Die polarisierende Macht der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle

Im Gegensatz zur unproduktiven Dauertrollerei auf X habe ich mit Umfragen auf Mastodon bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. So möchte ich nach einer Mastodon-Umfrage zur Neugier auf wissenschaftliche Begriffe eine ganze Reihe starten – heute mit “demografischer Traditionalismusfalle” Folge 1.

In der Mastodon-Umfrage zum Bebloggen religions- und politikwissenschaftlicher Begriffe von Dr. Michael Blume im Dezember 2024 gewann knapp Demografische Traditionalismusfalle (31%) neben Verantwortungsdiffusion (31%), gefolgt von Isothymia (27%). Mit weiterem Abstand folgte Begriffsnetz (12%).

Knapper Gewinner der Mastodon-Umfrage zum Bebloggen wissenschaftlicher Begriffe ist die demografische Traditionalismusfalle. Screenshot: Michael Blume

Fast alle Demokratien und Diktaturen außerhalb Afrikas befinden sich bereits tief in der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle. So starben in Griechenland – dem Land, in dem die Demokratie ihren Namen erhielt – im Jahr 2023 nahezu doppelt so viele Menschen (128.101) wie noch geboren wurden (71.455). Die Folgen für alle Bereiche der Gesellschaft, von der Wirtschaft über die Politik bis zur Kultur, Bildung, Religion, Integration, der Entwicklung von Städten und Dörfern, der Armee usw., sind dramatisch.

Allerdings irrte sich in einer weiteren Mastodon-Umfrage eine absolute Mehrheit von 62% der Antwortenden darin, dass es in Eurasien und den Amerikas gar keine Ausnahme gäbe.

In einer Wissensfrage zur Demografie fragte Dr. Michael Blume auf Mastodon am 14. Dezember 2024: Wie viele eurasische und amerikanische Demokratien gibt es, die eine Geburtenrate über der sog. Bestandserhaltungsgrenze von 2,1 Kindern pro Frau aufweisen? Bis zum Abend stimmten bereits 160 Personen ab. 2% gaben fünf an, 13% drei und 21% die richtige Antwort: eine. 64% meinten, dass es keine gäbe.

Es gibt jedoch derzeit eine kinderreiche Demokratie: Israel hat eine Geburtenrate von knapp über 3 Kindern pro Frau, vor allem aufgrund der nationalreligiösen und ultraorthodoxen Familien. Alle (!) anderen Demokratien außerhalb Afrikas befinden sich bereits in der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle. Sogar die bis vor Kurzem kinderreichen Philippinen sind bereits mit 1,9 unter die sog. Bestandserhaltungsgrenze von 2,1 Geburten pro Frau gefallen. Die langen kinderreichen USA sackten auf unter 1,7, Russland auf unter 1,5 und die Ukraine auf unter 1,3. Zunehmend verzweifelte Gegenmaßnahmen reichen von der Vier-Tage-Woche für Mitarbeitende der Stadtverwaltung in Tokio bis zur Drohung von Wladimir Putin, die “Weigerung, Kinder zu bekommen”, zukünftig zu “bestrafen.”

Und all dies hat selbstverständlich politische, wirtschaftliche, kulturelle und auch militärische Langzeit-Folgen. Schon die biblischen Psalmen beschreiben diesen Zusammenhang, so in Psalm 127, 3-5:

“Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk.
Wie die Pfeile in der Hand eines Starken, also geraten die jungen Knaben.
Wohl dem, der seinen Köcher derselben voll hat!
Sie werden nicht zuschanden, wenn sie mit ihren Feinden handeln im Tor.”

Auf diese Verse bezieht sich übrigens die entschieden pronatale US-evangelikale Quiverfull (“Köcher voll”)-Bewegung.

Während die japanische Bevölkerung bereits mit schnell steigender Tendenz um mehr als 2.000 Menschen pro Tag (!) implodiert, hat Südkorea mit einer Geburtenrate von 0,72 Kindern pro Frau einen Niedrigstand erreicht, der noch zu meinen Studienzeiten als unmöglich galt. Und dennoch bzw. deswegen (!) hatte der gerade abgesetzte Präsident Yoon Suk-Yeol die Präsidentschaftswahlen in Südkorea mit einer antifeministischen Kampagne 2022 gewonnen. Wie erklären sich diese eskalierenden Zahlen und Befunde?

Die "Zahl des Tages" der Stuttgarter Zeitung vom 10. August 2022 vermeldete die Schrumpfung der japanischen Bevölkerung um 726 Tausend Menschen innerhalb nur eines Jahres.Zum 10. August 2022 meldete die Stuttgarter Zeitung als “Zahl des Tages” die Schrumpfung der japanischen Bevölkerung innerhalb eines Jahres um 726.000 Menschen. Mit weiter steigender Tendenz. Foto: Michael Blume 

Steigen wir also doch gerne mal in die Begriffsarbeit ein.

Eine Traditionalismusfalle beschreibt das Verhalten menschlicher Gruppen, sich vor allem aufgrund emotionaler Reaktanz zu lange und unter steigenden Kosten an früher erfolgreichen Traditionen festzuklammern. Aktuelle Beispiele aus der Ökonomie dafür sind fossile Lobbyisten und deutsche Verbrennermotor-Hersteller.

Eine demografische Traditionalismusfalle beschreibt eine Situation, in der sich eine Gesellschaft oder Gruppe so sehr in traditionellen Familienwerten und Praktiken verhaftet hat, dass sich junge Menschen der Familiengründung verweigern und eine eskalierende Bevölkerungsschrumpfung einsetzt. Aktuelle Beispiele dafür sind alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Russland, Iran, Japan, Südkorea und China.

Die säkulare, demografische Traditionalismusfalle beschreibt die Situation am Beginn des 21. Jahrhunderts, in der sich aufgrund der digitalen Medienrevolution Säkularisierung und Individualisierung so massiv verbreitet haben, dass die Geburtenraten weltweit absackten und immer mehr Staaten in die demografische Traditionalismusfalle schlitterten. So ging der schnelle Geburtenrückgang in den USA auch dort mit einer schnellen Säkularisierung einher.

Zwei Asiatinnen schlendern plaudernd an einem Mann vorbei, der grimmig an seinem Laptop sitzt.

Digitale Medialisierung, Säkularisierung und Traditionalismusfalle. Symbolbild durch Michael Blume mit Leonardo.AI, Dezember 2024

In der Ausgabe vom 29. Juni 2024 beschrieb The Economist die säkulare, demografische Traditionalismusfalle in mehreren asiatischen Ländern samt der Eskalation von Frauenfeindlichkeit unter dem Titel “The Manosphere. Meet Asia’s incels and anti-feminists” auf den Seiten 40 und 41.

Berichtet wurde, wie angesichts der Rekord-niedrigen Geburtenraten in Südkorea, Japan und Taiwan die Geschlechter nicht etwa häufiger den Dialog suchten, sondern gegeneinander polarisiert würden. So habe Yoon Suk-Yeol die Präsidentschaftswahl in Südkorea 2022 auch mit dem Versprechen gewonnen, das Ministerium für Gleichberechtigung abzuschaffen.

Denn die traditionellen Familienstrukturen seien so hart gegenüber Frauen, dass diese sich reihenweise der Familiengründung entzögen. Zitiert wird dazu die Südkoreanerin Kim Jina mit der Ansage: “Ich bekämpfe das Patriarchat nicht einmal mehr – ich habe entschieden, es zu verlassen.” Dazu verzichte sie wie immer mehr Südkoreanerinnen nicht nur auf Ehe und Kinder, sondern auch generell auf Dating und Sex mit Männern. Laut einer Regierungsumfrage hielten nur noch 60% der südkoreanischen Männer Ende 20 eine Ehe mit Kindern für “notwendig” – und gar nur noch 34% der gleichaltrigen Frauen.

Gleichzeitig aber lähmten, so der Economist, die bereits schrumpfenden Bevölkerungen die Wirtschaftsentwicklung einschließlich Investitionen und führten zu einer steigenden Arbeitslosigkeit unter jungen, gerade auch formal gebildeten Erwachsenen. Und in dieser angespannten Situation erlebten nun viele heranwachsende Männer die Arbeitsplatz-Konkurrenz durch gleichaltrige, kinderlose und zunehmend gebildete Frauen, die zudem auch keinen Wehrdienst leisten müssten. So wachse die Wut auf den Feminismus und das Narrativ, inzwischen würden eigentlich die Männer gegenüber “Feministinnen” diskriminiert. Anstatt die überkommenen Familienstrukturen gemeinsam zu erneuern, würden also jene Stimmen lauter, die wieder eine Herstellung der früheren, patriarchalen Verhältnisse samt Unterordnung der Frauen forderten – was wiederum den Rückzug von Frauen von Männern verstärke.

Ein eindrucksvolle Beispiel für digital verstärkte Polarisierung hin zum feindseligen Dualismus.

SWR Das Wissen-Bericht von Martin Fritz vom 9.12.2024: "Japans Frauen wehren sich - Erfolge im Kampf für Gleichberechtigung"

Martin Fritz berichtete für SWR Kultur aus Japan: “Japans Frauen wehren sich”, 09.12.2024. Screenshot Audiothek: Michael Blume

Die digitale Medienrevolution führt auch in Europa zu eskalierender Einsamkeit

Bis zurück zu den sog. Venus-Figurinen der Steinzeit beförderte die biokulturelle Evolution jene religiösen Traditionen, die Kinderreichtum mit Sinn und Gemeinschaft unterstützten. Antinatale Religionsgemeinschaften wie etwa die christlichen Shaker gab es durchaus immer wieder auch – aber eben nie wirklich lange. Bisher ist es nur religiösen Traditionen gelungen, die philosophische Frage der Anthropodizee empirisch überzeugend zu beantworten. Schon Jahrzehntausende vor jeder Staatlichkeit hatten Medien von Mythen über Rituale bis zu Figurinen daher eine soziale und pronatale Tendenz.

Um dagegen zu beschreiben, wie gekonnt heutige kommerzielle und oft antisoziale Medien die Neurotransmitter-Schwachstellen unserer Gehirne in Richtung eines säkularen Individualismus verschieben, sprechen und schreiben immer mehr von uns vom Neurohacking. So werden etwa mit schnellen Videos Dopamin und Adrenalin ausgeschüttet, Testosteron gedrosselt und wir werden an die Bildschirme und Smartphones “gefesselt” – ohne jedoch wirkliche, zwischenmenschliche Beziehungen zu erleben. So eskaliert die Einsamkeit der durch die Covid19-Pandemie noch beschleunigten, digitalen Medienrevolution und der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle laut einer europäischen Bertelsmann-Befragung vor allem unter jungen Menschen

“Mehr als die Hälfte der jungen Menschen in der EU fühlt sich einsam. Besonders betroffen sind junge Erwachsene zwischen 18 und 35 in Frankreich: Bei einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung gaben mehr als zwei Drittel (67 Prozent) an, sich moderat oder stark einsam zu fühlen. Auch in Deutschland gilt dies für jede zweite Person. Unter älteren Erwachsenen zwischen 36 und 69 sagt das hier nur etwas mehr als ein Drittel (37 Prozent).”

Die säkulare, demografische Traditionalismusfalle, digitale Thymotisierung und eskalierende Einsamkeit verstärken sich also gegenseitig: Die Familien und Beziehungsnetzwerke schrumpfen, also bleibt mehr Zeit für die Suchtmittel der antisozialen Medien, die nach kurzem, individualisierenden Rausch zu Gefühlen der Isolation und Überforderung führen…

Wir erleben einen medialen, individualisierenden und demografischen Abwärtssog, der rasend schnell immer größere Teile der Menschheit erfasst. Immerhin: Eine feindselige KI-Superintelligenz müsste gar keinen Krieg mehr wie Skynet in “Terminator” (1984) gegen die Menschheit führen – sie könnte die meisten von uns in thymotische KI-Kokons einspinnen und dort vereinsamen und aussterben lassen.

Wie wenige Religionsgemeinschaften der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle entrinnen

Die christlichen Old Order Amish und US-Quiverfulls, die jüdischen Ultraorthodoxen (Haredim) und israelischen Nationalreligiösen gehören zu den bisher wenigen religiösen Traditionen, die durch eigene, scharf abgegrenzte Medien- und Bildungssysteme die demografische Traditionalismusfalle überwunden bzw. umgangen haben und durch Kinderreichtum stark wachsen. Dazu haben sie zum einen die Bedeutung von Ehe und Kindern mit religiösen Zukunftshoffnungen für die Gläubigen und die Welt aufgeladen. Zum anderen schufen sie Netzwerke und Institutionen der Kinderbetreuung, Beschulung und gegenseitigen Unterstützung, die Kinderreichtum sozial und finanziell ermöglichen, ja belohnen. In Nordamerika, Teilen Europas und in Israel, wo über Generationen hinweg Religionsfreiheit geachtet wurde, konnten und können sich damit kinderreiche Religionsgemeinschaften gegen den säkularen Geburtenrückgang organisieren und behaupten. Es zeichnet sich ab: Wenn die Menschheit eine demografische Zukunft findet, dann wird diese auch religiös geprägt sein.

Hörens- und sehenswert dazu ist der humorvolle Song “Andrew Murray” des Wissens-Rappers Baba Brinkman. Wurde dies lange vor allem in Nordamerika und Israel beobachtet, so legte Christoph Bein 2021 an der niederländischen Universität Groningen eine überzeugende Thesis dazu mit dem Titel “Religiosity and Reproductive Decisions in Europe” vor. Ein ambivalentes Beispiel aus Finnland sind auch die evangelisch-lutherischen Laestidianer

Die Grafik aus dem Artikel "Homo religiosus" von 2008 zeigt eine Datenauswertung von Dominik Enste, 2007, wonach Menschen weltweit und auch in Deutschland im Durchschnitt umso mehr Kinder haben, umso öfter sie beten.Religiosität korreliert weltweit mit erhöhten Geburtenraten. Grafik aus Gehirn & Geist 04/2009, “Homo religiosus”, Michael Blume

Meine persönliche Meinung: Unbedingte Freiheit und Geburtenrate um 1,8

Oft erlebe ich, dass Menschen glauben, Forschende zur Evolution und Religionsdemografie würden lehren, dass sich Menschen maximal vermehren und Frauen sich patriarchalen Regeln unterwerfen sollten. Dies ist jedoch definitiv nicht meine Position. Ich weise vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass auch extrem kinderreiche Religionsgemeinschaften nur in säkularen Demokratien unter den Bedingungen von Religionsfreiheit entstehen und bestehen konnten. Theokratische Regime wie im Iran stürzten ihre religiösen Traditionen ebenfalls in die Säkularisierung und demografische Traditionalismusfalle.

Nach meiner Auffassung gehört die Verfügung über den eigenen Körper unbedingt zur Menschenwürde jedes Menschen und damit auch jeder Frau. Deswegen lehne ich jeden pronatalen Zwang ab und befürworte auch das Recht auf Abtreibungen. Wer in einer freiheitlichen Gesellschaft mehr Kinder sehen möchte, hat dies alleine durch die bessere Unterstützung von Familien und insbesondere Müttern anzustreben. Jedes Zurück in eine nur vermeintlich heile Welt von gestern führt auf Irrwege.

Auch halte ich angesichts der Klima- und Wasserkrise ein weiteres, globales Bevölkerungswachstum durchaus für ökologisch problematisch und würde mir etwa für die Europäische Union eine Geburtenrate von etwa 1,8 Kindern pro Frau wünschen. Damit würde die Bevölkerungszahl noch immer um 50+ Millionen Menschen pro Generation schrumpfen, alleine in Deutschland um 10+Millionen. Das wäre immer noch ein Rückgang, allerdings bliebe die wirtschaftliche, kulturelle, politische und, ja, auch militärische Dynamik Europas erhalten, auch könnten Zugewanderte besser integriert werden.

Bei Geburtenraten von unter 1,6 nehme ich eine deutlich nachlassende Investitionsbereitschaft und lahmende Wirtschaft bei gleichzeitig wachsendem Druck auf Altersversorgungs-, Gesundheits- und Pflegesysteme wahr. Zugleich wird es zunehmend schwieriger , dringend benötigte Zuwandernde auch kulturell zu integrieren – zumal jene, die sich darauf einlassen, ebenfalls in den demografischen Abwärtsstrudel geraten. Ob Klimakrise oder Demografie – Verleugnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen bringt Europa sicher nicht weiter.

Aus meiner Sicht sollten demokratische Staaten und die gewählten, demokratischen Parteien zusammen mit wissenschaftlich aufgeklärten Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine lebensbejahende Bildungs- und Familienpolitik entwickeln, die auf der unbedingten Freiheit und Würde aller Menschen, Mitweltschutz, Respekt, Dialog und gegenseitiger Unterstützung auch für künftige Generationen basiert. Eine solche Bildungs- und Familienpolitik der Mitte würde auch der wachsenden Polarisierung zwischen den Geschlechtern, den Generationen sowie zwischen säkular-schrumpfenden und kinderreich-religiösen Milieus moderierend entgegenwirken. Sie wäre dialogisch-regenerativ, freiheitlich, lebensbejahend und Solarpunk.

Aber, nein, ich mache mir da kurzfristig nicht allzu viele Hoffnungen. Große Teile der Menschheit werden die wirtschaftlichen und politischen Folgen der säkularen, demografischen Traditionalismusfalle noch lange im Zeitenumbruch verleugnen. Den wissenschaftlich ebenso gut erforschten Treibhauseffekt und der daraus folgenden Klima- und Wasserkrise tun die meisten von uns ja psychologisch und emotional ja ebenso schwer.

Niemand wird Japan, Südkorea oder Taiwan ein wissenschaftsfeindliches Weltbild attestieren, dennoch überwiegen auch dort noch dualistische Schuldzuweisungen über einen demografisch informierten Dialog. Es wird dauern, dies zu ändern. Und was sind schon unsere Zeitspannen aus der Perspektive von Evolutionsgeschichte?

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

31 Kommentare

  1. Gerade entdeckt: Die heutige Stuttgarter Zeitung berichtet auf S. 1 über eine Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zur Wirtschaftsentwicklung in meinem Heimatland Baden-Württemberg.

    Es ist dies die Bank, bei der ich meine Ausbildung zum Finanzassistenten (Bankkaufmann mit Zusatzmodulen) absolvieren und auch noch im Studium arbeiten durfte.

    Inhaltlich kommt die LBBW leider zu einer düsteren Prognose: „Südwestwirtschaft bleibt im Abschwung“ titelt die StZ.

    Als zentrales Problem erkennt die Bank die starke Export-Abhängigkeit insbesondere der kriselnden Auto-Industrie sowie die Demografie!

    „Die Deglobalisierungstendenzen der Weltwirtschaft sind damit neben der demographischen Alterung das Hauptrisiko für den Standort Baden-Württemberg.“, so der Ökonom Guido Zimmermann.

    So scheiden laut Statistikamt bis 2040 rund 2,6 Millionen der etwa 7,6 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter aus dem Arbeitsleben aus. Da viel zu wenige nachrücken dürften, klafft eine Lücke von hunderttausenden Beschäftigten.“, heißt es auf S. 2 unter der Schlagzeile „Warum der Südwesten schwächelt“ von Hannes Breustedt.

    Derzeit seien 6,4 Millionen Menschen in Baden-Württemberg erwerbstätig, davon aber nur 4,9 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Die BW-Industrie exportierte alleine in 2022 Waren im Wert von 252 Milliarden Euro ins (nichtdeutsche) Ausland. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 54.339 Euro 💶 pro Einwohner liegt BW „um 27 Prozent über EU-Niveau“. Und erfreulich: „Der Anteil der Investitionen in Forschung und Entwicklung liegt mit 5,6 Prozent des BIP deutlich über dem deutschen Durchschnitt (3,1).“

    Leider endet die demographische Dynamik der Studie jedoch bei der Forderung nach mehr „Bildung“ und der, die „Teilzeitquote zu reduzieren und die Arbeitszeiten zu erhöhen.“

    Immer weniger Menschen sollen also, gestützt durch immer bessere Robotik & KI, immer mehr produzieren – während aber die Bevölkerung und Nachfrage nicht nur im Inland, sondern auch weltweit schon immer weiter zurückgeht. Wer soll etwa in 2040 Millionen neuer Autos aus immer mehr Fabriken der Welt kaufen? Immerhin hat Deutschland 🇩🇪🇪🇺 nach der Solarindustrie auch die Zukunft der Elektromobilität und Batterieherstellung nach China 🇨🇳 ausgelagert.

    Und während in Japan 🇯🇵 – siehe oben – die Vier-Tage-Woche ausprobiert wird, um die säkulare Bevölkerungsimplosion abzubremsen, sollen die Familien und Gemeinschaften in BW noch weiter unter Druck gesetzt werden? Um weiteren Überfluss, Erschöpfung und Vereinsamung zu produzieren?

    Ich meine, hier zeigt sich die Misere der säkularen, linear-rationalen Zeitdeutung, die sich wesentlich auf ökonomisches Wachstum beschränkt. Es ist auf Dauer unmöglich, gegen die zunehmend globale, säkulare Bevölkerungsimplosion zu exportieren und zu wachsen.

    Eine dialogisch-regenerative Zeitdeutung würde von den Menschen, ihrem Lebensglück, ihrer Bildung und ihren Geburtenraten her nach neuen Regeln für eine auch, aber nicht nur ökonomische Zukunft des Landes fragen.

    Mir scheint die hohe Quote an Teilzeit-Arbeit und Minijobs in BW kein Ausdruck von Faulheit, sondern von Weisheit zu sein. Immer mehr Menschen suchen schon jetzt über Lohnsteigerungen und das BIP hinaus nach tragfähigen und sinnhaften Lebensentwürfen. Und damit sind sie, so meine ich auch als Familienvater und Solarpunk, schlichtweg der linear-rationalen Zeitdeutung voraus. Hören wir ihnen doch endlich zu!

    • Den Satz mit den Teilzeit- und Minijobs kann ich nicht ganz nachvollziehen.

      Vor allem Frauen arbeiten in Teilzeit, weil die nötige Kinderbetreuung fehlt. In den Minijobs ist m.W. der Anteil von Rentnern und Rentnerinnen recht hoch. Manche Unternehmen haben bestimmte Jobs auf 2-3 Minijobber verteilt.

      Was die Rolle der Religion in Ihrem Hauptpost angeht, so wird sie in der Gesellschaft immer weniger wichtig. Sollen mehr Kinder geboren werden, braucht es Verlässlichkeit vor allem staatlicher Leistungen. Damit meine ich Investitionen in Kitas und Schulen. Da gibt es viel marode Bausubstanz. Das ist nur ein Beispiel.

      Teilzeitarbeit hat auch negative Auswirkungen auf die Altersrente.

      Im Falle einer Scheidung sind Mütter einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt.

      Der Blick in die Vergangenheit hilft auch insofern nicht weiter, weil es die Großfamilie nicht mehr gibt und deren Betreuungsstruktur nicht durch andere Netzwerke im ähnlichen Umfang ersetzt wurde.

      Eltern sehen sich häufig unter Erfolgsdruck. Das pflegeleichte Standardkind gibt es nicht. Kinder, die den Druck spüren, reagieren darauf. Mobbing oder Depressionen stellen für alle Beteiligten eine enorme Belastung dar. Solche Themen werden lieber ausgeblendet und Eltern alleingelassen. Wer die Geburtenrate erhöhen will, sollte nicht einfach darüber hinweggehen.

      Wieviel Freiwilligkeit steckt in den religiösen Geburtenraten? Wie geht man mit Paaren um, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können? Kinderlosigkeit als Stigma?

      • Lieben Dank für Ihre Nachfragen, @Marie H.

        “Vor allem Frauen arbeiten in Teilzeit, weil die nötige Kinderbetreuung fehlt. In den Minijobs ist m.W. der Anteil von Rentnern und Rentnerinnen recht hoch. Manche Unternehmen haben bestimmte Jobs auf 2-3 Minijobber verteilt.”

        Exakt – und gleichzeitig wird Menschen, die in Teilzeit und Minijobs arbeiten, in der zitierten Studie implizit ein Vorwurf gemacht. Ich meine, das passt nicht zusammen – wenn wir wirklich wieder mehr und glücklichere Familien und Gemeinschaften haben wollen, kann dies nicht länger auf ökonomischer Ausbeutung beruhen.

        Und Erfolgsmodelle gibt es ja auch bereits: Gerade erst sprach ich mit einer Friseurmeisterin, die ihren eigenen Salon längst weiterverkauft hat und jetzt im Alter aber gerne noch etwas dazuverdient. Das würde ich schon anders bewerten als zum Beispiel die Situation einer alleinerziehenden Mutter, die einerseits auf mehr Einkommen für sich und ihre Kinder angewiesen wäre, aber mangels verlässlicher Kinderbetreuung gar nicht mehr arbeiten kann. Hier braucht es m.E. ein gesellschaftlich und ökonomisch neues Denken.

        “Was die Rolle der Religion in Ihrem Hauptpost angeht, so wird sie in der Gesellschaft immer weniger wichtig.

        Ganz genau – wie gebloggt verstärken sich Individualisierung, Säkularisierung und Bevölkerungsimplosion gegenseitig. In der Folge lösen sich säkulare Milieus demografisch auf, wogegen kinderreiche, bisweilen dualistische Religionsgemeinschaften das Ruder übernehmen. Ich finde, wir sollten dieser religionsdemografischen Polarisierung nicht länger abwartend und tatenlos zuschauen.

        Sollen mehr Kinder geboren werden, braucht es Verlässlichkeit vor allem staatlicher Leistungen. Damit meine ich Investitionen in Kitas und Schulen. Da gibt es viel marode Bausubstanz. Das ist nur ein Beispiel.”

        Dazu von mir volle Zustimmung! Noch haben wir die Chance, aus der säkularen Traditionalismusfalle und Bevölkerungsimplosion zu entkommen, wenn wir Investitionen in Familien und Kinder als Zukunftsinvestitionen anerkennen. Stattdessen werden sie jedoch oft als lästige Ansprüche abgetan, die andere ja erst “erwirtschaften” müssten. Es sollte sich herumsprechen: In implodierenden Gesellschaften gibt es kein Wirtschaftswachstum und auch keine Stabilität der Altersversorgung und Gesundheitssysteme mehr. Wer die Belange von Familien und Kindern zurückstellt, nimmt wachsende Zukunfts-Schäden in Kauf.

        “Teilzeitarbeit hat auch negative Auswirkungen auf die Altersrente.”

        Und dies doch vor allem deshalb, weil der Grund vieler Teilzeit-Anstellungen – die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen – rentenrechtlich viel zu wenig anerkannt wird. Gleichzeitig erbringt der Staat die entsprechenden Bildungs- und Betreuungsangebote nicht verlässlich und kostengünstig genug. Die Folge: Wer sich wirklich um seine Familie kümmert, verliert direktes Einkommen und dann auch noch Ansprüche an die Altersversorgung.

        “Im Falle einer Scheidung sind Mütter einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt.”

        Genau das. Viele Männer fühlen sich wiederum von Unterhaltsverpflichtungen bedroht. Ein Ergebnis daraus ist – immer mehr jüngere Menschen lassen sich gar nicht mehr auf den einzigen Vertrag ein, der nicht mehr aufgelöst werden kann – auf das Gebären und Aufziehen von Kindern.

        “Der Blick in die Vergangenheit hilft auch insofern nicht weiter, weil es die Großfamilie nicht mehr gibt und deren Betreuungsstruktur nicht durch andere Netzwerke im ähnlichen Umfang ersetzt wurde.”

        Ja, das ist eine sehr gute Umschreibung der demografischen Traditionalismusfalle! 👍

        “Eltern sehen sich häufig unter Erfolgsdruck. Das pflegeleichte Standardkind gibt es nicht. Kinder, die den Druck spüren, reagieren darauf. Mobbing oder Depressionen stellen für alle Beteiligten eine enorme Belastung dar. Solche Themen werden lieber ausgeblendet und Eltern alleingelassen. Wer die Geburtenrate erhöhen will, sollte nicht einfach darüber hinweggehen.”

        Ganz genau so ist es! Heute wird das Aufziehen von Kindern noch oft als ein “Privatvergnügen” gedeutet und auch ich kriege etwa bei Terminkollisionen oder Finanzfragen immer mal wieder zu hören: “Selber Schuld, Ihr wolltet ja drei Kinder!”. Eine wirklich lebensbejahende Kultur und Gesellschaft betrachtet Familie als Zukunfts- und Wertschöpfende, die mehr Verständnis und Unterstützung verdienen.

        “Wieviel Freiwilligkeit steckt in den religiösen Geburtenraten?”

        Nach meiner Erfahrung: Wenig – und ich habe ja kostenfrei zugängliche sciebooks etwa über die Old Order Amish und die Haredim vorgelegt:

        https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/juedische-charedim-christliche-amish-zwei-sciebooks-kostenfrei-als-pdf/

        Über den direkten, sozial-religiösen Druck hinaus sehe ich bei vielen Traditionen den Bildungshack, eigene, vom allgemeinen Schulsystem möglichst abgekoppelte Inhalte zu vermitteln. Dadurch erwerben die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann Spezialsprachen und Kenntnisse etwa in Amish-Landwirtschaft oder spezialisiertem Talmud-Wissen, die aber außerhalb der Gemeinschaften kaum anwendbar wären. Wenn sie sich für ein Verlassen der strengen und kinderreichen Glaubensgemeinschaft entscheiden, verlieren sie also nicht nur massiv an sozialen Beziehungen, sondern auch an Zukunftsperspektiven.

        Das ist übrigens ein Grund, warum ich Home Schooling sehr kritisch sehe. Gerade auch die US-Quiverfull-Bewegung ist ein Beispiel für kinderreiche Gegengesellschaften, die so entstehen können.

        “Wie geht man mit Paaren um, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können? Kinderlosigkeit als Stigma?”

        Bei aller Pronatalität ist den meisten religiösen Traditionen das Thema sehr wohl bewusst, zumal auch einflussreiche Geistliche wie etwa Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902 – 1994) oder der islamische Hizmet-Begründer Fethullah Gülen (1941 – 2024) zeitlebens kinderlos blieben. In den meisten kinderreichen Religionsgemeinschaften haben sich dafür Ausnahmerollen gefunden, etwa als spiritueller Lehrer oder kinderlose Lehrerin (so bei den Amish, bei der eine werdende Mutter den Beruf sogar aufgeben muss, andererseits auch ältere Lehrerinnen sehr geschätzt werden).

        Dass nun der russische Thymokrat und Diktator Wladimir Putin Kinderlosen mit staatlichen Strafen (!) droht, dass auch in Argentinien und den USA die reproduktiven Rechte von Frauen bereits wieder eingeschränkt werden, finde ich sehr beunruhigend. Wenn wir ein weiteres, auch demografisches Abrutschen in den Rechtsdualismus verhindern wollen, dann brauchen wir dringend ein politisch wie öffentlich breiteres Bewusstsein für die Bedeutung und die wissenschaftlichen Erkenntnisse der religiösen wie säkularen Demographie!

        Ihnen, @Marie H., herzlichen Dank für die guten und anregenden Fragen! 😊📚🙏

        • Ein herzliches Dankeschön für die ausführliche Antwort.

          Als Quereinsteigerin habe ich 10 Jahre bis 2023 in der Verlässlichen Grundschule gearbeitet. Dadurch sind mir einige Probleme in Bildung und Betreuung bekannt. Verlässlichkeit in der Betreuung von Kindern wird immer schwierig sein. Auch Erzieherinnen und Betreuungskräfte werden manchmal krank. Die Träger der Kitas, Horte und sonstiger Betreuung stehen fast alle vor dem Problem mit den Kosten, die dann nicht durch die Gebühren und staatliche Zuschüsse gedeckt sind.

          Als meine beiden Kinder im Grundschulalter waren, hätte ich sie übrigens nur in der VGS anmelden können, wäre ich berufstätig gewesen. Die häusliche Pflege meines Mannes zählte nicht dazu.

          Es waren nicht immer einfache Zeiten. Doch meine Töchter und mich hat diese Zeit zusammengeschweißt.

          • Vielen Dank meinerseits, @Marie H. 🙏

            Denn nach der noch vorherrschenden, ökonomischen Logik ist das Aufziehen von Kindern „Privatvergnügen“ und auch die Pflege Ihres Mannes ging kaum ins „Bruttosozialprodukt“ ein, da „häuslich“. Auch etwa ehrenamtliches Engagement in Kirchen oder Vereinen wird entwertet.

            Und ich kann einfach nicht erkennen, dass dieses linear-„rationale“ Denken sowohl in seiner kapitalistischen wie sozialistischen Ausprägung nachhaltig sein soll. Es scheint mir klar zu sein, dass aus dieser ökonomisch getriebenen Verantwortungsdiffusion die Auflösung von Familien, Gemeinschaften und schließlich Gesellschaften folgt. Das würde auch erklären, warum sich die säkulare, demographische Traditionalismusfalle so schnell global ausbreitet. In China 🇨🇳 wurde sogar lange die Ein-Kind-Politik staatlich forciert, um die Kommunistische Partei an der Macht zu halten!

            Auch mir fällt es immer wieder schwer, nicht in diese Denkgewohnheiten zu verfallen. Meine Kinder „helfen“ mir dabei, weil sie mir täglich zeigen, dass sie nicht nur „kosten“, sondern Sinn geben.

  2. Um mal mit einer etwas zartfühlenderen Argumentation zu ähnlichen Schlussfolgerungen zu kommen…

    A) wir sparen Kitas und Schulen kaputt, wollen nur noch fertig ausgebildete Import-Kinder nach dem Abitur aus Afrika schnorren, aber nur, wenn’s schneeweiße nichtjüdische, nichtmuslimische biodeutsche Arier sind, B), wir jubeln wie die Schneekönige, wann immer wir einen Migranten abschieben können, denn das großmächtige Europa zittert beim Gedanken, seine eigene Haut vor Putins Armee zu schützen, aber beim Wehrlose klatschen kann jeder der Held sein, C) wir vergraulen selbst die Fachkräfte, die dumm genug sind, sich zu uns zu wagen. Ich sehe hier keine Individualismus-Falle, nur Gier, Geiz, Faulheit, Rassismus und wirtschaftliche Inkompetenz. Lauter Pack, das nur jaulen und pöbeln kann, weil’s alles will, nix dafür tut und sich dann wundert, dass der ganze Slum auseinander fällt, statt dem Führerbefehl der demokratischen Mehrheit zu folgen.

    Dass Pack, das zu widerlich ist, es Frauen zuzumuten, erst mal auf Vergewaltigung zurückgreift, statt an seinem Charakter zu arbeiten, ist halt nicht nur bei Taliban oder Hamas Standard. Ich danke Gott für den Individualismus-Fetischismus des Westens, denn hier dürfen die Frauen wenigstens individuell entscheiden, ob sie Ja oder Nein sagen. Noch.

    Individualismus heißt erst mal, dass der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Neigungen ernst genommen wird. Und das heißt auch, man braucht ein besseres Angebot, ihn zu überzeugen. Lay back and think of England, Soldaten für den Führer, das war gestern. Fortpflanzung durch Erpressung, bei der Ehe und Kinder zur Versorgung der Eltern nötig waren, gilt nicht mehr in der alten Form – die Gesellschaft braucht immer noch Kinder, das Individuum nicht, wir haben einen klaren Verkäufermarkt, Angebotsverknappung treibt die Preise hoch.

    Und in diesem Falle – finde ich das super. Wenn ihr den Frauen, den Eltern, kein anständiges Angebot machen könnt, wenn ihr erwartet, dass sie euch Sklaven zum Verrecken im Krieg, Renditen zahlen, Hintern abwischen einfach so in den Rachen werfen, auf eigene Kosten fertig ausgebildet, abgerichtet, stubenrein, arisch und frisch gebleicht – Pech gehabt. Entweder ihr zahlt, was der Markt fordert, oder ihr verendet im eigenen Dreck, vermissen wird euch keiner. Wenn ihr euch eure individuelle Freiheit schnorren wollt, dann dürfen das alle anderen auch. Wenn einige von euch Schmarotzern sie aufgeben, sich für ein Leben lang den Mühen einer Familie widmen sollen – dann lebt ihr Schmarotzer auch alle von dieser Familie. Also löhnt auch dafür, genau wie es Vater und Mutter tun. Und löhnt das, was sie verlangen, nicht das, was euch genehm ist.

    Unser Wirtschaftssystem wird das nicht packen. Uns fehlt sogar die Mindestintelligenz zu erkennen, dass Häuser nicht deswegen fehlen, weil das Geld fehlt, sondern dass sie fehlen, weil wir sie nicht bauen. Der Kapitalismus druckt Geld für Güter und Dienstleistungen, der Antikapitalismus druckt Geld statt Güter und Dienstleistungen, der Kapitalismus backt und verkauft Brot, der Antikapitalismus jault, weil man Geld nicht fressen kann. Wenigstens kann man sich mit dem Papiergeld selbst den Hintern abwischen, ein Teil des Pflegenotstands hat sich erledigt.

    Wirtschaft ist immer Bauernhof, eine Frage der Organisation. Wenn der Bauer Gutscheine für Brot und Milch ausgibt, ist das prima, da können sich die Leute damit kaufen, was sie wollen. Wenn aber vor lauter Gutscheinen die Arbeit im Feld und im Kuhstall ruht, wenn alle nur noch schuften, um mit der Mistgabel Gutscheine auf große Haufen zu schaufeln, hat das Ganze einfach keinen Sinn mehr. Doch wenn wir keinen anderen Bauernhof finden, ist die Folge Dienst nach Vorschrift – wir ziehen uns, so weit es geht, ins Private zurück. Ins Individuelle.

    Auch religiöse Gemeinschaften sind eine Form des Rückzugs. Und es gibt auch Sonderfälle, Israel wetteifert [wegen unangemesser Formulierungen gekürzt, M.B.] als die arabische Konkurrenz. Wettbewerb schleift alles zur überspezialisierten Perfektion. Was man sich da abgucken kann, ist, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen: Eine Gemeinschaft, die sich die Mühen und Kosten teilt.

    Weder Gott noch Geld noch Eltern noch Kinder sind die Nutte, die für uns anschaffen geht. Wir sind alle viel zu selbstherrlich und anspruchsvoll. Aber Eltern und Kinder sind wichtig genug, um ihnen da mehr entgegen zu kommen, als sie einem entgegenkommen müssten.

    • Meine Güte, @Paul S. – ob Ihre oft allzu thymotischen Formulierungen zu sachlichen Dialogen führen, wage ich doch zu bezweifeln. Vor allem, wenn es um Deutschland, Putin und Israel geht, gehen Sie oft bis über die Grenzen des Angemessenen. Der sprachliche Vorschlaghammer ist aber nicht als Handwerkszeug für alles geeignet.

      Gleichzeitig möchte ich einigen Ihrer Ausführungen aus der Perspektive der evolutionären Spieltheorie zustimmen: Es ist m.E. unverzichtbar, dass alle Menschen – und also auch: alle Frauen – selbst das Recht haben, über ihre Körper zu bestimmen. Damit sah und sieht es selbst in der Europäischen Union nicht gut genug aus – wie der Frankreich schockierende Prozess durch die heldenhafte Gisele Pelicot gegen männliche Massenvergewaltigungen unter dem Einsatz von Drogen gerade der Welt zeigt. Und nicht nur in Avignon wird dazu noch viel aufzuklären sein, wie Recherchen von Strg_F nahelegen:

      “Internationales Netzwerk von Vergewaltigern aufgedeckt

      Auf Telegram haben sich einer Recherche von “Strg_F” zufolge Tausende über Betäubungen und Vergewaltigungen ausgetauscht. Unter ihnen sind auch Deutsche.”

      https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-12/vergewaltigung-telegram-strg-f-netzwerk

      Gleichzeitig haben wir aber das ebenfalls spieltheoretische Problem, dass die linear-rationalen Zeit- und Wirtschaftsmodelle verstärkt durch Digitalisierung und Säkularisierung Familien und liberale Religionsgemeinschaften geradezu zertrümmern. Und davon profitieren dann wiederum vor allem rechtsdualistische Hetzer.

      Ich bin mir recht sicher, dass kommende Generationen ziemlich fassungslos auf die Jahrzehnte am Beginn des 21. Jahrhunderts blicken werden, in denen sich die Menschheit fast kollektiv den Erkenntnissen sowohl der Klimaforschung wie auch der Demografie verweigerte, um den Zeitenumbruch zu einem dialogisch-regenerativen Zeitverständnis noch ein wenig zu verzögern…

  3. Sehr geehrter @Michael,

    Gut das man darüber redet und den Dialog über die wichtigen Themen verbreitet. Frohe Botschaft sozusagen, es gibt einen Weg aus der Sackgasse.

    Ich hatte in den letzten Tagen leider ein sehr mieses Erlebnis, was glaube ich auch ganz gut zum Thema passt. Ich habe mit meiner Tochter über Schnee geredet und darüber, das in unserer Gegend ein Winter wie in meiner Kindheit oder gar derer meiner Eltern, nicht mehr vorkommen wird. Also, kein Schnee mehr. Sie hat daraufhin geweint und war Sauer auf die Zitat “Blede Hitze”. Als ich das im laufe der Woche verschiedenen Menschen erzählte kam von einer älteren Dame nach längerem Gespräch “Das Klima ändert sich ja immer”. Auch wenn ich dies schon öfters gehört habe und weiß Gott eher Geduldig bin, so hat es mich doch tatsächlich wütend gemacht. Diese Verantwortungslosigkeit in meiner direkten Umgebung, auch im Freundeskreis, macht mich echt Sauer. Ähnlich wie bei meiner Tochter. Huuuuu. So, jetzt aber mal noch den Bogen schnell schaffen.

    Dieses verweigern geht so tief, das ich immer mehr das Gefühl habe das das Universium 25, auch wenn es mit Mäusen durchgeführt wurde, wohl mehr zutrifft als ich jemals gedacht habe. Obwohl wir einen gesegneten Verstand haben und all die Macht der Schöpfung in uns fliest, wird es einfach zur Seite geschoben. In diesem Sinne, wäre vielleicht eine Verbindung zu den alten Sozial Experimenten aus der Tierwelt angebracht, auch gerade mit der Thymotisierung? So hat ja auch John B. Calhoun gemeint, man solle einerseits das nicht allzu sehr ein zu eins umsetzen (Wäre auch Irrsinn) und das gerade durch Computer die soziale Isolation gebrochen werden kann.

    Jetzt passiert es aber, das wir durch das Verbindende Netz eingesponnen werden um von der Spinne der Techkonzerne ausgenuckelt werden.

    Also, genau das Gegenteil trifft nun zu, anstatt Heilmittel für ein Problem, verschärft es es sogar. Wobei das Fediversium ja auch das Gegenteil repräsentiert. Zum Schluss, bei den Mäusen traf es das Balz, partnerpflege und sexual Verhalten, die höchsten sozialen kognitiven Fähigkeiten. Was ist bei uns Menschen das höchste Kognitive Verhalten? Vielleicht der Glaube und die Gedankenkraft in Kombination von sozialem Aufbau?

    Entschuldigung für die vielen Fragen und das ich dich mit dem alten Experiment belästige, aber es lässt mir keine Ruhe.

    Es gibt in meinem Heimatland eine kleine Gruppe, die von den Politologen “Erzkatholiken” genannt werden. Sind anscheinend um die 2000 Leute, aber fruchtbar und aufnahmefreudig. Vielleicht sieht es in Österreich in knapp Hundert Jahren ähnlich aus wie heute in Israel. Die Ultraorthodoxen haben ja meines Wissens mit 40000 Leuten ihre Existenz in Israel begonnen und haben sich dank einem guten Nährboden entwickelt.

    Was ja zur nächsten Frage kommt: Wenn man jetzt nach dem Demokratiesegen gehen würde, müsste dieser zwar einerseits Säkularisierung ermöglichen, doch mit der anderen Hand Religiösen, Weltlich abgewandten Gruppen die Möglichkeit geben in frieden wachsen zu können. Denn die Haredim hätten nicht lange überlebt, wären sie nicht von den anderen Jüdischen Gruppen und Christlichen, Muslimischen und Drusischen Israelis beschützt worden. das gleiche bei den Amish die durch die Rechte die ihnen gegeben wurden ja erst so fruchtbar werden konnten. In Kombination von Medizin, Verpflegung und auch Impfwänden (also Herden Immunität durch viele andere Mitbürger).

    Ich ende meinen viel zu langen Kommentar mit folgendem Schluss den ich ziehen kann:

    Reine Traditionen sind Mist (im positivsten möglichen Sinne 🙂 ) und daraus kann nur etwas schönes wachsen wenn Glaube (Orthopraxie?), Liebe (Kinder als Segen und nicht als Plage oder Arbeiter) und Hoffnung (Solarpunk?) dazu kommt.

    Danke noch einmal für deine Beiträge, du bestärkst mich darin, das es nicht umsonst ist meine Mitmenschen darauf hinzuweisen, das wir es besser hinbringen können.

    • Lieben Dank, @Berthold

      Bin heute morgen in Gedanken bei den Opfern von Magdeburg. Das morgendliche „Tässle Kaffee ☕️“ ging heute einfach nicht.

      https://sueden.social/@BlumeEvolution/113689225047012487

      Ja, unsere menschliche Psyche ist derzeit medial überfordert und viele, zu viele suchen Zuflucht in Hass (feindseligem Dualismus) und Tyrannophilie. Dass es den meisten Menschen schwer fällt, gleichzeitig die Klimakrise und die säkulare Bevölkerungsimplosion zu verarbeiten, finde ich völlig nachvollziehbar. Es ist die Stunde von Megalothymia, Rechtsdualismus und digitalen Oligarchen wie Elon Musk.

      Das bisweilen noch und wieder religiöse, immer aber existenzielle „Dennoch“, das ich auch in Deinem Druko wahrnehme, scheint mir für die kommenden Jahrzehnte entscheidend zu werden. Wir erleben den Zusammenbruch der linear-rationalen Zwitverheißung, ohne die neue, dialogisch-regenerative Zeit schon zu kennen. Und selbst wenn wir ein Scheitern nicht ausschließen können, so sollten wir es doch mit Herz und Verstand versucht haben!

  4. Die Nachteile von geringeren Geburtenraten können kompensiert werden durch
    halbintelligente Roboter, die fast alle Arbeiten machen können,
    und effektive lebensverlängernde medizinische Innovationen.
    Die Vorteile von geringeren Geburtenraten sind
    geringerer Energie- und Rohstoffverbrauch,
    und geringere Umweltbelastung.
    Nach drei Halbierungs-Generationen haben wir ein Wohlstandsparadies
    mit einer Milliarde Einwohnern,
    und mit dem achtfachen Reichtum an allem.

    • Danke für den Druko, @Karl Bednarik

      Emotional kann ich die säkulare, linear-rationale Zeitverheißung völlig nachvollziehen – Technologien würden alle Probleme lösen, es wird weniger Menschen geben, aber alles werde “von alleine” gut.

      Als Wissenschaftler kann ich uns aber – zumal am Morgen nach dem Anschlag gegen den Weihnachtsmarkt von Magdeburg – nicht einige unbequeme Erkenntnisse vorenthalten, die darauf hinweisen, dass es so einfach nicht wird.

      – 2024 war in Deutschland ein weiteres Temperatur-Rekordjahr, mit zunehmenden Extremwettern und Veränderungen der Wasserkreisläufe.
      – Die Beiträge für Gesundheit und Pflege steigen bereits massiv.
      – Eine hohe Zahl von Menschen wird via Dopamin und Adrenalin digital empörungssüchtig, wütend und einsam, bisweilen sogar radikal und gewalttätig.
      – Bisher werden demografisch implodierende Gesellschaften eher nicht generell friedlich, sondern oft thymotisch und bisweilen wie in Russland, China und Iran zu gewalttätigen Altherren-Regimen.
      – Medien- und Tech-Milliardäre wie Elon Musk erwecken bislang nicht den Eindruck, ein Paradies für alle erschaffen zu wollen, sondern eher einen feindseligen Dualismus.

      Ich schließe nicht aus, dass es besser und sogar sehr gut werden kann. Aber ich schließe aus, dass dies ohne sehr viele bewusste und kluge Entscheidungen geschehen wird. Die Verheißungen der alten und neuen Zeiten erfüllen sich nicht von alleine, auch nicht durch Technologie.

      Ihnen gute und besinnliche Feiertage!

      • Hallo Michael Blume.
        Erich Kästner sagte: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.”
        Man benötigt dafür Techniker mit innovativen Ideen,
        die sie dann auch in der Praxis anwenden.
        -Die Klimaveränderungen hängen vom Verbrauch fossiler Energieträger ab,
        und die technischen Lösungen für erneuerbare Energien gibt es schon.
        -Die Beiträge für Gesundheit und Pflege werden an Menschen ausgezahlt,
        in Japan gibt es bereits Krankenpflege-Roboter.
        -Kultivierte Menschen reagieren ihre Aggressionen in Ego-Shootern ab.
        Für den winzigen Anteil der gewalttätigen Spinner gibt es die Polizei.
        -Es gibt kein Naturgesetz, dass demografisch implodierende Gesellschaften
        höhere Aggressivität entwickeln müssen, als andere Gesellschaften.
        Eine Frau in der Schweiz hat durchschnittlich 1,33 Kinder.
        Jeder Schweizer hat einen Platz in einem Bunker.
        Über die Aggressivität der Schweizer ist wenig bekannt.
        Es gibt auch alte, weise Herren, die demokratisch gewählt werden.
        -Die Abfallprodukte von reichen Innovatoren kommen sehr oft allen Menschen
        zugute. Zum Beispiel Bill Gates, Microsoft, Stiftung, und Spenden.
        Von alleine geschieht im Universum nur die Entropie.
        —–
        Advent-Animation:
        http://s880616556.online.de/ADVKRA-2.gif
        Weihnacht-Animation:
        http://s880616556.online.de/BAUMUF.gif

        • @Karl Bednarik

          Auch bereits bestehende Technologien müssen von Menschen angenommen werden – doch obwohl es das Fediversum längst gibt, füttern noch immer Millionen die Datensilos digitaler Oligarchen.

          Und gerade auch Japan experimentiert jetzt mit der Vier-Tage-Woche, um den Zerfall der Familien abzubremsen. Das ist ja nun keine technologische, sondern eine rechtliche und kulturelle Innovation.

          • Es ist die freie Entscheidung jedes Menschen, welche
            Art und welche Menge an Technologien er verwenden will.
            Günstig dabei ist es, dass es bereits viele Technologien gibt,
            und dass ihre Anzahl und ihre Qualität immer höher wird.
            Die Anzahl der technik-nutzenden Menschen wirkt sich
            dann auch auf die demokratischen Wahlentscheidungen aus.
            —–
            Es gibt Menschen, die auf das Verhalten
            anderer Menschen einwirken wollen.
            Es gibt Menschen, die auf das Verhalten
            der Materie einwirken wollen.
            Die letzteren sind die Techniker, und diese haben
            ein anderes Diskussions- und Aggressions-Verhalten,
            weil sie einen nicht-menschlichen “Gegner” haben.
            Politische Strömungen zu beeinflussen, oder einen
            Kernfusionsreaktor zu bauen, beides ist schwierig.
            —–
            2000 Jahre Politik, Philosophie, und Religionen,
            200 Jahre Naturwissenschaft, Technik, und Medizin,
            die letzten 200 Jahre haben die Lebensqualität der
            Menschen deutlicher erhöht, als die 2000 Jahre davor.

          • Danke, @Karl Bednarik – und wenn ich Ihnen auch weitgehend zustimme, dann doch nicht ganz.

            Viele technologische Produkte wie synthetische Drogen (Biohacking) oder digitale, antisoziale Medien wie Tiktok oder X (Neurohacking) machen Menschen durch die Manipulation von Dopamin, Adrenalin und Testosteron gezielt abhängig. Sie greifen damit direkt die menschliche Freiheit an, die Sie beschwören.

            Menschen haben eben nicht nur Vernunft (Logos), sondern auch starke Emotionen (Thymos). Das zu verstehen ist gerade auch für die Bewertung von Technologien entscheidend!

      • Bisher werden demografisch implodierende Gesellschaften eher nicht generell friedlich, sondern oft thymotisch und bisweilen wie in Russland, China und Iran zu gewalttätigen Altherren-Regimen.

        Dazu fällt mir ein, dass ich vor einigen Jahren einen fast gegensätzlichen Erklärungsansatz für die Entstehung kriegerischer Auseinandersetzungen gelesen habe:

        In Gesellschaften mit tatsächlicher Alterpyramide sei der Verdrängungswettbewerb der jungen Generation um Arbeitsplätze und Wohlstand so gross, dass sich gerade junge Männer umso eher vor unterschiedliche Agressorenkarren spannen ließen.
        Weniger Platz auf dem Arbeitsmarkt, da geht man umso eher ins Militär.

        Ich finde die Quelle dazu leider nicht, weil ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wo ich das gelesen habe oder wer der Verfasser war.
        Wenn ich mir das nicht versehentlich einbilde, dann kam der Erklärungsansatz aus einer soziologischen Richtung.
        Ist sicherlich bereits mehr als 10 Jahre her.
        Vielleicht noch deutlich älter, denn ich bin jetzt 40 und kann das auch schon vor 20 Jahren aufgeschnappt haben.

        Dass wir einen Mittelweg zwischen Schrumpfung und daraus irgendwann folgender Selbstauflösung einerseits, und drastischem Bevölkerungswachstum bei Geburtenraten > 3 andererseits benötigen, ergibt sich aber nicht nur aus den beiden oben genannten gegensätzlichen Positionen.

        Auch die Tatsache, dass hohe Geburtenraten schlussendlich mindestens zu einem Platzproblem führen müssen (Nahrungsmittel- und sonstige Ressourcenknappheiten mal aussen vor gelassen), spricht für eine idealerweise global verwaltete (und mehrheitlich akzeptierte!) Obergrenze.

        Meine Hoffnung ist, dass solch eine Obergrenze positiven Einfluss auf unsere bisherigen Formen der Auseinandersetzung bzw. Konfliktführung nehmen könnte.
        Wenn der Reproduktionsmotor keine Soldaten mehr herstellt, versiegt die Möglichkeit, Armeen auszuheben und sich mithilfe junger, resignierter Männer einen Machtzuwachs auf der Welt erkämpfen zu lassen.

        Aber warscheinlich wird das auf der anderen Seite dann erst recht zur Entwicklung von Kampfrobotern führen…
        Au weia!
        Es sieht beinahe hoffnungslos aus.
        🙁

  5. Vor ein paar Jahren wurde in „Bild der Wissenschaft“ ein auf lange Sicht positives Bild der schrumpfenden Bevölkerungszahl in Deutschland gezeichnet. Wir haben jetzt das Problem das wir noch nicht durch den Flaschenhals durch sind. Die Kinder meines Schulpflichtigen Neffen werden in keiner überalternden Gesellschaft mehr leben und eine geringere Anzahl von Menschen wird sich positiv auf unsere Umwelt auswirken.
    Da die deutsche Autoindustrie dabei ist den Fehler von KODAK zu wiederholen (Erfindung der Digitalkamera 1975 um diese dann nicht zu bauen) ,werden wohl in Zukunft viele Arbeitskräfte in näherer Zukunft ihren Job verlieren. Auch ein Freund von mir der bei einem Autozulieferer arbeitet ist momentan in Kurzarbeit und bangt um sein Einkommen.
    Es werden also erst mal genug Menschen da sein um den Fachkräftemangel an anderer Stelle auszugleichen, man muss sich halt die Mühe machen die auszubilden.
    Auch ich war in einer solchen Falle und habe meinen Beruf des Druckers an den Nagel gehängt und eine Ausbildung im Sozialen Bereich begonnen und bin nun seit November Fachkraft in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. -Die Beste Entscheidung meines Leben.
    Deutschland muss sich neu definieren! Wir können doch mehr als altertümliche Verbrenner bauen.
    Kleine Anmerkung noch: Der Nabel der Weltweiten Open-Source Bewegung liegt in Deutschland.

    • Vielen Dank für den inhaltlich starken und erfreulich ermutigenden Druko, @Dave Lister 🙏📚👍

      Ich sehe in Ihrem Beitrag auch ein weiteres Anzeichen für die Beobachtung, dass das Lesen wissenschaftlicher Zeitschriften nicht nur interessant ist, sondern auch resilient macht.

      Und, ja, in der wissenschaftlichen Demografie überwog bis vor wenigen Jahren noch die post-malthusianische Überzeugung, der säkulare Geburtenrückgang unter die Bestandserhaltung sei nur eine Pendelbewegung. Bis heute liegen daher auch fast alle Bevölkerungsprognosen viel zu hoch.

      Der sogar beschleunigte Geburteneinbruch in China, Japan und vor allem Südkorea verstört immer noch. Denn wie andere empirische Wissenschaften basiert ja auch die Demografie vor allem auf historischen Daten – und so eine global um sich greifende Bevölkerungsimplosion war einfach noch nicht geschehen. Wir sind jetzt auf Neuland und die digitalen, zunehmend KI-gestützten Medien hacken unsere Neurobiologie. AI-Girlf(r)iends statt echter Beziehungen gefällig?

      Ist das ein „Flaschenhals“, aus dem wir als Menschheit auch wieder herausfinden? Ich will es hoffen und das Meine dazu tun.

      Danke auch für Ihren starken und berechtigten Appell, realistisch früh nach neuen Berufen zu schauen. Denn ja, Soziales, Inklusion und Bildung werden auch weiterhin gebraucht – industrielle Massenfertigung gerät durch Demografie, Deglobalisierung und Robotik gleich dreifach unter Druck.

      Ihnen frohe Feiertage, ich lese Sie gerne! 🙌

  6. Ich knüpfe bei den Nachfragen und Überlegungen von @Marie H an.
    „Sollen mehr Kinder geboren werden, braucht es Verlässlichkeit vor allem staatlicher Leistungen. Damit meine ich Investitionen in Kitas und Schulen.“

    Das ist genau der Punkt, in dem unser politisches System versagt. Investitionen in Bildung, in Schulen, in Lehrerausbildung, in Fachkräfte für Betreuung von Kindern mit einer hohen Verlässlichkeit. Wenn Eltern, insbesondere Mütter sicher sind, dass ihre Kinder verlässlich betreut werden, werden sie auch mehr arbeiten können und dann vielleicht auch bereit sein, ein zweites oder drittes Kind zu bekommen.
    Wenn die regierenden Parteien keine Einsicht haben in den gravierenden demographischen Wandel und es verpassen, eine familienfördernde Politik zu betreiben, dann wird die demographische Implosion fortschreiten. Familien brauchen bezahlbaren Wohnraum und sie brauchen Zeit für ihre Kinder.

    Über viele Jahre war ich alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, ich weiß, was das heißt. Ich weiß auch genau, was die Ausbildung von Kindern kostet. Ich habe über 40 Jahre in meinem Beruf bis zu meinem 65. Lebensjahr gearbeitet und habe eigentlich unablässig in meine Kinder investiert – eine gute Investition!

    Eine Hinwendung der Familien zu Religionsgemeinschaften oder Kirchen, sehe ich nicht. Der Staat trägt hier eine sehr hohe Verantwortung.

    Wenn immer nur dort investiert wird, wo der Gewinn zeitnah in klingender Münze erfolgt, wird die Transformation nicht gelingen.

    —————————

    Mein tiefes Mitgefühl gilt den durch den Anschlag betroffenen Familien in Magdeburg.

    • Ja, @Elisabeth K. – der Beobachtung aus Deiner Lebens- und Berufserfahrung kann ich sehr zustimmen!

      Bisher wurde in Deutschland gerne angenommen, dass es immer ausreichend Zuwanderung geben würde, um den Arbeits- oder Fachkräftemangel zu stillen. Auch wurde bis vor wenigen Jahren noch vor „Überbevölkerung“ gewarnt und der Wunsch nach mehr einheimischen Kindern galt als unschicklich. Auch hier auf dem Blog hatte ich endlose Debatten mit sog. Antinatalisten über die Frage der Anthropodizee geführt – ob die Förderung von mehr menschlichen Kindern überhaupt zu rechtfertigen sei. Ein Argument von mir war und ist, dass jede Gesellschaft ihre Integrationskraft verliert, wenn die demografische Mitte zerbröselt. Dann entmischen sich die Schulen, Stadtteile, Lebenswelten und es verfestigen sich Parallelgesellschaften aller Art. Bedenken wir bitte, dass die extrem kinderreichen Religionsgemeinschaften etwa in Nordamerika regelmäßig auch das gemeinsame Schulsystem ablehnen und oft kulturelle Gegenwelten begründen.

      Doch noch sehe ich da leider wenige Fortschritte. Während die französische oder schwedische Linke aus historischen Gründen schon länger pronatal eingestellt ist, war Demografie in Deutschland lange eine Domäne rechter Kreise. Und die haben dann wiederum auf überholten Familienbildern bestanden und auch wichtige Themen wie Integration abgelehnt. An die heftigen Debatten um die familienpolitische Öffnung durch die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und an die Wut, die ihr von Traditionalisten und vielen Linken gleichermaßen entgegenschlug, kann ich mich lebhaft erinnern.

      Wichtig ist mir noch der Hinweis, dass kinderreiche Religionsgemeinschaften wie die Old Order Amish oder die Haredim nicht durch „Hinwendung“ wachsen. Es treten weniger Menschen christlich-amischen oder jüdisch-ultraorthoxen Gemeinschaften bei, als diese verlassen. Doch die Geburtenraten dieser Traditionen sind so hoch, dass sie dennoch exponentiell wachsen. In Israel begannen die Haredim bei kaum einem Prozent der Bevölkerung, gehen nun auf 15% der Bevölkerung und 40% der Kleinkinder zu. Deswegen dort auch die heftigen Diskussionen und Gerichtsverfahren zur Wehrpflicht. Wenn wir in Europa Familien nicht besser fördern, droht auch bei uns längerfristig eine immer heftigere, religionsdemografische Polarisierung.

      Erlaube mir, liebe @Elisabeth, Dir hier einfach mal Respekt für die Lebensleistung zu zollen, die Du als Lehrerin und lange auch alleinerziehende Mutter erbracht hast. Du hast Dich der demographischen Traditionalismusfalle widersetzt und damit auch viele weitergebracht. Danke auch hier für Deine starken Beiträge hier auf dem Blog! 🙏👍🙌

  7. @Hauptartikel

    Es helfen uns akut Zuwanderer, aber nur die, die der Arbeitsmarkt auch nachfragt. Die anderen brauchen nur Wohnraum und weiteres, und verschärfen eher das Problem.

    Und dieses Problem scheint mir sehr grundlegend zu sein. Wenn wir jetzt mehr Kindersegen hinbekommen würden, verschärft uns das doch noch die nächsten 20 Jahre das Problem. Weil die Kinder erstmal nur sehr viel mehr Arbeit machen, bis sie auf dem Arbeitsmarkt produktiv werden.

    Wir haben jetzt schon einen Investitionsstau, selbst mitten in steigenden Mieten wird viel zu wenig gebaut, die Schulen sind marode, das Schienennetz ist schwer vernachlässigt und die Brücken rosten vor sich hin.

    Gleichzeitig haben wir einen erhöhten Aufrüstungsbedarf, und letztlich kostet auch die Energiewende reichlich Investitionsbedarf. Wie soll das denn alles gehen? Das bräuchte jede Menge Konsumzurückhaltung, ob nun freiwillig oder zwangsweise durch Geldmangel in den Privatkassen der Bürger.

    1,8 Kinder pro Frau sollten dennoch unser Ziel sein. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass wir in 20 Jahren diesen Nachwuchs noch viel dringender brauchen werden als jetzt, weil dann kaum noch einer hier einwandern will.

    Wir müssten also Familien und Mütter jetzt reichlich mehr unterstützen. Teil des Problems dürfte es hier sein, dass dann die, die sowieso schon Kinder haben, diese Unterstützung sehr gerne mitnehmen. Das ist zwar durchaus gerecht, kostet aber auch wieder extra.

    Mehr Kitas und Ganztagsbetreuung wird sicher auch viel helfen, und das muss so teuer dann nicht sein. Eine andere Idee wäre mehr wirkliche Gleichberechtigung, insbesondere wenn die Väter auch zwangsweise Erziehungsurlaub nehmen müssen, und dann auch tatsächlich Haushaltsarbeit und Kindererziehung leisten. Das kostet dem Staat jetzt wieder wenig, und die Mütter hätten dann deutlich weniger Karrierenachteile gegenüber den Vätern.

    Und was erwartet uns nun tatsächlich? Uns werden die Arbeitskräfte fehlen, und wir werden definitiv ärmer. Aber zumindest in Deutschland auf recht hohem Niveau?

    Die Automatisierung durch KI und Roboter geht weiter, und könnte sich sich sogar beschleunigen. Weitere Steigerung des Lebensstandards brauchen wir m.E. wirklich gar nicht. Die so entstehenden Überschüsse könnten unser Problem innerhalb von 20 Jahren möglicherweise auch lösen können. Scheint mir.

    Das kann z.B. ganz konkret ein wirklich funktionierendes Sammeltaxisystem von Selbstfahrenden Elektrofahrzeugen sein, dass die privaten Mobilitätskosten mehr als halbieren kann. Da hätten wir genau die Luft im System, die wir brauchen, um die nötigen Investitionen leisten zu können. Und damit auch mehr Kinder.

    • Lieber @Tobias,

      Danke für Deinen Kommentar – und es ist ja auch deutlich geworden, was Dir der „Konsumverzicht“ als Lösungsansatz bedeutet.

      Nur: Wirtschaft besteht eben erst einmal aus Nachfrage – Menschen investieren dort, wo sie auf ausreichend Nachfrage hoffen können. Ältere Menschen, die im Alltag sparen, Konsumverzicht üben und dafür gerne verreisen, mögen sehr sympathisch sein, führen aber eher selten zu regionalen Investitionen. Wo Kindergärten, Schulen, Bäckereien, Restaurants, Autohäuser etc. schließen, wird auch kaum mehr gebaut und investiert.

      Wir haben immer mehr Gemeinden quer durch Europa und längst auch in Deutschland, die mangels Kindern nicht mehr aus dem Niedergang finden. Und als Leiter des damaligen Sonderkontings für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak erlebte ich direkt, wie kluge Bürgermeister möglichst viele Kinder für Stadtteile, Schulen und später auch Auszubildende und Arbeitskräfte suchten. Wo Kinder gut aufwachsen, sammelt sich Zukunft.

      Mütter und Kinder verursachen also nicht nur Kosten, sondern vor allem auch lebenswichtige Nachfrage. In kinderreichen Familien verteilt sich auch das Erbe immer wieder so, dass sich neue Berufsbilder und Investitionen wie Neubauten 🏡 ergeben. Wo dagegen immer weniger Kinder immer mehr erben, öffnet sich gesellschaftlich ein stiller Graben.

      Vielleicht hilft der Gedanke, dass Ausgaben für Kinder immer auch weitere Investitionen in die Zukunft auslösen. Denn während die Produktion auf vergangenen Investitionen basiert und der Konsum auf die Gegenwart zielt, verweisen Heranwachsende per se auf die Zukunft.

  8. Eine gute Zukunft kann Deutschland nur in einer stark automatisierten Welt haben in der auch Pflege- und Hausarbeiten von Automaten/Robotern erledigt werden. Grund: die Lebensarbeitszeit von Deutschen ist heute unter 40 Jahre Dauer gefallen und das bei nahezu 80 Lebensjahren (Im Jahr 2023 betrug die voraussichtliche Lebensarbeitszeit in Deutschland insgesamt 39,6 Jahre; bei den Männern 41,4 Jahre und bei den Frauen 37,7 Jahre). Deutsche arbeiten heute also nur noch während der Hälfte des Lebens und in Zukunft wohl noch weniger. Mehr Kinder würden das Problem frühestens in 20 Jahren lösen, aber auch dann bleibt das Problem der höheren Lebenszeit mit dazugehörigen grösstenteils chronischen Krankheiten und einem hohen Pflegebedarf. Schon heute spricht man von einer Pflegekrise, doch in 20 oder 40 Jahren wird es wohl doppelt soviel Pflege wie heute nötig werden.

    Zufälligerweise stehen wir gerade am Beginn einer Welt in der humanoide und intelligente Roboter immer mehr manuelle Arbeiten übernehmen können und das ohne Lohnstreiks, Krankmeldung, innerer Kündigung und Beschränkung auf eine 5-oder gar 4-Tagewoche.

    Zu erwarten ist eine nahe Zukunft in der fast jede Arbeit, jede Dienstleistung und jede Betreuung von Robotern übernommen werden kann und die Bürger eines Staates fast keine Verpflichtungen mehr haben. Auf den ersten Blick ist das für viele eine rosige Zukunft, doch die Umstellung wird ziemlich sicher schwierig werden, denn es droht auch ein Sinnverlust wie er in Nick Bostroms Buch „Deep Utopia“ beschrieben wird und wie es auch in der Buchzusammenfassung zu lesen ist:

    Die Herausforderung, der wir hier gegenüberstehen, ist nicht technologisch, sondern philosophisch und spirituell. Was ist der Sinn der menschlichen Existenz in einer solchen “gelösten Welt”? Was gibt dem Leben einen Sinn? Was werden wir tun und erleben?

    • Vielen Dank für den interessanten Druko, @Martin Holzherr!

      Mir fällt das gleiche 20-Jahre-Argument gegen Demografie auf, das auch @Tobias Jevkenburger verwendete: Die bessere Unterstützung von Familien und Kindern werde frühestens „in 20 Jahren“ wirksam.

      Das ist interessant, denn hier werden Menschen erst einmal auf ihre ökonomische Funktion als Produzenten reduziert. Dass sie schon als Kinder und Jugendliche etwa Nachfrage erzeugen, Sinn stiften, Sprache, Bildung, Kultur, Religion, Musik aufnehmen und weiterentwickeln, Politik verändern usw. „zählt nicht“. Aus meiner Sicht ist gerade diese Mehrdimensionalität des Lebens jedoch überaus wichtig, wertvoll. So erziehe ich weder meine Kinder, noch unterrichte ich meine Studierenden nur als Produzenten. Ich meine, Menschen sind so viel mehr – und indem wir hier auf dem Blog, im Fediversum dialogisieren, leben doch auch wir dieses Mehr, oder!?

      Zum zweiten scheint mir das 20-Jahre-Argument das säkulare Dilemma von heutiger Wirtschaft und Politik auf den Punkt zu bringen: Während etwa Bauleute des Mittelalters noch eine Kathedrale beginnen konnten, die über Generationen erbaut wurde, müssen sich heutige Maßnahmen bis zur nächsten Aktionärsversammlung („Shareholder-Value“) oder nächsten Wahl auszahlen. Damit werden jedoch längerfristig wirksame Maßnahmen etwa gegen die Klimakrise oder die Bevölkerungsimplosion erheblich erschwert, eine Kurzfrist-„Enge der Zeit“ greift um sich.

      Darüber werde ich noch länger nachdenken und danke Ihnen sowie @Tobias Jeckenburger für die wichtige Anregung! 🙏👍

  9. @Michael 22.12. 06:20 / 21.12. 21:25

    „Dass sie schon als Kinder und Jugendliche etwa Nachfrage erzeugen, Sinn stiften, Sprache, Bildung, Kultur, Religion, Musik aufnehmen und weiterentwickeln, Politik verändern usw. „zählt nicht““

    Das zählt eben alles wirklich. Deswegen wäre ich doch für weniger verschwenderischen Konsum, und stattdessen mehr Kinder. Und mehr Energiewende und Aufrüstung.

    Ich sehe durchaus, dass erstmal privater Umsatz die Steuereinnahmen erwirtschaftet, die dann in Aufrüstung, Förderung der Energiewende und Förderung von Familien fließen können. Das funktioniert aber eben nur begrenzt, wenn denn die Arbeitskräfte dafür fehlen. Das heizt dann doch eher die Inflation an.

    Ohne weniger Konsum bleibt nur noch, mehr zu importieren und weniger zu exportieren. Das spart Arbeitskräfte im Inland ein. Kann man von mir aus sogar tatsächlich machen. Deutlich mehr PV-Module und Lithiumbatterien in China einkaufen und weniger Verbrennerfahrzeuge herstellen und in alle Welt verkaufen. Die hier freigesetzten Mitarbeiter können dann im Pflegebereich und im Handwerk eingesetzt werden. Wo sie dringend gebraucht werden.

    Wenn es dann an Steuereinnahmen fehlt, kann man sich ja auch mal an den Vermögenden bedienen? Also Kapitalertrags-, Vermögens- und Erbschaftssteuern.

    Freiwilliger Konsumverzicht wirkt aber eben auch. Wer sich wohnungsmäßig verkleinern kann, spart jede Menge Geld, das er dann in die energetische Sanierung der neuen kleineren Wohnung investieren kann. Und weil dann der Neubaubedarf sinkt, sind auch die Handwerker dafür frei, die dann die Sanierung durchführen können.

    „Wir haben immer mehr Gemeinden quer durch Europa und längst auch in Deutschland, die mangels Kindern nicht mehr aus dem Niedergang finden.“

    Kindermangel herrscht genauso in den florierenden Städten, nur das die Leute dann dahin ziehen und auf dem Land eben wegziehen, das verschärft dann erst das Problem.

    Aber diese Entscheidungen liegen hier wohl zunächst bei den Arbeitgebern. Die Verlagern ihre Produktion in günstigere Regionen und Kommunen, und die Arbeitnehmer folgen dann den Arbeitsplätzen. Eine Förderung von Arbeitsplätzen in Regionen und Kommunen, wo längst Wohnraum leersteht, wäre vermutlich ziemlich sinnvoll. Auch dann muss deutlich weniger neu gebaut werden, und es kann in die auch dringend nötige energetische Sanierung der Altbauten investiert werden. Was dann diesen jetzt verebbenden Regionen wiederum weitere Arbeitsplätze bringt.

    Soweit sich die weitere Konzentration in die Städte nicht aufhalten lässt, müssen wir auch damit leben. Immerhin ist das Stadtleben auch ökonomisch wie ökologisch sinnvoller, weil die Wege kürzer sind und die Auswahl an Arbeitsplätzen und allem anderem größer ist.

    • Vielen Dank für den klugen und wuchtigen Druko, @Tobias Jeckenburger 🙏😊👍

      So akzentuiert finde ich die Aufforderung zum „Konsumverzicht“ noch überzeugender.

      Sehr stark finde ich auch den folgenden Satz:

      “Kindermangel herrscht genauso in den florierenden Städten, nur das die Leute dann dahin ziehen und auf dem Land eben wegziehen, das verschärft dann erst das Problem.“

      Das ist so und erlaubt mir den Hinweis, dass sich die extrem kinderreichen Old Order Amish religiös vor allem auf das Leben in nordamerikanischen Agrardörfern evolviert haben, die jüdischen Haredim dagegen auf das Leben in Städten. Damit belegen sie, dass die demographische Traditionalismusfalle in beiden Settings überwindbar ist – wenn auch nicht in völlig identischer Weise.

      Ich finde das ermutigend, denn aus ländlichen Regionen ergibt sich oft eine starke Landflucht, in Großstädten dagegen eine Cyberpunk-artige Individualisierung. Beides muss nicht unser menschliches Schicksal bleiben.

  10. @Martin Holzherr 22.12. 01:39

    „Zu erwarten ist eine nahe Zukunft in der fast jede Arbeit, jede Dienstleistung und jede Betreuung von Robotern übernommen werden kann und die Bürger eines Staates fast keine Verpflichtungen mehr haben.“

    Einmal kann die Intelligenz der KI nur langsam immer besser werden, und sich hinreichend sicher zwischen uns bewegende humanoide Roboter brauchen auch noch ihre Zeit. Wir können also davon ausgehen, dass das alles so schnell dann doch nicht geht, und zugleich nicht auf einen Schlag, sondern dass die Maschinen erst in Jahrzehnten wirklich alle Arbeit übernehmmen können.

    „Auf den ersten Blick ist das für viele eine rosige Zukunft, doch die Umstellung wird ziemlich sicher schwierig werden, denn es droht auch ein Sinnverlust…“

    Wenn wir hier einen langen Übergang von vielleicht 50 Jahren haben, können wir uns auch langsam mit dem Problem vertraut machen. Und zunächst können wir auch jede Menge zusätzliche Arbeit beschaffen. Etwa eine viel sorgfältigere Landwirtschaft, Tierhaltung und Forstwirtschaft, und natürlich die komplette Energiewende inclusive einer kompletten Kreislaufwirtschaft.

    Und es fällt ja nur die Erwerbsarbeit weg, jegliche Arbeit, die wir tun, weil wir es gerne tun, die braucht uns keine Maschine wegnehmen. Nur können wir dann kaum noch Geld damit zu verdienen.

    Klar braucht es sowieso ein komplett neues Wirtschafts- und Steuersystem, wenn das nicht zur Verarmung und zum Ausssterben aller Menschen führen soll, die kein Vermögen haben, von dem sie leben können.

    Was bleibt ist Kunst, Kultur, Blogs wie diesen oder Hochchulausbildungen aus reiner Neugier heraus. Wie sich eben mit allen interessanten Erkenntnissen beschäftigen, ob die nun von KI oder Menschen generiert werden.

    Und eben die Natur hautnah und extrem ausgiebig erkunden, gerne auch mit Landwirtschaft, Tierhaltung und Forstwirtschaft.

    Und uns natürlich miteinander Beschäftigen, mit Kindern, Kranken und Alten. Skat, Doppekopf und Pokern als gemeinsame Akionen sind auch immer gut. Und wir können uns mit den Robotern selber austauschen, die könnten dann irgendwann auch Bewusstsein haben, und sich gerne mit uns beschäftigen, ganz im beiderseitigem ehrlichem Interesse.

    Eine wirkliche Eroberung des Weltraums wäre dann auch noch eine beliebig skalierbare Beschäftigungsmöglichkeit, für die Maschinen selber, aber auch für alle daran interessierte Menschen.

  11. Was mir in der Diskussion fehlt: ein Hinweis auf die seit Jahren steigende Zahl derer, die ungewollt kinderlos sind. Dieses Thema ist leider tabuisiert. Wer selbst einmal in einer Kinderwunsch-Praxis an einem Sonntag zur ICSI eingestellt wurde, weil es vom Zyklus her da optimal sei und dann das übervolle Wartezimmer mitbekommen hat, der weiß, wie viel Leid hier zu erfahren ist. Und es fehlt an Forschung, was die Ursache für die zunehmende Infertilität ist. Vielleicht liegt es daran, dass Wasser in Kläranlagen nicht oder nicht ausreichend von Hormonen (aus der Pille) gereinigt werden kann oder an Pfas-Chemikalien etc…?
    Es schmerzt jedenfalls, an Weihnachten alleine feiern zu müssen, obwohl alles medizinisch mögliche gegen ungewollte Kinderlosigkeit versucht wurde.

    • Danke für den Hinweis, gerade auch zu Weihnachten, @Dorothea 🙏🎄

      Tatsächlich habe ich als Religionswissenschaftler das Thema ungewollter Kinderlosigkeit etwa aus der Perspektive der Bibel thematisiert:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/ungewollte-kinderlosigkeit-in-der-bibel/

      Auch sprach ich mich immer wieder für die Kostenübernahme von medizinischen Fruchtbarkeitsbehandlungen aus, damit Kinderwünsche nicht am Geld scheitern.

      Gleichwohl verstehe ich, dass demographische Diskussionen immer auch biografische und damit auch emotionale Dimensionen haben. Ich werde daher überlegen, was ich noch dazu bloggen kann.

      Dir Dank für die klugen Drukos und Anregungen und heute ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest! 🎄 🕯️ 🙏

  12. Weil wir (auch) hier über Kosten & Sinn von Kindern diskutiert haben, poste ich den wunderschönen Text einer Mastodontin zu einem Erlebnis als Mutter:

    „Eine wahre Geschichte


    Ich war vor vielen Jahren mit meinen damals noch kleinen Kindern in der Vorweihnachtszeit in einer fremden Stadt unterwegs. Das jüngere Kind lag noch im Kinderwagen, das ältere lief an meiner Hand.
Es war schon dunkel, so, wie es zu dieser Jahreszeit eben so ist.


    Wir waren auf dem Weg zum Auto, die Straße war verlassen.
Da kam uns ein Mann entgegen, leicht schwankend, eindeutig nicht mehr nüchtern. 


    Bevor ich irgendwie reagieren konnte, hatte mein Kind meine Hand losgelassen und war auf den Mann zugelaufen und umarmte ihn mit aller Kraft seiner kleinen Arme.


    Ich weiß nicht mehr, was mir damals alles gleichzeitig durch den Kopf ging, ich war wie erstarrt vor Schreck.

    
Dann kam der Mann mit meinem Kind an der Hand auf mich zu und als er näher kam, sah ich, dass er weinte.
”Ihr Kind ist ein Engel, halten Sie es gut fest”, sagte er, “es hat mir gerade das Leben gerettet.”

    
Dann erzählte er mir, dass er in einer großen Firma in der Stadt arbeite und seine Familie weit weg wohne. An diesem Tag so kurz vor Weihnachten habe er im Auftrag seines Chefs 20 Miarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Kündigung übergeben müssen. Das habe ihn so mitgenommen, dass er vollkommen verzweifelt gewesen wäre und sich betrunken hätte.


    Die Umarmung meines Kindes habe ihn an seine Familie erinnert und nun würde er seine Frau anrufen, mit seinen Töchtern sprechen “und heute Nacht werde ich schlafen können. Weil mir heute ein Engel begegnet ist.”

    
Er ging dann weiter und wir auch. Nach ein paar Schritten meinte mein Kind, “Weißt du, Mama, der Mann sah so traurig aus, da musste ich ihn einfach trösten. Er war doch ganz alleine.”“

    Die Mastodontin wünschte allen, dass ihnen wenn notwendig „Engel“ begegnen sollten. Und das tue ich hiermit auch!

    Frohe Weihnachten 🎄 und Chanukka Sameach 🕎!

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