Das Mehrfach-Scheitern von Björn Höcke (AfD) – und des antireligiösen Dualismus

Es war klar, dass gestern kein guter Wahltag für die demokratischen Parteien sein würde – der digitale Rechtsruck setzt sich fort. Immerhin: Immer mehr Menschen erfassen die polarisierende Rolle von antisozialen Medien und einige Mutige auch schon von Demografie auf den politischen Alltag.

So möchte ich es also heute morgen wagen, sowohl Progressiven wie auch Konservativen auf den dritten, meist übersehenen Faktor hinzuweisen und einige Beobachtungen zum Scheitern des religionsfeindlichen Dualismus (des sog. Antitheismus) zu verschriften: Mit diesem hatte ich auch hier auf dem Blog oft heftig zu tun, denn viele feindselige Dualisten behaupteten gegen alle Daten bis vor wenigen Jahren, dass mit dem Verschwinden der Religionen die Menschen insgesamt wissenschaftlicher, demokratischer, glücklicher, eben “fortschrittlicher” werden würden. 

Dagegen führe ich die gestrigen Wahlergebnisse in Sachen und Thüringen an, die die Frankfurter Rundschau treffend kommentierte: 

FR-Meldung online zu den Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen mit Bildern von Michael Kretschmer und Björn Höcke

“Ergebnisse der Sachsen- und Thüringen-Wahl: CDU gewinnt in Sachsen – AfD trotz Höcke in Thüringen”, Frankfurter Rundschau online, Screenshot: Michael Blume

“Trotz” Höcke (vor dem ich in meiner Landtagsrede gegen jeden Antisemitismus am 9.11.2023 ausdrücklich gewarnt hatte)?

Ja, obwohl die AfD in Thüringen deutlich zulegte, verfehlte der aus Rheinland-Pfalz und Hessen zugewanderte AfD-Landesvorsitzende Höcke mit 38,9 Prozent der Stimmen auch das Direktmandat im Wahlkreis Greiz II gegen den CDU-Bildungspolitiker Christian Tischner, der auch viele Stimme aus anderen demokratischen Lagern bekam. Hier traten zwei Geschichtslehrer gegeneinander an – und nicht der Faschist, sondern der auch im Landtags-“Freundeskreis Israel” aktive, evangelische Christ gewann. Interessant auch, dass selbst die Wirtschaftswoche eine Absage Tischners an die AfD zitierte, in der dieser die Kirchen noch vor der Wirtschaft benannt hatte:

„Wie unanständig und wie respektlos die Politik machen, wie die alles diskreditieren, wie sie die Kirchen diskreditieren, wie sie die Wirtschaft diskreditieren. Das ist schon vom Stil her absolut unmöglich, mit diesen Leuten etwas zusammen zu machen“, sagte Tischner.

Höcke konnte überhaupt nur über Listenplatz 1 in den Landtag einziehen, weil er zwei anderen AfD-Wahlkreiskandidaten die Unterschriften zu ihrer Kandidatur verweigert und damit auch seinen Einzug ins Parlament “abgesichert” hatte. Schon zuvor hatte Höcke bereits zwei Mal (2014 und 2019) an seinem Wohnort im katholisch geprägten Eichsfeld I je die Direktwahlen verloren – das mit Thaddäus König (CDU) übrigens auch 2024 ebenso christdemokratisch gehalten wurde wie Eichsfeld II mit Christina Tasch. Diese christlich-katholisch geprägte Region erlebt zwar auch ein Anwachsen der AfD, beide Wahlkreise konnten jedoch bisher für die Union verteidigt werden. Wie eben auch (knapp) Sachsen.

Zwischen Religionen und demokratischen Zivilreligionen besteht ein Mitwirk-Zusammenhang

Sollte also ausgerechnet die so lange unterdrückte und verlachte Religion womöglich doch eine Rolle für den Erhalt von Demokratien spielen?

Das war früher auch in Deutschland allgemein bekannt, zumal es durch Jahrzehnte von Daten unterstützt wird: Wer sich in einer Kirche oder Religionsgemeinschaft organisiert, hat im Durchschnitt mehr Kinder und ist häufiger ehrenamtlich aktiv als nicht religiös gebundene Menschen. Nichtreligiöse Überzeugungen erzeugen bisher nicht die gleiche Bindekraft. Absolventinnen und Absolventen der säkularen Jugendweihe schließen sich nur sehr selten etwa einem humanistischen Verband an, obwohl dieser etwa auch in Baden-Württemberg Staatszuschüsse erhält.

Ich beobachte auch im Alltag: Wer Erfahrungen von überweltlichem Sinn und religiöser Gemeinschaft einmal gemacht hat, kann und wird auch post-religiös häufiger bereit sein, sich psychologisch beklemmenden Themen wie der Klimakrise oder der fossilen Finanzierung von antisemitischen Ressourcenfluch-Regimen zu stellen. Sie und er werden seltener ihre ganze Verantwortung auf Andersdenkende externalisieren müssen. Im Deutschen wurde und wird dafür gerne das Böckenförde-Diktum zur besonderen Rolle der Gewissens- und Religionsfreiheit zitiert:

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.”

Gerade auch in der kirchlichen Jugendarbeit wurden Millionen junger Deutscher nach dem NS-Regime zu “Joiners”, wie es die Religionssoziologie nennt: Zu Menschen, die auch dann bereit sind, sich stärker etwa in Bewegungen, Vereinen, Parteien usw. einzubringen, wenn sie selbst gar nicht mehr Kirchenmitglieder sind. Die Grunderfahrungen der Selbstwirksamkeit, die Perspektive über die Enge der eigenen Lebenszeit hinaus wirken auch über die religiöse Sozialisierung hinaus ins Säkulare hinein.

Wir sehen das übrigens in der Geschichte all der heute so gerne gescholtenen, demokratischen Parteien: CDU/CSU entstanden als bewusst ökumenische Parteien aus den Post-NS-Trümmern des katholischen Zentrums und protestantischer Splitterparteien. Nach dem Zerfall vieler christdemokratischer Parteien in anderen Ländern wie Italien gilt die Union daher heute auch europaweit als Stabilitätsanker gegen Rechtsdualismus.

Auch die bundesdeutsche SPD verwarf in den Mehlemer Thesen und dann Godesberger Programm von 1959 den Sozialismus als “Ersatzreligion” und wandte sich den Kirchen zu. Sie wurde auch damit erfolgreiche Volkspartei mit bekennenden Christen wie dem späteren Bundespräsident Johannes Rau (1931 – 2006).

Die Grünen hatten ihre Wurzeln wesentlich in der kirchlichen Friedens- und Schöpfungsarbeit sowie auch der esoterisch-christlichen Anthroposophie. Der bislang einzige, grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist bekennend katholisch.

Und auch die FDP begeht ihre Wurzeln im christlich geprägten Milieu aus Handwerkern, Kleinunternehmern und Bauern bis heute mit dem jährlichen Dreikönigstag in Stuttgart. Erst später wurde aus ihrem traditionellen “Dreikönigsball” ein weiterer “Bunter Abend”. Sternsinger werden aber immer noch gerne empfangen.

Wenn die Religion-Zivilreligion-These also zutrifft (und ich meine mehr denn je, das dem so ist), dann drohen auch die Bindungen und Mitgliedschaften demokratischer Parteien zu erodieren, wenn sie sich über Jahrzehnte vom Strom des auch religiösen Engagements entfernen. Und ich schreibe dies auch als Warnung an jene wachsende Zahl von fossilen Lobbyisten und Karrieristen, die auch aus der CDU/CSU nur noch eine weitere rechts-säkulare Wirtschaftspartei machen wollen. Wenn ein “C” etwa in Fragen der Wirtschaft, Bildung, Bündnistreue, Menschenwürde, Wasserkrise und, ja, Migration keinerlei Rolle mehr spielt, werden sich diejenigen abwenden, denen ihr jeweiliger Glaube noch wirklich etwas bedeutet. Und die Anderen werden die rechtsdualistischen Originale wählen.

Aber auch die Ampel-Parteien dürfen sich in ihren Wahlauswertungen fragen, ob die Ankündigung kurz vor den Landtagswahlen, auch ohne die Bundesländer gegen die Kirchenfinanzen vorzugehen, der Weisheit letzter Schluss war. Wer in Regionen lebt, in denen nach Arztpraxen, Apotheken und Läden auch bereits Pfarrhäuser und kirchliche Dienste schließen, Kirchen verfallen, Kinder- und Jugendarbeit eingespart wird, muss nicht religiös sein, um das als großstädtische Arroganz wahrzunehmen. Es gibt immer mehr Gebiete in Deutschland ganz ohne politische Parteien – aber noch keine ganz ohne Kirchengemeinden. Auch das Eichsfeld hat es bewiesen: Kinderreiche Religionen überleben auch feindselige Zivilreligionen. Und schon die weltweite, säkulare Geburtenimplosion spricht dafür, dass dies auch nach Jahrzehnten heftiger Transformation so bleiben wird.

Die Datengrafik aus dem Artikel Homo religiosus von Dr. Michael Blume 2009 in Spektrum der Wissenschaft zeigt, dass religiöse Menschen weltweit im Durchschnitt mehr Kinder haben als weniger- und nichtreligiöse.Grafik aus einem Artikel von mir in Gehirn & Geist 04/2009 zur Evolution des “Homo religiosus”

Wir sehen ähnliche, post-religiöse Entwicklungen übrigens auch in den USA, wo die US-Demokraten “die Religiösen” zunehmend den Republikanern überließen – und Donald Trump heute sogar mit dem Verkauf einer “God bless the USA”-Bibel schamlos Punkte macht und Geld verdient.

Nicht zufällig präsentierten daher die US-Demokraten auch den jüdischen Second Gentleman Douglas Emhoff der US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris auf dem Parteitag in Chicago, der dort betonte, dass sie gemeinsam sowohl die Synagoge zu “den hohen Feiertagen” wie die Kirche “zu Ostern” besuchten und sich auch etwa an Weihnachten um die Familien mit Kindern gemeinsam kümmerten. Dies schützte die US-Vizepräsidentin vor rechtsdualistischen Unterstellungen des Antisemitismus und rassistischen Verschwörungsmythen. Nach Jimmy Carter und Bill Clinton wäre Harris aber auch die dritte, baptistische Person im US-Präsidentenamt. Und auch schon der Protestant Barack Obama und der Katholik Joe Biden waren bekennend religiös.

Also verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich erkläre hier nicht Religionsgemeinschaften für stets demokratisch, im Gegenteil. Auch religiöse Milieus können rechtsdualistisch zerspalten werden, wie ich es in “Islam in der Krise” am Beispiel vor allem der arabischen Welt und in “Rückzug oder Kreuzzug?” am Beispiel der USA zeigte.

DLF-Interviewkachel zum religions- und kulturübergreifenden Dualismus mit einem Demonstranten, der einen Trump-Aufsteller in die Luft reckt.Interviewkachel des Deutschlandfunks zu unserem Gespräch “Christentum im Wandel – Rückzug oder Kreuzzug?”. Screenshot: Michael Blume

Und auch Brasiliens Ex-Präsident Jair “Messias” (!) Bolsonaro, der riesige, evangelikalen Kirchen hinter sich scharte (und sich den Mittelnamen Messias selbst zulegte!) sowie der argentinische, rechtslibertäre Präsident Javier Milei, der sich als “katholischer Christ, der auch ein wenig Judentum praktiziert” bezeichnet, zeigen, wie gefährlich ein religiös glaubwürdiger AfD-Spitzenkandidat auch in Thüringen nicht nur für die Union hätte werden können. Wenn die demokratischen Parteien die religiösen Milieus aufgeben, werden andere sie abgreifen – mitsamt all ihren Potentialen an Jugend, Sinn- und Gemeinschaftserfahrungen.

Falls Ihnen also etwas an unserer Demokratie liegt, so möchte ich Sie bitten, bei der Auswertung der Landtagswahlen von Sachsen und Thüringen auch die so gerne verlachten Kirchen und Religionen noch einmal genauer in den Blick zu nehmen. Schon aufgrund der Religionsdemografie und meinen zigfachen Erfahrungen an Schulen sage ich voraus, dass keine demokratische Partei in Europa längerfristig erfolgreich sein wird, die kein durch Personen glaubwürdig verkörpertes Bündnis von christlichen, muslimischen, jüdischen, buddhistischen, ezidischen, anders- und nichtglaubenden Milieus anzusprechen vermag.

Wer dialogische Vielfalt nicht wirklich lebt, bereitet den Demokratiespaltern den Weg. Wer einige oder gar alle Religionen nur als Abziehbilder für seine Feindseligkeit missbraucht, mag damit kurzfristig Aufmerksamkeit erringen, wird aber das Vertrauen lebendiger Zivilgesellschaften nicht gewinnen. Demokratien leben von überzeitlichen Hoffnungen, die Parteien alleine nicht schaffen können. Weite der Zeit ist die Quelle von Sinn.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

34 Kommentare

  1. Das war früher auch in Deutschland allgemein bekannt, zumal es durch Jahrzehnte von Daten unterstützt wird: Wer sich in einer Kirche oder Religionsgemeinschaft organisiert, hat im Durchschnitt mehr Kinder und ist häufiger ehrenamtlich aktiv als nicht religiös gebundene Menschen.

    Tja. Ein Jammer, dass man das eigene Hirn nicht zum Glauben zwingen kann. 😀

    Ich bin nie aus der Kirche ausgetreten, bin bis heute Katholik. Aber dem tatsächlichen Praktizieren des Glaubens kann ich schon seit Jahrzehnten nichts abgewinnen. Vielen Inhalten schon, Nächstenliebe, Armutsideal. Aber wenn man dann doch mal wieder in der Kirche ist, empfinde ich es immer als höchst seltsam, wie sehr sich doch vieles von den tatsächlichen Inhalten wegrichtet und zu Personen hin. Mit “Herr, erlöse uns!” kann ich nichts anfangen, ich brauch keine Erlösung, viel interessanter wären doch auch mal die “versteckten” Geschichten der Bibel, oder überhaupt welche. Auch die ständige Selbstreferenz auf diesen “Herren”, auf “Gott”, empfinde ich stets als nervtötend und monoton.

    Vielleicht bin ich einfach zu zynisch für diese Art des Glaubens. Für mich war Glauben und Spiritualität nie etwas, was ich in der Masse zelibrieren konnte, sondern stets etwas sehr persönliches, das ich höchstens Einzelpersonen mitteilen kann. So bezeichne ich mich gerne als buddhistisch-daoistischen Agnostiker. Das ist wenig massentauglich – aber ja, schade finde ich es schon, eine so wenig massentaugliche Person zu sein. Denn viele Gläubige scheinen recht glücklich zu sein mit ihrem massentauglichen Leben. Und auch wenn das negativ klingen mag, ist es keineswegs so gemeint. Suum Cuique! Vielleicht ist es auch nur das grünere Gras des Nachbarns, das mir da lacht. 😉

    (Oh, und ja, das ist jetzt völlig OT geworden. Naja, was soll’s)

    • Danke, @Leonard Schiff 🙏

      Bei mir war es übrigens andersherum – ich bin ungetauft und nichtreligiös aufgewachsen, machte erst als Jugendlicher inmitten einer Sinnkrise tief religiöse Erfahrungen und bei meiner Erwachsenentaufe war auch meine muslimische Verlobte – & dann Ehefrau – einbezogen. Phasen des Zweifelns kenne ich auch, musste mich aber nie negativ zu einer ererbten Tradition abgrenzen und studierte sehr bewusst nicht Theologie, sondern Religionswissenschaft. Wissenschaft und Religionen habe ich nie als Feinde erlebt, sondern allenfalls deren Institutionalisierungen und, ja, Personalisierungen.

      Auch etwa zur jüdischen, ezidischen, buddhistischen und hinduistischen Religion, zu Sikhs und Bahai fand ich schnell Zugang, bin immer wieder gerne bei den nichtreligiösen Humanisten und lerne gerne täglich interkulturell und auch interreligiös hinzu. Dass Vielfalt sowohl unter den Mitmenschen wie auch in der eigenen Identität trägt, das erfahre ich keineswegs nur theoretisch.

      Danke für den anregenden Kommentar, jetzt gerieten wir ins Plaudern! 🙏☺️🙌

    • Auch die Reichstagswahl von 1933 brachte in katholischen Gebieten zunachst eher schwache Ergebnisse für die NSDAP. Das blieb bekanntlich nicht so.

  2. Danke für diesen Artikel!

    Was mich jedoch irritiert: ich lese hier zum ersten Mal, daß die Ablösung der Staatsleistungen, die ja vom GG und davor schon der WRV gefordert wird, kirchenfeindlich sei.
    Nach meiner Kenntnis sind die Kirchen hier relativ entspannt, nur die Länder nicht.
    Habe ich hier etwas verpasst?

    • Ja, @De Benny – es gab zwischen Bund und Ländern noch keine Einigung, der Bund wollte bzw. will es alleine machen.

      Da ich ja schon die Ehre hatte, an Staatsvertragsverhandlungen sowohl mit jüdischen Gemeinden wie auch mit unserem Landesverband der Sinti und Roma mitzuwirken, hätte ich jeder Bundesregierung und demokratischen Partei einen anderen Weg empfohlen. Denn, wie gebloggt – hier geht es um so viel mehr als um Geld und auch nicht nur um die Kirchen. Ich denke, in ein paar Jahren dürfte das Allgemeinwissen geworden sein, so oder so.

  3. Es gibt schon jemand aus er CDU, der an der Brandmauer zur AfD rüttelt:

    “Nach Sicht der neu gewählten CDU-Abgeordneten Martina Schweinsburg sollte die Thüringer CDU nicht nur mit der Linkspartei, sondern auch der AfD in Sondierungsgespräche gehen. “Über 30 Prozent der Thüringer haben AfD gewählt. Und das ist ein Respekt vor dem Wähler, mit denen, die sie gewählt haben, auch zu reden”, sagte die Präsidentin des Thüringer Landkreistages.”

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-09/landtagswahl-thueringen-cdu-martina-schweinsburg-afd

    Es könnte sehr gefährlich werden für die CDU und die Demokratie, wenn die CDU in Thüringen nachgibt.

    • Ja, @Paul Stefan – wenn die CDU sich wie die ÖVP in Österreich für Rechtsaußen korrumpieren würde, dann wäre der Schaden für die Partei und die gesamte Bundesrepublik irreparabel. Es würde dann auch die deutschsprachige Christdemokratie zerreißen und unsere Demokratie abstürzen lassen.

  4. Ich habe mich auch mit dem Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen beschäftigt und meine eigenen Gedanken dazu entwickelt.

    Die populistischen Parolen der AfD und anderer rechts- oder links-extremistischer Parteien bedienen primär das instinktbedingte und archaische Verhalten und Denken der Menschen. Wie wir nun erfahren mussten, ziemlich erfolgreich.

    Die nachfolgenden Gedanken stehen im engen Zusammenhang mit dem Buch von Jonathan Sacks: ‚Not in God’s Name‘ und meinem Wissen über Verhaltensforschung in der Biologie aus Studienzeiten.

    Instinkte oder archaische Muster sind:

    Geschwisterneid
    (Konkurrenzdenken; BRD und DDR, daraus resultiert das Gefühl der Benachteiligung.)

    Futterneid
    (die anderen bekommen immer mehr als ich) geht über in

    Hackordnung/Rangordnung
    (Sozialneid; ‚die Flüchtlinge und Asylanten sollen kein Bürgergeld bekommen‘)

    Revierverhalten
    (bei Vögeln mit lauten Gesängen; bei Säugetieren mit Kampfhandlungen an den Reviergrenzen; bei uns Menschen: Angst vor Überfremdung, ‚Ausländer raus‘, Aggressionen bis hin zu Krieg)

    Im Notfall muss ein Land aber auch verteidigungsfähig sein.

    Imponiergehabe
    (bunte Federn; Balzverhalten; Aggression; der Aufmarsch rechter Gruppen; die Bedrohung von demokratischen Wahlhelfern oder Politikern; ein dicker SUV-Verbrenner, auch Luxusyachten gehören dazu)

    Ich gehe davon aus, obwohl die Situation in den ostdeutschen Bundesländern möglicherweise anders ist als in den westdeutschen Bundesländern, dass die Parteien, die sich mit ihren Parolen an diese instinktbedingten und archaischen Muster wenden, die Wähler stark beeinflussen, indem sie damit Angst erzeugen und daraus nationalistische Rechte für sich ableiten.
    Nur wenn unsere Sozialisation in einem Wertesystem von humanistischen oder christlichen oder anders religiösen Werten eingebunden ist und Empathie einen Stellenwert hat, haben wir eine Chance, darauf nicht anzusprechen. Menschsein bedeutet eben auch, diese instinktbedingten und archaischen Verhaltensmuster zu überwinden. Die humanistischen, christlichen oder anders religiösen Werte sollten hier nicht unterschätzt werden.
    Wenn sich in den digitalen Blasen diese Parolen verselbstständigen und zu einer scheinbaren Einsicht in politische Vorgänge führen, geht die Zugänglichkeit für wissenschaftliche Erkenntnisse verloren.

    Mit moralischen Ansprüchen, intellektuellen Begründungen und einer kognitiven Auseinandersetzung wird man die breite Masse der Wähler nicht erreichen.

    Sind wir Menschen vielleicht doch mehr instinktorientierte Wesen als Verstandeswesen mit Verantwortungsbewusstsein?
    Obwohl wir im Wohlstand leben, schieben sich Gier, Neid, Habenwollen, Reicherwerden, aggressive Revierverteidigung immer wieder in den Vordergrund. Auch hier verschwinden die humanistischen, christlichen oder anders religiösen Wertvorstellungen. In der Migrations- und Asylpolitik vermisse ich zunehmend die Mitmenschlichkeit.
    Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse in Bezug auf die Klimakrise wollen viele nicht wirklich verzichten. Der Irrglaube, dass Wachstum immer so weitergeht, ist sehr groß und häufig trifft auch der Spruch zu:
    ‚Nach mir die Sintflut‘.

    Der Trick, die Migrationspolitik, d.h. vermeintliche Gefahren aus der Migration in den Vordergrund zu stellen und die Klimakrise an den Rand zu rücken, weil die wissenschaftlichen Erkenntnisse hier so eindeutig sind, ist eine sehr gelungene Ablenkungspolitik.
    Auch die Sündenbock-Strategie, die Grünen würden eine Klima-Diktatur wollen, ist voll aufgegangen.

    Wir alle tragen eine Verantwortung, die Demokratie für die nächste Generation zu bewahren.

    • Wow, vielen lieben Dank, @Elisabeth K.!

      Und, ja, wir sind evolvierte Säugetiere – und die Schicht der Zivilisation, die wir darüber getüncht haben, kann sehr schnell durchbrochen oder eben auch über Jahrzehnte abgetragen werden. Wo etwa Säkularisierung, Individualisierung und Bevölkerungsimplosion erst einmal um sich gegriffen haben, geraten die „nächsten Generationen“ samt ihrer Belange schnell in eine prekäre Minderheitensituation. Wird dann auch noch Zuwanderung pauschalisierend abgelehnt, dann setzt ein regionaler Niedergang ein, der nur schwer aufzuhalten ist…

  5. ich höre allerdings jetzt aus BW -CDU : “den Islam herauswerfen, die Bürger haben die Nase voll vom Islam. Die Wahl in Sachsen und Thüringen hat gezeigt, was die Bürger wollen. ” Da liegt viel Arbeit vor Ihnen, wenn Sie die Radikalisierung der CDU verhindern wollen.

    • Alleine könnte ich da fast nichts „verhindern“, @Joachim Fischer

      Doch in den Unionsparteien gibt es gerade auch auf Ebene der Kommunalpolitik noch immer Zehntausende christlicher, aber auch muslimischer, jüdischer, anders- und nichtreligiöser Menschen, die auch religiöse Vielfalt begreifen und leben. Erinnere mich gerne an intensive Zeiten im Bundesnetzwerk Integration und an Gespräche mit Engagierten wie Cemile Giousouf, Serap Güler, Karin Prien, Aaron Schuster u.v.m.

      Wichtig ist zudem, dass die Koalitionsfähigkeit zwischen allen demokratischen Parteien erhalten bleibt. Und wer sich wirklich demokratisch engagiert, weiß auch, dass es eindrucksvolle Menschen in allen demokratischen Traditionen gibt. Dialog stiftet Hoffnung.

  6. Beim wiederholten Lesen dieses Blogposts samt der Kommentare komme ich aus dem Staunen und Lernen nicht heraus.

    Bei allen schlechten Nachrichten ist es für mich ein Lichtblick, dass sich Kirchenvertreter in Deutschland in den letzten Wochen klar von der AFD abgegrenzt haben. Ich hoffe, dass das so bleibt.

    Was mein eigenes Verhältnis zu Religiosität betrifft, so finde ich mich in dem wieder, wie @Leonard Schiff es ausdrückt:

    “Für mich war Glauben und Spiritualität nie etwas, was ich in der Masse zelibrieren konnte, sondern stets etwas sehr persönliches, das ich höchstens Einzelpersonen mitteilen kann.”

    Ich habe daher mal auf einem Kirchentag eine persönliche Krise während eines Massengebets bekommen. Und ich bin aus der Kirche ausgetreten.

    Dennoch haben mich der Austausch mit religiös lebenden Menschen durch mein ganzes Leben hindurch begleitet und bereichert. Einer der besten Reden, die ich je erlebte, hatte 1987 der Theologe Wolfgang Huber gehalten – über den RAF-Terror und Versöhnung.

    Und, ja, Stichwort “Versöhnung”: das ist auch eine Idee, die über die “Enge der (eigenen Lebens-)Zeit” hinausweist, ein Prozess, der, das über die archaische Enge des instinktgesteuerten Egoismus hinausweist. Und daher dürfte die Idee von der Versöhnung allen Rechtsextremisten, Populisten und ihren Anhängern völlig fremd sein.

    Daher denke ich, dass die folgenden beiden Sätze jeder Diskussion über die aktuellen Wahlergebnisse Tiefe geben und einen Anspruch formulieren können:

    @Michael Blume:
    “Die Grunderfahrungen der Selbstwirksamkeit, die Perspektive über die Enge der eigenen Lebenszeit hinaus wirken auch über die religiöse Sozialisierung hinaus ins Säkulare hinein.”

    @Elisabeth K.:
    “Menschsein bedeutet eben auch, diese instinktbedingten und archaischen Verhaltensmuster zu überwinden.”

    Jeder Mensch, dem die Bewahrung unserer offenen Gesellschaft und einer menschenfreundlichen Politik am Herzen liegt, sollte diesen Anspruch auch von seinen Mitmenschen einfordern.

    • Vielen Dank für den reflektierten Kommentar, @Peter Gutsche. Die Themen Politik und Religion sind ja tief mit unseren Biografien und also auch Emotionen verbunden. Darüber wissenschaftlich zu reflektieren fällt vielen nicht leicht – das Zurückfallen in Ressentiments bleibt dagegen verführerisch einfach. Bin froh über jede Person, die es schafft… 🙏📚🤔🙌

  7. Both countries have a similar problem; voting against, rather than for.

    IMO Germany’s government made the mistake of not using social media to reach the young demographic.

  8. @ Elisabeth K.

    Denken Sie in dem Zusammenhang nochmal über ‘ rechtsfeindliches dualistisches Helden-Kriegertum und Infantilismus’ nach. Ebenso über das Rollenbild ‘Prinzessin’.
    Archaik ist wieder ziemlich nah…

  9. Von einem Scheitern würde ich hier nicht sprechen. Aber ich respektiere Ihre Meinung. Wir können gegensätzliche Meinungen haben, ohne uns deshalb an die Gurgel zu gehen. Auch das verbindet echte Demokraten… Was ich in dem Zusammenhang über die Wähler der A.. denke? Nun, wir leben in einer Zeit, in der es besser ist, sich nicht zu äußern. An dem Punkt bin ich angekommen.

    Bürgerschaftliches Engagement wird vorgelebt oder eben leider kaum. Natürlich hat der Einsatz für Gemeinschaft eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das in der DDR so wichtige Kollektiv?

    Vor über 200 Jahren wurden beispielsweise die Klöster aufgelöst und die Kirchenfürsten entmachtet. Dies führte zu einem Gebietszuwachs für die Königreiche Bayern und Württemberg. Es hatte mW leider auch zur Folge, dass die von Klöstern geleistete Bildung und Betreuung weggefallen ist, von staatlicher Stelle aber nicht kompensiert werden konnte.

    In meiner Familie wurde gelegentlich darüber gewitzelt, dass wir den Drang ein Ehrenamt zu übernehmen, vererbt haben müssen. Mein Großvater väterlicherseits hatte ein Ehrenamt bei der “Sparda” inne. Mein Vater war Vorsitzender eines Vereins, Stadtrat und einige Jahre Fraktionsvorsitzender. Ich selbst habe mich parteipolitisch als Beisitzerin engagiert und war Elternbeirat in der Kita. Auch mein Mann war ehrenamtlich tätig (Obst- und Gartenbauverein, um nur ein Beispiel zu nennen). K1 führt die Tradition des politischen Engagements fort.

    Dieses Engagement wird zunehmend schwieriger und gefährlicher. Ich habe gestern nur kurz einen Blick nach Bayern zum Gillamoos geworfen. Wenn ich mir das hasserfüllte Gesicht eines niederbayerischen Politikers ansehe, wenn er über die Ampel, explizit aber über die Grünen spricht, dann muss ich mich fragen, ob das Ziel nicht die politische Vernichtung ist. Niederbayern gilt als Hort des Katholizismus. Wie lässt sich so viel Hass mit der christlichen Botschaft vereinbaren?

    Meines Erachtens trifft das Scheitern nicht auf den Herrn H. zu, sondern auf unser politisches System. Nicht wenige Leute in den Medien und aus bestimmten Parteien tun doch fast alles, um zunächst die Grünen aus der politischen Landschaft zu eliminieren. Doch das wäre mE erst der Anfang. Aber das wird verdrängt. Hass und Hetze werden, auch digital befeuert, versuchen das Ziel zu erreichen.

    Gestern habe ich in einem Artikel gelesen, dass die Kirchen zum Gespräch mit A.. Wählern bereit sind.

    Ich selbst sehe keine Notwendigkeit, mich mit den Wählern dieser Partei zu unterhalten. Die machen mir einfach nur Angst und genau das ist es, was sie wollen. Wir gehen den dunklen Zeiten nicht entgegen, wir sind schon über den Rubikon drüber.

    Ich habe resigniert. Leider auch wegen meiner ehemaligen politischen Heimat.

    In letzter Zeit dachte ich manchmal an Helmut Kohl. An Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt oder Hans Dietrich Genscher. Kohl prägte das Wort von der “Gnade der späten Geburt”. In persönlicher Abwandlung bin ich dankbar für die Gnade der frühen Geburt.

    • Danke, @Marie H.

      Zu Ihrer Nachfrage: Meine Familie hat die DDR ja erlebt und im Grundsatz gilt sowohl für säkulares wie religiöses Engagement: Zwang löst Reaktanz aus und zerstört jede Motivation.

      Deswegen richten sich Staatsreligionen auch so oft zugrunde, denken wir etwa an den heutigen Iran, das vor-revolutionäre Frankreich oder die russisch-orthodoxe Kirche. Damit sich Religionen in Freiheit und Vielfalt entfalten können, benötigen sie Rechtssicherheit, Zeit und vor allem Freiheit sowie Dialog. Sie können gelingen oder aber auch scheitern – wie politische Parteien und Systeme ja auch. Genau deswegen wird ja kein Dualismus der komplexen Realität gerecht.

      • Danke für die Erklärung. Zwang zeitigt fast nie etwas Gutes. Er schadet der Persönlichkeitsentwicklung und kann zu psychischen Erkrankungen führen.

        “kein Dualismus wird der komplexen Realität gerecht.”

        Da stimme ich Ihnen zu. Sie schreiben, dass es auch den Dialog braucht. Kein Widerspruch von mir.

        Aber: Wo und mit wem beginnt der Dialog? Ich weiß nicht, wo es noch Gespräche zwischen demokratischen Mitbewerbern geben könnte. Und so wie Sie mich mit unserem Dialog immer wieder zum Nachdenken über meinen Dualismus bringen, wünsche ich mir, dass auch die Dualisten unter den Politikern ihre Emotionen unter Kontrolle bekommen und Vernunft und Verstand obsiegt. Als Politiker muss man nicht in jedes Mikro quatschen und feindseligen dualistischen Müll absondern.

        Im Zusammenhang mit Social Media hoffe ich, dass Leute aus allen Parteien Selbstbeherrschung üben und nicht jede noch so unwichtige Sau mit maximaler Wortwahl durchs FB-, Insta- oder X-Dorf treiben!

        Abgeordnete bieten in unterschiedlicher Art und Weise Termine an, um der Bevölkerung Rede und Antwort zu stehen. Auch aufgrund von Hass und Hetze ist das bei manchen Parteien nur mit Polizeischutz möglich. Aus Sicherheitsgründen nenne ich weder Ort noch DEMOKRATISCHE Partei. Mein Vorschlag an Vertreter und Vertreterinnen aller demokratischer Parteien: Redet MITEINANDER und twittert nicht ÜBEREINANDER!!! Verdammt, das kann doch nicht so schwer sein. Aber wie oben beschrieben: Es ist unrealistisch.

        Diese Hoffnungslosigkeit liegt wie Blei auf mir.

        • @Marie H.

          Die Sorgen teile ich – aber wer hätte es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass die CDU-Verbände in Sachsen und Thüringen einerseits Koalitionen mit der AfD strikt ausschließen (wie es einst auch die CDU Baden-Württemberg mit den hiesigen Republikanern tat) und andererseits sowohl mit der BSW wie mit Linken sprechen?

          Gleichzeitig entlarvte sich die AfD auch am Wahlabend – aus dem sie demokratische, sogar rechte Medien ausgeschlossen hatte – schon wieder selbst:

          https://www.msn.com/de-de/nachrichten/other/besch%C3%A4mende-aufnahmen-von-afd-wahlparty-mit-h%C3%B6cke-aufgetaucht-experte-rechtsextreme-provokation/ar-AA1pRW7K?ocid=msedgntp&pc=LCTS&cvid=bea7031253744512a0e7d6ad289f1997&ei=11

          Mir scheint, dass wir nach langen Phasen antisozialer Medien über das Fediversum wieder langsam zu Formen des dialogischen Monismus zurückfinden. Das ist ein Prozess von Jahrzehnten, doch Sie wirken auch selbst bereits daran mit.

          • Das ist nicht nur eine Provokation sondern auch eine Machtdemonstration. Gemäß dem Motto: Wir können uns ungestraft alles erlauben. Wundert mich nicht.

            Und BSW? Nun ja, es gab in den letzten Jahren kaum eine Talkshow, die ohne SW auskam. Ich schaue mir diese Art der Unterhaltung nicht an. Aber ich sehe sehr wohl im Programm, wen Illner, Maischberger und Co einladen. Offenbar glauben sowohl CDU als auch SPD, dass BSW das kleinere Übel ist.

            Mit Parteien, die nicht im Landtag vertreten sind, wie Grüne und FDP in Thüringen, sind Gespräche hinfällig.

          • Ja, @Marie H. – ich würde auf Krawall inszenierte TalkShows auch eher dem Bereich antisozialer Medien zuordnen. Es geht dort erkennbar ja nicht darum, dialogische Argumente auszutauschen, sondern sich mit möglichst viel Krawall zu inszenieren und die jeweilige Followerschaft zu vergrößern. In der SPD wird das Format bereits kritisch diskutiert:

            https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_100481586/spd-talkshow-verbot-fuer-saskia-esken-irritiert-luege-oder-missverstaendnis-.html

            Gegenüber Parlamenten sind die meisten TalkShows doch eher ein Rückschritt, meine ich.

        • Wo und mit wem beginnt der Dialog?

          Das ist eine eher traurige Geschichte, zumindest für mich. Der Dialog mit den heutigen AfD-Wählern wäre vor 20 Jahren zumindest möglich gewesen.

          Ich als pubertärer Bub trieb mich damals in rechtsradikalen Foren rum. Über die eine Gruppe kam man zur anderen und irgendwann hing man halt darin. Ich war selber kein Rechtsradikaler, sondern stand zwischen den Stühlen: Die Rechtsradikalen konnten mich politisch nicht so recht ab, aber immerhin sprach ich mit ihnen. Und viele Punkte von damals waren tatsächlich auch so richtig, genauer gesagt wurden damals noch solche Diskussionspunkte schlichtweg unterdrückt.

          Das konnte ich gut feststellen, als ich versucht habe, sie selbst mal anzusprechen. Ich selber, als junger Mann, hatte das Gefühl, dass “Mannsein” gerne ein Stück weit unterdrückt wurde. Dazu passten auch mancherlei Zahlen, wie dass Frauen besseres Abi machten. Dass eine geringe Geburtenrate nicht zu einem nachhaltigen Gesellschaftssystem passe und dass die “Einheimischen” immer weiter durch Zuwanderer ersetzen kaum eine Lösung darstellen könne, das erschien mir auch logisch.

          Trotzdem war ich immer noch eher liberal, teilweise sogar links eingestellt. Die Rechtsradikalen waren mir politsch als eher feindselig eingestellt, zumindest insgesamt. Sprach ich aber oben gennante Punkte beispielsweise in der Schule an, so war ich plötzlich Nazi. Das ging rasend schnell. Rebellisch, wie man als Jugendlicher so ist, fing ich dann an, diese Rolle ein Stück weit tatsächlich zu spielen. Beispielsweise gab es “Anti-Rechts” Aufklärungspamphlete bei uns. Diese habe ich dann komplett auseinandergenommen, weil sie viel zu simpel und letztlich dumm gestrickt waren. Die hätten keinen überzeugten Rechtsradikalen überzeugen können. In der Schule “durfte” man an “Anti-Rechts” Demos teilnehmen – ich weigerte mich, weil ich nicht einsah, von der Schule politisch instrumentalisiert zu werden. Ich bezeichnete mich in der Zeit als “nationalliberal im Sinne von Stresemann”. Die Anspielung verstand leider keiner: Der liberale Nationalist als staatstragender Vermittler und, zumindest in der Weimarer Zeit, Retter der Demokratie. Wäre er nicht so früh gestorben… man weiß es nicht.

          Wie auch immer: Es wurde damals nicht mit mir diskutiert, sondern ich wurde gebrandmarkt und abgestellt. Mancherlei Lehrer schien mich tatsächlich als “neue intellektuelle Rechte” zu fürchten, man gab mir sogar schlechte Noten für eine unopportune politische Meinung. Ich nahm das in Kauf, war das doch meine Form der pubertären Rebellion.

          Worauf ich hinauswill? Damals hätte man mit nach rechts tendierenden Menschen noch reden können. Wollte man aber nicht. Wie ich selber schnell gemerkt habe, wurde man rasend schnell als Nazi gebrandmarkt und abgestellt. Es gab keine Diskussion über Themen, die nun heute hochkochen. Aber heute? Heute kam man darüber kaum mehr normal reden. Während damals der linke Zeitgeist jede Diskussion erstickte, die man noch vernünftig hätte führen können, erstickt heute der rechte Zeitgeist jede Diskussion, und treibt linke Parteien wie die SPD oder die Grünen dahin, bspw. unmenschlichen und schwachsinnigen Abschiebungen Vorschub zu leisten.

          Es wäre damals Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft gewesen sich zu fragen, warum manche Menschen nach rechts abdriften. In diesen Foren war der komplette Plan offensichtlich, der sich später in Form der AfD manifestiert hat. Hätte man diesen Menschen zugehört, hätte man A. sich um ihre Sorgen mehr kümmern können, sodass heute keine 30% AfD möglich wären, und B. hätte man die ganze Taktik und den Plan der braun-blauen Pest schon Jahre vorher gekannt. Immer, wenn ich die AfDler heute reden höre und agieren sehe, fühle ich mich in die Zeit damals zurückgesetzt. Und es bereitet mir nahezu Schmerzen, dass die demokratische Mehrheitsgesellschaft von damals in ihrer Arroganz und Hybris nicht in der Lage war, auf diese Menschen zuzugehen und ihnen zuzuhören.

          Das Ergebnis haben wir nun heute. Das war nicht notwendig, aber so ist es nun mal gekommen. Heute ist ein Dialog kaum mehr möglich. Die AfD ist längst zur völligen Agitations- und Propagandamaschine verkommen. Und ich denke, dass viele Menschen aus Union&FDP den Inhalten dieser Partei durchaus nahestehen. Der Neoliberalismus hat in den USA über Großbritannien bis nach Deutschland dem Rechtsextremismus schließlich Vorschub geleistet.

          • Danke, @Leonard Schiff

            Auch ich war früher einige Jahre etwa bei Dol2Day im extrem überparteilichen Dialog aktiv. Und erinnere mich auch noch sehr gut, dass ich etwa als junger CDU-Gemeinderat schon Deutschkenntnisse auch für Zugewanderte fordern und fördern durfte – weil ich mit einer Deutsch-Türkin verlobt und dann verheiratet war. Dafür “verziehen” mir Linke manche vermeintliche “Deutschtümelei”, während meine Frau und ich die komplexe Realität auch der zugewanderten Menschen längst kannten. Auch heute noch werde ich immer mal wieder vorgeschickt, um Dinge auszusprechen, die sich andere nicht trauen. Unsere Diskussionskorridore sind viel zu eng – und werden dann auch noch allzu hektisch verschoben. Fatal für echte Dialoge.

            Nur – hätte es alleine an falschen Entscheidungen Einzelner gelegen, dann müssten wir heute auch Demokratien erleben, in denen der digitale Rechtsruck nicht stattgefunden hat und das Parteiensystem stabil geblieben ist. Doch ob Frankreich, Spanien, Polen, Italien, Großbritannien, die USA, die Türkei, die Philippinen, Australien, Neuseeland, die Niederlande, Schweden, Finnland, Dänemark, Kanada, Brasilien… – die Kombination aus digitaler Polarisierung, fossiler Reaktanz und säkularem Geburtenrückgang greift überall.

            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/engen-der-zeit-drei-gruende-fuer-das-globale-anwachsen-von-rechtsextremismus-und-antisemitismus/

            Das bedeutet übrigens in keiner Weise, dass ich Ihre Erinnerungen oder Ihr Engagement nicht wahrnehmen und wertschätzen würde, @Leonard Schiff. Sondern es bedeutet im Gegenteil, dass auch Sie früher als andere gespürt haben, dass das alte fossile Zeitung-und-Wachstum-Paradigma der Demokratie nicht mehr trug. Vor Ängsten und auch Wut haben viele die Augen verschlossen – und auch jetzt erreichen die erschütternden Enthüllungen über digitale Hasskampagnen noch kaum die ältere und Wahlen entscheidende Bevölkerung.

            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/brasilien-stellt-x-er-durch-sperre-auf-entzug-und-das-tut-den-meisten-gut/

            Danke, dass auch Sie nicht aufgeben und sich hier immer wieder konstruktiv einbringen! 👍

  10. Ich wäre einfach vorsichtig was das Thema angeht…
    Also die letzten 40 Jahre bringen für mich als individuelle Erfahrung mit das man als Mensch der für sich selbst absolut nichts mit dem, was so üblicherweise mit Religiösität gemeint ist, an der Brause hat und die Frage ob es einen Gott egal was für einen gibt nicht als wichtig für das eigene Leben empfindet, erst mal grundsätzlich Anfeindungen von sich selbst als religiös bezeichneten Menschen ausgesetzt ist. Das das im Regelfall Christen und Muslime sind, ist so vom vernünftigen Ansatz her einfach der Tatsache geschuldet, das ich ziemlich offensichtlich hauptsächlich von Christen und Muslimen umgeben bin; damit steigt natürlich ziemlich offensichtlich die Wahrscheinlichkeit das der Mensch der sich gerade mal wieder nicht benehmen kann Christ oder Muslim ist 🙂

    Das Erste was mir so vor die Füße fällt ist “keine Religion -> keine Moral”. Und zwar seid ermüdenden 40 Jahren. Dabei hängt die Frage, ob jemand ein guter Mensch ist, nicht vom Glauben oder Nicht-Glauben ab, sondern von den eigenen Handlungen und Werten. Entscheidend sind Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein, und beides ist relativ offernsichtlich nicht grundsätzlich damit verknüpft, das jemand religiös ist.
    Schön immer wieder, wenn sich beide Seiten gegenseitig in einer Diskussion historische Menschen als Beispiele an den Kopf werfen. Jede Seite schön brav sortiert nach der eigenen Einstellung. Und beide merken gar nicht, dass sie gerade offensichtlich machen, dass keiner der beiden Standpunkte eine Garantie dafür ist ein guter Mensch zu sein 🙂

    Fakt ist eben: (und da sollten sich die religiösen Guten (also die die sich wegen ihrer Religiösitat dafür mit einem ziemlich frechen Absolutheitsanspruch halten) mal einen Spiegel vorhalten) in vielen Ländern (und auch immer noch bei uns; Deutschtümler bitte nicht mit Überlegenheitsgefühl zurücklehnen) werden Atheisten diskriminiert oder / und als moralisch suspekt angesehen.

    Mal was in meinen Augen Kluges von Arthur Schopenhauer: „Was für eine schlaue Erschleichung und hinterlistige Insinuation in dem Wort Atheismus liegt! – als verstände der Theismus sich von selbst.“

    Ich werde wenn ich mich so umschaue den Verdacht einfach nicht los das wir als Gesellschaft nicht eigentlich mehr religiösen Input, sondern vieleicht eher mehr atheistischen oder agnostischen Input brauchen. Ganz einfach damit jemand da ist, der interreligiöse Konflikte mal von einem anderen Standpunkt betrachtet und dadurch vieleicht hilft, diese aufzulösen…

    Wo ich gerade so in Zitierlaune bin:
    “Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebnis, noch weniger als Ereignis: er versteht sich bei mir aus Instinkt. Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermütig, um mir eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen.“

    Ich werde Dir nicht sagen müssen das das Nietzsche ist. Und will nur so als Ergänzung hinzufügen: Ich bin kein Nietzsche-Anhänger ^^

    Abwertung erfahren ist für Atheisten leider auch bei uns eben nicht “kein Thema!”.

    Für die religiös überbemühten Menschen vieleicht interessant, wenn auch alt:

    https://www.derstandard.at/story/2000025163557/religion-macht-uns-nicht-moralischer

    • Danke, @Uli Schoppe

      Ja, das Argument, dass Nichtglaubende mangels Transzendenz und Glauben an Beobachter „weniger moralisch“ wären, findet sich ja sogar schon bei Locke.

      Ich halte jedoch gar nichts davon, denn zum einen ist es ja gerade „nicht“ moralisch, sein Verhalten nur an Lohn oder Strafe auszurichten. Und ich setze mich hier auch mit Studien auseinander, die umgekehrt religiös geprägten Kindern mangelnden Altruismus vorwarfen:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/sind-kinder-eine-studie-fehler/

      Was sich empirisch feststellen lässt, ist die durchschnittlich höhere Vergemeinschaftung durch Religiöse, samt stärkerer Neigung zu größeren Familien.

      Von dieser erhöhten Groupishness profitieren aber eben auch theokratische Regime und Terrorgruppen, Vergemeinschaftung ist nicht per se „moralisch“. Und genau das steht ja auch warnend in diesem Blogpost: Religion kann eben auch dualistisch ausgelegt werden.

      Kluge Religionspolitik fördert das Miteinander von Religiösen und Nichtreligiösen. Idealerweise lernen sie voneinander, statt sich gegenseitig weg zu wünschen.

  11. Jetzt ist es wieder passiert. Religion wird mit ganz praktischen Gründen gerechtfertigt.

    Mehr Kinder, mehr soziales Eingemengt und und, und..- Ob das a priori gut ist bleibt offen.
    Eine Argumentation auf AfD Niveau. Nicht mehr und nicht weniger.

    Religionen gehen Hand in Hand mit Verfolgung, Unterdrückung und Kriegen.
    Ein Blick in die Geschichtsbücher hilft hier ungemein.

    • Danke für Ihre kleine Demonstration in religionsgeindlichem Dualismus, @NR.

      Dass ich ausdrücklich und ausführlich auch auf die Gefahren von Religiosität hinwies, beeindruckt Sie ebensowenig wie die wissenschaftlich überprüfbaren Daten. Sie sind nicht bereit, Ihre Vor-Urteile zu überprüfen.

      Bestimmt halten Sie sich überlegen gegenüber jenen, die etwa die Relativitätstheorien, die Evolutionstheorie oder die Klimakrise verleugnen. Dabei sind Sie in Ihren kognitiven Bestätigungsfehlern und Dissonanzen nicht weniger verhärtet.

      Ich habe mir erlaubt, Ihren Namen aus Respekt zu entfernen. Kein menschlicher Name sollte sich mit Wissenschaftsleugnung verbinden.

  12. Tja, nun dürfen sich also religionsfeindliche Linke, Libertäre, Rechte “freuen” – auch die AfD wettert nun gegen die Zusammenarbeit des demokratischen Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Ralf Balke berichtet in der Jüdischen Allgemeinen:

    Auf den Einwand von Julia Krittian, dass die jüdischen Landesverbände gewiss keine Staatsunternehmen oder Institutionen des Staates seien, antwortete Urban: »Die werden alle mit öffentlichen Geldern gefördert, das muss man sagen (…) Man muss unterschieden zwischen der Führungsebene, die von staatlichen Geldern lebt, und die Menschen, die wirklich betroffen sind.«

    […]

    Politik kennt der AfD-Mann wohl nur in der Befehlsform. »Meine Tätigkeit ist gewiss keine Auftragsarbeit, ganz nach dem Motto: ›Wer mich finanziert, dessen Lied singe ich‹ « sagt Nora Goldenbogen.

    »Bei 300 Euro Aufwandsentschädigung im Monat, die ich für meine ehrenamtliche Arbeit erhalte und eine demokratische Entscheidung der Gremien war, klingt das mit den Gefälligkeiten, die man alle im Auftrag des Staates erledige, auch reichlich absurd«, so die Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der jüdischen Gemeinden. Selbstverständlich bekomme man Mittel vom Staat, nur fließen die alle in die konkrete Gemeindearbeit, sprich Finanzierung von Kindergarten, Instandhaltung von Synagogen oder die Pflege des Friedhofs. »Aber so funktioniert der Antisemitismus der AfD. Wir werden gerne im Zusammenhang mit Geld erwähnt.«

    https://www.juedische-allgemeine.de/politik/politik-als-befehlsform/

    Hier bestätigt sich leider meine Beobachtung und Befürchtung – wo immer mehr Menschen nur noch die Gefahren, aber nicht mehr auch die Potentiale religiöser Vergemeinschaftungen erkennen wollen, wird auch das bundesdeutsche Böckenförde-Diktum vergessen und kippt das gesellschaftliche Klima gegen die Quellen demografischer, gesellschaftlicher und auch demokratischer Werte.

  13. Guten Morgen @Michael Blume,

    dieser Blogpost, obwohl schon ein paar Tage alt, gibt mir immer noch viele Denkanreize.

    Beim angesprochenen Böckenförde-Diktum – dass ein freiheitlicher Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann – musste ich gleich an den Gödelschen Unvollständigkeitssatz denken – dass in einem formalen System, z. der Algebra, wahre Aussagen existieren, die innerhalb dieses Systems weder bewiesen noch widerlegt werden können. In anderen Worten, ein formales System enthält immer Axiome oder Grundannahmen, die aus diesem System selbst heraus nicht bewiesen werden können.

    Da ich kein Staatsrechtler bin und auch nicht wusste, ob das dann nicht doch zu weit hergeholt ist, na, ja, ich geb’s zu, ich habe mal Perplexity gefragt.
    Und dann eine doch erstaunlich gute Antwort erhalten – zumindest soweit ich das beurteilen kann.

    Ich traue mich jetzt einfach mal, das hier zu teilen – denn dieser Blog ist ja interdisziplinär.

    Folgende Frage:
    Gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen dem Böckenförde-Diktum und dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz?

    Antwort von Perplexity:
    Es gibt in der Tat einige interessante strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen dem Böckenförde-Diktum und dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz, obwohl sie aus sehr unterschiedlichen Disziplinen stammen:

    ## Selbstreferenzielle Grenzen

    Beide Aussagen beschreiben fundamentale Grenzen von Systemen, die aus den Systemen selbst hervorgehen:

    – Das Böckenförde-Diktum besagt, dass der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann[3]. Es zeigt also eine inhärente Begrenzung des staatlichen Systems auf.

    – Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz beweist, dass es in jedem hinreichend mächtigen formalen System wahre Aussagen gibt, die innerhalb des Systems nicht bewiesen werden können[2]. Auch hier wird eine systemimmanente Grenze aufgezeigt.

    ## Notwendigkeit externer Faktoren

    Beide Konzepte implizieren, dass die betrachteten Systeme auf externe Faktoren angewiesen sind:

    – Laut Böckenförde benötigt der Staat “innere Regulierungskräfte” und eine “moralische Substanz”, die er nicht selbst erzeugen kann[3].

    – Gödels Satz zeigt, dass formale Systeme nicht vollständig in sich geschlossen sein können und es immer Wahrheiten “außerhalb” des Systems gibt[2].

    ## Paradoxe Natur

    Beide Aussagen haben einen paradoxen Charakter:

    – Das Böckenförde-Diktum beschreibt das “Dilemma”, dass der Staat einerseits neutral sein muss, andererseits aber nicht wertneutral sein kann[3].

    – Der Gödelsche Satz nutzt eine selbstreferenzielle Konstruktion (“Dieser Satz ist nicht beweisbar”), um seine Aussage zu beweisen[2].

    ## Weitreichende Implikationen

    Sowohl das Böckenförde-Diktum als auch der Gödelsche Unvollständigkeitssatz haben tiefgreifende Auswirkungen auf ihr jeweiliges Fachgebiet und darüber hinaus:

    – Böckenfördes Aussage wird in der Rechtsphilosophie, Politikwissenschaft und Theologie intensiv diskutiert[1].

    – Gödels Satz hatte revolutionäre Folgen für die Grundlagen der Mathematik und Logik und beeinflusste auch andere Disziplinen[2].

    Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist es wichtig zu betonen, dass das Böckenförde-Diktum eine staatstheoretische Beobachtung ist, während der Gödelsche Satz ein streng mathematisch bewiesenes Theorem darstellt. Die Analogie zwischen beiden kann als fruchtbarer Ausgangspunkt für interdisziplinäre Diskussionen über die Grenzen von Systemen dienen, sollte aber nicht überstrapaziert werden.

    Citations:
    [1] https://www.theorieblog.de/index.php/2019/03/denker-des-staates-und-der-freiheit-verfechter-des-buergerethos-ein-nachruf-auf-ernst-wolfgang-boeckenfoerde/
    [2] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6delscher_Unvollst%C3%A4ndigkeitssatz
    [3] https://www.juraforum.de/lexikon/boeckenfoerde-diktum
    [4] https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%B6ckenf%C3%B6rde-Diktum
    [5] https://verfassungsblog.de/das-boeckenfoerde-diktum/
    [6] https://www.zis-online.com/dat/ausgabe/2010_1_ger.pdf
    [7] https://www.philoclopedia.de/2017/09/01/karl-popper-die-offene-gesellschaft-und-ihre-feinde/
    [8] https://paedagogische-horizonte.at/index.php/ph/issue/download/7/8

    Ende der Antwort von Perplexity.

    Ich weiß nicht, wie es anderen geht, vielleicht mag das wie eine rein “akademische Überlegung” aussehen. Aber ich finde diese interdisziplinäre Perspektive sehr spannend.

    • Vielen Dank, @Peter Gutsche

      Und ich halte diesen KI-Fund für faszinierend und relevant, zumal er ja auch auf die Geschlossenheit von dualistischen Denksystemen versus der Offenheit von wissenschaftlich (monistisch) orientierten Dialogen verweist!

      Habe sinnigerweise gerade heute dazu gepostet, mit Link hierher:

      https://sueden.social/@BlumeEvolution/113095135965078850

      Dir vielen herzlichen Dank für Deinen ermutigenden und auch technologieoffenen dialogischen Monismus!

  14. Ein Interview mit Stefan Orth zu “Radikale Parteien schwächen” beendete der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit einigen bemerkenswerten Solarpunk-Sätzen zum Thema dieses Blogposts:

    “Ich glaube, dass zum Wesenskern von Menschen gehört, nach irgendetwas zu streben, was Hoffnung macht. Das Versprechen, dass das Leben nicht irgendwann einfach endet, hat mich am christlichen Glauben immer inspiriert und fasziniert. Das ist eine zusätzliche Motivation, sich hier auf der Welt an bestimmte Grundsätze zu halten, sich noch viel stärker für Nachhaltigkeit einzusetzen und dafür, dass es für die nachfolgenden Generationen auch eine Perspektive gibt. Es ändert schon den Blick, daran zu glauben, nach dem Tod immer noch zu existieren. Ohne Hoffnung funktioniert eine Gesellschaft nicht.”

    Daniel Günther wurde 1973 geboren. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Psychologie, zog 2009 in den Landtag von Schleswig-Holstein ein und wurde 2017 zu dessen Ministerpräsident gewählt. Der bekennende Christ ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

    Das Interview erschien in Herder Korrespondenz 07/2024, S. 16 – 19

  15. In der Herder Korrespondenz 09/2024 stellt Hilde Naurath auf S. 9 den seit 2016 amtierenden Großimam von Indonesien, Nasaruddin Umar, als dialogischen Monisten vor.

    Demnach sei Umar 1959 im indonesischen Ujung-Bone geboren worden. Er habe Islamwissenschaften an der Universität Syarif Hidayatullah in Jakarta studiert, aber auch Gastsemester in Kanada und den Niederlanden absolviert. In seiner Doktorarbeit von 1998 widmete sich Umar “Gender-Perspektiven im Koran” und plädiere für die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter.

    Als Schwerpunkte seiner Arbeit gelten der interreligiöse Dialog mit dem Christen- und auch dem Judentum, Aufgeschlossenheit für Wissenschaft und “Gelehrsamkeit” sowie Mitweltschutz. 2007 habe Umar auch als einer von 138 Islamgelehrten den Offenen Brief “Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch” unterzeichnet.

    2016 wurde Umar durch den indonesischen Präsidenten Joko Widodo in sein Amt berufen, der wiederum am 20. Oktober 2024 das Präsidentenamt an seinen Nachfolger übergeben soll.

    Umar habe bereits eine Dialoggesellschaft gegründet und die Klimakrise wiederholt thematisiert: “Der Großimam sorgte für Solarzellen, Wasserhähne mit langsamem Durchfluss und ein Wasserrecycling-System.”

    In diesen Tagen unterzeichneten Papst Franziskus und Großimam Umar in dessen Amtssitz, der Istiqlal-Moschee, eine gemeinsame Erklärung:

    Kriege und Konflikte würden „leider auch durch die Instrumentalisierung von Religion genährt“, sagte Franziskus in seiner Rede in einem großen Zelt auf dem Gelände der Moschee, und die Umweltkrise sei „zu einem Hindernis für das Wachstum und das Zusammenleben der Völker geworden“. In dieser Lage helfe es, „die Werte, die allen religiösen Traditionen gemeinsam sind“, zu stärken und „die Kultur der Gewalt und der Gleichgültigkeit zu besiegen“, zitierte der Papst aus der Gemeinsamen Erklärung von Istiqlal, dem Namen der Moschee, in der das Dokument an diesem Donnerstag erstmals verlesen und vom Papst und von Großimam Nasaruddin Umar unterzeichnet wurde.”

    https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2024-09/indonesien-papst-grossimam-gemeinsame-erklarung-istiqlal.html

    Leider hat dieses Ereignis, soweit ich sehen konnte, über kirchliche Medien hinaus wenig Beachtung gefunden. Deswegen poste ich es hier.

    • Guten Tag @Michael Blume,

      ich habe nochmal auf diese Seite gefunden und finde die letzten beiden Kommentare sehr hoffnungsvoll.

      Was mir in dem Artikel aus den Vatican News besonders gefällt, ist folgende Aussage:

      „Als Methode empfahl der Papst, persönliche Verbindungen und religionsübergreifende Freundschaften zu pflegen. … Wer sich in Freundschaft begegne, öffne sich für den anderen, und dann suchten beide gemeinsam nach der Wahrheit, ‘indem wir von der religiösen Tradition des anderen lernen‘, unterstrich der Papst. Diese Art tragfähiger Bindungen eröffne einen Weg der Zusammenarbeit bei gemeinsamen Zielen: „bei der Verteidigung der Menschenwürde, beim Kampf gegen die Armut, bei der Förderung des Friedens. Die Einheit entsteht aus persönlichen freundschaftlichen Banden, aus gegenseitigem Respekt, aus der wechselseitigen Verteidigung der Räume und Ideen der anderen.‘“

      Das ist die Erfahrung, die ich nach vielen Jahren Tätigkeit in einem international agierenden Unternehmen, bei der viele Freundschaften entstanden sind, gewonnen haben.

      Und das ist eigentlich genau ein Gegenentwurf zu den spaltenden Kräften der hier diskutierten antisozialen Netzwerke.

      Und sehr schön auch, was Daniel Günther gesagt hat. Wenn ich mir einen CDU-Kanzlerkandidaten wünschen dürfte, dann wäre Herr Günther die erste Wahl.

      • Herzlichen Dank, @Peter Gutsche

        Dein Druko freut mich, da ich betrübt war, dass sich alle Medienwelt auf islamische Terroristen stürzt, aber kaum jemand über eindrucksvolle Bewegungen des interreligiösen Dialoges und der Gelehrsamkeit berichtet, wie sie sich auch in Indonesien herausgebildet haben. Unsere Aufmerksamkeit entscheidet darüber mit, wen wir stärken.

        Auch wenn es gegen die vorherrschenden, medialen und politischen Trends rebelliert, so gibt Perplexity.ai doch meine Hoffnung richtig wieder:

        Dr. Michael Blume engagiert sich aus mehreren Gründen intensiv im interreligiösen Dialog:

        ## Beruflicher Hintergrund

        Als Religions- und Politikwissenschaftler beschäftigt sich Dr. Blume schon lange mit Fragen des interreligiösen Austauschs. Seit 2003 arbeitet er im Staatsministerium Baden-Württemberg und war dort unter anderem für den interreligiösen Dialog zuständig[2]. Diese berufliche Expertise bildet eine wichtige Grundlage für sein Engagement.

        ## Persönliche Erfahrungen

        Dr. Blume lebt selbst in einer christlich-islamischen Familie. Er ist evangelischer Christ und mit einer Muslimin verheiratet[4]. Diese persönlichen Erfahrungen mit interreligiösem Zusammenleben motivieren ihn vermutlich zusätzlich, sich für den Dialog zwischen den Religionen einzusetzen.

        ## Überzeugung von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit

        Dr. Blume ist überzeugt, dass die Religionen angesichts globaler Herausforderungen wie der Klimakrise stärker zusammenarbeiten sollten. Er betont: “Wir stehen doch alle vor den gleichen Katastrophen und haben mit den gleichen Ängsten zu kämpfen”[5]. Seiner Ansicht nach können die Religionen gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung dieser Probleme leisten.

        ## Brückenbauer zwischen den Religionen

        Als Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg sieht sich Dr. Blume in der Rolle eines Brückenbauers zwischen verschiedenen religiösen Gruppen[3]. Er möchte Vorurteile abbauen und gegenseitiges Verständnis fördern. Dabei betrachtet er das Christentum explizit als “Religion des Brückenbaus”[5].

        ## Friedensbewegung durch interreligiösen Dialog

        Dr. Blume hofft, dass aus dem interreligiösen Dialog und der Zusammenarbeit bei konkreten Herausforderungen “eine echte Friedensbewegung” entstehen kann[5]. Er sieht darin eine Chance, Spannungen zwischen religiösen Gruppen abzubauen und gemeinsam an einer friedlichen Gesellschaft zu arbeiten.

        Insgesamt zeigt sich, dass Dr. Blumes Engagement im interreligiösen Dialog sowohl auf seinen beruflichen Erfahrungen als auch auf persönlichen Überzeugungen und Lebenserfahrungen beruht. Er sieht darin einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben und die Bewältigung globaler Herausforderungen.

        Citations:
        [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Blume
        [2] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/neuer-antisemitismusbeauftragter/
        [3] https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/michael-blume-antisemitismusbeauftragter-des-landes-baden-wuerttemberg-swr2-zeitgenossen-2021-05-15-100.html
        [4] https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/themen/beauftragter-gegen-antisemitismus
        [5] https://www.domradio.de/artikel/wir-stehen-alle-vor-den-gleichen-katastrophen-laut-experte-blume-sollten-religionen-mehr
        [6] https://www.elk-wue.de/news/2023/05122023-dialog-ist-wichtiger-denn-je

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