Glück, Glauben und Gemeinschaft

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

In der aktuellen Mai-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft findet sich ein sehr lesenswerter Artikel des (aus den Wissenslogs wohlbekannten) Philosophen Edgar Dahl zur empirischen Glücksforschung. “Macht Geld glücklich – das Wohlstandsparadox” (kostenloser Download hier) behandelt dabei auch Aspekte von Religion und Demografie, die aufzugreifen sich lohnt.

Reichtum macht nicht unbedingt glücklich – Glauben aber schon

So stellt Edgar Dahl fest: “Menschen, die bewusst dem Ruhm, der Schönheit oder dem Geld nachjagen, sind nachweislich unglücklicher als Menschen, die weniger materielle Ziele verfolgen. Und Menschen, die ihrem Leben einen Sinn zu verleihen verstehen, sind in der Tat glücklicher als solche, die lediglich von einer Zerstreuung zur nächsten eilen. Religiöse Menschen sind daher im Schnitt auch etwas glücklicher als nichtreligiöse.”

Ergänzend ist noch hinzuzufügen, dass ein Teil dieser (durchschnittlichen) Glückssteigerung auch mittelbar sozial verursacht sein dürfte: Religiös vergemeinschaftete Menschen heiraten durchschnittlich eher und stabiler (ein eigenständiger Glücksfaktor) und die Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften eröffnet u.a. den Zugang zu Bekanntschaften, Haus- und Freundeskreisen, ehrenamtlichen Initiativen u.v.m.

Interessant ist auch, dass laut einer neueren Glücks-Studie von Liesbeth Snoep der Religion-Glück-Zusammenhang in den USA deutlich stärker ausfällt als z.B. in Dänemark oder den Niederlanden. Wer die Thesen vom religiösen Wettbewerb (Markt) bereits wahrgenommen hat, wird nicht überrascht sein: Wie auch in der Demografie entfaltet sich auch in der Hebung von Glück das Potential von Religion(en) erst in Vielfalt und Wettbewerb.

Frauenrollen und Gemeinschaft

Männliche Verwunderung räumt Edgar Dahl im Hinblick auf Ergebnisse einer Umfrage unter 900 berufstätigen Frauen ein. “Gewiss ist es nicht weiter verwunderlich, dass ihnen Sex mehr Spaß bereitet als Hausarbeit; doch dass sie lieber fernsehen oder telefonieren als auf ihre Kinder aufzupassen, ist zumindest bemerkenswert. Befragt, in wessen Anwesenheit sie sich am glücklichsten fühlen, zeigte sich dabei erneut, dass Frauen lieber Zeit mit ihren Freunden verbringen als mit ihren Kindern.”

Dieser Befund ist m.E. evolutionstheoretisch nicht allzu sonderbar: Beim Menschen evolvierte die Erziehung von Kindern zur Gemeinschaftsaufgabe. Dass beispielsweise insbesondere Menschenfrauen auch lange nach ihrer reproduktiven Phase weiter leben, wird längst maßgeblich mit der (genetisch wertvollen) Großmutter-Hilfe vor allem an der Tochter und deren Kindern erklärt (vgl. die Grandmotherhood-Forschung, in Deutschland v.a. Eckart Voland). Nur mit der Vergemeinschaftung war es auch möglich, die zeitlichen Abstände der Menschengeburten auch gegenüber unseren nächsten Primatenverwandten trotz steigenden Aufwands (größeres Gehirn, längere Kindheit etc.) für die Nachkommen zu verkürzen. Mütter, die jedes Kind ganz allein aufziehen sollen oder für sich monopolisieren, gerieten und geraten schnell an die Leistungsgrenzen – entsprechend “belohnt” auch unser Glückssystem solches nicht, sondern ermutigt zum Aufbau und Erhalt sozialer Netzwerke.

Die bürgerliche Kleinfamilie aus Papa, Mama, Kind und angeblich fixierter Arbeitsteilung ist ein (zeitweise durchaus adaptives!) Produkt der Neuzeit, wurde und wird aber in der Realität durch Kindermädchen, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen und nicht zuletzt helfende Verwandte ergänzt. Auch in heutigen Wildbeuterkulturen kommt der Gemeinschaft hierbei größte Bedeutung zu und ein afrikanisches Sprichwort weist bis heute zu Recht darauf hin: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein Dorf. Dass sich moderne Frauen also zunehmend gegen eine einseitige Lastenverteilung wehren und sich ungern einreden lassen, in der Fixierung auf das Kind habe ihr höchstes und einziges Glück zu liegen, ist buchstäblich völlig natürlich.

Und wo fanden und finden Frauen (durchschnittlich) verläßlichere Ehepartner und Familienbande, auch als Mütter soziale Anerkennung und ggf. Gemeinschaftsnetzwerke und Institutionen, die Familie und Kindererziehung unterstützen? Genau: in Religionsgemeinschaften, weswegen Frauen durchschnittlich religiöser sind als Männer (siehe Gretchenfrage).

Fazit: Glück Glauben

Edgar Dahl beschließt den Artikel mit dem Hinweis auf den biogenetischen Imperativ, der auf die Maximierung des Reproduktionserfolgs ziele: “Wenn wir etwas biologisch Sinnvolles tun, wie etwa unseren Hunger stillen, unseren Durst löschen oder unsere Begierden befriedigen, belohnt sie (Mutter Natur) uns mit Glücksmomenten, die groß genug sind, damit wir das Verhalten gern wiederholen, aber eben nicht so groß, dass wir darüber unsere “biologischen Pflichten” vergessen.”

Dem ist m.E. nur hinzuzufügen: Auch das religiöse Glauben, Beten und Vergemeinschaften wird mit nachweisbaren Glücksmomenten belohnt, weil es insgesamt (auch) “biologisch sinnvoll” ist, zu mehr Reproduktionserfolg führt und der evolvierten Natur des Menschen entspricht. Dass Homo Sapiens Glaubensfähigkeiten entwickelt hat, erweist sich – rein evolutionstheoretisch gesehen -… als Glück.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

60 Kommentare

  1. Fragt sich nur, wie das Belohnungssystem eine religiöse Tätigkeit wie Beten von nichtreligiösen Ritualen wie z.B. „Lottoschein ausfüllen“ oder „Auto polieren“ unterscheiden kann, um mit der Produktion der Glücksdroge zu beginnen.

  2. @ – Michael

    Lieber Michael, hab’ recht herzlichen Dank für Deinen Hinweis auf meinen kurzen Essay. Ich werde mich bei Gelegenheit gerne revanchieren.

    Ich finde es reizvoll, über die philosophischen und religiösen Implikationen der Glücksforschung zu spekulieren. In meinem Beitrag bin ich ja, wenn überhaupt, nur auf die ökonomischen Folgerungen eingegangen.

    Berichte doch noch ein wenig mehr über den Zusammenhang von Religion und Glück. Ist es wirklich so, dass religiöse Menschen glücklicher sind als nichtreligiöse. Und wenn ja, weshalb genau sind sie eigentlich glücklicher? Und schließlich: Gibt es irgendwelche glaubwürdigen Daten, die zeigen, dass religiöse Menschen beispielsweise eher vor Depressionen und anderen Erkrankungen gefeit sind?

    Ich werde morgen oder übermorgen dann meinerseits einen Beitrag zu den möglichen philosophischen Implikationen der Glücksforschung auf den Blog stellen.

  3. @ adenosine

    Sehr gute Frage! Und letztlich zeigt sich auch hier die biokulturelle Evolution: Das Ritual, der Text, das Lied, das den einen Menschen noch zu Tränen des Glücks rührt, kann den anderen schon (wieder) kalt lassen. Gewachsene Religionen bieten daher stets eine Vielfalt möglicher liturgischer Formen und Diskussionen etwa über kirchliche Gebets- und Liederbücher fallen (insbesondere auch zwischen den Generationen!) hoch emotional aus! Religionen, die diese Vielfalt nicht oder nicht mehr anbieten, erleiden das Schicksal von Musikfirmen, die nur noch einstige Schlager in petto haben: Auch wenn einige treue Liebhaber bleiben, so wenden sich doch andere ab.

    Was Religionsgemeinschaften aber natürlich bleibend anzubieten haben, sind soziale Beziehungen, Gemeinschaftserlebnisse etc., die auch wiederholt glücklich machen. Und zumindest nach bisherigen (aber noch vorläufigen) Studien werden z.B. Gebete im Gehirn nicht als leere Handlungen, sondern als soziale Kommunikation erfahren. Mit dem göttlichen Vater (dem Geliebten, der heiligen Mutter etc.) Zeit zu verbringen, kann also subjektiv immer wieder neu, überraschend und beglückend erlebt werden.

  4. @ Edgar Dahl: Bitte!

    Lieber Edgar,

    gerne geschehen – ich fand und finde Deinen Artikel auch einfach sehr, sehr gelungen!

    Bisher hatte ich die Religions-Glückforschung noch gar nicht im Fokus, habe sie für eher nebensächlich gehalten – aber Du hast völlig Recht, wenn man die Daten Ernst nimmt und berücksichtigt, dass auch unsere Glückswahrnehmung evolviert ist, ist das eine hervorragende, weitere Perspektive auf gewachsene Zusammenhänge!

    Zitat “Berichte doch noch ein wenig mehr über den Zusammenhang von Religion und Glück. Ist es wirklich so, dass religiöse Menschen glücklicher sind als nichtreligiöse. Und wenn ja, weshalb genau sind sie eigentlich glücklicher?”

    Ja, empirische Daten zeigen immer wieder höhere Glücksniveaus (und auch Lebensdauer) an. Zur Erklärungsauswahl stehen das von Dir erwähnte Coping (also das Herstellen von Sinn und Kohärenz durch religiöse Erzählungen), rituelle Glückserfahrungen (Flow, Meditation etc.), aber (vielleicht am stärksten) soziale Faktoren: Weil religiöse Menschen z.B. durchschnittlich häufiger und stabiler heiraten profitieren sie natürlich von den etwas höheren Glücks- und Gesundheitsniveaus Verheirateter. Und die soziale Vergemeinschaftung schützt ja wiederum vor Einsamkeit, ermöglicht gemeinsame Erfahrungen (Wir-Gefühl, Ausfahrten etc.). Ich bin sehr skeptisch, ob sich das Ineinander dieser Faktoren je wird ganz entwirren lassen, zumal es unterschiedlich stark gemischt wird. Neureligiöse, fundamentalistische Gemeinschaften in Vorstädten bieten z.B. sehr häufig intensive Gemeinschaft, die die Zugezogenen suchen, in Dorfgemeinschaften können dagegen Traditionspflege und Freizeitangebote eine stärkere Rolle spielen usw.

    Zitat “Gibt es irgendwelche glaubwürdigen Daten, die zeigen, dass religiöse Menschen beispielsweise eher vor Depressionen und anderen Erkrankungen gefeit sind?”

    Ja, salutogenetische Daten legen eine entsprechende Wirkung nahe. Aber auch hier stehen wir wieder vor Wechselwirkungen: So könnte der Effekt scheinbar gestärkt werden, weil sich Menschen per Placebo-Effekt auch dann subjektiv besser fühlen könnten (“Gott trägt mich!”), als es Beobachter vielleicht einschätzen würden. Umgekehrt könnte es sein, dass gerade auch kranke Menschen religiöse Hilfe und Gemeinschaft suchen – und nicht wenige Religionsgemeinschaften spezialisieren sich sogar auf echte oder vermeintliche Gesundheits- und Heilwege. In solchen Gruppen können dann natürlich Kranke und Verzweifelte sogar deutlich überrepräsentiert sein!

    Es hilft also nichts: Wir werden uns da auch weiterhin Schritt für Schritt empirisch herantasten müssen. Nach Deinem hervorragenden Artikel werde ich an entsprechenden Daten- und Aufsätzen nie mehr voreilig vorbeigehen, versprochen! 🙂

    Herzliche Grüße

    Michael

  5. @ – Michael: Religion & Glück

    Bevor hier (hoffentlich) eine wirkliche Diskussion beginnt, schnell noch einmal den vielleicht überflüssigen, aber doch wichtigen Hinweis, dass das eventuell größere Glück religiöser Menschen selbstverständlich nichts über den Wahrheitsgehalt ihres Weltbildes aussagt.

    Am besten ist dieser Punkt wohl von George Bernard Shaw hervorgehoben worden, der einmal sagte: “Dass religiöse Menschen glücklicher als skeptische sind, ist genauso bedeutungslos wie die Tatsache, dass betrunkene Menschen glücklicher sind als nüchterne.”

  6. @ Edgar

    Ja, selbstverständlich, da sind wir uns völlig einig! Weder der biologisch-soziale Erfolg (der bei übermäßigem Alkoholkonsum beeinträchtigt wird! 🙂 ) noch das höhere Glücksniveau beweisen (oder widerlegen) religiöse Wahrheiten! Wir sprechen hier über rein empirische Befunde und bio-logische Implikationen.

    Was dies philosophisch und theologisch bedeuten könnte, wird sich zeigen. Da sehe ich mich persönlich auch gar nicht als fachlichen Experten, allenfalls als Gesprächspartner.

    Wie ist die Meinung dazu in den Wissenslogs, sollen wir so etwas dann hier in eigenen Beiträgen auch einmal diskutieren? Oder sollte Natur des Glaubens auf die Empirie beschränkt bleiben?

  7. Moin, moin!

    Michael: “Weder der biologisch-soziale
    Erfolg (der bei übermäßigem Alkoholkonsum beeinträchtigt wird! 🙂 )…”

    Bei “übermäßigem” Alkoholkonsum geht der biologisch-soziale Erfolg tatsächlich zurück, ebenso bei “übermäßiger” Religionsität, während er bei mäßigem Alkokolkonsum und mäßiger Religiösität steigt. (Nicht) Überraschend ist, dass der Zigarettenkonsum in starker positiver Korrelation zum “Reproduktionserfolg” steht. (Erklärung: Je ungebildeter ein Mensch ist, umso höher ist in unserer Gesellschaft seine Reproduktionsrate und die Wahrscheinlichkeit zur Nikotinsucht.)

    mfg
    Lutz

    P.S. Du hast Recht, lieber Michael, wer Glauben kann ist wirklich glücklicher. Ich weiß das, und würde auch gerne glauben, geht aber nicht bei mir. Mit meinen Diskussionsbeiträgen wollte ich immer nur versuchen, etwas “Pfeffer” in die “Diskussionssuppe” zu streuen.

  8. @ – Lutz

    Lutz schrieb: “Nicht überraschend ist, dass der Zigarettenkonsum in starker positiver Korrelation zum ‘Reproduktionserfolg’ steht. Erklärung: Je ungebildeter ein Mensch ist, umso höher ist in unserer Gesellschaft seine Reproduktionsrate und die Wahrscheinlichkeit zur Nikotinsucht.”

    Diese Argumentation zeigt sehr gut, dass, wenn man bloßen reproduktiven Erfolg als Kriterium biologischer Adaptivität betrachtet, man folgerichtigerweise selbst die Dummheit und das Rauchen als “adaptiv” bezeichnen müsste.

  9. @ – Michael: Arbeitsteilung

    Du schriebst: “Wie ist die Meinung dazu in den Wissenslogs, sollen wir so etwas dann hier in eigenen Beiträgen auch einmal diskutieren? Oder sollte Natur des Glaubens auf die Empirie beschränkt bleiben?”

    Ja, lass uns doch eine Art “Arbeitsteilung” vornehmen. Lass uns in Deinem Blog ausschließlich die empirischen Aspekte zum Thema Glück und Religion diskutieren und in meinem dann die im weitesten Sinne philosophischen Aspekte besprechen.

  10. @ Lutz

    Zitat “Bei “übermäßigem” Alkoholkonsum geht der biologisch-soziale Erfolg tatsächlich zurück, ebenso bei “übermäßiger” Religionsität, während er bei mäßigem Alkokolkonsum und mäßiger Religiösität steigt.”

    Hmmm – kann ich so einfach empirisch leider nicht bestätigen. Individuell mag eine Hyperfrömmigkeit ins Maladaptive umkippen. Aber die Amischen oder orthodoxen Juden würde man gemeinhin doch nicht gerade als “mäßig religiös” bezeichnen, ihr Reproduktionserfolg ist aber beispiellos. Und auch Sosis Studien zu den Kosten und Wirkungen kostspieliger religiöser Signale deuteten (leider!?) nicht in diese Richtung, siehe:
    http://www.wissenslogs.de/…ostet-ist-nichts-wert

    Ich halte es für entscheidend, dass wir zwischen persönlichen Anschauungen und den Aussagen der Daten immer wieder unterscheiden.

    Zitat “(Nicht) Überraschend ist, dass der Zigarettenkonsum in starker positiver Korrelation zum “Reproduktionserfolg” steht. (Erklärung: Je ungebildeter ein Mensch ist, umso höher ist in unserer Gesellschaft seine Reproduktionsrate und die Wahrscheinlichkeit zur Nikotinsucht.)”

    Zufällig liegt mir genau zu der Frage Religiosität-Bildung eine spannende Studie vor – ich sage hiermit zu, dass dies demnächst ein eigenes Thema bei Natur des Glaubens wird!

    Zitat “P.S. Du hast Recht, lieber Michael, wer Glauben kann ist wirklich glücklicher. Ich weiß das, und würde auch gerne glauben, geht aber nicht bei mir.”

    Lieber Lutz, ich halte das für einen (auch für Edga?) ganz wichtigen Punkt, den Du da ansprichst – Glauben erweist sich nicht primär als kognitive Leistung, die sich per Entscheidung an- oder ausknipsen ließe wie die Zustimmung z.B. zu einer wissenschaftlichen These. Da sind Erfahrungsebenen beteiligt (vgl. Matthias Essigs Hinweis in der Rob-Bet-Debatte auf Delta) und reflektierte Lehren der Religionen verweisen daher z.B. auch darauf, dass Glauben keine erzwingbare Leistung, sondern ein Geschenk o.ä. sei. Das auch wissenschaftlich beschreibbar zu klären, wird noch ein weiter Weg sein, fürchte ich…

    Zitat “Mit meinen Diskussionsbeiträgen wollte ich immer nur versuchen, etwas “Pfeffer” in die “Diskussionssuppe” zu streuen.”

    Lieber Lutz, ich finde Deine Beteiligung sehr, sehr gut! Mir ist bewusst, dass meine empirischen Befunde für manche religionskritischen Perspektiven erst einmal eine Zumutung darstellen, aber wenn die Diskussion ernsthaft und sachlich verläuft, können doch alle Seiten nur gewinnen. Als Religionswissenschaftler geht es mir ja überhaupt nicht darum, eine bestimmte (positive, neutrale oder negative) Haltung zu befördern, sondern Religion(en) seriös wissenschaftlich zu beschreiben. Und ein sehr gutes Kriterium scheinen Daten und Befunde zu sein, die dann eben auch aus verschiedenen Perspektiven zu überzeugen vermögen.

    Deswegen ist es gut, dass Du Deine Kochkünste zur hiesigen Suppe beisteuerst! 🙂

  11. @ Edgar: Arbeitsteilung

    Zitat “Ja, lass uns doch eine Art “Arbeitsteilung” vornehmen. Lass uns in Deinem Blog ausschließlich die empirischen Aspekte zum Thema Glück und Religion diskutieren und in meinem dann die im weitesten Sinne philosophischen Aspekte besprechen.”

    Das klingt sehr gut, weil ich mich, wie gesagt, für die Deutungs- und Wertungsebene nur sekundär zuständig sehe und eigentlich vor allem mit harten Daten arbeite. Doch, lass uns diese Arbeitsteilung doch mal versuchen, freue mich auf Deinen ersten Beitrag dazu (übrigens ein weiteres Scilogs-Experiment 😉 )!

  12. Zur Theorie des “religiösen Marktes”

    Lieber Michael,

    ich darf vielleicht darauf verweisen, daß die Theorie vom freien “religiösen Markt”, die Du wieder einmal erwähnst, in dem neuesten “Forschung Frankfurt”-Heft (dort im letzten Aufsatz) allerhand Differenzierungen erfährt, um mich vorsichtig auszudrücken. (Habe dazu einen Beitrag auf meinem Blog geschrieben mit den entsprechenden Verweisen.)

    Nach dieser neuen Studie der Frankfurter Religionswissenschaftlerin, prosperieren Religionsgemeinschaften dann besonders gut, wenn nicht zu VIEL religiöse Vielfalt und religiöser “Multikulti” vorhanden ist.

    Das paßt auch zu vielen Forschungsergebnissen in den USA, die eine ethnische Entmischung in den Wohngegenden feststellen und die feststellen, daß alle Faktoren zugewandten Sozialverhaltens in “entmischteren” Wohngegenden besser ausgeprägt sind als in gemischten.

    Bin gespannt auf einen Beitrag Deinerseits dazu, da die “Theorie des freien religiösen Marktes” ja ein echtes Steckenpferd von Dir ist.

  13. Religiös-demografischer Markt

    Hallo Ingo,

    vielen Dank für den guten Hinweis! Auf den ersten Blick sieht das sehr ähnlich aus wie die empirische Untersuchung, die Inglehart und Norris 2004 auf internationaler Ebene gemacht haben, mit gleichem Ergebnis.

    Allerdings könnte dabei auch der gleiche Lapsus unterlaufen sein: Inglehart und Norris unterschieden nicht zwischen Ländern, in denen noch ein vor-säkulares Monopol bestand (wie z.B. Polen), die die Phase des Zerfalls der Monopole durchliefen (wie z.B. Deutschland, Schweden etc.) oder schon religiöse Vielfalt demografisch entwickelt hatten (wie z.B. die USA). Wenn man diese sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien in einen empirischen Topf wirft, kommt natürlich kein klares Bild dabei heraus!

    Denn die starksche, ökonomische Theorie vom religiösen Markt geht ja von einem konstanten, religiösen Bedürfnis aus, das dann durch Anbieter befriedigt werde, sobald es Religionsfreiheit gebe – schon im Hinblick z.B. auf Ostdeutschland erkennbar unhaltbar. Wer nicht religiös sozialisiert wurde, wird eher selten nach religiösen Angeboten suchen.

    Der religiös-demografische Markt verweist dagegen auf den sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte aufbauenden, demografischen Wettbewerb – der religiöse Bedarf und die anbietende Vielfalt wachsen aus den religiös-reproduktiven Familien und Gemeinschaften erst nach. Ich vermute fast, dass Sigrid Roßteutscher diese Funktion von Religion(en) noch nicht im Blick hatte.

    Auf jeden Fall freue ich mich sehr auf ihr Buch und werde zu dem Thema mehr als einen Beitrag schalten, versprochen! 🙂

    Herzliche Grüße

    Michael

  14. Vereinigungen

    Lieber Michael,

    ist der Umstand welchen du in deinem Beitrag in Bezug auf Religionsgemeinschaften feststellst nicht auch ein Effekt, welcher sich auch auf andere Arten von Vergesellschaftungen oder Zusammenschlüssen auswirken sollte? Natürlich sind auch die Rahmenbedingungen, welche die Vergesellschaftung / der Zusammenschluss vorgibt ebenfalls von Bedeutung, jedoch rechne ich dem Gemeinschaftsgefühl, dem sich-helfen in der Gemeinschaft und dem etwas-miteinander-unternehmen und interagieren höhere Bedeutung zu als den Rahmenbedingungen. Ist also der Effekt welcher das Glücksgefühl in Religionsgemeinschaften allgemein anhebt auch auf Sport- und andere Vereine anwend- aber vielleicht nicht messbar?

    Beste Grüße,
    Dominic

  15. Glück und Evolution

    Ich möchte nur am Rande darauf hinweisen, obwohl es wenig mit der aktuellen Diskussion zu tun hat, dass Glück rein evolutionstheoretisch nicht im Geringsten mit Reproduktionserfolg zusammenhängen _muss_. Letzthin habe ich in einer Zeitung einen Artikel gelesen, der über eine Studie aus der Glücksforschung berichtete, die festgestellt hat, dass Kinder unglücklich machen, und dann die Frage stellte: “Warum haben Menschen dann überhaupt Kinder?” Eine Frage, die natürlich gar nicht aufkommt: Unter der Annahme, dass der Kinderwunsch zumindest teilweise genetisch bedingt ist, sowie sich die Unglücklichkeit aus der “Belastung” des Kindes ergibt, ist es einsichtig, dass das Verhalten eines Elternpaars mit 10 Kindern, das kein sehr glückliches Leben hat, evolutionsbiologisch erfolgreicher ist ist als dasjenige des Singles oder des kinderlosen Paars, welches unbelastet von Kindern das Leben geniesst – egal wie glücklich man durch ein solches Leben wird, das Verhalten stirbt nach einer Generation aus.

    Nb. ich nehme weder das Resultat der Glücksstudie als gesichert an, noch will ich hier selber über Freuden oder Leiden der Vater- und Mutterschaft urteilen, obiges Beispiel dient lediglich als Gedankenexperiment. Es scheint mir nur notwendig, darauf hinzuweisen, dass “Glück” erst sekundär auf reproduktiven Erfolg Einfluss hat.

  16. @ Dominic: Ist Glauben ersetzbar?

    Lieber Dominic,

    die Kernfrage, ob religiöse Vergemeinschaftung nicht auch durch andere soziale Vergemeinschaftungen ersetzt werden kann, ist in Natur des Glaubens schon mehrfach diskutiert worden und wird sicher auch mal ein eigenes Thema.

    Die Befundlage dazu ist aber ganz klar: Nein. So wirken religiöse Gebote vor allem dann verhaltensleitend, wenn sich die Menschen tatsächlich von übernatürlichen Akteuren beobachtet und beurteilt erfahren, siehe z.B. die Experimente von Bering hier:
    http://www.wissenslogs.de/…-28/gott-im-kopf-wozu

    Auch in der Frage der Wirkung und Haltbarkeit von rituell bestärkten Vergemeinschaftungsformen haben sich Religionsgemeinschaften als unschlagbar erwiesen, siehe z.B. die Forschungen von Sosis hier:
    http://www.wissenslogs.de/…ostet-ist-nichts-wert

    Und auch wenn ich sofort zustimmen würde (und sogar selbst in die Debatte und zu Edgar Dahls gutem Artikel ergänzt habe!), dass ein Teil der Glückswirkung von Religion auf interpersonale Gemeinschaftserfahrungen zurück zu führen und damit auch z.B. in einem Sportverein erfahrbar sind, haben religiöse Vergemeinschaftungen doch darüber hinaus wirkende Faktoren:

    1. Sind religiöse Vergemeinschaftungen existentieller angelegt, Ein- und Austritte werden als biografisch bedeutungsvolle und verbindliche Schritte inszeniert.

    2. Besteht ein Clou der Glaubensannahmen ja gerade darin, dass der komlexe, soziale Kontakt mit den übernatürlichen Akteuren (Ahnen, Göttern, Gott) stets möglich ist. Auch wer aus dem Fussballstadien daheim, ggf. ganz alleine oder gar eingesperrt in einer Zelle o.ä. sich befindet – das Gebet und Gespräch mit den übernatürlichen Akteuren ist immer möglich. In dieser Hinsicht sind glaubende Menschen auch nach Abzug aller anderen Faktoren noch seltener “allein”.

  17. @ Michael S: Glück-Reproduktion

    Zitat “Ich möchte nur am Rande darauf hinweisen, obwohl es wenig mit der aktuellen Diskussion zu tun hat, dass Glück rein evolutionstheoretisch nicht im Geringsten mit Reproduktionserfolg zusammenhängen _muss_.”

    Diesem Argument stimme ich völlig zu – es war sogar der (Haupt-)Grund, warum ich der Glücksforschung bisher so wenig Bedeutung beigemessen habe. Denn evolutionstheoretisch ist es völlig unerheblich, ob jemand glücklich oder unglücklich stirbt – entscheidend ist, wie erfolgreich die eigenen bzw. nah verwandten Gene weitergegeben wurden!

    Entsprechend ist meine Arbeit ganz klar auf religionsdemografische Befunde aufgebaut, eine kleine Auswahl z.B. hier:
    http://religionswissenschaft.twoday.net/…047705/

    oder in Artikelform z.B. hier:
    http://www.kas.de/wf/doc/kas_13362-544-1-30.pdf

    Allerdings gestehe ich Edgar Dahl zu, dass natürlich auch unsere Glücksfunktionen generell (und der kulturellen Präzision bedürfend) in Richtung Reproduktionsvorteil evolviert sind. Dass Religiosität mit erhöhtem Glück einhergeht ist also ein weiterer, stützender Befund zu den ohnehin vorliegenden Daten evolutionsbiologischen Erfolgs.

  18. @ – Michael S. & Michael B.

    Ich habe diesen Punkt unlängst in einem SdW-Leserbrief berührt, in dem ich schrieb: Evolutionstheoretisch sind wir nicht auf dieser Welt, um uns nach Herzenslust zu amüsieren, sondern um uns nach Leibeskräften zu reproduzieren. Alles, was der Weitergabe unserer Gene zuträglich ist, geht daher mit Lust, und alles, was der Weitergabe unserer Gene abträglich ist, geht daher mit Unlust einher. Das offenkundigste Beispiel hierfür ist natürlich der Sex. Damit wir uns reproduzieren, hat Mutter Natur uns das Verlangen in die Wiege gelegt. Wann immer wir unser Verlangen befriedigen können, sind wir glücklich; wann immer wir unser Verlangen nicht befriedigen können, sind wir unglücklich.

    Ich denke, mit dem Glück ist es ähnlich wie mit der Sexualität, die wir bekanntlich von der Reproduktion abkoppeln können. Objektiv haben wir Sex, um unsere Gene weiterzugeben, subjektiv haben wir Sex, weil es uns Spaß macht. Dass uns Sex Spaß macht, ist jedoch eine bloße “List der der Gene”, die uns mit Ekstase und Orgasmen dafür belohnen, dass wir ihren Zwecken dienen. Dank des altbewährten Coitus interruptus und der neu entwickelten Kontrazeptiva, genießen wir heute Sex, ohne zwangsläufig Kinder zu zeugen. Dass wir dies tun, ändert jedoch nichts daran, dass die mit der Sexualität einhergehende Lust nur zum Zwecke der Weitergabe der Gene entstanden ist.

    Ganz ähnlich dürfte es mit dem Glück sein. Nehmen wir nur etwa den Ehrgeiz. Der Ehrgeiz hat die Funktion, uns Wettbewerbsvorteile im Kampf um fortpflanzungsfähige Partner zu verschaffen. Insofern Frauen aus guten bologischen Gründen Gewinner gegenüber Verlierern bevorzugen, bemühen sich die Männer, einander auszustechen. Der Erfolg, den sie dabei erzielen, zahlt sich nicht nur durch Geld, Ansehen und Status aus, sondern in aller Regel auch durch die Zahl fortpflanzungsbereiter Frauen. Dass sich einige Männer, wie etwa Robert Redford, mit ihrem bloßen Ansehen begnügen und nicht jede Frau, die sich nachts vor ihr Hotelzimmer stellt, schwängern, ändert nichts daran, dass der Ehrgeiz letztlich nur reproduktiven Zwecken dient.

  19. @ Edgar Dahl: Und daher…

    …würde ich, wie auch Du es getan hast, der Glücksforschung einen evolutionstheoretisch interessanten Erkenntniswert zusprechen: In der Auswahl der Glückserfahrungen sind evolutionsgeschichtliche Erfolgspfade verstetigt.

    Wenn ich es richtig sehe, müßtest Du aber doch dann auch – über die Dir bereits bekannten, reproduktiven Daten hinaus – einräumen, dass auch die Glücksforschung auf einen Fitness- bzw. Reproduktionsvorteil durch Religiosität verweist. Siehst Du das auch so? Hat Dich die Fülle auch unabhängiger Befunde inzwischen überzeugt? 🙂

  20. @ – Michael: Glück & Religion

    Ich weiß bislang zu wenig über den Zusammenhang von Glück und Religion. Ich habe eben jedoch ein Sonderheft entdeckt, dass sich genau dieser Frage widmet: Joseph, S., Linley, P. A., & Maltby, J. (Eds.). Positive psychology, religion, and spirituality [Special Issue]. Mental Health, Religion, and Culture, 9 (3), 2006.

    Hat Deine Uni zufällig Online-Zugang zu dieser Zeitschrift? Ich würde mir gerne einige Beiträge dieses Sonderheftes ansehen.

    Alternativ muss man wahrscheinlich auf die Veröffentlichung von “Happiness: Unlocking the Mysteries of Mental Wealth” von Ed Diener warten. Ed Diener ist fraglos der führende Glücksforscher und sein Buch wird ein erstes Lehrbuch zum Thema werden. Das Buch, das bei Wiley-Blackwell erscheint, ist für den 16. September 2008 angekündigt. Ich bin zuversichtlich, dass es ein eigenes Kapitel zum Thema Religion und Glück enthalten wird.

  21. @ – Michael S. & Michael B.

    Ich habe gerade bemerkt, dass ich in meinem letzten Beitrag einen wichtigen Punkt zum Zusammenhang von Glück und Fortpflanzung vergessen habe.

    Michael S. hatte unterstellt, dass der Kinderwunsch genetisch determiniert sei. Dies muss keineswegs der Fall sein. Wie das angesprochene Beispiel der Sexualität zeigt, scheint sich die Evolution oft eher indirekter als direkter Mittel zu bedienen. Sie begnügt sich damit, uns einen Geschlechtstrieb einzupflanzen, der uns dazu veranlasst, Geschlechtsverkehr zu haben, der dann in aller Regel zu Kindern führt. Auf diese Weise bedarf es gar keines genetisch determinierten Wunsches, Kinder zu haben. Der evolutionär entscheidende Kindersegen wird sozusagen durch unser sexuelles Verlangen sichergestellt.

    Damit wir uns um die Kinder, die wir auf diese Weise zeugen, auch kümmern und nicht einfach aussetzen, bedient sich die Evolution freilich weiterer Tricks, wie etwa der Oxytocin-Ausschüttung während des Geburtsvorgangs, der eine psychische Bindung zwischen Mutter und Kind herstellt. Zudem haben Kinder bekanntlich ihrerseits Merkmale entwickelt, die ein fürsorgliches Verhalten auslösen, wie etwa Lorenz’ berühmtes “Kindchenschema”.

    All dieser Tricks bedarf es offenbar deshalb, weil das Zeugen und Aufziehen von Kindern, objektiv betrachtet, ein zeit- und kostenaufwendiges Unternehmen ist. Niemand würde sich auf dieses Unternehmen einlassen, wenn es nicht mit so großer Lust verbunden wäre.

    Dies gilt ja auch vom Geschlechtsakt selbst. Wenn uns nicht die Begierde dazu triebe, würden wir den Sex als das betrachten, was er tatsächlich ist – eine elende Plackerei, die uns 400 Kalorien abverlangt und letztlich in einem epileptischen Anfall mündet.

    Mehr dazu z.B. hier:

    http://www.amazon.de/…qid=1210306425&sr=8-13

  22. Im Anfang war…@Dahl

    …die Langeweile. Als Adam seine Eva erkannte, erkannte er auch, daß der one-night-stand nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Denn nun hieß es für ihn, im Schweiße seines Angesichts das Feld zu bestellen und für die Eva, unter Schmerzen ihre Kinder zu gebären. Vorwurfsvoll war der Feind schnell ausgemacht: es war die Triebnatur im Bild der Schlange, die für das Debakel verantwortlich gemacht wurde. Daran hat sich bis zum heutigen Tage nichts verändert. Liebe versus Begehren. Denn wären sie zur Liebe fähig gewesen, hätten sich sich vor ihrem Gotte einander verteidigt, denn angeklagt!

  23. @ Hilsebein

    Wow, ein echt interessanter Beitrag!

    Nicht gerade biologisch-empirisch orientiert 😉 , aber von erheblicher, symbolischer Wucht!

    Zitat “Denn wären sie zur Liebe fähig gewesen, hätten sich sich vor ihrem Gotte einander verteidigt, denn angeklagt!”

    Jetzt wünsche ich mir doch fast, ich wäre Theologe geworden. Das wäre mal ein Predigtaufhänger!

    @ Basty, was meinst Du als Pfarrer dazu?

  24. @ Dahl: Biogenetischer Imperativ

    Lieber Edgar,

    da kann ich Dir nur aus ganzem Herzen zustimmen – in der Tat halte ich genau dies, den Übergang von der stark genetisch fixierten Reproduktion zur biokulturell abwägenden Demografie, für “den” wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch – der auch den Reproduktionsvorteil von Religiosität mit sich bringt. (Des biblischen Gottes erste Worte und erstes Gebot an den Menschen, Genesis 1,28: Seid fruchtbar und mehret euch!).

    Leider sind große Teile der Evolutionsbiologie immer noch in einem Malthusianismus und also dem Denken einer quasi “automatischen” Vermehrung auch des Menschen verheddert, das die Ökonomie, Sozial- und Geisteswissenschaften bereits als falsch erkannt haben – hoffentlich wird dieser Verständnisgraben in naher Zukunft überwunden…

  25. @ – Dietmar Hilsebein

    Anders als Michael Blume, verstehe ich leider kein einziges Wort Ihres Kommentars. Ginge es vielleicht auch auf deutsch?

  26. @Dahl

    “Ginge es vielleicht auch auf deutsch?”

    😉 deutsch ist das schon, aber vll. ist Ihre rechte Hirnhälfte offline (->H.Wicht)

  27. @ – Hilsebein

    Ach, Du verbirgst Dich hinter “Hilsebein”! Mir will nach wie vor nicht in den Kopf, wie jemand, der buchstäblich mit beiden Beinen im Leben steht, seinen Kopf an die Poesie und die Metaphysik verlieren kann.

  28. @ Dahl

    “Ach, Du verbirgst Dich hinter “Hilsebein”!”

    Das Phänomen, das bei Ihnen gerade eintritt, kenne ich. Manchmal sind Gedankengänge so ähnlich, daß man meint, es handele sich um die selbe Person. Aber nein! Ich heiße Dietmar Hilsebein -ich bin nicht Helmut Wicht.

  29. @ Edgar Dahl, Glück und Evolution

    Zum Beitrag auf der letzten Seite: Es ist natürlich klar, dass das qualitative Phänomen Glück selber evolutionsbiologisch adaptiv sein muss. Ich zweifle aber daran, dass die _Menge_ des Glücks ebenfalls notwendigerweise direkt auf reproduktiven Erfolg Einfluss hat (dies wird erstens durch die Datenlage nicht unbedingt gestützt und zweitens würde es mir dann nicht einleuchten, warum es überhaupt noch unglückliche Menschen gibt – wenn es so einen simplen linearen Zusammenhang mehr Glück – mehr reproduktiver Erfolg gäbe, wäre es nicht einsichtig, warum der Grund-Glückspegel nicht bedeutend höher läge.) Deshalb sehe ich “simplistische” Feststellungen wie “mehr Religion -> mehr Glück -> mehr Kinder” von Michael B. etwas kritisch (obwohl ich nicht grundsätzlich die Möglichkeit in Frage stelle, dass Religion adaptiv war und/oder ist).

    Zum genetisch determinierten Kinderwunsch: Bei Menschen sind eindimensionale Datenkorrelationen natürlich immer mit Vorsicht zu betrachten, gerade da der Mensch den “evolutionären Selbstmord” der Verhütung erfunden hat. Darum ist es schwierig, heutige Daten zu Kinderzahlen evolutionshistorisch zu interpretieren, weil sie sich überhaupt nicht so verhalten, wie sie es 200’000 Jahre lang gemacht haben. Heutzutage reicht eben der Sexualtrieb alleine nicht mehr aus, um die evolutionären Aufgaben sicherzustellen… Ebenfalls sind bei selbstreflektierenden Kreaturen wie Menschen die Entscheidungswege manchmal zu vielschichtig, um mit einfachen linearen Zusammenhängen beschrieben zu werden.

    (Übrigens sehe ich den Geschlechtstrieb als sehr direktes evolutionäres Mittel, obwohl du recht hast, dass gerade bei Menschen vieles indirekt läuft. Im Gegensatz dazu ist ein Kinderwunsch beim Menschen immer nur eine Komponente der Entscheidung und darum viel eher als indirekt zu betrachten. Ob dieser jetzt tatsächlich genetisch determiniert ist, ist die andere Frage; ich verweise nur auf die genetisch determinierte Gelegegrösse bei Vögeln, natürlich mit dem Hinweis, dass solche Analoga mit Vorsicht zu betrachten sind.)

  30. @ Michael S.: Kleine Klarstellung

    Zitat “Deshalb sehe ich “simplistische” Feststellungen wie “mehr Religion -> mehr Glück -> mehr Kinder” von Michael B. etwas kritisch (obwohl ich nicht grundsätzlich die Möglichkeit in Frage stelle, dass Religion adaptiv war und/oder ist).”

    Ich darf noch einmal klarstellen: Seit einigen Jahren forsche und arbeite ich (neben einer wachsende Zahl von Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland) zum Zusammenhang von Religion und Reproduktion. Es besteht inzwischen kein statistischer Zweifel mehr, dass weltweit religiös vergemeinschaftete Menschen mehr Kinder haben als ihre säkularen Nachbarn. Links zu Datensammlungen u.ä. sind oben angegeben, ein Überblicksartikel z.B. hier: http://www.kas.de/wf/doc/kas_13362-544-1-30.pdf

    Der Faktor “Glück” spielte in den bisherigen Überlegungen gar keine Rolle und ist kein tragendes Element der Theoriebildung. Allerdings stärkt er den Befund weiter, denn in der Tat dürften unsere Glücksfunktionen in Richtung Adaptivität evolviert sein. Wir diskutieren hier im Beitrag keine Grundthesen mehr, sondern weitere, unterstützende Befunde.

  31. @ Michael B.

    Mein Beitrag sollte nicht eine Kritik an den bisherigen Ergebnissen deiner und anderer evolutionär-religiösen Studien sein, lediglich ein Zweifel am hier im Thread postulierten direkten Zusammenhang Religion->Glück->Kinder. Dass Religiosität zu höheren Reproduktionsraten führt, halte ich besonders in der heutigen Gesellschaft für sehr plausibel. Die Frage stellt sich, wie dieses Verhältnis in prä-kontrazeptiven (tolles Wort) Gesellschaften aussah. Religion gibt es ja nicht erst seit gestern, und um evolviert zu sein, muss Religion schon vor 10’000 Jahren adaptiv gewesen sein. Ein Zusammenhang der heutigen Daten mit kirchlichen Anti-Verhütungs-Positionen (ich rede jetzt einmal von der katholischen Kirche, aber dieses Phänomen wird sicherlich auch in anderen Religionen explizit oder implizit vorhanden sein) schiene bei heutigen Werten der Reproduktionsrate logisch. Wie gross war nun der adaptive Vorteil von Religionen, bevor Massen-Verhütung an Relevanz gewann? Eine Schwierigkeit bei einer empirischen Auswertung dieser Frage wird wohl auch sein, dass sowohl Massen-Verhütung als auch Massen-Laizismus/Religionslosigkeit eher junge Phänomene sind… (Soweit mir bekannt, natürlich.)

    Falls du Informationen oder Daten dazu hast, bin ich natürlich höchst interessiert.

  32. @ – Michael S.

    Möglicherweise hatte ich mich etwas unklar ausgedrückt, doch ich betrachte das Glück nicht als adaptiv. Ich meine nur, dass das, was adaptiv ist, oft von Glücksgefühlen begleitet ist, und das, was maladaptiv ist, oft von Unglücksgefühlen begleitet ist. Ich denke dabei nicht nur an Sex als dem offensichtlichsten Beispiel, sondern auch an Essen, Trinken, Karriere machen, Geld verdienen oder berühmt werden. Mit anderen Worten: Die natürliche Selektion “gängelt” uns über das Glück, Dinge zu tun, die adaptiv sind, auch (und gerade!) wenn sie mit großen Mühen verbunden sind.

    Wunschlos glücklich zu sein, wäre sogar maladaptiv. Wenn wir, wie es viele “Glücksforscher” fordern, in der Gegenwart leben würden und uns am Gezwitscher der Vögel, dem Flug eines Schmetterlings oder einem atemberaubenden Sonnenuntergang erfreuten, würden wir unseren biologischen Zweck verfehlen. Deshalb hatte ich in dem Artikel, auf den Michael Blume hingewiesen hatte, auch geschrieben:

    “Wenn alle Lebewesen einem biogenetischen Imperativ zur Fitnessmaximierung gehorchen und von der natürlichen Selektion darauf programmiert sind, ihre Gene weiterzugeben, wird verständlich, das wahres Glück oder Unglück nur von kurzer Dauer ist und wir rasch wieder zu einer Art Mittelwert zurückkehren. Wenn unsere Vorfahren nach jeder missglückten Jagd so deprimiert und nach jeder erfolgreichen Jagd so euphorisch geworden wären, dass sie tagelang einfach ihre Hände in den Schoß gelegt hätten, wären sie sicher eine leichte Beute für ihre Fressfeinde gewesen.

    Mutter Natur, der es gefällt, mit Zuckerbrot und Peitsche zu arbeiten, belohnt und bestraft daher nur vorübergehend mit Glück oder Unglück. Wenn wir etwas biologisch Sinnvolles tun, wie etwa unseren Hunger stillen, unseren Durst löschen oder unsere Begierden befriedigen, belohnt sie uns mit Glücksmomenten, die groß genug sind, damit wir das Verhalten gern wiederholen, aber eben nicht so groß, dass wir darüber unsere ‘biologischen Pflichten’ vergessen.”

  33. Mutter Natur, der es gefällt…@Dahl

    …drum bedarf es eben auch des Vaters. Man könnte den Weg des Menschen als Initiationsweg bezeichnen. Tannhäuser, der von der Venus, Parsifal/Parzival, der von der Mutter flieht.

    “aber eben nicht so groß, dass wir darüber unsere ‘biologischen Pflichten’ vergessen.”

    Vielleicht ist das Streben nach Erkenntnis der eigentliche Wille von “Mutter Natur” und vielleicht hat Goethe recht, wenn er sie in den Worten Mephistos sagen läßt:

    Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
    Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
    Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
    So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
    Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
    Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
    Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
    Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
    Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
    Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
    Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
    Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
    Ein wenig besser würd er leben,
    Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
    Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
    Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
    Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
    Wie eine der langbeinigen Zikaden,
    Die immer fliegt und fliegend springt
    Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
    Und läg er nur noch immer in dem Grase!
    In jeden Quark begräbt er seine Nase.

  34. Der Erdling – “Adam”
    und die Mutter allen Lebens – “Eva”.
    Was ich als Pfarrer dazu meine? speziell zum sog. “Sündenfall”?

    Von one-night-stand lese ich schlicht nix. Und noch so eine Interpretation kann ich mir nicht verkneifen, sie zu erwähnen: In einem in letzter Zeit bekannt gewordenen Buch las ich, wie man diese Erzählung auf das Niveau eines verhältnismäßig harmlosen Obstdiebstahls herunterdrückt. Na ja, so jemand hat nix begriffen. Auch wenn er Professor in Oxford ist, um Wissenschaft allgemein verständlich zu machen…
    Aber in der Geschichte geht’s doch ums Begreifen: Der Mensch will, muss immer mehr – will schließlich alles wissen. Und dass das mit Schmerzen verbunden ist, das wird ihm ja auch bewusst. Der Mensch, der zwischen Gut und Böse zu unterscheiden weiß, der hat’s nicht leichter, aber leicht hat’s ihn. Diese Gedanken sind in die uralte Erzählung verpackt, in der übrigens nirgends das Wort “Sünde” vorkommt. Wäre auch mal interessant, das zu beachten. Die ganze Geschichte ist natürlich keine Schilderung eines mal stattgehabten Vorfalls sondern in der Weise des alten Orients erzählerisch verpackte Anthroplogie: Der Mensch, der Erdling – Eva, die Mutter allen Lebens. Ich vergleiche sie ein bisschen mit der Erfahrung des Odysseus mit den Sirenen. (Dort wird schließlich die wirkliche Begegnung mit der allumfassenden Erkenntnis, weil zu gefährlich, verhindert).

    Die Schlange: Begierde? Zunächst Folgendes: In der Zeit als die Geschichte schriftlich fixiert wurde, hatten die ägyptischen Pharaonen das Schlangensymbol an ihren Kronen. Sollte wohl heißen: O ich bin klug und weise und mich betrügt man nicht; wer es dennoch versucht, der wird meine Macht tödlich zu spüren bekommen. Diese Parallele war den alten Erzählern sicher bewusst. Ich denke aber auch daran, dass eines der ältesten gefundenen religiösen Symbole (vor 70.000 Jahren in Südafrika) ein Höhleneingang ist, der in Schlangenform ausgestaltet wurde. Na ja, vielleicht wurde die Schlange, dieser geheimnisvolle Feind des Menschen, immer wieder zum (wider-)göttlichen Symbol.
    Auf der unbewussten/vorbewussten Ebene kann die Schlange natürlich auch ein Phallus-Symbol sein und dann doch etwas mit Triebnatur zu tun haben. Diese Konnotation sexueller Verführung bekam die Geschichte denn auch später; auch weil erkennen = begreifen begrifflich relativ nahe ist beim Begreifen = sexuell rannehmen (und Adam “erkannte” seine Frau).
    Dass es einen Geschlechterkampf gibt und die alten Erzähler männliche Positionen ausbauten (“das Weib, das du mir gegeben hast…”) muss man als anthropologisch relevante Tatsache zur Kenntnis nehmen, auch wenn das dann manchmal ungute Folgen zeitigte — siehe Kirchengeschichte; aber man soll nicht so tun, als ob die antike Welt ohne Kirche eine Welt der Gleichberechtigung und der Freiheit wäre. Gibt eben nicht nur Liebe bzw. in unterschiedlichen Phasen unterschiedliche Hormonausschüttungen. Und ich finde es an der Bibel gut, dass der Mensch nicht nur von seiner schönen Seite gezeigt wird. Also, die alten Erzähler haben auch den Geschlechterkampf mit in hrer Erzählung drin. Aber schließlich haben sie mit der nicht sehr selbstbewussten Reaktion des Adam sich als Männer doch in ein nicht zu günstiges Licht gesetzt.
    Im Übrigen denke ich manchmal der Idee nach: Dass Eva zuerst von der Frucht nimmt, könnte eine Widerspiegelung der “Erfindung” der Landwirtschaft sein. Die Frauen haben vielleicht wirklich diese Innovation schneller begriffen und griffen nach den neuen Möglichkeiten, die sich ihnen da boten.
    Und eben auch nach umfassenderer Erkenntnis, während die Männer möglicherweise länger ihr Jäger-Sammler-Verhalten beibehalten konnten.
    Aber das ist (wie die Schlangenhöhle aus Südafrika) ein Zusammenhang, der zwar möglicherweise Auswirkungen in die Erzählung hinein hatte, der aber den alten Erzählern sicher nicht bewusst war.

    So viel. Über
    “Liebe und zu auch schmerzlicher Selbsterkenntnis stehen” –
    das wäre wohl mal ein Predigtaufhänger, lieber Michael. Aber jetzt ist zuerst einmal Pfingsten…
    Und dann bin ich auch mal weg vom Computer – aus Liebe.

    Basty

  35. @ Michael S: Reproduktion b. Wildbeutern

    Zitat “Dass Religiosität zu höheren Reproduktionsraten führt, halte ich besonders in der heutigen Gesellschaft für sehr plausibel. Die Frage stellt sich, wie dieses Verhältnis in prä-kontrazeptiven (tolles Wort) Gesellschaften aussah.”

    Sehr gute Frage!

    “Religion gibt es ja nicht erst seit gestern, und um evolviert zu sein, muss Religion schon vor 10’000 Jahren adaptiv gewesen sein.”

    Exakt! Das erste, auf den Glauben an und Verhalten zu übernatürlichen Akteure hindeutende Verhalten sowohl von Homo Sapiens wie Homo Neanderthalensis waren Bestattungen in der mittleren Altsteinzeit, vor ca. 100.000 bis 120.000 Jahren. Und seitdem haben die entsprechenden Verhaltensweisen rapide an Komplexität zugenommen und sind heute weltweit zu finden.

    Zitat “Ein Zusammenhang der heutigen Daten mit kirchlichen Anti-Verhütungs-Positionen (ich rede jetzt einmal von der katholischen Kirche, aber dieses Phänomen wird sicherlich auch in anderen Religionen explizit oder implizit vorhanden sein) schiene bei heutigen Werten der Reproduktionsrate logisch.”

    Wobei dieser Aspekt eine sehr viel kleinere Rolle spielt, als populär angenommen. So zeigen Vergleichsbefragungen, dass Katholiken schon seit den 70er Jahren Verhütungsmittel fast ebenso häufig anwenden wie Anhänger anderer und keiner Konfession. Auch wurden und werden sie in Europa längst von jüdischen und evangelisch-freikirchlichen Gemeinschaften reproduktiv überholt, die keine absoluten Verhütungsverbote kennen.

    Zitat “Wie gross war nun der adaptive Vorteil von Religionen, bevor Massen-Verhütung an Relevanz gewann?”

    Schon in einer sehr alten Überlieferungsschicht der Bibel, in Genesis 38, wird ganz selbstverständlich vom Coitus interruptus berichtet. Und auch von heutigen Wildbeutervölkern ist komplexes sexuelles (Verhütungs-)Wissen belegt.

    Zitat “Eine Schwierigkeit bei einer empirischen Auswertung dieser Frage wird wohl auch sein, dass sowohl Massen-Verhütung als auch Massen-Laizismus/Religionslosigkeit eher junge Phänomene sind… (Soweit mir bekannt, natürlich.)”

    Wie gesagt: das Wissen um Sexualität, die Folgen, verhütende Pflanzen und Techniken sowie die Möglichkeit der Kindesaussetzung ist in alten Überlieferungen ebenso präsent wie bei heutigen Wildbeutervölkern. Auch berichten Ethnologen (wie Pascal Boyer), dass die Begeisterung für religiöse Lehren auch bei Naturvölkern individuell sehr unterschiedlich ausfällt. Genforscher würden das auch so erwarten :-), siehe
    http://www.wissenslogs.de/…der-verhaltensgenetik

    Zitat “Falls du Informationen oder Daten dazu hast, bin ich natürlich höchst interessiert.”

    Ja, da gibt es tatsächlich sehr starke Indizien, wie bereits angedeutet: Heutige Wildbeutervölker wie die !Kung San weisen bereits komplexes Wissen um Sexualität, Reproduktion und Verhütung auf. Die Kinderzahl wird individuell beeinflusst (ggf. auch durch Kindesaussetzung) und in ihren religiösen Lehren werden Fruchtbarkeit und Kinder als erstrebenswert gelehrt. Darüber hinaus weisen die Rituale (z.B. der Num-Tanz) bereits die Signalfunktion auf: vor allem Männer beweisen ihre Frömmigkeit durch massiven und auch emotionalen Einsatz und steigern damit ihre Attraktivität in der Partnerwahl.
    Vgl. dazu hier:
    http://www.wissenslogs.de/…religi-se-frauen-dumm

    Nehmen wir jetzt noch die rapide Emergenz des Verhaltensmerkmals Religiosität auf (in nur ca. 5.000 bis 6.000 Generationen) und berücksichtigen den Umstand, dass es in allen Menschenpopulationen und -kulturen auftritt (also nicht z.B. nur in bestimmten Klimazonen oder Agrargesellschaften auftritt), dann sprechen bisher alle Befunde dafür, dass es in der Evolutionsgeschichte des Menschen bereits seit längerem adaptiv wirkte.

    Die Befunde der Glücksforschung würden dies noch einmal untermauern und ich habe die Hoffnung, dass auch DNA-Analysen in Zukunft weitere Erkenntnisse dazu liefern könnten – beispielsweise zum Auftreten und Ausbreiten ritueller Verhaltenspräferenzen etc.

    Es bleibt also viel zu entdecken – und ich finde es übrigens klasse, auf welch reflektiertem Niveau Du Dich hier einbringst!!!

  36. Abhängigkeit des Glücks vom Wissen

    Könnte es auch sein, dass Glück vom Grad des Wissens abhängt und vom Grad des Zweifelns? Also, je wissender, desto unglücklicher. Je zweifelnder, desto unglücklicher. – Da müsste doch eine direkte Verbindung zur Religiosität bestehen. Könnte es sein, dass gläubige Menschen weniger wissen und weniger zweifeln?

    Für mich ist das durchaus logisch, dass jemand, der alles so annimmt, wie es eben kommt und sich wenig Gedanken drum macht, glücklicher sein kann als jemand, der eben zweifelt und sehr viel nachdenkt.

  37. @ Beate: Wissensfragen

    Hallo Beate,

    jetzt habe ich die ganze Zeit mit mir gerungen, ob ich als nächstes Thema den religiösen bzw. religionsdemografischen Markt oder ab Religiosität und Bildung behandeln sollte.

    Dein Beitrag hat mich jetzt überzeugt: als nächstes kommt das Bildungsthema!

    Von der Religionsdemografie her können wir dank Daten ganz klar sagen: Religiosität wirkt sich auch bei Menschen mit höherer Bildung reproduktiv förderlich aus.

    Aber an @Edgar Dahl: Beate hat m.E. völlig Recht, ein (positiver, negativer, neutraler?) Zusammenhang zwischen Glück und Bildung wäre doch sehr interessant! Gibt es dazu bereits Erkenntnisse?

  38. @ – Beate & Michael: Bildung & Glück

    Nein, nach allem, was man weiß, gibt es keinen Zusammenhang von Bildung und Glück. Schlaue sind nicht glücklicher als Dumme und Dumme sind nicht glücklicher als Schlaue. Wenn gebildetere Menschen mitunter glücklicher erscheinen, dann ist dies in aller Regel darauf zurückzuführen, dass sie dank ihrer Bildung bessere Jobs und höhere Gehälter haben.

  39. @ Dahl

    “Wenn gebildetere Menschen mitunter glücklicher erscheinen.”

    Wenn die Betonung auf “Erscheinen” liegt, dann habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen!

  40. @ – Beate & Michael: Religion & Glück

    Ich hatte eben nur die Frage beantwortet, die Michael aufgeworfen hatte: ob es einen direkten Zusammenhang zwischen Bildung und Glück gibt. Wie gesagt, gibt es einen solchen Zusammenhang nicht.

    Doch was Beate meinte, ist, glaube ich, etwas anderes. Indem sie unterstellt, dass Intelligentere eher zum Skeptizismus neigen, fragt sie, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen Religion und Glück gibt: Sind Menschen, die ein religiöses Weltbild haben, in dem alles, einschließlich sie selbst, seinen festen Platz hat, glücklicher als Menschen, die skeptisch sind und beständig zweifeln? Mit anderen Worten: Sind religiöse Menschen glücklicher als areligiöse?

    Ich schreibe gleich einmal einen kurzen Text dazu.

  41. @ Dahl

    “Sind religiöse Menschen glücklicher als areligiöse?”

    Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht einmal, was ein religiöser Mensch sein soll. Ist ein religiöser Mensch einer, der das Unmögliche begehrt? Oh ja -dem würde ich zustimmen! Aber religiös und kirchlich -sicher nicht! Aber wer sich auf Gott einläßt -was immer auch das sein möge-der läßt sich auf das Ungewisse, Unaussprechliche ein. Dem ist jeder Weg zurück für immer verwehrt! Glück? Oh! Das Glück hinkt vielleicht spät -sehr spät der Erkenntnis hinterdrein!

  42. @ – Dietmar Hilsebein

    Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ein prosaischer Mensch bin, der nur Prosa versteht.

  43. @ – Dietmar Hilsebein: Religiöse Mensche

    Offenbar haben sich unsere letzten beiden Kommentare überschnitten. Auch wenn ich – wieder einmal! – Ihren letzten Absatz nicht so recht verstehe, meine ich doch, Ihre beiden Fragen verstanden zu haben.

    Ein religiöser Mensch ist in meinen Augen ein Mensch, der an übernatürliche Wesenheiten, wie etwa Götter, Geister und Dämonen, glaubt und meint, mit ihnen in Verbindung treten und sie durch bestimmte Opfer oder Rituale beeinflussen zu können.

    Sicher geht nicht jeder religiöse Mensch in die Kirche, doch die, die in die Kirche gehen, sind sicher religiös (es sei denn natürlich, sie gehen aus nostalgischen oder ästhetischen Gründen zu einem Gottesdienst).

  44. @ Dahl

    Das ist keine Schande -das ist ein Zeichen unserer Zeit. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: darin liegt kein moralisches Urteil, denn was liegt an der Moral? Wir sind es nur noch nicht gewohnt: weiblich zu denken! Doch auch das würde zu einem Mißverständnis führen, denn ich meine damit nicht die realexistierende Frau, die sich vermännlicht hat!

  45. “Wer´s glaubt, wird selig”

    Ich hatte meinen Beitrag gestern eher so gemeint, dass ich denke, dass nicht die Religiosität das Ursprüngliche ist, welches einem Menschen zu mehr Glück verhilft, sondern eher seine Veranlagung. Zum Beispiel die, sketptischer zu sein oder eben alles so zu glauben, wie es von anderen gesagt wird. Letztere sind ja eher religiös als die Skeptiker.

    Es gibt ja den alten Spruch: “Wer´s glaubt, wird selig”. Also auch, wer´s nicht glaubt, wird immer mehr Mühe da hinein stecken, um herauszufinden, wie es wirklich ist. Und das ist mitunter anstrengend, also unterm Strich weniger glücklich machend. Wobei es denjenigen selbst sicher glücklicher macht. Skeptische Menschen sind eben nicht zufrieden, wenn sie etwas hinnehmen sollen, was ihnen unglaubwürdig erscheint.

    Also, Michael, der Bildungsstand allein ist es nicht. Es liegt auch daran, wie Menschen diese Bildung für sich selber annehmen können. Zu den glücklichsten Menschen gehören möglicherweise auch geistig behinderte Menschen. Die müssen sich eben keine Gedanken darum machen, warum etwas so oder so ist oder wie man aus dieser oder jener schwierigen Situation wieder raus kommt.

  46. @ Beate: Annahmen & Skeptiker

    Liebe Beate,

    einerseits kann ich Deinen Gedanken gut nachvollziehen. Tatsächlich könnte es zu den (biologisch vererbten und sozial erworbenen) Veranlagungen religiöser Menschen gehören, vertrauensvoller Unbeweisbares anzunehmen. Denken wir an Liebeserklärungen oder eben religiöse Heilszusagen, für die es in beiden Fällen nicht mehr als Signale geben kann, die so oder so gedeutet, angenommen oder abgewiesen werden können.

    Allerdings trägt dieser Ansatz m.E. nicht sehr weit. Du schriebst, religiöse Menschen würden eher dazu neigen “eben alles so zu glauben, wie es von anderen gesagt wird.”

    Am aktivsten sind jedoch religiöse Minderheiten, die ihre Identität meist sehr deutlich gegen den Mainstream bewahren müssen. Denke an Juden in christlichen Ländern oder an Christen und Muslime in den neuen Bundesländern, die eben ganz und gar nicht “alles so glauben, wie es von anderen gesagt wird”, sondern den Mut haben (müssen), sich täglich in anderen (anders- oder nichtglaubenden) Mehrheiten zu bewegen und doch ihren Glauben zu behalten.

    Und nicht nur in Ostdeutschland kann das, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, eben auch bedeuten, sich fremden- und religionsfeindlichen Stimmungen ausgesetzt zu sehen, in denen Konfessionslose allerhand Vorurteile z.B. über die Kirchen oder den Islam übernommen haben… Dumpfes Mitlaufen ist beileibe kein nur religiöses Phänomen!

    Herzliche Grüße

    Michael

  47. nicht pauschalisieren

    Lieber Michael,

    man darf das nicht pauschalisieren. Ausnahmen gibt es doch immer. Und der Glückskooeffizient wurde möglicherweise nicht für diese von dir genannten Gruppen ermittelt. Oder wenigstens zu einem großen Teil nicht.

    Hinzu kommt dieser Faktor des sich dran Gewöhnens. Wie Edgar in seinem Artikel schrieb, empfinden selbst Behinderte nach einer Zeit ihres Behindertseins fast genauso viel Glück wie sie es vorher empfunden haben. Da sie sich eben dran gewöhnt haben. Warum soll das nicht für Unterdrückte zumindest bis zu einem gewissen Grad auch gelten? (Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich will keine Unterdrückung legalisieren.)

    Es stellt sich ja auch die Frage, welche der untersuchten Gruppen in den Studien mehr unterdrückt wurde. …

  48. @Edgar:

    Du hast ja in deinem Artikel “Macht Geld glücklich” zu dem Thema geschrieben und auch den Zusammenhang Glück und Religiosität kurz beleuchtet.

    Mit dem Argument, religiöse Menschen wären glücklicher, weil sie im Gegensatz zu areligiösen Menschen ihrem Leben einen Sinn geben würden, komme ich jedoch nicht mit. Wie kommst du darauf, dass nicht religiöse Menschen ihrem Leben keinen Sinn geben würden? Ich zum Beispiel empfinde es als ziemlich sinnlos, irgendwelchen Göttern hinterher zu laufen. Sinnvoller ist es doch, das Leben anzupacken und den Tatsachen ins Auge zu schauen. …

  49. @ – Beate: Religion & Glück

    Ich habe gerade einen neuen Text dazu auf den Blog gestellt: “Das Opium des Volkes”.

    Hier jetzt nur soviel: Ich meine natürlich nicht, dass religiöse Menschen ein sinnvolles Dasein und areligiöse Menschen ein sinnloses Dasein fristen. Ganz und gar nicht!

    Der Unterschied ist der, dass religiöse Menschen im Unterschied zu areligiösen einen vorgegebenen Sinn des Lebens haben. Für sie ist die Frage, welchen Sinn das Leben hat, von vornherein geklärt: Für sie geht es in erster Linie darum, ein gottgefälliges Leben zu führen.

    Dass areligiöse Menschen keinen vorgegebenen Sinn besitzen und ihrem Leben erst mühsam einen Sinn verleihen müssen, erscheint vielen Menschen als ein offenkundiger Nachteil.

    Mir persönlich geht es jedoch wie Dir. Ich brauche keinen vorgegebenen Sinn des Lebens. Ich bin ganz zufrieden mit dem zugegebenermaßen viel bescheideneren Sinn, den ich meinem jämmerlichen Leben verliehen habe.

    Mehr noch: Um sein Leben als sinnvoll betrachten zu können, genügt es meines Erachtens nicht, dass es einen vorgegebenen Sinn gibt. Schließlich muss man sich mit diesem vorgegebenen Sinn auch identifizieren können. Insofern ich mich gegen das Leben, das Gott seinen Geschöpfen auferlegt hat, auflehne, kann ich mich mit dem christlichen Sinn des Lebens nur schwer einverstanden erklären.

  50. @ Beate & Edgar Dahl: Verständnisfragen

    Edgar schrieb: “Um sein Leben als sinnvoll betrachten zu können, genügt es meines Erachtens nicht, dass es einen vorgegebenen Sinn gibt. Schließlich muss man sich mit diesem vorgegebenen Sinn auch identifizieren können. Insofern ich mich gegen das Leben, das Gott seinen Geschöpfen auferlegt hat, auflehne, kann ich mich mit dem christlichen Sinn des Lebens nur schwer einverstanden erklären.”

    Dazu habe ich zwei ehrliche Verständnisfragen.

    1. Wie kann man logisch einen Sinn im Leben finden, wenn man doch glaubt, dass die gesamte Existenz nur ein sinn-loser Zufall ist? Läuft da nicht jede Sinnkonstruktion auf illusionäre Selbsttäuschung heraus?

    2. Wenn die ganze Existenz ausschließlich durch Naturgesetze determiniert ist, welchen Entscheidungsspielraum hat dann der Einzelne? Was soll das heißen “dem eigenen Leben einen Sinn geben” oder “sich gegen den christlichen Sinn des Lebens auflehnen”, wenn wir doch alle nur Programme abspulen? Wer gibt da einen Sinn, wer lehnt sich auf? Die Vorstellung eines “freien Ich” ist doch gerade nach Euren materialistischen Prämissen ebenfalls nur eine Illusion, oder!?

  51. Man muss für das Leben nicht künstlich einen Sinn konstruieren, die Existenz an sich ist Sinn genug. Es ist doch ein faszinierender Gedanke an einem Prozess teilzuhaben, der von der 1. lebenden Struktur in einer kontinuierlichen Abfolge zu der eigenen Existenz geführt hat. Diese muss man einfach genießen. Die Phase der Nichtexistenz kommt früh genug wieder, davon gibt es genug, die muss nicht angestrebt werden.

  52. @ adenosine: Grüblerfrage

    Zitat “Man muss für das Leben nicht künstlich einen Sinn konstruieren, die Existenz an sich ist Sinn genug.”

    Wenn man das so sieht, verstehe ich aber die (auch hier gerne vorgebrachte) naturalistische Religionskritik nicht. Wenn Existenz selbst Sinn konstituiert, müsste man doch auch die menschliche Religiosität schlichtweg als Teil der menschlichen, natürlichen Existenz betrachten und ebenso bejahen wie andere, existierende Merkmale auch. Wir sehen es doch immer deutlicher: Religiosität ist… ganz natürlich. Und evolutiv erfolgreich obendrein… Ganz ehrlich: Ich verstehe einfach nicht, worüber sich dann Religionskritiker noch aufregen…

  53. Sinn des Lebens

    Nun, unsere Existenz ist zwar ein Zufall, aber doch nicht sinnlos. Gut, wenn ich mir vorstelle, ich habe ein Leben von mehreren Milliarden Lichtjahren und sitze da auf einem entfernten Planeten, beobachte die Erde, schaue, dass da Leben entsteht und ein paar Augenblicke später wieder verschwindet (das Leben auf der Erde als Ganzes), dann könnte ich mich schon fragen, was hatte das nun für einen Sinn? Aber schauen wir doch nicht so global, schauen wir auf das Leben jedes einzelnen Menschen. Für mich besteht der Sinn des Lebens für jeden einzelnen Menschen darin, sich seines Lebens zu erfreuen. Und wer darüber hinaus noch etwas dafür tut, dass auch andere Menschen sich ihres Lebens noch etwas besser erfreuen können, der hat seinem Leben einen ganz besonderen Sinn gegeben.

    Du sprichst die widerlegte Willensfreiheit an, Michael. Ich habe damit kein Problem. Sie widerspricht nicht dem Sinn des Lebens. Zwar ist unser Handeln immer nur das Resultat einer Kette von Ursachen, aber das hindert uns doch nicht daran, uns unseres Lebens zu erfreuen. Diese Erkenntnis sollte uns auch nicht daran hindern, unserem Leben einen besonderen Sinn zu verleihen. Sie wird uns auch nicht daran hindern, denn die Naturgesetze sind nun mal so, dass wir unserem Leben auch einen Sinn geben wollen.

    Ich muss mich auch nicht gegen einen christlichen Sinn des Lebens, ein gottgefälliges Leben zu führen, auflehnen, weil es eine solche Art von Sinn für mich schlichtweg nicht gibt. Für mich macht es genauso wenig Sinn, nach dem vermeintlichen Willen von Jahwe zu leben, wie es eben keinen Sinn macht, nach dem Willen der fliegenden Teekanne zu leben.

    Zitat: „Ich verstehe einfach nicht, worüber sich dann Religionskritiker noch aufregen“. Religionskritiker kritisieren in erster Linie nicht die Gläubigkeit an übernatürliche Intelligenzen an sich, sondern sie kritisieren vor Allem bestimmte Praktiken, die im Zusammenhang mit Religionen entstanden sind und Menschen verachtend sind. Religionskritik als Auseinandersetzung mit der Gläubigkeit an übernatürliche Intelligenzen beschäftigt sich auch nur mit der Frage, wie wahrscheinlich ist die Existenz von übernatürlichen Intelligenzen. Widerlegen konnte sie ja bisher keiner. Aber die Indizien stehen doch eher so, dass die Existenz solcher Intelligenzen sehr unwahrscheinlich ist und dass vor Allem übernatürliche Intelligenzen mit den Eigenschaften, die bestimmte Religionen ihnen anhaften, teilweise so auch gar nicht existieren können (z.B. Stichwort: allmächtig, allgütig, allwissend). – Ich denke nicht, dass es ernst zu nehmende Religionskritiker gibt, sie sich darüber „aufregen“, dass Menschen in ihrer Evolution die Neigung entwickelt haben, an übernatürliche Geister zu glauben.

  54. @ Beate: Widerspruch?

    Liebe Beate,

    danke für Deine schöne Antwort. Ich versuche wirklich zu verstehen, nur sehe ich da enorme Widersprüche.

    Zitat “Zwar ist unser Handeln immer nur das Resultat einer Kette von Ursachen, aber das hindert uns doch nicht daran, uns unseres Lebens zu erfreuen. Diese Erkenntnis sollte uns auch nicht daran hindern, unserem Leben einen besonderen Sinn zu verleihen.”

    1. Wenn unser Handeln nur das Resultat einer Kette von Ursachen ist, dann gibt es kein “uns”, das sich für oder gegen irgend etwas entscheiden könnte.

    2. Wenn es keinen Sinn, sondern nur Zufall gibt, dann ist auch der von Dir beschworene “besondere Sinn” nur eine Illusion – und steht auf der gleichen Ebene wie Glaubensannahmen – mit dem Unterschied, dass diese wahr sein “könnten”, während Du ja davon ausgehst, dass es keinen Sinn gibt…

    Übrigens gibt es dann auch gar kein Argument, warum sich jemand für die Sinnstiftung anderer interessieren müßte. Ob Du eine Teekanne, Deinen Geldbeutel oder Karl Marx als Sinnstifter verwendest oder Lieschen Müller Gott anbetet, macht dann keinerlei absoluten Unterschied: nur den, dass Lieschen Müller mit höherer Wahrscheinlichkeit glücklicher sein wird und sich biologisch erfolgreicher fortpflanzt… Warum sollte sie sich für Deine Einwände dagegen überhaupt interessieren?

    Mit fragenden Grüßen

    Michael

  55. Worüber sich Religionskritiker aufregen?

    Der Mensch macht seit über 2 Jahrtausenden die Umwelt kaputt, er ist sogar glücklich dabei. Heisst das, dass das etwas Natürliches ist und wir so weitermachen sollten, bis die Erde ganz vor die Hunde gegangen ist?
    Genauso lässt sich aus Überlegungen zur Entstehung und Evolution der Religion überhaupt nichts Wertendes über sie sagen. Das Argument “Religion ist/war evolutiv erfolgreich” ist so wenig ein Argument für wie gegen Religion. (Wie du sicher weisst, gibt es jede Menge Argumente für wie auch gegen Religion, aber diese in diesem Thread zu diskutieren, würde wohl Sinn und Zweck des Threads sprengen und der Frage nicht das verdiente Gewicht zukommen lassen.)

  56. @ Michael S.: Ja, absolut!

    Lieber Namensvetter,

    Zitat “Genauso lässt sich aus Überlegungen zur Entstehung und Evolution der Religion überhaupt nichts Wertendes über sie sagen.”

    Ja, genau das ist der Punkt! Ich möchte gerne Religion(en) empirisch und auf Basis naturwissenschaftlich überprüfbarer Annahmen erforschen und beschreiben – und der zunehmend nachweisbare, biologische Erfolg ist weder ein Gut-Schlecht noch ein Wahr-Unwahr-Zeugnis. Dennoch (schau Dir die Debatten an), vergeht kein Beitrag ohne die “Aber-Religiöse-sind-doch-dumm-und-gefährlich”-Beiträge, die ich ermüdend finde.

    Meines Erachtens sollten sowohl religiöse wie nichtreligiöse Menschen doch erst einmal versuchen zu verstehen und dann ggf. über Wertungsfragen diskutieren. Da würde ich dann den Philosophen und Theologen auch gerne lauschen, sehe mich da gar nicht als Experte.

    Aber verrückterweise erlebe ich sehr häufig, dass viele erst einmal ihre religiösen oder (hier in der Mehrzahl) religionskritischen Emotionen ausschütten, bevor sie überhaupt bereit sind, sich mit empirischen und bio-logischen Daten zu befassen. Und das (ich gebe es zu) verstehe ich bisher nicht, gerade nicht von Leuten, die von sich eine “wissenschaftliche Weltanschauung” behaupten… Ganz ehrlich gefragt: Hast Du mir eine Erklärung?

    Herzliche Grüße

    Michael

  57. Sinn des Lebens

    Lieber Michael,

    Zitat: „Wenn unser Handeln nur das Resultat einer Kette von Ursachen ist, dann gibt es kein “uns”, das sich für oder gegen irgend etwas entscheiden könnte.“
    Zunächst gibt es mal ein „uns“, da wir ja Individuen sind. Und in einem gewissen Sinne entscheiden wir uns schon. Wenn dahinter auch kein freier Wille steht. Es gibt nur eben eine ganze Reihe von Ursachen, die Grundlage für unsere Entscheidungen sind. Wir entscheiden uns nicht unabhängig von diesen Ursachen. Manchmal reicht die Änderung einer einzigen von 100 Ursachen, um eine Entscheidung zu kippen. Beispielsweise entscheide ich mich allabendlich zu einer bestimmten Zeit, meinen Computer auszuschalten. Das aufgrund verschiedener Ursachen – weil ich eine bestimmte Zeit Schlaf brauche, weil ich müde geworden bin, weil ich aber noch einen bestimmten Text lesen und beantworten wollte, weil es wieder so spannend oder auch mal nicht so spannend war, … und noch ein paar mehr Ursachen, die ich gar nicht alle fassen kann. Erst um 3:00 Uhr morgens abschalten, obwohl es heute langweilig war und obwohl ich um 6:00 Uhr schon wieder raus muss, dass könnte bei mir im Prinzip nicht vorkommen, weil die Ursachen nicht darauf ausgerichtet sind. Es sei denn, ich wollte mir meine Willensfreiheit beweisen und bleibe deshalb aus Prinzip bis 3:00 Uhr im Netz. Bewiesen hätte ich damit aber nichts, denn die Ursache war, dass ich mich mit dem Thema Willensfreiheit beschäftigt habe, deren Nichtvorhandensein ich nicht akzeptieren wollte (mal hypothetisch). Du kannst es drehen und wenden. Auch du fällst keine Entscheidungen ohne Ursachen. Trotzdem fällen wir natürlich alle Entscheidungen. Im Gegensatz zum Computer sind meine Entscheidungen nicht von irgendjemandem anders gefällt worden. Sie sind meine eigenen Entscheidungen, die einzig auf einer Kette von Ursachen beruhen.

    Zitat: „Wenn es keinen Sinn, sondern nur Zufall gibt, dann ist auch der von Dir beschworene “besondere Sinn” nur eine Illusion – und steht auf der gleichen Ebene wie Glaubensannahmen – mit dem Unterschied, dass diese wahr sein “könnten”, während Du ja davon ausgehst, dass es keinen Sinn gibt…“
    Ich gehe doch gar nicht davon aus, dass es keinen Sinn gibt. Du hast das Wort Sinnstifter gebraucht. Das erklärt vielleicht, dass es für dich nur einen Sinn durch einen Sinnstifter gibt. Für mich braucht es keinen Sinnstifter. Sinn gibt es auch ohne einen Sinnstifter. Wie definierst du das Wort Sinn?
    Ich definiere das Wort Sinn als Nutzen. Es macht zum Beispiel Sinn, bei schwierigen Fragen erstmal zu überlegen, bevor man sie beantwortet. Der Nutzen zeigt sich in einer qualifizierten Antwort. Es macht keinen Sinn, keinen Nutzen, das Wasser in den Kühlschrank zu stellen, wenn man heißes Wasser braucht. Unser Leben hat einen Sinn, einen Nutzen für uns selbst. Der Nutzen besteht für jeden auf seine Weise darin, glücklich zu sein. Darüber hinaus gibt es den Sinn unseres Lebens, den Nutzen für andere. Das Leben von Erfindern zum Beispiel hat den Sinn, anderen Menschen etwas zu hinterlassen, was sie für sich nutzen können. Das Leben von Menschen mit sozialer Kompetenz hat den Sinn, anderen zu helfen und auf diese Weise zu nutzen.

  58. “Ganz ehrlich gefragt: Hast Du mir eine Erklärung?”

    Lieber Namensvetter,

    ich denke, dass du, ohne es vielleicht zu wollen, diesen Kommentaren selber Auftrieb gibst, wenn du so ausführlich auf sie eingehst und damit den Eindruck erweckst, du wollest deine Daten gebrauchen, um Religion zu rechtfertigen. Da verwundert es mich nicht, wenn von der Gegenseite entsprechend geantwortet wird. Wenn du (hier) wirklich nur an den empirischen Daten interessiert bist, wäre es vielleicht sinnvoll, nicht weiter auf Religionskritiker einzugehen.

    Ich wäre aber vorsichtig damit, die Kritiken als reine “Emotionen” und als nichtwissenschaftlich darzustellen. Ich halte zumindest meine doch sehr kritische Einstellung zur Religion für rational fundiert, und dass Religion auch schon das Eine oder Andere auf ihrem Gewissen hat, kannst du ja wohl kaum abstreiten.

    Andererseits ist es natürlich so, dass Evolutionary Religious Studies zwischen den Fronten stehen – Religiöse sehen es nicht gerne, wenn ihr Glaube evolutiv rationalisiert wird, und Atheisten sehen es nicht gerne, wenn Religion auf irgendeine Weise gerechtfertigt wird. Ich als Atheist kann die Einstellung “meiner Leute” schlecht nachvollziehen. Schliesslich muss Religion ja auf irgendeine Art entstanden sein, wenn sie nicht von Gott persönlich vorbeigebracht wurde, und da interessiert es durchaus, auf welche Weise das geschehen ist.

    Freundliche Grüsse

    Michael

  59. Religion und Fortpflanzungserfolg

    Ein katholischer Pfarrer wird zur Weiterbildung nach Rom berufen.
    Er geht zu seinem Kaplan und sagt:
    “Du musst die nächsten 14 Tage die Beichte abnehmen.”
    […]

    Der ist zwar lustig, aber trotzdem nicht angemessen. Danke für Ihr Verständnis.
    Die Redaktion

  60. @ Michael S.

    Lieber Namensvetter,

    danke für die Gedanken!

    Zitat “Wenn du (hier) wirklich nur an den empirischen Daten interessiert bist, wäre es vielleicht sinnvoll, nicht weiter auf Religionskritiker einzugehen.”

    Mein Problem ist, dass ich die Menschen hier aber eigentlich sehr schätze und auch Fragen gegenüber nicht arrogant sein möchte. Aber es stimmt schon, wenn dann ganze Diskussionen abdriften, ist auch nichts gewonnen…

    Zitat “Ich wäre aber vorsichtig damit, die Kritiken als reine “Emotionen” und als nichtwissenschaftlich darzustellen.”

    Sehe ich auch so und würde ich also nicht machen. Religionskritik, Wertungsfragen etc. sind völlig legitim, aber eben eher Themen für Theologie(n) und Philosophie(n).

    Zitat “Ich halte zumindest meine doch sehr kritische Einstellung zur Religion für rational fundiert, und dass Religion auch schon das Eine oder Andere auf ihrem Gewissen hat, kannst du ja wohl kaum abstreiten.”

    Streite ich auch ganz und gar nicht ab! Und dass religiöse Lehren rationalen Schlussfolgerungen widersprechen (müssen?), noch weniger! Aber faszinierend ist doch die Frage, warum Religionen dennoch (im biologisch beschreibbaren Sinne) insgesamt funktionieren!

    Zitat “Andererseits ist es natürlich so, dass Evolutionary Religious Studies zwischen den Fronten stehen – Religiöse sehen es nicht gerne, wenn ihr Glaube evolutiv rationalisiert wird, und Atheisten sehen es nicht gerne, wenn Religion auf irgendeine Weise gerechtfertigt wird.”

    Ja, genau so erlebe ich das! Man wird ständig in Kämpfe hineingezogen, die sich seit Jahrzehnten um die gleiche Polemiken drehen und das wahrscheinlich auch in Zukunft tun werden. In den Evolutionary Studies selbst herrscht dagegen ein intensiv an Erkenntnissen interessierter Ton, unabhängig von der religiösen, agnostischen oder atheistischen Haltung. Und das wünsche ich mir in Natur des Glaubens auch…

    Zitat “Ich als Atheist kann die Einstellung “meiner Leute” schlecht nachvollziehen. Schliesslich muss Religion ja auf irgendeine Art entstanden sein, wenn sie nicht von Gott persönlich vorbeigebracht wurde, und da interessiert es durchaus, auf welche Weise das geschehen ist.”

    Genau. Mich verwirrt das wirklich, dass gestandene Naturalisten plötzlich wildeste Hypothesen entwerfen, statt den nachweisbaren (z.B. demografischen) Fakten ins Auge zu sehen. Dass Deine Beiträge da eine rühmliche Ausnahme sind, hatte ich ja bereits angemerkt.

    Auf jeden Fall Danke für Deinen Rat!

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