Der menschliche Hunger nach Sinn – Mit Near Lights von Olafur Arnalds
BLOG: Natur des Glaubens
Eine Freundin hat eine Gabe: Sie findet immer wieder Musikvideos, die in eindrücklicher Weise an die “großen Fragen” anschließen, frühere Ansätze und Gedanken wiederbeleben. So ging es neulich – erkennbar nicht nur mir – zum Rätsel “Zeit”. Und nun übersandte sie den Link zu einem nicht minder eindrucksvollen Werk von Olafur Arnalds. Mich konfrontiert es mit der Frage, warum wir Menschen (oder, empirisch zutreffender: einige von uns Menschen!) einen “Hunger nach Sinn” (Licht?) verspüren und selbst dann Traurigkeit, ja Schmerzen erfahren können, wenn es uns “objektiv gut geht” (also Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Einkommen etc. befriedigt sind). Dies kann über das subjektive Leiden hinaus zur Entfremdung von anderen Menschen, zu Einsamkeit und – nüchtern-biologisch gesehen – zum Verzicht auf Nachkommenschaft oder gar zum Suizid führen. Nicht zufällig war es ja eine Schweizer Philosophin, Jeanne Hersch, die im Kontakt mit der in Wohlstand und Sicherheit aufgewachsenen Jugend ihres Landes bereits früh mit dem Zusammenhang von Sinn, Zeit & Anthropodizee rang.
Aus Befunden der Glücksforschung ergibt sich, dass Religion(en) dazu beitragen können, solche Sinnfragen zu beantworten. Auch ehrenamtliches Engagement – aktuell zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe – spendet erkennbar vielen Menschen Sinn. Dass aber manche – insbesondere auch Jugendliche und junge Erwachsene mit gebrochenen Biografien – dabei auch an religiös-fundamentalistische, ja extremistische “Anbieter” geraten, ist ebenso ersichtlich. Und es verschärft die noch nicht schlüssig geklärte Frage, warum die biologische, kulturelle und geistige Evolution des Menschen einen so kostspieligen, ja mitunter gar gefährlichen “Hunger nach Sinn” hervorgebracht hat.
In einem religionspsychologischen Seminar an der Universität Jena und dem dafür angelegten sciebook “Psyche und Fantasie des Menschen” hatte ich damals formuliert:
“Unsere Psyche und unser Hunger nach Mythen – von der konstruierten Selbsterzählung bis zu Welterklärungen – sowie auch unser Appetit nach Gewalt- und Helden-, Katastrophen- und Liebesgeschichten sind Ergebnisse des gleichen Evolutionsprozesses, der auch unsere Augen und Arme hervor gebracht hat. Wissenschaftliche Erkenntnis ist großartig und unverzichtbar – doch vermag sie alleine nicht alle unsere Bedürfnisse zu stillen, die uns als Menschen ausmachen.
Wie es der große Psychologe Carl Gustav Jung (1875 – 1961) einst in „Der Mensch und seine Symbole“ formulierte: „Es gibt allerdings wichtige, empirisch belegbare Gründe, weshalb wir Ideen kultivieren sollten, die man nicht beweisen kann. Man weiß, dass sie hilfreich sind. […] Der Glaube an einen größeren Sinn der eigenen Existenz ist es, der den Menschen über reines Soll und Haben erhebt.“
Kunst in all ihren Formen von der Musik über die Malerei bis zum Film sowie gut erzählte Geschichten und religiöse Mythen werden also weiterhin Teil unseres menschlichen Lebens sein: Aus Traditionen erwachsend und doch auch neuartig, uns festen Boden gebend und doch auch immer wieder überraschend.
Und zugleich gilt: Wir können nicht nur durch unsere Kinder, sondern auch durch unsere Erkenntnisse, Erzählungen und Symbole am Evolutionsprozess mitwirken. Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaften bedrohen einander nicht, sondern erkunden unterschiedliche, nicht reduzierbare Abschnitte eines nach oben „offenen“ Prozesses. Ob wir uns mit unseren natürlichen, kulturellen und geistigen Lebensäußerungen nur unsere zeitlich-zufällige Existenz aufhübschen oder aber einen größeren Sinn erschließen muss dabei offen bleiben. Vielleicht hatte ja Elie Wiesel Recht, als er annahm: „Gott schuf den Menschen, weil Er Geschichten liebt.“ Oder schufen Menschen Gott, weil sie Geschichten lieben. Vielleicht stimmt ja gar beides?
Albert Einstein, dem niemand die Geringschätzung von wissenschaftlicher Erkenntnis unterstellen kann, betonte in einem Interview von 1926 auf jeden Fall:
„Fantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt. Doch Fantasie umschließt die Welt.“
Vielen Dank für Ihre biologische, kulturelle und geistige Aufmerksamkeit!”
Zur Beantwortung der Frage müsste man den ´Hunger nach Sinn´ vom ´Hunger nach Licht´ unterscheiden.
Im Rahmen der sogenannten ´Nahtod-Erfahrung´ (NTE) werden manchmal intensive Lichterlebnisse berichtet:
A) die Bewegung durch einen dunklen Tunnel auf ein größer werdendes strahlendes Licht, in dem man sich vollständig geborgen und geliebt fühlt
B) Das gefühlte Zusammentreffen/-sein mit einem sprechenden, liebevollen Licht bzw.Lichtwesen – in dessen Anwesenheit man sich geborgen, geliebt und vollkommen angenommen fühlt.
Beide Erlebnisse lassen sich als Erinnerungen aus der Fetuszeit (Entwicklung des Sehsinnes) bzw. als Erlebnisse aus der frühen Kindheit erklären (Das Licht/Lichtwesen sind z.B. Eltern, die sich liebevoll um das Baby/Kleinkind kümmern). D.h. Alle diese Erlebnisse stammen aus einer Zeit, wo man sich noch nicht als ICH-Individuum von der Umwelt abgrenzte.
NTEs mit solchem Inhalt werden lebenslang mit gleichartigem Inhalt berichtet. Dies bedeutet, dass sie uns lebenslang als wichtige Grundlage unserer Existenz begleiten. Und der Hunger nach diesem Licht/Lichtwesen ist nichts anderes als die Sehnsucht nach diesem ursprünglichsten / vollkommensten Geborgenheitsgefühl, welches wir haben können. Gleichzeitig ist dies auch die Ursache dafür, wieso menschliche Nähe/Zuwendung für uns so wichtig ist.
Der ´Hunger nach Licht´ entspricht (wie oben beschrieben) der menschlichen Sehnsucht nach dem Wiedererleben einer Urerfahrung menschlicher Nähe und Liebe.
Und auch der ´Hunger nach Sinn´ hängt im wesentlichen mit dem Streben nach menschlicher Nähe und Anerkennung zusammen – ist also auf andere Menschen gerichtet – Menschen wollen sich als soziale Wesen angenommen fühlen.
Selbst wenn jemand sein Lebensziel nach Ruhm, Titel bzw. Reichtum ausrichtet ist dies lediglich eine spezielle Form, die Anerkennung anderer Menschen zu suchen. Bleibt diese Anerkennung aus, dann kann dies zum Gefühl der Sinnlosigkeit führen – wie z.B. dem ´Burn-out´ oder zur sozialen Isolation.
Ganz egal, wie man zu Religionen steht – eines haben sie alle gemeinsam: sie versuchen Anhänger und Fremde in einer sozialen Gemeinschaft zu integrieren. Gemeinsame Riten, Feste, Hilfsaktionen, aber auch die soziale Kontrolle sollen helfen, der einzelnen Person ihren Wert in der Gruppe zu geben – ein Gefühl des Angenommenseins, der Geborgenheit des Gebrauchtwerdens – kurz: einen Sinn.
Ich habe mich in den letzten Monaten mit dem Thema Sinn beschäftigt und komme zum Schluss, dass ohne die Existenz eines gütigen Gottes, man kaum einen Sinn in der Welt sehen kann.
Somit bin ich vom atheistischen Agnostiker, zu einem Agnostiker geworden welcher doch hofft das es Gott gibt.
Es scheint, dass das Bedürfnis nach Sinn bei Menschen individuell (und im Lebenslauf schwankend) unterschiedlich stark ausgeprägt ist, @Zoran Jovic. Und hier sehe ich sogar eine Brücke zu @KRichards Annahme, der Hunger nach Sinn erwachse aus den tiefen Bedürfnissen des “als soziale Wesen Angenommenwerdens”: Nur eine personal erfahrbare, ansprechbare Gottheit kann sozial absolut annehmen – und zwar überzeitlich. Dagegen sind selbst die beglückendsten, zwischenmenschlichen Beziehungen, der “unsterbliche Ruhm” etc. zeitlich logisch begrenzt, werden sich absehbar & unweigerlich einmal innerweltlich auflösen…
neue Tierversuche legen Nahe, dass das angenehme Gefühl sozialer Nähe einem Drogenrausch entsprechen könnte. Dies könnte ein neuer Ansatz sein, um die Frage ´Hunger nach dem Sinn´ zu betrachten.
Quelle:
http://www.sciencedaily.com/releases/2015/10/151026171805.htm ´Love hormone´ helps produce ´bliss molecules´ to boost pleasure of social interaction
DOI: 10.1073/pnas.1509795112 Endocannabinoid signaling mediates oxytocin-driven social reward