Fremdenfeindlichkeit als Atavismus in der Evolution von Homo sapiens
BLOG: Natur des Glaubens
Gleich im ersten Kapitel seines "Fatal Conceit" verwies der evolutionär forschende Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) auf eine zentrale Aufgabe jeder erweiterten Ordnung: Sie müsse deren instinktive Fremdenfeindlichkeit, einen vormenschlichen Atavismus, überwinden.
Und er hat Recht – wir sind zwar weit gekommen: Kein (anderer) Primat außer dem Homo sapiens wäre in der Lage, sich einfach so in ein Flugzeug oder einen Aufzug voller Fremder zu begeben. Aber wenn auch Jahrhunderttausende der Evolution in sich erweiternden Gruppen und Netzwerken Neugier und Toleranz evolutionär belohnt und gestärkt haben, so erfahren auch wir heutigen Menschen noch instinktive Ängste, Streß und manchmal gar Aggressionen, wenn wir (sichtbar) Unbekannten begegnen. Negativ gesehen: Menschliche Gesellschaften ohne Rassismus und Fremdenfurcht hat es nie gegeben, mit unseren Instinkten werden wir immer weiter ringen müssen. Positiv gesehen: Dass sie kulturell und auch biologisch an Massivität verloren hat, dürfte ein Anzeichen dafür sein, dass sich Neugier, Gastfreundschaft und Toleranz insgesamt (auch genetisch) ausgezahlt haben. (Anbei ein informativer Clip zur Evolution und erst wenige Jahrzehntausende "alten" Ausbreitung von Homo sapiens.)
Fremdenfurcht und Religionen
Auch als (evolutionär forschender) Religionswissenschaftler hat man natürlich immer wieder mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit zu tun. Einerseits überspannen erfolgreiche Religionsgemeinschaften häufig ethnische Grenzen, ermöglichen Begegnungen unter vorher Fremden und spielen so eine wichtige Rolle bei der Eindämmung von Fremdenangst und z.B. rassistischer Ängste. Dies ist auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor monotheistischer Religionen seit der Spätantike: Sie verbinden vorher Fremde vor allem in Städten zu Gemeinden mit gegenseitigem Vertrauen. Andererseits aber schüren sie bisweilen auch Fremdenängste, wenn z.B. christliche Prediger in Europa vor einer Islamisierung (früher: Verjudung) Europas warnen oder fremdenfeindliche Muslime, Hindus, Juden oder Buddhisten gegen Minderheiten in Pakistan, Indien, Israel oder Sri Lanka Stimmung machen. Wie in so vielen Gebieten haben Religionen mit Bezug auf Fremdenfeindlichkeit sowohl konstruktives wie destruktives Potential – es kommt stets darauf an, was man daraus macht.
Vorurteile gegen Religionen
Gerade weil aber Religionen stets eigene Identitäten und Vertrauen nach innen auf Basis auch gewisser Abgrenzungen (z.B. Verhaltensgebote, Rituale, manchmal auch Speise, Kleidung oder Sprache) schaffen, waren und sind sie auch selbst ausnahmslos Objekte von Ängsten und Verschwörungstheorien – wie sie z.B. als Antisemitismus, Christianophobie oder Islamophobie beschrieben werden. Mir ist keine einzige, erfolgreiche Religionsgemeinschaft bekannt, gegen die nicht die klassischen Vorwürfe erhoben worden wären.
1. "Sie" haben sich untereinander verschworen und wollen die Macht erringen.
2. Sie schotten sich ab (Parallelgesellschaft) und unterdrücken v.a. ihre Frauen.
3. Wenn sie doch zu sich einladen, betreiben sie offene und verdeckte Mission.
4. Und wenn sie sich doch einbringen, so betreiben sie Unterwanderung.
5. Aus all diesen Gründen sollte man ihre Rechte einschränken und sie bekämpfen.
"Sie" – das waren in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert "die Juden", im Mittelalter "die Wiedertäufer" (christliche Freikirchen), Ende des 19. Jahrhunderts katholische Christen (sog. Ultramontanstreit) und derzeit Muslime sowie zunehmend evangelikale Christen. Viele Evangelikale beklagen heute, mit "islamischen Fundamentalisten" in einen Topf geworfen zu werfen – wobei der Begriff "Fundamentalismus" ja wiederum aus dem Protestantismus stammt und gerade auch evangelikale Christen ihrerseits mit pauschalen Vorwürfen gegen Muslime nicht gegeizt und damit einer religionsfeindlichen Stimmung im Land Vorschub geleistet haben.
Und um gleich voraus zu schicken: Selbst Opfer von Vorurteilen zu sein heißt keineswegs, dann auch umgekehrt keine zu haben. Die christlichen Amischen in den USA wurden Jahrhunderte als "dumme Deutsche" verspottet und insbesondere während der NS-Zeit massiv angefeindet – und hegen doch massive Vorbehalte z.B. gegen Juden und Dunkelhäutige. Mancher Muslim beklagt wortreich europäische Islamophobie, um im nächsten Augenblick über die vermeintliche Bedrohung durch Aleviten, Bahai oder Ahmaddiyya zu schwadronieren. Manche israelischen Politiker erinnern betroffen an Jahrhunderte der Ausgrenzung – um im nächsten Moment israelisch-arabische Muslime oder Christen anzugehen. Und auch Hindus in Indien und Buddhisten in Sri Lanka verbinden die Klage über europäischen Kolonialismus und christlich-missionarische Intoleranz bisweilen mit Verschwörungstheorien und sogar Gewalt gegen Minderheiten im eigenen Land. In vielen afrikanischen Gesellschaften haben die Jahrhunderte schwarzenfeindlicher Vorurteile Narben hinterlassen, häufig aber erfahren Kinder, die mit weißer Haut geboren werden, Ausgrenzung. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Was kann man tun?
Sowohl Neugier wie Fremdenfeindlichkeit gehören – in unterschiedlich starkem Ausmaß – zur Natur jedes Menschen. Aber wir sind unseren Genen eben auch nicht einfach ausgeliefert, sondern können reflektieren und Kulturen gestalten, die Vielfalt aushalten. Umfragen zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit dort am geringsten ausfällt, wo unterschiedliche Menschen sich im Alltag begegnen – und also die Ängste voreinander verlieren. Deswegen ist Dialog nie nutzlos. Ob selbst religiös oder nicht – jede(r) kann Vorurteilen und Ängsten entgegen treten. Und auch im Internet kann man Schmutz und Hass etwas entgegen setzen. So zum Beispiel mit der künstlerischen Schüleraktion 361 Grad für Toleranz unter Schirmherrschaft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Dieser Beitrag geht auf eine Anregung von Martin Huhn (aus einer Diskussion über Antisemitismus & Islamophobie) zurück – danke für die Anregung, Martin! Und gewidmet ist er Arvid Leyh’s Braincast der in seiner aktuellen Ausgabe ebenfalls über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nachdenkt.
Fragestellung unvollständig
Irgendwie scheint die Frage, wieso sich Fremdenfurcht und aggressives Vorgehen gegen Andersartige im Laufe der Evolution durchgesetzt haben, schlicht nicht gestellt zu werden. Die Antwort auf diese Frage sollte aber doch allen Aufrufen zu mehr Toleranz vorangehen!
Aus allen genannten Beispielen lässt sich locker schlussfolgern, dass die Vertreter einer bestimmten Gruppe deren Machtposition gegenüber einer anderen Gruppe halten woll(t)en. Machterhalt und Ressourcensicherung durch Kleinhalten anderer Gruppen, wohlbekannt und oft erfolgreich.
Die Fremdenfurcht und auch die Fremdenfeindlichkeit sind ja nicht durch irgendeinen dummen Zufall in unseren Genen bzw. Kulturen gelandet. Nicht jedes Vorurteil ist unnütz und nicht die Fremdenfeindlichkeit oder das Fremde sind das Problem, sondern der allzubillige Aufruf zur Missachtung unserer Vorurteile sowie dessen Gegenteil, die Aufforderung, sich ganz nur von ihnen leiten zu lassen.
Welche Vorteile bringt die Fremdenfeindlichkeit, wieso ist sie also in allen Kulturen/Menschen verankert? Warum sollte sie diese Vorteile heute gar nicht mehr bringen und wie sollten Aufrufe zu mehr Toleranz zu ihrer Verringerung beitragen?
@ Lokin: Atavismus
Danke für den Beitrag!
Und, wie geschrieben: Aggressivität gegenüber Fremden ist ein sehr häufiges Phänomen gerade auch unter Säugetieren. Für Schimpansen ist es z.B. extrem schwer (und lebensgefährlich), bei anderen Gruppen um Aufnahme zu bitten. Das Mißtrauen ist auch innerhalb der Gruppen so groß, dass z.B. Kinder selten anderen anvertraut werden.
Im Gegensatz dazu haben sich bei Hominiden schon seit sehr langer Zeit Neugier und Toleranz ausgezählt und immer weiter durchgesetzt: Von Jägern und Sammlern bis hin zu Stadtmenschen werden Fremde in Gruppen integriert und auch Kinder von Nichteltern betreut. Religiöse Überzeugungen spielten (und spielen) eine bedeutende Rolle dabei, Unbekannte auch über ethnische und sprachliche Grenzen hinweg zu “Brüdern und Schwestern” (Fachbegriff: as-if kin) zu verbinden. Aus dem Leben in vernetzten Kleingruppen ist ein Leben in immer größeren Stämmen und schließlich millionengroßen Nationen geworden, wie es kein (anderer) Primat führen könnte.
Natürlich tragen wir ein dumpfes Erbe von Aggressivität und Intoleranz noch immer mit uns – doch alle Anzeichen sprechen dafür, dass es mindestens in den letzten Jahrhunderttausenden zunehmend unter Selektionsdruck geriet. Fremdenfeindlichkeit wird es also auch weiterhin geben, aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass entsprechend dumpfen, grölenden und besoffenen Jungmännerhorden die Zukunft gehört. Stattdessen sind es v.a. die offeneren Erwachsenen in multi-ethnischen Religionsgemeinschaften, die kinderreichere Familien begründen und so ihre Gene weitergeben. Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) erweist sich als Atavismus – ein über Jahrhunderttausende langsam abschmelzendes Relikt unserer evolutionären Vergangenheit.
Beispiel Deutschland
In Deutschland hat man Angst vor “Überfremdung” oder schlimmer noch vor einer “Islamisierung” der Gesellschaft. ” Die Muslime, lautet der Tenor, seien intolerant, gewalttätig und rückständig, die westlichen Staaten dagegen viel zu tolerant und friedliebend.”
Zitat von hier:
http://www.wsws.org/de/2007/apr2007/kora-a10.shtml
Gegen Vorurteile und der Angst vor “Überfremdung” helfen aber nur Aufklärung und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur.
In Deutschland werden aber nicht nur Ausländer ausgegrenzt. Spätestens seit dem “Pisaschock” weiß man, nirgendwo hängt das schulische Weiterkommen so stark vom Einkommen der Eltern und von deren Bildungsstand ab, wie in Deutschland. “Fremdenfeindlichkeit” kann sich durchaus auch auf die eigenen Mitbürger beziehen, unabhängig von der Religion. Fremde Lebenswelten sind von Hause aus suspekt! Im Text heißt es: “Umfragen zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit dort am geringsten ausfällt, wo unterschiedliche Menschen sich im Alltag begegnen – und also die Ängste voreinander verlieren.” Würde unseren Kindern da eine Gesamtschule helfen? Soweit ich weiß, ist diese Schulform in Deutschland ebenfalls gescheitert.
Ja!
Liebe Mona,
danke für den Beitrag, dem ich gerne zustimme. Auf einige Punkte gehe ich auch gerne gesondert ein.
Gegen Vorurteile und der Angst vor “Überfremdung” helfen aber nur Aufklärung und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur.
Ja, wobei man die eigene Kultur auch lieben und die der anderen ebenso differenziert sehen sollte. Jede gewachsene Kultur hat ihre wertvollen Seiten – und wer die eigenen Traditionen nicht schätzt, wird auch andere nicht wirklich verstehen können. Umgekehrt haben auch alle anderen Kulturen ihre Licht- und Schattenseiten. Letztlich gelingt gegenseitiges Lernen (Bereichern) dort, wo es gelingt, das Beste aus Traditionen zu verbinden.
In Deutschland werden aber nicht nur Ausländer ausgegrenzt. Spätestens seit dem “Pisaschock” weiß man, nirgendwo hängt das schulische Weiterkommen so stark vom Einkommen der Eltern und von deren Bildungsstand ab, wie in Deutschland. “Fremdenfeindlichkeit” kann sich durchaus auch auf die eigenen Mitbürger beziehen, unabhängig von der Religion. Fremde Lebenswelten sind von Hause aus suspekt!
Auch da stimme ich absolut zu. Was “fremd” ist, ist immer eine Definition und Konstruktion – und es gibt nicht nur Abwertung nach unten (“Pöbel”), sondern auch nach oben (“feine Pinkel”). Ein ganz aktuelles Beispiel sind Feindseligkeiten in Berlin gegen Schwaben, die in vereinzelten Beschädigungen süddeutscher Automarken und “Schwaben raus!”-Aktionen ihren bisherigen, traurigen Höhepunkt gefunden haben. Leider nur teilweise ein Witz, siehe hier:
http://www.sueddeutsche.de/…ama/742/452446/text/
Würde unseren Kindern da eine Gesamtschule helfen? Soweit ich weiß, ist diese Schulform in Deutschland ebenfalls gescheitert.
Ja, denn natürlich wünschen sich erfolgreiche Eltern für ihre Kinder optimale Startchancen. Integration und Förderung benachteiligter Kinder solle schon sein, aber eben nicht auf Kosten der eigenen Sprösslinge. Deswegen schicken auch linksorientierte Politiker (wie z.B. Frau Ypsilanti) ihre eigenen Kinder gerne auf Privatschulen mit besserer Förderung und niedrigem Integrationsbedarf. Entsprechend fliehen die Mittel- und Oberschichten aus Gesamtschulen, wenn nicht gar ganz aus dem staatlichen Schulangebot. Auch im Rahmen ihrer derzeitigen Plakatkampagne ist der SPD genau ein solcher Lapsus passiert:
http://www.bild.de/…unis-fuer-freie-bildung.html
Man sieht daran, dass es auch keinen Sinn macht, die Menschen zu überfordern, zumal ein starkes Engagement von Eltern für die Bildung ihrer Kinder ja wünschenswert ist. Erfolgreiche Integration lässt sich nicht erzwingen, sondern nur fördern. Zwang löst nur Abwehrreaktionen aus, idealerweise gelingen aber Prozesse des Zusammenwachsens.
“Brauchen” Menschen Feindbilder?!
Die Abfolge der verschiedenen Feindbilder (in Deutschland im Lauf der letzten 100 Jahre: Katholiken/Alliierte, Juden, Kommunisten, Islam…) scheint ja keine gro0en Lücken zu lassen. Und das wird darauf hinzuweisen, dass Menschen “gerne” Feindbilder produzieren. Michael Blume hat in seiner Replik auf Lokin bereits darauf hingewiesen, dass da nichts nachträglich in die Evolution “hereingekommen” ist, sonder ein Erbe, das uns mit vielen Tieren verbindet, noch nicht richtig kulturell unschädlich gemacht (können wir es überhaupt ganz überwinden?).
Feindbilder, Feindesangst und aktive Feindschaft scheint so etwas wie eine Universalie zu sein: Zunächst der altbekannte politische Trick: Feindschaft nach außen zu produzieren, um ein Volk zu einigen. Man kann es auf der mehr individuellen Ebene für tatsächliche oder vermeintliche Helden verallgemeinern: “Viel Feind, viel Ehr”. Wahrscheinlich steckt’s noch tiefer: Die Vorliebe für gewisse Märchen, Abenteuer-Geschichten, Filme, (Wett-)Kampfspiele … weist darauf hin, dass Menschen gerne einen gewissen “Kitzel” in der Richtung spüren. Und Helden, die sich gegenüber Feinden bewähren, wollen wir ja alle ein bisschen sein. Gleichzeitig können solche Geschichten , Medien, Übungen… die Feindschaften auf eine innerpsychische Ebene heben – sie verstärken oder aber auch sublimieren (die Wechselbedeutung von “jihad” bei “Moslem oder des “Kampfes in der geistlichen Waffenrüstung” bei den Christen könnte das beleuchten).
Überhaupt Religionen: Religionen sind ja (u.a.) dazu da, Lebensprobleme von Einzelnen und Gruppen auf eine gemeinsam anerkante Weise zu bewältigen. Es gibt da ganz einfache Handlungsanweisungen, mit welchem Gruß oder Zuruf man Fremden begegnet – wie man austestet, ob Freund oder Feind; ob man Vertrauen schaffen oder Abwehrhaltung einnehmen soll. Und einschlägige Geschichten und Riten werden hier ja bereit gestellt, durch die Menschen lernen (weniger kognitiv, eher einübend) welche Möglichkeiten es in der Begegnung mit Feinden gibt.
Dabei finde ich es als christl Theologe gut, dass in der Bibel am Anfang der Mythos steht von der gemeinsamen Abstammung aller Menschen aus einer Wurzel – alle “eigentlich” eine große Familie. Indianische und afrikanische Mythen sind da wohl parallel. Schlechter sind ethnozentristische Mythen: Nur die Mitglieder “unseres” Volk sind als eigentliche Menschen geschaffen – die andern mehr oder weniger defekt.
Feindschaften sind dann doch nicht ausgeschlossen (Kain und Abel!): In der Bibel auch mit rassistischen Unterstellungen, z.B. gegen Hamiten und Edomiter vermengt mit dem Vorwurf sexueller Perversion. (Na ja, hatten gleichzeitige Geschichten der Germanen, Griechen, Chinesen da rücksichtsvollere Einsichten gegenüber anderen Völkern?). Biblische Geschichten über (Anweisungen zum) Genozid sind ja bekannt und werden von interessierter Seite heutzutage genüsslich ausgeschlachtet – und auch das bestätigt, dass manche eben die entsprechende Pflege ihrer Feindbilder “brauchen”.
Die innerbiblische Diskussion ging weiter – weit über die atavistischen Reflexe hinaus: Schon im Alten Testament auch Fremdenschutz und Feindesliebe. Was im Neuen Testament dazu steht, ist Anknüpfung daran, Zweitauflage (und gleichzeitig Widerspruch gegen die gegenläufigen feindlicheren Impulse).
Der “geistliche Kampf” geht weiter. Immer wieder packte es auch die Christen: Wenn die äußeren Feinde fehlen bekämpft man das, was man in sich spürt, am liebsten an Ketzern/Dissidenten und konkurrierenden Gruppen. (Oder wenn die inneren Widersprüche zu deutlich werden, sucht man sich äußere Feinde). Das kennen andere dogmatisch fixierte Gruppen (mein Lieblingsbeispiel: Kommunisten mit ihren verschiedenen Orthoxien) ähnlich.
In Religionen liegen die verschiedensten Möglichkeiten bereit, wie mit dem Problem umzugehen. Es käme darauf an, nicht auf einer Stufe stehen zu bleiben, sie nicht dogmatisch (als letzte Antwort) festzuschreiben; sich auch nicht von Kritikern auf eine Stufe festnaglen zu lassen. Sondern offen zu sein für die verschiedensten Einsichten – sagte ja schon Paulus: Alles prüfen, Gutes behalten.
Basty
Atavismus – ach ja?
Wenn wir uns einig sind, dass Fremdenfurcht / Fremdenfeindlichkeit in Laufe der Evolution entstanden sind, können wir uns ja wohl auch darauf einigen, dass sie Vorteile gebracht oder gebracht haben muss. Die Nachteile sind ja sehr schön beschrieben, aber welchen Vorteil hat Fremdenfeindlichkeit?
Einfach den Begriff des Atavismus in den Betreff zu hängen macht noch keine Antwort. Auch ein Atavismus hat einmal Vorteile gebracht. Sich diese hier bewusst zu machen, kann den Vorteil haben, den Umgang damit zu erleichtern. Im übrigen hielt man auch den Blinddarm lange für einen Atavismus. Allerdings scheint er eben auch als Rückzugsgebiet für unsere Darmflora bei vollständiger Entleerung zu dienen. (Ich bitte mir das Beispiel nachzusehen, ich habe es erst vor kurzem gelesen und es passt so schön 😉 )
Meine zweite Frage bezog sich auf die Annahme, Aufrufe zu Toleranz würden die Fremdenfeindlichkeit verringern. Schien und scheint mir äußerst zweifelhaft. Muss nicht vielmehr eine gemeinsame Identität das ersetzen, was bisher durch die Fremdenfeindlichkeit geschützt wurde? Muss das nicht sogar für alle gelten, die miteinander leben wollen?
Wenn der feine Pinkel und der Pleb die gemeinsame Identität als Deutsche nicht mehr haben, muss das entweder geändert werden oder etwas anderes muss an seine Stelle. Ein “seid lieb zueinander” stiftet keinerlei Identität.
Die grölenden Jungmännerhorden einzuführen, war nicht ganz fair. Ein für gewöhlich abstoßendes Bild, das in der Diskussion um Fremdenfeindlichkeit etwa soviel zu suchen hat, wie in einer Diskussion über Gesang. Der Reproduktionserfolg von Mitgliedern grölender Jungmännerhorden ist übrigens beachtlich, insbesondere wenn man ihn mit dem linksliberaler Akademiker vergleicht.
Wenn eine einende Religion eine Fremdartigkeit überschreibende Wirkung hat, dann dient Fremdenfeindlichkeit vielleicht als Schutz vor einer Überforderung durch zuviel Fremdes auf einmal.
Great minds wear same socks …
Hallo Michael!
Eine Widmung – hey!
Schon wieder denken wir ähnliche Strecken. Eigentlich wundert es mich nicht. Auch ergänzen wir uns einmal mehr sehr schön. Ich habe also gleich zurückgewidmet 🙂
Hier ist die Erleichterung übrigens sehr groß: so wie es aussieht, konnten wir die NPD vermeiden. Gott sei´s getrommelt und gepfiffen!
Viele Grüße nach Stuttgart!
@ Lokin: Atavismus II
Danke für die Nachfragen, auf die ich gerne wieder eingehe.
Wenn wir uns einig sind, dass Fremdenfurcht / Fremdenfeindlichkeit in Laufe der Evolution entstanden sind, können wir uns ja wohl auch darauf einigen, dass sie Vorteile gebracht oder gebracht haben muss.
Andersrum, lieber @Lokin: Ursprünglich standen sich die Einzellebewesen grundsätzlich nur feindselig oder bestenfalls neutral gegenüber – es sind die Kooperationen, die evolvieren mussten! Und genau das tun sie, gerade auch bei Säugetieren, Primaten und Homo sapiens: Wir erreichen heute viel höhere Niveaus an sozialer Interaktion und auch Toleranz und Neugier, als je möglich war.
Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie sich verdeutlichen, dass es nie einen “unbeschriebenen Menschen” ohne Fremdenfurcht gab, die er dann erst aufbauen musste. Das Gegenteil ist richtig: Unsere Vorfahren evolvierten in kleinen Gruppen und hatten jede Menge fremdenfeindlicher Angst und Aggression geerbt – dann aber langsam überwunden. Deswegen Atavismus.
Die Nachteile sind ja sehr schön beschrieben, aber welchen Vorteil hat Fremdenfeindlichkeit?
Massives, ggf. auch aggressives Mißtrauen kann so lange adaptiv sein, wie der Fremde tatsächlich feindselig ist. Sobald sich aber Kooperationsmöglichkeiten ergeben, werden Toleranz und Neugier erfolgreicher. Es spricht einiges dafür, dass beim Menschen auch Rituale dazu beigetragen haben, Kooperationen über Gruppengrenzen hinweg zu ermöglichen – und sich so zunehmend freundlichere Anlagen durchsetzten. Ohne die es übrigens unsere heutige Gesellschaft gar nicht geben könnte – nicht einmal einen Bahnhof, Flughafen, Aufzug oder ein Einkaufszentrum! Denn überall dort interagieren wir mit Fremden, im Regelfall ohne einander anzugreifen.
Meine zweite Frage bezog sich auf die Annahme, Aufrufe zu Toleranz würden die Fremdenfeindlichkeit verringern. Schien und scheint mir äußerst zweifelhaft. Muss nicht vielmehr eine gemeinsame Identität das ersetzen, was bisher durch die Fremdenfeindlichkeit geschützt wurde? Muss das nicht sogar für alle gelten, die miteinander leben wollen?
Da stimme ich ausdrücklich zu! Und wüßte auch gar nicht, wo ich je behauptet hätte, Aufrufe zur Toleranz alleine würden reichen. Der Post verweist doch darauf, dass das Ringen zwischen Fremdenfeindlichkeit, Toleranz und Neugier Teil unseres Erbes ist. Die Konstruktion gemeinsamer Identitäten ist da absolut entscheidend, ja!
Die grölenden Jungmännerhorden einzuführen, war nicht ganz fair. Ein für gewöhlich abstoßendes Bild, das in der Diskussion um Fremdenfeindlichkeit etwa soviel zu suchen hat, wie in einer Diskussion über Gesang.
Nein, da sich die bezeichnenden Horden ja gerade über die Ablehnung Fremder definieren. Mich ärgert dabei, dass sie dabei auch den Namen meiner Heimat, meines Vaterlandes und manchmal auch meiner Religion missbrauchen. Von Luther, Goethe, Lessing usw. haben diese vermeintlichen Retter des Abendlandes meist keinen Schimmer. Und es tröstet mich, dass ihnen die Zukunft nicht gehört. Nicht in den Wahlen, nicht in der Demografie und damit auf Dauer auch nicht in der Evolution. 😉
Der Reproduktionserfolg von Mitgliedern grölender Jungmännerhorden ist übrigens beachtlich, insbesondere wenn man ihn mit dem linksliberaler Akademiker vergleicht.
Das mag sogar sein. Aber an die Kinderzahlen verbindlicher Anhänger der Weltreligionen kommt keine der beiden Gruppen auch nur entfernt heran. Daten und mehr dazu gerne hier:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/…n.pdf
Wenn eine einende Religion eine Fremdartigkeit überschreibende Wirkung hat, dann dient Fremdenfeindlichkeit vielleicht als Schutz vor einer Überforderung durch zuviel Fremdes auf einmal.
Fremdenfeindlichkeit signalisiert ja gerade die vermeintliche Bedrohung durch “Fremde” – für manchen linken Berliner z.B. durch zuwandernde Schwaben, für manchen kinderlosen Atheisten durch kinderreiche Christen usw. Sie wird also nicht durch einen objektiven Maßstab herbeigeführt, sondern schafft die Unterscheidungen, die sie dann als bedrohlich erlebt.
Wie zu @Mona geschrieben bin ich durchaus der Meinung, dass man Menschen nicht überfordern darf – wir sind nun einmal die Homo sapiens, die wir sind. Aber wir haben eben auch die Chance, uns selbst zu verstehen und über uns hinaus zu wachsen. Für viele mag es ja ein Schock sein zu erfahren, dass auch ihre Vorfahren einst schwarze Haut hatten und alle heute lebenden Menschen engstens verwandt sind – aber so ist es. Und mit diesem Blog versuche ich einen kleinen Beitrag dafür zu leisten, dass sich mehr Menschen für Wissenschaft und insbesondere Evolutionsforschung interessieren.
@ Arvid: Glückwunsch!
Lieber Arvid,
Deinen Blog wollte ich schon lange empfehlend verlinken (eigentlich auch mal den Englischen – machst Du da mal was zur Evolution von Religiosität? Ich hab doch grad einen englischen Artikel veröffentlicht! 😉 )
Glückwunsch zur Überwindung der NPD bei Euch! Hier in Baden-Württemberg hatten wir Bürgerinnen und Bürger ja seinerzeit die Republikaner wieder aus dem Parlament bekommen. Wobei man ehrlich eingestehen muss, dass sie sich durch ihre politische Inkompetenz selber entlarvt hatten. Es freut mich, dass für Deutschland insgesamt gilt: Unsere viel zu oft verhöhnte Demokratie, lebendig sie ist!
Verletzung anderer ist Selbstverletzung
Diesmal gebe ich Basty Castellio recht, wenn er sagt: “Es käme darauf an, nicht auf einer Stufe stehen zu bleiben, sie nicht dogmatisch (als letzte Antwort) festzuschreiben; sich auch nicht von Kritikern auf eine Stufe festnaglen zu lassen. Sondern offen zu sein für die verschiedensten Einsichten…”. Gefällt mir gut!
Als Nachtgedanken dazu ein Beispiel aus einem anderen Kulturkreis:
http://www.uni-muenster.de/…f/wf-94/9410301m.htm
Englisch
Danke der Nachfrage!
Auf englisch mache ich nur die bereits übersetzen 25 – reposts mit buddhistischen Unterströmungen, aber noch keiner Religion.
Demokratie verspottet? Machen das nicht nur die Rechten? (btw: hattest Du das – http://www.spiegel.de/…and/0,1518,596122,00.html – gesehen? Mag ich gerade sehr gern!). Werden nicht eher Parteien verspottet?
@ Arvid
Ich finde Deine englischen Braincasts auf jeden Fall klasse und kann Lesern nur empfehlen, mal hinein zu hören:
http://www.scilogs.eu/en/blog/braincast
Zu “Demokratie verhöhnen”. Nun, wir Deutschen haben m.E. einen sehr seltsamen Umgang mit unseren Politikern entwickelt: Erst wählen wir sie, dann beschimpfen und verhöhnen wir sie – bzw. verteidigen sie nicht, wenn andere (z.B. Rechts- oder Linksextreme) das tun. Und wundern uns dann, wenn sich das immer weniger Leute antun wollen und inzwischen schon Gemeinderatskandidaten knapp werden. Üble Beschimpfungen von Leuten, die sich selbst noch nie für andere engagiert haben, habe ich damals oft genug erlebt. In einer gewissen Hinsicht “verfremden” wir Deutschen oft auch “die Politiker”, um dann pauschal und hemmungslos über sie herziehen zu können, als wären es nicht sehr unterschiedliche Menschen. Die übrigens als Sparkassendirektoren mehr verdienen würden.
Klar sollen Demokraten gegenüber Amtsinhabern auch kritisch und streitbar sein. Aber ich habe hohe Achtung vor vielen Politikern quer durch die Parteien. Und wenn wir eine(n) zum Präsidenten oder Kanzler gewählt haben, dann hat diese(r) m.E. Respekt und Vertrauensvorschuss verdient. Wie sagte John McCain so schön, nachdem er die Wahl gegen Barack Obama verloren hatte – “Now, he’s my president!” Das halte ich für Stil.
http://www.chronologs.de/…s-kino-wei-die-antwort
cheater detection
Lieber Michael,
Du schreibst immer so schön und flüssig über Verschwörungstheorien und die schlimmen, schlimmen Leute (offenbar), die solchen anhängen. Möchtest Du Dich nicht einmal mit der Verschwörung gegen das Leben von Uwe Barschel beschäftigen anhand des Buches von Wolfram Baentsch, um Deinen Lesern ein etwas differenzierteres Bild zu vermitteln?
Auf welche Weise ein Kollege von Herrn Oettinger vor 20 Jahren ums Leben kam, könnte Dich doch auch interessieren, oder nicht?
Immerhin könnte Uwe Barschel heute an der Stelle von Angela Merkel Politik betreiben, wenn sein Leben nicht so früh zu Ende gewesen wäre. Immerhin war er ein prominentes Mitglied Deiner Partei. Und wie eine Partei mit den unnatürlichen Todesfällen ihrer prominenteren Mitglieder und deren Umfeld (etwa Alfred Herrhausen) umgeht, könnte auch viel über diese Partei selbst aussagen.
Seidem ich das sauber recherchierte und argumentierende Buch von Wolfram Baentsch gelesen habe, sehe ich auf Ministerpräsidenten von deutschen Bundesländern anders als zuvor. Und das werden alle Leser tun. Zumal auf solche Ministerpräsidenten, die von der CDU gestellt werden.
Nichts spricht dagegen – aber sehr viel dafür – daß Uwe Barschel vom israelischen Mossad ermordet wurde. Von vornherein so zu tun, als könne es sich bei einer solchen Vermutung nur um verstiegene, abseitige “Theorie” handeln, ist meiner bescheidenen Meinung nach hochgradig demokratiefeindlich. Ich wiederhole: hochgradig demokratiefeindlich.
Auch Geheimdienste reagieren auf Fremdenfeindlichkeit – oft sind sie sogar von ihr geleitet. Was dann?
Deshalb: Um die Dinge konkreter beim Namen nennen zu können, muß man sich mitunter auch schon einmal ein bischen konkreter mit ihnen beschäftigen.
Gerhard Wisnewski beispielsweise hat viele, keineswegs unbegründete Vermutungen zu den Ursachen der ganzen “Islamophobie” in der westlichen Welt, denen man mal konkreter nachgehen könnte. Sollten die Ursachen für “Islamophobie” weitaus willkürlicher und unnatürlicher sein, als man bislang angenommen hat (Klartext: Geheimdienst-gesteuerter) (ebenso wie die RAF-Phobie, ebenso wie die Tschetschenen-Phobie etc. pp.), sollten sich solche Erkenntnisse auch auf naturalistische, wissenschaftliche – sogar relgionswissenschaftliche – Fragestellungen (etwa zu den Ursachen von Fremdenfeindlichkeit) auswirken.
Es stellt sich dann nämlich dringlicher die Frage: Wie evoluierte Bosheit? Wie evoluierte Lüge? Wie evoluierte Leichtgläubigkeit gegenüber Lügen? Wie macht sich evoluierte Bosheit evoluierte Leichtgläubigkeit zunutze? Und möchte man bei sich selber eher die Gene für Naivität abrufen oder die Gene für cheater detection???
Ängste & Wissen
Lieber Ingo,
danke für Deinen Kommentar! Und, ja, selbstverständlich bin ich dafür, dass z.B. kriminelle Machenschaften aufgedeckt und auch erforscht werden. Ich finde z.B. Studien zur Mafia wichtig.
http://religionswissenschaft.twoday.net/…755841/
Was ich aber strikt ablehnen würde, wäre es, gegenüber Italienern generell diesbezügliche Vorurteile oder Verschwörungstheorien zu stärken. Wenn jemand meint, “die Italiener” hielten es mit der Mafia, verweise ich auf die unzähligen Opfer, darunter mutige Polizisten, Priester, Richter und Politiker, die sich oft unter Einsatz ihres Lebens den Kraken entgegen stell(t)en.
Ebenso stimme ich Dir zu, dass Vorurteile und Ängste gegen Gruppen bisweilen gezielt geschürt werden – sei es, um damit Geld zu verdienen (z.B. Bücher oder Zeitschriften zu verkaufen) oder auch, um bestimmte, politische Ziele zu befördern. Eindrucksvoll, weil sowohl an Linke wie Konservative gewandt, fand ich z.B. den Weckruf des Kabarretisten Hagen Rether gegen die ausufernde Islamophobie in Teilen auch der Medien:
http://www.youtube.com/watch?v=QL65dcC_UNM
Beeindruckend und ermutigend fand ich aber auch, dass der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, sich nach dem Mord an Marwa al-Sherbini in Dresden ausdrücklich mit den Muslimen solidarisiert und die Politik zum Handeln aufgerufen hat:
http://de.qantara.de/…php/_c-468/_nr-1196/i.html
Wenn wir nicht wollen, dass wir durch Ängste regiert werden, müssen wir uns informieren und ihnen kritisch-konstruktiv widerstehen.
Beste Grüße!
Atavismus als evolutionärer Faktor der Hominiden
Die Überschrift lautet: “Fremdenfeindlichkeit als Atavismus in der Evolution des Homo sapiens”
Das Wort Atavismus passt meiner Ansicht nach nicht in den beschriebenen Kontext. Was ist Atavismus? Atavismus ist das Wiederauftreten von evolutionären Merkmalen der Vorfahren. Das heißt es können beim Homo sapiens, vor allem bei Frauen Hypermastie auftreten oder die Anlegung einer Halsfistel durch Gendrift, Rekapitulation oder Mutation erfolgen. Als Gegenüberstellung nun der beschriebene Sachverhalt. Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit wird hier eindrucksvoll als ewiges Merkmal der Hominiden beschrieben. Und da ist der Punkt: Fremdenfeindlichkeit und Angst vor Fremden ist eben bei früheren Hominiden ebenso vertreten gewesen wie beim Homo sapiens. Ob Australopithecien oder Hominiden, allesamt haben anscheinend Fremde gefürchtet. Das ist als Instinkt vorgegeben. Das heißt demnach, dass es kein Atavismus sein kann. Denn ein Atavismus tritt erneut als Merkmal einer früheren Evolutionsstufe hervor. Das ist bei den Hominiden und der Fremdenfeindlichkeit nicht so. Diese ist uns wahrscheinlich kontant bis heute geblieben. Demnach ist der Begriff Atavismus hier falsch angewendet.
@TVöD
Ich verwende den Begriff Atavismus wie von Hayek: Als Bezeichnung für ein Überbleibsel, das noch vorhanden ist bzw. aufbrechen kann.
Denn im Vergleich zu allen anderen Hominiden haben Homo sapiens ihre Fremdenfeindlichkeit massiv abgebaut – kein Schimpanse könnte einen Bus unter Wildfremden besteigen, sein Kind in eine Geburtstagsparty oder Schule geben oder in einer anonymen Großstadt leben. Indem wir gelernt haben, zu Mitmenschen ein Grundvertrauen aufzubauen, wurde unsere einzigartige Evolution hin zu Cooperative Breeding, verlängerter Kindheit etc. möglich. Sehr spannend dazu Sarah Blaffer Hrdy “Mütter und Andere.”:
http://www.chronologs.de/…sforscherin-sarah-hrdy
Lernen ist immer noch nötig
Ja, wir haben viel gelernt. Und auch Religionen haben einiges dazu beigetragen. Aber sie ist tief in uns verankert. Selbst solche schöne Gesten wie das Grüßen zeigen: Wir müssen immer noch dran lernen bzw. es muss bewusst eingeübt werden. Der Fremde, der an einem Haus, einem Garten vorbeikommt, sollte zuerst grüßen, u.U. mit erhobener *offener* Hand. Ich verstehe das als ritualisierte vertrauensbildende Maßnahme. Aber auch Leute, die als “Fremde” in einem Dorf wohnen, registrieren sehr sensibel und leider oft auch verletzt, wer sie nicht grüßt oder ihren Gruß nicht erwidert. Ebenso: Wer sie mit Namen nennt oder sagt: Da drüben wohnt der Türke…
Eine gewisse Fremdenangst lernen auch Kinder, hoffentlich. Sie kann sie vor kriminellen Verführungen warnen. Nicht von ungefähr geschehen sie leider besonders häufig dann doch mit Leuten der vertrauten Umgebung.
Es gibt auch krankhafte Übersteigerungen. Letzten Endes werden Erwachsene zu einer gesunden Balance kommen müssen. Zum Verhalten gegenüber Minderheiten argumentierte ich (in der Gemeindearbeit) immer wieder – damit: Wie können in einem Saal, in dem 93 Leute sind und sieben dazu kommen, die 93 Leute Angst haben, sie würden überfremdet? Die Zahlen beziehen sich auf den Anteil der türkischen Bevölkerung.
Ist auch merkwürdig: Dort, wo besonders wenige Ausländer wohnen, scheint die Angst vor ihnen mit am ungemmtesten… Wenn man mal miteinander an einem Tisch sitzen würde, Aber da wirken Religionen (über Speisegebote) oft eher trennend. Daran muss man arbeiten.
Fremdenangst als Adaption
Ich würde vermuten, daß die Fremdenfeindlichkeit der Primaten jüngere Ursachen hat als z.B. der Territorialinstinkt von Wölfen und Schakalen. Zumindest sind Schimpansen (einschließlich Menschen und Bonobos) die einzige Spezies, die aus der Erfahrung “die Männchen des Nachbardorfes schnappen uns viel zu oft die Jagdbeute weg, die Weibchen sind zu attraktiv, um sie diesen wilderern zu überlassen, und die Kinder sind echte Nervensägen” die Schlußfolgerung zieht “wir ziehen in den Krieg, töten die Männchen, verschleppen die Weibchen und schlagen den Blagen die Schäden ein”.
Wenn eine Spezies einerseits in der Lage ist, Krieg als mögliche Problemlösung zu erkennen, und andererseits darüber reflektieren kann, daß ebenjenes konkurrierende Dorf genauso die Fähigkeit besitzt, einen Krieg zu beginnen, dann ist Mißtrauen überlebenswichtig.
Störk
So habe ich das noch gar nicht gesehen, in der Psychologie erscheint Xenophobie vor allem als Störung. Aber wenn Ihre Annahme stimmen sollte, wie kann dann unseren Vorgängern der Ausbruch aus dem Misstrauen gelungen sein? Erst durch Religion?