Fachtagung zu Verschwörungstheorien – Die Vorträge auf YouTube
BLOG: Natur des Glaubens
Wenn man sich für Wissenschaft(en) wirklich interessiert, bleibt eigentlich nie genug Zeit – immer wäre noch mehr zu lesen, zu diskutieren, zu besuchen, zu entdecken möglich. So konnten auch Sebastian Bartoschek und ich schließlich nicht so an der Fachtagung in Weingarten teilnehmen, wie wir uns das ursprünglich gewünscht hatten. Doch die neuen Medien sind eben auch ein Segen, wenn sie von kundigen Menschen wie Dr. Heinz-Hermann Peitz von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart bedient werden! Denn er sorgte dafür, dass einige Fachvorträge aufgezeichnet und auf dem YouTube-Kanal Grenzfragen (Wissenstip!) eingestellt wurden. Hier finden Sie sie – nach einem sehr gut gemachten Trailer – zum An- oder auch Nachschauen – bei Interesse könnten wir hier auch Blogdiskussionen zu einzelnen von ihnen einrichten.
Der Trailer zur Tagung, mit einem herzlichen Dank an Dr. Heinz-Hermann Peitz!
Der Eingangsvortrag zum Verschwörungsglauben als religionspsychologischem Phänomen und dem Demiurgen als Motiv von Verschwörungsmythen stammte von mir.
Als nächstes betrachtete Andreas Anton Verschwörungstheorien aus der Perspektive der Wissenssoziologie.
Daniel Kulla hinterfragt das Verhältnis aus Ideologie, Herrschaft und Verschwörung(svorwürfen).
Marius Raab geht der Frage nach, ob bzw. wie der Fussball-Weltverband FIFA als “Bauernopfer der Weltpolitik” gedeutet wird.
Holm Hümmler beleuchtet das “Geschäftsmodell Verschwörungstheorie”.
Alexander Capistran beleuchtet epistemologische (erkenntnistheoretische) und medienphilosophische Probleme im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien.
Jan Rathje spricht schließlich noch über die gemeinhin antisemitischen Superverschwörungstheorien der New World Order. Er ist auch Mitautor einer aktuellen Publikation der Amadeu-Antonio-Stiftung dazu.
Sollten noch weitere Vortragsvideos eingestellt werden, so füge ich diese an. Wenn Ihrerseits Interesse besteht, würde ich einzelne Vorträge auch noch in gesonderten Posts besprechen und zur Diskussion stellen, dazu auch die Vortragenden einladen.
Ihnen nun aber einfach viel Freude und Erkenntnisse beim Eintauchen in die interdisziplinäre Forschung rund um Verschwörungstheorien, Verschwörungsmythen und Verschwörungsglauben!
Howdy, Herr Dr. Blume,
nur zum Anfang des ‘Trailers’ mit dem Kreuz im Hintergrund, in dem auch Sie zu Wort kommen, kurz nachgefragt:
Sie unterscheiden ja fein zwischen Verschwörungsglauben, Verschwörungs-Mythos und Verschwörungs-Theorie, sehr nett, wie einige finden, Sie halten den ‘Hexenglauben’ ganz anscheinend für einen Verschwörungs-Mythos, Frage: Wie sind Religionen hier (oft) einzuordnen? Als Verschwörungs-Mythos?
Bonusfrage und falls nein: Sind es außerempirische Akteure, von Ihnen oft ‘überempirische Akteure’ genannt, die aus religiöser Veranstaltung eben I.E. keinen Verschwörungs-Mythos werden lassen?
MFG
Dr. Webbaer (der zum Tag des Herrn hoffentlich nicht allzu kritisch klang, Ihnen weiterhin viel Erfolg wünscht)
Danke für die konstruktive Nachfrage, @Webbaer. Und, ja, ich halte Verschwörungsmythen und Verschwörungsglauben für religiöse Varianten, ausgezeichnet durch einen pathologischen Dualismus: Also den Glauben an eine derzeit herrschende, weltweite Übermacht böser, verschwörerischer Mächte. Die Superverschwörer an der Spitze der allfälligen Verschwörungspyramiden erfüllen alle Kriterien überempirischer Akteure.
Gewachsene Weltreligionen begründen sich meist auf den Glauben als ein weltbestimmendes Gutes. Allerdings gibt es auch hier natürlich Dualismen und nicht selten dringt Verschwörungsglauben tief in die allgemeinen Lehren ein (z.B. Martin Luther, Piusbrüder, große Teile des heutigen Islams etc.).
Herr Blume,
während Ihres Vortrages hängt hinter Ihnen ein Plakat. Ist die Aufschrift so zu verstehen, daß Sie Hexenglauben und Antisemitismus als religionspsychologisches Phänomen betrachten ?
@Andreas Neuthe
Ja, Hexenglauben und Antisemitismus betrachte ich als sehr alte Ausprägungen von Verschwörungsglauben, von pathologischem Dualismus.
“Mythen sind nicht überprüfbar” eine These, die mE nicht stimmt.
Wir haben beim Entmythologisieren das Problem, dass der Mythos eben mehr ist, als nur Träger einer speziellen Information.
Mythos ist eine Kunst und Ergebnis einer Lebensart.
Beim Entmythologisieren übersetze ich aber nur die Infomation in meine eigene Kultur und Denkenweise.
In meinem eigenen Denken kann ich die Information dann aufwerten oder abwerten, je nach Belieben, und höffentlich mit
Respekt der Person gegenüber, die einen Mythos hat und lebt.
@Werner
Ob eine wissenschaftliche Theorie haltbar ist, lässt sich intersubjektiv überprüfen (z.B. durch Beobachtungen und Experimente).
Ob ein Mythos haltbar ist, lässt sich letztlich je nur subjektiv überprüfen (macht er für mich/uns Sinn, trägt er zu einem guten Leben bei?).
Entsprechend lässt sich zum Beispiel allein aus der Evolutionstheorie kein Lebenssinn ableiten, alleine aus dem (z.B. biblischen) Schöpfungsmythos aber auch keine moderne Naturwissenschaft. Recht verstanden, erfüllen Wissenschaften (Theorien) und Religionen bzw. Weltanschauungen (Mythen) eben ganz unterschiedliche Funktionen. Dazu poste ich bald gerne mal einen Extra-Post. 🙂
Gut, Herr Blume
aber das Sie das Weltrechtsprinzip (Menschenrechte) der mythologischen Seite zuordnen und nicht der wissenschaftlichen, damit kommen wir nicht hin.
Am Anfang ist jeder wissenschaftliche Ansatz in einer Leere, man markiert eine Ort und fängt dann an, wissenschaftlich zu denken, zu messen, zu vergleichen, etc….
Man übersieht das vielleicht, weil in der Nachbarschaft der eigenen Position und Leere auch viele andere wissenschaftliche Ansätze beginnen, daher ist der Ort nicht mehr als leer erkennbar (sondern gleicht oft einem großen Bahnhof ).
Was das Weltrechtsprinzip betrifft, beginnt es mit dem Wunsch oder der Notwendigkeit, nicht mehr beherrscht zu werden.
Das mag ein zufälliger Gedanke und Ort sein, historisch bedingt,, aber dann fangen die Aufklärer (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) an zu bedenken, folgerichtig zu schließen, also wissenschaftlich zu arbeiten (Philosophie).
Schon in den ersten Überlegungen entsteht durch folgerichtiges Denken die “Sittlichkeit” (vgl Gerechtigkeit)
-> Ohne Herrschaft entsteht Freiheit
-> Aber frei bin ich nur, wenn auch ich nicht herrsche
-> Sittlichkeit
-> “ich darf alles tun, was ich will,
wenn es jemandem anderes nicht schadet”<-
Die Menschrechte und das Weltrechtsprinzip sind mit wissenschaftlichem Denken ermittelt und als richtig erkannt.
Viele Grüße
Das ist zwar philosophisch schön gedacht, @Werner, hält aber dem historischen Befund nicht stand: Die Ideen der Menschenrechte enstammen der (lange religiös begründeten) Naturrechtslehre – bis heute wird ihre Anerkennung religiös und philosophisch ganz unterschiedlich hergeleitet. So ist schon die bloße Idee, dass es “die Menschen” gebe und etwa Frauen und Männer, aber auch Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Sprachen zur gleichen “Art” gehören sollten, keineswegs “selbstverständlich” und wurde und wird etwa in Kastensystemen – und natürlich auch in wissenschaftlich verbrämten Rassismen und Sozialdarwinismen – bis in unsere Zeit hinein bestritten, vgl. zum Beispiel:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/das-kastensystem-nur-ein-thema-des-hinduismus/
Die derzeit maßgebliche Studie zur Entdeckung (Erfindung?) der Menschenrechte, – die sowohl religiöse wie philosophische Einseitigkeiten historisch präzise vermeidet – stammt von Hans Joas und ist sehr zu empfehlen! “Die Sakralität der Person – Eine neue Genealogie der Menschenrechte”:
http://www.suhrkamp.de/buecher/die_sakralitaet_der_person-hans_joas_58566.html
Ihnen lieben Dank für Ihr lebendiges Interesse!
Das in Ordnung. Und natürlich gibt es viele Ansätze.
Aber Philosophie ist eine wissenschaftliche Disziplin,
und eben das moderne Weltrechtsprinzip ist einer aufklärerischen Position und unsere Geschichte, wissenschaftlich fundierte Arbeit
vgl.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_Rousseau
(Zugleich ist sie der Bestand der unveräusserlichen Grundrechte unserer Verfassung und selbst mit einer 2/3 Mehrheit nicht zu revidieren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ewigkeitsklausel
also keine Kleinigkeit
Tatsächlich ist dieses Prinzip ja nicht völlig ethabliert. In der UN gilt via Veto ein “Recht des Stärkeren” und auch die sogenannten Rechtsstaaten sind oft bestenfalls nur rechtsstaatsfähig. 🙂
Was mE besonders bemerkenswert, dass die christliche Ethik eben kaum mit der philosophisch ermittelten Sittlichkeit kollidiert, sogar das Religion in der Säkularität endlich wieder Zeit hat, für ihrer eigentliche Aufgabe.
Da bin ich nun ja gespannt auf Ihre Standpunkte und wo Sie einen Nagel in die Wand schlagen,….
auch was Mythologie betrifft, freue ich mich über Ihre nächsten Aktionen.
https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/originals/df/72/ea/df72ea1ad7e358e3888d23c5f9a7d9d4.jpg
Die Menschenrechte haben eine gute dokumentierte Geschichte und die fängt mit Naturrecht und Aufklärungsphilosophie an, nicht mit Wissenschaft. Es gibt sehr wohl eine Verbindung zur Religion, was die historischen Ursprünge angeht, doch hat das “Weltrechtsprinzip” (neues Wort?) doch eindeutig den Anspruch rational vertretbar zu sein, nicht wie eine Religion zu der man sich bekennt oder eben nicht.
Man sollte nicht Wissenschaft, Aufklärung und Fortschritt immer zusammenschmeißen. Das ist nicht gerechtfertigt. Man kann sehr wohl alle Vorzüge des technischen Fortschritts übernehmen, ohne der sog. “wissenschaftlichen Denkweise” eine Daseinsberechtigung zuzusprechen. Es gab doch die berühmte Anekdote mit den japanischen Astronomen, der zu einer Konferenz nach Europa kam. Nebenbei fragte ihn ein Kollege: “Glauben Sie wirklich, dass der Kaiser von Japan ein Gott ist und von der Sonne abstammt?” Darauf hat er geantwortet, hier erschien es ihn nicht plausibel, drüber in Japan aber glaube er es.
Zudem es ja anscheinend ganz unterschiedliche Auffasungen gibt, die für sich beanspruchen, eine “wissenschaftliche Denkweise” zu sein.
hi hi, 🙂
schreiben Sie mir bitte nochmal, dass Philosophie keine Wissenschaft ist (!)
Werner
Verschwörungstheorien als sinnstiftende Narrative zu interpretieren, die das Böse personalisieren und zugleich (transzendental) überhöhen – das finde ich einen guten Ansatz für eine Anthropologie, die versucht, den Menschen und seine Gesellschaft mit wenigen Grundkräften zu erklären. Auch der Versuch, die Konstitution des heutigen Menschen evolutiv zu erkären und quasi die Bausteine, die “Gene” dessen zu finden, was ihn umtreibt, muss mit den harten Abgrenzungen brechen, die etwa zwischen dem religiösen und dem säkularen Bereich traditionell gezogen werden.
Die Suche nach Sinn und der Durst nach sinnstiftenden Mythen und Narrativen (wozu man eben auch Verschwörungstheorien rechnen kann) allein dem religiösen Bereich zuzordnen, ist eine unheivolle Vereengung, denn jeder denkende und fühlende Mensch, ob nun religiös oder nicht, wird von Sinnfragen umgetrieben. Menschliches Handeln schafft nur dann Befriedigung, wenn es von einem Ziel und einem über den rein physischen Aspekt hinausgehenden Sinn angetrieben wird. Ehen werden geschieden, weil die Beziehung keinen Sinn mehr gibt, Arbeit und Anstrengung wird mit dem daraus geschaffenen Sinn entlöhnt. Programme der künstlichen Intelligenz unterscheiden sich heute von menschlichen Leistungen gerade in diesem Punkt am stärksten: sie kennen keine Ziele ausser denen, die ihnen einprogrammiert wurden und sie können den Sinn ihrer Berechnungen nicht benennen, ja nicht einmal darüber nachdenken.
Eine Verschwörungstheorie erklärt für daran Glaubende, was ihr Leben stört, mit welchen Feinden sie es zu tun haben und wie sich diese Feinde auf raffinierte und hinterlistige Art und Weise gegen die eigenen Interessen verschwören. Dagegen anzukämpfen, sich dadegen aufzulehnen, erscheint dann dem Glaubenden, dem Rechtschaffenden und Stolzen eine beinah heilige Pflicht zu sein.
Viele der damit verbunden Empfindungen sind aber auch aus dem religiösen Umfeld bekannt. Unabhängig davon ob die Verschwörungstheorie überhaupt etwas mit Religion zu tun hat oder nicht.
Herr Holzherr :
Derartige vereinfachende und psychologisierende Sicht auf Verschwörungstheorien, die in der Lage sind sie schnell und ohne nähere Einsicht abzubügeln, wollen einige gerade rauskriegen.
Deshalb die Sache mit dem Verschwörungsmythos…
(Religionen bspw. meinen nett formuliert ‘den Glauben als ein weltbestimmendes Gutes’, weniger nett formuliert womöglich einen Verschwörungsmythos, jedenfalls keine Verschwörungstheorie, weil die, dem hiesigen Begriffsgebrauch folgend, falsifiziert werden könnte; Religionen sind bei oft vorhandener ausreichender Kohärenz nicht falsifizierbar.)
MFG
Dr. Webbaer (der längere Zeit ebenfalls Verschwörungen als ineffizient und als fast irreal ein wenig zu locker abgebügelt hat, die zunehmende Internationalisierung hat hier aber zu einem Umdenken geführt)
@Dr.Webbaer: Geboren, aufgenommen und verbreitet werden Verschwörungstheorien, weil sie beim Menschen unterstützende Strukturen und eine Bereitschaft zum Glauben daran vorfinden. Es sind also (gruppen-)psychologisch/anthropologische Faktoren, die den Verschwörungstheorien den Nährboden bereiten.
Das bedeutet nun aber nicht, dass der Glaube an eine Verschwörung von feindlichen Gruppen in jedem Fall falsch ist, sondern vielmehr, dass Menschen mit dem Konzept der feindlichen Gruppe und auch des im verborgen, hinter den Kulissen operierenden Feindes vertraut sind, weil es quasi “Tiefenstrukturen” (analog zu den Tiefenstrukturen von Chomskys generativer Grammatik), also ein angeborenes Dispositiv dafür gibt.
Die Überhöhung und Abstrahierung des im Geheimen operierenden Feindes führt zu dunklen, (satanischen) Kräften, die das Geschehen hier beeinflussen. Personen, die unsere Erdenexistenz als einen Nahkampf zwischen dem Reich des Lichts und dem Reich der Dunkelheit betrachten, wie das bei Dr. Martin Luther der Fall war, sind sehr empfänglich für Verschwörungstheorien.
War halt wieder in weiten Teilen Psychologisierung, Herr Holzherr, insbesondere die Psychologisierung Einzelner, Sie haben sich hoffentlich in Ihrer Nachricht sozial-psychologisch bemüht, ist gefährlich – und zudem reziprok, der Psychologisierende spricht immer auch über sich selbst, OK, manchmal spricht “Es” aus ihm, haha.
Herr Dr. Blume und mit ihm auch andere, schauen Sie vielleicht mal in die Vids, OK, es sind so-o viele, ist hier (für einige natürlich nur) angenehm differenzierend.
—
Nebenbemerkung:
Auch der Schreiber dieser Zeilen ist vor dem Hintergrund zunehmender Internationalisierung “westlicher”, aufklärerischer Gesellschaftssysteme ein wenig verschwörungstheoretischer geworden.
(Nimmt zum Beispiel so etwas früher nie für möglich Gehaltene mittlerweile als Anfangsverdacht durchaus ernst:
-> http://www.spiegel.de/einestages/willy-brandt-bekam-geheime-us-zahlungen-ab-1950-a-1096881.html )
MFG + schöne Woche noch,
Dr. Webbaer (bei dem auch das Konstrukt ‘Verschwörungsmythos’ gut ankam)
Wer überall Verschwörungen sieht, hat ein paranoides Weltbild, ihm fehlt damit das Grundvertrauen in die Welt, die Gesellschaft in der er lebt und in seine Mitbürger. Das ist grundsätzlich schlecht, denn Misstrauen und Angst (als Grundstimmung, die bei Verschwörungsgläubigen zu finden ist) gebären Feindseligkeit und Hass. Das gilt übrigens auch für die sogennante “German Angst”, wie sie vor ein paar Jahren auch Günter Grass gezeigt hat, als er davon sprach, dass Israel mit seinen Atombomben alle Iraner töten und das iranische Volk damit auslöschen (wörtlich) könnte. Oberflächlich betrachtet hat Günter Grass damit nur eine Sorge vorgetragen, die er die “Sorge um den brüchigen Weltfrieden” nannte. Genauer betrachtet ergibt sich aber aus der vorgetragenen Angst vor der israelischen Regierung (und wohl dem jüdischen Volk überhaupt), ein geradezu monströses Feindbild: Israel ist eine Gefahr für Millionen von Menschen (genauer: 80 Millionen Iraner). Folgerung: Solch ein monströser Gegner muss gestoppt werden – wenn nötig mit jedem Mittel, das sich bietet.
Wenn heute der Verschwörungsglaube überall – wenn auch in Deutschland und Umgebung am wenigsten – zunimmt, dann bedeutet das auch, das “überall” das Misstrauen, die Angst und die damit verbundene Rechtfertigung für Gewalt im Namen der Selbstverteidigung, zunimmt.
Wem das Vertrauen in die Ordnung (den Staat, die Gesellschaft mit ihren Regeln) fehlt, der stellt diese Ordnung in Frage. Und er rechtfertigt mit einem grundsätzlichen Misstrauen letztlich auch gewaltsames Vorgehen.
Heisst das nun, dass es besser ist gutgläubig und naiv zu sein? Ja, das heisst es. Allerdings nur als Grundeinstellung, nur so lange man nicht eines Besseren belehrt worden ist. Misstrauen sollte nicht am Anfang stehen, sondern allenfalls aus konkreten Erfahrungen resultieren.
Huch, Herr Holzherr, ….
‘Misstrauen’ oder Skepsis ist bspw. die Grundlage der heutigen skeptizistischen Naturwissenschaft, es wird aus gutem Grund nicht mehr verifiziert, sondern die Falsifikation von Theoretisierung gesucht.
Allerdings erst seit ca. 100 Jahren, als bestimmte Experimente dazu Anlass gaben alten griechisch-philosophisches Gedankengut wieder auszupacken.
Was Sie womöglich meinen, ist dass ein gewisses Grundvertrauen in die dankenswerterweise “westliche” oder aufklärerische Gesellschaftssysteme angeraten scheint, wie auch das in Mitmenschen (oder Mitbären), hier wäre Ihr Kommentatorenfreund dann ganz bei Ihnen,
sofern Sie in der Lage sind, dies deutlich so zu formulieren.
Nur dann, sollte dies nicht möglich sein und sogenannte Gutmenschen [1] sind dazu in der Regel nicht in der Lage, könnte auch anderes gemeint sein, das potentiell sehr gefährlich wäre.
Nichts ist gefährlicher als nur Gutgemeintes!
MFG
Dr. Webbaer
[1]
Den Begriff ‘Gutmensch’ meidet der Schreiber dieser Zeilen idR, hat ihn nur für die Zwecke der Verdeutlichung aus seinem passiven Sprachschatz hervorgeholt.
Da werden bei mir Erinnerungen wach. Es gab mal eine Zeit im Internet, wo man sich früher oder später zwangsläufig mit diesen Zeug auseinandersetzen musste. Es war in gewisser Hinsicht spannend.
Also, packen wir mal ein paar unsaubere Impressionen von mir aus:
– In den USA scheint es eine gewisse Bewegung von Chiliasten, die sich am Ende der Welt glauben (*. Demnach wird Satan mittel der Vereinten Nationen und andere Kräfte eine Weltregierung bilden, es kommt zur Entrückung usw.
Da ist das Aufkommen von Verschwörungstheorien über die amerikanische Regierung, die NATO, die Vereinten Nationen usw. doch nur natürlich.
Das schwappt dann so phasenweise über den großen Teich zu uns rüber und viele Europäer sind nur zu aufnahmebereit, was das angeht, auch wenn die Theorien dann von den religiösen Elementen entkernt werden.
– Die Menschen sind heute noch genauso intelligent wie im 18. Jahrhundert, aber der Einfluss auf die Realität hat immer mehr abgenommen. Die globalisierte Welt wirkt bedrohlich und ihre Missbrauchsmöglichkeiten werden immer größer. Kein Wunder, dass manche Leute da zu solchen Theorien neigen.
-> Aber, wieso sind VT dann kein Massenphänomen?
– Es gibt ja ganz reale Hinterzimmerpolitik, Geheimdienste und Lobbygruppen mit zwielichtigen Zielen. Die beherrschen zwar in Wahrheit nicht die Welt, aber sie geben gute Vorlagen ab. Beispiel Bilderberger, NSA-Skandal usw.
Vor Snowden galt noch vieles als Verschwörungstheorie, das heute als Fakt akzeptiert wird. Echolon usw.
– Ich habe von der Anschauung abstand genommen, dass die Verschwörungstheoretiker im Netz klinische Paranoide sein könnten. Die Mehrzahl scheint eigentlich “vernünftig”. Erkenntnistheoretisch betrachtet haben die Verschwörungstheorien eher den Charakter von Irrtümern und/oder Illusionen.
– Die Verschwörungstheorien folgen, wie so vieles, Moden: Früher waren Alienverschwörungen groß in Mode, sind aber eher verschwunden, dann kamen mehr esoterische Ideen, sind auch weg und jetzt werden sie politischer.
– Der folgende Bericht hat mich amüsiert. http://www.heise.de/tp/artikel/47/47253/1.html
Hoffe, das ist ein bisschen Lustig, wie die Scherzseite einer zeitung oder den Editoiral in einem Magazin.
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* Damit sind die Christen übrigens nicht völlig allein, beispielsweise über die Hopi-Indianer heißt es:
»Die Hopi glauben, dass in naher Zukunft das fünfte Zeitalter beginnt, da Prophezeiungen zum Ende der vierten Welt bereits eingetreten seien: mit dem Kürbis der Asche wurde die Atombombe gedeutet, und das Haus, wo sich die Völker treffen als das UN-Gebäude in New York. Laut den Legenden soll es überall auf der Erde brennen und eine Zeit großer Umwälzungen beginnen. Nur Menschen, die es nicht verlernt haben, mit der Natur zu leben, würden überleben. Mehrfache Versuche der Hopi, im Weißen Haus und vor den Vereinten Nationen vorzusprechen, wurden ignoriert. Diese Versuche, mit der westlichen Kultur in Dialog treten zu müssen, sind ebenfalls Teil ihrer Mythen.«
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hopi&oldid=156594904#Mythologie
Auch im schiitischen Islam erwartet man die Ankunft eines 13. Imams und – oh Wunder! – auch im islamischen Kulturkreis gibt es Verschwörungstheorien… Zusammenhang scheint aber stellenweise etwas unklar.
Gibt es eigentlich auch Verschwörungstheorien bei den Japanern, Chinesen oder in Indien? Wäre vielleicht mal eine Untersuchung wert…
P.S.: Herr Blume, gerne mehr davon!
Vielen Dank für die Rückmeldung und die konstruktiven Gedanken, @Dummschwatz – Sie könnten sich m.E. ruhig ein selbstbewussteres Pseudonym zutrauen! Gerne mehr von Ihnen! 🙂
Hier ein Interview beim Deutschlandfunk zum Thema Reichsbürger und Verschwörungsglauben:
http://www.deutschlandfunk.de/reichsbuerger-angriff-ein-weiterer-fall-von.694.de.html?dram:article_id=369310
Ob und wann ich dazu komme, dazu zu bloggen, kann ich leider noch nicht sagen.
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