Die Zukunft der Religionswissenschaft – Erfahrungsbericht vom 23. Symposium der Studierenden der Religionswissenschaft im deutschsprachigen Raum

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Kein Zug kommt oder geht, “Notarzteinsatz am Gleis”, schon über eine Stunde Verspätung. Und in Erfurt warten die Studierenden der Religionswissenschaft auf einem Symposium, das sie – mitsamt der Finanzierung – komplett selbst organisiert haben! Ich hatte mich daher über die Einladung zu einem Vortrag zum Sonderkontingent Nordirak und einer Podiumsdiskussion mit Ulf Plessentin vom CERES Bochum so gefreut, dass ich sofort – und in diesem Fall auch gerne honorarfrei – zugesagt und eine Kinderbetreuung organisiert hatte. Und jetzt das! Gähnende Leere am Bahnsteig, blecherne, emotionslose Botschaften aus den Lautsprechern, die doch letztlich nur sagten: Zum Vortrag wird es nicht mehr reichen und selbst zum Podium wird es immer knapper. In diesem Moment hätte ich Schwierigkeiten gehabt, das selbstgewählte Motto “Religionswissenschaft aus Freude” aus vollem Herzen zu unterschreiben…

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Wann fährt hier noch irgendwas? Vollsperrung am Stuttgarter (Kopf-)Hauptbahnhof am 7.5.2016. Foto: Michael Blume

Endlich, die Züge fahren wieder ein! Und irgendwann sogar wieder hinaus. 100 Minuten Verspätung! Zerknirscht rufe ich das “Tagungstelefon” an und habe prompt eine optimistische Studentin, Lena Koch, am Handy. “Ach, wir wollen Sie aber hören! Dann verschieben wir Ihren Vortrag doch einfach auf morgen früh, wir organisieren Raum und Technik! Sie brauchen nur Ihre Rückfahrt etwas verschieben. Einverstanden?”

Von wegen Verzweiflung! Die seit Sokrates klassische Klage über “die Nachkommenden” wurde mir soeben – wenige Wochen vor dem 40. Geburtstag – eindrucksvoll empirisch widerlegt. Und aus dem Programmheft erfahre ich, dass Frau Koch am Freitag zum “Codex Hammurapi und kasuistischem Recht im Pentateuch” vorgetragen hat. Das ist Power. Und erst der Anfang…

Am Bahnhof wartet schon ein weiterer Organisator-Student, Michael Utzel, Symposiumsvortrag: “Die ‘Deutschen Gottesworte’ von Ludwig Müller als Beispiel der politischen Transformation von Bibeltexten”. Während ich ihm durch das historisch-schöne Erfurt folge, hat er ein paar Anmerkungen und Fragen zum sciebook “Religion und Demografie” – und ich denke nur: Wow…

Der steinwaldene Erfurter Domberg ist für eine Podiumsdiskussion schon eine richtig gute Wahl und widersteht auch der überraschend starken Sommerhitze. Lisa Grellert und Pascal Hoppe (Vortrag: “Das Kalifat im Wandel der Zeit”) halten bereits die Tagungstaschen mit vielfältigem Inhalt samt Tagungsheft bereit – und dem Motto der Erfurter Religionswissenschaft, das auch die Podiumsdiskussion bestimmen wird: “Nein, wir werden keine Priester.”

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Podiumsdiskussion: “Zur Verantwortung der Religionswissenschaft”

Denn “das” ist ja zugleich Chance wie auch Problem der empirisch orientierten Religionswissenschaft: Es gibt keine konfessionelle Bindung und entsprechend kein klares Berufsbild etwa als Seelsorgerin oder konfessioneller Religionslehrer. Jede(r) von uns hat deshalb schon während des Studiums vielfach die Frage zu beantworten: “Und was machst Du dann damit?” Und Ulf Plessentin weckt da auch keine Illusionen: “Nur 5 bis 10 Prozent eines Jahrgangs haben eine Chance auf eine Stelle im universitären Bereich.”

Genau das treibt die Studierenden um – und zwar genau jene, die für Religionswissenschaft brennen. Sollen sie sich auf den jahrelangen Passionsweg von befristeten Kettenverträgen auf meist geteilten Stellen einlassen? Wo es von Anfang an darauf ankommt, möglichst vielen Lebenszeitbeamten zu gefallen, geschickte Seilschaften zu knüpfen und möglichst nirgendwo anzuecken? Um dann vielleicht irgendwann doch hinauszufallen oder “sozialdarwinistisch” lange genug zu überleben, um eine der wenigen Lebenszeitstellen zu erlangen?

Die Studierenden wissen sehr genau, dass sie erst ab dem Moment freier atmen und auch freier forschen können, ab dem sie nicht mehr existentiell abhängig sind. Und viele würden ihre erworbenen Kenntnisse auch sehr gerne in ein Nicht-Priester-Berufsleben – etwa in Politik, Medien, Bildungseinrichtungen, Unternehmen – einbringen, dabei für unser Fach werben. Doch das wird noch kaum gefördert und vor allem nicht anerkannt. “Wer nicht mehr an der Universität arbeitet, gilt vielen Profs nicht mehr als echter Religionswissenschaftler. Wenn Du von der Uni gehst, bist Du weg.”, so ein Einwand eines dynamischen Jungunternehmers, der es erlebt hat und jetzt anderswo Erfolge feiert. Trotz seines Studiums, an dem er immer noch hängt.

Ja, klar lässt sich dieses kontrollbewusste Denken vieler Lehrstuhlinhaber leicht nachvollziehen, die ja selbst durch die harten Touren gegangen sind und oft gezeichnet wurden. Schon die selbstorganisierten Symposien der Studierenden werden mit einer Mischung aus Distanz und Argwohn belauert. Dieses Jahr, so erfahre ich, gab es zwar Mittel der Bundesregierung, aber bislang noch keinerlei Zuschuss der Deutschen Vereinigung der Religionswissenschaft (DVRW) – was mich als brav zahlendes Mitglied bekümmert. Ob das ein bewusster Beschluss oder vielleicht nur ein Kommunikationsproblem war?

Zur Frage des Moderators Maximilian Gutberlet, ob denn die Religionswissenschaft überhaupt eine “gesellschaftliche Verantwortung” wahrzunehmen habe, erlaube ich mir zu antworten: Die Steuerzahlenden werden sicher nicht ewig religionswissenschaftliche Institute finanzieren, wenn sich diese nicht umgekehrt in den “öffentlichen Dienst” stellen und allzuviele zerbrochene Biografien, Arbeitslosigkeit und die Entwertung der eigenen Abschlüsse produzieren. Zu Zeiten geburtenstarker Jahrgänge war die massenhafte Verleihung vergleichsweise günstiger geistes- und kulturwissenschaftlicher Diplome eine bildungspolitische Option. Doch kinderarme Gesellschaften können sich nicht mehr so viele gescheiterte Studienbiografien leisten. Nicht nur Japan zieht bereits zunehmende Konsequenzen und lenkt Ressourcen und Studierende zunehmend in Richtung MINT. Auch rechtspopulistische Parteien – wie sie gerade weltweit erstarken – machen aus ihrer Verachtung für steuerfinanzierte Intellektuelle längst keinen Hehl mehr und würden entsprechende Studiengänge gerne einstampfen.

Auch all das muss, so ein berechtigter Einwand, heutige Lehrstuhlinhaber nicht mehr bekümmern. Diese verlören bis an ihr Lebensende nichts, selbst wenn – wie zuletzt im Ländle – mangels Masse schließlich ganze Institute abgewickelt werden müssten. Sie hätten dann allenfalls weniger Studierende und Lehrveranstaltungen zu betreuen. Einige Professorinnen und Professoren sähen die Probleme durchaus; doch es gebe bislang außer Mitleid mit den Studierenden kaum Anreize oder gar Belohnungen für die notwendigen Anstrengungen. Und noch blühe die Religionswissenschaft insgesamt ja – auch wegen der Hoffnungen in deutschsprachigen Ministerien und Universitäten, dass sie Wesentliches zum Umgang mit der zunehmenden, religiösen Vielfalt, den Herausforderungen religiösen Fundamentalismus usw. vermitteln könnten. Es ist, so erfahre ich, auch genau das, was viele Studierende gerne in die Gesellschaft hinein beitragen wollten!

Ob nicht Blogs und Videos ein hervorragender Weg sein könnten, Religionswissenschaft in die steuerzahlende Öffentlichkeit zu vermitteln, frage ich. Warum denn das Symposium nicht wenigstens ein Best-Off der mühsam vorbereiteten Vorträge auf YouTube stelle?

“Das haben wir uns überlegt, aber es ist zu gefährlich. Es könnte im Vortrag ein Fehler zu finden sein, der jemanden verärgert.”“Oder noch schlimmer: Es könnte KEIN Fehler darin sein und der Vortrag allzu viele Klicks ziehen. Dann wäre der Ärger noch größer.”

Religionswissenschaft 2.0 – Chance oder Karrierekiller?

Nun erfahre ich den eigentlichen Hintergrund der Einladung. Viel mehr Studierende und Absolventen würden ebenfalls gerne sichtbare Homepages mit ihren Veröffentlichungen anlegen, lehren und vortragen, gedruckte und digitale Bücher veröffentlichen, per Text und Videos bloggen, Social Media-Netze spannen und auch Medien für Anfragen zu ihren Spezialgebieten zur Verfügung stehen. Sie würden auch gerne “Religionswissenschaft aus Freude” betreiben und ihr erworbenes Wissen in den öffentlichen Diskurs einspeisen – auch wenn ihnen klar ist, dass eine durchaus kritische, interdisziplinäre Öffentlichkeit auf sie wartet. Manche würden auch auf religionswissenschaftlichen Listen wie Yggdrasill mitdiskutieren – wenn sie nicht auch dafür Abstrafungen zu befürchten hätte. Die Frage einer Studentin: Ob ich denn empfehlen könnte, all dies zu tun, wenn ich selbst noch von der immer wieder befristeten Gnade von Ordinarien und zukünftigen Berufungskomittees abhängig wäre?

Nein, räume ich ein – das könnte ich tatsächlich noch nicht empfehlen. Religionswissenschaft ist ein faszinierendes, geniales Fach, das Interesse nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen, der Medien und Verlage ist enorm groß und es gibt auch wunderbare Professorinnen und Professoren, die Sie unterstützen würden. Doch wenn Sie zu früh öffentlich allzu sichtbar würden, wird dies im jetzigen System auch immer Leute verärgern, die Ihre Universitätslaufbahn beenden können: Sei es, weil Ihnen Fehler unterliefen – oder weil Sie zu erfolgreich, zu sichtbar wären.

Deswegen können Ulf Plessentin und ich den Studierenden zunächst nur empfehlen, sozusagen übungsweise ungefährlichere Gemeinschaftsblogs zu betreiben, Gastbeiträge beim engagierten REMID-Blog einzureichen oder in zukunftsweisenden Videoprojekten wie KurrT (Kurze religionswissenschaftlich relevante Theorien) unsere Würdenträger selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Erst, wenn Absolventen beruflich auf eigenen Beinen stünden, könnten sie dann auch selbst mehr wagen. Dies könnte der richtige Weg sein, um auch langsam einen Bewußtseins- und Generationenwandel in unserem Fach hin zur digitalen Welt und der Akzeptanz nicht-universitär beschäftigter Religionwissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler einzuleiten.

Also: Dank & Lob an alle schon bisher Bloggenden und beispielhaft an die KurrT-Machenden, Erlaubenden und Ermutigenden der Universität Bremen!

Fazit: In der Zukunft gibt es Hoffnung!

An diesem Abend gab es ein Grillfest – und ich habe selten so viel versammelte Begeisterung für Religionswissenschaft erlebt. Und weil die Budgets knapp waren, hatten die Studierenden auch für den Sonntagmorgen ein gemeinsames Frühstück organisiert. Dass auch trotz früher Morgenstunde und dreier “langer Abende” wieder alle Vortragsräume gut gefüllt waren, machte meinen positiven Eindruck perfekt. Zum abgeschlossenen Sonderkontingent in Kurdistan-Irak, zu Daesh, dem kurdischen Yeziden- und Christentum sowie auch zu organisatorischen und ethischen Fragen gab es hellwaches Interesse und kluge Fragen. Fast war ich schon dankbar für die notwendig gewordene Verschiebung, ohne die ich vieles dieses eindrucksvoll organisierten Symposiums gar nicht miterlebt hätte. Aus dem Orga-Team möchte ich daher auch noch Thilo Krumeich (Vortrag: “Muslime in Polen”) und Stephan Läsche (Vortrag: “Der Ukrainekonflikt – Eine rein weltliche Angelegenheit?”) danken. Ihr Sechs – und alle Unterstützenden – habt das wirklich großartig gemacht und der oft so stummen Studierendenschaft einen Ort und ein Wort gegeben! Eine hohe Meßlatte für München 2017, die die meistergewöhnten Bayern aber sicher anstacheln wird!

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Mit Liebe gemacht: Das Frühstücksbuffet des Erfurter Studierendensymposiums. Foto: Michael Blume

Als ich im Zug zurückfuhr, war ich glücklich und optimistisch. Viele Studierende sahen sehr realistisch die Strukturen und Probleme – und waren doch bereits auf dem langen Weg, etwas zu verändern. Eines Tages würde es sie geben: Die wertschätzende Zusammenarbeit von ReligionswissenschaftlerInnen in den Universitäten und im außeruniversitären Beruf, die Alumni-Netzwerke voll engagierter Brückenbauer, auch dadurch die berufsorientierenden Seminarangebote und eine lebendige, religionswissenschaftliche Online-Szene im täglichen Dialog mit Öffentlichkeit, Medien und Politik. Auf viel mehr Lehrstühlen hätte sich dann längst herumgesprochen, dass Freiheit und Vielfalt auch religionswissenschaftliche Unternehmungen zum Blühen bringt, dass öffentliche Erfolge von Studierten und Promovierten auch auf die Professorenschaft zurückstrahlen und dass von einem breiten, gesellschaftlichen Dialog zu Fragen der Religionswissenschaft auch der Absatz der eigenen Bücher und Fachartikel sowie das Ansehen der Institute profitiert. Die DVRW würde die selbstorganisierten Symposien von Studierenden aktiv fördern und die Besten der Ordinarien deren Einladungen zu Vorträgen, Grillabenden und Frühstücksbuffets auch als Erinnerung an das eigene Werden begrüßen. Nur die Rechtspopulisten würden sich über lebendige und erfolgreiche Interdisziplinarität wohl ärgern…

Gerne hätte ich das gleich am Sonntag gebloggt, doch das Internet im Zug funktionierte (natürlich) mal wieder nicht. Die Verspätung war dafür deutlich kürzer. Ich ärgerte mich nicht, sondern nahm es als Metapher: Alles, was sich bewegt, braucht hin und wieder Erneuerung. Aber es gibt auch immer wieder engagierte, junge Leute, die dazu fähig sind.

Ihnen allen einen guten Start in die Woche!

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

10 Kommentare

  1. Danke für den schönen Bericht! Die Betrachtungen zu einer öffentlichen Religionswissenschaft sind zwar etwas pessimistisch, aber vielleicht nicht völlig grundlos. Das war auch ein Grund, weshalb wir bei unserem Gemeinschaftsblog |Marginalien auf Klarnamen verzichten – um die Inhalte für sich sprechen zu lassen. Gatbeiträge nehmen wir übrigens auch immer gerne entgegen. http://marginalie.hypotheses.org/

    • Vielen Dank, @Frederik Elwert! Den Gemeinschaftsblog der “Marginalien” schätze ich sehr und hoffe, dass es eines Tages auch für Studierende und Absolventen “gefahrlos” möglich sein wird, Beiträge unter dem eigenen Klarnamen zu veröffentlichen und damit auch als Wissenschaftlerin/Wissenschaftler öffentlich sichtbarer zu werden. Ich kann aus o.g. Gründen leider völlig nachvollziehen, dass davon derzeit noch abgesehen wird… :-/

      Ihnen also nochmal Danke und viel Erfolg mit dem wichtigen und zukunftsweisenden Blog-Projekt!

  2. Super! Das klingt alles sehr beeindruckend und spannend. Ich hoffe, die Energie bleibt. Und das Ziel, ReWi relevanter zu machen, wird ein wenig mehr umgesetzt!

  3. Lieber Michael,
    Du weisst, dass du mir aus der Seele sprichst und ich danke dir, dass du uns Exilanten der Religionswissenschaft immer wieder eine Stimme gibst.
    Auch mir ist die Entscheidung schwer gefallen den Wissenschaftsbetrieb zu verlassen, in dem ich trotz hervorragendem Abschluss als Mutter dreier Kinder und über 30 Jähriger keine Chance mehr gesehen hatte.

    Auch wenn ich glücklich in meiner freiberuflichen Tätigkeit geworden bin – mein Herz schlägt immer noch für die ReWi. Und das schon seit 25 Jahren. Seit ich damals als 16jährige in Marburg eine Woche als Gaststudentin mitlaufen durfte. Es bleibt schade, dass dieses Studium doch am Ende ein teures Hobby war, dass mir eine intellektuell anregende Elternzeit ermöglicht hat…

    Danke dir für deine Zeilen. Es ist schön zu wissen, dass zumindest einige wahrnehmen, dass es uns Nicht-Uni-ReWis gibt.

    Herzliche Grüße
    Marion Mahnke – heute mit freiberuflicher Coschingtätigkeit dann doch irgendwie als moderne Seelsorgerin unterwegs ….

    • Liebe Marion,

      lieben Dank für Deine Rückmeldung.

      Tatsächlich stellen die bisherigen Strukturen auch meines Erachtens eine massive Diskriminierung von Eltern und insbesondere Müttern dar. Auf Basis von befristeten Teilzeit-Kettenverträgen bis in die 40er lässt sich kaum eine Familie gründen (und behausen) – und mit der Geburt und Erziehung von Kindern müssen viele dann aus dem brutalen Ausleseverfahren ausscheiden. Dies betrifft natürlich nicht nur, aber leider in besonders starkem Maße, auch die Religionswissenschaft. Und es ist sowohl ungerecht wie auch gesamtgesellschaftlich irrsinnig.

      Einige Studierende äußerten die Idee eines Verbandes, in dem sich Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler zusammenschließen könnten, die außerhalb der Universität arbeiten wollen bzw. arbeiten. Auch diesen Ansatz finde ich sehr interessant und würde hier auf dem Blog darüber berichten, falls sich das konkretisiert.

      Herzliche Grüße Dir und Deiner wunderbaren Familie! 🙂

  4. Hallo Herr Blume,

    sie schreiben:

    „Wo es von Anfang an darauf ankommt, möglichst vielen Lebenszeitbeamten zu gefallen, geschickte Seilschaften zu knüpfen und möglichst nirgendwo anzuecken?“

    und

    „Doch wenn Sie zu früh öffentlich allzu sichtbar würden, wird dies im jetzigen System auch immer Leute verärgern, die Ihre Universitätslaufbahn beenden können: Sei es, weil Ihnen Fehler unterliefen – oder weil Sie zu erfolgreich, zu sichtbar wären.“

    Seit ich hinreichend Einblick in die Tiefen (und Abgründe) der akademischen Welt habe, frage ich mich warum gerade in der Wissenschaft, die allzu gern selbst ein hehres Selbstbild propagiert, soviel Hierarchieglaube, unterschwellige Missgunst, offener Neid und andere Abscheulichkeiten aus dem Spektrum menschlicher Charakterzüge zutage treten. Und das in fast allen Aspekten: Forschungsanträge und -Förderung, Personalentscheidungen, Veröffentlichungen, etc.
    Letztendlich sind das enorme Hindernisse für die Wissenschaft selbst, das scheint auch jeder zu wissen. Aber dagegen auflehnen – das würde einen vermutlich die Karriere kosten.
    Wenn es in anderen Sektoren, z.B. der Privatwirtschaft so sein mag, meinetwegen. Aber gerade in der Wissenschaft, mit all ihrem Anspruch. Das ist mir unverständlich.
    Vielleicht wäre das ein interessantes soziologische Forschungsprojekt. Aber es würde wohl nicht gefördert werden – warum wohl?

    Vermutlich hilft nur, es immer wieder öffentlich anklingen zu lassen sowie ein Generationenwechsel. Aber bis dahin werden weiter viele Leute, die auch großartig forschen könnten, hinten runter fallen.
    Wenigstens finden sich ein paar öffentliche Aussagen darüber schon, mal mehr, mal weniger offensichtlich, z.B. hier:

    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-06/justiz-karriere-rechtsprofessoren-rechtsstudenten/seite-2

    http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article108402740/Anna-Frebel.html

    https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/warum-dieser-blog/

    http://images.iop.org/dl/physicsweb/2010/phwv19i2a15.pdf

    • Lieber @NameUnwichtig,

      lieben Dank für Ihre Gedanken – und Ihre Frage.

      Historisch haben die Wissenschaften ja tatsächlich ihre Wurzeln in religiösen Kontexten – worauf die Bezeichnung des Professors (lat. Bekennender) ja auch verweist, ebenso wie mancher Habitus, manche Symbolik, Rituale usw. Und das ist ja auch in Ordnung so – auch in Religionsgemeinschaften werden die höchsten Ideale einerseits unbedingt gebraucht, aber andererseits im Alltagsleben selten erreicht.

      Ich denke auch nicht, dass hier irgendein Defizit “der Wissenschaftler” zu attestieren wäre! Mich haben hierzu die Erfahrungen im Irak sehr geprägt: Dort hatte ich viel mit Menschen aus der humanitären Szene – von UNO bis NGO – zu tun, darunter viele wunderbare, teilweise heldenhafte Menschen und echte Idealisten. Gleichzeitig aber waren die Strukturen in einem schlechten Zustand: Nach anfänglich großer Hilfsbereitschaft hatten sich viele Geldgeber (“Donors”) aufs Militärische verlegt, was dazu führte, dass sich mehrere anfangs eilig eingeflogene NGOs nun um schrumpfende Budgets balgen mussten. Viele ihrer einheimischen und ausländischen Mitarbeitenden hatten nur befristete Verträge oder gar keine Absicherung, kämpften also nicht nur um ihre Projekte und um Prestige, sondern buchstäblich auch um ihre berufliche Existenz.

      Die Folge war ein Geflecht aus humanitären Idealismus mit Konkurrenz, Neid und richtiggehenden Intrigen und ein direktes Nebeneinander von bewundernswertem Engagement, verzweifeltem Zynismus, oft auch zerbrochenen Familien und Süchten. Und dies – ich sage es noch einmal – unter überwiegend bewundernswerten Menschen, die bereit waren, ihr Leben für andere zu riskieren und die auch finanziell andernorts viel mehr hätten erreichen können!

      Kurz geschrieben: Ich denke, dass das Verhalten von Menschen immer von einem Miteinander aus individuellen Motivationen einerseits und vorgefundenen Strukturen andererseits erfolgt. So hat der Beamtenstatus in öffentlichen Verwaltungen ja genau den Zweck, existentielle Verläßlichkeit zu sichern und damit auch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, innere Freiheiten auch zum ggf. notwendigen Widerspruch, unblutige Machtwechsel u.v.m. sicher zu stellen. In den Wissenschaften ist dieser Status jedoch nur noch für sehr wenige erreichbar, was zwischen und zu den Nachwuchskräften einen – je nach Fach unterschiedlich starken – Konkurrenzdruck und extreme Abhängigkeitsverhältnisse begünstigt.

      Kurz geschrieben: Wir sind alle Homo sapiens und ich kann aus meinen Erfahrungen heraus auch nicht behaupten, dass in Wissenschaft oder Politik, Finanzwirtschaft oder humanitären Organisationen grundsätzlich bessere oder schlechtere Menschen arbeiten würden. Es sind vielmehr die Strukturen, die für jeden von uns (ich nehme mich selbst ausdrücklich nicht aus!) bestimmte Verhaltensmuster begünstigen und andere in Schach halten. Deswegen ist es wohl notwendig und richtig, in einer sich dynamisch verändernden Welt immer wieder Verkrustungen und Reformbedarf zu erkennen, zu reflektieren und zu benennen und schließlich von innen oder notfalls außen Strukturen ins Bessere zu wenden. Dann kann sich auch das Edlere und Gütigere in vielen Menschen wieder stärker entfalten. Und davon ist in den Beteiligten oft mehr da, als wir zunächst erkennen können…

  5. Wenn die Ressourcen knapp werden, beginnt das Hauen und Stechen. Aber es sind ja nicht (nur) Fiesheiten unter den Konkurrenten, die sich um Chancen reißen, sondern auch, so kenne ich es persönlich, Fiesheiten von oben herab, von Leuten, die schon besser stehen und eine Stelle haben. Dort wird auch gerne nach unten getreten und gemauert, offenbar, um keinen hochkommen zu lassen, der sich als Konkurrenz erweisen könnte.
    Der Wissenschaft dient das nicht, wissenschaftliche Fähigkeiten sind eher eine Nebenqualifikation für die berufliche Karriere als Wissenschaftler geworden. Die anderen Qualifikationen sind Netzwerken (nicht schlechtes), bestmögliche Anpassung an die bürokratischen Erfordernisse, Taktik und Strategie, im richtigen Moment nicht auffallen, im richtigen Moment auffallen, die gerade aktuellen Methodenmoden mitmachen, um auf der “Höhe der Zeit” zu wirken und anderes mehr.

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