Evolutionäre Religionswissenschaft – Welche Fragen haben Sie?
BLOG: Natur des Glaubens
So, nun ist es soweit. Morgen fliege ich zur "Explaining Religion"-Konferenz nach Bristol, um dort Fachkolleginnen und -kollegen verschiedenster Disziplinen und Nationen zu treffen und aus meinem Forschungsbereich – der Religionsdemografie – zu sprechen. Die letzte, internationale Konferenz in Delmenhorst hat mich sehr begeistert, zumal auch noch ein spannendes Fachbuch ("The Biological Evolution of Religious Mind and Behaviour") daraus entstanden ist. Aus der Erfahrung nehme ich aber auch an, dass keine Zeit für Online-Aktivitäten bleiben wird – ich werde also sicher ein paar Tage offline sein und vielleicht "Natur des Glaubens" lesen, aber sicher erst im Nachhinein schreiben können.
Aber auch eine Ruhepause will genutzt sein – und so dachte ich mir, dass ich nun endlich einmal den schon lange angedachten Post eröffne, um Sie – liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, oder auch von "Gott, Gene und Gehirn" bzw. dem "Handbuch der Religionen" oder "Neurotheologie – Hirnforscher erkunden den Glauben" – zu fragen: Welche Fragestellung in der Evolutionsforschung von Religiosität und Religionen würde Sie besonders interessieren? Welche Themen sollte "Natur des Glaubens" in naher Zukunft aufnehmen oder vertiefen?
Über Ihre Rückmeldungen und Ideen würde ich mich sehr freuen – und werde ggf. schon in Bristol gerne ans Sammeln von entsprechendem Material gehen! 🙂
Nahtod-Erlebnisse
Nahtod-Erlebnisse sollten endlich einmal ernsthaft ausschließlich als Ergebnis von Denkprozessen lebender Menschen (und nicht als möglicher Sterbevorgang) erforscht werden. Denn sie werden weltweit und überkulturell immer durch einen gleichen Schlüsselreiz ausgelöst – der innerhalb einer Art zu gleichariger Verhaltensreaktion führt.
Dr. Phil Högl (www.nahtod.de) hat in seiner Magisterarbeit 1996 darauf hingewiesen, dass diese Erlebnisse einen Einfluss auf Religiosität haben: “Die religiösen Dimensionen der Nah-Todeserfahrungen”.
Religion
Die einzige sinnvolle Frage wäre einfach: warum Religionen nicht als das akzeptiert werden was sie sind: ein psychologisches Artefakt, verursacht durch das beim Menschen extrem entwickelte biologische Instrument der Spiegelneuronen.
Wahrscheinlich steht diesem Eingeständnis aber letztendlich die hocheinträgliche finanzielle Nutzbarkeit, sowie die Machtmöglichkeiten der sich anbietenden (meist) hierarchischen Systeme im Wege.
Fruchtbarkeit und Fleischbällchen
Ich wüsste gerne, was die evolutionäre Religionsforschung dazu sagt, dass die Jünger des Fliegenden Spaghettimonsters mehr Pasta essen als andere Menschen. Ist das eine evolutionäre Strategie? Können sie sich so besser auf das Kinderkriegen konzentrieren und ist das der Grund, warum Pastafarianismus eine der am schnellsten wachsenden Religionen ist?
@Michael Danton
>>extrem entwickelte biologische Instrument der Spiegelneuronen
Sie haben natürlich auch einen Link auf entsprechende Studien zur Hand…
Lässt sich derzeit etwas zur Evolution religiöser Symbolik aussagen?
(z.B.: Wie ließe sich die schon sehr alte und weltweit verbreitete Grundform des Kreuzes (Anch, “Hände Gottes”, Swastika, christliches Kreuz, usw.) erklären?)
@M. Danton, N. Hagthorpe: Spiegelneuronen
Die These der Spiegelneuronen – obwohl immer wieder durchgekaut – wird durchaus kritisch gesehen. Bitte lesen Sie hier weiter:
Pierre Jacob, “What do mirror neurons contribute to human social cognition?”, published in: Mind and Language vol. 23(2), 2008, pp.190–223,
oder auch hier
http://www.reading.ac.uk/…g_mirror%20neurons.pdf
Ich persönlich denke, daß es diese These schlicht aus Unwissendheit geboren wurde. Zu diesem Punkt lesen Sie bitte hier weiter:
http://www.brainlogs.de/…-14/empathy-in-a-mirror
@Elmar Diederichs
Natürlich, ich habe Ihren Beitrag lange zurrück mit Zustimmung gelesen. Der Kommentar war ironisch gemeint.
Mirror Neurons / @Danton, Hagthorpe, Diederichs
Ersetzen wir doch einfach ‘Spiegelneuronen’ durch (“das extrem entwickelte biologische Intrument der”) ‘Empathiefähigkeit’, denn das ist es doch, worauf es ankommt. Welche Neuronen bzw. Neuronenverbände dieser Fähigkeit zugrunde liegen, ist für Hirnforscher sicherlich eine interessante und spannende Frage. Für die Alltagspsychologen und Philosophen hingegen dürfte sie von untergeordneter Bedeutung sein.
Mit welchen Auswirkungen entwickeln sich Glaubenssätze
Sehr demütig stelle ich meine Frage in den akademischen Raum:
Entwickeln sich Glaubenssätze überhaupt, da sie ja einer Wahrheitsaussage zugrunde liegen? Wäre eine Entwicklung von Nutzen für die Glaubensgemeinschaft oder ist sie geschützter, wenn sie sich konservativ verhält? Welche Auswirkungen hat die Entscheidung für die Gesellschaft in der sich die Gemeinschaft bewegt? Oder ist es vielleicht so, dass der Vorteil der Gesellschaft darin liegt, dass sie sich für neuere oder ältere Glaubensinterpretationen entscheiden kann, ohne sich ganz vom Glauben abwenden zu müssen?
Der größte Feind von Glaubensgemeinschaften scheint ja der Zeitgeist zu sein, da er auch die eigene Gemeinschaft befällt und gefährdet.
Ich verstehe aber den Zeitgeist als Katalysator für Veränderung – also als Teil eines “kultur-evolutionären” Prozesses (Oder so. Sagen sie es besser oder anders, vielleicht verstehen Sie worauf ich hinaus will) ohne den wir z.B. auch auf herrliche Kirchenbauten, Choräle, etc. verzichten müssten(Oder?).
Hat der Zeitgeist vielleicht eine eigene Bedeutung in der Evolution des Geistes/ Religion?
Eine bescheidene Frage in den akademischen Raum:
Warum zerfällt der Glaube in verschiedene Richtungen und Interpretationen von Wahrheitsaussagen? Führt dies nicht zwangsläufig in eine säkularisierte der Gesellschaft? Führt der Protestantismus tatsächlich zum Atheismus, wie einige Katholiken behaupten? Und wem nützt das alles?
Huch. Ich dachte die erste Fragestellung wäre nicht angekommen. Jetzt stehe ich da zweimal. Sorry. Eine hätte es auch getan.
@Balanus
Dann kommen wir auf den einstigen Post von Michael Blume zu den psychologischen Erklärungen zurrück, wo er sich ja gerade ähnlicher monokausaler Erklärungen annahm. Damit ist für mich die Antwort klar
@Balanus: empirische Philosophie
“Welche Neuronen bzw. Neuronenverbände dieser Fähigkeit zugrunde liegen, ist für Hirnforscher sicherlich eine interessante und spannende Frage. Für die Alltagspsychologen und Philosophen hingegen dürfte sie von untergeordneter Bedeutung sein.”
Nicht ganz: es gibt einige Argumente in der Philosophie, die z.B. darauf beruhen, daß – so wie es nicht ein Gen für eine Eigenschaft gibt – es nicht ein Neuron für einen Gedanken gibt. Wenn sich die aufkommenden Hinweise bestätigen würden, daß Mentales nicht nur auf zerebrale Hemissphäreneffekte zurückgeführt werden könnten, sondern es äußerst spezialisierte Neuronen für Mentales gibt, dann müßte man vielleicht einiges in der Philosophie des Geistes überdenken.
Aber das ist nur eine Anmerkung am Rande. Ich dachte auch, Sie wären im Urlaub und ich hätte mal ein bißchen Ruhe vor bohrenden Fragen? 😉
Ergänzung
Hier auch der Link für die, die den Post nicht gesehen haben.
http://www.chronologs.de/…eorien-und-ihr-problem
Potentiell spannende Fragen?
Ich fände es spannend, mal anhand der Religionen in die Gesetzmäßigkeiten der angenommenen biokulturellen Evolution zu diskutieren. Zum Beispiel Fragestellungen wie: Wann und warum stirbt eine Religion (oder eine Sprache oder eine Musikform)aus oder setzt sich durch? Wie entscheide ich, welche Religion (oder Musik oder Sprache) die passende für mich ist (und mich zum Beispiel zum erfolgreichen Nachkommenproduzenten macht)? Welche Strategien “entwickeln” Religionen (Sprachen, Musikformen), um sich gegen andere erfolgreich durchzusetzen? Und welche ihre Träger? Kann man beides eigentlich getrennt betrachten oder nur zusammen?
So viele potentiell spannende Fragen …
Monokausales /@ N. Hagthorpe
» Damit ist für mich die Antwort klar «
Das verstehe ich jetzt nicht. Mir ging es darum, Michael Dantons “Spiegelneurone” durch das zu ersetzen, worauf es ihm vermutlich ankam (nämlich die Empathiefähigkeit). Ob Religionen nun ein “psychologisches Artefakt” sind, wie er meint, sei mal dahingestellt. Andererseits ist wohl kaum zu bestreiten, dass Religionen Menschenwerk sind und insbesondere seelische Bedürfnisse befriedigen können.
@Elmar Diederichs
» Wenn sich die aufkommenden Hinweise bestätigen würden, […] dann müßte man vielleicht einiges in der Philosophie des Geistes überdenken. «
Hm, wenn für die Philosophie des Geistes die mechanistische bzw. physiologische Funktionsweise des Gehirns von Bedeutung ist, dann wird sie wohl noch lange der Hirnforschung hinterherhinken.
» Ich dachte auch, Sie wären im Urlaub…«
Ein paaar Tage noch, dann ist es soweit 😉
@Balanus: Nachfrage
“Hm, wenn für die Philosophie des Geistes die mechanistische bzw. physiologische Funktionsweise des Gehirns von Bedeutung ist, dann wird sie wohl noch lange der Hirnforschung hinterherhinken.”
Das überrascht mich jetzt. Wie kommen Sie darauf?
>Ein paaar Tage noch, dann ist es soweit
Na, dann kann ich ja noch mal posten. 😉
@Elmar Diederichs
» Wie kommen Sie darauf? «
Mein Gedanke war, dass die Philosophie sich doch ganz auf den geistigen Output konzentrieren kann, ganz unabhängig davon, wie dieser neurophysiologisch entsteht.
Aber Sie sprachen ja eh von der empirischen Philosophie und bestimmten philosophischen Argumenten, insofern geht mein Einwurf ohnehin etwas daneben.
Schönen Tag noch… mir fallen langsam die Augen zu 😉
@Balanus
Ja, richtig, und ich würde mich sehr wundern, wenn Sie auch nur einen Theologen finden könnten, der Ihnen sagen würde Empathie sei nicht der Grundbaustein jeder Religion. Also ihre Pointe geht wohl an mir vorbei.
Neo-Fundamentalismus, Kreationismus und Globalisierung
Mich würde das Thema Fundamentalismus interessieren. Glaubt man verschiedenen Zeitungsmeldungen, so gibt es immer mehr Menschen die die Evolutionstheorie aus religiösen Gründen ablehnen. Gerade in den USA sind konservative “Evangelikale”, welche die Evolution ablehnen, stark auf dem Vormarsch. Auch Alexi II, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, distanzierte sich davon, dass der Mensch vom Affen abstamme.
Insbesondere bei fundamentalistisch angehauchten muslimischen Gläubigen in der Türkei kann man das Phänomen beobachten, “dass sich die Bewegung, die ich als islamischen Neo-Fundamentalismus bezeichne, immer mehr nach den Kategorien des protestantischen Evangelikalismus ausrichtet.” sagt Olivier Roy hier: http://de.qantara.de/…php/_c-469/_nr-1175/i.html
Über “Kreationismus” gab es mal einen guten Beitrag auf dieser Seite: http://www.spektrum.de/artikel/781885
Pointe /@ N. Hagthorpe
Es gibt keine Pointe, die an Ihnen vorbeigehen könnte. Mir ging es nur darum, dass hier kein Nebenkriegsschauplatz „Spiegelneurone“ aufgemacht wird, wo es doch vermutlich nur um die Empathiefähigkeit geht.
Mich würde das Thema Religions-Evolution im engeren Sinne interessieren. Gibt es einen Religions-Stammbaum? Bei den 3 abrahamitischen Religionen ist das ja offensichtlich, aber vielleicht stammen auch diese von früheren Religionen ab?
Auch der Buddhismus hat ja animistische Bestandteile (Geister und Dämonen), die bestimmt aus vorigen Religionen übernommen wurden. Gibt es da sowas wie einen Stammbaum?
Themen-Favoriten…
Der verengte Blick, den viele in Bezug auf „Religion“ haben, wäre auch mal interessant zu thematisieren. Mir scheint manchmal, auch hier bei Diskussionsbeiträgen, dass manche nur das als authentische Religion anzusehen vermögen, was ihnen aus dem Religionsunterricht als Katholizismus oder in irgendwelchen protestantischen Betstunden begegnet ist. Bzw., allgemeiner gesagt: Religion sei nur dann authentische Religion: *wenn* von oben nach unten organisiert und deshalb herrschaftsorientiert , dogmatisch definiert und dazu in einem Katechismus verschriftlicht, jenseitsorientiert und darum weltflüchtig, möglichst kreationistisch und alternativ zu wissenschaftlichen Welterklärungen. Gab ja auch schon Leute, die meinten, die Religion sei vor 2000 Jahren durch den Papst eingeführt worden – ach wie herrlich die religionslose Zeit vordem und wie herrlich müsste es sein, wenn nur die Christen uns mit Religion verschont hätten. Na, das ist wohl etwas übertrieben. Vielleicht waren die römischen Götter wirklich etwas toleranter; aber die römische Militärmaschine…? Wenn man Religion am Katechismus festmacht, müsste man wohl denken, Religionskriege (in Europa) seien um die Transsubstantiationslehre geführt worden oder gar um den Gottesbegriff.
Jedenfalls: Den Blick weiten, dass jede einzelne Religion vielschichtiger und bunter sein kann und die verschiedensten Religionen erst recht – dass man wirklich einen weiten Blick braucht über die eigenen individuellen Erfahrungen hinaus (und Verletzungen, die gar nicht zu bestreiten sind!), das dürfte durchaus erhellend sein. Gretchens Frage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ war noch relativ eindeutig. So ist’s eben nicht mehr.
Interessant auch, was Wolfgang Achtner gelegentlich anmahnt: Innerchristliche Religionskritik Nehme ich nur mal zwei – frei zitierte – Äußerungen von Karl Barth: »“Ich in dir, du in mir“ – der fromme Übermut erlaubt sich einfach alles.« Oder: »Wenn die Gottlosen Gott besser verstehen als die Christen, muss man Gott die Ehre und also den Gottlosen Recht geben« (in Bezug auf die Arbeiterbewegung gesagt).
Das bringt mich dazu, dass es auch auf den Atheismus mitunter einen verengten Blick gibt. Auch der ist bunter und vielschichtiger als mancher Glaubende glaubt. Hat ja auch nicht erst mit neueren Bestsellern angefangen 😉
Im Übrigen wären die Nah-Todes-Erfahrungen schon auch ein schönes kompaktes Thema. Und die Entwicklung des Fundamentalismus als Phänomen der Neuzeit. Und ganz stark unterstützen würde ich die (fast zu bescheiden daherkommende) Frage von @nerone: Entwicklungsmöglichkeit von Glaubenssätzen – Wahrheit – Zeitgeist. Käme ja dabei auch heraus, dass Religion nur in Ausnahmefällen eine individualistische Spielübung und damit selten wirkliche „Privatsache“ ist.
P.S. Bin ja mal wieder da; aber es war sooooooo viiiiiiel zu lesen. Danke!
@H. Aichele – Nachfrage: Was kann und soll Theologie
Ihrem Plädoyer für die Betrachtung der Religion in ihrer ganzen Breite, nicht nur als fundamentalistisches oder intellektuelles Phänomen, stimme ich zu. Allerdings scheint mir auch bei Ihrer Akzentuierung des Glaubens als soziale Praxis so etwas wie eine programmatische Ablehnung des Glaubens als Haltung durchzuscheinen (Verzeihung, falls ich Sie falsch verstanden habe). Bitte, verstehen Sie das auf keinen Fall als Kritik, ich will nur eine sehr ernst gemeinte Frage stellen: Kann Theologie heute überhaupt auf philosophische Ansätze verzichten? Und das ist vor allem eine soziologische bzw. religionswissenschaftliche Frage (als ganz im Thema dieses Blogs)
Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass Religion historisch wenig mit Individualismus und Wahrheitssuche gemein hatte. Für den Einzelnen war sie weniger Sinnstiftung, als Erfüllung konkreter (sozialer) Bedürfnisse (vieleicht sogar weniger durch Hinwendung ans Übernatürliche, sondern vielmehr durch die religiöse Gemeinschaft), für die Gesellschaft war sie schon gar nicht eine Heilsgemeinschaft mit Wahrheitsanspruch, sondern oft schlicht starkes soziales (und kulturelles!) Instrument.
Aber die Lage änderte sich ja ziemlich stark. Und nicht so sehr mit den Versuchen des Anschlusses der Religion an Philosophie, sondern mit den sozialen Veränderungen der letzten 150 Jahre. Michael Blume sprach ja oft (und ich stimme ihm zu), dass die Bedeutung von Religiösität sich verändert. Äußere Zwänge, Bedürfnisse nach gesellschaftlicher Anerkennung, Versorgung e.t.c., schlicht externe Gründe, die jahrtausendelang Religion als rituelles soziales System getragen haben, lassen nach oder verschwinden ganz. Die, die sich heute der Religion zuwenden (und bei ihr bleiben), tun dies vielmehr aus intrinistischen Gründen.
Diese Tendenz lässt sich soziologisch gut nachvollziehen. Der Religionsmonitor 2008 (http://www.bertelsmann-stiftung.de/…en_84470.htm), zeigt, dass konkrete Glaubensüberzeugungen (besonders bei den jüngeren Menschen) zunehmend wichtiger werden (bei den unter 30-Jährigen ist die Bejahung Gottes als Gegenüber und die Akzeptanz des Jenseits größer, als bei den weitaus religiöseren Ü-60ern). Und selbst Religionslose interessieren sich nach gleicher Umfrage vermehrt für intelektuelle theologische Themen ohne einen konkreten Glauben anzunehmen. Genau dieser Umschwung von der sozialen Bedürfnissgemeinschaft weg, hin zu einer erstpersönlichen Haltung ist wohl der Hauptgrund, wieso es langfristig zu einer Pluralisierung, aber nicht zum Aussterben der Religionslandschaft kommt. Kurz: Das Religion heute bbei uns aktuell ist, verdankt sie wohl ihrer intrinisierung und intellektualisierung.
Kann sich die Theologie dann intrinistischen Fragen verschließen. Natürlich befinden sich viele auf der Suche nach Gemeinschaft und Geborgenheit. Aber gerade NICHT durch Verzicht auf solche Sachen wie Wahrheitsanspruch, Sinnstiftung und persönliche Wegfindung. Und so etwas, wie ein persönliches Glaubensbeketniss, einen persönliche Katechismus zu finden, scheint (s. o.) tatsächlich für einen großteil der Religiösen wichtig zu sein. In der modernen Bildungsgesellschaft scheinen diese Fragen wirklich von großer Bedeutung für die eizelnen Gläubigen zu sein. Sie machen das intrinistische Interesse aus und fordern theologische Antworten. Antworten, die auch Wahrheitsanspruch haben sollen. Nun ist Wahrheitsanspruch in der Theologie etwas sehr anderes, als Wahrheit in Naturwissenschaften (was leider nicht alle verstehen) und mit theologischen Argumenten wird heute übermäßig, ja extrem viel Unfug getrieben. Aber: kann sich die Theologie solchen Fragen verschließen und in der Wissensgesellschaft Bestand haben? Kann sie sich darauf beschränken, auf die historische Vergangenheit als soziales Lebensbewältigungsinstrument hinweisen, obwohl Religion heute praktisch keine Rolle in sozialen, politischen und sexuellen Praktiken (s.o) einnimt, sondern von den meisten Menschen als Begründung von Letztgültigem gesehen und über Inhalte definiert wird? Kurz: Kann die Theologie gerade heute überhaupt auf Letztbegründungen verzichten?
Danke!
Während der hervorragenden Konferenz – und der Kritik, dass ich bislang vor allem in Deutsch gearbeitet habe – war der Blick in den Blog und die hervorragenden Fragen immer wieder ein schönes Erlebnis! Vielen, vielen Dank!
Ich werde die Fragen sammeln und aufschreiben und habe vor, sie bis zum Jahresende in eigenen Blogposts zu beantworten. Gerne können weitere Fragen natürlich hinzugefügt werden.
Einen ersten Tagungsbericht habe ich hier eingestellt:
http://www.chronologs.de/…ligion-in-bristol-2010
Herzliche Grüße an alle!
Theologie-Anthropologie-Philosophie @Hagthorpe
Ja, Herr Hagthorpe, ich sollte doch auf die Letztbegründungen eingehen. Auch wenn ich sehr weit gehe, gehe ich wohl doch nicht in die letzten Letztbegründungen.
Zunächst: Wer so wie Sie zu verstehen versucht, sollte nicht zu schnell die Bitte Verzeihung nötig haben. Das behalten wir mal anderen vor – die ihrerseits auf diese Idee nicht kämen. Ihr kritisches Nachhaken ist jedenfalls OK.
Stimmt: Ich versuche, so viel wie möglich von der Religion soziologisch, psychologisch und eben auch über evolutionäre Religionswissenschaft zu begreifen – nach der „Natur des Glaubens“ zu fragen. Bin ja schließlich ein „Ü-60er“. Vielleicht möchten mich die philosophischen Naturalisten noch als Gast gewinnen ;-). Diese Suche – soziologisch und psychologisch – schließt intrinsische Gründe ausdrücklich mit ein. Sie muss aber natürlich auch fragen, ob eine – durchaus mit subjektiver Ehrlichkeit – behauptete Wahrheitssuche nicht doch zumindest sozial vermittelt ist; und man sich nicht doch die Wahrheit(sfreunde) aussucht, bei der (und denen) man auch emotional auf sein Recht kommt. Es geht also sehr wohl um Wahrheitssuche; bleibt die Frage, woran sie sich entscheidet. Und heutzutage ist sie sicher individualistischer – das sollte jedoch den Blick auf die soziale Komponente nicht verstellen. Nun, Sie sehen auch die Verknüpfungen zwischen Außen und Innen, sehen und setzen aber andere Schwerpunkte. Ich meinerseits glaube nicht, dass es heutigen jungen Leuten um eine absolute Wahrheitssuche geht, die nicht zumindest auch das soziale Klima berücksichtigt. In der Atheismus-Diskussion geht s doch immer auch ziemlich schnell um persönliche Erfahrungen in bestimmten Zusammenhängen (die dann, was ich beklagte, womöglich das ganze Bild prägen). Und die neuen religiösen Bewegungen – die sind doch oft nur emotional. Übrigens auch heutzutage als (Versuch zur) „Lebensbewältigung“. Das ist zwar sehr intrinsisch aber nicht sehr intellektuell. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen.
Jedenfalls: Ich möchte die natürlichen Vorgaben, psychologischen, soziologischen… Ingredienzien des Glaubens hervorheben. Die Inhalte der Religion(en) verlieren durch weitgehend natürliche Erklärungen nicht an Farbe und Qualität. Und Erklären halte ich nicht für (reduktionistisches) Weg-Erklären. Während manche sagen: Also *nur* Natur, und andere sagen: es ist doch *mehr* als Natur, u.U. auch widerständig gegen unsere Natur – da sage ich: Ist doch keine Schande, wenn wir Dinge tun, die unserer Natur entsprechen UND unser Natur kultivieren, d.h. uns selbst und unsere menschlichen Beziehungen organisieren und dazu unsere (anthropomorphen!) Vorstellungen, auch Gottes-Vorstellungen, bilden. Dabei will ich gerade auch innere Erfahrungen nicht wegwischen – doch auch sie hinterfragend verstehen. Und ich sehe in ihnen nicht den Kern der Religion, jedenfalls nicht der christlichen – so dass alles andere nur Beiwerk wäre. Sie sind als auslösende Impulse, als Katalysatoren wohl immer wieder notwendig, Aber die religiöse Praxis ist sozial vermittelt, ist (auch) soziologisch zu verstehen.
Zu alledem wird die Theologie hoffentlich alle Humanwissenschaften zu Rate ziehen und natürlich auch die grundlegenden Überlegungen über menschliches Erkenntnisvermögen, wie sie in philosophischen Erkenntnistheorien, Hermeneutik, Sprachanalyse ff ausgearbeitet wurden. Daran hat auch die Theologie immer wieder ihre Begriffe zu schärfen. Doch ich muss zugeben: Jahrzehntelang außerhalb des universitären Bereichs konnte ich das nur nebenher verfolgen – vieles gerade an neuerer Hermeneutik ist mir fremd (geworden); mag also sein, dass da oder dort die Unschärfe meiner Begriffe deutlich wird. Sei’s drum, niemand kann mich hindern, von Tag zu Tag klüger zu werden; aber vielleicht können mir manche helfen – gerade auch Sie mit Ihren kritischen Zwischenfragen. Danke! 🙂
Versuche ich also, auf diesem Weg meine Position zu bestimmen:
Ich habe mir schon lange überlegt, dass die klassische Verbindung von Theologie mit klassischer Metaphysik mit ihrer Rede vom Jenseits doch nicht der Weisheit letzter Schluss bleiben darf. Wobei ich auch weiß, dass Metaphysik nicht notwendigerweise auf ein Jenseits im theologischen Sinn verweisen muss sondern auf den Grund der Wirklichkeit. Aber es hat sich in dieser Richtung eingeschliffen. Jedenfalls: Das Jenseits unserer philosophisch zu bestimmenden Erkenntnisfähigkeit will ich nicht mit dem Jenseits Gottes gleichsetzen. Und ob bei Gott das Wort „Jenseits“ überhaupt passt? Theologen des letzten Jahrhunderts (z.B. Bonhoeffer) haben das öfters sehr dialektisch ausgedrückt: „Mitten im Diesseits jenseits“. Ich sag’s mal mit dem klassischen Paulus-Zitat: „höher als alle Vernunft“ – da sind wohl doch nicht unsere erkenntnistheoretischen Grenzen gemeint, sondern: mehr als das, was uns in unseren Lebensentwürfen als vernünftig erscheint. (Wenn etwa Leute sagen: So weit kann man doch nicht gehen; soll ich mich auf all das auch noch einlassen…? ).
Die klassischen Fragen etwa Kants (Was kann ich als Mensch wissen, tun, hoffen?) sind natürlich ständige Herausforderungen. Aber ich denke, dass sie aus dem Rahmen des klassischen metaphysischen Weltbildes (das nicht ohne theologisches Zutun entstanden ist) befreit werden müssten, etwa in Richtung einer naturalistischen Anthropologie.
Na, es war viel. Wollte mich kurz fassen, ging aber wieder mal nicht ;-). Und vielleicht bin ich doch nicht recht auf Sie eingegangen. Aber kritisches Einhaken ist ausdrücklich erwünscht.
@Arnd Religionsstammbaum
Das wird nicht einfach sein, vermutlich gehen dann viele Theologen auf die Barikaden und rufen “Blasphemie” 😉
Man kann einige Sachen finden, die das Judentum aus anderen Kulturen / Religionen übernommen hat.
Man käme dann zu so etwas wie:
Samara-Kultur -> Ubaid -> Sumer -> Akkad -> Babylon, Assyrisches Reich uvm.
Ägyptische Kultur
Aus einem Mix daraus wurde wohl Ugarit, Kanaan
Und daraus dann das Judentum
(so in etwa)
Praktisch alle Mythen im Alten Testament haben “Vorlagen” aus Mesopotamien oder Ägypten, so dass da sicher einiges (fast alles?) ererbt wurde.
Auch die Idee von Engeln, Unter- oder Totenwelt / Jenseit et.c ist importiert.
Genauso auch Feindesliebe, Nächstenliebe, Barmherzigtkeit …
Offensichtlich sind die Ähnlichkeiten bei Genesis (Schöpfung der Welt, des Menschen, “Ursünde” inkl. Rippe, Sintflut, Turm zu Babel etc.) das wirk zum Teil wie Abschriften.
Auch einige Psalme sind sehr ähnlich (104 bzgl. Ägypten) oder die Klagelieder (verg. Sumer)
Ich hofe das hilft.
ps: man könnte auch meinen, die Juden hätten in der Babylonischen Gefangeschaft fleissig abgeschrieben 😉
Aufschrei wegen Religionsstammbaum? @Balanuns
Warum Aufschrei? Mit Ihren Beispielen, Balanus, rennen Sie nur offene Türen ein.
Das kann man in jedem wissenschaftlichen Kommentar zum Alten Testament nachlesen, das hören Theologiestudenten in exegetischen Vorlesungen schon ab dem 1. Semester. Und das wird natürlich auch im Examen abgefragt.
Von Gilgamesch, Hamurabii, babylonischer Schöpfungsmythus ff hörten wir bereits im Religionsunterricht in der Oberstufe des Gymnasiums.
Man könnte wohl sagen, dass jede Religion, deren Anfänge und Geschichte historisch einigermaßen greifbar ist, ihr Vorstellungsmaterial in Auseinandersetzung mit vorherigen Religionen erarbeitet hat.
Das gilt auch für die christl. Religion, z.B. für viele der in den Evangelien erzählten Wunder, für die christologischen Titel…
Also warum sollten Theologen da aufschreien?!
Aufschreien wird man erst, sollte jemand die Vorstellung haben, religiöse Vorstellungen wären wie in einer Klausur, in der es ein Abschreibverbot gibt, aufgekommen. Da graust es auch Historikern.
Eindeutige Stammbäume wird man (außer bei Juden/Christen/Moslems) aber kaum feststellen können. Es würden wohl eher so etwas wie Stammbüsche. Oder eben dasselbe wie bei anderen kulturellen Entwicklungen (Baustile, Musikstile, Kleidermmoden, Nahrungsrezepte … und auch so grundlegende Sachen wie die verwandten Sprachen)
@H.Aichele
@Balanuns ?
Ne das war ich 😉 egal
Aufschrei deswegen, weil es sehr schwer sein dürfte eine göttliche Inspiration der heiligen Schrift für die Mythen zu begründen, wenn die im Prinzip nur nacherzählt wurden.
Auch sind die Aussage der älteren Mythen oft ein wenig verdreht in der Bibel wiedergegeben.
z.B. werden die Götter in Mesopotamien, die die Flut etc. zu verantworten haben, als Selbsherrlich, Wahnsinnig etc. beschrieben (siehe Errra & Ishum z.B.) – Aussagen, die merkwürdigerweise nicht den Weg in die Bibel fanden. Waren die alten Mythen an dieses Stellen “falsch”, oder passten diese Aussagen nur nicht zum Monotheismus und wurdes deswegen unterschlagen.
usw.
Das da alte Mythen waren, wird kein Theologe abstreiten .. aber bei den Konsequenzen daraus tun sie sich sehr schwer. (wenigstens ist das mein Eindruck)
Nachgebesserter Kompromiss
Sorry, Sascha Bohnenkamp. Und natürlich auch gegenüber dem fälschlich angesprochenen Balanus…
Personenverwechslung ist in diesen Zusammenhängen peinlich. Soll *nicht wieder* passieren – bis zum *nächsten Mal*.
Zur Sache:
Keine Geschichte kann den Anspruch erheben, unverändert durch die verschiedenen Zielgruppen und Zeiten weiter gereicht zu werden. An den Veränderungen kann man die jeweils neue inhaltliche Absicht/Aktualisierung erkennen. Wir sagten während des Theologiestudiums manchmal dazu: Es kommt auf den Verwertungszusammenhang einer Geschichte an. Dozenten haben es meist vornehmer ausgedrückt: „Sitz im Leben“ ff. Das geschieht auch innerbiblisch mit manchen im Lauf der Tradition veränderten Geschichten (Kann man besonders gut in den Evangelien nachverfolgen).
Warum welche Geschichten wie umgearbeitet (Sie sagen „verdreht“) wurden, wäre im Einzelnen zu prüfen. Bei der Flutgeschichte geht es wohl darum, dass mehr die (moralische) Eigenverantwortung des Menschen betont werden soll. Man merkt ihr ein bisschen die priesterlich-pädagogische Absicht an. Ein Zielpunkt ist: Reißt euch am Riemen. Launische Götter hätten dazu nicht gepasst. Da hätte man die Verantwortung ja wieder wegschieben können. Aber auf diese riesige Geschichte mit einem riesigen Hintergrund will ich jetzt nicht auch noch eingehen.
In einer Hinsicht will ich Ihnen doch etwas mehr Recht geben, nachdem ich letztes Mal so definitiv feststellte, was in der theologischen Ausbildung Standard ist. Ihr Eindruck kommt nicht von ungefähr :
Nach dem Studieren kommt die Gemeindepraxis; und da muss man vieles andere tun und manche schieben die theologischen Bücher ziemlich schnell in eine Ecke. Über Sumerer, Ägypter ff kann man mal kurz eine Bemerkung fallen lassen. Oder ein paar schöne Bilder zeigen. Aber die wissenschaftlichen Feinheiten interessieren oft nicht. Ist auch schlecht, wenn verhinderte Dozenten dann die Kanzel als Katheder missbrauchen. Natürlich kehren dann auch einige Pfarrer da was unter den Teppich. Kommt man in der Schule an solche Fragen? Sicher nicht in Primar- und Sekundarstufe. In der Oberstufe müsste man rankommen. Aber das kann ich nicht beurteilen, was da Standard ist.
Wenn man sonst mit Pfarrern an solche Fragen rankommen will, geht es nicht in Gottesdiensten, Gemeindefesten ff; sondern fast nur in entsprechenden Erwachsenbildungs-Veranstaltungen. Und die gibt es durchaus. Aber die gibt es wiederum ergiebiger in Akademien ff. Schon wieder ein Grund für manche Pfarrer, weitergehende Fragen den Fachleuten zu überlassen und sich der Gemeindearbeit zuzuwenden; denn diese drängt und ist einklagbar. Ich habe dann wenigstens manchen auf ein Buch hingewiesen; aber da kann man auch keines empfehlen, das mit griechischen oder hebräischen Einsprengseln versehen ist. Ja, und es gibt die entsprechenden fundamentalistischen Marktschreier und ihre Literatur boomt…
Also, dass da bei Ihnen ein entsprechender “Eindruck” entstehen kann, das wollte ich denn doch nicht für unberechtigt halten.