.

    Bei den Amischen ist es aber gerade ja das eigene, nicht weiterführende Schulsystem, die die von Dir bezeichnete “Naivität” gegenüber naturwissenschaftlichen Erkenntnissen absichert. Die Naivität ist also nicht einfach eine Folge von Verzögerung, sondern gewollt herbeigeführter Strukturen – der Streit um die Amisch-Schulen ging mehrfach bis vor die Bundesgerichte.

    M.E. liegt hier eine paradoxe Situation vor, die sich auch im Hinblick auf viele evangelikale Schulen stellt: Einerseits betrachten wir den Zugang zu auch naturwissenschaftlichem Wissen als unerläßlich, andererseits müssen wir zugestehen, dass sich Menschen auch außerhalb dieses Wissens Lebenswege geschaffen haben – und mit ihren eigenen Weltanschauungen oft glücklicher und auch biologisch erfolgreicher agieren.

    Eine freiheitliche Gesellschaft wird solche Devianz dulden müssen. Damit aber geht die gängige Annahme, wonach die Zukunft der Menschheit zunehmend säkular, wissenschaftlich und rational strukturiert sei, den Bach runter. Das Universum scheint nicht so beschaffen zu sein, dass es automatisch einen solchen “Fortschritt” hervorbringe. Oder werden sich in Zukunft doch noch Brücken zwischen den wissenschaftlichen und religiösen Welten auftun, von deren Existenz wir heute noch nichts ahnen? Ich mag es hoffen.

    Herzliche Grüße!

    Michael

  3. Zu “Der menschliche Geist ist ein Mittel zu Überleben und Reproduktion, und Vernunft ist nur eine seiner verschiedenen Techniken” stellt sich mir die Frage: Ist nicht gerade die hohe Varianz der möglichen religiösen Implementierungen ein entscheidender evolutionärer Vorteil? Wenn nach Änderungen der Umgebungsbedingungen ein hoher Anpassungsdruck auftritt, könnten Religionsstifter in kürzester Zeit neue Verhaltenmodelle kreieren und mit göttlicher Autorität unmittelbar durchsetzen. Das schlägt jeden biologischen oder vernunftbedingten Lösungsansatz um Längen.

  4. Brücken …

    Wie kannst Du Zweifel haben an Brücken zwischen wissenschaftlichen und religiösen Welten?

    ICH für meinen Teil kann gar nicht verstehen, wie man heute noch Theologie studieren kann ANSTATT von Biologie, Chemie oder Physik. In der Naturwissenschaft wird doch heute die Welt erforscht, von der ja auch Theologen glauben, daß sie von Gott erschaffen worden ist. Wer sich für Gott interessiert, sollte sich doch wohl auch für seine Werke interessieren?

    Und zu welch einer Epoche der Menschheitsgeschichte haben wir mehr und präziseres Wissen über die Werke Gottes (aus der Sicht der Theologen und Gläubigen) bekommen, als in unserer? WIE kann das ein ABBRUCH von Brücken bewirken statt eine ständig stärkere Verstärkung und Durchdringung beider Bereiche?

    NATÜRLICH müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sich frühere Epochen über die Werke Gottes irrten. Daß auch in der Bibel viele Irrtümer über die Werke Gottes drin stehen. Oder siehst Du das anders? GERADE deshalb halte ich es für so unerläßlich, daß (auch) Theologen heute anfangen, die Irrtümer gegen besseres Wissen auszutauschen.

    Und sie sollten dabei die Ehrfurcht vor den Werken Gottes verlieren, anstatt eine größere Ehrfurcht davon zu bekommen? Was wäre das für eine Gottvorstellung, die in Zweifel gerät, wenn man die WERKE Gottes erforscht und genauer kennen lernt.

  5. @ adenosine

    Ja. Ganz genau so sehe ich das auch. Allerdings formulierst Du viel präziser als ich! Wenn das so weiter geht, mache ich bald eine Kategorie mit adenosine-Zitaten auf! 🙂

  6. @ Ingo: Teilweise

    Einerseits will ich Dir völlig zustimmen: Auch m.E. gibt es für Menschen, die wirklich an einen guten Schöpfer glauben, keinen ernsthaften Grund, sich vor Naturwissenschaft zu fürchten – im Gegenteil. Aus der Schöpfung ließe sich lernen, ein alter, theologischer Gedanke (und siehe “es war sehr gut”, wie Gott in der Genesis sein Werk betrachtet).

    Kritisch sehe ich allerdings die Forderung, Theologen sollten ihre heiligen Schriften dem Stand der Wissenschaften anpassen. Interpretationen sind immer erneuerbar, klar. Aber die Wissenschaft entwickelt sich stets schnell und volatil und jede religiöse Institution, die ihr eigenes Erbe an den jeweiligen Zwischenstand anpasst, verliert m.E. Profil und Glaubwürdigkeit. Die rassistischen und sozialdarwinistischen Spekulationen eines “arischen Jesus” usw. gehören z.B. kaum zu den Glanzlichtern christlicher Theologie – sondern eher diejenigen, die sich von wissenschaftlich verbrämter Bombastik nicht haben einschüchtern lassen.

    M.E. nehmen Naturwissenschaft und Theologie(n) verschiedene Funktionen im Rahmen menschlicher Erkenntnissuche wahr. Sie sollten den Dialog, ja die Zusammenarbeit suchen – aber nicht versuchen, einander zu unterwerfen.

  7. @ adenosine: Ergänzung

    Du schriebst:

    Wenn nach Änderungen der Umgebungsbedingungen ein hoher Anpassungsdruck auftritt, könnten Religionsstifter in kürzester Zeit neue Verhaltenmodelle kreieren und mit göttlicher Autorität unmittelbar durchsetzen. Das schlägt jeden biologischen oder vernunftbedingten Lösungsansatz um Längen.

    Ich wollte nur noch ergänzend bestätigen, dass religiöse Neugründungen (auch als Neuinterpretation bestehender Traditionen) regelmäßig dann auftreten bzw. sich durchsetzen, wenn einschneidende Veränderungen der Umweltbedingungen aufgetreten sind. Das spricht für die These bzw. Beobachtung.

  8. Begründung oder Blasphemie?

    Entschuldigung Herr Dr. Blume,

    wenn ich mich missverständlich ausgedrückt habe. Selbstverständlich zweifle ich nicht am Existenzrecht von Amischen, Schüttlern… Die Vielfalt erst lässt uns ganz logisch wachsen,alles gehört m.E. zu einer Vernüftigkeit. Nur bleibt die Frage – die sich auch beim Kreationismus und der ID stellt – ob sich im 3. Jahrtausend so Glaube, seine evolutonäre Bestimmung begründen lässt.

    Und dies gilt auch für eine Religionswissenschaft, die sich auf den Kindersegen von Amischen oder Kreationisten berufen will.

    Wenn ein Unsagbarer Grund, der vernünftigerweise personal angsprochen wird – die Aufklärung und alles Wissen um natürlich-evolutionäres Werden gab, wäre es dann nicht an der Zeit, sein Werk, Wirken/Wort im Hier und Jetzt zu sehen und zu hören? Ist es dann nicht Blasphemie, ihn in kreationistischer Weise oder in Bezug auf entsprechende Reproduktionsfreude wissenschaftlich nachweisen zu wollen?

    Ich beobachte gerade bei der Diskussion um ID, wie die Vorstellung von eiem zauberhaften Desinger dem m.E. möglichen Ein-verständnis von aufgeklärter Evolutionsbeschreibung und Kulturtradition im Wege steht, den aufgeklärten Verstand einer universalen Vernunft verhindert, die Papst Benedikt an den biblisch-geschichtlichen Anfang stellt.

    (Auch wenn er sie selbt im dogmatischen Dunkel belässt, weit davon entfernt ist, sie dort zu suchen wo -abgedrängt vom Buchstabenglaube, u.A. an einen vergotteten Guru… – derzeit nur atheistische Begründungen bewegt gegeben werden.)

    In weiterer Hoffnung auf eine ganz natürliche, evolutionsbilogisch sichtbare kreative Vernünftigkeit, die (wie ich derzeit mit den Brights unter Philosophie und Religion disskutiere und unter “www.theologie-der-vernunft.de” versuche verständlich zu machen) das Einzige ist, was über wir über einen Schöpfergott wissen können, worauf der monotheisitische Glaube von Anfang an gründet.

    Und deren Wahrnehnung, wie ich denke, nicht nur das bewirken könnte, nach was beim Zusammenbruch des Kommunismus oder Kapitalismus als Gesamt-, Zukunftsverantwortung… gerufen wird, sondern auch Kinder.

    Freundliche Grüße vom Paradigma der
    natürlichen kreativen Vernunft als ewigem Wort.

    Gerhard Mentzel

  9. @ Michael – Biologismus

    Wahrscheinlich ist es mir größtenteils egal, was THEOLOGEN heute aus der Bibel herauslesen und wie sie es interpretieren, wenn sie nur ZUGLEICH solides naturwissenschaftliches Wissen haben, um Ehrfurcht vor den Werken Gottes zu gewinnen.

    Falls sie dabei in Zwiespalt mit ihrem Glauben geraten sollten, hätten sie ja Grund genug, darüber nachzudenken. Was könnte es wichtigeres geben?

    Und wenn sie dabei bei einem arischen Jesus landen, dann landen sie eben dort. Der menschlichen Unvernunft und Dummheit ist schon immer Tür und Tor geöffnet gewesen. Das ist es eben, was Freiheit mit sich bringt.

    Allerdings sehe ich heute gar nicht, daß man bei allzu viel Unvernünftigem und Dummem landet, wenn man sich mit moderner Naturwissenschaft beschäftigt. Und gerade WENN das der Fall sein sollte, hätten Theologen noch einmal so viel Grund, sich mit Naturwissenschaft zu beschäftigen, um SIE vor unvernünftigen und dummen Interpretationen und Ableitungen zu bewahren.

    Es werden in nächster Zeit BESTIMMT mehr Populisten als bisher auf den Plan treten, die biologistisch argumentieren werden, auch in der Politik. Darauf sollten sich alle Humanisten gut vorbereiten. So viel Sachwissen wie möglich kann dabei niemals schaden.

    Zumal es sich ja dabei (aus Sicht der Theologen) um Wissen über die Werke Gottes und damit über Gott selbst handelt.

  10. “Veränderung der Umweltbedingungen”

    Michael und adenosine,

    ihr sprecht von Änderungen der Umweltbedingnungen als Voraussetzung für religiöse Neuentstehungen. Es wäre doch mal interessant, diese Änderungen in den Umweltbedingungen genauer zu analysieren.

    Meint ihr ökologische Änderungen, Änderungen in der Wirtschaft? Oder Änderungen in der Kultur?

    Wahrscheinlich alle drei, oder?

    Man bräuchte eine stringente Theorie zur Erklärung der Entwicklung und Neuentstehung geistesgeschichtlicher Phänomene.

    Meistens entsteht ja aus sogenannten (geistigen, moralischen) Krisensituationen heraus Neues. Ein zuvor stabiles gesellschaftlich-moralisches System (stabilisiert DURCH scharf umrissene religiöse Interpretationen) gerät ins Ungleichgewicht, innere Widersprüche zwischen allen Teilen treten auf.

    Zu solchen Zeiten wird wohl besonders intensiv mit neuen religiösen, philosophischen, weltanschaulichen Ideen interpretiert und ihrer Umsetzung in die gesellschaftliche Praxis.

  11. @ G.M.: Theologie – Relig.wissenschaft

    Lieber Herr Mentzel,

    danke für Ihren Beitrag, der Diskussionsstränge aus einem anderen Beitrag hier weiterführt. Gerne gehe ich darauf ein, indem ich noch einmal die Unterschiede zwischen Theologie(n) und Religionswissenschaft betonen möchte.

    Sie schrieben:
    Die Vielfalt erst lässt uns ganz logisch wachsen,alles gehört m.E. zu einer Vernüftigkeit.

    Wir sind hier wieder bei dem Problem der Definition von “Vernünftigkeit”. Auch Aggression, Hass, Vergewaltigung sind Produkte des Evolutionsprozesses und seiner Vielfalt. Sind sie deshalb vernünftig?

    Nur bleibt die Frage – die sich auch beim Kreationismus und der ID stellt – ob sich im 3. Jahrtausend so Glaube, seine evolutonäre Bestimmung begründen lässt.

    Den Terminus “evolutionäre Bestimmung” finde ich interessant. Aus empirischer Sicht lässt sich aber natürlich keine Aussage über eine “Bestimmung” eines evolvierten Merkmals sagen – wir können ja nur Vergangenheit und Gegenwart beobachten, also allenfalls die “Funktion” von Merkmalen. Das bitte ich zu unterscheiden.

    Und dies gilt auch für eine Religionswissenschaft, die sich auf den Kindersegen von Amischen oder Kreationisten berufen will.

    Diesen Satz verstehe ich nicht. Warum denn “berufen”? Der Zusammenhang von Religion(en) und Demografie bietet keine Begründung, Berufung o.ä. der Religionswissenschaft, sondern wird von ihr (wie unzählige andere Aspekte auch) ggf. beobachtet und beschrieben. Wir erforschen kinderreiche Amische ebenso wie kinderlose Shaker, lebensfreundliche, religiöse Schulen ebenso wie Gemeinschaften, die im Massensuizid geendet sind. So bunt ist sie, die Welt der Religionen. Und es bringt doch nichts, mit dem beobachtenden Wissenschaftler zu schimpfen, wenn einem ein paar Fakten nicht passen. 😉

    Wenn ein Unsagbarer Grund, der vernünftigerweise personal angsprochen wird – die Aufklärung und alles Wissen um natürlich-evolutionäres Werden gab, wäre es dann nicht an der Zeit, sein Werk, Wirken/Wort im Hier und Jetzt zu sehen und zu hören?

    Das ist ein religiöser Aufruf, den ich persönlich gar nicht unsympathisch finden muss, der aber nicht zur Religionswissenschaft gehört. Wir haben keinen Verkündigungsauftrag. Was verstehen Sie unter unsagbarem Grund? Und warum finden Sie es “vernünftig”, dass dieser personal angesprochen wird? Wenn er unsagbar ist und nur personal angesprochen wird, wie und worin sind dann seine Werke, Wirkungen etc. zu hören und zu sehen bzw. von anderen Phänomenen abzugrenzen?

    Ist es dann nicht Blasphemie, ihn in kreationistischer Weise oder in Bezug auf entsprechende Reproduktionsfreude wissenschaftlich nachweisen zu wollen?

    Die (interreligiös verankerte) Annahme von Dobzhansky, dass Kreationismus Blasphemie sei, habe ich als durchaus spannende, religionsphilosophische Frage oben zur Diskussion gestellt. Ich hoffe aber nicht, dass es jemanden gibt, der aus Reproduktionsvorteilen religiöser Vergemeinschaftung ernsthaft einen Gottesbeweis ableiten will. Persönlich bin ich der Auffassung, dass die Frage der Gottesexistenz (wie unzählige andere auch) naturwissenschaftlich alleine nicht beantwortet werden kann.

    Allenfalls ließe sich (was ich auch tue) erkenntnistheoretisch diskutieren, ob der beobachtbare, evolutionsbiologische Erfolg von Religiosität nur als ein Prozess zufälliger Selbstorganisation oder auch als an der Realität erprobter Erkenntnisprozess (wie Sehen, Schmecken, Fühlen etc.) beschrieben werden kann. Aber auch daraus wird sich m.E. kein Gottesbeweis und keine Gotteswiderlegung ergeben, das kann und will empirische Wissenschaft schlicht nicht leisten.

    Mit den besten Wünschen

    Michael Blume

  12. Wissensbegründung von Religion

    Hallo Herr Dr. Blume,

    ich sehe ein, dass Religionswissenschaft keine Theologie ist. Schon gar keine Schriftlehre oder Glaubensverkündung. Aber dies ist auch nicht mein Ding. Mir geht es, wie ich derzeit auch versuche den Brights beizubringen, um eine evolutionäre, naturalistische Begründung des Glaubens. Und da ich die Natur, die Logik bzw. evolutionäre Vernünftigkeit des Glaubens begründen will, mische ich mich ein, erwarte von der Religionswissenschaft möglicherweise zu viel.

    Doch wenn immer wieder – auch in den Kommentaren – die verschiedenen Glaubensformen z.B.Kreationisten, Amischen… nachgedacht werden – dann ist es mir zu wenig, wenn etwa nur die Kinder gezählt werden oder subjektiv beurteilt wird.

    Die kreative=schöpferische Vernunft auf die ich setze, schließt bei geistbegabten Zweibeinern eine Vergewaltigung aus. Auch wenn das ungefragte Begatten im biologischen Bauplan des evolutionären Geschehens die Regel, dort ebenso kreativ-vernünftig ist, wie geo-logische, metreo-logische Vorkommen, die für menschliches Leben Katastrophen sind. Theodizee kommt nicht vor, wenn man keinen zaubernden Alleskönner setzt, Desiger… sucht, sondern von kreativer Vernunft (als einziges schöpferisches Wort) ausgeht, die in menschlicher Gesellschaft umzusetzen ist.

    Der vermehrte Nachwuchs, der sich durch Vergewaltigungen einstellen könnte, macht diese so wenig kreativ-vernünftig, wie eine kinderreiche Glaubensform, die ein geistiger Rückschritt hinter die Aufklärung wäre.

    Kann ich empirisch eine Bestimmung aus der Evolutionslehre bzw. aufgeklärtem Wissen ableiten?

    Wenn ich die empirisch Bestimmung, die mir die Evolutionsbiologien beibringen, indem sie sagen ich sei ein Kind des Universums und somit ein Genmaximierer, weiterdenke. Ich gleichzeitig im Geschichtsverlauf nachweise, dass wir als reine Gen- bzw. Egokapitalvermehrer oder sinnlose Konsument keine Gesellschaft, Zukunft machen (wie sich derzeit wieder in meiner Branche zeigt, wir aber auch aus der wissentlichen ökologisch unvernünftigen, Gesamtordnung und Zukunft vernichtenden Verhaltensweise wissen)so geht das in Richtung Ratio.

    Der unsagbare Grund, von dem ich ausgehe, ist – da ich die kreative=schöpferische Vernunft, als Wort bzw. Weisheit des kosmischen Geschehens am Anfang des Monotheismus sehe, der Schöpfergott des jüdisch-christich-islamischen Glaubens, von dem man sich keine Bilder machen, ihn nicht benennen soll, weil sich Bilder und Begriffe verselbständigen, dann als leere Hüllen vergötzt werden. Aber das ist nicht nicht einfach.

    Auf der derzeitigen Tagung lerne ich gerade wieder, wie kreativ bzw. vernünftig es ist, mit neuen Botschaften an bekannte Bilder, Begriffe anzuknüpfen, abstrakte Aussagen personal, menschlich zu verpacken…

    Morgen wird wieder ein teuer bezahlter Verhaltens- bzw. Erfolgstrainer seine Weisheiten aus dem evolutionären Geschehen ableiten, sich im Einstieg auf die alte griechische Philosophen beziehen, ohne dass jemand auf die Idee käme, er hätte dem lieben Gott aufs Maul geschaut bzw. seine Logik hätte etwas mit dem zu tun, was damals als “Wort Gottes” verstanden und vor 2000 Jahren notwendigerweise erneut in menschlicher Person ausgedrückt wurde.

    Wenn Jörg Löhr wieder Geschichten erzählt, die nie so waren, aber jeder weiß, dass er so seine Inhalte emotional wirksam und anschaulich machen muss, ist das für uns vernünftige Kreativität.

    Und ich denke dann im Hegelsaal der Liederhalle darüber nach, warum wir auch in der Annahme einer universalen komischen kreaiven Vernünftigkeit oder einem vernünftigen Schöpfungsgrund mit abstrakten Begriffen nichts anfangen können. Warum der idealistische Vernunftbegriff Hegels zu abstrakt metaphysisch, die Zeit noch nicht reif war, um an alte Bilder anknüpfen, uns aufgeklärt für eine evolutionäre Vernünftigkeit allen Werdens begeistern und im Kult für diese menschlich umzusetzenden Vernunft mündig befähigen zu können. Warum wir auch weiterhin ein personales Gegenüber brauchen… (ohne einen Desinger zu suchen, der dem zeitgemäßen aufgeklärten Verstand nur im Wege steht.)

    Viele Grüße aus Stuttgart
    von einer Fachtagung für Marketingkommunikation

    Gerhard Mentzel

  13. @ G.M. Danke 🙂

    Lieber Herr Mentzel,

    diese Ihre Gedanken lasse ich jetzt einfach mal so stehen und freue mich darüber, dass Sie sowohl die evolutionäre Religionsforschung wie auch Stuttgarter Marketingseminare nachsinnend aufgreifen. Das ist ja auch ein Zeichen von echtem Interesse! 🙂

    Mit herzlichen Grüßen

    Michael Blume

  14. Umwelt-Veränderung u Religion

    Ganz spannend, der Gedanke von @adenosine vom 10.11. : Religionen können notwendige Einstellungsänderung u.U. mal schnell herbeiführen, schneller als andere Lösungswege. Sicher, dazu nannte Michael ja am 11.11. den Zusammenhang zwischen einschneidenden Veränderungen von Umweltbedingungen und religiösen Neugründungen. Und Ingo hat Beispiele angemahnt. Nenne ich meinerseits als Beispiel das 19. Jahrhundert, in dem in Europa, in den angelsächsischen Ländern besonders viele neue Gruppen und Sekten entstanden sind: Eben im Zusammenhang mit der Umwälzung durch die entsprechende Wirtschaftsgeschichte.

    Ich möchte aber hauptsächlich drauf hinweisen: Ist wohl allen bewusst, dass die Sache ambivalent ist:
    Religionen können Lebens-Einstellungen gewissermaßen festfahren, verhärten lassen – auch wenn diese längst nicht mehr passen. Einzelne können sich in religiösen Vorrstellungen einigeln oder ganze Gesellschaftsschichten sich dahinter verschanzen.
    UND es kann zu plötzlichen Eruptionen / Neugründungen kommen, wenn Leute entdecken, dass (ihnen) das Festgefahrene mehr schadet als nützt. Ob die dann gut sind, ist auch wieder die Frage – wurde ja mal ein Diktator Schah von einem Khomeini abgelöst.

    Jedenfalls – und darauf kam es wohl adenosine an: Kulturelle Evolution ist allemal beweglicher, anpassungsfähiger als eine nur genetische. Und das via Religion. Allerdings würde ich dann nicht so schnell und so leicht mit vernunftbedingter Verhaltensänderung vergleichen. Der Vergleich könnte auch auf einige ambivalente Erfahrungen verweisen: Hätte man sich in der Weimarer Zeit mehr um vernunftbedingte Lösungen bemüht, bzw. die durchaus angedachten nicht so hintertrieben, wäre uns manches erspart geblieben. Vernunft braucht vielleicht langwieriges Taktieren, hält dann aber auch länger.

    Aber – ich suche anscheinend permanent Einwände gegen das, was ich soeben geschrieben habe:
    Auch in Beziehung auf die Herrschaft der Vernunft gab es ja schon tödliche Kurzschlüsse (1789 ff). Es gibt einen vernunftwidrigen Gebrauch der Vernunft – vielleicht kann sogar Religion manchnal auch davor bewahren. Das wäre wohl ein anderes Thema.

    Jedenfalls, Funktion von Religionen ist, Lebens-Einstellungen zu prägen; Prägungen bleiben erhalten, manchmal auch über die Zeit hinaus; aber u.U. gibt es auch (plötzliche) Neuprägungen, die sich dann als mehr oder auch weniger sinnvoll herausstellen/bewähren müssen. Im Grunde schon eine Sache, die analog zur biologischen Evolution angesehen werden kann.

    Basty

  15. @ Basty: Biokulturelle Evolution

    Ja, so sehe ich das auch. Schon vor vielen Jahren hat mir das im Entwurf von Luhmann und später von Hayek gefallen: Luhmann schrieb sinngemäß, dass sich in Religionen Erfahrungen “sedimentieren” – sie werden also fester und langlebiger als z.B. Modestile, sind aber natürlich dennoch noch viel flexibler als z.B. biologische Instinkte. Und von Hayek erkannte, dass die fortlaufende Anpassung über den (auch demografischen) Wettbewerb erfolgt.

    Das würde im übrigen auch gut erklären, warum Religionen aus der Perspektive der Jetztzeit meist etwas “hinterher” erscheinen (sie verkörpern ja früher erfolgreiche Formen und deren Widerständigkeit), wogegen sie in historischer Perspektive geradezu Zivilisationstragend wirken (sie machen eben nicht jede Mode mit, sondern eher nur die großen Linien).

    Passt zur Debatte im neuen Beitrag:
    http://www.chronologs.de/…hrte-die-kirche-das-je

    Herzliche Grüße!

    Michael

  16. ID – gezielte Weiterentwicklung des JEK

    Basis ist ja immer noch Erzbischof Uscher von 1656 mit der Schaffung der Erde am 23. 10. 4004 v. Chr. um 09:00 Uhr. Eine ehemalige Kollegin wollte mir erklären, dass die Erde höchsten 15.000 Jahre alt sei. Sie gab mir ein Buch (Glashouwer) – ich kommentierte ihr 2 Kapitel – und sie redete nicht mehr darüber. Es gibt viele Gründe dafür, dass das mit Realität nichts zu tun hat! Wer es glauben will…
    Religion hat für mich aber auch viel mit der Geschichte zu tun – und die ist oft sehr real gewesen. Einst gingen Religion und Wissenschaft für die Menschen Hand in Hand – so nach und nach haben sich die gemeinsamen Beziehungspunkte verloren, bzw. wurden bewusst verfälscht. Und heute tut die Natur-Wissenschaft so, als habe sie mit der Religion nichts zu tun – und umgekehrt nimmt es sich auch nicht viel. In meinem Beitrag „Kreationismus und seine Varianten gegen die Evolution“. Magazin 2000plus, Alte Kulturen 3/248 – 2007, S. 14 – 27 habe ich mich mit der Thematik auseinander gesetzt. In die Geschichte gehört auch das Enuma Elisch (7 Tafeln) – die UNI Essen befasst sich mit „ihrem“ Teil:
    http://www.uni-duisburg-essen.de/…eso-enuma.htm.
    Hier möchte ich Prof. S. N. Kramer von 1956 zitieren „Die Geschichte beginnt mit Sumer“: „Der Sumerologe ist einer der striktesten Spezialisten in den hochspezialisierten akademischen Weisheitshallen, ein nahezu vollendetes Beispiel für den Mann mit dem größten Wissen im kleinsten Bereich.“ – „Der Sumerologe ist eher als alle sonstigen Gelehrten und Spezialisten in der Lage, den allgemeinen Hunger des Menschen nach dem Ursprünglichen, nach den Uranfängen, nach den »Erstlingen« in der Geschichte der Zivilisation zu stillen.“ Und wenn wir hier ein Stück weiter sind – könnte sich das Thema von selbst erledigen!

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