Der Mars-Camulus-Stein – Vom römischen Kaiserkult zum kirchlichen Altar

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Ob in Biologie oder Kultur – evolutionäre Prozesse zeichnen sich stets dadurch aus, dass sie auf Vorgefundenem aufbauen und es zu neuen Möglichkeiten und Funktionen hin verwandeln. Auf ein schönes, religionsgeschichtliches Beispiel dafür stieß ich dank Rainer Neu in einem Kapitel von Helga Scholten im Handbuch der Religionen: Den Mars-Camulus-Altarstein in der katholischen St. Willibrord-Kirche in Rindern (Kleve).


Foto: Rainer Neu

Bei diesem Altarstein handelt es sich um einen römischen Weihestein, der in der Mitte des 1. Jahrhundert nach Christus von cives Remi – Bürgern aus Reims – gestiftet worden war. Er war dem keltischen Hauptgott Camulus, zunehmend identifiziert mit dem römischen Kriegsgott Mars, zum Heil des Kaisers Nero geweiht.

Weil aber das römische Reich über diesen Kaiser die damnatio memoriae – das Verdammen der Erinnerung, die Auslöschung des Namens – verkündet hatte, wurde der Name auch aus dem Stein ausgemeißelt und später, nach Scholten im 16. Jahrhundert irrtümlicherweise, durch Tiberii, Tiberius ersetzt. Die entsprechenden Vertiefungen lassen sich erkennen.

Doch trotz aller Verfolgungen setzte sich das Christentum schließlich auch im römischen Reich durch. Die frühen Christen übernahmen dieses religiöse Artefakt schließlich schon während des 1. Jahrtausends zur Ehre des monotheistischen Gottes und fügten dem Stein mehrere Kreuzdarstellungen (vier an der Oberseite) sowie auch einen Reliquienbehälter im römischen Lorbeerkranz hinzu.


Foto: Rainer Neu

So überlebte der Mars-Camulus-Stein die Zeiten im Kirchenbesitz. Mehrfach wurde er aufgrund seiner „heidnischen“ Vergangenheit aus Kirchen entfernt, aber dann auch wiedergefunden und eingesetzt.

Nachdem er zuletzt 174 Jahre im Arkadenhof der Schwanenburg gelegen hatte, wurde er schließlich 1967 in die St. Willibrord-Kirche von Rindern zurückgebracht. Am 6. Januar 1968 wurde er von dem (aus der Pfarrgemeinde stammenden) Bischof Heinrich Maria Janssen von Hildesheim neu geweiht und der Gemeinde Rindern als Altar zurück gegeben. Am 7. September 1968 legte der Bischof von Luxemburg, Jean Hengen, eine Reliquie vom Grab des Heiligen Willibrord (658 – 739) zu Echternach in den Reliquienlocus.

Und so kann man heute (ob selbst religiös oder nicht) an diesem Steine darüber sinnieren, dass heute die Botschaft des Christus und des ihn verkündenden „Apostels der Friesen“ Willibrord gefeiert wird, wo einst bedeutende Götter und der (auch) Christen verfolgenden Kaiser Nero gerühmt worden waren.

* Artikel „Der Mars-Camulus-Stein“ von Helga Scholten (4 EUR bei edidact)

Diesen Blogpost widme ich dem Blognachbarn Joe Dramiga, mit dem ich das Interesse an auch überraschenden Details der Religionsgeschichte teile.

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

4 Kommentare

  1. Warum irrtümlicherweise?

    Ist es nicht plausibel, dass man den Weihestein nicht entweiht, sondern umweiht? Das haben die Christen schließlich auch gemacht, und wenn man sich sie Julisch-Claudische Dynastie anguckt, war Tiberius sicherlich der Kandidat mit dem rückblickend besten Standing (nach Augustus, aber das hätten viele Zeitgenossen wohl als dreist empfunden).

  2. @Lars: Tiberius statt Nero

    Eine sehr berechtigte Nachfrage, vielen Dank!

    Da die Namensnennung “Tiberii” erst ab dem 16. Jahrhundert verzeichnet wird, geht man davon aus, dass noch nicht die Stifter, sondern erst spätere, bereits christliche “Restauratoren” irrtümlicherweise (und wohl auch aus den von Dir genannten, guten Gründen) den neuen Namen eintrugen. Sie meinten damals wohl, der Stein wäre ursprünglich Tiberius geweiht gewesen.

  3. Spolien

    Ein schönes Beispiel. Der Umgang mit Spolien – mal einfach nur pragmatisch, mal in der einen oder anderen Weise programmatisch – ist ja immer auch aufschlussreich für den jeweiligen Zustand der Gesellschaft.

  4. @Eva: Zustimmung

    Liebe Eva,

    ja – und die Idee, öfter auch mal wieder statt Theorien einfach Gegenstände und ihre Geschichte sprechen zu lassen, hat sicher auch mit Deinem tollen Blog zu tun! Du hast den Chronologs eine neue Dimension hinzu gefügt! 🙂

    Danke & beste Grüße

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