Haben osmanische Sultane den Buchdruck arabischer Lettern im 15. Jahrhundert verboten? Zum klugen Essay von Kathryn Schwartz

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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Selbstverständlich gab und gibt es zu “Islam in der Krise” neben allen überwiegend positiven Rezensionen auch Anfragen und Kritik. So meinte ein deutschsprachiger Religionskritiker, ich hätte mir das ganze Buch sparen und einfach erklären sollen, dass es den Propheten Mohammed nie gegeben habe. Zwei deutsch-türkische Stimmen ließen mich zudem wissen, eine “Katrin Schwarz” habe “in ihrer Dissertation das Buchdruck-Verbot osmanischer Sultane widerlegt.”

Nun ist es in den Geschichtswissenschaften so wie in allen anderen empirischen Wissenschaften auch: Keine These und keine Theorie kann abschließend bewiesen werden und es ist immer möglich, sie in Zweifel zu ziehen. So wird die These, dass hinter dem Propheten Muhammad eine reale Persönlichkeit steckte, von den allermeisten Islam- und Religionswissenschaftlern weltweit vertreten, von einer kleinen Minderheit aber auch bestritten. Auch ich gehöre zu denjenigen, die wie Michael Marx die Argumente für eine Existenz des Muhammed für sehr viel stärker halten wie die Gegenthese einer nachträglichen Erfindung und “Verschwörung”.

Die Suche nach der Gegenthese zum Verbot arabischer Drucklettern durch Sultan Bayazid II. von 1485 und Kalif Selim um 1515 war dagegen gar nicht so einfach. So heißt die gemeinte Historikerin Kathyrn Schwartz (USA) und der Text ist auch nicht ihre Doktorarbeit, sondern lediglich ein Essay: “Did Ottoman Sultans Ban Print?” in Book History 20 (2017): 1-39.

Und um es gleich vorwegzuschicken: Kathryn Schwartz “widerlegt” gar nichts und behauptet ausdrücklich nicht, dass es kein Verbot arabischer Drucklettern gegeben habe. Vielmehr erkennt sie an, dass sich in der islamischen Welt tatsächlich sehr lange kein Druck arabischer Lettern, aber durchaus anderer Alphabete, entfaltet habe. Sie weist jedoch darauf hin, dass erst spätere, europäische Quellen die Sultans- und Kalifendekrete genannt hätten, wogegen in der islamischen Welt bis kurz vor dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nur allgemein “religiös fromme Kreise” verantwortlich gemacht worden seien. Und sie warnt daher – m.E. völlig zu Recht – davor, auf dieser dünnen Datenlage allzu fantastisches Garn zu spinnen. Diesen Hinweis teile ich nicht nur ausdrücklich – ich habe ihn sogar schon beherzigt, bevor ich ihn kannte. So schrieb Bernhard Lewis in seinem “Stern, Kreuz und Halbmod. 2000 Jahre Geschichte des Nahen Ostens” (1997) beispielsweise davon, dass jüdische Kaufleute eine gutenbergsche Druckerpresse ins Osmanische Reich einführen wollten. Das hätte auch deswegen durchaus Plausibilität und Charme, da ebenjener damals regierende Sultan Bayazid II. bereitwillig vor der Reconquista fliehende Juden aus Andalusien aufnahm und über die Spanier gespottet haben soll, die ihre “besten Bürger” verschenkten. Doch weil ich weder bei Lewis selbst noch sonst eine Quelle für die Konfession der Kaufleute finden konnte, habe ich diese Angabe im Buch schlicht weggelassen. Sie erschien mir zu spekulativ.

Christoph Schuster und ich vor Schusters Gutenberg-Druckerpresse auf der Frankfurter Buchmesse 2017. Foto: Zehra Blume

Umgekehrt habe ich aber auch einen Kritikpunkt am sonst exzellenten Essay von Kathryn Schwartz: So hart sie mit den europäischen Quellen umgeht, so wenig hinterfragt sie die osmanischen und heute türkischen Annahmen. Denn es ist doch geradezu selbstverständlich, dass sich Untertanen des Osmanischen Reiches bis ins 20. Jahrhundert hinein hüten müssten, die Vorfahren der herrschenden Dynastie zu kritisieren! Es war schlicht und ergreifend sicherer, allgemein von “frommen Kreisen” zu sprechen und alte Dekrete buchstäblich unter den Tisch fallen zu lassen als konkrete Sultane und Kalifen zu bezichtigen und sich damit dem Verdacht der Majestätsbeleidigung auszusetzen. Und genau diese Problematik taucht auch seit wenigen Jahren wieder auf: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellt sich selbst wieder in osmanische Traditionen und hat unter anderem eine Fernsehserie über Sultan Süleyman zensieren lassen. Da zudem Zehntausende Akademikerinnen und Wissenschaftler entlassen und verhaftet wurden, ist geradezu zu erwarten, dass sich die verbleibenden Historiker in diplomatischer Zurückhaltung üben.

Eine schlüssige Gegenthese – wie und warum Europäer osmanische Dekrete nachträglich erfunden und verschwörerisch verbreitet haben sollen – formulieren dagegen weder Schwartz noch (bisher) neo-osmanistische Kreise.

Fazit

Dass wissenschaftliche Thesen aller Art immer bezweifelt und überprüft (“falsifiziert”) werden können, macht ihren Unterschied beispielsweise zu Mythen aus. Deswegen wird es auch zukünftig vereinzelte Stimmen geben, die die Existenz des Propheten Muhammad oder die osmanischen Dekrete gegen den Buchdruck arabischer Lettern bezweifeln. Und es wird der Geschichtswissenschaft auch gut tun, diese Einwände immer wieder auf ihre Plausibilität zu überprüfen – und dabei auch neue Forschungen zu berücksichtigen. Bisher sehe ich aber die deutlich stärkeren Argumente bei den etablierten Annahmen, dass es sowohl den Propheten wie die osmanischen Verbote gegeben hat.

Kommende Woche letzte Lesereise in 2017

Morgen – Montag, 27.11., starte ich meine letzte Lesereise diesen Jahres zu “Islam in der Krise” in Hameln. Am Dienstag geht es dann weiter nach Aachen und am Freitag nach Bad Krozingen und Freiburg.

Und am Donnerstag, 30.11.2017, eröffne ich mit einem Vortrag zu “Medienrevolutionen” ein neues Seminar für Berufs- und Medienethik am KIT Karlsruhe. Falls Sie in der Nähe sind und Zeit haben, auch dazu eine herzliche Einladung!

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

13 Kommentare

  1. Pardon, noch mal mit korrigiertem Zitat und Seitenangabe:

    Eines der ersten Bücher, das auf Arabisch gedruckt wurde, war – man erinnere sich an Gutenbergs Marketing-Coup seines Bibel-Drucks – ein Koran, der 1537 bei Paganini in Venedig hergestellt wurde. Al-Khalili berichtet, er habe ein Exemplar davon gesehen, und es seien ihm schnell mehrere typographische und auch sinnentstellende Fehler aufgefallen:

    „Das arabische Wort für ‚dieses‘ zum Beispiel lautet dhalika. Es taucht im Text fälschlich mit dem Vokal ‚a‘ anstelle des ‚i‘ auf: eine schräge, gestrichelten Linie über dem ‚l‘ statt darunter, was dhalaka aus gesprochen wird – ein sinnloses Wort. Dieser scheinbar triviale Rechtschreibfehler im heiligen Buch der Muslime wäre als Sakrileg betrachtet worden, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Osmanen, denen der kühne venezianische Verleger mehrere hundert Exemplare anbot, ablehnten.“

    Jim al-Khalili: Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur. Frankfurt/Main: S. Fischer 2011, 361f.

    • @Manuel Bonik

      Vielen Dank für das Zitat! Und, ja, diese kulturelle Arroganz hat schließlich die islamische Welt in die literarische Erstarrung und schließlich in die bis heute reichende Krise samt Verschwörungsglauben geführt…

      Man stelle sich nur mal vor, es würde jede Internetseite gesperrt, auf der Rechtschreibfehler gefunden werden.. 😉

  2. Ich verstehe nicht, was die von Ihnen diagnostizierte Krise des Islams zu tun haben soll mit der Existenz oder Nichtexistenz des Propheten Mohammed? Das ist doch eine sehr esoterische Fachdiskussion, überdies auf sehr hohem Niveau, die nur selten mal rüberschwappt über universitäre Zirkel hinaus in eine breitere Öffentlicheit; geschweige denn, daß sie Muslime in ihrem Glauben verunsichern würde.

    Was weniger wahrgenommen wird: Was die Saarbrücker da machen ist ja mindestens ebensosehr ein fundamentaler Anschlag auf das trinitarische Christentum; zumindest auf das, das sich nicht beruft auf die Rechtleitung durch den Heiligen Geist in der apostolischen Sukzession. Also auf den Glauben so ziemlich aller nichtkatholischer/nichtorthodoxer Christen, sieht man mal von Zeugen Jehovas, Mormonen u.ä. ab. Ich sehe nicht, was das zu tun hätte mit der gegenwärtigen Situation der evangelischen Kirchen in Deutschland.

    Es wird ja behauptet, es habe ein der Urgemeinde nahestehendes syrisches Christentum gegeben, das die griechische Neuerung des Christentums der Trinität zuerst nicht richtig mitbekommen habe und später explizit bestritten. Der Koran sei eine Sammlung liturgischer Texte dieser Gemeinden, ihr Zentralheiligtum sei ursprünglich der Felsendom in Jerusalem gewesen, dessen Gebräuche (etwa der Umlauf) später nach Mekka übertragen worden seien und noch Jahrhunderte in Jerusalem parallel praktiziert. Mit der Zeit habe sich dieses Christentum derart verselbstständigt, daß es zu einer eigenen Religion wurde, die ihres eigenen Gründungsmythos bedurft habe. Wie weit sie auch immer damit kommen werden: Dieses syrische Christentum zu rekonstruieren und seinen Einfluß aufzuweisen auf den Islam, vielleicht auf eben doch einen historischen Mohammed, der eben nicht nur Polytheisten, sondern auch solch tauhidischen Christen gepredigt hätte, wird das bleibende Verdienst dieser grundlegend radikalen Islamkritik bilden. Alles weitere wird man mal entspannt hundert oder hundertfünfzig Jahre Gelehrtendiskussionen abwarten müssen. Einen Einfluß auf den real existierenden Islam sehe ich noch lange nicht.

    Wobei die beiden von Ihnen genannten Thesen: Mohammed habe es nicht gegeben, seine im Nachhinein fingierte Existenz sei Frucht einer Verschwörung, ja nur zwei denkmögliche Hypothesen sind. Legendenbildung hat ja noch nichts mit Verschwörung zu tun; Papst Johannes Paul II hat einmal den katholischen Heiligenkalender entrümpelt und hunderte Heilige herausgeworfen, deren historische Existenz nicht erwiesen werden konnte. Die hat ja aber noch lange kein Verschwörerkreis hineingeschmuggelt; das sind volkstümliche Legendenbildungen gewesen. Zu Mohammed: Karl-Heinz Ohlig etwa meint, durchaus möge es einen Mohammed gegeben haben. Dieser sei vielleicht aber nur ein christlicher Missionar gewesen. Oder in seine Biografie hätten sich Legenden durchaus verschiedener historischer Personen vermengt.

    Da Sie nun ausgerechnet auf Michael Marx verlinken, möchte ich schließlich anmerkend darauf hinweisen, daß er nun nicht gerade ein neutraler Islamwissenschaftler ist, sondern Partei in einem Streit, wo er aufs heftigste angegangen wird. Siehe dazu das dritte Kapitel in diesem Link: http://inarah.de/sammelbaende-und-artikel/inarah-band-5/echo-band-5/

  3. @Michael Blume

    Das ist ja nicht nur „kulturelle Arroganz“, das ist schiere, paranoide Panik. Die, wie Herr Bonik in seinem Beispiel schön aufzeigt, ja nicht unbegründet ist.

    Die Juden haben in ihren Synagogen die Tora, aus der sie lesen. Das sind die gesamten fünf Bücher Mose, handgeschrieben auf einer einzigen Schriftrolle. Wird beim Abschreiben auch nur ein Jota falsch geschrieben (also eines dieser diakritischen Pünktchen), so muß die gesamte Schriftrolle verbrannt werden.

    Ich kann mir das Entsetzen durchaus lebhaft vorstellen, das die Muslime befiel, als sie die Möglichkeit sahen, daß ein solch fehlerhafter Koran in gar gleich hunderten Exemplaren verbreitet werden könnte.

  4. Es scheint ein Treppenwitz der Geschichte zu sein, dass bei abrupten Machtveränderungen mit ideologischem Unterbau oft volkswirtschaftlich sehr wertvolle Gruppen exiliert werden, egal ob Juden (zu allen Zeiten), andalusische Muslime oder Hugenotten.

    Ein weiterer Treppenwitz ist die punktuell große Wertschätzung für Bücher in der islamischen Welt, v.a. in Bagdad, die wohl schon ein Jahrtausend besteht.

    Der Rückgriff auf “fromme Kreise” wirkt wie das Zitieren von “Regierungskreisen” heutzutage, mit nur teilweise unterschiedlicher Motivation.
    Politik und das Berichten über Politik sind vermutlich ebensolang schon untrennbar miteinander verbunden, egal ob Botenläufer oder #Eilmeldung.

    Gibt es eigentlich eine (oder mehrere) Literaturempfehlung von Ihrer Seite zum Wechselspiel von Religion und (politischer) Macht? Das Thema ist ja kofessionsübergreifend seit Jahrtausenden aktuell, in all seinen Facetten, von der zwischenmenschlichen bis zur geopolitischen Ebene.

    Wird es 2018 eine Lesereise auch in den Norden oder Osten der Bundesrepublik geben?

    • Lieber @Name,

      ja, auch in Nord- und Ostdeutschland sind weitere Lesereisen für 2018 angesetzt. Die je zu aktualisierende Liste (u.a. kommt noch Berlin dazu) findet sich hier:
      http://www.patmos.de/islam-in-der-krise-p-8817.html

      Und zum komplexen Zusammenhang von Medien, Religionen und Macht hoffe ich dann auch mal etwas vorlegen zu können. 🙂 Mein persönlicher Favorit dazu ist das weniger historische als vielmehr sozialphilosophische „Fatal Conceit“ von F.A. von Hayek.

  5. Wenn ich diesen Satz doch einmal etwas genauer sezieren darf:

    „Bisher sehe ich aber die deutlich stärkeren Argumente bei den etablierten Annahmen, dass es den Propheten […] gegeben hat.“

    Die Existenz des Propheten Mohammed zu bestreiten ist nicht das Kernanliegen der Saarbrücker Schule. Ihnen geht es um Folgendes: Die älteste noch erhaltene Biographie des Propheten Mohammed – die sich auf ältere Vorlagen beruft – datiert auf rund 200 Jahre nach seinem Ableben. Und wird wie selbstverständlich von muslimischer Tradition wie von säkular-westlicher Islamwissenschaft als überwiegend historisch authentisch angesehen, von irgendwelchen in ihr vorkommenden Wundergeschichten einmal abgesehen. Das ist um so wichtiger, weil diese Biographie mit verbindlich ist für die rechte Auslegung des Koran: Wenn etwa die Situation rekonstruiert wird, in die hinein eine bestimmte Sure kommentierend und rechtleitend geoffenbart worden sei.

    Das wäre ungefähr so, wie wenn die Schriften des Kirchenvaters Origines die ältesten Zeugnisse über Jesus Christus wären – Und historisch für bare Münze genommen würden.

    Da ist es einfach heilsam, erst einmal ganz radikal zu fragen: Hat es diesen Jesus, oder hat es diesen Propheten Mohammed überhaupt wirklich gegeben? Das ist weniger eine historische Behauptung als vielmehr eine methodische Frage: Was wissen wir eigentlich wirklich zuverlässig über diesen Jesus, Mohammed? Was ist von dem Behaupteten wirklich zwingend evident? Gegenthese ist dann der Versuch, etwa das Neue Testament zu erklären, ohne daß es einen historischen Jesus von Nazareth gegeben hat. Das ist bekanntlich gescheitert; meine Tendenz (aber ich habe da wirklich keine Ahnung von) geht in Sachen Mohammed dahin, daß das vermutlich auch scheitern wird.

    Dennoch lernt man viel. Jesus wird uns im NT geschildert als eine ganz wichtige Größe seiner Zeit. Spektakulär die Passionsberichte: Erst grandioser Einzug in Jerusalem, Volksjubel, „Hosianna, Hochgelobt sei, der da kommt“ usw., nachher dann ein aufgewiegelter Mob, der von Pilatus „Kreuzige ihn! Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ fordert. Befragt man aber außerchristliche Zeugnisse, so stellt man fest, daß sie Jesus – anders als z.B. Johannes den Täufer – nicht kennen. Der historische Jesus also hat kaum größere Beachtung gefunden, war in der allgemeinen Wahrnehmung seiner Zeit nur ein weiterer dieser wirren Wanderprediger, hat keinesfalls größere Unruhe ausgelöst, war anders als behauptet keine zeitgeschichtliche Größe.

    Mohammed soll verschiedentlich mehrere hundert Juden – andere sprechen von tausenden – an einem Tag massakriert haben. Darin ist er Wirrköpfen heute noch Vorbild. Jetzt stellen die Saarbrücker fest: Es gibt überhaupt keinen archäologischen oder sonstigen Beweis, daß sich Juden zur fraglichen Zeit schon in nennenswerter Zahl im arabischen Raum aufgehalten haben. Und: Die Juden, die sonst für solche Ereignisse ein Elefantengedächtnis haben, berichten uns nichts von solchen Gemetzeln. Müssen nicht zumindest diese Massaker als spätere Legendenbildung angesehen werden? Die also auch keineswegs in bestimmten Koransuren legitimiert werden – und damit zur Nachahmung empfohlen?

    *

    Ich finde das ein mehr als berechtigtes Anliegen. Und nicht vergleichbar mit der Frage, ob es wirklich Buchdruckverbotsdekrete eines Sultans gegeben hat: Fakt ist, es hat jedenfalls keinen Buchdruck mit beweglichen Lettern im osmanischen Raum gegeben, und dadurch ist die einst so überlegene islamische Kultur in jeder Hinsicht uns gegenüber ins Hintertreffen geraten. Ob nun auf höchstsultanische Anweisung, oder weil irgendwelche Mullahs lokal dagegen angepredigt haben, macht da im Endeffekt nicht den großen Unterschied. Vor allen Dingen nicht für die Gegenwart.

    Ob hingegen Mohammed Massenmorde an Juden angeordnet hat oder nicht, die somit schon als Vorbild dienen und zusätzlich auch noch durch entsprehende Koransuren gesegnet werden, macht einen Riesenunterschied.

    • @Alubehüteter

      Ja, es macht in der Geschichtswissenschaft – wie in jeder anderen, empirischen Wissenschaft auch – immer wieder Sinn, etablierte Thesen zu prüfen und durch Gegenthesen herauszufordern.

      Die Rekonstruktion des Lebens Muhammads steht – da gebe ich Ihnen Recht – im religiösen Kontext des Vorbildhaften, islamisch der Sunnah.

      Aber auch die Frage, ob Sultane katastrophale Fehler gemacht und damit das spätere Ende des Osmanischen Reiches mitverschuldet haben, ist natürlich v.a. in der Türkei von identitärer und politischer Relevanz.

      Das „Aufrufen“ beider Thesenkomplexe geht auf Rückmeldungen von Buchlesern zurück. Diese nehme ich gerne ernst. 🙂

  6. Oh, das stimmt. Da hatte ich die gegenwärtige türkische Geschichtspolitik nicht im Blick. Für die ist natürlich von erheblicher Relevanz für ihre Identität, ob das osmanische Reich nur durch ausländische Ränke und Intrigen zugrundegegangen ist, oder auch durch eigenes Fehlverhalten, Versagen, gar Schuld.

    Und für die Deutung der politischen Gegenwart. Gezi-Park-Bewegung: Alles Folge ausländischer Verschwörer, die es auch nicht lassen werden, weiter Wühlarbeit zu betreiben, wie letztens noch wieder dieser Peter Steudtner.

  7. Ist denn überhaupt denkbar, daß es im gesamten osmanischen Reich keinen Buchdruck gibt in beweglichen arabischen Lettern, ohne daß das zentral und reichsweit von oben dekretiert worden wäre? „Konservativer Islam“ mag das ja in der einen oder anderen Provinz verhindert haben. Aber der Islam ist, wie wir wissen, sehr vielfältig. Was einem Wahabiten ein Dorn im Auge sein mag, das mag ein Sufi-Meister nützlich finden.

  8. Vielleicht mag es das Dekret des Sultans gegeben haben. Abe es wurden irgendwann doch Bücher gedurckt.

    Aber offenbar stellte man fest, das die arabische Schriftzeichen nicht nebeneinander geschrieben wurden, sondern zum Teil übereinander und verschachtelt. So konnte man nur schlecht Druck mit Drucklettern verwirklichen.

    Und offenbar hatte man damals wohl auch einen ästhetischen Anspruch an die Schrift, sodass man dann irgendwann die Druckereien wieder schliessen musste. Denn die Leute wollten diese Druckletter-Schrift wohl nicht.
    Siehe hier:
    https://youtu.be/ozswDONHc1Y?t=2670

    Odyssee des Schreibens: Imprimatur (2/3) | Doku | ARTE
    •19.11.2020
    Irgendwas mit ARTE und Kultur

    • Ja, @HardiK – für Aufsehen sorgte auch ein italienischer Koran-Druck, der Fehler enthielt. Die (auch technische) Entwicklung des arabischen, osmanischen und islamischen Buchdrucks wurde so um Jahrhunderte verzögert. Mehrere islamisch-europäisch geprägte Staaten wie Albanien und Türkei übernahmen ab dem 20. Jahrhundert lateinische (bzw. in Asien kyrillische) Alphabete.

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