Daten aus Israel zu Religion, Demografie, Anthropodizee und Säkularisierung

Die Zahl der Fachleute, die die – durchaus komplexen – Zusammenhänge von Religion und Demografie sowie die Relevanz der Anthropodizee-Frage für die empiriegestützte Beurteilung von Religion(en) noch immer abzustreiten versuchen, sinkt nach meiner Erfahrung langsam, aber stetig. Immer noch aber gibt es viele Menschen, die an eine angebliche “Islamisierung” Europas glauben wollen und den massiven Geburteneinbruch unter Muslimen nicht nur in den westlichen Demokratien, sondern auch in Ländern wie der Türkei oder dem Iran zu ignorieren versuchen.

In Israel lassen sich diese Zusammenhänge sogar besonders gut erforschen – hier hat der demografisch schnell wachsende Anteil der Religiösen und gar der Ultraorthodoxen (Haredim, die Gott fürchten) längst die globalen, miteinander verbundenen Prozesse der Säkularisierung und des Geburtenrückgangs gestoppt.

Geburtenraten 2015: Israel (3,09), USA (1,84) und Iran (1,68). Daten: Weltbank. Grafik: Google. Screenshot: Michael Blume

Säkularisierung findet dabei auch unter Juden in Israel statt – sie ist nur längst viel schwächer als die Religionsdemografie. Dies belegt nun eine weitere, bemerkenswerte Studie: “Trends in Religiosity Among the Jewis Population in Israel” von Alex Weinreb und Nachum Blass am Taub Center Jerusalem. Sie beobachten, dass ca. 7,5 Prozent der Kinder aus haredischen – ultraorthodoxen – Familien während ihrer Schullaufbahn auf (weniger) religiöse oder gar säkulare Schulen wechseln. Auch sei die Bevölkerungszahl der Haredim seit 1981 um jährlich 4,2 Prozent gewachsen, die Wählerschaft der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Thora Judentum jedoch “nur” um jährlich 3,2 Prozent.

Auch unter Ultraorthodoxen und Religiösen in Israel gebe es demnach “leise” Säkularisierungstendenzen, die jedoch das schnelle Wachstum der Gruppen durch die hohen Geburtenraten nur verlangsamen könnten. Denn diese hätten sich seit Jahrzehnten nicht angeglichen, eher im Gegenteil…

Geburtenraten jüdischer Frauen nach Frömmigkeitsrichtung in Israel von 1980 bis 2013. Oben Haredi (Ultraorthodoxe), dann “Nationalreligiöse”, Traditionell-Religiöse, Traditionelle-Nichtreligiöse und Säkulare inklusive “Andere”. Aus Weinreb, Blass, Taub 2018

Neben den christlichen Amish und Hutterern stehen damit die jüdischen Haredim an der globalen Spitze kinderreicher Gruppen. Unter Muslimen, Bahai, Hindus u.a haben sich dagegen bislang – auch mangels Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit – keine vergleichbar fertilen Gemeinschaften organisieren können. Und auch die verschiedensten Formen des interreligiösen Dialoges sind bislang meist bei theologischen oder politischen Themen verblieben und haben sich bislang kaum je der Frage gestellt, wie und warum Religionen – und bislang nur Religionen! – das Leben selbst erhalten und fördern konnten.

Michael Blume, “Die Haredim”, sciebooks 2013

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

55 Kommentare

  1. Die säkularen Israeli hätten also echten Grund für eine “Angst vor dem Verschwinden” (Zitat aus “Umvolkungsangst und Hooton-Plan”), vor der Umvolkung. Und tatsächlich bedeutet ja eine so radikale Änderung der Volkszusammensetzung, wie sie Israel bevorsteht (oder schon im Gange ist) in der Konsequenz genau das, was man mit Umvolkung meint, nämlich die Änderung des Volkscharakters entweder aufgrund eines Zwangs von oben oder aber durch Zuwanderung oder zunehmender Dominanz einer Untergruppe der Bevölkerung.

    Die meisten Israeli werden diese “Umvolkung” durch Zunahme der Haredim aber mit gemischten Gefühlen aufnehmen, denn ich denke, dass Israeli wie auch Palästinenser an die Macht der Zahl glauben, daran, dass der eigene Bevölkerungszuwachs eine Machtgewinn gegenüber den Anderen, den Feinden (für Israeli Palästinenser und umgekehrt) bedeutet. Zudem könnten ohne die Haredim bald schon die arabischen Israeli die Bevölkerungsmehrheit stellen.

    Allerdings bedeutet die Zunahme der Haredim eben mehr als nur ein israelisches Bevölkerungswachstum, es bedeutet eben auch eine Änderung der politischen/weltanschaulichen Einstellung der Mehrheit und damit eine Änderung des Volkscharakters (wobei zum Volkscharakter auch noch anderes gehört).

    • @Martin Holzherr

      Ja, in Israel gibt es durchaus eine Debatte über die fortschreitende „Haredisierung“ ganzer Städte und Stadtteile, die Ausnahmen zur Wehrpflicht sowie die wachsende Präsenz haredischer Parteien in der Knesset. Wobei dadurch ja weder Juden noch Israelis “verschwinden” und es – wie geschrieben – durchaus auch Säkularisierungsprozesse unter den Religiösen dort gibt.

      Einen stabilen „Volkscharakter“ sehe ich aber bei modernen Gesellschaften nirgendwo. Ein- oder Auswanderung sowie demografische Verschiebungen und schließlich wirtschaftliche und technologische Umwälzungen wie das Internet werfen jede Generation in neue Welten…

      • @Michael Blume, zur Umvolkung: Die Angst der Rechtsnationalen vor der Umvolkung wird naheliegenderweise mit dem Hooton-Plan in Verbindung gebracht, weil dieser Plan gegen das deutsche Volk gerichtet war. Interessanterweise findet man aber in der Wikipedia unter Umvolkung die Angabe, der Begriff stamme aus dem Nationalsozialismus und die Nationalsozialisten wollten die Oststaaten umvolken (Zitat): Er meinte einerseits die Re-Germanisierung von Volksdeutschen, die sich in der slawischen Umgebung dem „Deutschtum“ noch nicht ganz entfremdet hatten, und andererseits die Umsiedlung bestimmter Volksgruppen in ihnen neu zuzuweisende Gebiete, um in voneinander klar abgegrenzten Räumen ethnische Einheitlichkeit anzustreben und das „staatskolonialistische Siedlungsprojekt“ (Jürgen Osterhammel, 2009[1]) des „Großgermanischen Reichs Deutscher Nation“ mit Grenzen am Ural zu verwirklichen.

        Der Hooton-Plan ist aber im Kern recht ähnlich, nur richtete er sich nicht gegen die Oststaaten, sondern gegen die Deutschen: Es war ein Plan zur Umvolkung der Deutschen, wobei es nicht etwa bei der Umprogrammierung (Umerziehung) bleiben sollte: Hooton erkannte die Notwendigkeit einer genetischen/rassichen Auffrischung der Germanen. Diese sollte durch Heirat von US-Soldaten mit deutschen Frauen erreicht werden.

        Mit anderen Worten: Die rassische Denkweise, die hinter dem Begriff Umvolkung steckt, die war den Nationalsozialisten genauso vertraut wie vielen US-Amerikanern in der Mitte des 20. Jahrunderts und es scheint sogar US-Rassentheorien gegeben zu haben, die die Nationalsozialisten aufnahmen. Hitler und seine Partei hat im Prinzip nur den Zeitgeist aufgegriffen. Rassentheorien gab es dazumal sowohl in Europa als auch in den USA.

        • Genau das ist der Punkt, @Martin Holzherr: Gerade „weil“ Hooton auf Basis ähnlicher, rassistischer Annahmen wie deutsche Rassisten argumentiert(e), erscheint er heutigen Rechtsextremen so „glaubwürdig“… #BittereIronie

  2. @Michael Blume;
    Ihre Behauptung, nur Religion könne Leben erhalten und fördern, ist mit nichts zu belegen. Die Geburtenrate spielt für die Demografie einer gesellschaftlichen Gruppe kaum eine Rolle. Fundamentalistische Religionsgruppen können überhaupt nur in einem säkularen, toleranten Milieu parasitär überleben.

    • Es ist mir klar, dass es Ihnen schwer fällt, die empirischen Befunde zu akzeptieren, lieber Herr Reutlinger. Wir haben ja schon oft darüber diskutiert.

      Die empirisch überprüfbare und also auch widerlegbare Beobachtung lautet: In Vergangenheit und Gegenwart ist keine nichtreligiöse Population bekannt, die auch nur ein Jahrhundert lang die sog. Bestandserhaltungsgrenze von mehr als 2,1 Kindern pro Frau hätte erhalten können.

      Wenn Sie eine solche Population oder Gruppe nennen und beschreiben können, ist die These widerlegt. Solange dies nicht der Fall ist, bringt das (m.E. völlig verständliche) Schimpfen nichts.

      Dass Ihnen bei einer Diskussion der Religionsdemografie jüdischer Gruppen der Vorwurf des “Parasitären” einfällt, überrascht mich leider ebenso wenig. Ich befürwörte ein freiheitliches, säkulares System auch, weil es die kulturelle Evolution lebendig hält. Und wenn mir auch klar ist, dass meine Kinder einmal für andere arbeiten und deren Rente finanzieren werden, so werde ich diese anderen dennoch nie als “parasitär” bezeichnen.

      Vielleicht gelingt es Ihnen ja, sich mal rational, wissenschaftlich und ohne Schaum vorm Mund auch mit dem Judentum zu befassen…

        • Nein, einen stehenden, nüchternen Fachbegriff. 🙂

          Bekommen wir Ihre zugesagte Antwort auf die Russland-Frage noch, oder gehört das Einhalten von Versprechen neuerdings gar nicht mehr zur deutsch-nationalen Leitkultur..? 😉 🙂

          • Bestehen Sie darauf? Sie wissen doch vermutlich sowieso was ich sagen werden. Ich hatte bisher nicht die Muße zu einer längeren Antwort, mein Vater liegt gerade im Sterben.
            Bezüglich “deutsch-nationalen Leitkultur” und der Anspielung im anderen Thread, ich dachte ich hätte mich das letzte Mal schon als Linker geoutet.
            Aber mal eine Frage zu Ihrer Religion-Geburtsraten-Theorie. Wie passt dazu eigentlich der Fakt, dass die Geburtenrate in der atheistischen DDR höher war als im christlich geprägten Westdeutschland?

          • Warum hat eigentlich das erzkonservative, katholische Polen nur eine Geburtenrate von 1,3 ?

          • Weil gerade auch das Fehlen zeitlich angepasster Bildungs- und Betreuungsangebote Familien in die sog. demografische „Traditionalismusfalle“ führt:
            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-demografische-traditionalismusfalle-und-warum-thilo-sarrazin-schummeln-musste-n-tv-4/

            Christian Meier von der FAZ hat übrigens genau diesen Aspekt bei der Rezension von „Islam in der Krise“ hervorgehoben:
            http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/islam-in-der-krise-die-traditionalismusfalle-15405406.html

            Denn die Traditionalismusfalle erklärt – neben der Säkularisierung und diese wiederum verstärkend – auch den Geburteneinbruch in Ländern wie dem Iran, der Türkei usw. Siehe Blogpost oben…

          • aus dem verlinkten Artikel: “Und dann kann – und wird – das Ergebnis tatsächlich sein, dass in besonders “traditionalistischen” Gesellschaften und Gemeinschaften besonders wenig Kinder geboren werden – weil die Menschen größere Familien einfach nicht schaffen!”

            Erstaunlich das es die Polen dann im bösen Kommunismus geschaft haben, wo die Frauen auch arbeiten mussten und die Geburtenrate damals noch über 2,0 lag. Man könnte genauso gut die Theorie aufstellen, das der Kommunismus zu einer höheren Geburtenrate geführt hat.

          • Klar, @Peter Müller: Die Familienpolitik war in vielen (heute ex-)kommunistischen Staaten sehr fortschrittlich, die biografischen Alternativen waren für die Untertanen begrenzt, die Zuteilung z.B. von Wohnungen oft an die Kinderzahl gekoppelt, zudem wanderten viele Individualisten in freiere Gesellschaften aus. In Polen blieb zudem auch noch der pronatale Katholizismus gesellschaftlich aktiv und lebendig.

            Dass kommunistische Systeme schließlich wirtschaftlich, politisch und teilweise auch demografisch (Rumänien) scheiterten, darf ich als bekannt voraussetzen. Und dass der Rückbau der Familienpolitik auf die Kernfamilie dann auch in die Traditionalismusfalle führt, sollte m.E. auch langsam angekommen sein. 🙂

  3. Ich weiß nicht, ob dies ein gutes Beispiel ist.

    Soweit ich informiert bin, bezieht man in Israel ein festes Einkommen, solange man die heiligen Schriften studiert *). Da man dazu sein ganzes Leben verwenden kann – zahlt der Staat lebenslang + Kindergeld. Diese Menschen haben damit keinerlei Existenzsorgen.
    (Dies ist eine spezielle Form des Unterhalts – der bei uns vergleichbar unter dem Begriff ´bedingungsloses Grundeinkommen´diskutiert wird. (Demnach könnte man an diesem Beispiel gut studieren, welche Einfüsse ein bedingungsloses Grundeinkommen auf eine größere Bevölkerungsgruppe hat.))

    *) Bitte korrigieren Sie mich, falls ich falsch informiert bin.

    • Nein, das ist so nicht ganz richtig, @KRichard. Die religiösen Gemeinschaften selbst organisieren Stipendien für Thorastudenten, vom Staat gibt es zudem (wie ja auch in Deutschland) Kindergeld und weitere Sozialleistungen. Auch z.B. in den USA und in Kanada haben die Haredim vergleichbar große Familien. (Steht alles auch im o.g. Buch 😉 ).

  4. @Michael Blume;
    Die Empirie bezieht sich auf die Gegenwart und die erlebte Vergangenheit. Weiter zurück gibt es keine Empirie, deshalb können Sie nicht behaupten, es hätte keine nichtreligiösen Gemeinschaften gegeben. Alle heute lebenden Menschen stammen aus ursprünglich nichtreligiösen Populationen. Die meisten nichtreligiösen Populationen sind allerdings von religiösen Populationen ausgerottet worden. Da die Mehrheit der Menschheit heute in irgend einer Form religiös ist, beweist sich diese Aussage von selbst – empirisch. Den Schaum müssen Sie sich selber vom Mund wischen.

    • Genau deswegen schrieb ich auch, es sei keine entsprechend kinderreiche, nichtreligiöse Population „bekannt“, lieber @Anton Reutlinger. Denn tatsächlich kann sich die Wissenschaft immer nur auf ihr intersubjektiv zugängliche Phänomene stützen.

      Sie behaupten ja letztlich (im übertragenen Sinne), es könnte graue Einhörner geben, @Anton Reutlinger. Und ich antworte dazu ganz freundlich: Das glaube ich Ihnen dann gerne, wenn Sie uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eines zeigen. Bis heute ist uns keines bekannt.

      Sie toben daraufhin, dass wir ja gar nicht alle Wälder der Vergangenheit abgesucht hätten und außerdem in der Zukunft oder auf einem anderen Planeten graue Einhörner auftauchen könnten.

      Und ja, all das wäre möglich – und ist doch kein wissenschaftlicher Beleg für die anzuerkennende Existenz grauer Einhörner. Auch wenn ich verstehe, warum
      manche Menschen an so etwas glauben „wollen“. 🙂

      Ihnen einen geruhsamen Abend – vielleicht ja mal mit einem guten Buch zur wissenschaftlichen Erkenntnistheorie. 🙂 🦄

  5. @Michael Blume;
    Wenn heute keine Einhörner bekannt sind, heißt das keineswegs, dass es keine gibt und keine gegeben hat. Deshalb ist Ihre Behauptung sinnlos und ohne Beleg. Für einen Niedergang einer Population kann es noch viele andere Gründe geben als nur mangelnder Kinderreichtum. Abgesehen davon ist die Geburtenrate allein nichtssagend. Eine hohe Kindersterblichkeit wie in vielen unterentwickelten Ländern wirkt der Geburtenrate entgegen. Das ist allgemein bekannt.

    • Ganz genau, @Anton Reutlinger: Nur bleibt die Beweispflicht für die Existenz von Einhörnern beim Verkünder. Die Wissenschaft muss keine Nichtexistenz beweisen – sondern Sie die Existenz. 🙂

      Religiöse haben im Durchschnitt eine erhöhte Lebenserwartung – aber evolutionär entscheidend ist und bleibt die Zahl der Nachkommen über Generationen hinweg. Und auch hier sind die Befunde eindeutig. 🙂

      Falls Sie nicht auch noch die Evolutionstheorie insgesamt bestreiten wollen, hier das Ganze in Filmform:
      https://youtu.be/Iy9J9ddelVw

      Ihnen eine gute Nacht; die Evolution geht ja so oder so weiter… 😉 🙂

  6. Wobei mich noch mehr wundert, dass auch bei den Säkularen im Schnitt 2 Kinder geboren werden, kann man das irgendwie erklären. Immerhin sind in ganz Europa die Fertilitätsraten im Keller.

    Kann ein so kleines Land überhaupt so viele Leute aufnehmen?

    • Leider besteht die Kategorie „Säkulare“ hier aus Säkulare & „Andere“, d.h. Religiöse, die sich keiner der anderen Kategorien zuordnen. Daher können wir das nicht weiter aufdröseln und nur vermuten, dass die Fertilität bei den wirklich Nichtreligiösen noch niedriger liegt. (Ein vergleichbares Problem besteht übrigens in Indien, wo in der Kategorie „Keine“ Nichtreligiöse und Stammesreligionen zusammengeworfen werden… :-/ )

      Und, ja, eine Geburtenrate von 3+ bedeutet ein Bevölkerungswachstum von 50% pro Generation – plus Migration. Auch deswegen wachsen die Gebietsansprüche und Siedlungsbewegungen. Wären sie realistisch bzw. am Wohlergehen auch ihrer Menschen interessiert, müssten die arabischen Eliten einen baldigen Friedensschluss anstreben…

      • Mir scheint das sowohl Araber als auch Israelis von den anderen Dinge verlangen, die unmöglich zu erfüllen sind.

        Also Frieden wird es so bald nicht geben.

  7. Ein sehr lesenswerter Beitrag, sieht man ab von teils weniger konstruktiv angelegt Kommentaren imao.
    Schön, dass Sie beim Thema bleiben Michael Blume.
    Eigentlich dürfte es auf der Hand liegen, dass „die Bevölkerungsexplosion“ im 20ten Jahrhundert von einem logischen Standpunkt aus betrachtet zu territorialen Auseinandersetzungen führt.

    • Vielen Dank, @Donald Müller. Ich würde ggf. noch ergänzen, dass die richtige Reaktion auf „Bevölkerungsimplosionen“ wie in Deutschland und weiten Teilen Europas, aber auch im Iran und der Türkei also nicht in Panik und Verschwörungsmythen zu suchen wäre, sondern in mehr Engagement für Familien und Bildung. Vermeintlich „weiche“ Politikfelder gestalten die Grundlagen für „harte“ Realpolitik. Ob sich das je herumsprechen wird?

      • Vielen Dank @ Michael Blume für Ihre Ergänzung: Es sollte sich mehr herumsprechen, gerade in Zeiten wo ein sich zusehends abzeichnender Lynchmob anschickt sog. „harte“ Politikfelder für sich zu reklamieren mit zt erschreckender Ahnungslosigkeit gepaart zumeist mlt komplett wirkender Inkompetenz.

  8. Zoran Jovic,
    ob die Geburtenrate in einem Land hoch ist, hängt real betrachtet davon ab, ob der Zugang zur Antibabypille gegeben ist.
    Vordergründig scheint man zu meinen, dass die religiöse Einstellung zu Kindern die Ursache ist, sicher auch, aber der Hauptgrund bleibt die Antibabypille.
    als Beweis: Irland hatte vor 1970 eine Geburtenrate von über 3. Island auch. Nach 1970 sank durch die Antibabypille die Geburtenrate auf 1,9 in Irland und 1,8 in Island.
    Und das ist bemerkenswert.Von Irland, dem Priest ridden country, hätte man das nicht erwartet. In Island, wo Religion nicht die Bedeutung hat, schon.
    Deswegen ist ja der Kauf zu Antibabypille im Iran fast unmöglich.

    • @Lennart

      Nun stehen aber die Geburtenraten 2015 von Iran (1,68) und Israel (3,09) oben doch direkt nebeneinander. Würde Ihre Vermutung zur simplen Erklärung durch die Verfügbarkeit der Antibabypille zutreffen, müsste es doch genau andersherum sein, nicht wahr!? Und die Fertilitätsunterschiede innerhalb der jüdischen Strömungen in Abb. 2 wären damit ebensowenig erklärt.

      Also, mehr als Informationen kostenfrei zur Verfügung stellen und zum Mitdenken einladen kann ich als Wissenschaftsblogger beim besten Willen nicht… 🙂

  9. Religiöse haben im Durchschnitt eine erhöhte Lebenserwartung

    Gilt das global oder nur in Industrieländern?
    Bei der Quiverfull-Bewegung erlaube ich mir da auch generell Zweifel 🙂
    Einige Erklärungen dafür, dass dies bei nicht allzu extremen Gläubigen zutreffen könnte:
    In vielen religiösen Gemeinschaften sind Rauchen, Alkohol und andere Drogen verpönt.
    Selbstmord ist tabu.
    Leute mit psychischen Problemen werden oft ganz gut aufgefangen.
    Funktioniert das nicht so gut, werden die Problemmenschen manchmal vergrault.
    Sie sterben dann (ggfs. vorzeitig) säkular.

    • So ist es, @wereatheist. Hinzu kommen noch die Faktoren Ehen & Gemeinschaften – religiös praktizierende Menschen leben seltener alleine und haben also häufiger jemanden um sich, der gesundheitsbewusstes Verhalten unterstützt. Das ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie die verschiedenen Faktoren im Leben der (Nicht-)Gläubigen wechselwirken.

  10. Ein Beispiel für eine (ziemlich) säkulare Gesellschaft mit (aktuell wieder) hoher TFR ist Frankreich, mit 2.07 vergleichbar mit der Türkei.
    Man mag behaupten, dass es religiöse Minderheiten (traditionelle Muslime, Haredim und Evangelikale) sind, die den Wert letztlich über 2.00 hieven, aber auch Urfranzosen sind erstaunlich reproduktionsfreudig 🙂

    • So ist es, @wereatheist – die erfolgreiche, französische Familienpolitik geht dabei nicht zuletzt auf das katholisch-laizistische, pronatale Bündnis nach der Niederlage gegen Deutschland um 1871 zurück. Seitdem geht eine aktive, staatliche Familienpolitik mit kinderreichen, katholischen und generell religiösen Familien einher. Da kann und sollte sich Deutschland ruhig etwas abschauen! 🙂

  11. MB
    Im Falle Israel ist die Geburtenrate von 3 überraschend, die von Iran mit 1,68 noch überraschender. Daraus lässt sich schließen, dass die iranische Gesellschaft nicht so religiös ist, wie ihre Führung vermuten lässt. So ein Widerspruch endet irgendwann in einem Knall.
    Danke für diesen Wink. Die Realität scheint tatsächlich komplexer zu sein, als gedacht. Der religiöse Faktor scheint im Falle Israel zu wirken.

  12. Wären sie realistisch bzw. am Wohlergehen auch ihrer Menschen interessiert, müssten die arabischen Eliten einen baldigen Friedensschluss anstreben…

    Laut CIA World Factbook war die TFR anno 2017 in Gaza 4.13, in der West Bank 3.27 und in Israel 2.64 (ich vermute mal, beim letzten Wert sind die Siedlungen exkludiert. Da leben vorwiegend Nationalreligiöse und Haredim, mit viel höherer TFR).
    Daraus also folgt kein Grund für “die arabischen Eliten” , schnell Frieden zu schließen.
    Es sieht in Gegenteil ganz nach einem Gebärwettrennen aus. Da kommt nichts Gutes bei raus.

    • @Wereatheist

      Die arabischen Staaten sind (mit Ausnahmen wie dem Libanon & Gaza) riesengroß, da entsteht noch lange kein Platzproblem. Die Frage ist, ob ihre Eliten zulassen, dass sich Bildung und Wohlstand entwickeln. Wir selbst könnten mit einer Reduzierung des Öl- und Gasverbrauchs den Reformdruck auf die Rentierstaaten deutlich erhöhen (vgl. Rentierstaatstheorie).

      • Die TFR in den arabischen Staaten ist durchweg kleiner als die in Westbank und Gaza.
        Das Gebärwettrennen findet zwischen Israelis und Palästinensern statt.
        Die Palästinenser haben die Nase vorn. Und ‘Platzprobleme’.

        • @wereatheist

          Nun, ich habe es so erlebt, dass das größte Problem der Palästinenser die Perspektivlosigkeit war, aus der z.B. auch Bildung kaum hinausweist. Auch belohnen UN-finanzierte Sozialprogramme bislang v.a. eine hohe Kinderzahl. Die jeweiligen Herrschenden und mit ihnen verbundene Kartelle schöpfen dann wiederum einen Großteil dieses Rentierseinkommens ab, nicht zuletzt durch Preisaufschläge auf Schmuggelgüter. Ein negativer Teufelskreis… :-/

          • Da ist leider durchaus etwas dran, @Karl Mistelberger. Stellen wir uns einen Moment vor, Deutschland hätte die Heimatvertriebenen auf ein „Recht auf Rückkehr“ festgelegt und in Lagern kaserniert, statt sie – wie geschehen – entschlossen zu integrieren!

            Auch Israel selbst hat Hunderttausende Vertriebene nach der Staatsgründung Israels – alleine 140.000+ aus dem Irak – nicht nur aufgenommen, sondern ihre Integration aktiv befördert. Heute tragen sie zum Erfolg des Landes bei. Auch die insgesamt erfolgreiche Integration der arabisch-nichtjüdischen Israelis sei hierbei erwähnt; die meisten wollen nicht in einer arabischen Diktatur leben, mehr und mehr bringen sich in den großen Parteien ein.

            Die Palästinenser werden dagegen seit Jahrzehnten von den arabischen Eliten missbraucht, ihre Integration in arabische Nationen wird gezielt hintertrieben. Und selbst als Kuwait nach dem Sturz Saddams Hunderttausende Palästinenser aus dem Lande trieb, gab es dagegen kaum Proteste – die gibt es regelmäßig nur gegen Israel…

          • ich habe es so erlebt, dass das größte Problem der Palästinenser die Perspektivlosigkeit war

            Ja, wird wohl so sein. Leider habe ich den Eindruck, dass die derzeitige israelische Regierung diese Perspektivlosigkeit geradezu pflegt. Also ähnlich wie die ‘arabischen Bruderstaaten’.

  13. Danke, Herr Blume, ich bin in letzter Zeit von Ihren Blogthemen und deren Darstellung sehr begeistert und neugierig auf jede weitere Erkenntnis.

    Interessant finde ich im Zusammenhang mit säkularen Gesellschaften und der Demographie, dass eine gewisse Säkularisierung der Welt mit Schwerpunkt im 20. Jahrhundert überhaupt stattfand. Das heißt, für eine gewisse Zeit muss die Säkularisierung aus religiösen Gesellschaften heraus größer gewesen sein als die “Bestandserhaltung” durch religiös bleibenden Nachwuchs. Auch wenn sich dieser Trend nun gerade offenbar umkehrt und ein nennenswert säkularer Bevölkerungsanteil vielleicht nur ein seltener Ausreißer der Menschheitsgeschichte sein wird (oder auch nicht, ich würde da derzeit keine Prognose wagen).

    • Danke für die Rückmeldung, @Wizzy – und Zustimmung zur prognostischen Vorsicht. Insbesondere die Auswirkungen der digitalen Medien auf Religiosität, Politik, Familienstrukturen etc. können wir tatsächlich noch kaum verstehen. Persönlich fürchte ich eine Polarisierung zwischen sich radikalisierenden, nichtreligiös-bildungsreichen und religiös-kinderreichen Milieus. Auch deswegen versuche ich über den Blog zu informieren und Denkanstöße zu geben.

  14. Laut CIA liegt Frankreich aktuell gleichauf mit Sri Lanka, dicht hinter Saudi-Arabien (nur noch 2.09) und bereits vor der Türkei (2.01)!

  15. @Martin Holzherr ‘Geschichtliches zur Umvolkung’
    Ich bin aus einem Ort der nach dem 2. WK für Flüchtlinge gegründet wurde. Meine Familie gehört allerdings zu den ‘Eingeborenen’.
    Ich war als Kind immer irritiert, dass die Oma der Flüchtlingsnachbarn meine Oma aus der Volksschule kannte. Bis ich eines Tages erfuhr, dass es vor dem 1. WK Umsiedlungsprogramme gab, die den polnischen Bevölkerungsanteil im damals ja noch preußisch annektierten Polen verringern sollte.

    Die Moral von der Geschicht’:
    Umvolkung ist so böse nicht.
    Schliesslich ist sie Teil der glanzvollen tausendjährigen deutschen Geschichte
    Umvolkung ist nichts Böses!

  16. Omnivor,
    ein Hauptübel ist die Existenz von Nationalstaaten. Die Abschaffung der Nationalstaaten muss ein Ziel für die ferne Zukunft sein.

  17. Spannender Artikel.
    Der Ausdruck “wie und warum Religionen – und bislang nur Religionen! – das Leben selbst erhalten und fördern konnten.” ist in meinen Augen ein wenig unangebracht,
    da “das Leben erhalten” in den Kommentaren mit dem Bestandserhaltungsindex argumentiert wird, und dementsprechend “das Leben fördern” sich wohl auch auf eine rein quantitative Förderung Menschlichen Lebens bezieht.

    “Das Leben” wird weitestgehend von nichtreligiösen Wesen erhalten, aus den Reichen der Tiere Pflanzen und Pilzen.
    Auch das menschliche Leben wird von nichtreligiösen Menschen erhalten, allerdings quantitativ gemindert.
    Da die Existenz der Menschheit weit davon entfernt ist, aufgrund des Geburtenrückgangs bedroht zu sein, ist dies auch in diesem Kontext zu sehen..

    Sehr spannend finde ich hier das aufzeigen, dass Denkweisen in einem Land drei Möglichkeiten haben, sich auszubreiten:
    – Reproduktion
    – Zuwanderung
    – Missionierung

    Der Säkularismus ist in Reproduktion nicht sonderlich erfolgreich,
    bei Zuwanderung gibt es ggf kleine Erfolge – spielt hierzulande allerdings wohl keine signifikante Rolle,
    und ist sehr erfolgreich im Missionieren.

    Religionen und Ideologien sind reproduktiv erfolgreicher,
    dadurch auch bedeutender im Bereich der Zuwanderung,
    und weisen geringere Erfolge in der Missionierung.

    Gesellschaftliche Veränderungen könnten also Ausgedrückt werden in der Zusammenfassung der jeweiligen Ausbreitungsfaktoren.

    Bedeutend hierbei ist, dass der Reproduktive Zuwachs abhängig ist von der Ideologischen Ausprägung, und starke Ideologien eine starke Immunisierung gegen Missionierung vorhalten.
    Ebenso ist der Missionierungsweg von einer starken Ideologie zum säkularen recht weit.
    Ebenso zeigen stärkere Ideologien meist eine geringere Toleranz gegenüber anderen Denkweisen.

    Dementsprechend sind Gedanken über einen gesellschaftlichen Wandel durch Zuwanderung von stärker Ideologisch geprägten Menschen durchaus valide..

    Die Herausforderung ist ja hierbei, missionarisch den Ideologischen Input auszugleichen..
    Dass es durchaus Möglich ist, dass eine ideologische Gruppe durch eine deutlich höhere Reproduktion als Missionarische Verluste wachsen kann, wird hier ja aufgezeigt.

    • Danke, @Thomas Frank Hanisch!

      Ja, ich dachte bei der Formulierung natürlich an „menschliches Leben“, aber auch an „bewusst wahrgenommenes Leben“. M.E. sind die Funktionen von Bewusstsein, Sinnsuche und (schließlich religiösen) Mythen unauflösbar miteinander verbunden. Sollten wir einmal nichtmenschlichen, bewusst agierenden Lebensformen begegnen, würde mich dort eine religiöse Mythologie nicht überraschen (aber sehr interessieren! 😉 ).

      Eine von vielen Religionsgemeinschaften, die auf „Mission statt Reproduktion“ gesetzt hat, waren übrigens die Shaker. Genau umgekehrt verfuhren die Amish, zur gleichen Zeit und im gleichen Land.

      Die biokulturelle Evolution hat zwischen beiden Strategien „entschieden“…

  18. TFH
    du scheinst ja die soziologischen Zusammhenhänge in einer Gesellschaft genau durchschaut zu haben. Machen wir mal den Praxistest.
    “Ebenso ist der Missionierungsweg von einer starken Ideologie zum säkularen recht weit.”

    Was soll das konkret bedeuten? Nenne mal eine starke Ideologie! Der Kommunismus hat sich auch für eine starke Ideologie gehalten und war knapp 70 Jahre erfolgreich.
    Was soll denn das Säkulare sein? Eine Weltanschauung /Regierungsform/Staatsform ohne Religion?
    Wo gab/gibt es das in der Geschichte ? Nirgends.
    Du kannst gut mit Begriffen jonglieren, einen praktischen Nutzen bringt das nur, wenn du ein konkretes Beispiel dabei benennst.

  19. Lennart,
    mit “starker Ideologie” beziehe ich mich auf die Ausprägung von Ideologie,
    also z.B. sehe ich im obigen Beispiel bei den Haredi eine stärkere Ideologische Ausprägung als bei den National-Religiösen, und bei diesen eine stärkere, bzw zusätzliche Ausprägung im Nationalen, im Vergleich zu den Traditionell-Religiösen.

    Dem Säkularen unterstelle ich hier die geringste Ideologische Ausprägung..
    Das ist selbstverständlich eine indifferente Positionierung, da ich durchaus auch unter diesem Begriff Menschen mit einer sehr ausgeprägte Ideologie, z.B. im Atheismus antreffe.

    Die Frage nach dem was “Das Säkulare” denn nun ist, ist sehr pointiert..
    Ich würde meinen, dass damit eben jene gemeint sind, die sich nicht auf eine gemeinsame identifizierende Weltanschauung berufen.

    Die Erweiterung von Religion zu “Ideologie” habe ich deshalb gesetzt, weil z.B. auch nationalistische Ideologien Kinderreichtum fordern und fördern.

    Beim “Missionierungsweg” gibt es von der einen Weltanschauung zur anderen zwar stets einzelne spektakuläre Beispiele,
    allerdings ist der üblicher Weg – in meinen Augen – doch eher ein langsames verändern von Normen und Werten.

  20. TFH,
    man kann es drehen und wenden wie man will, immer bleibt ein Faktor, der die Gemeinschaft zusammenhält.
    Ob das jetzt Religion ist, ob das eine Ideologie ist oder reiner Nationalismus, ein Bindeglied muss vorhanden sein.
    Sie schreiben, mit dem Säkulare ist ” jene gemeint sind, die sich nicht auf eine gemeinsame identifizierende Weltanschauung berufen.”
    Dem kann ich zustimmen, weil dann eben durch widerstrebende Interessen eine einseitige Ausrichtung verhindert wird. Und so ein Zustand ist anzustreben, ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Anschauungen.
    Wertfrei ist so ein Staat nicht, er hat nur einen Status Quo erreicht.

  21. Lennart,

    da jeder von uns in einem soziologischen Umfeld lebt (ausgenommen sind davon nur Eremiten und “Säulenheilige”), gibt dieses Umfeld den gemeinschaftsbildenden Faktor vor, oder aber man verläßt dieses Umfeld und sucht sich ein neues.

    Gemeinsam identifizierende Weltanschauungen haben meiner Meinung nach meist den Fehler, daß sie sich selbst als fast unfehlbar einschätzen und Veränderungen kaum zugänglich sind. Werden sie dann auf lange Sicht mit neuen Strukturen und Werte-Veränderungen konfrontiert, ziehen sie sich auf Einhaltung von antiquierten Regeln und auf die Abschottung zur Außenwelt zurück. Das mag eine Zeitlang funktionieren, auf Dauer wird der Änderungsdruck durch immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, die diese Regeln konterkarieren zur Änderung dieser Regeln zwingen oder aber diese Anschauungen dem Untergang weihen.

    Ich halte es für falsch, Säkulare als jene zu kennzeichnen, die sich auf keine gemeinsame identifizierende Weltanschauung berufen. Der größte Teil von ihnen erkennt wohl die großen Werte-Konventionen (z.B. Genfer Konvention, Menschenrechte, aber auch Verfassungen usw) als bindend an.
    Allerdings gehören sie sonst unterschiedlichen Kulturen an und haben auch kein Interesse, ihre Ansichten durch starre Regeln oder gar durch Hierachien mit Gewaltpotential durchzusetzen.

    PE

  22. Zu “Umvolkung” :
    Vor einiger Zeit war ich in Amsterdam .Hier erwähnte der Fremdenführer, dass in Amsterdam bzw. Rotterdam die Mehrzahl der Einwohner bereits ausländischer Herrkunft wären. Spaßig ergänzte er es würde also nicht mehr um die Integration der Ausländer gehen, sondern um die Integration der einheimischen Minderheit der Niederländer. Und viele haben damals über diese spaßige Anmerkung gelacht…

    • @EDDRB

      Tja, und wer genau ist eigentlich an der seit Jahrzehnten allzu niedrigen Geburtenrate in Europa schuld? „Die Ausländer“?

      Ich frage als Vater von drei Kindern, der seit Jahrzehnten für eine bessere Familienpolitik kämpft…

  23. Sehr geehrter Herr Blume!
    Schon seit längerer Zeit lese ich mit steigendem Interesse Ihren Blog. Ich finde es bewundernswert mit welcher Ausdauer Sie Ihren Blog betreiben und auch auf unsachliche und persönliche Angreife reagieren. Ich hoffe, dass Sie noch lange die Zeit und Kraft finden werden diesen Blog zu betreiben.
    Das Demographie-Thema ist etwas das mich besonders Interessiert, darum habe ich diesen und den verlinkten Artikel „Die Anthropodizee-Frage…“ vom 21.4.2014 mit großer Begeisterung gelesen. Bei der Grundthese „Aktive Mitglieder von Religionsgemeinschaften hätten demnach durchschnittlich “etwas mehr” Kinder als Konfessionslose“ hat es mir aber den Magen umgedreht. „Das kann doch nicht sein!“, war mein erster Gedanke. Ich kann aber keinen Punkt erkennen, an dem ich Ihnen wirklichen Widerspruch entgegenbringen könnte. Dafür bin ich wahrscheinlich auch nicht tief genug im Thema.
    Jetzt aber zu meiner Frage, zum Thema Geburtenrückgang/demographische Entwicklung hatte sich auch schon Herr Sinn 2013 im ifo Schnelldienst 66, 2013, Nr. 21, S. 03-23 geäußert und einen anderen Blickwinkel eingenommen. Kennen Sie dieses Dokument und wo würden Sie Herrn Sinn widersprechen bzw. können Sie mit Ihren Ergebnissen an seiner Arbeit andocken?

    • Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Frage, @Thomas!

      Im Kern beschreibt Sinn die auch wirtschaftlichen Folgen zunehmender „Vergreisung“ und merkt – im Vergleich v.a. mit Frankreich -, dass ein besseres Angebot an Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie ein kinderfreundliches Steuer- und Rentensystem die Geburtenraten erhöhen.

      Diese Analyse stimmt mit meinen Daten völlig überein und wird u.a. unter dem Stichwort „Traditionalismusfalle“ (im Übergang von der Agrarwirtschaft, in der Kinder Einkommensquelle und Altersvorsorge waren) auch immer wieder dargestellt. Dass pronatale Religionsgemeinschaften die auch von Sinn erwähnten „Werte“ stiften und Bildungs- und Betreuungseinrichtungen organisieren, sieht oder erwähnt der Ökonom leider nicht.

      Dabei hatte diesen Umständen noch Adam Smith ein Kapitel gewidmet, aber die deutsche und angelsächsische Ökonomie und Demografie haben sich leider seit langem getrennt. Auch Sinn analysiert Frankreich, nicht aber die nicht weniger geburtenstarken USA oder Großbritannien. Einen Artikel genau dazu finden Sie auch hier: http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/FreiheitReligionKinderef148Blume.pdf

      In einem Punkt bin ich jedoch tatsächlich anderer Auffassung als Sinn: Da die Geburtenraten längst weltweit einbrechen, halte ich eine kapitalgedeckte Altersvorsorge für keinen Ausweg aus dem demografischen Dilemma: Schon jetzt verharren die Zinsen seit Jahrzehnten auf niedrigem und niedrigstem Niveau, da es weltweit immer mehr Sparer und zunehmend weniger Kreditnehmer sowie – wie von Sinn m.E. richtig angemerkt – Gründer gibt. Der sog. „Asset Meltdown“ findet auf den Kapitalmärkten bereits statt. Während jetzt noch viele trotz wachsendem Arbeitskräftemangel gegen Zuwanderer Stimmung machen, dürften die globalen Folgen der Unterjüngung auch wirtschaftlich noch turbulent werden…

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