Gibt es “primitive Völker”? Evolutionismus vs. Evolutionäres Denken
BLOG: Natur des Glaubens
Diesen Blogpost schreibe ich gerade aus Jena, wo ein religionswissenschaftlicher Seminartag zu “Religion und Recht. Woher kommen Menschenrechte?” zu Ende geht. Wieder mal begeistert mich das lebendige Interesse, aber auch die Vielfalt der Studierenden hier – vom Studenten der evangelischen Theologie mit Faszination für den Marxismus über die Studentin, die Biologie und Pädagogik kombinert bis zur angehenden Ethik-Lehrerin aus atheistisch-religionskritischem Hause u.v.m. Da sprühen Funken! Ich versuche den Studierenden sowohl Inhalte zu bieten wie auch Raum für Diskussionen und ihre eigenen Ansätze und Fragen zu geben – mit dem Ergebnis, dass abends dann oft alle (einschließlich dem Dozenten) k.o. sind.
Ein Thema, das immer wieder – und auch in diesem Seminar – aufkam, war die Frage nach der Einschätzung “naturnaher Völker”. Dabei begegne ich auch unter den Studierenden immer wieder zwei klassischen Positionen, die sich schon im 19. Jahrhundert heraus bildeten und bis heute die Wahrnehmung von Evolutionsprozessen (vorbewusst) prägen.
“Im Spiegel der Anderen” von Johanna Forster, Wulf Schiefenhövel & Christa Sütterlin.
Vielleicht eine der wichtigsten Fragen menschlichen Selbstverständnisses.
Ein brillanter Ausstellungskatalog, Ingolstadt 2012 (Kurator: Hans Zach)
Die erste Position ist die des Evolutionismus, wie sie in Deutschland beispielsweise von Ernst Haeckel popularisiert wurde und nach der der Evolutionsprozess eine Höherentwicklung darstelle. Im evolutionistischen Denken treten spätere (“höhere”) Formen an die Stelle der älteren (“niederen”) – beispielsweise “Kulturvölker” an die Stelle von “Naturvölkern” oder “Wissenschaft” an die Stelle von “Religion”.
Traditionale Kulturen wie die San, Eipo, Yanomani oder auch die christlichen Old Order Amish bilden in dieser Perspektive eine Art “lebender Fossilien”, die aus verschiedenen Gründen mehr oder weniger “stehengeblieben” seien und sozusagen “Fenster in die Vergangenheit” bilden. Evolutionisten nehmen für sich meist eine wissenschaftliche (und also “fortschrittliche”) Haltung in Anspruch. Der Evolutionismus ist so eingängig und narrativ ansprechend (wer würde nicht gerne zur “Spitze des Fortschritts” gehören?), dass er sich gerade auch in Deutschland schnell ausbreitete und bis heute verbreitet ist. Nicht jeder Evolutionist ist ein Sozialdarwinist – aber alle Sozialdarwinisten sind auch Evolutionisten (die der weiteren “Höherentwicklung” durch Unterdrückung anderer Menschengruppen meinen “nachhelfen” zu müssen).
Dem Evolutionismus entgegen steht jedoch das evolutionäre Denken, wie es beispielsweise durch Charles Darwin angelegt wurde. Selbstverständlich erkennt auch ein Evolutionär an, dass ein Dinosaurier komplexer war als eine Amöbe oder ein moderner Rechtsstaat komplexere Subsysteme (z.B. des Rechts, der Wirtschaft, Religion und Wissenschaft) ausbildet als eine Wildbeuterkultur. Allerdings weiß er, dass eine solche Komplexitätszunahme kein Naturgesetz, sondern nur eine Möglichkeit ist: Die Dinosaurier erloschen, wogegen die Amöben überlebten und manch komplexe Zivilisation brach wieder zusammen. Neuere Formen treten im evolutionären Verständnis nicht “an Stelle” der alten Formen, sondern erweitern diese. Ein Beispiel wäre unser Gehirn, das auf ältesten, urtümlichen Grundlagen immer neue Schichten evolviert hat.
“Fortschritt” liegt nach evolutionärem Denken also immer im Auge des Betrachters – ob sich etwas Neues dauerhaft bewährt, bleibt stets offen und Vielfalt – auch der menschlichen Kultur – also ein Zukunfts-Wert an sich. Evolutionär gesehen verkörpern also traditionale Kulturen nicht unsere Vorfahren und sind schon gar keine “Fossilien”, sondern eine gleich lange und gleichwertige, biokulturelle Generationenkette, die sich in der jeweiligen Umwelt bis zum heutigen Tag bewährt hat und schon deswegen Interesse und Respekt verdient. Eine Evolutionärin wird ihre eigene Kultur nicht geringschätzen, aber eben auch nicht ausschließen, dass sich die Lebensform beispielsweise der San oder Amish etwa im Fall eines globalen Stromausfalls als zukunftsfähiger erweisen könnte als die von “modernen” Stadtbewohnern. Und sie wird nicht völlig überrascht sein zu entdecken, dass sich die Strukturen sozialer Netzwerke von Hadza und Facebook-Usern durchaus gleichen. Lebendige Kulturen können demnach kein direktes “Fenster in die Vergangenheit” sein, da sie heutige (!) Lösungen auf Lebenswelten evolviert haben, in der sich auch unsere Vorfahren bewähren mussten. Aber auch sie sind dabei eben nicht stehen geblieben: Die San haben beispielsweise Pfeil und Bogen entwickelt, die Amish ein eigenes Schulsystem usw. Sie sind unsere auf ihre jeweilige Lebenswelt angepassten Cousins, nicht unsere versteinerten Vorfahren.
Plädoyer für evolutionäres Denken
Wahrscheinlich haben Sie schon gemerkt, dass ich den weltanschaulichen Evolutionismus wissenschaftlich für gescheitert und auch weltanschaulich für gefährlich verkürzt halte. Gleichwohl verstehe ich, dass er individual- und sozialpsychologisch sehr attraktiv ist, gerade auch westlich-gebildeten Menschen als säkularer Mythos das Gefühl von Bedeutung und Mission gegenüber den vermeintlich “Primitiveren” verleiht und also wohl noch sehr lange die Wahrnehmungen vieler Menschen – gerade auch in Deutschland – prägen wird.
Aber auch beim heutigen Seminartag durfte ich wieder erleben, wie interessiert viele Studierenden an ethnologischen Vergleichsstudien sind und wie engagiert sie z.B. über Moral- und Regelsysteme von Eipo oder Amish debattieren – und dabei reflektiertes, evolutionäres Denken einüben. Ich kann wirklich nur empfehlen, die reichen Wissensschätze der Ethnologie und evolutionären Anthropologie (inklusive der Religionswissenschaft, klar) zu erschließen und sie auch den jüngeren Generationen anzubieten. Im Spiegel der Anderen lernen wir uns selbst besser zu verstehen.
Sicher ist, dass “die” Evolution primitive Blogautoren toleriert.
Ja, das ist gewisslich wahr! 🙂
Ja genau 🙂 es gibt evolutionäres Denken, was über lange Zeit mit entsprechender Geduld im Verstand von wirklich-wahrhaftiger Vernunft den nächsten geistigen Evolutionssprung abwartet und …, und es gibt “primitives” / systemrational-verkommenes Denken OHNE … 😉
Desgleichen hofft für sich auch der Blogkommentator auf gleichem Niveau beanspruchen zu dürfen. Nicht wahr?
Aber die Frage war ja auch, was das “Primitive” angesichts des Lebensraums und der Bedingungen eigendlich sei. Also wieder das Problem mit den Adjektiven. Wie primitiv sei denn der Buschmensch, der seine Umwelt im erforderlichen Maße kennt und zu deuten vermag; gegenüber jenen Gesellschaftsmitgliedern, die in der Schutzatmosphäre der Hochkultur eben bei Infrastruktur- und Technologieunregelmässigkeiten nichts mehr auf die Reihe bekommen?
Blödes Beispiel:
Wer kann heute noch “Rauchzeichen” lesen? Sowas könnte bei einem Stromausfall eine alternative Strategie sein – aber uns maximal “Kultivierte” in unserem Trauma fällt dann nur noch “Feuer” und Gefahr ein; mehr nicht.
Gibt es “primitive Völker”? Diente die Bejagung dieser Frage in der Vergangenheit nicht als Rechtfertigung für den Kolonialismus? Denn wenn ein Volk als primitiv und rückständig angesehen wurde, dann brauchte man keine Rücksicht auf seine Kultur zu nehmen und konnte sie bedenkenlos zerstören. Man durfte das Volk von seinem Land vertreiben, in Reservate sperren und die Ressourcen zur Ausbeutung freigeben. Wenn das marginalisierte Volk dann dort dahinvegetierte oder dem Alkohol verfiel, konnte die weiße “Herrenrasse” immer noch mit rassistischen Stereotypen argumentieren.
Andererseits haben die “primitiven Völker” unsere Kultur oft positiv beeinflusst. Sowohl im Umgang mit der Natur als auch in der Kunst. Hier wird beispielsweise der Einfluss der “Negerkunst” auf Pablo Picasso thematisiert:
http://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/personen/professoren_innen/kohle/lehrveranst_kohle/archiv_lehrveranst/archiv_material/ws0708/5primitiv2.pdf
Korrektur: Sollte natürlich “Bejahung” und nicht “Bejagung” heißen.
@Mona
Dem würde ich zustimmen und erinnere z.B. daran, dass z.B. britische Kolonisatoren ihr “Zivilisationswerk” als “the white man’s burden” verbrämten – also als Auftrag, die vermeintlich “niederen” Völker zu zivilisieren oder zu verdrängen. Während eine evolutionistische Haltung eine kulturelle oder gar rassistische Vormachtstellung beansprucht eröffnet eine evolutionäre Haltung eine verstehende Wertschätzung von Vielfalt.
“Während eine evolutionistische Haltung eine kulturelle oder gar rassistische Vormachtstellung beansprucht eröffnet eine evolutionäre Haltung eine verstehende Wertschätzung von Vielfalt.”
Ist die “evolutionäre Haltung”, die “eine verstehende Wertschätzung von Vielfalt” vertritt, nicht Utopie? Auch wenn sie in vielerlei Hinsicht gerechter wäre, so ist unsere Gesellschaft doch sehr stark hierarchisch aufgebaut, besonders was das Berufsleben betrifft. Unser ganzes System unterliegt dem Gesetz des Fortschritts und beinhaltet eine mehr oder weniger evolutionistische Haltung. Auch die christliche Religion ist nicht frei davon, denn sie missioniert, anstatt den Glauben der anderen anzuerkennen und wertzuschätzen. Wie soll man sich also das Ganze in der Praxis vorstellen?
Das ist eine gute Frage:
“Ist die “evolutionäre Haltung”, die “eine verstehende Wertschätzung von Vielfalt” vertritt, nicht Utopie? (…) Wie soll man sich also das Ganze in der Praxis vorstellen?”
…die zeigt nämlich, wie sehr das W I E entscheidend ist. Sprich: wie man kommuniziert, gegenseitig Erkenntnisse vermittelt und zu einem Konsens in der Sache findet. Die demokratischen Strukturen sind dafür schon mal ein guter Schritt. Aber sie sind noch nicht ausreichend und müssen stets korrekturfähig bleiben. Zur Entscheidung gehört immer beides dazu: der gegenseitig wertschätzende Dialog für die Ermittlung der besten Sachentscheidung und die Hierarchie für die Entscheidung, wenn die Sachentscheidung nicht eindeutig entschieden werden kann, aber entschieden werden muss. Das Zeit gewinnen für klarere Sachentscheidung ist dann auch kein unwichtiger Faktor…..der natürlich auch wieder missbraucht werden kann…. womit das ganze Thema jetzt hier auch wieder zu weit führt.
“Auch die christliche Religion ist nicht frei davon, denn sie missioniert, anstatt den Glauben der anderen anzuerkennen und wertzuschätzen.”
Wie schon angedeutet, man kann missionieren und dabei sehr wohl “den Glauben der anderen anerkennen und wertschätzen.”
Das muss nicht gegeneinander stehen, solange die Freiheit des ‘Missionierten’ gewahrt bleibt. In jeder Diskussion, jedem Dialog ‘missioniert’ letztlich der Eine den Anderen mit seiner Sicht der Dinge. Das innere und äußere WIE des Austausches ist dabei entscheidend.
Ich würde sagen, dass die “evolutionäre Haltung”, die “eine verstehende Wertschätzung von Vielfalt” vertritt, keine Utopie sein muss. Es gibt immer eine Lösung, in der sich alle wiederfinden können. Sie ist aber nur möglich unter Einbeziehung der ganzen Wirklichkeit, in der wir leben. Dazu gehört unverzichtbar auch die bewusste Einbeziehung des ‘anderen Ufers’, wie ich es gerne nenne. Es meint aber die unverzichtbare andere ‘Hälfte’ unserer Realität, die Hälfte, die wir zwar nicht sehen können aber stark erleben.
Der Weg zu solchem Konsens muss schlicht gelernt werden.
@Mona
Der Evolutionismus ist sicher narrativ ansprechender und also schwer zu bezwingen. Aber Menschen wachsen ja auch darüber hinaus, entwickeln eine evolutionäre Haltung. Auch dass immer wieder Kriege ausbrechen macht das Engagement für Frieden doch nicht sinnlos, oder!?
@Eli Schalom und @Michael Blume:
Es hängt also davon ab “wie man kommuniziert, gegenseitig Erkenntnisse vermittelt und zu einem Konsens in der Sache findet.” Denn der “Der Evolutionismus ist sicher narrativ ansprechender und also schwer zu bezwingen.” Dazu hat man sich schon in den 1930er Jahren Gedanken gemacht und den Neoevolutionismus entwickelt, der in den 1960er Jahren Eingang in die Sozialwissenschaften fand. Der Neoevolutionismus weist viele Ideen des klassischen Evolutionismus zurück und stellt seine Erklärungen über die Entwicklung von Gesellschaften stärker auf die Basis der Evolutionstheorie von Darwin. Ist es das was Ihr beide meint?
http://de.wikipedia.org/wiki/Neoevolutionismus
@Mona
Für @Eli Schalom kann ich nicht sprechen, aber persönlich halte ich die Ansätze einiger sog. “Neoevolutionisten” für weiterführend, wenn auch nicht mehr für ganz frisch. Ich bevorzuge jedoch das Selbstverständnis als “evolutionär”, da m.E. empirische Forschung nicht direkt in eine Weltanschauung (einen -ismus) führen kann und soll. Die interdisziplinäre Evolutionsforschung eröffnet m.E. eine wissenschaftlich fruchtbare Perspektive, ihre Befunde können aber ganz unterschiedlich gelesen und bewertet werden. Das ist gleichzeitig ihre Stärke und Schwäche (gegenüber konkurrierenden -ismen). 🙂
@Michael Blume: “Ich bevorzuge jedoch das Selbstverständnis als “evolutionär”, da m.E. empirische Forschung nicht direkt in eine Weltanschauung (einen -ismus) führen kann und soll.”
Sehr vernünftig! 🙂 Mir ging es jedoch weniger um eine “Weltanschauung”, als vielmehr um eine Einordnung des momentanen Status quo und da scheint mir der Neoevolutionismus doch ganz brauchbar zu sein, auch wenn er nicht mehr “ganz frisch” ist. Es gibt natürlich noch andere Theorien, die jedoch ebenfalls schon älter sind. Vielleicht bin ich auch schlecht informiert, aber es scheint sich schon länger keiner mehr mit diesen Fragen wissenschaftlich auseinandergesetzt zu haben.
@ Mona
Ich finde Ihren Hinweis auf den im Vergleich zum ethnologischen Evolutionismus aktuelleren Neo-Evolutionismus wichtig. Sie sind mir da zuvorgekommen.
Wenn heutzutage von „Evolutionisten“ die Rede ist, dann meint man in aller Regel ja das Gegenteil von „Kreationisten“, schließlich ist der ethnologische Evolutionismus schon seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlich tot. Nichtsdestotrotz ist wohl noch immer die Vorstellung verbreitet, der Begriff Evolution stünde generell für eine Aufwärtsentwicklung, wie man sie etwa bei der „Entwicklung“ zum Menschen oder des menschlichen Gehirns beobachten kann.
Michael Blume schrieb an Sie:
»Die interdisziplinäre Evolutionsforschung eröffnet m.E. eine wissenschaftlich fruchtbare Perspektive, …«
Mir scheint, dass der „Neo-Evolutionismus“ der Ethnologen ebenfalls Teil dieser interdisziplinären Evolutionsforschung ist. Denn ein Begriff wie etwa „kulturelle Evolution“ wird von Neoevolutionisten und evolutionären Denkern gleichermaßen gebraucht. Es mag aber sein, dass sich aktuell nur ganz wenige um eine umfassende sozio-kulturelle Evolutionstheorie bemühen, wenn überhaupt.
Im Übrigen scheint mir die oft vertretene Auffassung, dass nur religiöse Kulturen das Potential haben, hinreichend hohe biologische Reproduktionsraten zu erzielen, genuin neoevolutionistisch zu sein, auch wenn das vielleicht bestritten wird.
@Balanus:
“Mir scheint, dass der „Neo-Evolutionismus“ der Ethnologen ebenfalls Teil dieser interdisziplinären Evolutionsforschung ist.”
Ja, mit Sicherheit! Allerdings scheint sich die Gemeinde der Ethnologen/Anthropologen über viele Dinge uneins zu sein. Im Jahre 2001 erschien im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen mal eine Buchrezension über Marshall Sahlins “Culture in Practice” in der das thematisiert wurde, und auch die spätere Abkehr Sahlins vom Neoevolutionismus und seine Hinwendung zum Strukturalismus. (Das Buch selbst habe ich allerdings nicht gelesen.)
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-er-ist-gewissermassen-kolumbus-11281736.html
@Mona, danke für den Link.
Sie schrieben weiter oben zum (Neo-)evolutionismus: »…aber es scheint sich schon länger keiner mehr mit diesen Fragen wissenschaftlich auseinandergesetzt zu haben.«
Einer, der sich offenbar intensiv mit diesen Fragen befasst hat, ist der (Bonner) Ethnologe Christoph Antweiler: Die ersten zwei Seiten eines diesbezüglichen Aufsatzes von ihm kann man online lesen:
Darwinische Kulturtheorie – Evolutionistische und „evolutionistische“ Theorien sozialen Wandels (Springer, 2011)
http://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-02228-9_3#page-1
Ein weiterer Aufsatz von Christoph Antweiler wäre:
“Social Evolution Revisited. Recent Trends in a Genuine Field of Anthropological Research. Anthropos, Bd. 100, H. 1. (2005), pp. 233-240
(den kann man übrigens auf der JSTOR-Seite online lesen, wenn man sich dort anmeldet).
Im FAZ-Artikel fällt der Begriff „political correctness“. Das führt mich zu einem gewissen C. R. Hallpike, der in seinem Buch: „On Primitive Society: And Other Forbidden Topics“ (AuthorHouse, 2011) die Existenz primitiver Gesellschaften verteidigt. Ich habe zwar nur die Einleitung überflogen, aber ich finde es interessant genug, um den Titel hier zu verlinken:
http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=WsPll1TbrVAC&oi=fnd&pg=PR4&dq=Meleghy+Niedenzu+%22Soziale+Evolution%22&ots=0KYZnKqxhx&sig=rgdp1VEsbWYL7BzuYUpwS5w8dhQ
…und so schließt sich der Kreis. 🙂
Christoph Antweiler ist ein ebenso erfahrener wie menschlich angenehmer Kollege, mit dem ich zuletzt in Wuppertal tagen durfte:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/soziale-kognition-grundlage-religiositaet-interdisziplinaeren/
Lobend erwähnen möchte ich aber auch noch z.B. Wulf Schiefenhövel. Ihn werde ich – hoffentlich – im September wiedersehen. 🙂
@Mona
Der Neoevolutionismus, von dem ich als Nichtreligionswissenschaftlerin, erst jetzt durch Sie erstmals höre, 🙂 kann schon rein zeitlich nichts mit der Sicht aus meinen Forschungsergebnissen zu tun haben, da die jüngeren Datums sind. Inwieweit Ähnlichkeiten mit ihm und anderen ‘ismen bestehen, würde Michael sicher besser als ich beurteilen können, ….insofern ihm die meine noch vertraut werden sollte. Das ist ja noch nicht der Fall. 🙂
Ich versteh aber nicht so ganz, warum Sie meine Aussage überhaupt mit der seinen und dem Neoevolutionismus verbinden. Ich schrieb:
“..die [Ihre Frage nach der Praxis] zeigt nämlich, wie sehr das W I E entscheidend ist. Sprich: wie man kommuniziert, gegenseitig Erkenntnisse vermittelt und zu einem Konsens in der Sache findet.”
Natürlich, dieses WIE beeinflusst gesellschaftliche Entwicklung, die man dann rückwirkend beobachten und empirisch auswerten kann. Aber dieses WIE an sich, das ich meine, ist nichts Evolutionäres. Wir können es mit unserer Entwicklung, Evolution nach und nach ergreifen, ja, aber die Voraussetzung dafür ist gleichbleibend vorhanden.
@Balanus @Michael Blume
Da gäbe es also doch noch einiges zu lesen. Soweit ich mich erinnere hat Wulf Schiefenhövel das Vorwort zu dem Buch “Ethnomedizinische Perspektiven zur frühen Kindheit” geschrieben, das ich vor Jahren mal gelesen habe. Darin wird erklärt, dass bei uns häufig das Eingehen auf die Signale des Babys vermieden wird, um das Kind nicht zu verziehen. Während man in traditionellen Kulturen die Bedürfnisse des Babys als natürlich ansieht und deshalb stärker darauf achtet und eingeht. Daran musste ich nach der Geburt meines Kindes noch öfters denken.
@Eli Schalom:
“Ich versteh aber nicht so ganz, warum Sie meine Aussage überhaupt mit der seinen und dem Neoevolutionismus verbinden.”
Ich wollte Sie in keine bestimmte Ecke drängen. Zudem kenne ich ihre Forschungsergebnisse nicht. Manchmal weißt die Kommunikation halt in eine bestimmte Richtung, die jedoch nicht zwangsläufig richtig sein muss.
Ist schon OK, Hab ich auch nicht so verstanden. Wollte nur den gedanklichen Zusammenhang verstehen, da mir der Neoevolutionismus nicht vertraut ist.
So nach und nach entdecke ich im Moment erst rund um dieses Thema diese ganzen Diskussionen, wie sie in den letzen ca. fünf/zehn Jahren offenbar heiß geführt wurden und sehe, dass ich mit denen allen nicht mehr viel anfangen kann. Ich hab ja schon wiederholt angedeutet: je mehr ich hier auf Scilogs lese und im IT und TV recherchiere, umso deutlicher wird für mich wieneu, um nicht zu sagen, im wahrsten Sinne des Wortes, umwälzend das ist, was sich in meiner Forschung auftut. Genau das entdecke ich selber aber auch erst, bin dabei auch ‘nur’ Ausführende auf einer spannenden Fährte und kombiniere und deute die Ergebnisse Anderer mit Hilfe der meinen neu.
Just gestern noch habe ich erst auf Youtube die WDR-Sendung von 2012 mit Michael B. und Michael SS. 🙂 entdeckt und angesehen. Ich hatte in all den Jahren mit anderen Dingen zu kämpfen und das alles nicht mitbekommen. Jetzt erst beim Recherchieren sehe ich, was da abgelaufen ist und begreife allmählich, dass ich während dessen schon ganz woanders angekommen bin….. und was es noch kosten wird, dieses umwälzend Andere so plausible rüber zu bringen, das ich nicht, weil nicht verstanden, in alten Schubladen lande. Die Diskussionen hier helfen mir dabei, obwohl sie auch viel Zeit verschlingen. Darin ginge es mir jetzt sicher besser, wenn ich das Wissensrepertoire so mancher Blogger hier auch im Hinterkopf hätte. Aber bezüglich der Entdeckungen gehe ich davon aus, dass es mich zu sehr behindert hätte.
Oops @Michael, hab mal wieder ein Häkchen vergessen oder falsch rum gesetzt. Hinter “Michael SS” müsste es sitzen. Danke für Korrektur! 🙂
@Michael Blume
@Mona trifft mit Ihrer Frage:“Wie soll man sich also das Ganze in der Praxis vorstellen?”
….m.E. in die Mitte der Problematik menschheitlicher Entwicklung. Denn theoretisieren und Statistiken auswerten etc. kann man viel. Entscheidend ist die darauf aufbauende Praxis. Und m.E. kann nun eine zukunftsträchtige Praxis nur gelingen, wenn sie beide Seiten erfasst: die naturwissenschaftliche und die weltanschauliche, um die beiden noch einmal so traditionell zu unterscheiden.
Doch schon diese Unterscheidung ist aus meiner Perspektive nicht mehr ganz richtig. Für mich gibt es sie in der Art nicht mehr. Es sei aber sofort betont, dass damit nicht das Gegenteil von just dem gemeint ist, was Du mit deinem Satz sagst: “da m.E. empirische Forschung nicht direkt in eine Weltanschauung (einen -ismus) führen kann und soll.”
…..also dass empirische Forschungsergebnisse wie z.B. die Evolution zum Evolutionismus als Weltanschauung avancieren kann oder umgekehrt, dass weltanschauliches Wissen mit empirischem Wissen identisch sei. Damit wäre meine Aussage falsch verstanden. Es gibt weltanschauliches Wissen und empirisches Wissen, aber sie sind in der Art und Weise wie sie gewonnen werden nicht identisch.
Doch es gibt noch einen ganz anderen Zusammenhang zwischen den beiden, der so bislang noch nicht gesehen wurde, d.h. wohl nicht gesehen werden konnte.
Vielleicht hilft dabei dieses Beispiel:
Bislang hat man weltanschauliches Wissen und empirisches Wissen oder analog dazu Geist und Materie voneinander getrennt gesehen, sagen wir wie etwa Luft und Wasser. Früher wusste nun auch niemand, was wir heute aber wissen, dass sowohl Luft wie auch Wasser Sauerstoff enthalten. Wasser ist Wasser wegen der speziellen Verbindung seiner Bestandteile (in dem Fall Wasserstoff) mit dem Sauerstoff. Und mit der Luft ist es ebenso, aber mit völlig anderen Bestandteilen und Sauerstoffverhältnissen. Aber der Sauerstoff in beiden sorgt in unserem Leben für lebensnotwendige Interaktionen zwischen Luft und Wasser.
Es war für den Menschen von Anbeginn an unverkennbar, dass Geist und Materie zusammen gehören, lebensnotwendig interagieren. Mit den aufkommenden Wissenschaften, will man den beiden natürlich auch zu Leibe rücken. Aber das gelingt nicht, weil wir sie immer noch grob wie zwischen ‘Luft’ und ‘Wasser’ trennen….. und mitunter der Meinung sind, wir könnten auf die Luft ganz verzichten. Wir müssen im Grunde verstehen, dass im Geist auch Materie und in der Materie auch Geist in ganz bestimmten Verhältnissen gegeben ist und das folglich zwischen unserem bisherigen Verständnis von Geist und Materie wie ‘Luft’ und ‘Wasser’ für unsere Existenz lebensnotwendige Interaktionen stattfinden.
Es wäre also richtiger, sich, wie in dem Vergleich, klar zu machen, dass Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften ebenso für uns existentiell in Interaktion miteinander stehen und in diesem Sinne nicht getrennt werden dürfen. Zur Analyse ja, mehr aber auch nicht. Von daher also noch mal zu dem obigen Satz: “Es gibt weltanschauliches Wissen und empirisches Wissen, aber sie sind in der Art und Weise wie sie gewonnen werden nicht identisch.” …eben so wie man Luft anders als Wasser behandeln muss um an den Sauerstoff zu kommen, ihre jeweiligen Bestandteile erkennen zu können.
‘Primitiv’ kommt von ‘Primus’ und meint auf gut Deutsch ‘Erstartige’ oder ‘Erstige’. – Es gibt aus bestimmter Sicht Erstige oder Erstartige, wenn diese Sicht angenommen ist, es muss hier nicht negativ konnotiert werden.
Rein praktisch wird sich hier meist auf sogenannte Ur- oder Naturvölker bezogen, die es gibt, auch heute noch, in Südamerika gibt es bspw. Reservate in denen sie bewusst fern von der Zivilisation gehalten werden, interessant auch die Sentinelesen.
Wie sittlich es ist diese Primitiven von der Zivilisation (“Bürgerwerdung”) fernzuhalten, ist eine spannende Frage.
MFG
Dr. W
PS:
Hat man dies herausfinden können?
@Webbär
Zu meiner Überraschung ist die Naturrechtslehre – dargelegt z.B. in der Rede von Benedikt XVI. vor dem deutschen Bundestag – erheblich gestärkt aus diesem Seminar hervorgegangen.
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-rede-von-papst-benedikt-xvi-im-deutschen-bundestag/
Sicherlich wird das komplexe Thema mich und uns in Zukunft weiter beschäftigen – die Anregungen und Argumente auch der Studierenden waren Gold wert und ich bin schon gespannt auf die Hausarbeiten. 🙂
Wobei sich die Katholische Naturrechtslehre, die theozentrisch-anthropozentrisch zu sein hat, von dem, was andere unter Naturrecht verstehen, deutlich unterscheidet, vgl. :
A ‘Der Gedanke des Naturrechts gilt heute als eine katholische Sonderlehre, über die außerhalb des katholischen Raums zu diskutieren nicht lohnen würde, so dass man sich schon beinahe schämt, das Wort überhaupt zu erwähnen.’
B ‘Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen.’
Ein kluger Mensch, der Ex-Papst…
MFG
Dr. W
@Webbär
Ja, das merkten wir auch, umso tiefer wir in das Thema eindrangen (z.B. auch im Hinblick auf die Forschungen zum für das katholische Naturrecht zentralen Gewissen).
Sie vertreten die These: Was sich bewährt habe, verdiene Interesse und Respekt. Gilt das auch für Systeme wie Religionen? Viele Religionen haben sich lange bewährt, aber alles in allem nur wenig zu Gewaltfreiheit und friedlichem Zusammenleben beigetragen (die Beispiele sind bekannt: Folterungen und Hinrichtungen, Hasspredigten, Gotteskriege…); sie stellen ein Wahnsystem dar, das viele Menschen – mit Hinweis auf spätere Entlohnung in einem Jenseits – an persönlicher Entfaltung hindert und sogar zum Suizid bringt (so bei Sekten oder Selbstmordattentätern). Sicherlich sind Religionen evolutionär adaptiv (da sie früher den Zusammenhalt von Gruppen förderten und somit zum Überleben der Gruppen beitrugen), aber nichtsdestotrotz eine Form geistiger Störung, die als Relikt von anno dazumal im Zentralnervensystem des Menschen erhalten geblieben ist. Ich wüsste daher nicht, weshalb man sie respektieren sollte.
“Was sich bewährt bzw. persistiert, verdient (Interesse und) Respekt.” schien idT eine These dieses bemerkenswerten WebLog-Artikels, die Richtung Utilitarismus zu gehen scheint; ganz bemerkenswert, korrekt.
Ganz kurz und ergänzend zur Unterscheidung angemerkt:
Toleranz meint das Aushalten oder die Duldung, Respekt das “Zurücksehen” oder die besondere Beachtung eines anderen, immer eine Wertschätzung in sich tragend, und die zumindest bei Gelegenheit geforderte Akzeptanz die Annahme. – Die Menge wird manchmal derart bekniet, dass sie diese Unterschiedlichkeit nicht mehr bemerkt.
Die (am besten: wohlbegründete) Ablehnung bestimmter Kultur geht natürlich auch.
MFG
Dr. W
@Alfons
Worauf auch immer Sie Ihre sehr entschiedenen (Vor?-)Urteile über Religion(en) gründen – auf den aktuellen Stand der empirischen Evolutionsforschung wohl eher nicht. Denn dort zeigt sich – wie bereits von Charles Darwin vermutet und inzwischen nahezu unstrittig -, dass auch Religiosität zu unserer Evolutionsgeschichte gehört und kooperative wie auch reproduktive Potentiale eröffnet. Dass diese Potentiale – wie auch jene z.B. der Sprachfähigkeit und Musikalität usw. – sowohl für lebensfreundliche wie auch für menschenfeindliche Zwecke erschlossen wurden, lässt sich m.E. empirisch gut belegen; nicht aber, dass sie “nur schlecht” oder “nur gut” gewesen wären. Und laut empirischem Befund waren Religionen eben nicht nur “früher” evolutionär adaptiv, sondern sie sind es heute noch – vielleicht sogar mehr denn je. So kennen wir bislang keinen einzigen Fall einer nichtreligiösen Population, die in ausreichendem Maße Gemeinschafts- und vor allem Familienengagement hervorgebracht hätte, um sich reproduktiv zu erhalten (zu “überleben”). Religiöse Varianten scheitern oft, nichtreligiöse bislang ausnahmslos immer.
Daher melde ich erhebliche Zweifel an Ihrer Aussage an, dass “Religionen” generell “eine Form geistiger Störung” oder gar ein “Relikt” seien – dies passt einfach nicht zu den Daten und auch nicht zur Logik evolutionärer Erkenntnistheorie (nach der sich unsere “Zentralnervensysteme” an der Wirklichkeit bewähren).
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-empirische-beweislast-der-antitheisten/
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte Gottesbeweise für empirisch und logisch unmöglich. Umgekehrt erscheint es mir aber noch seltsamer zu sein, wenn wir für uns bzw. unsere Wertungen “Wissenschaftlichkeit” beanspruchen – dabei aber alle Befunde ignorieren, die uns nicht passen. Wenn Sie Lust und Mut haben, Ihre Position entsprechend zu hinterfragen, hier ein kostenfreier Einführungsartikel zur Evolutionsforschung von Religiosität und Religionen:
http://www.gehirn-und-geist.de/alias/religiositaet/homo-religiosus/982255
Ihnen einen herzlichen Gruß und ein herzliches Willkommen hier auf dem Blog!
@ Michael Blume
Erstmal danke für den herzlichen Empfang.
Er wäre allerdings noch herzlicher ausgefallen, wenn Sie mich richtig zitiert und keine Strohmänner gebastelt hätten 😉 So habe ich nicht behauptet, Religionen seien “‘nur schlecht’ oder ‘nur gut'” gewesen, sondern – weniger apodiktisch -, dass sie “alles in allem nur wenig zu Gewaltfreiheit und friedlichem Zusammenleben beigetragen…” haben – und dies lässt sich empirisch ebenfalls gut belegen. Außerdem habe ich nicht behauptet, Religionen seien “nur ‘früher'” adaptiv gewesen, natürlich sind sie das auch heute noch. Dass unsere Zentralnervensysteme hin zu immer besserer Repräsentation der Realität evolvierten, ist umstritten (siehe z. B. McKay & Dennett 2009). Und dass etwas auch gute Seiten hat und adaptiv sein kann, ist noch kein Grund, es nicht als Störung einzustufen (etwa ein an einer Zwangsstörung leidender Mensch kann durch seinen Zwang (z. B. Putzzwang) seiner Familie besonders “nützen” und durch den Vollzug von Zwangshandlungen kurzzeitig Beruhigung und Angstreduktion erfahren – dennoch bleibt es eine Störung, weil er (und seine Umgebung) durch seine Zwangsgedanken und -handlungen stark in seinem Leben eingeschränkt wird).
@Alfons
Das freut mich, dann liegen wir so weit nicht auseinander!
Wobei ich bewusst geschrieben hatte, dass sich unsere Erkenntnisfähigkeiten an der “Wirklichkeit” bewähren, was nicht das Gleiche ist wie der von Ihnen verwendete Begriff der “Realität”.
Genau das war ja Thema auch des heute endenden Seminares: Ob Grund- und Menschenrechte “Realität” sind lässt sich intensiv debattieren – dass der Glauben an sie jedoch Wirkungen nach sich zieht, aber kaum bestreiten.
Darf ich konkret nachfragen: Gehören nach Ihrer Weltanschauung Menschenrechte zur Realität oder seien etwa auch sie nur Hervorbringungen menschlicher “Störungen”?
Wie sollen sich die Erkenntnisfähigkeiten, die sich ja auf physikalischer Ebene befinden (Sie selbst schreiben ja “Zentralnervensysteme”), an der Wirklichkeit i. S. v. subjektivem Wirklichkeitsmodell, welches ja zur mentalen Ebene gehört, bewähren? Das subjektive Wirklichkeitsmodell als Ergebnis der zentralnervös verankerten “Erkenntnismöglichkeiten”, also der zum Wahrnehmungssystem gehörenden Organe und ZNS-Module, kann eine bessere oder schlechtere Repräsentation der Realität darstellen, wenn die Abweichungen sehr groß sind (z. B. optische Halluzinationen, die zu Fluchtreaktionen führen – siehe Menschen im LSD-Rausch, die Monster sehen und dann aus dem Fenster springen), wird es letztlich zum Tod des Individuums und damit der entsprechenden “Erkenntnisfähigkeiten” führen. Die Erkenntnisfähigkeiten müssen sich also an der Realität bewähren, nicht an der Wirklichkeit. Religion als Wahnsystem (Wahn = unkorrigierbare, falsche Überzeugung mit subjektiver Gewissheit) ist ein Wirklichkeitsmodell, welche eine von der Realität abweichende Realitätsrepräsentation darstellt und folglich eine Störung ist – dennoch aber evolutionär erfolgreich ist. Eigentlich paradox, aber offenbar scheinen sich im Laufe der Evolution evolutionär erfolgreiche Fehlrepräsentationen von Teilbereichen der Realität herausgebildet haben (ein anderes Beispiel für eine solche erfolgreiche Fehlrepräsentation wäre der self-serving bias).
Menschenrechte sind normative Festsetzungen und als solche letztlich auf Konvention oder subjektiver oder kollektiver Präferenz basierend. Somit sind Sie letztlich Ergebnisse von menschlichen kognitiven Prozesse und der entsprechenden zugrundeliegenden physikalischen/neuronalen Prozesse. Gleichwohl haben sie Auswirkungen auf das Verhalten von Menschen und verändern die Realität (insofern “gehören” sie auch zur Realität).
@Alfons
Die Einwände gehen die Kategorisierung als “Wahn” hat ja @Paul Stefan bereits formuliert.
Ansonsten scheinen mir Ihre Ausführungen zu Menschenrechten exakt auf die je tradierten überempirischen Akteure (höhere Wesen) zuzutreffen: Auch ihre Wahr-Nehmung ist “letztlich Ergebnis von menschlich-kognitiven Prozessen und der entsprechend zugrundeliegenden physikalischen Prozesse. Gleichwohl haben sie Auswirkungen auf das Verhalten von Menschen und verändern die Realität (insofern “gehören” sie auch zur Realität).”
Ganz genau so ist es – sowohl bei überempirischen Entitäten wie “Rechten” wie auch bei überempirischen Akteuren wie “Geistern” und “Gottheiten”. Wie wir unsere individuelle und soziale Vorstellungswert möblieren wirkt sich beobachtbar auf das Verhalten und auch das kooperative und reproduktive Potential aus. Ich sehe nicht, dass man den einen mentalen Entitäten Realitätsstatus zuerkennen kann, den anderen nicht (wobei es m.E. psychologisch nachvollziehbar ist, dass die Vorstellung überempirischer Akteure emotional schwerer neutral zu halten ist als die Vorstellung überempirischer Rechte.)
Jaja, es ist halt weder belegt noch unbelegt, dass es Gott X gibt, diese Information liegt im Sinne einer dreiwertigen Logik sozusagen als ‘NA’ vor, insofern ist es Blödsinn von einer ‘Störung’ zu sprechen oder zu schreiben, eigentlich wäre das derartige Schreiben eher eine ‘Störung’.
Gelöscht. Bitte unterlassen Sie persönliche Anwürfe, dies ist ein Wissenschaftsblog. M.B.
MFG
Dr. W
Ein Nichtexistenzbeweis ist prinzipiell unmöglich. Sämtliche Gottesbeweise scheitern, also ist die Annahme der Nichtexistenz eines Gottes rational.
Schade übrigens, dass der letzte Teil gelöscht wurde, hätte mich gerne über Ihre Ausfälle amüsiert 🙂
Das ist sachlich falsch. Nehmen Sie mal Konzepte wie die “unsichtbare Hand” in den Wirtschaftswissenschaften, die Liebe (zu einer Person) oder das Bewusstsein oder das Vertrauen in Statussymbole – all dies ist nicht beweisbar.
Insofern kann die Religion nur dann Wahn sein, wenn sie falsche Tatsachenbehauptung aufstellt, was sie aber wohlweislich nicht tut.
Sie wäre dann vermutlich eine Kollektivpsychose.
BTW, oben wurde gelöscht, weil der Zensierende angesprochen war.
MFG + GN
Dr. W
@ Michael Blume
…. was Du mit der Gegenüberstellung von evolutionärem Denken und Evolutionismus bewusst machen willst, finde ich eine gute Sache und wirklich angesagt. Das dürfte allerdings noch eine ebenso gute Portion Steinbrucharbeit sein. 🙂
…aber was ich gerade so nebenbei lese, während ich aus Zeitgründen eigentlich nicht kommentieren wollte, ….
“Im evolutionistischen Denken treten spätere (“höhere”) Formen an die Stelle der älteren (“niederen”) -beispielsweise “Kulturvölker” an die Stelle von “Naturvölkern” oder “Wissenschaft” an die Stelle von “Religion”.
… also wenn du mich fragst, selbst wenn viele die Dinge tatsächlich so sehen, wie du mit Letzterem sagst: “Wissenschaft” an die Stelle von “Religion” setzen zu können, so hätte ich dieses Beispiel dennoch nicht erwähnt. Warum? …
…..weil es so wahrlich großer Irrsinn ist, dass man m.E. besser entweder sofort richtig stellt oder diese Gegenüberstellung erst gar nicht bringt. Wissenschaft an die Stelle von Religion! Geht’ s noch irrsinniger?
Ich schrieb’ s schon mal in irgendeinem Kommentar: Religion, ist immer den Wissenschaften voraus und nicht hinterher. Zumindest vom Christentum möchte ich das behaupten. Wissenschaften sind im Kern darauf angelegt, die Religion forschend einzuholen, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist oder dies bewusst nicht gewollt ist. Doch all die wissenschaftliche Forschung wirkt letztlich daraufhin, die Geheimnisse des Lebens zu lüften und eben auch jene, die die Intuitionen, bzw. Offenbarungen der Religionen schon immer in ihren Metaphern ausdrückten. Durch sie werden die großen Geheimnisse seit eh und je als Orientierung von den Menschen im Bewusstsein präsent gehalten.
Schritt für Schritt nun werden diese Metaphern in die wissenschaftlich erforschte, falsifizierte, verifizierte Realität übersetzt. Auch das konkrete Glaubensleben der Menschen im Miteinander etwa in den Gemeinden und Gruppen etc. ist übrigens letztendlich solche Forschung. Für mich war mein konkretes Glaubensleben auch Forschung. Ich habe viel dabei gelernt und zwar ohne Gott vor die Türe zu setzen. 🙂 …im Gegenteil, sein Dabei sein war erkenntnistheoretisch wohl am wirkmächtigsten.
So sehr für uns am Ende das Geheimnis des Lebens als ein Geheimnis des Pulsschlags Gottes in seiner konkreten Schöpferkraft unerreichbar bleiben muss, so werden wir uns ihm doch mit unserem Bewusstsein forschend so nähern können, dass dadurch unsere Beziehung zu ihm als dem Schöpfer und Urquell des Lebens wieder ins Lot kommen kann. So können wir heute vergleichsweise z.B. auch über die fernsten Winkel des Universums eine bewusste Vorstellung haben ohne aber je konkret – zumindest nicht in diesem Leben – dahin gelangen zu können. Mit der Gotteserkenntnis wird es ähnlich sein. Ihn erkennen und in seine innergöttliche Liebe einschwingen ist etwas völlig anderes, als so sein zu können, wie er, Leben so wirken zu können, wie er. Das Erstere geht, das Letztere nicht.
@Eli Schalom
Lieben Dank, aber auch einer Überschichtung von Religion gegenüber (empirischer) Wissenschaft würde ich aus evolutionärer Perspektive widersprechen. Religiosität, Spiritualität, Musikalität, Kunst, Rechtspflege und eben auch empirisches Forschen scheinen mir jeweils eigene Wissensbestände zu erschließen, die nach je eigenen Methoden gewonnen und überprüft werden. Sicher gibt es Berührungs- und also Dialogpunkte, aber sie erfüllen m.E. doch völlig unterschiedliche Funktionen und lassen sich daher einander m.E. nicht unterordnen, wie es der erkenntnistheoretische Monismus (etwa in Form eines reduktionistischen Positivismus oder religiösen Fundamentalismus) versucht. Als erkenntnistheoretischer Pluralist gehe ich davon aus, dass Wissenschaft und Religion (idealerweise) je eigene Funktionen erfüllen.
@ Michael Blume
hm…. dann habe ich mich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt, jedenfalls als “Überschichtung von Religion gegenüber (empirischer) Wissenschaft” wollte ich meine Aussage nicht verstanden wissen, es sei denn, du verstehst generell unter unseren Erkenntnisprozessen eine Art “Überschichtung”. Schon gar nicht meinte ich den Monismus etc.
Nein, nochmal, ich meine das so: wir leben ja schließlich immer schon bevor wir erkennen. Mit unserer Erkenntnis hinken wir dem Leben sozusagen grundsätzlich und immer hinterher. In diesem Sinne meine ich, hinkt die Wissenschaft immer schon dem Leben und eben auch der Religion hinterher.
Natürlich, das sehe ich auch so, dass:
“Religiosität, Spiritualität, Musikalität, Kunst, Rechtspflege und eben auch empirisches Forschen(…) jeweils eigene Wissensbestände (…) erschließen, die nach je eigenen Methoden gewonnen und überprüft werden. “ und “Als erkenntnistheoretischer Pluralist gehe ich davon aus, dass Wissenschaft und Religion (idealerweise) je eigene Funktionen erfüllen”
….aber das war ja nicht mein Punkt.
Von den Religionen muss man m.E. auch sagen, sie wurden in der Menschheit immer schon gelebt, noch bevor die Menschen wirklich erkennen konnten, warum sie so taten. So wie die Menschen von Anbeginn an, ohne groß zu reflektieren, für ihren Lebensunterhalt sorgten, so haben sie in der Gruppe den Glauben an eine übergeordnete Realität gelebt. Beides galt es bisher und gilt es noch auf je eigene Weise wissenschaftlich einzuholen..
Ich meinte eben einholen und nicht “unterordnen” oder “überschichten”.
Bei den Religionen kommt natürlich noch ein gewichtiger Punkt dazu, den es zu erforschen gilt:
die Frage bezüglich der Offenbarungen. Wie kann man unterscheiden, ob sie evolviert sind oder ob es tatsächliche Offenbarungen aus einer anderen Realität waren?
Muss es nicht tatsächlich beides gewesen sein und noch sein? Lässt sich das aus unserer Realität ablesen?
Alfons:
“Religion als Wahnsystem (Wahn = unkorrigierbare, falsche Überzeugung mit subjektiver Gewissheit) ist ein Wirklichkeitsmodell, welche eine von der Realität abweichende Realitätsrepräsentation darstellt und folglich eine Störung ist – dennoch aber evolutionär erfolgreich ist.”
Ist es wissenschaftlich wirklich berechtigt und sinnvoll, Religiösität zu pathologisieren? Ich bin kein Psychiater, also zitiere ich nur mal wikipedia:
“Der Wahn ist eine die Lebensführung behindernde Überzeugung, an welcher der Patient trotz der Unvereinbarkeit mit der objektiv nachprüfbaren Realität unbeirrt festhält. Dies kann eine Störung der Urteilsfähigkeit zur Folge haben.”
Natürlich gibt es auch religiösen Wahn, aber darunter wird nicht Religiösität an sich verstanden.
“Der religiöse Glaube erlaubt eine realistische Selbsteinschätzung, beim religiösen Wahn wird diese durch eine überhebliche Selbsteinschätzung überlagert. Daneben ermöglicht der religiöse Glaube die innere Distanzierung und Infragestellung religiöser Inhalte, wohingegen im religiösen Wahn fixe Ideen die Gedankenwelt des Betroffenen bestimmen. Auch die Glaubensinhalte, die beim religiösen Glauben denen der jeweiligen religiösen Gemeinschaft entsprechen, sind beim religiösen Wahn ohne jegliche Übereinstimmung und damit nicht überprüfbar.”
Eine angebliche “Störung” mit offenkundigem evolutionärem Vorteil, die dem Einzelnen oder der Gruppe das oft Leben erleichtert, weil der Glaube Kraft spende, kann man kaum als “Wahn” bezeichnen.
In der Regel hat man ein gewissen Gespür dafür, ob ein Mitmensch, mit dem man spricht, wahnsinnig oder normal religiös ist. Interessant wird es aber bei einigen Heiligen, z.B. dem hl. Franziskus, der die Stigmata erhielt und den Vögeln predigte.
Wie @Paul Stefan sagt bzw. schreibt. 😉
In den Standardwerken zur Psychopathologie (z. B. Scharfetter) wird Wahn so definiert, wie ich es getan habe: als unkorrigierbare, subjektiv gewisse, jedoch falsche Überzeugung. Der Aspekt der Behinderung der Lebensführung kommt darin gar nicht vor, das lese ich zum ersten Mal in Wikipedia. Es scheint mir überdies auch nicht sinnvoll, da es neben der Schizophrenie auch eine Reihe weiterer psychiatrischer Wahnstörungen gibt (z. B. die wahnhafte Störung, F22.0 im ICD-10), bei denen die Lebensführung trotz Vorliegen von Wahn nicht beeinträchtigt ist, die Betroffenen leben recht gut trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihres Wahns. Somit ist auch eine Erleichterung der Lebensführung mit dem Vorliegen von Wahn vereinbar.
Die Grenzen der Diagnostik von psychischen Störungen sind vielleicht unscharf, aber ich bezweifele das Religiösität im ICD-10 aufgenommen wurde. Oder irre ich mich?
Alfons:
“Ein Nichtexistenzbeweis ist prinzipiell unmöglich. Sämtliche Gottesbeweise scheitern, also ist die Annahme der Nichtexistenz eines Gottes rational.”
Wie kommen Sie von dieser rationalen Aussage zu der starken Behauptung, dass Religion eine von der Realität abweichende Realitätsrepräsentation ist? Dass es in den Religionen wissenschaftlich unhaltbare Aussagen gibt, ist keine Neuigkeit, aber woher wissen Sie, dass Ihre Realitätsrepräsentation vollständig ist? Erst dann hätten Sie die Voraussetzung, um über die Abweichung anderer Realitätsrepräsentationen ein allgemeines Urteil zu fällen.
Die Naturwissenschaften verfolgen, denke ich, einen bescheideneren Anspruch, wenn sie versuchen, Aspekte der Realität in Formeln und “Gesetzen” zu repräsentieren.
@Alfred
Schon im Kommentar zum Artikel nebenan, zum christlich-islamischen Dialog habe ich diesen zentralen Punkt angesprochen:
” (…)Religionen haben sich(…) alles in allem nur wenig zu Gewaltfreiheit und friedlichem Zusammenleben beigetragen (die Beispiele sind bekannt: Folterungen und Hinrichtungen, Hasspredigten, Gotteskriege…); .”
So wie Sie es tun, wird heute mit Vorliebe – zumindest hierzulande – die gewalttätige Seite der Geschichte der Religionen hingestellt, als sei sie allein ein religiöses Phänomen. Das ist DER große Irrtum. Das Gewaltphänomen ist evolutionsbedingt ein gesamtmenschheitliches, das deshalb die Religionen unvermeidlich auch heimsucht und von ihnen ebenso überwunden werden muss. Das kann weder bei ihnen noch sonst wo von jetzt auf gleich geschehen.
Es ist deshalb äußerst unverantwortlich, die Gewalt allein als ursächlich durch die Religionen hinzustellen. Denn das ist nur wieder eine neue Variante, durch die die wahren Friedensstifter wieder mal ausgeschaltet werden. So wie es früher all die Herrscher und Machthabenden – die kleinen und die Großen – taten, die die Religionen für Macht über Menschen missbrauchten und es auch heute noch tun. Diese Gewaltwurzeln sitzen weit tiefer, als dass etwa ein Christentum innerhalb von 2000 Jahren eine Menschheit komplett von innen her heilen könnte und somit den Weltfrieden ganz herstellen könnte. Das was schon geschehen ist, ist schon viel. Sie demonstrieren dagegen anschaulich, dass wir mal wieder gewaltig aufpassen müssen, das Erreichte nicht wieder leichtfertig zu verwirken.
Denn würde man mal tatsächlich, sofern das überhaupt möglich ist, den Beitrag der Religionen, der auf der einen Seite dem Frieden in der Welt diente gegenüber den von Ihnen aufgezählten Gewalttaten, die auch in ihr verübt wurden, gegeneinander aufrechnen, dann würden mit Sicherheit die Friedensbeiträge weit überwiegen. Die schreien nur nicht so laut, machen kein Aufhebens. Ohne sie könnten Sie hier heute aber nicht so frei heraus diskutieren und dabei die Wahrheit so verdrehen und diesen Leuten mal wieder Knüppel zwischen die Beine werfen.
“sie [die Religionen] stellen ein Wahnsystem dar, das viele Menschen – mit Hinweis auf spätere Entlohnung in einem Jenseits – an persönlicher Entfaltung hindert und sogar zum Suizid bringt (so bei Sekten oder Selbstmordattentätern). “
“Sicherlich sind Religionen evolutionär adaptiv (da sie früher den Zusammenhalt von Gruppen förderten und somit zum Überleben der Gruppen beitrugen), “
Ich meine, ehe man über Religionen urteilt, sollte man sie doch zumindest gut kennen.
Und Sie meinen also der evolutionäre Sinn, sei der einzige Sinn der Religionen? Auch dazu kann ich nur wiederholen: Ich meine, ehe man über Religionen urteilt, sollte man sie doch zumindest gut kennen.
“aber nichtsdestotrotz eine Form geistiger Störung, die als Relikt von anno dazumal im Zentralnervensystem des Menschen erhalten geblieben ist. Ich wüsste daher nicht, weshalb man sie respektieren sollte”
Vom Zentralnervensystem scheinen Sie nicht gerade viel zu verstehen. Von daher aus dem oben verlinkten anderen Kommentar von mir ein Extrakt: “Den entscheidenden Punkt, den ich meine, kann ich nur kurz zusammenfassend andeuten. Insgesamt demnächst mehr dazu.
Es gibt eine evolutionsbedingte Blindheit, der alle Menschen unterliegen. Sie treibt in allen Individuen und Religionen und Weltanschauungen ihr Unwesen. Das aber ist ein gesamtmenschheitliches Phänomen in Gestalt einer grundlegenden, evolutionsbedingten Blindheit gegenüber den eigenen geistigen Kräften. Eine Blindheit, deren Quelle dafür sorgt, das immer und überall, in allen Individuen und in allen Gruppierungen eben auch zerstörerische Kräfte hochkommen. Die Tatsache, dass Übles geschieht, die einen die anderen wegen ihrer Vorstellungen ausrotten wollen und alle sich gegenseitig bekämpfen etc., liegt in dieser Blindheit, ihren Ängsten und ihren verkehrten Sichten begründet und nicht im Wesen der Religionen (…) Und es ist unverantwortlich, den Ursprung dieser Blindheit dort zu verorten, wo man am ehesten schon immer genau darin um Abhilfe bemüht war, eben in den Religionen. Und man verschlimmert die Lage, wenn man sie daran hindert. Nein, es sind überall die, die aus dieser Blindheit heraus in den Gruppierungen diese negativen geistigen Kräfte hochkommen lassen, nicht im Guten bewältigen. (…).
Gegenüber diesen Kräften können wir Menschen uns nicht abschotten.
Abschottung, Bekämpfung, Unterdrückung sind nicht der Weg, sie zu überwinden, zumal sie in jedem Augenblick aktuell neu überwunden werden müssen. Denn sie kommen immer von innen, haben deshalb immer und überall Zugang, sei es im Individuum oder über dieses in einer Gruppe, egal wie sehr wir uns nach außen abschotten oder kämpfen.(…)
Was da in uns und zwischen uns hoch kommt und woher es kommt, ist ein eigenes großes Kapitel. Jedenfalls kann sich keine Gruppe gegenüber diesem Phänomen abschotten oder es anderen zuschieben.
Hm… – also diese zuletzt beschriebene Blindheit, bzw. die dabei wirkenden Kräfte bzw. Entitäten, würde ich vereinfacht mal als “den inneren Schweinehund” bezeichnen. Exakter ausgeführt komme ich dann auf “Dämonen” bzw. “gefallene Engel” als jene überempirischen Wesenheiten, die genau das wollen: Krieg, Zerstörung, Lethargie, Unfrieden und was der schlechten Dinge mehr sind.
“Bekämpfen” kann man die in der Regel nur dadurch, dass man sie streng und bestimmt zurückweist, bzw. ihnen vorlebt, dass es auch anders geht, als sie uns weismachen wollen. Weiter will ich das jetzt nicht vertiefen, denn dann müsste ich hier Bücher abschreiben, wozu ich aber keine Lust habe. Ausserdem würde es den Rahmen dieses Blogbeitrags sprengen.
Ja gewiss, @Hans, grundsätzlich wichtig ist erst einmal, dass man die Existenz von Bösem und Unheilem überhaupt wahrhaben will und dafür beim Namen nennt. Wie sonst sollte man es überwinden? Wenn Sie das mit den Metaphern: “den inneren Schweinehund”, “Dämonen” bzw. “gefallene Engel” machen, ist das völlig in Ordnung.
Das sind aber eben vertraute alte Begriffe, Metaphern, die im Falle meines noch zu präsentierenden Gesamtbildes zu Missverständnissen führen und in falschen Schubladen landen können.
Ohne dafür jetzt allzu weit vorab ausholen zu wollen:
Aus der Perspektive dieses ausstehenden Gesamtbildes wäre es dann so, dass beim “inneren Schweinehund” die Gefahr besteht, dass man diese Kräfte nur dem Individuum zuordnet, was nicht immer stimmt. Und bei “Dämonen” bzw. “gefallene Engel” besteht wiederum die Gefahr, dass man sie ganz von sich weist, ganz außerhalb vom Individuum sieht, also nicht in eigener Verantwortung, was eben auch nicht immer stimmt. Man sieht sie vollständig als Fremdeinwirkung, von der man sich nur fernhalten muss oder wie Sie sagen: “dass man sie streng und bestimmt zurückweist”. Dass Letzteres geschieht, ist ja schon mal das Wichtigste. Sie setzen “Bekämpfen” m.E. schon sehr richtig in Gänsefüßchen, denn der Begriff ist riskant, trifft nicht richtig, worum es geht. Das Böse kann man eigentlich nicht bekämpfen. Kämpfen kann nur für das Gute. Gegen das Böse kämpfen, würde es nur verstärken, ihm Daseinsberechtigung verleihen.
Wir Menschen sind, obwohl ein voll verantwortungsfähiges Individuum, immer auch ein verantwortlich konstituierender Teil einer Gruppe und vor allem der ganzen Menschheit. (auch als Einsiedler) Unser eines menschheitliches Böses geht alle, ausnahmslos alle, etwas an. Deshalb hat jeder sein Päckchen und manch einer die Last mehrerer oder vieler anderer, die ihres nicht selber tragen wollen. Dazu gehören auch alle die, die es nicht wahrhaben wollen.
Und da ist Einer der immer schon die Last aller mitträgt.
Aber wie gesagt, Genaueres demnächst.
“Ausserdem würde es den Rahmen dieses Blogbeitrags sprengen.”
…ich hatte Ihnen eine Ausweichmöglichkeit angeboten.
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