Das Luxemburger Abkommen zwischen Israel und Deutschland – und seine Bedeutung heute

Klar, in Baden-Württemberg sind wir es gewohnt, aus nationalen Hauptstädten heraus unterschätzt zu werden. Dabei umfasst unser Land alleine mehr Bürgerinnen und Bürger als Luxemburg, Israel, die Schweiz oder Österreich – und auch wir sind keine Menschen zweiter Klasse. Baden-Württemberg besteht aus 1.101 selbständigen Gemeinden mit je gewählten Vertretungen – und unterhält um die 4.500 Schulen und Bildungseinrichtungen alleine für Kinder und Jugendliche! Die beiden NS-Gegner und Chef-Verhandler des israelisch-deutschen Luxemburger Abkommens Otto Küster (1907 – 1989) und Franz Böhm (1895 – 1977) kamen beide aus dem heutigen Baden-Württemberg, konkret aus Stuttgart und Konstanz. Und das Gleiche galt auch für den in Stuttgart geborenen Leiter der israelischen Verhandlungsdelegation, Felix Elieser Shinnar (1905 – 1985)!

Shinnar hatte nicht nur jahrelang die bis heute älteste, israelische Zeitung “Haaretz” geleitet, sondern war auch der Kontaktmann, über den der ebenfalls in Stuttgart geborene, deutsch-jüdische Staatsanwalt Fritz Bauer (1903 – 1968) schließlich die Verhaftung und Verurteilung von Adolf Eichmann erreichte.

Schon 2020 würdigte ich in einem Belltower-Artikel auch den einstigen CDU-MdB Böhm, den ich als persönliches Vorbild ehre:

“Weil man dem Antisemitismus am besten mit Wissen und Hoffnung begegnet, will ich bewusst an den Christdemokraten Franz Böhm (1895 – 1977) erinnern. Der dem NS-Regime trotzende Jurist, Ökonom und spätere Bundestagsabgeordnete begründete nicht nur den christlich-jüdischen Dialog der entstehenden Bundesrepublik mit, sondern stellte sich auch als Vertreter der liberalen „Freiburger Schule“ bewusst als Stiftungsvorsitzender des Institutes für Sozialforschung der „Frankfurter Schule“ zur Verfügung. Er hatte erkannt, dass die Vielfalt nicht nur der Religionen, sondern auch der demokratischen Milieus und Wissenschaften immer wieder neu gegen Antisemitismus verteidigt werden muss.”

Und es war mir auch persönlich eine große Ehre, mit der Stuttgarter Otto-Hirsch-Auszeichnung jenen Preis verliehen zu bekommen, den 1985 erstmals Otto Küster erhalten hatte.

Auszug aus der Begründung der Jury für die Verleihung der Otto-Hirsch-Auszeichnung 2022 an Dr. Michael Blume

Aus dem Laudatio-Text der christlich-jüdischen Otto-Hirsch-Jury zu Stuttgart. Grafik mfG: Staatsministerium Baden-Württemberg

Ob ich also wie letzte Woche etwa in der Weilheimer Realschule oder beim CDU-Kreisverband Sigmaringen mit MdL Klaus Burger spreche: Ich erlebe unsere baden-württembergischen Bürgerinnen und Bürger ganz überwiegend als informiert und interessiert, nicht selten auch über Geschichte und die derzeitige Politik in den USA, in Frankreich, Großbritannien oder auch Israel. Auch wenn es manche glauben sollten: Wir Südwestdeutschen sind keine “Hinterwäldler”, sondern in großer Mehrheit engagierte Demokratinnen und Demokraten im Herzen Europas, die für Frieden, Dialog und Miteinander einstehen und Probleme lieber selber lösen, als sich auf ferne Hauptstädte zu verlassen.

In einer Solarpunk-Umgebung wehen die Fahnen Israels, der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nebeneinander.

“Eine gemeinsame Solarpunk-Zukunft für Israel, Deutschland und die Europäische Union im Geist des Luxemburger Abkommens”, Michael Blume mit Leonardo.AI, Juli 2024

Zumal ich stets auch über den israelbezogenen Antisemitismus informiere, vergeht praktisch keine Veranstaltung, in der ich nicht – mal freundlicher, mal kritischer – nach der Republik Israel und den Aussichten für Frieden befragt werde. Für mich ist dabei völlig klar, dass Israel sowohl ein Existenzrecht wie auch das Recht zur Selbstverteidigung hat. Seine Feinde sind auch die Feinde der Ukraine und der Europäischen Union: Fossil finanzierte Ressourcenfluch-Regime wie Iran, Katar und Russland mit deren Terrorgruppen wie Hisbollah, Hamas und Huthi. Entsprechend verwerfen sie jede auch demokratische Kritik mithilfe von oft antisemitischen Verschwörungsmythen, nehmen keinerlei Rücksicht auf Menschenleben, auch nicht auf eigene Opfer, verweigern die Freilassung der am 7. Oktober 2023 entführten, israelischen Geiseln, einen sofortigen Waffenstillstand und die Rückkehr zu internationalen Friedensgesprächen. Und auch wir Europäerinnen und Europäer finanzieren diesen fossilen Wahnsinn weiterhin mit! Auch deswegen braucht es, wie ich im Landtag von Baden-Württemberg erklärte, eine post-fossile Transformation zu erneuerbaren Friedensenergien. Der Antisemitismus erstarkt nicht nur wegen der Digitalisierung, sondern auch, weil wir ihn weiterhin fossil finanzieren.

Israel ist ein demokratischer Staat mit einem funktionierenden Obersten Gerichtshof, auch wenn es Versuche gegeben hat, die Gewaltenteilung abzuschaffen. Die meisten Menschen verstehen oder lassen sich erklären, dass es falsch ist, Israel als “Apartheidsstaat” oder gar alle Israelis als Rassisten zu beschimpfen. Doch umgekehrt wollen vor allem die jüngeren Deutschen auch nicht pauschal als Antisemiten oder gar Nazis beschimpft werden und fragen nach, warum die Brandmauer gegen rechtsextreme und frauenfeindliche Parteien eigentlich nicht in allen Demokratien und also auch in Israel gelte. Oft werde ich gefragt, ob ich noch eine Zukunft Israels im Miteinander der europäischen Demokratien sehe, oder damit rechne, dass sich das kleine Land mit Nationalismus und fossiler Despotie bewusst vom Westen abwende. Meine Antwort darauf ist bislang hoffnungsvoll – ich habe Israel als lebendige Demokratie mit engagierten, aber eben auch kritischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern erlebt und kann mir für die Zukunft einen mutigen Frieden und eine europäische Perspektive vorstellen.

Das Luxemburger Abkommen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion

Immer wieder erzähle ich dabei auch vom unglaublichen Mut des israelischen Staatsgründers David Ben Gurion (1886 – 1973) und deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876 – 1967) zur Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen im Luxemburger Abkommen von 1952. Adenauer hatte schon am 27. September 1951 gegen erhebliche Widerstände im Deutschen Bundestag erklärt:

„Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten […]. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.“

Schließlich bezahlte die Bundesrepublik Deutschland auf Basis des Luxemburger Abkommens dem akut bedrängten Staat Israel über 3 Milliarden DM und begann eine Gesetzgebung zur auch individuellen, sogenannten “Reparation / Wiedergutmachung” der NS-Massenmorde, wogegen die links-stalinistische und bereits damals antizionistische = antisemitische DDR-Diktatur jeden Beitrag verweigerte. In beiden Staaten gab es riesige Widerstände gegen die Annäherung: Teile der CDU und vor allem der CSU um Franz-Josef Strauß (1915 – 1988) verweigerten die Zustimmung zum Luxemburger Abkommen, so dass es nur durch die verantwortungsvolle Zustimmung der SPD im Deutschen Bundestag in Kraft treten konnte!

Auch etwa Schülerinnen und Schülern ist spätestens an dieser Stelle völlig klar, was es bedeuten würde, wenn etwa der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Abkommen nur noch mit Stimmen der Union durch den Bundestag bringen würde! Und sie verstehen auch sofort, dass in den Widerständen gegen die Annäherung an Israel auch erheblicher Antisemitismus mitschwang.

In Israel gab es wiederum wütende, links- und vor allem rechtsdualistische Demonstrationen gegen die Annahme von “deutschem Blutgeld”. Schließlich versandten antideutsche Extremisten sogar Briefbomben gegen die deutschen Beteiligten Konrad Adenauer, Otto Küster und Franz Böhm. Dabei wurde der deutsche Sprengmeister Karl Reichert am 27. März 1952 in München durch die Explosion einer Sendung getötet, zwei Polizeibeamte schwer verletzt. Frankreich wies eine verdächtigte Gruppe nach Israel aus, wo sich einige Mitglieder später eher stolz zur Tat bekannten.

Doch sowohl Adenauer wie Ben Gurion setzten ihren mutigen Kurs der Annäherung fort und trafen schließlich auch am 14. März 1960 in New York zusammen. Nicht zufällig leisteten auch die erste israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (1898 – 1978) und die erste deutsche Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (geb. 1954) viel für die Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehungen – auch gegen allen Hass von Antisemiten und Antideutschen. Die Republik Israel und die Bundesrepublik Deutschland wurden so gegen alle antisemitischen und antideutschen Widerstände Freunde und Verbündete – und sollten es, so meine ich, auch bleiben!

Heute erwarten israelische Freundinnen und Freunde daher zu Recht, dass Deutschland auch gegen israelbezogenen Antisemitismus auf seinen Straßen, in Parteien oder auch Hochschulen vorgeht. Auch mein Team und ich arbeiten täglich gegen diesen dualistischen Hass an, der uns alle bedroht – und warnte schon 2019 vor deutsch-arabischen Hassbündnissen.

Umgekehrt lässt Israel jedoch bislang antidemokratische und nicht selten antideutsche Extremisten mit fortgesetzten, vor allem digitalen Angriffen gegen das deutsch-israelische Miteinander gewähren. Dabei wurden und werden gerade auch jene Deutschen und Christen angegriffen, die sich für jüdisches Leben in Deutschland und für die Fortsetzung der deutsch-israelischen Freundschaft einsetzen. Mir wird dabei erklärt, dass auch der israelische MP Benjamin Netanjahu zwar solche antideutschen Übergriffe persönlich für schädlich halte, aber “leider” auf die Unterstützung rechtsdualistischer Koalitionspartner angewiesen sei und also “derzeit” nichts tun könne. Entsprechend nehme auch ich antideutsche Verleumdungen praktisch seit meinem Amtsantritt 2018 hin.

Und so erkläre ich den Zuhörenden, dass ich für die nahe Zukunft wieder auf Politiker vom Formate Adenauers und Ben Gurions hoffe, die den Mut hatten, sich für die gemeinsame, demokratische Zukunft jüdischer, christlicher, muslimischer, anders- und nichtglaubender Menschen sowie für den Bund der Demokratien Deutschland und Israel zu engagieren – und sich dafür auch mit den Extremisten im je eigenen Lager anlegen. Denn Israelis wie auch Juden sind nicht pauschal als Rassisten zu diffamieren, Deutsche wie auch Christen und Muslime nicht pauschal als Antisemiten. Es braucht wieder stärkere und vor allem mutigere Bündnisse der Vernünftigen aller Seiten. Dialog, Frieden, Demokratie brauchen Mut, wie ihn die Impulsgeber und Verhandler des Luxemburger Abkommens vor über 50 Jahren vorbildlich gezeigt haben.

 

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

26 Kommentare

  1. Warum gibt dann Baden Württemberg nicht sein Land auf und gibt es Israel . Warum die Palästinenser!!! Deutschland hat die Verbrechen begangen und nicht Palästina!!! Warum muss ein anderes Volk darunter leiden für eure Verbrechen !!! Steht doch mal zu eurem scheiss und zu der Verantwortung und lasst nicht andere für euch leiden weil eurer Kopf im arsch von Israel steckt !! Israel begeht seit 50 Jahren Verbrechen und hält sich an kein Recht !!

    • Nein, @Mani – auch der feindselige Dualismus zwischen einem vermeintlich stets edlen, globalen Süden und bösen Norden, in den auch die Juden “zurückzukehren” hätten, passt empirisch und historisch einfach nicht. Jüdinnen und Juden waren auch in der arabischen Welt immer wieder Diskriminierungen, Hass und brutaler Gewalt ausgesetzt – und diese eskalierte auch dort ab dem 19. Jahrhundert. Auch Nathan Weinstock hat in “Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor” (Freiburg 2019) darüber ausführlich geschrieben.

      Als besonders krasses Beispiel ist der arabische Nationalist, spätere Hitler-Verbündete und Massenmörder Großmufti Mohammed Amin al-Husseini zu nennen, der schon 1920 etwa zu den antijüdischen Nabi-Musa-Pogromen in Jerusalem beitrug, immer weitere Morde auch an gemäßigten Arabern anordnete und 1941 mit den Farhud-Pogromen von Bagdad die Zerstörung des irakischen (arabischen und kurdischen) Judentums einleitete, vgl.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfrage-7-das-schicksal-des-kurdischen-judentums-ezidentums/

      Nicht nur Israel, auch andere Nationalstaaten entstanden aus den Trümmern des Osmanischen Reiches und Britischen Empires, denken wir etwa an Griechenland und später die Republik der Türkei. Burma, heute Myanmar (mehrheitlich buddhistisch) oder Pakistan (mehrheitlich islamisch) entstanden sogar im Abstand weniger Monate zu Israel und sind bis heute durch schwere Verwerfungen, Verfolgungen (etwa der Rohingya) und Territorialkonflikte (etwa um Kaschmir) gezeichnet. Doch alle diese Staaten sind heute selbstverständlich und zu Recht akzeptiert – nur das Existenzrecht Israels wird noch immer bestritten. Warum wird also nur die Vernichtung Israels gefordert? Ganz klar, weil Antizionismus nichts anderes ist als israelbezogener Antisemitismus.

      Israel hat ebenso ein Recht zu existieren wie jeder andere Staat – und Sie tun auch Palästinenserinnen und Palästinensern keinen Gefallen, wenn Sie dies weiter bestreiten und den Konflikt mit absurden Forderungen immer weiter anfachen. Wenn es Ihnen wirklich um Frieden und die Menschen geht, dann treten auch Sie für einen baldigen Friedensschluss und eine Friedenslösung auf Basis einer Zwei-Staaten-Lösung oder -Föderation ein.

      Übrigens finden Sie hier bei Interesse auch einen Blogpost zur m.E. semantisch falschen Gleichsetzung des Manichäismus mit dem feindseligen Dualismus:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/warum-dualistisch-der-bessere-begriff-als-manichaeisch-ist/

      Ich hoffe, Sie finden noch einen Weg dazu, zu einer Stimme des Friedens und Dialoges zu werden. Hass und Hetze gegen Israelis und gegen Deutsche helfen auch der arabischen Welt in keiner Weise.

  2. @Hauptartikel

    „Es braucht wieder stärkere und vor allem mutigere Bündnisse der Vernünftigen aller Seiten.“

    Genau. Monisten aller Länder, vereinigt euch! Möge die KI auch zukünftig dem Vernünftigem zustreben. Wenn sie mit ihren Trainingsdaten wenigstens zu Durchschnittspositionen findet, ist ja schon Einiges gewonnen. Die Vernunft findet sich ja nun öfter eher in der Mitte als an den Rändern?

    So oder so. Die Horizonte dürften uns wirklich weiterhelfen. Die können wir als Menschen dann zu Vernunft weiterverarbeiten.

    • Danke, @Tobias Jeckenburger

      Ich würde zustimmen, wenn wir unter „Mitte“ nicht nur ein lahmes Halbe-Halbe zwischen Links und Rechts verstehen, sondern eine starke Synthese aus Progressivem und Konservativem, aus Wissenschaft und Regionalität, aus den Lehren der Geschichte und den Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Daraus können Solarpunk-Arche-Regionen entstehen, in denen auch im 21. Jahrhundert ein gutes, vielfältiges, sinnvolles Leben gelingen kann. Da die post-fossile Transformation gerade auch in Deutschland bereits schnell voranschreitet, die fossilen Ressourcenfluch-Regime zunehmend verfallen und die Weltbevölkerung schon ab den 2030er Jahren global abnehmen wird, schätze ich die Chancen darauf als recht gut ein. Und niemand kann alles, aber jede und jeder etwas dafür tun! Das wünsche ich uns selbstverständlich für Baden-Württemberg, für Israel und möglichst viele Regionen unserer Erde.

  3. Wären Sie Hinterwäldler, wären Sie jetzt irgendwo Präsident. Wenn die Barbaren die Hauptstädte plündern, ist der zivilisierte Mensch eher in den Provinzen zu finden. Naja, meist ist die Hauptstadt der Ort, wo man die Barbaren hinschickt, um seine Ruhe zu haben, man zahlt Steuern, damit sie dort was haben, worum sie sich prügeln können. Suchen Sie sich die korrupteste, versiffteste, brutalste Stadt eines Landes aus, und oft genug haben Sie die Hauptstadt gefunden. Hat auch den Vorteil, dass internationale Politik immer noch nach Gesetz des Dschungels und Knastregeln passiert, da können sie sich als Nebenwirkung fürs Land verdient machen.

    Hinterwäldler ist relativ – meist hängt es vom Zoom-Faktor ab. Den gemeinen Europäer beschimpfe ich oft als Redneck im Trailer Park, Bauerntrampel oder nackten Wilden, weil sein geistiger Horizont dort endet, wo der eines Kopfjägers von Papua endet – am Zaun. Das ist der Rand der Welt, dahinter ist alles Wildnis, Chaos, ein Abgrund der Finsternis, wo Wunder und Magie herrschen und Teufel, Dämonen und Gespenster hausen. Dass dieser Zaun beim Kopfjäger um ein Dorf voller Strohhütten ging, und bei uns um Staaten mit Millionen Einwohnern, tut der Politik keinen Unterschied – die Europäer machen die gleichen Dummheiten, wie die Steinzeitstämme, die sie einst auf der ganzen Welt unterworfen haben.

    Die Welt ist geschrumpft, was einst Großmächte waren, ist heute bloß der Liutizen-Bund von Pangäa – wir kriegen’s nicht auf die Reihe, einen Globus anzugucken, Ungarn verhält sich, als würde es in selber Liga mit Russland, USA oder China spielen, bloß weil in jedem dieser Länder eine 2×3 Meter große Landeskarte hinterm Kaziken an der Wand hängt, jeder Silberrücken sich gleichermaßen als Rex Imperator Mundi sieht und jeder gleich laut mit den Speeren an die Schilder trommeln kann. Wir zerstreiten uns, ziehen die Großen in unsere Zwergenkämpfe mit hinein, dadurch ziehen sie uns in ihre hinein und wir enden als Kanonenfutter, das bei der Aufteilung der Beute außen vor bleibt.

    Deutschland ist ein größeres, erfolgreicheres Jugoslawien, wo die Preußen die Serben gespielt haben. Weil alle verwandte Sprachen sprachen, viel gemeinsame Geschichte hatten und Religionen gerade an Bedeutung verloren, weil die Not dazu zwang und die Wirtschaft es erlaubte, klappte die Verschmelzung, aus den deutschen Völkern wurde das deutsche Volk – auch wenn die Begeisterung über Berlin anfangs nicht größer war, als über Brüssel. Die Österreicher hatten’s schwieriger und verbockten’s auch total, aber auch Bismarck scheiterte am Multikulti und Nationalismus und entwarf Europas Sicherheitsarchitektur, als hätte er einen Seehund auf einen Standball gesetzt und ihm einen Stapel Teller auf die Nase gelegt – es musste einfach weltkriegsmäßig scheppern, sobald der Seehund sich rührte.

    Sprache ist für Identitätsbildung enorm wichtig, Latein ist tot, Englisch sprechen schon die Engländer, da muss sonst keiner, und wenn wir alle richtiges Polnisch lernen, wie es sich für gebildete, zivilisierte Menschen gehört, könnten die Nationalsprachen verblassen und verschwinden, und wir wären um einiges ärmer und langweiliger. Wir müssen eine Sprache finden, die als Mörtel für den Babelturm taugt. Google Translate?

    Es wird Zeit für eine neue Einigungsstufe halbnackter Barbarenstämme. Wenn wir keinen ethnischen Kahlschlag wollen, wenn wir Europas Vielvölker-Multikulti wahren wollen, müssen wir eine Identität eben darauf aufbauen. Wenn’s nicht klappt, gibt’s das übliche Gemetzel und ein Völkchen zwingt allen anderen nach und nach seine Sprache und Identität auf.

    Wenn wir uns aber von vornherein als Flickteppich verstehen, eine bunt zusammengewürfelte Piratenmannschaft aus aller Herren Ländern – dann ist für alle Platz. Auch für Israelis, denn die passen auch nirgendwo rein. Europa ist eine Stadt, ein New York aus ethnischen Vierteln, ein Getto mehr macht die ewige Proleten-Klopperei in der Hafentaverne auch nicht schlimmer. Ich würde auch Palästina aufnehmen, die werden von ihren Freunden ja noch schlimmer behandelt als von ihren Feinden – auch sie brauchen ein Gelobtes Land, wo sie in Sicherheit sind, und wenn eine EU-Armee dahinter stünde, wäre es für Israel nicht mehr überlebenswichtig, Gaza und Westjordanland zu kontrollieren und es könnte sich seine Sparta-Kreuzfahrer-Allüren sparen. Lang, lang ist’s hin… Aber was wollen Sie stattdessen machen, es ausfechten bis zum letzten Kind?

    Wenn Sie sich aber die Politik der Weltmächte angucken – China und USA könnten genauso gut zwei Dörfer der Papuas oder der Germanen sein, schlauer handeln sie nicht. Sie könnten auch nur zwei Personen sein, die sich einen Keks teilen müssen. Europäer waren nie wirklich schlauer als die „Wilden“, die sie bezwangen – sie hatten nur die Vogelperspektive, die bessere Übersicht über die Situation. Die Dörfer werden größer, die Werkzeuge mächtiger, die Waffen mörderischer, die Menschen bleiben klein und dumm und schwach und genauso leicht zu töten, wie sie es schon immer waren.

    Wissen gibt dem nackten Wilden eine Fackel, die strahlt immer heller, er kann immer mehr von der Welt erkennen. Er kann seinen Körper zum Cyborg machen, sich bessere Arme, Beine, Augen, Ohren anschrauben, sich immer besser zu Haufen zusammenrotten. Aber er ist und bleibt nur der Keimling von Skynet. Die Werkzeuge evolvieren. Wir nicht. Und irgendwann werden sie uns nicht mehr brauchen. Wozu auch immer.

    Umgekehrt ist es so – wenn Biden und Xi zu Ihnen nach Hause kommen, sind sie die Hinterwäldler und Sie als Weltbürger müssen den tumben Provinzlern zeigen, wo das Klo ist und wo sie sich einen Kaffee holen können. Die Welt besteht aus Welten aus Welten aus Welten, und jede Ebene des Fraktals braucht kompetentes Management. Und dadurch gibt es Spezialisten – für Weltpolitik, Regionalpolitik, für Stadt, Dorf und Zuhause. Und jeder entdeckt, dass die Welt, die er zu verwalten hat, so groß ist, dass sie seinen ganzen Verstand, seinen Geist, seine Seele beansprucht. Ist ja nur ein winziger, menschlicher Verstand, winziger Geist, winzige Seele.

    Deswegen ist Ihr Badenwü-Patriotismus genauso viel wert, wie der eines Römers, Amerikaners oder Chinesen. Wenn Sie es mit dem Patriotismus aber ernst meinen, machen Sie nicht den Orban und vergessen Sie nicht, dass Sie sich zwar nicht in einer Werte-, aber in einer Machthierarchie befinden, und Sie immer darauf achten müssen, dass Ihre Heimat auch Teil von etwas ist, das fähig und willens ist, sie zu beschützen.

    Schätze mal, das ist der Unterschied zwischen dem Patrioten und dem Nationalisten: Dem Patriot ist seine Heimat wichtig, Sprache, Kultur, Tradition, sie soll erhalten werden, blühen und gedeihen, und dazu muss er zusehen, dass er sie in die größere Welt so einbettet, wie es diese Welt gerade erlaubt – ob er sie zu einem eigenen Staat macht, einem Bundesland, Teil einer Föderation, einem Imperium unterwirft und Tribut zahlt, whatever works. Für den Nationalisten ist sein Land bloß eine Schwanzprothese, eine Verlängerung seiner selbst – sie dient seinem Ego und seinem Größenwahn, und möge sie daran verrecken. Ein AfDler weiß einfach nicht, dass er sein Land verrät, wenn er es an Russland verkauft, für ihn ist seine Brieftasche die Volksbrieftasche, und wenn er profitiert, sind die Verräter diejenigen, die es ihm streitig machen. AfDler gibt’s in Blau, Schwarz, Rot, Gelb, Grün, die Branche boomt, wenn der Staat zu schwach ist, sich zu wehren.

    Das große New York Europa wird es schwierig haben, es wird stets knistern, weil in der Chimäre vorne und hinten nix zusammenpasst. Man kann es aber auch anders sehen – wir haben ein paar Sicherungen eingebaut, damit es hier nie langweilig ist. Konflikte, friedlich ausgetragen, sind etwas Gutes, sie halten auf Trab, sorgen für eine hohe Körpertemperatur, und wer seinen Nachbarn nicht umbringen darf, muss anfangen zu denken. Konflikte haben Europa groß gemacht, nur leider um den Preis unzähliger Kriege. Ein Papst, ein Kaiser, ein Führer, ein Zar, ein Kalif – das ist nichts für uns. Wir müssen die Demokratie weiterentwickeln, denn wir sind selbst die Pistole am eigenen Kopf.

    Menschen zweiter Klasse können Sie freiwillig sein, Sie können aber nicht von irgendwelchen Schnöseln dazu erklärt werden. Das heißt nur, dass die zweite Klasse sind und es nötig haben, die Konkurrenz nicht auf die Bühne zu lassen. Oder es ist eine Einladung zu einem Wettbewerb – man eröffnet Ihnen durch Dissen eine Bühne, auf der Sie sich profilieren können, zeigen, was Sie drauf haben und den Respekt der Welt gewinnen können. Also der Hinterwäldler, die ihren Zoom-Vogel derzeit höher gehängt haben, sodass er einen größeren Flecken in der Finsternis beleuchtet. Dafür aber mit weniger Details.

    Am Ende hat auch zivilisiertes Multikulti sehr viel von barbarischen Stämmen, oder einfach Katern, die einander belauern und mit Imponiergehabe punkten wollen. Ist irgendwie alles Fußball, viele Mannschaften, viele Ligen, geeint durchs selbe Spiel und seine Regeln, das es ihnen erlaubt, wilde Tiere zu sein, ohne einander zu zerfleischen. Es wächst, doch es ändert sich nicht, nur die Menschen wachsen nicht mit. Und so steigen sie ab in der Liga, von Halbgöttern und Heroen zu bloßem Fleisch der Halbgötter und Heroen, die sie gemeinsam bilden.

    • Meine Güte, @Paul S. – dieser Kommentar war wirklich wieder allzu schwer lesbar und stellenweise auch kaum erträglich. Anstatt auf Ihre zahlreichen Assoziationen von ganz unterschiedlicher Qualität zeitaufwändig einzugehen, habe ich Perplexity.ai eine Antwort zu meiner Position erstellen lassen:

      Dr. Michael Blume bejaht einen aufgeklärten, dialogischen Patriotismus und lehnt extremen Nationalismus ab, weil diese beiden Konzepte grundlegend unterschiedliche Werte und Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.

      ## Aufgeklärter, dialogischer Patriotismus

      Ein aufgeklärter Patriotismus basiert auf einer positiven und reflektierten Beziehung zur eigenen Nation, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet:

      **Weltoffenheit und Inklusion**: Aufgeklärter Patriotismus verbindet Heimatbewusstsein mit einer weltoffenen Haltung. Er schließt Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ein und fördert den Dialog zwischen verschiedenen Gruppen[2][7].
      **Demokratische Werte**: Dieser Patriotismus ist eng mit demokratischen Prinzipien und Menschenrechten verknüpft. Er unterstützt die Verfassung und die darin verankerten ethischen und politischen Grundrechte[3].
      **Schutz der Demokratie**: Aufgeklärter Patriotismus dient als Fundament für eine stabile und funktionierende Demokratie. Er fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und schützt vor Spaltungstendenzen und extremistischen Ideologien[7].

      ## Extremer Nationalismus

      Im Gegensatz dazu ist extremer Nationalismus durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

      **Überhöhung der eigenen Nation**: Nationalismus erhebt die eigene Nation über andere und betont die Überlegenheit in kulturellen, ethnischen oder politischen Aspekten[4][5].
      **Ausgrenzung und Ungleichheit**: Diese Ideologie führt oft zu einer Abwertung und Diskriminierung anderer Nationen und ethnischer Gruppen. Sie fördert eine exklusive Identität, die bestimmte Gruppen ausgrenzt und als minderwertig betrachtet[4][5].
      **Gefahr für den Frieden**: Extremer Nationalismus kann zu aggressivem Verhalten und Konflikten zwischen Nationen führen. Historisch gesehen hat er zu erheblichen Spannungen und Kriegen beigetragen[4].

      ## Dr. Michael Blumes Position

      Dr. Michael Blume befürwortet einen aufgeklärten, dialogischen Patriotismus, weil er die demokratischen Werte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Er lehnt extremen Nationalismus ab, da dieser zu Ungleichheit, Ausgrenzung und potenziell gefährlichen Konflikten führt. Blume setzt sich für eine inklusive Gesellschaft ein, die auf Dialog und gegenseitigem Respekt basiert, und sieht in extremem Nationalismus eine Bedrohung für diese Werte und die Demokratie insgesamt[1][6].

      Citations:
      [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Blume
      [2] https://www.mehrwert-demokratie.de/aufgeklaerter-patriotismus/
      [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Patriotismus
      [4] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500797/nationalismus/
      [5] https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/n/nationalismus.html
      [6] https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/themen/beauftragter-gegen-antisemitismus
      [7] https://vorwaerts.de/meinung/wie-ein-aufgeklarter-patriotismus-die-demokratie-schutzt

    • tl;dr
      kurzfassen

      Kurzfassung wäre hilfreich, kluge Autoren, wie auch KIs bieten zu dem Zweck teilweise prägnante Zusammenfassungen oder Überschriften, worum es gehen soll.
      Oft hilft dieses tool-Werkzeuch auch schon dem Autor zu überlegen, was er eigentlich sagen will.
      Auch bietet sie dem geneigten Leser, vorab zu entscheiden, ob es ihn interessiert und es sich lohnt, sich in elendslange Texte zu vertiefen.

  4. Meiner Recherche zum Thema: deutsch-israelische Annäherung

    ,Michael Borchard: „David Ben-Gurion und Konrad Adenauer“
    Eine nicht selbstverständliche Freundschaft‘

    Ich finde diesen Artikel, den Perplexity als Quelle angibt und der bei Deutschlandfunk-Kultur veröffentlicht wurde, sehr informativ:

    deutschlandfunkkultur.de/micha…

    Ich merke, dass in meiner Kindheit und Jugend über das Verhältnis Deutschlands zu Israel sehr viel geschwiegen wurde. Ich muss heute vieles nachlesen, weil man nicht darüber sprach.

    Perplexity.AI antwortet so auf meine geschichtsbezogene Frage:

    Die Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen durch David Ben-Gurion und Konrad Adenauer wird als historisch bedeutsam und wegweisend bewertet. Ihr erstes Treffen am 14. März 1960 im Waldorf Astoria Hotel in New York legte den Grundstein für die Annäherung beider Länder[1][3].

    Trotz der belasteten Vergangenheit durch den Holocaust zeigten beide Staatsmänner bemerkenswerten politischen Mut. Adenauer erkannte die moralische Verantwortung Deutschlands an und sagte Israel Hilfe und Unterstützung zu[1]. Ben-Gurion betonte, dass der moralische Wert dieser Geste wichtiger sei als die wirtschaftlichen Aspekte der Wiedergutmachung[1].

    Die persönliche Beziehung zwischen Adenauer und Ben-Gurion, obwohl sie sich nur zweimal trafen, wird als fundamental für die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen angesehen[3][4]. Ihre Begegnungen, insbesondere das New Yorker Treffen, wurden in der Weltpresse als Zeichen der Versöhnung wahrgenommen[3].

    Diese Annäherung ebnete den Weg für die spätere Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern und prägt das deutsch-israelische Verhältnis bis heute[2]. Die Realpolitik und der Weitblick beider Staatsmänner ermöglichten einen historischen Neuanfang trotz der schwierigen Vergangenheit.

    Quellen
    [1] [PDF] Ben Gurion und Adenauer im Waldorf Astoria … https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1997_2_5_jelinek.pdf
    [2] Das erste Treffen von Konrad Adenauer und David Ben-Gurion im … https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/das-erste-treffen-von-konrad-adenauer-und-david-ben-gurion-im-hotel-waldorf-astoria-in-new-york
    [3] Realpolitik – FAZ https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/realpolitik-16734008.html
    [4] Michael Borchard: „David Ben-Gurion und Konrad Adenauer“ https://www.deutschlandfunkkultur.de/michael-borchard-david-ben-gurion-und-konrad-adenauer-eine-100.html
    [5] Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der … https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/aufnahme-diplomatischer-beziehungen-zwischen-der-bundesrepublik-deutschland-und-israel

    • Vielen Dank, liebe @Elisabeth K.!

      Meine Informationen über Adenauer und Ben Gurion hatte ich aus einer Reihe anderer Bücher, auch das Foto der beiden in New York kannte ich (daher oben im Blogpost auch das Datum). Aber das Buch von Michael Borchardt “David Ben-Gurion und Konrad Adenauer” kannte ich noch nicht, habe auch gleich hoch interessiert den DLF-Beitrag gehört und werde es sicher lesen!

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/michael-borchard-david-ben-gurion-und-konrad-adenauer-eine-100.html

      Danke, dass Du so oft und auch mit KI-Einsatz zu diesem Blog beiträgst! Das ist wirklich sehr ermutigend und vorbildlich – und es zeigt, dass Solarpunk keine Frage des Alters ist! Danke, sehr! 🙂

  5. Danke für die freundlichen Worte zu Baden-Württemberg und den Blick in die Geschichte.
    Vor ca 40 Jahren hatte ich die Gelegenheit, an einer Veranstaltung des Landeshistorikers Hansmartin Decker-Hauff teilzunehmen. Er ist inzwischen umstritten, verstand es aber in unterhaltsamer Art und Weise württ. Landesgeschichte zu vermitteln. Seither hat mich die Faszination des Themas nie wieder losgelassen. Gerade auch die Historie des Hauses Württemberg und die jüdische Geschichte. Empfehlenswert finde ich das Buch “Jüdisches Leben im Nordschwarzwald”.

    Dass Badener, Württemberger etc keine Hinterwäldler sind, sehe ich wie Sie. Im Stadt-Palais Stuttgart sprach Prof. Pyta bei einer Veranstaltung vor einigen Jahren über den Beitrag, den Württemberg und Baden im Reichstag im Berlin des Kaiserreichs leisteten.

    Da mir in Ihrem Blogpost Theodor Heuss fehlte:

    Theodor HEUSS, 1884-1963, geboren im württembergischen Brackenheim, der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Er hatte seinen Anteil am Luxemburger Abkommen und verfolgte die schwierigen Verhandlungen, die bei Den Haag stattfanden.
    Heuss war Schirmherr der Woche der Brüderlichkeit. Er war der erste hohe Repräsentant, der den jüdischen Gemeinden zu Rosch Ha-Schana gratulierte. Mir ist klar, dass Ihnen das bekannt ist, möchte aber, dass noch mehr Menschen es wissen sollen. Dass auch Heuss ein Mensch mit Fehlern war, ist mir bewusst.
    Helmuth RILLING, geb. 1933 in Stuttgart, war 1970 der erste dt. Dirigent, der nach dem 2. Weltkrieg das Israel Philharmonic Orchestra dirigieren durfte.

    Ich fürchte, dass wir unter unseren Politikern derzeit kaum welche von Format haben. Die meisten von denen sind Mittelmaß. Die Zeit Adenauers und Ben Gurions kannte noch keine Social Media. Vor 70 Jahren, als die Fußballnationalmannschaft der BRD Weltmeister wurde, gab es noch kaum TV-Geräte. Die Haushalte hatten meist ein Radio. Deshalb finde ich es heute ungleich schwerer, ein Politiker oder eine Politikerin vom Format der Genannten zu werden. Sie wissen ja selbst, wie schnell ein sog. Shitstorm ausgelöst wird.

    Hier noch ein interessantes Zitat aus dem Buch von Karl-Josef Kuschel über Theodor Heuss mit dem Untertitel “Die Schoah, das Judentum, Israel”:
    “Juden haben zu den ersten Demokraten in Deutschland gehört, und zwar an führender Stelle!”
    Das Zitat bezieht sich auf das Jahr 1848.

    Ganz aktuell: In Ulm wurde gerade das Museum über “Die Einsteins” eröffnet.

    Man kann aus der Geschichte nur lernen.

  6. @Michael 07.07. 14:56

    „..nicht nur ein lahmes Halbe-Halbe zwischen Links und Rechts verstehen, sondern eine starke Synthese aus Progressivem und Konservativem, aus Wissenschaft und Regionalität, …“

    Oder ist hier nicht Regionalität sondern Religiosität gemeint?

    Die KI findet immer gute Zusammenfassungen, das fördert dann die Horizonte. Wirkliche Synthesen erfordern dann aber, sich Einiges noch mal genauer anzuschauen. Und wirklich mal in sich zu gehen, und Antworten und Möglichkeiten zu suchen, was jetzt wirklich umsetzbar wäre.

    Da merkt man den Antworten der KI schon an, dass sie dann doch nur Zusammenfassen kann. Aber immerhin das schon mal gut, und es hilft uns ja weiter. Wir wollen ja auch noch selber weiter mitspielen.

    • @Tobias Jeckenburger

      Doch, hier war sehr bewusst Regionalität gemeint. Auch wissenschaftliche und technologische Angebote beispielsweise von erneuerbaren Friedensenergien, des Wahlrechtes oder des Dialoges können nicht einfach Top-Down, von oben herab, verordnet werden. Vielmehr sind sie von Menschen vor Ort aufzugreifen und in das je eigene, gewachsene Leben zu integrieren. Regionalität ist gewissermaßen die Übersetzung von: “Niemand kann alles, aber alle können etwas tun.” Ansonsten drohen, so meine ich, Reaktanz und sogar feindseliger Dualismus bis hin zu Verschwörungsmythen und Antisemitismus.

      Meine Haltung zu Wissenschaft und Religion im dialogischen Monismus habe ich hier als bekannt vorausgesetzt, aber gerne auch noch einmal durch Perplexity.ai zusammenfassen lassen:

      Laut Dr. Michael Blume ergänzen sich Wissenschaft und Religion auf folgende Weise:

      1. Auflösung des klassischen Konflikts: Blume argumentiert, dass die traditionelle Konfliktlinie zwischen Naturwissenschaft und Religion zunehmend aufgelöst und durchlässiger wird[3]. Er sieht ein wachsendes Mittelfeld, in dem sowohl Säkulare als auch Religiöse gemeinsam nach Wahrheit streben.

      2. Evolution und Glaube sind vereinbar: Blume, selbst Evolutionsforscher und gläubiger Christ, vertritt die Ansicht, dass Evolutionstheorie und religiöser Glaube miteinander vereinbar sind[2]. Er plädiert für einen interdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaft und Religion.

      3. Religion als evolutionärer Faktor: Blume betrachtet Religion aus evolutionärer Perspektive und argumentiert, dass Religiosität biologisch adaptiv wirken kann. Er verweist auf Studien, die einen Zusammenhang zwischen Religiosität und höheren Geburtenraten zeigen[1].

      4. Kritik am Relativismus: Blume warnt vor einem “postfaktischen” Zeitalter, in dem Menschen nur das glauben, was zu ihrer Gefühlswelt passt. Er sieht in der gemeinsamen Suche nach Wahrheit eine Möglichkeit, Säkulare und Religiöse zusammenzubringen[3].

      5. Historische Perspektive: Blume hebt hervor, dass bedeutende Wissenschaftler wie Charles Darwin auch theologisch gebildet waren und sich mit religiösen Fragen auseinandersetzten[2]. Dies unterstreicht die historische Verflechtung von Wissenschaft und Religion.

      Zusammenfassend sieht Blume Wissenschaft und Religion nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Ansätze zur Erforschung der Wirklichkeit. Er plädiert für einen offenen Dialog und eine integrative Sichtweise, die sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch religiöse Perspektiven berücksichtigt.

      Citations:
      [1] http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/BlumeWahreNaturwissenschaftlerAtheistenWeingarten0608.pdf
      [2] https://scilogs.spektrum.de/theologie-im-dialog/michael-blume-evolution-und-gottesfrage/
      [3] https://www.forum-grenzfragen.de/evolution-und-schoepfung-deutung-aus-religionswissenschaftlicher-perspektive/
      [4] https://hpd.de/artikel/11985
      [5] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/quarks-co-glauben-wissen-evolution/

  7. Michael Blume
    14.07.2024, 15:37 Uhr

    Warum wieder Juden beschuldigt werden? Das Judentum war die erste Religion der Alphabetisierung und Bildung.

    Isst sich dessen der durchschnittliche Antisemit überhaupt bewusst? Das glaub ich kaum. Aber warum gibt es dann Antisemitismus überhaupt?
    Ganz einfach! Antisemitismus hat Tradition! Und traditionelle Ansichten werden von vielen Menschen nicht kritisch hinterfragt.

    Aber vielleicht hat jemand eine bessere Erklärung als ich.

    • Dem stimme ich völlig zu, @Julian Apostata! Die meisten Antisemitinnen und Antisemiten haben keine bewusste Ahnung davon, dass sie aus einer langen Tradition des Bildungsneides heraus hassen.

      In meiner Rede vom 9.11.2023 im Landtag von Baden-Württemberg habe ich dies so formuliert:

      Der dualistische Verschwörungsglaube des Antisemitismus richtet sich aus dem einzigen Grund gegen das Judentum und den Staat Israel, dass diese Religionsgemeinschaft und dieses Volk mit der Alphabetisierung der Menschheit begonnen haben.

      Der Noahsohn Sem, dessen Namen auch mit dem Titel meiner Beauftragung durch Sie verbunden wurde, beschreibt in der jüdischen Auslegung der Thora gerade nicht den Begründer einer „Menschenrasse“ oder Sprachgruppe, sondern den ersten Begründer einer Schule in Alphabetschrift. Jede koschere Thorarolle besteht aus 304.805 handgeschriebenen Alphabet-Buchstaben. Mit dem anwesenden Rabbiner Pushkin kann man es nachlesen; er zeigt es gerne in der Synagoge!

      Bis heute benennen wir alle daher auch unser gemeinsames lateinisches Alphabet selbstverständlich nach dem Hebräischen Aleph-Beth. Unser gesamtes Recht basiert auf der Alphabetschrift; unsere heiligen Schriften, auch in Christentum und Islam, unsere philosophischen Werke, all das stützt sich auf die Alphabetschrift.

      Auch der schönste Begriff der deutschen Sprache „Bildung“, entstammt direkt der Thora, dem 1. Buch Mose, in dem es heißt, der Mensch – jeder Mensch! – sei „im Bilde Gottes geschaffen.“ [1. Mose 1, 27]

      Wann immer also Menschen in Freund-Feind-Dualismus und Verschwörungsmythen abdriften, nähern sie sich voller Hass und Bildungsneid dem Antisemitismus an.

      Dabei sollte eines klar sein: Entweder wir haben eine gemeinsame Zukunft, oder wir haben keine. Ich will eine gemeinsame Zukunft in Vielfalt in Baden-Württemberg mit dem jüdischen Leben an unserer Seite.”

      Die ganze Rede als Text & Video hier: https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/im-landtag-bw-gegen-antisemitismus-meine-rede-zum-9-11-2023/

      Danke für das Interesse und das immer wieder engagierte Mitdiskutieren!

  8. Habe heute, am 20. Juli, an den mutigen Widerständler Franz Böhm erinnert, der nur durch eine Namensverwechslung der NS-Hinrichtung entging. Nach dem Krieg baute er die Freiburger Schule, den christlich-jüdischen Dialog & das Luxemburger Abkommen, wurde MdB (CDU).

    https://sueden.social/@BlumeEvolution/112819898929200965

    Das Besondere an der Widerstandsbewegung des 20. Juli war die weltanschauliche Breite der über 200 beteiligten Männer und Frauen – Arbeiterführer und Aristokratinnen, Geistliche und Militärs, Linke, Rechte, Liberale. Deswegen geht auch jedes Gedenken, das etwa nur eine Gruppe und nicht die ganze Demokratie würdigt, fehl. Bei allen notwendigen Unterschieden haben Demokratinnen und Demokraten von links bis rechts gegen jeden Antisemitismus, feindseligen Dualismus, vor allem gegen Faschismus und Nationalsozialismus zusammen zu stehen!

  9. Eine weitere Leseempfehlung

    Die Verknüpfung von „Queer“ mit Antisemitismus in Form von Antizionismus geht auf postmoderne Akademiker*innen zurück. Die einflussreichste unter ihnen ist die Philosophin Judith Butler. Corinne E. Blackmer ist bereits 2023 der Frage nachgegangen, wie das geschehen konnte und welche Folgen diese Allianz für die Sicherheit von jüdischen Queers hat.

    Dieser Artikel erschien ursprünglich in englischer Sprache am 3. Februar 2023 im Magazin „Tablet” unter tabletmag.com und wird mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.

    https://queernations.de/die-verqueerung-des-antisemitismus/

    • Danke, @RPGNo1

      Ja, gerade auch aufgrund ihrer bisherigen Aktivitäten gegen Queerfeindlichkeit haben die Äußerungen von Judith Butler zur Hamas auch bei mir zu Entsetzen geführt.

      Perplexity.ai fasst es so zusammen:

      Judith Butler, eine renommierte US-amerikanische Philosophin und Feministin, löste mit ihren Äußerungen zum Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 eine kontroverse Debatte aus. Ihre Aussagen wurden weithin als Verharmlosung des Terrorangriffs interpretiert[1][4].

      Die Hauptpunkte ihrer umstrittenen Position sind:

      1. **Bezeichnung als “bewaffneter Widerstand”**: Butler charakterisierte die Hamas-Attacke nicht als Terrorismus, sondern als “bewaffneten Widerstand”[1][5]. Diese Wortwahl wurde als Verharmlosung der Gräueltaten wahrgenommen.

      2. **Historische Kontextualisierung**: Sie argumentierte, dass die Angriffe im Kontext der “letzten siebzig Jahre” und der “radikalen Ungerechtigkeiten” gegenüber den Palästinensern betrachtet werden müssten[2]. Diese Sichtweise wurde als Relativierung der aktuellen Gewalt kritisiert.

      3. **Ablehnung punktueller Verurteilung**: Butler lehnte eine isolierte moralische Verurteilung der Hamas-Attacken ab und plädierte stattdessen für eine breitere historische Betrachtung[2]. Kritiker sahen darin eine Weigerung, die spezifischen Gräueltaten angemessen zu verurteilen.

      4. **Kritik an “moralischer Empörung”**: Sie bezeichnete die unmittelbare moralische Empörung über die Angriffe als “anti-intellektuell und auf die Gegenwart beschränkt”[2]. Diese Haltung wurde als unangemessen angesichts der Schwere der Verbrechen empfunden.

      5. **Nobilitierung des Terrors**: Einige Kritiker warfen Butler vor, durch ihre Wortwahl und Argumentation den Terror der Hamas zu nobilitieren und damit zu verharmlosen[3].

      Butlers Äußerungen führten zu heftigen Reaktionen. Sie musste aufgrund von Sicherheitsbedenken Vorträge verschieben[4]. Ihre Perspektive wurde von einigen als Versuch gesehen, eine philosophische Diskussion über die Legitimität von Handlungen in Konfliktsituationen anzuregen, während andere sie scharf verurteilten[4].

      Die Kontroverse um Butlers Aussagen verdeutlicht die Sensibilität und Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts sowie die Herausforderungen bei der Bewertung von Gewalt in diesem Kontext.

      Citations:
      [1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/us-feministin-judith-butler-terror-hamas-israel-100.html
      [2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/judith-butler-ueber-den-terror-der-hamas-reden-ueber-nahost-19249348.html
      [3] https://www.sueddeutsche.de/kultur/judith-butler-terrorismus-hamas-1.6427744
      [4] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/krieg-israel-judith-butler-und-der-hamas-angriff-kampf-um-begriffe-92876812.html
      [5] https://www.zeit.de/kultur/2024-03/judith-butler-nahostkonflikt-verharmlosung-hamas

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