Die Gefahr von rechtsdualistischen Lawhacks, deutsch Justizhacks

Das „Herz statt Hetze“-Tütle der Diakonie Württemberg bringt den Unterschied zwischen Fediversum und antisozialen Medien auf den Punkt.

Dass reiche Leute und Konzerne vor Gericht Vorteile haben, dürfte kaum jemanden überraschen, der sich jemals mit der Realität nicht nur der USA und der Timokratie – der oft fossil finanzierten Vorherrschaft der Reichen – beschäftigt hat. Den Austritt von der ehemaligen Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker aus der Beamtung zur Bürgerbewegung Finanzwende begründete sie selbst mit der Beobachtung: “Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.”

Auch in den USA richtete der Mord an Brian Thompson, dem ehemaligen Chef des US-Versicherungskonzerns United Healthcare, hat eine neuerliche Debatte über die Zustände ausgelöst, die bereits der Filmemacher Michael Moore in “Sicko” (2007) angeprangert hatte: Versicherer würden Kranken Leistungen dann besonders oft verweigern, wenn sie sich sicher sein könnten, dass diese weder Geld noch Zeit hätten, diese vor Gericht einzuklagen. Das real existierende Rechtssystem schütze also nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern die Profiteure der Konzerne.

In den vergangenen Jahren beobachte ich eine gezielte Eskalation dieser timokratischen Zustände – wiederum nicht nur in den USA. Als Lawhacks, deutsch Justizhacks werden juristische Strategien bezeichnet, gezielt Schwachstellen der bestehenden Rechtsordnungen zu bespielen, um Prozessgegner und die Funktion der Justiz bis zum Zusammenbruch zu schwächen. Durch den Einsatz von digitalen Technologien einschließlich KI wird etwa die Produktion von komplexen Schriftsätzen immer billiger, mit denen dann die weitgehend analogen Gerichte der Welt geflutet und lahmgelegt werden können. Selbst wer etwa gegen Konzerne, rechtsdrehende Medien oder politische Rechtsdualisten im Recht ist, soll durch oft mehrere und jahrelange Prozesse überfordert, zermürbt und aus der Arena gedrängt werden. Schon jetzt gehen etwa Donald Trump und Elon Musk mit massiven Klagewellen gegen Medien und Konkurrenten vor. Gleichzeitig erodiert das Vertrauen in die Gerechtigkeit der Justizsysteme in immer mehr Staaten – was den Rechtsdualisten wiederum bei der Zerstörung der Demokratien nutzt. Vertrauensdiffusion findet bereits statt, die Gewaltenteilung wird in immer mehr Ländern massiv in Frage gestellt.

Und, ja, ich erlebe solche juristischen Prozesse auch selbst und bemerke einen Substanzverlust in der Justiz – siehe beispielhaft das Video von Anwalt Chan-jo Jun zu einem “Epic Fail” deutscher Staatsanwälte unten. Auch deswegen möchte ich in 2025 solche Justizhacks reflektieren, mehr und öffentlich diskutieren. Ohne funktionierenden (!) Rechtsstaat wird eine Demokratie weder Recht noch wirtschaftliche Fairness bieten können.

Eine kleine, lila Süßigkeitentüte der Diakonie Württemberg mit der weißen Aufschrift "Herz statt Hetze". Foto: Michael Blume 2024 in Stuttgart

“Herz statt Hetze”. Ein berechtigter, aber frommer Wunsch der Diakonie Württemberg, 2024. Foto: Michael Blume

Am 20. Dezember 204 beschrieb der Journalist Thomas Magenheim auf Seite 9 der Stuttgarter Zeitung das Ausmaß von Justizhacks am Beispiel des offensichtlich dysfunktionalen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG):

“Auf Beklagtenseite agieren mit allen Wassern gewaschene Rechtsanwälte. Auf der anderen Seite stehen Staatsanwälte oder klagende Geschädigte, denen entweder die finanziellen Ressourcen oder wirtschaftliches Know-How fehlen. Vor allem Letzteres trifft allzu oft auch für Gerichte zu, die in Wirtschaftsangelegenheiten ein Urteil treffen sollen.”

Als Beispiel benannte Magenheim:

“Die Mutter aller KapMuG-Verfahren ist das gegen die Deutsche Telekom. Es schleppte sich über zwei Jahrzehnte hin. Am Ende waren der Musterkläger und sein Anwalt verstorben.”

Zudem zitierte er Kritik der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) an einem gerade verlängerten Strafprozess vor dem Bayerischen Oberlandesgericht in München. “Deutsche Institutionen haben bei der Verhinderung von Wirecard versagt, jetzt droht wieder Versagen bei der juristischen Aufarbeitung.”, wurde SdK-Rechtsanwalt Marc Liebscher zitiert. So habe die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY “jahrelang fundamental falsche Wirecard-Bilanzen durchgewunken und sich damit möglicherweise haftbar gemacht.” Da das Verfahren u.a. um den flüchtigen Jan Marsalek jedoch viel zu lange dauere, habe sich die EY bereits rechtlich umstruktiert. “EY verschiebt Haftungsmasse”, so Liebscher. Der StZ-Artikel von Magenheim schloss wenig optimistisch:

“Das Versagen der deutschen Justiz mit extrem langen Wirtschaftsprozessen schrecke mittlerweile ausländische Anleger vom deutschen Kapitalmarkt ab. ‘Sie ziehen sich nicht zurück, weil sie im Streitfall kein Urteil im eigenen Sinn bekommen, sondern weil viele Jahre überhaupt kein Urteil ergeht”, betont Marc Liebscher. Im KapMuG-Verfahren weiterverhandelt wird am 28. Februar 2025.”

Justizhacking-Opfer in der Weimarer Republik: Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD)

Völlig neu sind die Taktiken der sog. Lawhacks selbstverständlich nicht. Schon in der Weimarer Republik setzten vor allem deutsche Rechtsdualisten erfolgreich die brutale Strategie ein, ihre demokratischen Gegner in zahlreiche Prozesse zu verwickeln, zu schwächen und zu zermürben. Besonders schlimm traf es etwa den in Heidelberg geborenen SPD-Politiker Friedrich Ebert (1871 – 1925), insbesondere in seiner Amtszeit als Reichspräsident der wankenden Weimarer Republik von 1919 bis zu seinem Tod.

Der bekannteste Fall war der sogenannte Magdeburger Prozess (1924) gegen den völkisch-rechtsextremen Redakteur Erwin Rothardt. Dieser hatte den Reichspräsidenten wegen dessen damaliger Beteiligung am Munitionsarbeiterstreik von 1918 öffentlich als „Landesverräter“ geschmäht. Obwohl Rothardt wegen Beleidigung verurteilt wurde, stellte das Gericht fest, dass Eberts damalige Beteiligung am Streik juristisch als Landesverrat gewertet werden könne. Dieses Urteil war ein schwerer Schlag für Ebert und die Weimarer Republik, demütigte ihn, sein Amt und seine Partei, stärkte die den antidemokratischen Verschwörungsmythos der “Dolchstoßlegende” und trug nach Ansicht vieler Beobachter zu Eberts frühen Tod 1925 und der bald folgenden Machtergreifung der Nationalsozialisten bei.

Ein ehrlicher Blick auf die deutsche Rechtsgeschichte zeigt: Die Weimarer Justiz hat nicht nur führende Nazis wie Adolf Hitler (1889 – 1945) äußerst schonend behandelt, sondern durch die Gestattung von Justizhacks auch den Zusammenbruch der Demokratie befördert.

Ich meine also, wir sollten uns angesichts der digitalen Medienrevolution und des Übergangs von Demokratien zu Thymokratien viel stärker mit Rechtsgeschichte und Justizfragen befassen. Denn: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

22 Kommentare

  1. Oben habe ich ja ein Interview durch Nils Husmann verlinkt, indem ich zur Diskussion über erneuerbare Friedensenergien bewusst den Begriff der Timokratie als “Herrschaft der Reichen” einführte.

    https://energiewinde.orsted.de/koepfe-der-energiewende/michael-blume-antisemitismus-ressourcenfluch-oel-gas-konflikte-interview

    Anfangs ging ich von einem zufälligen Gleichklang der beiden Begriffe Thymokratie (Herrschaft der Emotionalisierten, derzeit vor allem durch digitales Neurohacking) und Timokratie aus. Doch laut Felo.ai wurzeln sie beide tatsächlich im griechischen timē = “Ehre, Wert” und zeigen also eine Verknüpfung von Status und Reichtum an, die schon in der Antike reflektiert wurde, etwa als Übergang zur Oligarchie (Herrschaft der Wenigen).

    Aus meiner Sicht ist nicht nur das frühere Zensuswahlrecht (Wahlstimmen-Gewichtung nach Einkommensklassen) timokratisch, sondern auch etwa ein Wahltag am Werktag – da sich dann weniger Ärmere und abhängig Beschäftigte die Ausübung ihres Wahlrechts leisten können. Auch etwa Anwälte, die gezielt Prozesse verlängern, Abmahnungen von Privatleuten und kleinen Unternehmen sowie Lawhacking gegen Demokratinnen und Demokraten betreiben, würden öffentliche Teilhabe mit hohen Kosten belegen und damit timokratisch agieren. Wer kann sich etwa noch ehrenamtlich für eine Demokratie engagieren, wenn dies mit der wachsenden Gefahr von Verleumdungen und auch Prozesskosten verbunden ist?

    Vor Weihnachten rief ich zu einer Spende für die tapferen Leute von HateAid auf, da ich hier inzwischen wirklich ein schnell wachsendes Problem sehe. Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben müssen, von der demokratischen Justiz nicht mehr effektiv geschützt zu werden, wird die Sehnsucht nach einem politischen, dualistischen “Messias” wie Donald Trump sehr viel besser erklärbar. Menschen, die ein System nicht nur als dysfunktional, sondern als ungerecht erleben, werden Systemsprenger öfter als Hoffnungsträger empfinden…

    Felo.ai:

    Die **Timokratie** ist eine historische Staatsform, die ihren Ursprung in der antiken politischen Philosophie hat. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab: *τιμή* (*timē*, „Ehre“ oder „Wert“) und *κρατία* (*kratia*, „Herrschaft“). Wörtlich bedeutet Timokratie also „Herrschaft der Ehre“ oder „Herrschaft der Angesehenen“. In der Praxis wurde diese Ehre jedoch oft durch Vermögen oder Besitz definiert, weshalb die Timokratie auch als „Herrschaft der Besitzenden“ verstanden wird[1][7][10].

    ## **Merkmale der Timokratie**
    – **Vermögensbasierte politische Rechte:**
    In einer Timokratie werden politische Rechte und Pflichten nach dem Vermögen oder Einkommen der Bürger abgestuft. Wer mehr besitzt, hat mehr Einfluss und Privilegien, während ärmere Bürger weniger oder gar keine politischen Rechte haben[7][18][22].
    – **Militärische Beteiligung:** In vielen historischen Timokratien war die Fähigkeit, sich militärisch auszurüsten, ein entscheidender Faktor für die politische Teilhabe. Beispielsweise mussten Bürger in Athen, die in höheren Klassen eingestuft waren, ihre Ausrüstung für den Kriegsdienst selbst finanzieren[9][16].
    – **Ehrenbasierte Herrschaft:** Obwohl die Timokratie theoretisch auf Ehre basiert, wurde diese Ehre oft durch materiellen Besitz gemessen, was sie von einer rein moralischen Herrschaftsform unterscheidet[10][22].

    ## **Entwicklung der Timokratie**
    Die Timokratie entwickelte sich historisch als Übergangsform zwischen anderen Herrschaftsformen, insbesondere der Aristokratie (Herrschaft des Adels) und der Oligarchie (Herrschaft einer kleinen, reichen Elite). Sie wird oft als degenerierte Form der Aristokratie betrachtet, da sie die Macht nicht mehr ausschließlich auf Abstammung, sondern auf Besitz stützt[2][8].

    ### **Beispiele aus der Antike**
    1. **Athen unter Solon (594 v. Chr.):**
    Die Reformen des athenischen Staatsmannes Solon gelten als eines der ersten Beispiele für eine Timokratie. Solon führte eine Verfassung ein, die die Bürger in vier Klassen einteilte, basierend auf ihrem jährlichen landwirtschaftlichen Ertrag (z. B. die „Pentakosiomedimnoi“, die 500 Scheffel produzierten). Politische Rechte und Pflichten wurden entsprechend dieser Klassen verteilt. Diese Reformen schränkten die Macht des Adels ein und legten den Grundstein für die spätere attische Demokratie[6][9][17].
    2. **Platon und Aristoteles:** In der politischen Philosophie Platons und Aristoteles’ wird die Timokratie als eine von mehreren möglichen Staatsformen beschrieben. Platon sah sie als eine Zwischenstufe im Verfall idealer Staatsformen, während Aristoteles sie als eine „wahre“ Staatsform betrachtete, die jedoch leicht in eine Oligarchie abgleiten kann[5][8][9].

    ### **Verfassungskreislauf nach Platon**
    Platon beschreibt in seinem Werk *Politeia* (Der Staat) einen Kreislauf der Verfassungen, in dem die Timokratie eine zentrale Rolle spielt. Nach ihm entwickelt sich die Timokratie aus der Aristokratie und wird später von der Oligarchie abgelöst. Dieser Übergang geschieht, wenn die Ehre (timē) zunehmend durch materiellen Besitz ersetzt wird, was zu einer stärkeren Konzentration von Macht bei den Reichen führt[5][8][11].

    ## **Bedeutung und Kritik**
    Die Timokratie wird oft als eine unvollkommene Staatsform betrachtet, da sie soziale Ungleichheit fördert und die politische Teilhabe der ärmeren Bevölkerung einschränkt. Dennoch spielte sie in der antiken Geschichte eine wichtige Rolle als Übergangsform, insbesondere in der Entwicklung der Demokratie, wie im Fall Athens[6][15][24].

    Zusammenfassend ist die Timokratie eine Herrschaftsform, die politische Rechte nach Vermögen verteilt und historisch sowohl als Fortschritt (z. B. in der Einschränkung des Adels) als auch als problematisch (wegen sozialer Ungleichheit) betrachtet wurde.
    [1] https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.timokratie%27%20and%20%40outline_id%3D%27hwph_verw.timokratie%27%5D
    [2] https://hrcak.srce.hr/clanak/454393
    [3] https://www.rechteasy.at/wiki/timokratie/
    [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Herrschaftsformen
    [5] https://books.openedition.org/chbeck/1604?lang=en
    [6] https://www.kinderzeitmaschine.de/antike/griechen/lucys-wissensbox/staat-und-politik/wer-erfand-die-demokratie/
    [7] https://freie-referate.de/deutsch/athen-begriffserklaerung
    [8] https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungskreislauf
    [9] https://en.wikipedia.org/wiki/Timocracy
    [10] https://de.wiktionary.org/wiki/Timokratie
    [11] https://www.deutschlandfunk.de/platon-der-staat-102.html
    [12] https://www.duden.de/rechtschreibung/Timokratie
    [13] https://learnattack.de/schuelerlexikon/geschichte/athen
    [14] https://www.oebv.at/flippingbook/9783209088451/15/
    [15] https://knowunity.de/knows/ethik-religionen-gemeinschaft-reformen-des-solon-kleisthenes-perikles-a538ac90-0d4f-41d1-8d6b-14e02dd0212d
    [16] https://de.wikipedia.org/wiki/Timokratie
    [17] https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/timokratie/2040
    [18] https://www.dwds.de/wb/Timokratie
    [19] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1524/9783050089935.193/html?lang=de&srsltid=AfmBOooqegGittxJWHwl606uF8-JQKxXaIJh86Z4qJ4MvbOYpOzT5sN1
    [20] https://www.dadalos-d.org/deutsch/Demokratie/Demokratie/Grundkurs2/antike/athen.htm
    [21] https://www.openthesaurus.de/synonyme/Timokratie
    [22] https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/timokratie
    [23] https://simpleclub.com/lessons/geschichte-schuldknechtschaft-und-reformen-des-solon-8
    [24] https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/lexikon-antike/reformen-des-solon

  2. Dass reiche Leute und Konzerne vor Gericht Vorteile haben, dürfte kaum jemanden überraschen, der sich jemals mit der Realität nicht nur der USA…

    Den Zuständen in den USA kann man alle möglichen Namen geben, Timokratie, Aristokratie, Plutokratie, Oligarchie, Idiokratie, Ochlokratie etc. Das Land ähnelt immer mehr dem Römischen Imperium im Niedergang. Die römischen Eliten nutzten am Ende auch das Rechtssystem als Selbstbedienungsladen.

    Der Begriff “Aristokratie” stört mich hier allerdings ein wenig. Denn Aristokratie bedeutet zumindest in der Theorie die Herrschaft der geistig Höherwertigen. Wer also den geistigen Pöbel im heutigen Washington als Aristokratie bezeichnet, beleidigt meiner Meinung nach nur Thomas Jefferson und James Madison.

    Elon Musk wird auf seiner eigenen Plattform einmal mehr der Lüge überführt, was sein H1B visa scam angeht.

    https://www.youtube.com/watch?v=_bg1zGZEFBg

    • Zwar kenne und verstehe ich die von Ihnen konstruierte Nähe von antiker Aristokratie und (“Intelligenz”-)Rassismus, diese verfehlt aber sowohl den wissenschaftlichen Konsens wie auch die platonischen “Verfallslehren”.

      Intelligenz und Bildung als Eigenschaften der von Ihnen so genannten “geistig Höherwertigen” entstehen nicht primär durch Genetik, sondern durch materielles Erbe – den Zugang zu Nahrung, medizinischer Versorgung und kulturellen, geistigen Ressourcen wie Sprachen, Spielen, Kultur, Schulen, Büchern, Freizeit, Fediversum.

      Dass meine aus der Türkei stammende Ehefrau und ich als aus der damaligen DDR stammendes Arbeiterkind je als erste in unseren Familien Abitur machen und diese Bildungschancen wiederum unseren Kindern weitergeben können, geht doch nicht auf plötzliche Genmutationen zurück, sondern auf Arbeit & Chancen!

      Ebenso hat der reiche Erbe Musk nicht aus dem Nichts gegründet und auch nicht zum Beispiel wissenschaftlich promoviert, sondern aggressiv gekauft und ausgebeutet, vgl.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/blume-ince-26-von-elon-musk-und-alfred-hugenberg/

      Die entsprechenden, genetisch-eugenischen Debatten über die etwa um die in Deutschland durch Thilo Sarrazin popularisierten, nicht nur muslimfeindlichen IQ-Thesen haben wir hier auf dem Blog bereits jahrelang & intensiv geführt:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-deutsch-amerikanische-rassismus-des-thilo-sarrazin/

      Daher hatte Rabbi Jehoschua / Jesus m.E. nicht nur normativ, sondern auch empirisch Recht, wenn er in seiner Bergpredigt die “geistig Armen” selig preist: Wer eine Gesellschaft wirklich entwickeln möchte, sollte gerade nicht die Megalothymia – die autoritäre Steigerung der Mächtigen und Erbenden, vgl. Musk – sondern die Isothymia – die Förderung jener, die bislang ihr Potential noch gar nicht entfalten konnten – in den Mittelpunkt stellen. Gesellschaften entwickeln sich nicht durch Diskriminierung von bereits Benachteiligten, sondern durch Aufstiegs- und Bildungswillen hin zu breiteren Mittelschichten.

      Jedes Rechtssystem, das vor allem die Vorrechte der Reichen und Mächtigen schützt, ist daher empirisch schädlich und normativ Unrecht.

      Mehr noch: Staatlichkeit selbst besteht wesentlich aus der Aushandlung von Statusfragen und ist also immer auch zeitlichen Veränderungen unterworfen.

      Bei dem vom Schock über die „demokratische“ (tatsächlich timokratische) Hinrichtung seines Lehrers Sokrates und von Reaktanz geprägten Platon konnte daher die Demokratie kein zukünftiges Ideal mehr sein, sondern auch nur eine Verfallsform, aus der unweigerlich Timokratie, Oligarchie, Tyrannei usw. erwachsen würden. Entsprechend plädierte er für eine autoritäre Staatsform samt Kasten und Eugenik, die die Zeit anhalten sollte. Popper sah auch deswegen in ihm den direkten Urahnen des deutschsprachigen Nationalsozialismus – und ging damit etwas weiter, als ich es tun würde.

      Zu Status und Staat hier eine kurze Felo.ai-Info:

      Die Begrifflichkeiten *Status* und *Staat* sind eng miteinander verbunden, sowohl etymologisch als auch konzeptionell. Beide Begriffe leiten sich vom lateinischen Wort *status* ab, das „Zustand“ oder „Verfasstheit“ bedeutet. Im Folgenden wird die Verbindung zwischen den beiden Begriffen erläutert:

      ## **1. Etymologische Verbindung**
      Der Begriff *Staat* stammt vom lateinischen *status rei publicae* (Zustand der öffentlichen Angelegenheiten) und wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit weiterentwickelt. Niccolò Machiavelli prägte den Begriff *stato* in seinem Werk *Il Principe* (Der Fürst), um die politische Organisation und Herrschaftsstruktur eines Territoriums zu beschreiben[1][5][10]. Der Begriff *Status* hingegen bezeichnet allgemein eine Lage, Position oder Verfasstheit, sei es im rechtlichen, sozialen oder politischen Kontext[8][11].

      ## **2. Der Staat als institutionalisierter Status**
      Ein Staat ist eine politische Einheit, die durch drei wesentliche Elemente definiert wird: Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt (Drei-Elemente-Lehre). Diese Elemente repräsentieren den „Status“ eines organisierten Gemeinwesens, das durch eine bestimmte Ordnung und Verfasstheit gekennzeichnet ist. Der Staat ist somit ein institutionalisierter Ausdruck eines bestimmten Zustands, der durch Gesetze, Institutionen und Machtstrukturen aufrechterhalten wird[1][7][10].

      ## **3. Status des Individuums im Staat**
      Die Statuslehre von Georg Jellinek verdeutlicht, wie der Begriff *Status* das Verhältnis zwischen Individuum und Staat beschreibt. Jellinek unterscheidet vier grundlegende Statuskategorien, die die Rechte und Pflichten des Einzelnen im Staat definieren:
      – **Status subiectionis**: Der passive Status, in dem das Individuum der Staatsgewalt unterworfen ist.
      – **Status negativus**: Der Schutzstatus, der dem Individuum Abwehrrechte gegenüber dem Staat gewährt (z. B. Freiheitsrechte).
      – **Status positivus**: Der Leistungsstatus, der dem Individuum Ansprüche auf staatliche Leistungen einräumt (z. B. soziale Rechte).
      – **Status activus**: Der aktive Status, der dem Individuum politische Mitwirkungsrechte verleiht (z. B. Wahlrecht)[8].

      Diese Kategorien zeigen, dass der Begriff *Status* nicht nur die rechtliche Position des Einzelnen im Staat beschreibt, sondern auch die Dynamik zwischen individueller Freiheit und staatlicher Macht.

      ## **4. Staat und Status als dynamische Konzepte**
      Der Staat ist kein statisches Gebilde, sondern unterliegt einem ständigen Wandel, der durch gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen beeinflusst wird. Ebenso ist der *Status* des Individuums im Staat dynamisch und kann sich durch rechtliche Reformen, gesellschaftliche Veränderungen oder internationale Einflüsse verändern. Beispiele hierfür sind die Erweiterung von Bürgerrechten (z. B. Frauenwahlrecht) oder die Einführung sozialer Sicherungssysteme, die den *Status positivus* stärken[8][10].

      ## **Zusammenfassung**
      Die Begriffe *Status* und *Staat* sind eng miteinander verwoben. Der Staat repräsentiert den institutionellen „Status“ einer politischen Gemeinschaft, während der *Status* des Individuums die rechtliche und soziale Position innerhalb dieses Gemeinwesens beschreibt. Beide Konzepte sind dynamisch und spiegeln die Wechselwirkung zwischen individueller Freiheit und staatlicher Ordnung wider.

      [1] https://staatsrecht.honikel.de/staatsrecht-und-staaten.htm
      [2] https://volksanwaltschaft.gv.at/ll/fachbegriffe
      [3] https://www.jstor.org/stable/23679353
      [4] https://www.jstor.org/stable/24226145
      [5] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321157/staat/
      [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Staat
      [7] https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/s/staat.html
      [8] https://de.wikipedia.org/wiki/Statuslehre_(Recht)
      [9] https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/s/staatsraeson.html
      [10] https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Staat
      [11] https://gkorganon.userpage.fu-berlin.de/staat/
      [12] https://www.juracademy.de/staatsorganisationsrecht/begriff-staat.html
      [13] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/gesellschaftlicher-zusammenhalt/staat-und-religion/religionsverfassungsrecht/religionsverfassungsrecht-node.html
      [14] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:337:0009:0026:de:PDF
      [15] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/527388/die-unterscheidung-von-staat-und-gesellschaft-und-ihre-beziehung-zum-staatsbegriff/
      [16] https://www.dbk.de/themen/kirche-staat-und-recht/verhaeltnis-von-kirche-und-staat
      [17] https://esta.cbp.dhs.gov/privacystatement?lang=de

  3. Ebenso hat der reiche Erbe Musk nicht gegründet und auch nicht zum Beispiel wissenschaftlich promoviert, sondern aggressiv gekauft und ausgebeutet, vgl.

    Seien wir ehrlich. Das Vermögen der meisten Milliardäre ist nicht durch geniale Geschäftsideen und Visionen wie bei Steve Jobs oder Enzo Ferrari entstanden. Fast die Hälfte der amerikanischen Milliardäre hat ihr Vermögen geerbt (in Europa noch viel mehr). Die andere Hälfte ist teilweise ehrlich entstanden und teilweise indem man das System gespielt hat.

    Elon Musks Vermögen beruht im wesentlichen auf dem Verkauf von CO2-Zertifikaten von Tesla (welches er selbst nicht gegründet hat). Mark Zuckerberg hat seine Idee von drei Kommilitonen gestohlen. Bill Gates hat sein Vermögen wie ein Rüpel aufgebaut. Ein Kartellrichter in den 90ern nannte ihn einmal den größten Soziopathen, der ihm je untergekommen ist. Larry Ellison’s Oracle war ursprünglich ein CIA-Projekt. Und Vivek Ramaswamy hat seine Milliarde verdient, weil er ein bereits viermal gescheitertes Medikament der Pharmaindustrie gekauft, mit Bogus-Studien neu vermarktet und vorm erneuten Crash verkauft hat. In einem Rechtsstaat wie Island oder Schweden würde der Mann wahrscheinlich im Gefängnis sitzen. In Amerika wurde er Präsidentschaftskandidat und bald wahrscheinlich “Minister für Effizienz”.

    • Danke für den Druko, @Lars

      Wir teilen wohl viele Kritikpunkte an Elon Musk.

      Schade, dass wir wohl (noch?) nicht die gleichen Auffassungen von der Gleichwertigkeit aller Menschen und also der Schädlichkeit von Diskriminierungen vertreten.

  4. Wir müssen vor allem darüber reden, in welchem Zustand sich das Justizwesen allgemein befindet. Wir sollten einen Blick auf das Jurastudium und dessen Zukunft richten.

    Große und umfangreiche Prozesse ziehen sich durch die bundesdeutsche Geschichte.

    Urteile oder Entscheidungen von Gerichten können angefochten werden. Die Überprüfung durch ein höheres Gericht ist ein hohes Gut der Rechtspflege. Das führt natürlich auch dazu, dass sich Prozesse ziehen.

    Bevor wir uns in die Diskussion über das deutsche Rechts- und Justizwesen begeben, ist ein Grundwissen darüber von entscheidender Bedeutung.

    Sie zitieren aus einem Zeitungsartikel. Die Zitate stammen von einer Seite der am genannten Prozess Beteiligten. Es wäre wichtig zu wissen, wie Richter oder Staatsanwälte die Situation sehen.

    Mein Mann war Jurist und als Rechtsanwalt tätig. Da ich ihn im Büro unterstützt habe, hatte ich etwas Einblick. Lange zermürbende Prozesse kannten wir auch.

    Lt. Peter Longerich stellte Friedrich Ebert 173 Strafanzeigen wg. Beleidigung etc. Quelle: Deutschland 1918-1933, Die Weimarer Republik, S. 228, erschienen im Fackelträger-Verlag Hannover, 1995.

    Zum Thema Wirecard: Da hat m.W. die BaFin schon massiv versagt. Wenn selbst die Fachleute dort die Fehlentwicklungen nicht gesehen haben, wie soll dann die Justiz da durchblicken?

    Rechtsgeschichte und die Geschichte der Justiz sind nicht identisch.

    Eines meiner Kinder hat Jura studiert und verfügt über einen Abschluss durch das 1. Staatsexamen. Seit einiger Zeit engagiert sich meine Tochter in der LAG Demokratie und Recht der Grünen und ist deren Sprecherin. Die Landes-Arbeits-Gemeinschaften “haben das Ziel, die inhaltliche und politische Arbeit in der Partei und ihren verschiedenen Gremien zu entwickeln, zu vernetzen und die Zusammenarbeit mit (Fach-)Verbänden, Initiativen und wissenschaftlichen Institutionen zu koordinieren.” Quelle des Zitat: Homepage der Grünen Bayern.

    Wenn wir Veränderungen am Rechts- und/oder Justizwesen brauchen, können diese nur mit den demokratischen Parteien erreicht werden.

    Eine Bitte: Wenn wir von der Justiz reden, sollten wir nicht vergessen, dass es sich
    – bei aller berechtigten Kritik an den Unzulänglichkeiten etc – um Menschen handelt, von denen die allermeisten über ein hohes Berufsethos verfügen.

    • Ja, @Marie H. – da sind wir im Meisten einer Meinung. Die von Ihnen angesprochenen Punkte setze ich eigentlich voraus. Ich bin ein glühender Verteidiger unseres Rechtsstaates und der Gewaltenteilung, arbeite auch beruflich mit auch menschlich hervorragenden Juristinnen und Juristen zusammen, kenne und schätze unsere Landes-Justizministerin Marion Gentges (CDU) sehr, nehme immer wieder gerne Einladungen auch von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten an, zu Fortbildungen zu sprechen und zu diskutieren usw.

      Mir geht es doch gerade darum, darauf aufmerksam zu machen, dass unser demokratisches und juristisches System samt der Besten darin zunehmend und auch gezielt zermürbt wird.

      Entsprechend freut mich das demokratische und juristische Engagement Ihrer Tochter bei den Grünen sehr – bitte grüßen Sie sie! Und ich bin auch zuversichtlich, dass sie die Sachlage ganz ähnlich einschätzen würde.

      Deshalb verstehe ich Ihren knappen Einwurf zu Ebert nicht ganz. Ja, der Mann wurde als Sozialdemokrat, Politiker und dann auch Reichspräsident seinerzeit massiv von Rechtsdualisten angegangen. Ja, er hatte im Vertrauen auf den Rechtsstaat versucht, sich dagegen zu wehren. Und er wurde schließlich im Stich gelassen. Wollen Sie also mit Ihrem knappen Verweis auf seine “173 Strafanzeigen wegen Beleidigung” andeuten, er wäre selber Schuld an seiner Zermürbung gewesen? Dann wären auch die zahlreichen Anzeigen durch Robert Habeck (Grüne) und Friedrich Merz (CDU) falsch.

      Ich meine – auch als seit Jahren Betroffener digitaler Gewalt -, dass niemand durch die Übernahme demokratischer Verantwortung seine Menschenwürde verliert. Wenn wir uns daran gewöhnt, dass jede öffentliche Person bis in die innersten Lebensbereiche hinein diffamiert, beleidigt und entwürdigt werden darf, dann werden sich auch immer mehr Menschen aus der demokratischen Öffentlichkeit zurückziehen, schon gar nicht mehr kandidieren und im Ergebnis den Hatern das Feld überlassen. Auch wir Demokratinnen und Demokraten sind Menschen mit Gefühlen und Fehlern – wer findet, wir müssten dafür auch noch Hass und Beleidigungen bis ins Innerste übernehmen, zerstört die Ideen des demokratischen und respektvollen Dialoges.

      Die Rücktritte der beiden Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang – die aus der gleichen Filder-Stadt stammt wie ich – und von Omid Nouripur – den ich kennen und schätzen lernen durfte – habe ich als dringende Mahnung empfunden, dass es so nicht weitergehen darf. Ricarda Lang hatte ich gegen nicht nur digitale Übergriffe verteidigt – was dazu führte, dass auch ich eine Veranstaltung zu Ehren von Hans Scholl in Crailsheim nur unter starkem Polizeischutz durchführen konnte!

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/tag-der-weissen-rose-in-crailsheim-gedenkrede-fuer-den-ermordeten-hans-scholl/

      Deswegen begrüße ich die Anzeigen der beiden genannten Spitzenkandidaten Habeck & Merz und bin auch öffentlich und mehrfach dem Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum (Pforzheim, CDU) beigesprungen, der und dessen Ehefrau über Jahre hinweg von einer Person getrollt und diffamiert wurden. Obwohl und weil er selbst Jurist und Bundestagsabgeordneter ist, verzweifelte auch er an den realen Abläufen unseres Rechtssystems und sprach gar von einer “Kapitulation”:

      https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.cdu-politiker-krichbaum-ein-jurist-spricht-von-der-kapitulation-der-justiz.37777e85-af57-415b-b5dc-dd49cecbc09f.html

      Da auch dieser Artikel leider hinter einer Paywall ist, hier eine kurze Ausführung durch Felo.ai:

      “Gunther Krichbaum, ein deutscher Politiker der CDU und Mitglied des Bundestages, äußerte sich kritisch über das Justizsystem und sprach von einer “Kapitulation der Justiz”. Diese Aussage bezieht sich auf Fälle, in denen trotz gerichtlicher Urteile keine Konsequenzen für die Verurteilten folgten. Laut einem Bericht vom 14. Oktober 2024 hatte Krichbaum erfolgreich Verleumdungsklagen geführt, jedoch blieben die Urteile gegen die Verurteilten ohne praktische Wirkung. Dies führte zu seiner scharfen Kritik an der Durchsetzungskraft des Justizsystems, das er als unzureichend bezeichnete, um rechtsstaatliche Prinzipien effektiv durchzusetzen[5].

      Seine Bemerkung spiegelt eine tiefergehende Sorge über die Effizienz und Glaubwürdigkeit der Justiz wider, insbesondere in Fällen, in denen Urteile nicht umgesetzt werden. Solche Situationen können das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigen und werfen Fragen über die Durchsetzung von Recht und Ordnung auf.”

      [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Gunther_Krichbaum
      [2] https://m.facebook.com/krichbaum.bundestag/events/
      [3] https://www.united-europe.eu/team/gunther-krichbaum/
      [4] https://table.media/en/europe/heads/gunther-krichbaum-european-policy-spokesman-of-the-cdu-csu-parliamentary-group/
      [5] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.cdu-politiker-krichbaum-ein-jurist-spricht-von-der-kapitulation-der-justiz.37777e85-af57-415b-b5dc-dd49cecbc09f.html

      Aus entsprechenden Erfahrungen und Sorgen zog auch ich mit HateAid vor Gericht – und erlebe nach dem Erfolg in der ersten Instanz (dem LG Frankfurt) auch unter Juristinnen und Juristen Unverständnis, ja Entsetzen über die dort ergangene Entscheidung.

      https://hateaid.org/berufungsurteil-wirft-grundsatzfrage-nach-meldewegen-auf/

      Und so habe ich – sehr bewusst ohne jemanden persönlich anzugehen – gesagt:

      „Für Betroffene von digitaler Gewalt und ihre Familien ist heute ein schlechter Tag. Einen wehrhaften Rechtsstaat, der konsequent gegen Hass und Hetze vorgeht, stelle ich mir anders vor. Wenn jede Person, die für ein öffentliches Amt kandidiert, mit solchen Verleumdungskampagnen rechnen muss, haben wir ein Demokratieproblem.“

      Unser auf Basis von analogen Medien konstruiertes Rechtssystem war nie perfekt, aber die Situation verschlimmert sich derzeit vor allem durch die digitale Medienrevolution. Auch deswegen dieser Blogpost.

      Danke für Ihren Druko und unsere anregenden Dialoge! 🙏

  5. Beim Lesen und Mitdenken fällt mir auf, manches, was bei mir über die mastodon-Timeline hereinkommt, wie die Perspektive von Frau Brorhilker, begegnet mir nun auch in der Tageszeitung. Gleichzeitig ist es deutlich anders geframed (ein Artikel der dpa) und die Message, die ich aufnehme ist schon unterschiedlich.
    Eine Frage, die sich stellt, ist ja die nach der Strategie im Umgang mit Reichtum und Reichen. Das Thema gibt es ja schon richtig lange im Miteinander der Menschen. Eine Strategie ist ja, Erwartungen und Regeln an diese Gruppe zu stellen – Eigentum verpflichtet heißt ja das Stichwort in unseren Gesetzen.
    Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie solche Erwartungen durchgesetzt werden können. Denn es gibt ja schon die Falle, sich ähnlicher Mechanismen zu bedienen, die bei anderen nicht gut geheißen werden, z.B. der Empörung.

    Vielleicht ist im Zusammenhang mit Status und Statussymbolen eine Beobachtung möglicher Ansatzpunkt für andere Strategien:
    Menschen erleben Räume, in denen der Status nicht bestimmt, oft als lebendiger (Pilgerreise, Schwellenerfahrungen jeglicher Art, …) Victor Turner, in seinem Werk, ,,The ritual process” hat das für mich gut mit dem Konzept der Communitas (Antistructure) herausgearbeitet. In der Zeit der Verstädterung, so der Hinweis von Victor Turner, konnte Franziskus mit seiner Bewegung davon viel vermitteln. Genossenschaftliche Erfahrungen späterer Zeit passen sich auch dazu. Der Hinweis auf die Lehre Jesu passt ja eher in diese Richtung – die Ausrichtung dort deute ich an eine bewusste Absage des Status und des sich Vergleichens mit anderen, was den Menschen aller Zeiten wohl sehr nahe liegt. ,,Wer unter Euch groß sein will, soll euer Diener sein” geht ja in eine Richtung, die z.B. diese Bewegung stärker für sich in unserer Zeit entdeckt hat https://www.servicespace.org/

    Spannend finde ich (neben dem Sichtbarmachen) auch jeweils Strategien, die so ein ,hacking’ durchkreuzen können. Da merke ich auch, dass das Umfeld der Juristerei mir eher fremd ist. Der Unmut von Menschen, die erfahren, es ist für sie, z.B. im Umfeld von Schadensmeldungen bei Verkehrsunfällen, nicht einfach, ihr Recht zu bekommen, begegnet mir in den Gesprächen schon – und ich hatte dazu wenig hilfreiches zu sagen – wobei Zuhören ja zumindestens etwas tröstet, und das ist ja auch nicht nichts.

    Noch eine andere ,,Baustelle”: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihren Blog direkt ins FediVerse einzubinden.
    Dann würden ja solche Rückmeldungen auch über das FediVerse Konto gehen können, bräuchte es keine extra Email
    und Kommentare, die Sie dann dort teilen, sind gleichzeitig auch in Ihrem Blog.

    • Vielen Dank für den starken Druko, @HG Unckel 🙏

      Zum Blog-Einbinden nur soviel: Ich bin dem starken Team von Spektrum der Wissenschaft sehr, sehr dankbar, dass sie sich um den ganzen technologischen Rahmen kümmern, damit ich mich auf das inhaltliche Bloggen und Kommentieren beschränken kann. Ich hoffe, dass die Werbeeinnahmen (von denen ich keinen Cent haben möchte, dieser Blog ist völlig ehrenamtlich) den Aufwand rechtfertigen und wage es nicht, weitere Forderungen zu erheben. Vielmehr poste ich bewusst zu diesem Blog nur noch im Fediversum, auch wenn kommerzielle, antisoziale Medien noch so viel Reichweite verheißen.

      Zu Ihrem Druko inhaltlich: Sie haben völlig Recht, in unserem Grundgesetz heißt es in Artikel 14, Absatz 2:

      Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

      In der heutigen, juristischen Realität bekam ich jedoch wieder und wieder ein Sprichwort zu hören: “Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand” aus dem Lateinischen “Coram iudice et in alto mari sumus in manu Dei”.

      Dieser Verweis auf die Unberechenbarkeit und Religion verweist jedoch m.E. auf die wachsende Schwäche des säkularen Rechtsstaates: Wenn jedes Gerichtsverfahren in Länge und Ergebnis unvorhersehbar ist, dann werden Wohlhabende, die sich Prozesskosten, mehr und bessere Anwälte sowie bei Bedarf Verlängerungen und Berufungen leisten kann, gegenüber Ärmeren immer im Vorteil sein. Aus dieser Perspektive ist etwa ein Verhalten von Versicherungskonzernen, gerade auch ärmeren und eilbedürftigen Kundinnen und Kunden die Zahlung zu verweigern, geradezu rational! Und durch die Digitalisierung und also Vervielfältigung und Beschleunigung von Schriftsätzen wird also diese Unsicherheit und Ungerechtigkeit derzeit enorm gesteigert!

      Ein wirklich gerechtes Rechtssystem müsste also in Kosten, Dauer und Ergebnis berechenbar sein, um so auch die Rechte derer zu schützen, die weniger Zeit und Geld haben. Da KI-Anwendungen gerade auch zur Überwindung des Medienmengen-Paradoxes konzipiert worden sind, dürfte ein solches gerechtes Rechtssystem schon aus Gründen der Waffengleichheit aus einer Kombination menschlicher Entscheider und KI-Programmen entstehen. Reaktanz bringt uns auch hier nur in die Traditionalismusfalle.

  6. Also ich bin ja kein Jurist aber überlege seit einiger Zeit ob es nicht hilfreich sein könnte wenn man ungeachtet von Einkommen das Strafmaß in Tagessätzen festlegt so das auch Finanziell gutgestellte in einem Prozess etwas zu verlieren haben?

    • Ja, @Swen Martens – nach meiner Kenntnis orientieren sich die Strafen (“Tagessätze”) bisher am Einkommen der Verurteilten, wogegen das Bundesverfassungsgericht 2002 sogenannte Vermögensstrafen untersagt hat.

      Perplexity.ai fasst es uns so zusammen:

      In der Bundesrepublik Deutschland werden gerichtlich verhängte Geldstrafen grundsätzlich nicht direkt am Vermögen der Verurteilten orientiert. Stattdessen basiert das System auf Tagessätzen, die sich nach dem Einkommen des Verurteilten richten.

      Es gab jedoch von 1992 bis 2002 eine Ausnahme von dieser Regel: die sogenannte Vermögensstrafe. Diese war im § 43a des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt und erlaubte es Gerichten, neben einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren eine zusätzliche Geldstrafe zu verhängen, deren Höhe durch den Wert des Vermögens des Täters begrenzt war[1].

      Die Vermögensstrafe hatte folgende Merkmale:

      1. Sie konnte nur bei bestimmten schweren Straftaten verhängt werden.
      2. Die Höhe der Strafe orientierte sich am Gesamtvermögen des Verurteilten.
      3. Das Gericht konnte eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren festlegen, falls die Vermögensstrafe nicht gezahlt werden konnte[1].

      Der Hauptzweck dieser Strafe war es, mutmaßliche Gewinne aus kriminellen Aktivitäten abzuschöpfen, auch wenn diese nicht direkt nachgewiesen werden konnten[2].

      Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Vermögensstrafe jedoch 2002 für verfassungswidrig und nichtig. Die Hauptgründe dafür waren:

      1. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG
      2. Mangelnde präzise Strafzumessungsregeln für die Richter[1]

      Seit dieser Entscheidung gibt es in Deutschland keine am Gesamtvermögen orientierte Geldstrafe mehr. Die regulären Geldstrafen werden weiterhin nach dem Tagessatzsystem bemessen, das sich am Einkommen, nicht am Vermögen des Verurteilten orientiert.

      Citations:
      [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Verm%C3%B6gensstrafe
      [2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2002/03/rs20020320_2bvr079495.html
      [3] https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/rechtswissenschaft/ls/barton/publikationen/Lasst-sich-die-Vermogensstrafe-(-43a-StGB)-verfassungskonform-anwenden-1997-193-207.pdf
      [4] https://www.duncker-humblot.de/_files_media/leseproben/9783428504619.pdf

      Ehrlich gesagt finde ich auch diese BVerfG-Entscheidung schwierig, zumal andere Länder wie Italien meines Wissens mit Vermögensstrafen bzw. Vermögensentzug gerade auch bei der Verfolgung organisierter Kriminalität arbeiten. Es wäre doch verrückt, einen über Jahre hinweg schwerreich gewordenen Mafiaboss nur zu Tagessätzen auf Basis seines aktuellen “Einkommens” zu bestrafen!

      Aus meiner Sicht beginnt das eigentliche Problem jedoch noch früher: Wenn “finanziell Gutgestellte” von vornherein wissen, dass sie jeden Prozess durch teure Anwälte mit vielen Schriftsätzen beeinflussen sowie verlängern und auch durch mehrere Instanzen führen können, dann geraten sie gegenüber Ärmeren sowie auch Staatsanwältinnen in einen massiven Vorteil und müssen Verurteilungen kaum noch fürchten. Genau das erlebte Anne Brorhilker als bundesdeutsche Oberstaatsanwältin in Finanzverfahren – bis sie schließlich ihren Beruf und Verbeamtung aufgab, um für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Das ist, finde ich, schon eine wichtige und hoffentlich wirkungsvolle Geste!

  7. Wir sollten den Gedanken verwerfen, dass eine auf demokratischen Prinzipien beruhende Rechtsprechung etwas gegen die Mediensystemlandschaft ihrer Zeit ausrichten könnte.

    Wenn wir es für normal und alternativlos halten, mehrheitlich Medien zu nutzen, die Profit daraus ziehen, die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu brechen, brauchen wir nicht erwarten, dass die Rechtsprechung irgend etwas daran ändern könnte.

    “Move fast and break things.” lautet der Slogan unserer Mediensystemlandschaft.

    Eine auf demokratischen Prinzipien beruhende Rechtsprechung kann in so einer Welt nicht mehr funktionieren.

    Gesetze, die von einer Mehrheit nicht mehr mitgetragen werden, lassen sich in einer Demokratie nicht durchsetzen.

    Die Mediensystemlandschaft einer Demokratie muss in der Lage sein, zu den wichtigen Problemen einen hinreichenden Konsens zu stiften.

    Eine Mediensystemlandschaft, die Themen nach Aufmerksamkeitspotential wichtet, schafft es nicht mal mehr, wichtige Probleme zu erkennen.

    • Danke für Ihren meinungsstarken und anregenden Druko, @ErwinL 🙏

      Im aktuellen KIT-Seminar zu Berufs- und Medienethik setzen wir uns ja mit der These der sehr geschätzten Marina Weisband auseinander, die auf Mastodon postete:

      “Was uns wirklich die Demokratie kosten wird, ist die Aufmerksamkeitsökonomie.”

      Hier gibt es auch den Reader zum Seminar, die Video-Aufzeichnung meines Einführungsvortrages sollte auch bald folgen:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/kit-studienbrief-zu-digitaler-aufmerksamkeitsoekonomie/

      Ich meine, dass wir die gegenseitigen Auswirkungen der digitalen Medienrevolutionen auf unsere Rechts- und Regierungssysteme erst einmal verstehen und öffentlich diskutieren sollten, bevor wir irgendetwas Verwerfen. Schon vor Jahren habe ich etwa in der Jüdischen Allgemeinen vor der Krise unseres Mediensystems gewarnt und dieses ist, ja, weiterhin schweren Turbulenzen.

      https://www.juedische-allgemeine.de/politik/die-desinformierer/

      Aus meiner Sicht gehören sowohl faire Wahlen wie auch die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zum Kernbestand von Demokratie und Menschenrechten und sollen also gerne weiterentwickelt, aber niemals aufgegeben werden. Ich spreche und blogge darüber für zeitnahe Verbesserungen, nicht für eine Kapitulation.

      • Ich sehe es keinesfalls als Kapitulation, wenn ich sage, dass eine auf demokratischen Prinzipien beruhende Rechtsprechung als Kind der Medienlandschaft ihrer Zeit, die Medienlandschaft nicht ändern kann.

        Es geht mir um alle, die angesichts der Auswirkungen unserer kaputten Medienlandschaft nach der Rechtsprechung rufen und sich gleichzeitig weigern, die Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen medialen Diskurses zu übernehmen.

        Nehmen wir z.b. unseren ÖRR. Der begründet sein Engagement im kommerziellen Social Media mit “Reichweite” oder “Zielgruppen erreichen”. Als Messwerte verwendet er die Metriken, die von den kommerziellen Medien bereitgestellt werden (Quelle: https://zdf.social/@3sat/113691529326513127).

        Diese Metriken sind aber reine Aufmerksamkeitszähler (Anzahl Views, Retweets, Likes, Kommentare), denn die kommerziellen Plattformen können jede Art von Aufmerksamkeit monetarisieren. Hass- und Schwurbelkommentare oder Teilen in radikalen Gruppen incl. zugehöriger Reaktionen zählen genau so wie neutrale oder positive Reaktionen.

        Es findet also überhaupt keine Bewertung des sich auf der kommerziellen Plattform entwickelnden öffentlichen Diskurses zu den eigenen Beiträgen statt und der ÖRR feiert am Ende “Lügenpresse”-Kommentare als Reichweite.

        Ich sehe hier ganz klar eine Weigerung, die Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Diskurses zu übernehmen. Das steht m.E. im Widerspruch zum Gemeinnützigkeitsstatus des ÖRR.

        Wer an dieser Stelle nach der Rechtsprechung ruft, versucht m.E. vor allem von der eigenen Weigerung der Verantwortungsübernahme für die Gestaltung des öffentlichen Diskurses abzulenken.

        Das für den ÖRR Gesagte gilt für das öffentliche mediale Engagement aller dem Gemeinwohl verpflichteten Organisationen oder Personen. Für das Gemeinwohl sind Art und Inhalt des öffentlichen Diskurses alles andere als “weiche” Faktoren, denn im Zeitalter des Social Media bestimmt der dort stattfindende öffentliche Diskurs die Themen, die wir für relevant halten und bildet die “sozialen Wahrheiten” zu diesen Themen.

        In einer Demokratie können Gesetze nur funktionieren, wenn sie Ausdruck der “sozialen Wahrheit” einer Mehrheit sind.

        • Danke für die Präzisierung, @ErwinL – da sind wir dann wirklich auch inhaltlich beieinander!

          Ich habe gerade einen neuen Blogpost zur neuen Medienwelt geschrieben, in die wir derzeit taumeln. Und diese ist ja tatsächlich auch dadurch gekennzeichnet, dass jetzt alle nach Einschränkungen gegenüber Twitter / X rufen, nachdem doch gerade erst das OLG Frankfurt in der Frage der Moderationspflichten vor dem Konzern klein beigegeben hat.

          https://hateaid.org/berufungsurteil-wirft-grundsatzfrage-nach-meldewegen-auf/

          Den Blogpost beginne ich, wie Ihr Druko auch, mit der falschen Fokussierung vieler auf ein eindimensionales Verständnis von Reichweite:

          Immer mehr Menschen bemerken, dass auf antisozialen Medien wie X die “reale Reichweite” sinke, da Bots, Trolle und Konzern-KI-Crawler gar nicht ihre primäre Zielgruppe sind. Am Einsatz von AI-Bots auf Meta gab es gerade so heftige Kritik, dass sich der Konzern davon distanzieren musste. Elon Musk attackierte zuletzt sogar Wikipedia als vermeintlich “woke”, weil das Fediversum (noch) dialogische Zugänge zur Realität ermöglicht und von den meisten Suchmaschinen und KI-Anwendungen angesteuert wird.

          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/diesseits-von-zeit-raum-aus-fediversum-und-ki-emergiert-das-erste-perfekte-medium-nach-harold-innis/

          Mir scheint also, unsere Beobachtungen kommen sich da doch erstaunlich nahe! Und das freut und ermutigt mich – Danke!

  8. @Michael 04.01. 13:20

    „Ich spreche und blogge darüber für zeitnahe Verbesserungen, nicht für eine Kapitulation.“

    Wenn die Leute denn kapieren würden, dass sie sich systematisch desinformieren lassen, wären wir einen Schritt weiter.

    Die Datensammelei der großen Konzerne wird eben langsam wirklich destruktiv, man ist inzwischen aktiv dabei, die gesammelten Daten gegen die Menschen selbst zu verwenden, um sie so zu manipulieren, dass sie gegen die eigene Freiheit aufgehetzt werden.

    Verbote wären das eine, Opensource-Alternativen das andere. Den Konzernen ist offensichtlich überhaupt nicht mehr zu trauen.

    Und das schon existierende Fediversum konsequent zu nutzen, ist sowieso inzwischen eigentlich längst selbstverständlich. Man kann hier wirklich jedem raten, auf Reichweite zu pfeifen, wenn dann doch auf den unseligen Plattformen alles gegen uns läuft.

    Die Leute müssen doch endlich mal merken, wo mehr Fake als Neuigkeiten zu finden ist. Man ist doch eigentlich neugierig auf Fakten, die auch zutreffend sind. Lügen führen nur zu Konfusion, dass will doch eigentlich keiner.

    Wenn wir den Plattformen unsere Qualitätsbeiträge verweigern, dann bleibt da nur noch der Unsinn übrig. Da habe ich die Hoffnung, dass das dann die Leute früher oder später dann auch merken.

    • Ja, @Tobias – ich möchte diesen Satz von Dir voll unterschreiben: “Wenn die Leute denn kapieren würden, dass sie sich systematisch desinformieren lassen, wären wir einen Schritt weiter.”

      Leider dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass das digitale Neurohacking und die Thymotisierung die Menschen langsam empörungssüchtig machen, ihre Weltwahrnehmung verzerren. So schreibt der aktuelle, sehr lesenswerte SPIEGEL 2 / 04.01.2025 im Artikel “Der Obertroll” (S. 20 – 22) über den Einfluss des Digitalkonzerns Twitter / X auf seinen jetzigen Besitzer Elon Musk:

      “‘Lösch all deine anderen News-Apps’, heißt es in einem Beitrag, den der Unternehmer kürzlich teilte. ‘X blendet den Lärm aus und zeigt dir, was wirklich vor sich geht.’ Musk scheint diesen Rat auch selbst zu beherzigen: Er ist ständig aktiv auf seiner Plattform, bespielt und beeinflusst seine über 200 Millionen Follower und lässt sich offenbar beeinflussen.'” (S. 21)

      Nur vier Seiten weiter (auf S. 25) heißt es zum Abschluss des SPIEGEL-Artikels “Medien: Unter Milliardären” über die engen Verbindungen von AxelSpringer-Konzernchef Mathias Döpfner und Elon Musk, der gegen die Stimmen auch namhafter Journalistinnen wie Eva Marie Kogel und Journalisten wie Frederik Schindler und Robin Alexander einen AfD-Wahlaufruf in der “Welt am Sonntag” veröffentlichen durfte:

      “Wie die Chefredaktion mit dem Widerspruch auf den Musk-Beitrag in der Redaktion umging, ist für viele keine rein journalistische Frage mehr. Es ist auch eine, bei der sie fürchten, sie könnte über die eigene Zukunft im Unternehmen entscheiden. Auf LinkedIn teilte Herausgeber Ulf Poschardt einen Kommentar des Juristen Joachim Steinhöfel. Darin heißt es, nur “Feinde des freiheitlichen Staates” würden den Abdruck von Musks Kommentar kritisieren. “Man sollte sich ihre Namen merken.””

      Währenddessen lässt sich das bedrohliche Scheitern der österreichischen Koalitionsverhandlungen unter den demokratischen Parteien ÖVP, SPÖ und Neos auch so deuten, dass sich die jeweiligen, politischen Milieus digital zugespitzt und ihre traditionellen Kompromissfähigkeiten zunehmend eingebüßt haben.

      Und schließlich wird erneut das einstige Flaggschiff der US-Demokratie, die “Washington Post”, von einem Skandal um mögliche Einflussnahme durch den neuen Besitzer und Medienmilliardär Jeff Bezos, erschüttert. Die Tagesschau meldet:

      “Die US-Karikaturistin und Pulitzer-Preisträgerin Ann Telnaes hat im Streit über eine ihrer Zeichnungen die Washington Post verlassen. Die Redaktion habe einen Entwurf abgelehnt, der unter anderem Mark Zuckerberg vom Meta-Konzern sowie Amazon-Gründer und Washington-Post-Eigentümer Jeff Bezos mit prall gefüllten Geldsäcken und kniend am Fuße einer Statue des künftigen US-Präsidenten Donald Trump zeigt, schreibt Telnaes in einer Stellungnahme, in der sie auch eine Skizze der Karikatur zeigt.”

      https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/karikatur-trump-bezos-100.html

      Bereits 2022 habe ich gegenüber Matthias Meisner in der Jüdischen Allgemeinen gewarnt:

      Der Antisemitismusbeauftragte Michael Blume sagt dazu: »Verschwörungsmythologische Radikalisierungen gibt es unter Rechten, Linken und auch unter Liberalen.« Er kritisiert: »Viele Medien haben versucht, auf die Digitalisierung zu reagieren, indem sie auch extremeren Stimmen ein Forum geboten haben.« Kurzfristig habe das auch wirklich die Klickzahlen hochgetrieben. Nun aber sei zu bilanzieren: »Die Radikalisierung wird dadurch immer weiter befeuert, und die Vernünftigen wenden sich ab.«

      Dass beispielsweise die »Bild«-Zeitung und »Der Spiegel« Thilo Sarrazin hochgeschrieben hätten, habe beiden Medien viel mehr geschadet als genutzt. Nicht gefeit sieht Blume auch manches konservative Blatt. Explizit warnt er davor, Parallelmedien mit inhaltlicher Anbiederung Konkurrenz zu machen: »Denn wenn sich Leute erst einmal verschwörungsideologisch aufgeladen haben, vertrauen sie auch keinen bürgerlichen Stimmen der ›NZZ‹ oder der ›Welt‹ mehr, sondern kippen in Rechtsaußen-Blogs und Telegram-Gruppen ab.«

      https://www.juedische-allgemeine.de/politik/die-desinformierer/

      Besonders schlimm ist die Lage selbstverständlich in Russland, wo oppositionelle Medien bereits seit Jahren gleichgeschaltet oder geschlossen werden und also breitere Foren für eine dialogische Meinungsbildung fehlen. Nach Auskunft des mutigen, russischen Soziologen Lew Gudkow, 78, gegenüber dem aktuellen SPIEGEL (S. 84 – 86) können Millionen Russinnen und Russen damit das Andauern des Ukraine-Krieges, die massiven Verluste, die rapide Geldentwertung / Inflation und Medikamentenmängel weder frei diskutieren noch einordnen. Stattdessen wachse die Aggression, S. 85: “Die Toleranz gegenüber einem möglichen Einsatz von Atomwaffen hat sich während des Kriegs fast verdoppelt. Von 21 bis 22 Prozent auf zuletzt 39 Prozent.”

      Du schreibst: “Wenn wir den Plattformen unsere Qualitätsbeiträge verweigern, dann bleibt da nur noch der Unsinn übrig. Da habe ich die Hoffnung, dass das dann die Leute früher oder später dann auch merken.”

      Deine Hoffnung teile ich. Aber die Frage ist, wie groß der Schaden bis dahin geworden ist – und ob es dann womöglich schon zu spät sein wird, den Trend wieder zum demokratischen Dialog zu drehen.

  9. @Michael 04.01. 22:03

    „Deine Hoffnung teile ich. Aber die Frage ist, wie groß der Schaden bis dahin geworden ist – und ob es dann womöglich schon zu spät sein wird, den Trend wieder zum demokratischen Dialog zu drehen.“

    Und wenn sich KI in die unseligen Plattformen einmischt? Und penetrant aber automatisiert allen Unsinn auf dem Fuße richtigstellt? Mit ständig und dauernd wechselnden Accounts.

    Gucken wir also erstmal, dass die KI weiter dazulernt. Und klar dürfte sein, dass hier nur KI als Opensource uns helfen kann. Was die Konzerne da anbieten, dürfte das Problem auf die Dauer eher verschärfen. Wenn denn die EU das mal kapiert und konsequent fördert, hätten wir eventuell die Chance, die Sache doch noch rechtzeitig zu drehen.

    Und wir können dann auch gucken, was wir für unsere Diskurse wirklich nutzen können.

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