Ein wirklich soziales Medium wächst – Das erste Fediverse-Vernetzungstreffen in Stuttgart

Die chinesisch-russischen Einflussversuche vor allem via Tiktok waren massiv. Doch nun konnte das RND aus vermelden: Es war eine Richtungswahl. Nun können die Pro-Europäer in Rumänien aufatmen – und die EU gleich mit. Der Rechtspopulist Simion unterlag. Er wollte einen Kremlfreund zum Regierungschef machen.

Die meisten auch in Deutschland wissen inzwischen von den Gefahren antisozialer Konzernmedien wie der massiven Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen durch den X-er Elon Musk. Und dennoch produzieren sie weiterhin exklusiv Inhalte für außereuropäische Konzerne und deren Neurohacking-Algorithmen. Schon vor Jahren hatte ich zum Artikel “Die Desinformierer” in der Jüdischen Allgemeinen gewarnt

“Wenn ein Mediensystem kaputt ist, stürzt die Demokratie ab.”

Doch wieder einmal stimmt das Solarpunk-Motto: Niemand kann alles, aber alle können etwas tun. Und so wächst Mastodon, ein nichtkommerzielles und also wirklich soziales Netzwerk: Die Instanzen werden ehrenamtlich und auf Spendenbasis betrieben und untereinander vernetzt (“föderiert”), es gibt keine verzerrenden Algorithmen für Empörungssucht und die dezentrale Moderation wehrt Trolle und Hater erfolgreich ab. Dass “die Reichweite kleiner sei” kann ich nicht bestätigen – denn Bots und Shitstorms stehlen weniger Zeit, viel mehr Menschen auf Mastodon sind wirklich an Themen interessiert und nicht nur die jeweiligen Konzern-KIen haben Zugriff, es entsteht ein dynamisches KI-Fediversum.

Dank der Initiative und des Engagements von @Kuchenschwarte und Pfarrer @Tobias Ebinger fand gestern das erste Fediverse-Vernetzungstreffen in Stuttgart statt!

Eine strahlende Gruppe von Nerds und Nerdinen im Stuttgarter Cafe Merlin beim ersten Fediverse-Vernetzungstreffen am 19. Mai 2025.

Antisoziale Konzernmedien waren gestern, auch in Stuttgart fand sich das erste Fediverse-Vernetzungstreffen ein. Foto: @Kuchenschwarte, Screenshot von Mastodon: Michael Blume

Ich kam direkt vom ersten Ha-Kesher Hackathon gegen Antisemitismus und durfte einen Impulsvortrag geben und danach mit den Anwesenden dialogisieren. Meine Kernaussage war diese:

Es gab und gibt Medien immer wieder in autoritärer oder dezentraler Variante. Nach Jahrtausenden der Schriftentwicklung entstand so das demokratisierende Alphabet.

Dieses brauchte etwa 4.000 Jahre, um die Hälfte der Weltbevölkerung zu erreichen. Der Alphabet-Buchdruck benötigte von 1450 noch etwa 500 Jahre. Die elektronischen Medien Telegram, Radio und Film benötigten nur noch ein Jahrhundert. Die Digitalisierung, das Internet benötigte ab dem Arpanet 49 Jahre, ab dem Smartphone 2007 gerade noch ein Dutzend Jahre. Und nun brauchen KI-Anwendungen nur noch drei bis fünf Jahre!

Wir – auch Sie, liebe Lesende – sind die erste Generation der Menschheit, die in einer Lebensspanne mit der Digitalisierung und KI gleich zwei Medienrevolutionen erlebt!

Das dabei auch Millionen Menschen und ganze Staaten unter die Kontrolle fossiler und antisozialer Konzernlobbys fallen, braucht da nicht zu verwundern. Aber der demokratische, föderale Widerstand dagegen wächst.

Und der demokratische Widerstand gegen fossile Lobbyisten und eine überpolarisierte Konkurrenzdemokratie darf und sollte sich auch um Inhalte scharen. So wird die durch Treibhausgase befeuerte Klimakrise auch in Deutschland rapide zur Wasserkrise mit Extremwettern, Dürren und massiven, auch wirtschaftlichen Folgen.

Darüber wollen wir am 21. Juli 2025 in der Akademie Stuttgart-Hohenheim informieren, mit Expertinnen und Experten sprechen und auch mit der Landes-Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) diskutieren – falls sich genug Menschen anmelden. Es ist damit auch ein Test, ob es Interessierten gelingt, ein weltweit entscheidendes Klima-Frieden-Leben-Thema gegen das Verschweigen und Verdrängen zu etablieren.

Mastodon-Post zur Tagung "Wasserextreme als Gefahr für unsere Demokratie?" am 21. Juli 2025 in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.Vom Erfolg der Tagung “Wasserextreme als Gefahr für unsere Demokratie?” am 21. Juli 2025 in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hängt medial und politisch einiges ab. Screenshot: Michael Blume 

Allen, die sich gestern Zeit genommen haben und allen, die bis hierher gelesen haben, möchte ich von Herzen danken! Die Zeiten sind schwer und die Selbstzerstörung der Menschheit und ihrer Demokratien weit fortgeschritten. Aber wir haben noch lange nicht verloren. Denn: Niemand kann alles, aber alle können etwas tun.

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

15 Kommentare

  1. Freut mich sehr, dass dass Treffen ein Erfolg war.

    Ein Beispiel, warum ich Mastodon für wichtig halte: Immer, wenn ich zum hiesigen Bäcker gehe, steht vor dem Laden der Aufsteller der BILD. Das nervt, weil kein anderes Konzernmedium so präsent ist.

    Gerne hätte ich an dem Treffen gestern teilgenommen, wollte aber niemandem, der/die auf Mastodon aktiver ist als ich, den Platz wegnehmen. Denn mein Beitrag zum Wachsen von Mastodon dürfte gering sein. Danke an alle, die sich mehr einbringen (können).

    • Vielen Dank für die Rückmeldung & guten Wünsche, @Marie H. 🙏

      Auch Sie wären herzlich willkommen gewesen, denn das Gute am Fediversum ist doch: Die Teilnehmenden schaffen sich ihre Räume selbst. Während sich antisoziale Konzernmedien durch den Verkauf von möglichst viel Aufmerksamkeit ihrer Opfer an profitorientierte Werbekunden finanzieren, bauen sich Fediversum-Instanzen durch ehrenamtliches Engagement, Posts und Spenden selber auf. Für die Zukunft kann ich mir auch stärkere Unterstützung durch demokratische Institutionen vorstellen. Generell sehe ich im Bereich der Medien ein Anwachsen von kooperativen Genossenschafts- statt konkurrierenden Konzernmodellen voraus.

      Aber, ja, die Wege sind noch weit. Und gestern waren auch wunderbare Engagierte aus Schwäbisch Hall, Heidelberg, Worms usw. in Stuttgart. Für die Zukunft rechne ich mit immer mehr regionalen Fediversum-Treffen und würde gerade auch Kirchengemeinden, Vereinen, demokratischen Parteien empfehlen, hier initiativ zu werden. Die Macht der antisozialen Konzernmedien ist noch immer viel zu groß, aber unbesiegbar sind die fossilen Kolosse längst nicht mehr. Und auch die AxelSpringer-Konzernmedien verlieren ja vielerorts an Reichweite, zumal nach dem Abdruck des AfD-Wahlaufrufes von Elon Musk. Immer mehr Menschen dämmert, dass Konzerne eigene und selten demokratische Ziele verfolgen…

  2. Guten Tag @Michael,

    Wie schaffst Du es, so zeitnah zu bloggen?

    Das war ein wirklich gelungenes Treffen, sehr gewinnbringend. Ich möchte auch nochmal gerne auf die hervorragende Organisation seitens @Kuchenschwarte und @Pfarrer Thomas Ebinger hinweisen und ein grosses Dankeschön aussprechen!

    Und dass Du, @Michael, es möglich gemacht hast, trotz Deines vermutlich sehr vollen Terminplanes noch vorbeizuschauen, verdient Dank und Respekt. Du verstehst es wie kaum ein anderer, unser aktuelles Tun in einem größeren Kontext begreifbar zu machen und dies auch verständlich zu vermitteln. Ja, wir leben in besonderen Zeiten: zwei Medienumbrüche innerhalb einer Generation. Das ist beängstigend und aufregend gleichermassen. Dass wir das Beste draus machen, dafür ist eine Initiative wie diese ein vielversprechender Anfang.

    Ein für mich ganz persönlicher Aspekt der medialen Umwälzungen ist: seit ca 2 Jahren führe ich mehr und mehr sehr gewinnbringende Dialoge entweder hier auf SciLogs, insbesondere angeregt durch Deine unermüdlich eingebrachten Denkangebote, andererseits auch auf Mastodon – mit Menschen, denen ich nie im “wirklichen Leben” begegnet bin. In meinem persönlichen Umfeld wiederrum gibt es nur eine verschwindend kleine Zahl von Menschen, die bereits solche Dialogmöglichkeit nutzen. Daher stand das Fediverse-Vernetzungstreffen für mich auch unter dem Motto, mal nachzuschauen, ob es diese vielen intelligenten Menschen, mit denen  ich seit einiger Zeit im virtuellen Dialog befinde, auch wirklich gibt, “in echt” sozusagen …. ok, Scherz beiseite. Jedenfalls habe ich mir die kleine Radreise nach Stuttgart gegönnt – und herausgefunden: es gibt Euch in echt, und ich habe den Abend in anregender und sympathischer Gesellschaft verbracht.

  3. Unterm Schnee die Schneeglöckchen. Ist nur blöd, wenn man beides ist und die Schneeschmelze gleichzeitig den eigenen Tod und neue Hoffnung bedeutet.

    Die Bombe tickt. Wir bewaffnen uns bis auf die Zähne und wählen potenzielle Serienmörder zu Anführern, die Menschheit geht a) ein Eis essen, b) in den Krieg, c), zum Friseur? So, wie die Wahlergebnisse in den meisten Ländern ausfallen – eine nahezu perfekte 50/50-Polarisierung, bei der sich Aktiv und Passiv, Amok und Angststarre, mit winzigen Prozentzahlen die Waage halten – können wir nicht mal mehr so tun, als hätten wir einen freien Willen. Entweder etwas wird explodieren, oder der ganzen Batterie wird plötzlich der Strom entzogen. Beides ist eigentlich das Gleiche.

    Die gleichen Phänomene beobachten Sie im Kopf eines Sterbenden. Eine große Entladung wird folgen. Da können Sie nichts gegen tun, aber wenn schon so viel Strom da ist, können Sie die Batterie auch anzapfen und für den posthumen Neuanfang vorsorgen, oder?

    Je mehr Strom Sie in den Neuanfang ablenken können, desto weniger bleibt für die Selbstzerstörung übrig – für die beiden Formen des Extremismus, das fanatische Wachkoma der Etablierten und den fanatischen Amoklauf diverser -isten, Bremse und Gaspedal, die gleichzeitig durchgedrückt werden und das Auto zerfetzen, statt es irgendwo hin zu bringen.

    Fediversum ist deswegen interessant, weil die Server auf der ganzen Welt stehen. Und selbst wenn die Kabel zerschnitten werden, es wird schwer, die Menschen, die dadurch erreicht wurden, alle genauso zu neutralisieren – das System kann sich nach seinem Tod schnell wieder herstellen, und so wird aus dem Tod nur ein Nickerchen.

    Jeder macht das Gleiche, Putin, Islamisten, Rechtsradikale, Etablierte – jeder versucht, ein eigenes Netzwerk auf die Beine zu stellen, im Internet und in der Realität, einen Plan B für den Neustart nach der Apokalypse, die Diadochen sammeln ihre Kräfte für die Diadochen-Kriege, um sich eine neue Weltordnung zu erkämpfen. Und so werden aus Todesqualen die Geburtsschmerzen.

    Grenzen trennen immer Netzwerke, die Grenzen zwischen Staaten sind nur eine Variante. Staaten und Kulturen im Internet können einander räumlich überlappen. Was dann zum Problem wird, wenn sie alle auf die Straße gehen, denn da müssen sie alle den gleichen Aldi am Laufen halten, um nicht zu verhungern und Putins Rakete unterscheidet nicht zwischen Weidel und Merz, Bio-Deutschen und Migranten. Ideologie kann man nicht essen, und jede Ideologie, die sich gegen das Essen wendet, ist automatisch falsch, auch wenn sie ansonsten richtig ist.

    Eine Ideologie, die nur das Essen im Sinn hat und ansonsten bei allem falsch liegt ist nicht richtig, sondern nur gut genug, um über den Tag zu kommen.

    Bis jetzt bleibt das Fediversum ein Gespenst. Nur eine weitere Seele, die einer Leiche entweicht und ins All schwebt, um sich einen neuen Körper zu suchen, dem sie Leben einhauchen kann. Wenigstens weiß jeder von uns so, womit er sich irgendwann in der Leichenhalle die Zeit vertreiben wird. Spoiler Alarm: Körper und Geist verwesen gleich, weil’s vermutlich eh das Gleiche ist.

    Wenn die Seifenblase nicht platzen soll, ist es enorm wichtig, sich europaweit zu vernetzen. Das heißt nicht Nabelschau, im Gegenteil, je besser die Kommunikation mit dem Rest der Welt, desto mehr Chancen gibt’s für die Welt, und wir sind Teil der Welt. Doch, rein materiell, sind wir hier verwurzelt, hier müssen wir all unsere Seifenblasen dem Körperlichen, dem Materiellen unterordnen, anpassen – und wenn Sie 30 dement lallende, schwer bewaffnete Psychopathen auf engstem Raum zusammenquetschen, kriegen Sie einen Tarantino-Showdown.

    Sie brauchen paneuropäische Netzwerke, die dem Nationalismus den Saft abzapfen. Nicht aus ideologischen oder ethischen, sondern aus rein praktischen Gründen – weil wir einander so dringend brauchen, wie die Luft zum Atmen und den Boden unter den Füßen, weil wir in diesen Kontinent eingebettet sind und er unser Schicksal diktiert und den Rahmen unserer Möglichkeiten.

    Ich wähle meine Optionen aus dem, was funktioniert – was nicht funktioniert, kann das Tollste und Wünschenswerteste der Welt sein, es gehört zu dem, was als Erstes gestrichen wird. Nationale Lösungen funktionieren nicht mehr, um mein rein materielles Überleben zu sichern, ich brauche eine größere staatsähnliche Einheit, die auf zuverlässiger nachbarschaftlicher Hilfe basiert, und was Anderes als die unzuverlässigen Nachbarn habe ich nicht, um daran zu basteln. Brabbeln im Internet vernetzt mich nicht mit der Nachbarschaft. Brabbeln in der Nachbarschaft vernetzt mich nicht mit der Welt. Brabbeln im Internet allein vernetzt mich mit dem Internet und trennt Körper und Geist wie der Tod selbst.

    Geistige Nähe kann mir geistigen Beistand leisten, aber meist würde ich mir vom Nächsten dann doch lieber eine Tasse Zucker leihen. Ich brauche Zäune, Straßen und Türen, wo jetzt nur Mauern sind, die Welten voneinander trennen. Wir sind alle so taub, blind und tot in unseren Zombie-Welten, die durch die Gegend tapsen und in alles beißen, was Futter sein könnte, weil ihre Geister abwesend sind und im Internet an Paradiesen basteln, deren Grundlage sie gerade vernichten.

    Raus aus Platos Höhle, dem Paradies der Gaukler und Narren, der Paranoia, des Größenwahns, des Lugs und Selbstbetrugs und all der Möchtegern-Götter, die sich daran mästen. Augen auf. Und Zähne raus aus des Nächsten Fleisch. Wird gerade ziemlich hässlich da draußen in Zombieland, im Jenseits unserer Geister.

  4. @Michael 20.05. 12:58 / Felo.ai

    „Dennoch bleiben die strategischen und politischen Erfolgsfaktoren Uruguays inspirierend.“

    Gerade dass hier ein armes Land im Globalen Süden vorwärtskommt ist beachtlich. Die können sich keine Verschwendung leisten. Und uns kann genau das auch helfen.

    So habe ich wenig Verständnis für deutsche Pläne für zusätzliche Gaskraftwerke. Besser die Elektromobilität ausbauen, und mit diesen eingebauten Kurzfristspeichern auch die Solar- und Windprimärproduktion zügig vervielfachen. Derweil reichen doch die bestehenden Gaskraftwerke zusammen mit den noch einsatzfähigen Kohlekraftwerken, die dann bald nur noch saisonales Backup leisten müssen, und entsprechend immer weniger Emissionen verursachen.

    Vermutlich brauchen wird die bestehenden Erdgasspeicher auch für die saisonale Speicherung von grünem Wasserstoff, und da gibt es dann klare Kapazitätsgrenzen. Zu viele Gaskraftwerke können kein Backup mehr liefern, wenn die Speicher leergelaufen sind. Da kommen dann insbesondere die Braunkohlekraftwerke zum Einsatz, deren Brennstoffe kann man einfach auf Halde lagern.

    • Ja, @Tobias, gerade auch im Hinblick auf Uruguay lässt sich sogar von erneuerbaren Wohlstandsenergien sprechen. Denn die post-fossile Transformation hat in dem südamerikanischen Land massiv Arbeitsplätze geschaffen und die Armut massiv reduziert. Das Energiegeld bleibt jetzt im Inland und wird nicht mehr für den Import fossiler Gewaltenergien ausgegeben, sondern schafft gute und Mitwelt-freundliche Arbeit vor Ort!

      Und dabei sind bisher die Potentiale von Solarenergie und grünem Wasserstoff in Uruguay erst in Anfängen erschlossen.

      Hier eine Übersicht durch Perplexity.ai:

      # Der Einfluss des Ausbaus erneuerbarer Energien auf Arbeitsmarkt und Armutsreduktion in Uruguay

      Uruguays Transformation des Energiesystems gehört zu den bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten des 21. Jahrhunderts. Innerhalb weniger Jahrzehnte gelang dem südamerikanischen Land nicht nur die Umstellung auf nahezu vollständig erneuerbare Energiequellen, sondern auch die Schaffung tausender Arbeitsplätze und die signifikante Reduktion von Armut. Dieser Bericht analysiert die komplexen Wechselwirkungen zwischen Energiewende, Beschäftigungseffekten und sozioökonomischer Entwicklung.

      ## Historischer Kontext der uruguayischen Energiewende

      ### Die Krise als Katalysator für Veränderungen

      Die Energiewende Uruguays begann nicht aus idealistischen Motiven, sondern als Reaktion auf eine existenzielle Krise. 2008 führten steigende Ölpreise, veraltete Infrastruktur und wachsender Energiebedarf zu häufigen Stromausfällen[4]. Die Abhängigkeit von fossilen Importen belastete die Handelsbilanz und machte das Land verwundbar für globale Preisschwankungen[6]. In dieser Situation entwickelte der damalige Energieminister Ramón Méndez Galain einen Masterplan, der auf Wind-, Wasser- und Biomasseenergie setzte[2][4].

      ### Strategische Entscheidungen und politischer Wille

      Entscheidend war der bewusste Verzicht auf Atomenergie trotz Galains Fachkenntnissen in diesem Bereich. Stattdessen setzte Uruguay auf dezentrale Erzeugungsstrukturen und langfristige Verträge mit privaten Investoren[4]. Ein innovatives Ausschreibungssystem garantierte stabile Rahmenbedingungen für Unternehmen, während gleichzeitig lokale Wertschöpfung gefördert wurde[5].

      ## Arbeitsmarkteffekte der Energietransformation

      ### Direkte Beschäftigungseffekte

      Der Ausbau erneuerbarer Energien schuf laut ifo-Institut rund 50.000 neue Arbeitsplätze – etwa drei Prozent der uruguayischen Gesamtbeschäftigung[1]. Diese verteilen sich auf:
      – **Windenergiesektor**: Installation und Wartung von über 50 Windparks[3]
      – **Biomasseanlagen**: Betrieb von Kraftwerken auf Basis landwirtschaftlicher Reststoffe[6]
      – **Solarenergie**: Montage und Instandhaltung dezentraler Anlagen[4]

      Besonders bemerkenswert ist die Qualifikationsstruktur: 40% der neuen Jobs entfielen auf technische Fachkräfte, 30% auf Bauarbeiter und 20% auf Ingenieure[2].

      ### Indirekte und induzierte Beschäftigung

      Die Energiewende löste einen Multiplikatoreffekt in verwandten Wirtschaftssektoren aus:
      1. **Landwirtschaft**: Nutzung von Biomasse aus Reis- und Sojaabfällen schuf neue Absatzmärkte[6]
      2. **Metallverarbeitung**: Lokale Produktion von Windradkomponenten reduzierte Importabhängigkeit[3]
      3. **Dienstleistungen**: IT-Unternehmen entwickelten Spezialsoftware für Energiemanagement[4]

      Eine Studie der Universidad Tecnológica (UTEC) zeigt, dass jeder direkte Job im Energiesektor 2,3 indirekte Arbeitsplätze generierte[3].

      ## Armutsreduktion durch Energiepolitik

      ### Makroökonomische Stabilisierungseffekte

      Die Unabhängigkeit von fossilen Importen verbesserte die Handelsbilanz nachhaltig. Zwischen 2010 und 2025 sank der Anteil der Energieimporte am BIP von 8% auf unter 2%[5]. Die dadurch freigesetzten Mittel flossen in:
      – Subventionierte Stromtarife für einkommensschwache Haushalte
      – Infrastrukturprojekte in marginalisierten Regionen
      – Bildungsprogramme zur Qualifizierung von Arbeitskräften[2]

      ### Direkte Armutsbekämpfungsmaßnahmen

      Die Regierung verknüpfte Energieprojekte gezielt mit sozialen Programmen:
      – **Energiegutscheine**: 150.000 Haushalte erhalten monatliche Zuschüsse für Stromrechnungen[3]
      – **Community Ownership Modelle**: Lokale Genossenschaften betreiben Kleinwindanlagen und profitieren von den Erträgen[4]
      – **Elektrifizierung ländlicher Gebiete**: Über 98% der Bevölkerung haben heute Stromzugang vs. 89% im Jahr 2005[6]

      ### Bildung und Qualifikation

      Die Universidad Tecnológica (UTEC) entwickelte spezielle Studiengänge für erneuerbare Energien, die jährlich 1.200 Absolventen hervorbringen[3]. Parallel wurden Umschulungsprogramme für Arbeiter aus der fossilen Industrie aufgelegt, die eine Arbeitslosenquote unter 2% im Energiesektor ermöglichten[5].

      ## Herausforderungen und kritische Betrachtung

      ### Verteilungskonflikte und soziale Spannungen

      Trotz der Erfolge zeigen sich problematische Aspekte:
      – **Strompreis-Dilemma**: Privathaushalte zahlen bis zu 0,30 USD/kWh – deutlich mehr als in Nachbarländern[3]
      – **Landnutzungskonflikte**: Großflächige Windparks führen zu Protesten indigener Gemeinschaften[4]
      – **Urban-Rural Divide**: Ländliche Gebiete profitieren weniger von Jobchancen als der Großraum Montevideo[6]

      ### Abhängigkeit von externen Faktoren

      Uruguays Modell basiert auf:
      – **Hohen Auslandsinvestitionen**: 70% der Windparks gehören ausländischen Konzernen[3]
      – **Stabilem Wasserkreislauf**: Dürrejahre 2022-24 offenbarten Vulnerabilität des Systems[4]
      – **Globalen Rohstoffpreisen**: Stahlpreissteigerungen beeinträchtigen Ausbaupläne[5]

      ### Erfolgsfaktoren des uruguayischen Modells

      1. **Kohärente Politikarchitektur**: Energie-, Industrie- und Sozialpolitik wurden integriert gestaltet[4]
      2. **Partizipative Governance**: Einbindung von Gewerkschaften, NGOs und lokalen Gemeinschaften in Planungsprozesse[5]
      3. **Technologische Souveränität**: Aufbau eigener Forschungszentren zur Vermeidung von Patentabhängigkeiten[6]

      ### Übertragbarkeit auf andere Länder

      Die Erfahrungen Uruguays bieten wertvolle Erkenntnisse für:
      – **Kleine Volkswirtschaften**: Skaleneffekte durch Spezialisierung auf Nischenmärkte
      – **Ressourcenarme Staaten**: Nutzung natürlicher Standortvorteile (Wind, Biomasse)
      – **Postfossile Transition**: Sozialverträglicher Strukturwandel durch aktive Arbeitsmarktpolitik

      ## Fazit

      Uruguays Energiewende zeigt, dass der Übergang zu erneuerbaren Energien nicht nur ökologische, sondern auch substanzielle sozioökonomische Vorteile bieten kann. Durch die Schaffung von 50.000 Jobs und die Senkung der Armutsquote um 40% seit 2010[2][5] demonstriert das Land, wie Klimapolitik als Hebel für inklusives Wachstum fungieren kann. Allerdings verdeutlichen die anhaltenden Herausforderungen bei Strompreisen und regionaler Ungleichheit, dass technologische Innovation stets durch sozialpolitische Maßnahmen begleitet werden muss.

      Für die internationale Gemeinschaft bietet das uruguayische Modell wertvolle Impulse, insbesondere die Verknüpfung von Energiesicherheit mit Arbeitsmarktentwicklung und Armutsbekämpfung. Die nachhaltige Wirkung dieser Politik wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, die entstandenen Strukturen gegen externe Schocks zu wappnen und die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen weiter zu stärken.

      Citations:
      [1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/uruguay-oekostrom-im-ueberfluss-das-energiewende-wunder-a-a818ebbe-b4d5-46ba-bd1d-93c7d98003ce
      [2] https://winfuture.de/news,140322.html
      [3] https://www.youtube.com/watch?v=gmlb4M5ZPP8
      [4] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/uruguay-energiewende-erneuerbare-energien-windkraft-wasserkraft-100.html
      [5] https://adveniat.de/wie-uruguay-die-energie-revolution-schaffte/
      [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Energiewirtschaft_Uruguays
      [7] https://www.wetter.de/cms/geheimes-klima-wunder-in-suedamerika-dieses-land-hat-die-energiewende-fast-schon-gemeistert-5077560.html
      [8] https://www.energiezukunft.eu/politik/wie-uruguay-seine-energiewende-vollendet
      [9] https://www.windkraft-journal.de/2024/09/28/uruguay-klassisches-rueckzugsland-erhaelt-foerderung-fuer-die-zusammenarbeit-beim-gruenen-wasserstoff/204853
      [10] https://www.realestate-in-uruguay.com/de/blog/uruguay-eine-erfolgsgeschichte-fuer-nachhaltigkeit/
      [11] https://www.energieverbraucher.de/de/start__2229/NewsDetail__19308/
      [12] https://mutmacherei.net/uruguay-erzeugt-90-prozent-der-energie-nachhaltig/
      [13] https://www.youtube.com/watch?v=M08re4DfGWA
      [14] https://www.giz.de/de/weltweit/201028.html
      [15] https://www.dw.com/de/uruguay-ist-pionier-in-sachen-gr%C3%BCner-strom/a-59493064
      [16] https://www.energiezukunft.eu/politik/parteiuebergreifender-konsens-fuer-die-energiewende
      [17] https://www.klausreichert.de/98-strom-aus-erneuerbaren-quellen/
      [18] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/uruguay-windkraft-energie-100.html
      [19] https://filehub.admiralcloud.com/v5/deliverFile/ed367c70-dd60-4b19-a2ab-31f397c19e20
      [20] https://uruguay.ahk.de/de/berufsbildung/translate-to-deutsch-energia-medio-ambiente/translate-to-deutsch-energias-renovables


      Antwort von Perplexity: pplx.ai/share

  5. @Michael Blume
    Sie haben Rumänien angerissen , aber dann nicht fortgeführt. Das ist schade, denn gerade an Rumänien kann man die Bedeutung ( religiöser )Toleranz besonders deutlich aufzeigen: Das Aufblühen Siebenbürgens nach dem Edikt von Thorenburg https://de.wikipedia.org/wiki/Edikt_von_Torda und das Zurückbleiben der Donaufürstentümer Moldau und Walachei durch religiöse Intoleranz und Sklaverei.
    Ich kenne das Land ganz gut; es ist arm, weil es viele soziale Blasen gibt, und die verschiedenen Volksgruppen (Wallachen, Moldauer, Ungarn, Szekler, Tigani , Roma, Deutsche, Russen, Griechen…) gerne unter sich bleiben. Tigani (“Zigeuner” , aber das hat im Deutschen in einer falschen Ableitung zu “Ziehende Gauner” geführt, deshalb die rumänische Schreibweise) grenzen sich betont von den “Roma” ab .
    Es ist gut, dass ein großer Teil dieser diversen Gruppen über ihren eigenen Schatten gesprungen ist und den mutigen Bekämpfer der Korruption gewählt hat.
    Die Korruption ist und bleibt das Krebsübel Rumäniens. Meiner Beobachtung nach resultiert sie aus der Aufsplitterung der Bevölkerung in verschiedene Blasen. Wer sehen will, was die Aufsplitterung einer Gesellschaft in Filterblasen bewirkt, sollte sich einmal in Rumänien umsehen.
    Ökonomisch macht das sogar Sinn: die Korruption ersetzt das mangelnde gesellschaftliche Vertrauen. Sie ist der in Geld ausgedrückte Preis für die Transaktionsnebenkosten. Ist das gesellschaftliche Vertrauen gering, sind diese hoch.
    Leider gibt es bestimmte Strömungen, auch in einer bestimmten deutschen Partei, die genau dieses gesellschaftliche Vertrauen schwächen will- wie das die MAGA- bewegung in den USA tut.
    Das wollte die Mehrheit in Rumänien nun auf keinen Fall. Dort weiß jeder, was die Folgen davon sind.
    Ich hoffe, dass jetzt die EU Rumänien auf dem Weg des gegenseitigen Vertrauens unterstützt und auch einer möglichen Wiedervereinigung von Rumänien und Moldau keine unüberwindlichen Hindernisse in den Weg legt. Für Putins Russland wäre das eine schwere Niederlage.

  6. @Michael 20.05. 22:25 / Felo.ai

    „Junge Männer, konfrontiert mit wirtschaftlicher Unsicherheit und Konkurrenz durch gebildete, kinderlose Frauen, entwickelten Wut auf den Feminismus und forderten eine Rückkehr zu patriarchalen Strukturen. Dies verschärfe wiederum den Rückzug von Frauen aus Partnerschaften und Familiengründungen.“

    So wie das jetzt aussieht, kommt man wohl nicht weiter. Das hier eine gewisse Verzweiflung einsetzt, ist nachvollziehbar. Etwa der Weltmeister Südkorea mit 0.72 Kinder pro Frau ist in wenigen Generationen praktisch verschwunden.

    Die ganze Karrierearbeit, der Aufbau der Schiffbauindustrie, alles für die Katz, wenn am Ende die Menschen aus dem Land verschwinden.

    Das sieht mir irgendwie nach einem ganz dringlich notwendigem Dialog aus, wie man aus der Falle noch herauskommt.

    Der dortige Leistungsdruck gerade schon unter Schülern ist offenbar so groß geworden, dass hier niemand mehr überhaupt die Zeit dafür hat, sich z.B. mit dem Demografiethema und überhaupt mit sinnvoller Lebensgestaltung zu beschäftigen?

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