Evangelium und Kirche – Interview zu Covid19-Verschwörungsmythen von QAnon bis Islamischer Staat

Der von der Coronavirus-Pandemie weltweit heftig geschüttelte April 2021 neigt sich dem Ende entgegen. Im alten Babylon, im Judentum, aber auch im Kurdischen, Arabischen und Türkischen ist dieser Frühlingsmonat als Nisan bekannt. So spielen rituell verköstigte, teilweise auch bemalte Eier im Ezidentum beim Carsema Sere Nisane (“Erster Mittwoch im Nisan”, sog. Roter Mittwoch) eine große Rolle, ebenso zu Pessach im Judentum und zu Ostern im Christentum.

Und so freute ich mich sehr, dass Evangelium und Kirche bei mir ein religionsgeschichtlich orientiertes Interview mit Reinhard Kafka über Covid19-Verschwörungsglauben und Antisemitismus zum April / Nissan anfragte. Das inzwischen erschienene Heft ist auf der Homepage von EuK zum kostenlosen Download als pdf und als Klartext abrufbar.

Interview in EuK-Info 01/2021. Screenshot & Abdruck mit freundlicher Genehmigung: Michael Blume

Zur besseren Findbarkeit und Blog-Diskussion hier auch der Text des Interviews als Blogtext:

Herr Blume, haben Christinnen und Christen aufgrund der biblischen Botschaften eine besondere Neigung, sich auf Verschwörungsmythen in der jetzigen Zeit einzulassen?

Tatsächlich leben alle semitischen, also auf Alphabetschriften basierenden Religionen in einer positiven Erwartung auf eine göttliche Endzeit, sogar einen Messias. Im Judentum ist man da nach der Zerstörung Jerusalems und des Scheiterns auch von Bar Kochba deutlich zurückhaltender geworden. Im Christentum finden wir dagegen in der Auseinandersetzung mit Rom noch die Johannesapokalypse. Und diese wird tatsächlich von Verschwörungsgläubigen bis hin zu Xavier Naidoo oder Attila Hildmann immer wieder zitiert. Nicht die bereits aufgeklärten Kirchen, aber doch verschwörungsgläubige Gruppen wie die Schweizer OCG (Anm. 1) oder die US-amerikanische QAnon-Bewegung (Anm. 2) sind leider tatsächlich besonders anfällig für apokalyptische Verschwörungsmythen und Antisemitismus.

Gibt es in anderen Religionen mit der Offenbarung des Johannes vergleichbare „Geheimschriften“, die politisch relevant sind?

Kann man zum Beispiel die tiefe Kluft zwischen Schiiten und Sunniten auf eine unterschiedliche Deutung der schriftlichen Überlieferung beziehen oder liegt man mit einer solchen Vermutung falsch?

Ja, alle größeren, religiösen Traditionen prägen auch apokalyptische Erwartungen aus. Es mag für viele kaum vorstellbar sein, aber auch der sogenannte „Islamische Staat“ hoffte in seinen Schriften auf eine Rückkehr des Messias Jesus zur Zerschlagung der „Römer“, womit die USA, Europa und Israel gemeint waren. Ihre Internet-Zeitschrift „Dabiq“ war sogar nach einer Stadt in Syrien benannt, in der die apokalyptische Endschlacht hätte stattfinden sollen. Wenn wir ohne ausreichende Bildung – auch Herzensbildung – in immer neue Medienwelten stürzen, werden wir Menschen noch anfälliger für einfache Erzählungen, die die Welt in Gut und Böse einteilen und eine baldige Vernichtung der vermeintlich „Bösen“ beschwören. Auch der QAnon-Schamane, der am Sturm auf das US-Kapitol beteiligt war, erinnert daran, dass sich dies mit jeder Mythologie, Religion und Weltanschauung, verbinden kann.

Herr Blume, handelt es sich bei diesem Grad an „Zustimmung“ um ein spezifisch amerikanisches Phänomen, das insbesondere dem Mainstream evangelikaler Bewegungen geschuldet ist? Warum tauchen aber dann auch bei der Querdenker-Bewegung in deutschen Städten Menschen auf, die auf ihren T-Shirts Embleme der QAnon-Bewegung zeigen? Früher hieß es, dass alles, was in Amerika als angesagt gilt, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in Europa Fuß fasst.

Wenn Menschen an Weltverschwörungen glauben, sehnen sie sich unweigerlich nach politischen Erlöserfiguren, die die vermeintlichen Bösen vertreiben, einsperren oder gar vernichten sollen. Diese Folge von Verschwörungsmythen nennt sich Tyrannophilie. Der Wahlkampf in den USA war vor allem in der letzten Phase von QAnon-Mythen geprägt, dessen millionenfache und globale Anhängerschaft in Donald Trump den vermeintlichen Erlöser sehen wollten.

Die mythologische Behauptung, eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge „Adrenochrom“ zu gewinnen, geht dabei passgenau auf Mythen des frühen Buchdrucks zurück: Juden und Frauen hätten sich zum „Hexensabbat“ verschworen, um aus getöteten Kindern magische „Hexensalbe“ zu gewinnen.

Nach einer repräsentativen Meinungsumfrage glaubte im September 2020 ein Drittel der US-Anhängerschaft der Republikaner an QAnon-Mythen; weitere 25 Prozent halten Teile davon für wahr. Ich hatte dennoch bereits im Juni eine Wahlniederlage Trumps in meinem Buch „Verschwörungsmythen“ vorhergesagt, weil sich Vernünftige abwandten. Aber ich gebe zu, dass auch ich angesichts des neuen Präsidenten eine große Erleichterung verspüre – ohne wiederum Joe Biden für einen Messias zu halten.

Darf man oder muss man sogar von einer weltweiten Vernetzung von Menschen und Gruppen ausgehen, die sehr gezielt diese Botschaften streuen?

Ja, wobei Verschwörungsmythen nicht zentral gelenkt werden, sondern in unterschiedlichsten Varianten entworfen und geteilt werden. Was wirkt, wird weitergetragen, das andere fällt zurück und schlummert. Manche Verschwörungsmythen wie das antirussische „Zaren-Testament“ über eine angeblich bevorstehende Invasion des russischen Imperiums nach Mitteleuropa sind faktisch verschwunden.

Andere aber wie die furchtbare Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“ tauchen in immer neuen Varianten und Bruchstücken auf. Das Judentum war die erste Religion des Alphabetes, der Bildung. Deswegen trauen Verschwörungsgläubige bis heute nur Jüdinnen und Juden zu, dass diese eine Weltverschwörung anführen könnten. Andere Menschengruppen wie Demokratinnen, Journalisten, Wissenschaftlerinnen, Kirchenleute, Roma und Sinti oder Muslime werden als Teil der vermeintlichen Verschwörung attackiert. Wie es der britische Rabbiner Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, so richtig sagte: „Antisemitismus beginnt immer bei Juden, aber endet nie bei ihnen.“

Lieber Herr Blume, wo sind Ihre Bedenken und Anfragen auch an politische Entscheidungsträger?

Die Digitalisierung demokratisiert und anonymisiert die Kommunikation. Das hat sehr positive, aber auch gefährliche Aspekte. Wir gehen vom Zeitalter der Induktion – des Vertrauens in von weißen Männern verkündete Wahrheiten – in die Zeit der Falsifikation: Alles und jeder kann attackiert werden. Nicht nur zum Beispiel Texte der Bibel und von Martin Luther, sondern auch von Kant, Marx, Rudolf Steiner – alles wird auf Empörungspotential durchleuchtet.

Das entspricht einerseits demokratischen und gerade auch evangelischen Aufklärungsimpulsen, es überfordert aber viele Menschen auch. Und wer hat denn bitte keine verborgenen Ängste vor dem Coronavirus oder der fortschreitenden Klimakrise?

Ich wünsche mir von politischen Entscheidungsträgern quer durch alle demokratischen Parteien, dass sie einerseits für einen klaren, wehrhaften Rechtsstaat und andererseits eine warme, verständige Zivilgesellschaft einschließlich Religionen und Wissenschaften eintreten. Es wird beides dringend gebraucht.

Nun noch eine persönliche Frage: Wer wie Sie medial so präsent ist, dürfte sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. Die Ermordung des Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 und andere Übergriffe machen Angst.

Wie geht es Ihnen und welche Sorgen treiben Sie um?

Tatsächlich war ich als Leiter eines humanitären Programmes im Irak bereits Todesdrohungen und Gefahren ausgesetzt und habe mir damals gesagt: Sei vorsichtig, pass auf deine Leute auf, aber schenke den Extremisten nicht deine Angst.

Auch da war mir der vertrauende Glaube eine große Stütze. Und wenn das in einem Krisengebiet möglich war, dann möchte ich in Deutschland nicht mit der Furcht anfangen. Wie sollte ich von Menschen der Zivilgesellschaft Courage erwarten, wenn ich mich selbst verstecke?

Inzwischen habe ich auch gelernt, die Attacken und Drohungen nicht mehr an mich heranzulassen. Mein Team schützt mich hervorragend. Und in krassen Fällen unterstützen wir auch die Ermittlungen der Polizei.

 

Anmerkungen:

1| OCG, Organischen Christus-Generation siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Ivo_Sasek

2| QAnon: kurz Q nennt sich eine mutmaßlich USamerikanische Person oder Gruppe, die seit 2017 Verschwörungstheorien mit rechtsextremen Hintergund im Internet verbreitet:

https://de.wikipedia.org/wiki/QAnon

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

41 Kommentare

  1. Ja, alle größeren, religiösen Traditionen prägen auch apokalyptische Erwartungen aus.

    Gilt das auch für Buddhismus, Hinduismus etc.?

    • Oh ja, da gibt es viel. So erhoffen viele Hinduist:innen die Apokalypse des Gottes Vishnu in Gestalt eines Schwert-schwingenden Brahmanen (oft: Kaiki). Viele Muslim:innen sehen darin wiederum eine Vorankündigung des Propheten Muhammad.

      Apokalyptisch-messianische Hoffnungen sind in der menschlichen Psychologie stark verankert, vgl. zum Beispiel auch Cargo-Kulte.

      • Ich habe da trotzdem die Rückfrage, wie weit sich Endzeitmythen im hier gemeinten Sinne dann nicht doch beschränken auf das Ausstrahlungsfeld Zarathustras. Ich wüßte von keiner konfuzianistischen oder daoistischen Apokalyptik. Kosmologische Szenarien wie das eines in Zyklen geschaffen und wieder zerstört werdenden Universums möchte ich da nicht unbedingt subsumiert sehen wollen; selbst davon aber fände ich im Chinesischen nichts. Himmel und Erde waren schon immer, sind und werden auch immer sein; das harmonische Gefüge wiederum mag gestört sein, kann und wird aber auch wieder ins Gleichgewicht kommen.

        • Hilft dir vielleicht

          Time After Time: Taoist Apocalyptic History and the Founding of the T’ang Dynasty;Asia Major; THIRD SERIES, Vol. 7, No. 1 (1994)

          Oder ist dir dieTang Dynasty als zeitlicher Kontext zu spät?

          Das geht auf jeden Fall auf ältere Quellen zurück:
          Im Daoismus und Konfuzianismus spricht man vom Weltenende. Dies ist nur vage als Rückkehr von der Vielheit zur Einheit formuliert.
          (wiki)

        • Der Hinduismus lässt sich unter den drei grössten Strömungen (Shivaismus, Vishnuismus und Shaktismus) unterteilen. Der Vishnuismus der überwiegend in Nordindien verbreitet ist, hat einen stärkeren Einfluss von der Vedisch-Hinduistische Religion, als der Shivaismus und Shaktismus (Nachfolger-Religion des Herr der Tiere und Mutter-Kult aus der Altsteinzeit). Somit auch indirekt Einfluss vom Mithraismus, der wiederum Einfluss auf das Christentum, Judentum und Islam hatten (Vorstellung von Himmel und Hölle, Gut und Böse und die Apokalypse). Im Shivaismus ist die Welt einem ständigen Kreislauf von Geburt und Tod unterworfen. Eine Endzeit-Apokalypse gibt es hier nicht, da die Seele als unsterblich gilt.

      • Das ist ein Irrtum, dass sich die (Vaishnava-)Hindus die Apokalypse in Form von Kalki “erhoffen”. Auch, dass er ein Brahmane ist, ist umstritten (Geschweige, dass Gott einem Varna zugehörig ist).

        Da der Hinduismus und Buddhismus keine einheitliche Religion wie das Christentum, Islam oder Judentum ist, ist diese relativ Frage schwer zu beantworten.

        • Ja, @Surya, Mythologien werden immer vielfältig gelesen – im Hinduismus 🕉 sogar besonders vielfältig. Daher bemühe ich mich auch sehr, Aussagen nicht vorschnell zu verallgemeinern.

    • “Apokalyptisches” gibt es im (Hinayana-) Buddhismus insf., als dass das All als ein Zyklus von sich wiederholenden Entstehungen (Expansionen) und Vergehungen (Kontraktionen) gesehen wird. Anfangs- und endlos bzw. mit nicht erkennbarem Anfang u. Ende.

      So etwa i.S.v., dass (Zitat) das Grübeln über die Welt etwas Unerfassbares ist, worüber man nicht nachdenken sollte, und worüber nachdenkend, man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte.

      • Mit Apokalyptisch ist eher gemeint das ein Gott die “Ungläubigen”, Gegner whatever bestraft und die “Gläubigen” überleben.

        Das was der Buddhismus hier sagt würde ich als fast wissenschaftlich einordnen. Das war bis vor kurzem noch die Hauptansicht der meisten Astronomen über unser Universums. Das Tausende? Jahre bevor man die technischen Geräte hatte.

        “Grübeln über die Welt..” ist doch tatsächlich so, je weiter man das Universum zurückdenkt desto schwieriger wird die Vorstellbarkeit davon.

        Unterm Strich ist der Buddhismus imo fast mehr Philosopie als Religion.

        • Unterm Strich ist der Buddhismus imo fast mehr Philosopie als Religion.

          Es gibt zwar eine buddhistische Philosophie. Letztlich aber geht es um eine Praxis, die Erfahrung des Nirwana zu erlangen, erleuchtet, selber Buddha zu werden. Die Philosophie soll nur falsches Denken läutern, damit es dabei nicht im Weg steht.

    • Vor dem Islam war der Buddhismus stark auch in Afghanistan vertreten und ist in Berührung gekommen mit dem Zoroastrismus; der tibetische Lamaismus hat eine sehr starkbausgeprägte Endzeitlehre.

  2. Interessant könnte hier eine ausserbiblische “Endzeiterwartung” sein. Ich denke da an die Uruk-Prophecy.

    Dabei geht es wohl um eine längere Zeit der Fremdherrschaft, die dem Autoren ungerecht bzw. wider dem göttlichen Willen vorkommt.
    Dabei wurde ein Erlöser-König herbeigesehnt (~Messias), der “das Land” befreien und den göttlichen Regeln Geltung verschaffen sollte.

    Der in der Uruk-Prophecy “vorhergesagte” Messias konnte die in ihn gelegten Hoffnungen natürlich nicht erfüllen.

    Aus “Uruk Prophecy.” Semites, Iranians, Greeks, and Romans: Studies in Their Interactions, by Jonathan A. Goldstein, Brown Judaic Studies, 2020, pp. 155–160.

    Ein ggf. gemeinsames Pattern wäre für ähnliche Texte vermutlich das Gefühl (real oder nicht) unterdrückt zu werden. Bekommt so ein Text dann einen religiösen oder quasi-religiösen Wert beigemessen, so können so leicht Verschwörungsmyhten legitimiert werden.

    Ist die Johannesapokalypse selbst schon ein Verschwörungsmythos, oder erst dessen Verwendung in einem solchen? Ein Mythos ist es ja auf jeden Fall, denke ich und eine Art Verschwörung wird da ja auch propagiert.

    • Vielen Dank auch für die Hinweise, @einer!

      Texte „sind“ nach meiner Auffassung nicht A oder B, sondern können in stets verschiedener Weise gelesen werden. Sie und ich lesen zum Beispiel die Fälschung der sog. „Protokolle der Weisen von Zion“ mit anderen Perspektiven als eine verschwörungsgläubige Person.

      Die Johannes-Apokalypse brachte besonders vielfältige, oft mythologische und, ja, nicht selten verschwörungsmythologische Lesarten hervor.

      • ok – das verstehe ich, danke.
        Ein apokalyptischer Text bietet sozusagen nur das Potential für einen Verschwörungsmythos benutzt zu werden.

      • Man muss sich bitte auch die Situation, in der die Johannesoffenbarung geschrieben wurde, vor Augen halten: in einer Verfolgungssituation, in der nicht mehr offen gesprochen werden konnte, mußte man verdeckt schreiben.
        Ich habe diese Techniken noch von meinen Schul- und Universitätslehrern gelernt. Man müsste diese Techniken einmal für die Analyse des Danielbuches und der Johannesoffenbarung nützen. Wenn ich mal ganz viel Zeit habe, erkläre ich das mal hier am Beispiel der Tahl des Tieres (666).

        • Man muss sich bitte auch die Situation, in der die Johannesoffenbarung geschrieben wurde …

          Die Zeit der Schriftlegung bzw. den oder die Autoren kennt man nicht.
          Nach 70 CE ist wohl sicher, vielleicht um 100 CE .. oder auch noch später.
          Nach 70 passt dazu, dass in den biblischen Texten die vorhergesagten Dinge oft gerade kürzlich passiert sind und dann beschrieben wurden. (ex eventu sozusagen)

          Aber sicher ist das natürlich auch nicht. Auch wenn man über 300 Manuskripte kennt, die die Offenbarung oder Teile darin enthalten. So sind nur 4 davon jünger als 300 CE – und keines davon enthält den vollständigen Text. Und die Unterschiede in den Fragmenten sind zum Teil erheblich!
          Der wichtigste Textzeuge ist wohl der Codex Alexandrinus … allerdings aus dem 5. Jahrhundert.(Codex Vaticanus enthält die Offenbarung nicht!)
          Ergo auch wenn die Offenbarung (vermutlich) deutlich älter ist, so kennen wir den frühen Text nicht, den zeitlichen Kontext nicht, und die Autoren nicht.

          So siehe z.B. in “The Early Text of the New Testament”; Charles E. Hill, Michael J. Kruger; OUP Oxford, 2012

          • Vielen Dank für den konstruktiven Kommentar, @einer – der aufzeigt, wie vielschichtig, spannend und relevant gerade auch religionshistorische Forschung bleibt. 🙂

        • Die 666 ersetzte die ältere 616 für Caligula … die 666 könnte dann für Aurelius Caesar Deus gestanden haben ..

          So ein Vorschlag in

          Sanders, Henry A. “The Number of the Beast in Revelation.” Journal of Biblical Literature 37, no. 1/2 (1918)

          Oder ist nur eine Spielerein mit YHWH?
          So

          Kirchmayr, Karl. “Die Bedeutung Von 666 Und 616 (Offb 13,18).” Biblica, vol. 95, no. 3, 2014

          etc.

  3. @Verstand benutzen

    Es ist wohl ziemlich ratsam, auch angesichts spiritueller Erfahrungen und religiöser Traditionen den Verstand zu benutzen, so weit das möglich ist. Eine Realitätsprüfung ist unbedingt nötig, will man nicht in Gefahr geraten, allem möglichem Unsinn zu verfallen.

    Sich von Heilsversprechungen oder apokalyptischen Gefahren blenden zu lassen führt in einen Zustand, der richtigem Wahnsinn nahe kommen kann.

    In Zeiten des Internets kursiert eine ungekannte Vielfalt an zweifelhaften Angeboten, das eigentliche Problem, dass sich Menschen zum Unsinn verführen lassen, ist aber schon vorher da gewesen. Ein Schulfach Religionswissenschaft, das die Fallstricke rund um Mythen und mystische Erfahrungen von allen Seiten beleuchtet, könnte nützlich sein. Wenn man den Menschen in die Lage versetzt, religiöse und anderweitig mythologische Themen bzw. Umtriebe mit Verstand aufzunehmen und zu beurteilen, wäre viel gewonnen, hoffe ich.

    Ein Religionsunterricht, der den Kirchen ihre Eigenwerbung auch noch staatlich finanziert, der ist da glaube ich weniger wirksam.

    Die wissenschaftlichen Schulfächer behandeln die Welt ganz gut, aber durchweg auf einer naturalistischen Grundannahme, die eben den Stand der Wissenschaft wiederspiegelt. Das hilft aber wenig, wenn sich die Menschen dann später doch auch spirituell orientieren. Hier hinterlässt die Schulausbildung ein gewisses Vakuum, dass u.a. von Verschwörungsmythen ganz schnell ausgefüllt werden kann.

    Der Religionsunterricht reicht hier glaube ich nicht, vermutlich (ich habe erst keinen gehabt, weil meine Schule keinen Religionslehrer hatte, und als ich in der 6. Klasse dann doch Religionsunterricht bekam, habe ich mich von meinen Eltern aus Glaubensgründen davon befreien lassen.).

    Unsere großen Kirchen sind aus meiner Sicht selbst recht zweifelhaft. Der Untergang des Bösen und die Erlösung in einer ewigen Glückseeligkeit gehören da schon dazu. Das blendet, ohne hilfreich zu sein.

    • @Tobias Jeckenburger
      Gerade die Mystik eines Meister Eckhard oder eines Nikolaus von Kues ist sehr rational. “Die gefühlsbeladene Mystik ist für Anfänger, lernte ich im Studium.
      Ein Schulfach Religionswissenschaft hat schon Plato gefordert, in dem er die “Theologie” begründete: im Unterschied zum Mythos sollte rational von Gott geredet werden, eben Logos.
      Es gibt aber ein entwicklungspsychologisches Problem: das ist frühestens mit ungefähr sechzehn Jahren möglich. Klar, es gibt einzelne Kinder, die diesen Sprung schon früher schaffen – aber der Preis dafür ist eindeutig zu hoch. Ich betreue solche Jugendliche. Niemand möchte deren Erfahrungen gemacht haben.
      Die Kirchen aus den Schulen herauszuhalten ist vom Grundgesetz her nicht möglich. Art 7 GG

      • In der Schweiz gibt es bereits in einigen Kantonen und Gemeinden das Fach Religion, Ethik und Gemeinschaft, in der auf rationaler Sicht über Gott und Religion geredet und vermittelt wird. Ich finde das gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig, da wir mit unterschiedlichen Kulturen zusammenleben und diese verstehen und auch respektieren müssen.

  4. Ich denke diese “apokalyptischen Erwartungen” sind der Erde bzw. dem Kosmos völlig egal denn diese werden auch ohne diese Menschheit weiter bestehen und den Weg der Naturgesetze folgend sich verändern. Menschen benötigen wahrscheinlich einen Messias oder die Apokalypse um ihr widersprüchliches Sein, was sie selbst nicht begreifen, zu beschreiben. Gehen sie mal über einen Friedhof und sie werden sehen bei wie vielen Steinen steht: Ruhe in Frieden. Im Umkehrschluss heißt dass, dass diese Menschen das Diesseits-das Leben- nur als Krieg/Unfrieden/Leid) empfunden haben. Da kommen dann irreale Hoffnungen auf das Jenseits auf, wo alle im Frieden mit sich und den Anderen “leben” können. Wahrscheinlich haben Religionen die Apokalypse erfunden um den Menschen seine ganze Verderbtheit/Verrohung zu zeigen und den Messias um ihn an das Gute in sich selbst zu erinnern. Diese Art der Erneuerung sehe ich im Hinduismus auch als Metapher beim Gott Shiva…

    • @Golzower: “Wahrscheinlich haben Religionen die Apokalypse erfunden um den Menschen seine ganze Verderbtheit/Verrohung zu zeigen und den Messias um ihn an das Gute in sich selbst zu erinnern.”

      Religionen sind eine Verschwörung/Konfusionierung menschlicher Bewusstseinsschwäche/Dummheit, die sich die Mahnung der Apokalypse für die irdischen Spaltungsprozesse zu Nutze machen, auch wenn das zum Teil wirklich liebe, gute Menschen sind.

      Der Sinn menschlichen Lebens, liegt einzig in der verantwortungsbewussten Vorbereitung zur Überwindung/Fusion für “wie im Himmel all so auf Erden”, wenn nicht, dann eben nochmal.

      Im Jenseits wartet kein Frieden, Freude, Eierkuchen (so etwa nur in den reinkarnativen Zwischenzeiten bis zum “Jüngsten Tag/Gericht”), es wartet nur die Erkenntnis der reinen Vernunft und am Ende die, für das Nochmal, Neuordnung des Geistes.

      • @hto
        Ihnen ist schon klar, dass Marx ein Apokalyptiker war?
        Erst muss der Kapitalismus in einer großen Katastrophe vergehen, ehe das schöne neue Reich anbrechen kann.

        • @j
          Tja, die Katastrophe könnte schon in der Corona-Krise gesehen werden, wenn unsere Profitler neben Monopoly nicht auch noch Poker und Mensch ärgere dich nicht spielen würden!?
          Und wenn der “brave” Bürger nicht so gerne die Figuren spielen würde!?

          “Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

          • @hto
            Sie werden lachen: ich habe gerade vorgestern ein Fortbildung zum Thema Wirtschaftsethik mitgemacht.
            Dort wurde das deutsche und europäische Verhalten in der Coronakrise gerade mit der Spieltheorie erklärt.
            Sobald die Unterlagen online sind, lasse ich es hier im Forum wissen.

          • @ hto
            01.05.2021, 11:26 Uhr

            Tja, die Katastrophe könnte schon in der Corona-Krise gesehen werden

            Die Coronakrise als apokalyptische Katastrophe im Sinne von Karl Marx wie das?

            Wenn wir Marx mythisch lesen, dann stehen sich in einer finalen Schlacht, dem Krieg zu beendigen aller Kriege Bürgertum und Arbeiterklasse unversöhnlich gegenüber. Sehe ich alles nicht. Corona ist eine Krise, stellt aber keine Systemfrage. Daß sich der chinesische Kommunismus Dank Corona weltweit durchsetzen wird, weil das schon lange insgeheim vorbereitet und Anliegen des Weltjudentums – Wie auch immer, ich sehe das nicht.

            Es gibt revolutionäre Situationen, die man durchaus noch mit Marx verstehen kann, aber nicht mehr in diesem großen Ausmaß, und dann ganz unapokalyptisch. Medienrevolutionen sind so ein Ding. Da gibt es alte Kasten, die alte Strukturen und Geschäftsmodelle in ein neues Zeitalter überführen wollen, Stichwort Leistungsschutzrecht, und neue Akteure, die sich mit neuen Medien eine neue Welt erschaffen, wo diese alten Modelle so gar nicht mehr zu funktionieren scheinen. Und da wird man im August mal die Machtfrage stellen. Ob YouTuber nicht genau so wahldrehend agieren können wie bislang nur die Springer-Presse; ob man heute zum Regieren immer noch nur „Bild, BamS und Glotze“ braucht, und die YouTuber samt ihren Lobbyinteressen weiterhin fröhlich wegignorieren kann.

  5. Bei den Endzeitvorstellungen unterscheidet man, wie von @Axel Krüger bereits angedeutet, zwischen linearen und zyklischen Zeitmodellen. Erstere finden sich im Judentum, Christentum und Islam, sie gehen von einem einmaligen Beginn und Ende der Welt aus. Zyklische Zeitmodelle sind vorwiegend im asiatischen Kulturraum verbreitet. In dieser Denkrichtung hat der Kosmos keinen Anfang und kein Ende, weil der Kreislauf von Entstehen und Vergehen immer wieder von neuem beginnt. Allerdings kann sich der Übergang von einem Zyklus zum nächsten durchaus schmerzvoll gestalten.

  6. Was der “Islamische Staat” hoffte, war kein ‘Verschwörungsmythos’, sondern Glaube, oder?

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

      • Sehe ich nicht so – das, was in den gemeinten zugrunde liegenden Texten unserer nicht selten bärtigen Freunde steht, ist größtenteils Behauptung, die keine Verschwörung meint.
        Zudem fiel Dr. Webbaer auf, dass in Ihrem 2016er-Text weder das I- noch das M-Wort vorkam.
        Sicherlich darf religiöser Glaube, wie Esoterik generell, als mythenbildend bezeichnet werden.
        Mythen müssen ja auch nicht schlecht sein, auch deshalb ist der Schreiber dieser Zeilen mit der Zusammenbringung von Mythos und Verschwörung nicht immer happy.
        Manchmal schon, aber vermischt werden soll aus diesseitiger Sicht nicht oft bzw. nur dann, wenn es so klar scheint.

        • Ja, @Webbaer – ich versuche nicht nur wissenschaftlich immer weiter zu lernen, sondern auch schriftstellerisch. Musliminnen und Muslime erscheint mir oft arg lang, ChristInnen mit dem großen I nicht so schön, derzeit erprobe ich Wechsel zwischen der langen Form und dem Doppelpunkt: Humanist:innen.

          Nur eine Rückkehr zur Nur-Mann-Form schließe ich aus, da wissenschaftliche Studien eben klar zeigen: Frauen sind nicht „mitgemeint“.

          Über die Notwendigkeit der Unterscheidung von guten und schlechten Mythen sowie Theorien sprach ich hier ausführlich (mit einer Frau – ich hoffe, das ist für Sie okay):
          https://nachgefragt-podcast.de/2021/03/21/ngf040-thema-esoterik-und-religion/

          • Wir haben uns da gegenseitig nicht verstanden, macht aber nichts, Ihre Zeit, lieber Herr Dr. Blume, ist sicherlich eng bemessen und Dr. Webbaer freut sich, dass Sie gelegentlich die Zeit finden auf kleine Nachrichten seinerseits einzugehen,
            Mit freundlichen Grüßen und weiterhin viel Erfolg!
            Dr. Webbaer

    • @web🐻

      “… hoffte” war, ist, “beruht” auf KEIN Glaube!

      Wenn Du verstehen willst was Glaube und Gebet wirklich-wahrhaftig sind / sein sollen, dann empfehle ich über Matthäus 21,18-22 intensiv nachzudenken.

      Mensch bedeutet ALLE (die “kritische Masse” zur gottgefälligen Veränderung/Überwindung und letztendlich Stärkung/Erneuerung des Geistes) und Gott bedeutet Vernunft😎

  7. Im alten Babylon, im Judentum .. ist dieser Frühlingsmonat als Nisan bekannt.

    Die Bezeichnung Nisan geht sogar noch weiter zurück.
    Schon die Sumerer kannten es als Nisaĝ “erste Früchte” in der Frühdynastischen Zeit, ergo vermutlich schon vor der ersten Schrift. Es war mit einem Frühlingsfest für die erste Ernte verbunden. (Die Sumerer unterschieden nur zwischen Winter und Sommer)

  8. @j 30.04. 19:07

    „Klar, es gibt einzelne Kinder, die diesen Sprung schon früher schaffen – aber der Preis dafür ist eindeutig zu hoch. Ich betreue solche Jugendliche. Niemand möchte deren Erfahrungen gemacht haben.“

    Welche Schwierigkeiten bei unter 16-Jährigen meinen Sie? Ich bin kein Pädagoge, meine aber grundsätzlich, je realistischer ein Unterricht ist, desto besser.

    „Die Kirchen aus den Schulen herauszuhalten ist vom Grundgesetz her nicht möglich. Art 7 GG“

    Man kann ja das Fach Religionswissenschaft wenigstens ersatzweise anbieten, wer gerne konfessionellen Unterricht haben will, soll das dann machen.

  9. @Tobias Jeckenburger,

    weil es ein komplexes Thema ist, für das ich im Unterricht viel Zeit brauche, etwas sehr verkürzt, Entschuldigung dafür. Religiöse und moralische Entwicklung vollzieht sich in Stufen. Die moralische Entwicklung scheint sich dabei in sehr festen, ungefähr an das Alter gekoppelten Stufen zu vollziehen, d.h. erst ab einem bestimmten Alter sind bestimmte moralische Entwicklungsstufen möglich. Dieses Modell von Kohlberg orientiert sich am Entwicklungsmodell von Piaget.
    In der Religion ist es diffuser. Diskutiert werden Modelle im Gefolge von Piaget (hier sind Gmunder/ Oser und Fowler zu nennen) oder von Eric E. Ericson. (Hier ist A.K. Szagun zu nenen, Marcia wird noch nicht untersucht m.W.). Den hohen Abstraktionsgrad, den die von Ihnen geforderten Ansätze verlangen (also die Unterscheidung von Mythos und Logos, platt gesagt), erreichen nach meiner Beobachtung vorzeitig nur schwer traumatisierte Jugendliche oder Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten. Ich denke, wir sind uns einig, dass wir diese Situationen keinesfalls künstlich herbeiführen sollten.
    Unterricht muss sich grundsätzlich am Fassungsvermögen der Schülerinnen und Schüler orientieren. Ein Beispiel aus der Chemie: es ist für die Klasse 8 einleuchtender, man erklärt die Atombindungen mit Ärmchen und führt erst nach und nach das Oktettschalenmodell ein.

    • “Interview zu Covid19-Verschwörungsmythen von QAnon bis Islamischer Staat”

      Von westliche Welt über QAnon bis islamischer Staat 👋😄

      Denn unsere Politiker haben sich nun, wie vorhergesehen, gegen die Macht von China VERSCHWOREN, sogar Italien, die sonst Pro-China waren.

      Das passiert aus Angst😱
      Angst vor dem Volk, daß die kommenden harten Maßnahmen in Form von Steuern, Kürzungen und Verteuerungen zahlen sollen, aber nicht mehr wollen.
      Angst die Chinesen könnten nun mit Nachdruck in eine kommunikativere Phase zur wirklich-wahrhaftig vernünftigen Veränderung der Welt eintreten, direkt an unseren korrupten Politikern vorbei.

      Die Nach-Corona-Zeit wird spannend!✌😎

  10. @hto
    aus der verhaltensorientierten Wirtschaftswissenschaft (die sind einigermassen wissenschaftlich seriös) ist bekannt, dass die Angst vor dem Verlust (der “bias” ) größer ist, als die Hoffnung auf einen Gewinn.
    Mit dieser irrationalen Angst spielen Sie und viele Neoliberale.
    Mit der Angst vor Steuererhöhungen wird schon lange Politik gemacht. Der französische Adel war 1789 so dumm, keine Steuererhöhung für sich selbst zuzulassen- das Ergebnis ist bekannt.
    “Wenn so oft an Gott man dächte,
    als man an die Steuer denkt,
    wär’ uns, glaub ich, längst zu rechte
    Fried’ und Ruh’ von Gott geschenkt.”

    Friedrich von Logau 1605- 1655

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