Der Öl- und Gaskrieg um Libyen – Rentiersregime vs. Energiedemokratie

Da ist sie wieder, die Empörung: Die Türkei verlegt “neo-osmanistisch” syrische Söldner und türkische Soldaten nach Libyen, um die mit den Muslimbrüdern verbundene Regierung in Tripolis zu unterstützen! Damit stellt sich das Land auch gegen den Verbündeten Russland, das wiederum den laizistischen “Rebellengeneral” (Warlord) Khalifa Haftar unterstützt. Und bevor Häme aufkommt: Auch die Staaten der Europäischen Union neigen – je nach Wirtschaftsinteressen – dem einen oder anderen Lager zu. Deutschland eher zu Tripolis. Frankreich eher zu Haftar. Ganz toll.

Denn es geht auch hier kaum um Menschen- und Völkerrechte, um Religionen oder alte Freundschaften. Es geht auch in Libyen knallhart um Öl- und Gasquellen auf Land und im Meer sowie um den Verkauf dieser Rohstoffe nach Europa. So hat sich Erdogan von Tripolis “Seerechte” zusichern lassen, die gegen ein Gas-Pipeline-Projekt u.a. von Israel, Griechenland, Zypern und Ägypten in Anschlag gebracht werden.

Und wir bezahlen am Ende gerne, wer auch immer das blutige Spiel um Öl und Gas gewinnt. Wir blamieren uns ja gerade mit einer politisch und ökologisch wahnsinnigen Nord Stream II-Pipeline in der Nordsee.

Ach, wie sehr würde ich mir weniger Gefühlsduselei und mehr strategisches und wissenschaftliches Denken gerade auch von Liberalen, Konservativen und Rechten wünschen. Denn längst könnte es jede/r wissen:

Wer weiterhin Öl und Gas verfeuert sowie Energie und landwirtschaftliche Flächen durch Fleischkonsum verschwendet, der verstrickt unsere Wirtschaft und Gesellschaft in Abhängigkeiten von Rentierstaaten und finanziert autoritäre, gewalttätige und korrupte Regime, Kriegszüge, Flüchtlingsströme, Rassismus und Antisemitismus mit. Teile der AfD hoffen sogar auf den Zusammenbruch Europas durch das Peak Oil-Versiegen der Rohstoffzufuhr! Schöne Vaterlandsliebe…

Schaubild zur Rentierstaatstheorie aus “Islam in der Krise”, Patmos 2017. Grafik: Michael Blume

Wer dagegen konsequent auf Energiedemokratie setzt, also möglichst durch die einheimische Landwirtschaft produzierte, erneuerbare Energien von Solarstrom bis zu zu Energiepflanzen, Biogas und Bio-Kraftstoffen finanziert, auf den Energie- und Flächenfresser Fleisch und auf die Verbrennung von Öl und Gas verzichtet, die und der leisten damit einen ganz direkten, strategischen Beitrag zur stärkeren Unabhängigkeit, zu Friedens- und Umweltschutz und auch zur Reduzierung von Flüchtlingsströmen. Und nein, hier geht es nicht um vermeintlich “weiche” Themen, sondern knallhart um geostrategische Interessen, um Finanzen, Herrschaft, Waffen, Kriege, eine gesunde Umwelt und “Werte”! Letztlich geht es hier um die Zukunft.

Und gar nichts ist unmöglich. Zum Beispiel Brandenburg deckt schon jetzt zwei Drittel seines Energieverbrauches aus “Erneuerbaren”, mit weiter steigender Tendenz. Jeder landwirtschaftliche Betrieb, der ordentlich bezahlte Energie statt Billig-Fleisch produziert, ist ein Gewinn.

Und niemand kann ernsthaft behaupten, sie oder er habe doch persönlich nichts davon wissen und nichts tun können…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

18 Kommentare

  1. Die Türkei und Russland sind einerseits Verbündete, andererseits Konkurrenten – sie konkurrieren um Einfluss und Macht im arabischen Raum. Und das gerade jetzt, weil beide wissen oder zumindest annehmen, dass ihnen die USA nicht in die Quere kommen, hat doch bereits Obama nicht in den Syrienkonflikt eingegriffen und hat doch Trump kürzlich sogar US-Truppen abgezogen. Nun liegt also ein grosses Stück Kuchen (Syrien+Lybien) bereit um aufgeteilt zu werden, aufgeteilt zu werden zwischen Aspiranten, die keine wirklichen Weltmächte sind (Russland und die Türkei sind von der Wirtschaftskraft her mit Spanien zu vergleichen), die aber genügend Willen zeigen und als einzige eigene Soldaten einsetzen wollen. Die EU sieht wie immer zu, die USA will sich ebenfalls raushalten und die Araber sind so zerstritten, dass sie keine Interessengemeinschaft bilden, nicht einmal eine Interessengemeinschaft für den Frieden.

    Klar, Öl und Gas spielen auch eine Rolle – aber nicht eine überragende Rolle. Das Abkommen zwischen der offiziellen Regierung in Libyen und der Türkei sollte nicht überbewertet werden, ist doch die libysche Regierung fast machtlos: sie kontrolliert gerade einmal das Gebiet um die Hauptstadt Tripolis herum. Doch für Erdogan geht es wohl vor allem darum, nicht einfach alles Russland zu überlassen, sondern selbst Ansprüche anzumelden und Einfluss zu gewinnen

    Jedenfalls geht es in Syrien, Lybien und den angrenzenden Ländern um klassische Macht- und Einflusspolitik und es werden von Russland und der Türkei ohne Bedenken militärische Mittel eingesetzt.

    Und Europa schaut wie immer zu.

    • Danke, @Martin Holzherr. Nur: Leider schaut Europa eben nicht nur zu.

      Durch unsere enormen Öl- und Gasimporte treiben wir die Weltmarktpreise und finanzieren direkt und indirekt autoritäre Regime, Milizen und Terrorgruppen der ganzen Region. Während Russland einerseits im Bündnis mit dem Iran vorgeht und immer noch Teile der Ukraine besetzt hält, bauen wir mit ihm andererseits eine weitere Pipeline an unseren osteuropäischen Verbündeten und Freunden vorbei. Und wir bezahlen wiederum die Regierung Erdogan dafür, die Flüchtlinge aus dem zerstörten Syrien nicht nach Europa zu lassen. Dieser sperrt wiederum die Grenzen gegenüber weiteren Fliehenden aus der Region Idlib, die von syrischen, russischen und iranischen Truppen eingenommen wird.

      Auch in Lybien weiß jede Konfliktseite, dass wir auch weiterhin Öl und Gas schon kaufen werden – egal, wieviel Blut daran klebt. Die Eskalation USA – Iran dürfte die Rohstoffpreise sogar ein weiteres Mal steigen lassen – zum Segen der Öl- und Gaseliten und zum Schaden der Verbraucher.

  2. Libyen war mal ein christliches Land in dem es allen gut ging. Dann hat man sich die Islamisten importiert, seitdem ist es ein Shithole Country.

  3. Wenn ich das richtig sehe, haben Sie sich in der Vergangenheit, was Kommentare zu Aktionen und Reaktionen der USA im Nahen Osten betrifft, ziemlich zurückgehalten, lieber Herr Blume.
    Da die jüngsten Entwicklungen, nicht nur im Irak, direkt mit dem hier angesprochenen Thema zu tun haben, wäre mir an einer Einschätzung Ihrerseits sehr gelegen.

    • Ja, @Alisier – ich sehe meine Aufgabe generell nicht darin, als vermeintlicher Großdenker die Politik anderer Staaten von oben herab zu beurteilen. M.E. findet sich überall Licht und Schatten – und im Zweifel sollte immer die demokratische Verfasstheit anderer Staaten den Ausschlag für Bündnisentscheidungen geben. Wie lange wir Pipelines durch das Mittelmeer oder die Nordsee, Tankschiffe mit Flüssiggas etc. noch brauchen, liegt ja letztlich an uns. Wenn wir Deutschen und Europäer die Gewalt im Nahen und Mittleren Osten, im Maghreb usw. ehrlich ablehnen, so sollten wir m.E. erst einmal selbst unseren Beitrag dazu – vor allem unseren Öl- und Gashunger – schneller einschränken. Das Ganze einerseits mit zu finanzieren, sich selbst durch Bequemlichkeit abhängig zu machen und dann aber von der Zuschauertribüne aus moralische Ratschläge an Dritte zu geben – das wäre, da haben Sie völlig Recht, tatsächlich nicht mein Verständnis von Politik.

  4. “Denn es geht auch hier kaum um Menschen- und Völkerrechte, um Religionen oder alte Freundschaften. Es geht auch in Libyen knallhart um Öl- und Gasquellen auf Land und im Meer sowie um den Verkauf dieser Rohstoffe nach Europa.”

    Ganz schön krude Verschwörungsmythen, die Sie hier verbreiten. Natürlich geht es dem guten Westen nur um Menschen- und Völkerrechte.

    • Das glauben Sie ja selber nicht, @Peter Müller. Und immerhin haben Sie inzwischen offensichtlich den Unterschied zwischen “Verschwörungstheorien” und “Verschwörungsmythen” verstanden – super.

      Nun wünsche ich Ihnen die Kraft, den nächsten Schritt zu tun und mehr als feindseliges Gejammer zu produzieren.

      Ist die Menschheit perfekt, sind wir es? Oh, nein! Heißt das, dass sich nichts verbessern lässt, dass wir Freiheiten nicht nutzen können, um Besseres auf den Weg zu bringen? Erst recht nicht.

      Dass Sie den demokratischen Westen mit all diesen Juden, Christen und Muslimen, den widersprechenden Frauen und den Menschen verschiedener Hautfarben emotional ablehnen und es gerne lieber wie in Russland etwas autoritärer und übersichtlicher hätten, haben wir ja nun alle verstanden. Und ich verstehe durchaus auch, dass Freiheit und Vielfalt sich oft anstrengender anfühlen als ein strammer, weißer Kerl, der Männern wie Ihnen die Marschrichtung vorgibt.

      Trotzdem kann ich Ihnen den Hinweis nicht ersparen, dass es den meisten Russinnen und Russen und erst Recht den anderen Völkerschaften dort nicht wirklich gut geht – und dass der zwischenzeitliche Wirtschaftsaufschwung in Russland vor allem Rohstoffexporten zu verdanken war. Freie, liberale Gesellschaften mit vielfältiger Presse, Opposition und tatsächlichen Wahlen tendieren auf Dauer zu größerer Dynamik und zu weniger Korruption als Öl- und Gasoligarchien. Und wenn Sie es wirklich nicht mehr aushalten, hätten Sie ja sogar die Freiheit, auf all die Zumutungen unserer freiheitlichen Demokratie zu verzichten und den russischen Traum zu leben. Aber auch dazu bräuchte es, klar, Mut. Nur Jammern und Kritisieren ist natürlich viel billiger und bequemer, zumal es inzwischen ja das (igitt, auch ursprünglich westliche!) Internet gibt.

      • @ Michael Blume
        06.01.2020, 20:49 Uhr

        Trotzdem kann ich Ihnen den Hinweis nicht ersparen, dass es den meisten Russinnen und Russen und erst Recht den anderen Völkerschaften dort nicht wirklich gut geht – und dass der zwischenzeitliche Wirtschaftsaufschwung in Russland vor allem Rohstoffexporten zu verdanken war.

        Das ist, was ich Putin-Fans auch stets vorhalte. Das vergangene Jahrzehnt war das Jahrzehnt der Schwellenländer. China, Indien, Türkei, Brasilien – Was sind die geboomt! Wachstumsraten von bis zu über 10%! Die Türkei, deren wichtigster Rohstoff Haselnüsse sind!

        Und Putin hat das rohstoffreiche Rußland dahin gebracht, daß das Renteneintrittsalter um zwei Jahre erhöht wird.

        • Dafür stehen nun russische Truppen bzw. russisch bezahlte Söldner nicht nur in der Ukraine, auf der Krim und in Syrien, sondern eben auch in Libyen. Und das Ganze übrigens, während die einheimische Bevölkerung auch durch Misswirtschaft und Korruption verarmt, altert und schrumpft.

          Für das eigene Land würden weder Links- noch Rechtsextreme eine solche “Bilanz” gelten lassen. Aber die Sehnsucht nach autoritären Führungsfiguren und einfachem Gut-Böse-Denken bleibt einfach groß.

          Auch die Iranerinnen und Iraner haben unter dem verordneten Expansionismus ihrer Führung enorm gelitten, und tun es weiter. Thomas Friedmann in der NYT dazu:
          https://www.nytimes.com/2020/01/03/opinion/iran-general-soleimani.html

          Und, klar, schon jetzt sind die Ölpreise wieder gestiegen, verdienen einige Akteure sehr viel an dem Ganzen.

          Ich kann mich also wirklich nur wiederholen: Wer möchte, dass dieser Wahnsinn irgendwann aufhört, sollte zunächst selber aufhören, ihn durch Öl- und Gaseinkäufe zu finanzieren…

  5. @ Michael Blume
    Ja, es liegt sicherlich auch an uns selber, wie es mit der Verschwendung von fossilen Brennstoffen weiter geht..
    Dennoch wird ohne eine mutige und konsequente Weichenstellung seitens der Politik nicht viel passieren. Auf einen rein freiwilligen Verzicht der Verbraucher zu hoffen halte ich angesichts der Lage für nicht angebracht.
    Es gibt einige Wege der sinnvollen Regulierung, die nicht gleich in die von einigen befürchtete Ökodiktatur führen.
    Und ihrem Post stimme ich größtenteils zu. Allerdings halte ich den Anbau von Energiepflanzen egal welcher Art auf Dauer für eine Sackgasse.
    Ob Holzacker oder Maismonokultur: zur direkten Nahrungsproduktion sind Böden auch ökologisch gesehen weitaus besser geeignet.
    Was vielen in dem Zusammenhang unendlich schwer zu fallen scheint ist über Verzicht nachzudenken. Genau das sollten wir aber meiner Meinung nach tun.

    • Klar, @Alisier – der Verzicht auf Fleisch ist ja zum Beispiel ein hervorragender Weg, um den Flächen- und Energieverbrauch massiv zu senken, Tieren Leid zu ersparen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken und Platz für Solarkraftwerke, Energiepflanzen wie auch Renaturierungen zu schaffen.

      Die Energiewende ist m.E. nur zu schaffen, wenn bewusste Verbraucher und kluge Rahmenbedingungen ineinander greifen. So darf ich für uns in Anspruch nehmen, dass das Elektroauto schon ein paar Freunde und Bekannte zum Umsteigen angeregt hat. Nun wird es entscheidend auf den schnellen Ausbau der Lademöglichkeiten sowie auf die neuen Modelle ankommen. Sehr gut finde ich z.B. auch den Ausstieg aus den Ölheizungen, den der Landtag von Baden-Württemberg letztes Jahr auf den Weg gebracht hat. In Brandenburg und Bayern gefiel mir die Förderung von “Energiewirten”. Wer will, kann schon jetzt vieles tun.

  6. Zu Ihrer Replik, lieber Herr Blume:
    Wir müssen leider mit den Staaten und Regierungen vorlieb nehmen, die wir vorfinden, und können es uns aus meiner Sicht nicht leisten, nur mit demokratisch legitimierten Regimes zu verhandeln.
    Selbst wenn mir ein Staat aus welchen Gründen auch immer nicht gefällt, ist es z.B. fast immer angebracht, sich an geschlossene Verträge zu halten, und diese nicht nach Gutddünken zu ignorieren oder eben nicht.
    Wer Verträge zu oft bricht oder aus ihnen aussteigt verspielt Vertrauen, und Vertrauen kann selbst gegenüber ungeliebten Regimes eine wichtige Währung sein, gerade um etwas verändern zu können.
    Und man muss kein Großdenker sein, um die Gefährlichkeit von Aktionen zu bemerken und sich mehr Zurückhaltung zu wünschen.
    Bis wir uns von der Abhängigkeit gegenüber fossilen Energieträgern gelöst haben wird wohl noch etwas dauern. Auf Realpolitik kann aber dennoch nicht verzichtet werden.

    • Da bin ich sogar ganz bei Ihnen, @Alisier – ich habe ja auch überhaupt nicht dafür plädiert, mit Diktaturen nicht mehr zu “verhandeln”. Wo es allerdings eine Wahl gibt, würde ich stets Demokratien den Vorzug geben. Und im Übrigen so schnell wie möglich die “Abhängigkeit gegenüber fossilen Energieträgern” verringern. Dies wäre m.E. auch der beste und glaubwürdigste Beitrag für Frieden und Entwicklung gerade auch im Ring um Europa.

  7. @ Michale Blume:
    “Und gar nichts ist unmöglich. Zum Beispiel Brandenburg deckt schon jetzt zwei Drittel seines Energieverbrauches aus “Erneuerbaren”, mit weiter steigender Tendenz.”
    In den von Ihnen angegebenen Link, ist lediglich vom Stromverbrauch die Rede. Der Gesamtenergieverbrauch ist Daumen mal Pi 3 mal so hoch, als wird nur etwa 20% des Gesamtenergieverbrauchs Brandenburgs aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Damit ist der Ausstieg aus fossilen Quellen leider noch in weiter Ferne.

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