Darwinisten gegen Darwin? Gegen die religionsfeindliche Umdeutung von Charles Darwin

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Wenn “Darwinisten” über Charles Darwin diskutieren, so fühle ich mich oft an Dostojewskis “Großinquisitor” erinnert. In diesem berühmten Gedankenspiel lässt der Autor Jesus ins spätmittelalterliche Spanien zurückkehren. Doch die Lehren und Institutionen der Kirche haben sich längst weit von den Lehren des Nazareners entfernt. Entsprechend begrüßt der Großinquisitor Jesus nicht etwa, sondern lässt ihn verhaften und beschimpft ihn:

Warum also bist Du gekommen, uns zu stören? Denn Du bist uns stören gekommen! Das weißt Du selbst. Aber weißt Du auch, was morgen geschehen wird? Ich weiß nicht, wer Du bist und will es auch nicht wissen: bist Du’s wirklich, oder bist Du nur Sein Ebenbild? Aber morgen noch werde ich Dich richten und Dich als den ärgsten aller Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und dasselbe Volk, das heute noch Deine Füße geküsst hat, wird morgen auf einen einzigen Wink meiner Hand zu Deinem Scheiterhaufen hinstürzen, um eifrig die glühenden Kohlen zu schüren, weißt Du das?

Dass die Ideen und Lehren bedeutender Persönlichkeiten unweigerlich gedeutet, tradiert und institutionalisiert werden, bis sie kaum noch zu erkennen sind, ist in der Geschichte von Religionen und Weltanschauungen keine Seltenheit. Man sollte jedoch meinen, in den Wissenschaften gälte ein besonders reflektierter und vorsichtiger Umgang mit großen Stichwortgebern. Doch weit gefehlt – erst neulich hatten wir hier ja über die rationalistische Verkürzung des evolutionären Ökonomen Friedrich August von Hayek diskutiert. Und auch für den populären Darwinismus – bzw. den Neodarwinismus – gilt: Hier berufen sich regelmäßig Menschen auf den studierten Theologen Charles Darwin, die ihn entweder nicht wirklich gelesen haben oder gezielt ignorieren.

Darwinistische Inquisitoren

Einen kleinen Geschmack auf die atheistischen Vorwürfe, die einem vorbei spazierenden Darwin heute drohen würden, gab es auf “Natur des Glaubens”, als ich es gewagt hatte, die Schlusssätze von Darwins Hauptwerk “Die Entstehung der Arten (ab der 2. Auflage) zu zitieren:

Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt.

Gleich der erste Kommentator ließ wissen, dass Charles Darwin nicht gemeint haben könnte, was er schrieb – entsprechende Sätze “waren nichts weiter als beruhigende Zugeständnisse an seine erbosten Zeitgenossen.” Darwin – ein unaufrichtiger Taktierer?

Der zweite Kommentator behauptete, dass Darwin den Schöpfer “unter dem Druck der Religionslobby hinzugefügt” habe, und zwar “zu seinem eigenen Missfallen”. Und zitieren solle man ihn also auch nicht mehr, denn: “Dass für seine eigene naive Argumentation für Gott zu vereinnahmen kann natürlich nur passieren, wenn man ganz stark an Religiosität erkrankt ist, jedem anderen Menschen mit einem Funken Anstand wäre derartiger Betrug einfach zu peinlich.” Darwin – zu Betrug erpresst?

Darwinismus ohne oder gar gegen Darwin?

Und so geht es weiter – religionskritische Darwinisten haben sich längst ein Darwin-Bild zurecht gebogen, das mit dem studierten Theologen (“unnütze Esser” laut einem weiteren Kommentator…) nichts mehr zu tun hat. Aber auch prominente Darwinisten wie Richard Dawkins veröffentlichen ganze Bücher “darwinistischer” Religionskritik – ohne auch nur zu erwähnen, wie ihr Namensgeber selbst die Vereinbarkeit von Evolution und Gottesglauben (evolutionärer Theismus) beurteilte und welche Begriffe und Hypothesen Darwin selbst zur Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen vortrug.

Ob (nicht nur) Dawkins die religionsbezogenen Aussagen von Charles Darwin gar nicht kennt – oder bewusst entscheidet, sie zu verschweigen?

Charles Darwin und der evolutionäre Theismus

Schauen wir uns die o.g. Aussage Darwins doch noch einmal genau an, so werden wir feststellen, dass sie sehr viel differenzierter ist, als manche(r) vor lauter Erregung wahrnimmt. Charles Darwin behauptet gar nicht, an einen Schöpfergott und einen Fortschritt des Lebens zu glauben. Er erkennt jedoch an, dass dies eine “grossartige Ansicht” sei. (Im englischen Original geradezu poetisch: There is grandeur in this view of life“)

Wenige Absätze zuvor hatte Darwin diesen Gedanken bereits in der Ursprungsfassung der “Entstehung der Arten” ausgeführt:

Ich sehe keinen triftigen Grund, warum die in diesem Bande aufgestellten Ansichten gegen irgend Jemandes religiöse Gefühle verstoßen sollten. Es dürfte wohl beruhigen, (da es zeigt, wie vorübergehend derartige Eindrücke sind), wenn wir daran erinnern, daß die größte Entdeckung, welche der Mensch jemals gemacht, nämlich das Gesetz der Attraction oder Gravitation, von Leibnitz auch angegriffen worden ist, „weil es die natürliche Religion untergrabe und die offenbarte verläugne.“ Ein berühmter Schriftsteller und Geistlicher hat mir geschrieben, „er habe allmählich einsehen gelernt, daß es eine ebenso erhabene Vorstellung von der Gottheit sei, zu glauben, daß sie nur einige wenige der Selbstentwickelung in andere und nothwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, wie daß sie immer wieder neue Schöpfungsacte nöthig gehabt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seien.“

Auch in seinem späteren Hauptwerk “Die Abstammung des Menschen” formulierte Darwin nicht nur Definitionen und Hypothesen zur Evolution der Religion, sondern stellte auch klar:

Natürlich ist diese Frage von der anderen höheren völlig verschieden, ob ein Schöpfer und Regierer des Weltalls existirt; und diese ist von den grössten Geistern, welche je gelebt haben, bejahend beantwortet worden.

Erneut erkennt Darwin an, dass man die Evolutionstheorie mit dem Gottesglauben verbinden kann, ohne sich jedoch selbst dazu zu bekennen. Vollends fallen alle Erpressungs-, Betrugs- oder Verschwörungstheorien aber mit dem Brief Darwins an John Fordyce vom 7. Mai 1879 (drei Jahre vor seinem Tod) in sich zusammen. In eigener Übersetzung:

Es scheint mir absurd zu bezweifeln, dass ein Mensch ein entschiedener Theist und ein Evolutionär sein kann. – Sie haben Recht mit Kingsley. Asa Grey, der berühmte Botaniker, ist ein weiterer, überzeugender Fall. – Was meine eigene Ansichten sein mögen ist eine Frage, die niemanden außer mich betreffen muss. – Aber da Sie fragen, möchte ich erklären, dass mein Urteil oft schwankt. Ob ein Mensch es verdient, ein Theist genannt zu werden, hängt von der Definition des Begriffes ab; was viel zu groß für eine Notiz ist. In meinen extremsten Schwankungen bin ich nie ein Atheist in dem Sinne gewesen, dass ich die Existenz Gottes geleugnet hätte. – Ich denke, dass generell (& mehr und mehr als ich älter werde) aber nicht immer,  die Bezeichnung “Agnostiker” die korrekteste Beschreibung meiner diesbezüglichen Auffassung sein würde. (vgl. Original im Darwin Correspondence Project)

Fazit: Laut Darwin sind sowohl Atheismus, Agnostizismus wie auch Theismus (Gottesglauben) mit der Evolutionstheorie grundsätzlich vereinbar

Charles Darwin war nicht nur als junger Mann selbst sehr fromm gewesen, sondern lebte und arbeitete auch Zeit seines Lebens mit Menschen zusammen, die Evolution und Gottesglauben zu verbinden verstanden. Auch die Religion erschien ihm als erfolgreiches Merkmal der menschlichen Evolutionsgeschichte erforschbar. Seine eigenen, wachsenden Glaubenszweifel hingen mit der Theodizee-Frage (der Frage nach dem Leid in der Welt) zusammen. Er war ein brillanter, empirischer Wissenschaftler und zugleich geisteswissenschaftlich gebildet genug, um zwischen seinen persönlichen Glaubensauffassungen einerseits und den empirischen Befunden andererseits zu unterscheiden.

Es ist ärgerlich und falsch, dass selbsternannte “Darwinisten” wie auch religiöse Fundamentalisten den Theologen Darwin nachträglich zu einem Atheisten und Religionsverächter umdeuten wollen, ihm dazu auch Täuschung und Unaufrichtigkeit unterstellen. Jesus, Darwin und auch alle anderen, bedeutenden Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte haben einen historisch besser informierten, differenzierten Blick verdient – gerade auch dann, wenn sie und ihre Aussagen im Namen der Wissenschaft diskutiert werden.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

67 Kommentare

  1. alles mittelalter oder was ?

    aber im zeitalter der neuen kreuzzüge gewinnt der glaube wohl wieder traurige bedeutung, als individuell jedem dem er gut tut zur verfügung zu stehen, sonst nichts!

    ist es nicht traurig, dass wir einen menschen nach seinem glauben bemessen? nicht nach seinen erkenntnissen? so kann dennn auch die biblische schöpfungsgeschichte in biologie unterrichtet werden. wo sind wir denn?
    es sollte wohl lieber weiter an der evolutionstheorie geforscht werden, als nachzufragen, ob darwin auch fromm war.

    mit jeder beantworteten frage finden sich tausend neue fragen. um diese vorerst zu erklären, ist es immer tröstlich einen gott ins spiel zu bringen, aber nötig ist es nicht.

  2. @Swaantje Janke

    Ja, nach dem grausamen Scheitern der nicht- bzw. antireligiösen Weltanschauungen während des 20. Jahrhunderts treten die Gefahren des religiösen Fundamentalismus heute wieder deutlicher hervor. Wir werden lernen müssen, mit lebendiger Religiosität umzugehen und ihre lebensförderlichen Seiten zu fördern wie auch ihre Risiken einzugrenzen. Dazu kann informierte und vorurteilsfrei interdisziplinär forschende und lehrende Wissenschaft m.E. viel beitragen. Insofern können wir auch heute noch von Darwins Gedankenweite lernen.

  3. Meinungen

    Herr Blume, dass war wieder sehr aufschlussreich!
    Was allerdings die Frage angeht, ob Leute wie Dawkins bestimmte Aussagen einfach unter den Tisch fallen lassen, so würde ich die mit ja beantworten. Das gehört nämlich zum Standardrepertoire der Meinungsmache, also der Kunst, seine eigene Meinung auch zu jener der anderen zu machen. Das bringt mich jetzt zu Albrecht Müller, der vor einiger Zeit ein Buch mit genau diesem Titel dazu geschrieben hat. Ihm geht es darin zwar um politische Meinungen und wie Parteien oder andere mächtige Gruppen ihre Interessen verbreiten, aber einige Methoden dürften in der Wissenschaft ähnlich funktionieren. Zum Beispiel das weglassen von bestimmten Informationen, Aussagen oder Sachverhalten. Eben alles, das den eigenen Standpunkt in Frage stellen oder die Argumentation schwächen könnte.

  4. @Hans

    Ja, das sehe ich auch so, scheint mir normal zu sein. Allerdings haben mir auch schon eine Menge Biologen gesagt, dass im Studium die Auseinandersetzung mit Originaltexten kaum mehr eine Rolle spielt und man Darwin nur noch vom “Hörensagen” kennt. Mich wundert nur, dass die doch so große und vermeintlich rational-aufgeklärte Dawkins-Fangemeinde solchen Tricks auf den Leim geht und sich eine “Darwinismus-Religionskritik ohne Darwin” andrehen lässt. Warum nennt man sich “Bright” und bildet sich was auf die eigene Aufgeklärtheit ein, wenn man nicht einmal solche Auslassungen merkt bzw. aufdeckt?

  5. Auf Tricks herein fallen ist …

    … einfacher als man glaubt.
    Oftmals ist es ja so, das man gar nicht merkt, wie man herein gelegt wird, weil man gar nicht genug über die Sache weis. Und das nutzen die Spindoktoren oder Propagandisten natürlich aus.
    Gerade auch im aktuellen Tagesgeschehen ist es nicht so einfach, den Überblick zu behalten, um was es eigentlich geht, während ein Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben wird.
    Und dass ein Studium von Originaltexten heut zu Tage eher was für Historiker und andere Geisteswissenschaftler ist, wundert mich nicht. Das passt auch ganz gut zur aktuellen Ideologie, wonach die Hochschulen die Leute soweit ausbilden sollen, das sie die Arbeiten erledigen können, die im Job anfallen, aber mehr auch nicht. Das scheint die Natur- und Ingenieurwissenschaften zwar eher zu betreffen, als die Geisteswissenschaften, aber das ist mein subjektiver Eindruck.

  6. Perfektion

    Auch wenn mein folgender Hinweis keinen direkten Bezug zu dem Thema Ihres Beitrags hat, kann ich ihn mir nicht verkneifen:
    “…schönerer und vollkommenerer Wesen….” halte ich für eine klein wenig sinnentstellende Übersetzung (auch wenn diese nicht von Ihnen stammen mag und in der guten alten Zeit “vollkommen” und “wundervoll” Synonyme waren) von “…most beautiful and most wonderful…”(6te Auflage). In dem von Ihnen gesetzten link findet sich dann ja auch “..wundervollsten Formen…”.

  7. Wo ist das Problem wenn Darwinisten mit Darwin gegen die Religion argumentieren?

    Darwin hat vor mehr als 100 Jahren gelebt, natürlich können seine Aussagen nicht 1:1 übernommen werden.

    Genau so wenig wie heutige Marxisten, falls sie halbwegs klug argumentieren (gibt da ja auch andere), Marx Aussagen nicht 1:1 übernehmen und trotzdem im Sinne Marxs argumentieren.

    Oder wie Sokrates-Anhänger Aussagen von Sokrates nicht 1:1 übernehmen und trotzdem in dessen Sinne argumentieren. Alles andere wäre doch Unsinn.

    Seit Darwin haben wir mehr als 100 weitere Jahre Aufklärung hinter uns, trotzdem kann im Sinne der Methodik Darwins argumentiert werden. Wissenschaftliche Erkenntnis und Aufklärung machen Fortschritte. Verzeihen sie aber da hab ich bei weitem bessere Argumente von manchen Ordensbrüder gehört, die das Ziel hatten Wissenschaft argumentativ zu bezwingen (Scholastik), als die die hier präsentiert werden. Ich hoffe stark, dass Religionswissenschaften eine bessere philosophische, religionswissenschaftliche Ausbildung erfahren, als die hier gezeigte.

  8. @rectus

    Danke für den völlig berechtigten Hinweis! Ich hatte nach Vergleich bewusst die Übersetzung von 1876 als die Treffendere gewählt und das entsprechende Zitat jetzt auch korrigiert. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, solche Leser freuen einen! 🙂

  9. @Gustav

    Gegen eine “Weiterentwicklung” der Religionsforschung und -diskussion auf Basis Darwins hätte ich auch überhaupt nichts einzuwenden, dafür setze ich mich ja ein. Nur ist die Überprüfung seiner Hypothesen zur Evolution von Religiosität und Religionen bislang fast völlig unterblieben. Und auch (z.B.) Dawkins hat sich nirgendwo die Mühe gemacht, sich mit Darwins Argumenten zum Thema zu befassen und zu erläutern, warum er dessen Definitionen und Hypothesen verwirft und seiner Wertschätzung des evolutionären Theismus nicht zustimmt. Sprich: Ich kann keine “Weiterentwicklung” erkennen, sondern eine ignorante Umdeutung, die den Namen Darwins benutzt, ohne seine Aussagen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Als ob es all dies nicht schon bereits im “Sozialdarwinismus” mehr als genug gegeben hätte!

    Ignoranz der eigenen Grundlagen und Missbrauch sollte man in der Wissenschaft m.E. weder selbsternannten Darwinisten, noch Christen, Marxisten oder Sokrates-Jüngern durchgehen lassen. Vielleicht ist es ja eine der wichtigen Aufgaben der Religions- und generell Kultur- und Geisteswissenschaften, nicht jeder Schaumschlägerei auf den Leim zu gehen, bloß weil diese sich als “Fortschritt” ausgibt und mit großen Namen um sich wirft. Die Chancen stehen doch gut, dass man von Darwin noch lernt, wenn der heute modische “Neodarwinismus” längst wie der ihm voraus gehende “Sozialdarwinismus” nur noch eine verschämte Fußnote mißlungener Rezeption geworden ist…

  10. Darwin Agnostiker:Es geht auch ohne Gott

    Darwin nimmt in den zitierten Stellen genau die Position eines Naturwissenschatlers ein, dem es vor allem um die Sache und – insoweit er selbst involviert ist – um die von ihm selbst gefundenen Wahrheiten geht. Diese von ihm gefundenen neuen Erkenntnisse sind zuerst einmal innerhalb eines bestimmten Gebiets bedeutsam, im Falle von Darwin sagen sie etwas über “the origin of species” aus. Was man darüberhinaus noch aus der Evolutionstheorie folgern kann, das übersteigt bereits das Fachgebiet der Biologie. Und Darwin wehrt sich zurecht vor vorschnellen Schlussfolgerungen wie der Annahme, die Evolutionslehre widerspräche der christlichen Religion.

    Andererseits war natürlich Darwins Arbeit ein weiterer bedeutsamer Schritt zu einer zunehmend wissenschaftlich geprägten Welterklärung in der Gott an immer weniger Stellen benötigt wird – genau so wie es auf einer immer besser erkundeten Erde immer weniger weisse Flecken auf der Landkarte gibt.

  11. @Martin Holzherr: Mehr als Biologie!

    Vielem kann ich zustimmen – nicht aber der Aussage, Darwin habe nur Aussagen zur “Biologie” gemacht. Er schreibt in seiner “Abstammung des Menschen” ebenso über die Evolution von Sprachen, Musiken, Werkzeugen, Zivilisationen und Religionen, zitiert dazu reichlich Kulturwissenschaftler und erklärt zu Letzteren z.B. ausdrücklich:
    “Die Idee eines universellen und wohlwollenden Schöpfers des Weltalls scheint im Geiste des Menschen nicht eher zu entstehen, als bis er sich durch lange fortgesetzte Cultur emporgearbeitet hat.”
    http://de.wikisource.org/…ammungMensch2.djvu/386

    Warum sollten wir den studierten Theologen und interdisziplinären Evolutionsforscher also nachträglich zu einem biologischen Reduktionisten umdeuten? Darwin schrieb “auch” als Biologe, aber nie nur. Gerade auch in der Theismus-Frage ist doch erkennbar, dass er zu Recht versteht, dass die Existenz Gottes keine empirische, sondern eine metaphysische Frage ist. Und schon sein o.g. Zitat eines Geistlichen zeigt auf, dass an einem Lückenbüßergott (heute gerne als “Intelligent Design” verkleidet) schon damals zu Recht gezweifelt wurde… Wenn es einen Gott gibt, dann wäre er wohl kaum in den weißen Flecken der Landkarte zu finden, sondern als deren Urheber und Erhalter.

  12. Querverweise

    Danke, Michael, für Dein Plädoyer für einen differenzierten Blick. Mich wundert es immer wieder und manchmal auch nicht mehr, wie schnell in der öffentlichen Diskussion zu wissenschaftlichen Fragen weltanschauliches Schablonendenken um sich greift. Aber ja, das gab es natürlich auch in der Diskussion um Darwin immer wieder. Kleinkariert! Aber anscheinend auf allen Seiten… Gut zu wissen, dass Darwin auch theologisch da schon weiter dachte. Aber ich würde meine theologischen Begriffe doch nicht bei ihm holen. Das ist für mein Differenzieren nötig. (Ein bisschen so, wie ich auch Edison keine Glühbirne abkaufen würde).
    Ich mag (dieses Jahr) hier nicht weiter einsteigen – verweise aber auf Aussagen aus der katholischen Akademie Hohenheim: “Junkers unbeantwortete Frage” – wie die Kirchen sich zur Evolution stellen – H.H.Peitz in “forum-grenzfragen”.

    Dort auch: Prof. Dr. Eve-Marie Engels, Philosophin. Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik in den Biowissenschaften an der Fakultät für Biologie und Mitglied der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Universität Tübingen:
    „Darwin hat nie gesagt: ‚Weil ich das Zweckmäßige ohne Rückgriff auf Gott nur mit Hilfe der natürlichen Selektion erklären kann, deswegen habe ich bewiesen, dass Gott nicht existiert.‘ Er hat nicht den Anspruch erhoben, theologische oder metaphysische Fragen beantworten, gar die Nichtexistenz Gottes beweisen zu können.“
    Und ein Link zu ihrem Vortrag am 25. Sept. 2009: „Charles Darwin und die Lehre vom Intelligent Design“ .

  13. Darwin und das Christentum

    “Fazit: Laut Darwin sind sowohl Atheismus, Agnostizismus wie auch Theismus (Gottesglauben) mit der Evolutionstheorie grundsätzlich vereinbar”

    Ganz so einfach kann das Darwin nicht gesehen haben, galt es doch die biblische Schöpfung zu beachten. Im Bible Belt unter Evangelikalen und anderen christlich aufgestellten Gruppen gilt immer noch die Schöpfungslehre. Der Katholizismus hat irgendwann, es war wohl unter Pius, den Irrtum eingestanden und die biblische Schöpfung als metaphorisch zu verstehen gekennzeichnet. Muss so in den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts gewesen sein…

    Den oft behaupteten Gegensatz Darwin-Christentum sieht Dr. Wwb allerdings auch nicht – hier wird von aggressiv atheistischer Seite oft eine Kampfposition aufgebaut. Das muss nicht sein.

    Allen schöne Weihnachtstage,
    HO HO HO,
    Dr. Weihnachtswebbaer

  14. Nachtrag

    ‘Hence all faithful Christians are forbidden to defend as the legitimate conclusions of science those opinions which are known to be contrary to the doctrine of faith, particularly if they have been condemned by the Church; and furthermore they are absolutely bound to hold them to be errors which wear the deceptive appearance of truth.’ – 1859 – zeitnahes Papst-Statement, vgl. auch: Hence all faithful Christians are forbidden to defend as the legitimate conclusions of science those opinions which are known to be contrary to the doctrine of faith, particularly if they have been condemned by the Church; and furthermore they are absolutely bound to hold them to be errors which wear the deceptive appearance of truth.

    Andere Religionen sind bei diesem Thema dezent formuliert auch eher bissig, und Sie wissen welche Religion hier besonders zu beachten ist…

    Die anglikanische Kirche wird in der Wikipedia (Quellenverweis leider abhanden gekommen) so zitiert:
    ‘2008 bedauerte die Church of England ihr „Missverstehen“ der darwinschen Evolutionstheorie und bezeichnet den in einigen „Ecken der Kirche“ herrschenden „anti-evolutionären Eifer“ als Fehler.’

  15. @Hermann

    Vielen Dank für den konstruktiven Kommentar und die spannenden Links dazu. Was bin ich froh, dass es in der württembergischen Landeskirche auch Theologen und Pfarrer wie Dich gibt, die weder vor neuen Themen noch neuen Medien Angst haben! 🙂 Du leistest damit einiges!

    Dir und den Deinen einen guden Rosch!

  16. @Weihnachtswebbär

    Besten Dank für die Rückmeldungen – und, ja, die unterschiedlichen, religiösen Traditionen und Konfessionen scheinen sich mit der Evolutionstheorie tatsächlich (aus sehr komplexen Gründen) unterschiedlich schwer zu tun. Hier die Ergebnisse einer religionspbergreifenden US-Befragung:
    https://scilogs.spektrum.de/…heorie-und-die-religionen

    Beste Grüße und einen guden Rosch auch Ihnen!

  17. Darwin’sche und darwinistische Theorie

    Lieber Herr Blume,

    ich meine, Sie vermischen da etwas, was man besser trennen sollte.

    Erstens, Darwin kannte den Unterschied zwischen empirischer Wissenschaft und Metaphysik und darum war ihm klar, daß aus einer Theorie einer empirischen Wissenschaft weder ein Beweis noch eine Widerlegung von Sätzen wie „es gibt Gott“ folgen kann. Da haben Sie recht.

    Zweitens, der Darwinismus als eine Richtung der Biologie kennt diesen Unterschied auch, sonst wäre er keine Richtung der Biologie (Biologie jetzt als Wissenschaft, mithin auch normativ genommen, nicht als Disziplin, d. h. als faktisches, historisch-soziologisches Gebilde). Der Darwinismus als eine weltanschauliche Strömung kennt diesen Unterschied nicht.

    Drittens, die Frage, ob man den Darwinismus Darwinismus nennen darf. Da bin ich anderer Meinung als Sie. Natürlich kann man es bedauern, daß über die Person hinweggegangen wird, wenn man Folgerungen, die aus ihren zentralen Gedanken gezogen werden müssen, denen diese Person selbst aber nie zugestimmt hätte, mit ihrem Namen verbindet. Aber wie soll man es denn machen? Es gehört nun einmal zum Wesen der Paradigmenentwicklung, daß ein Paradigma zunächst in sehr unentwickelter Form auftritt, daß der, in dessen Geist es zuerst auftaucht, noch vieles nicht ausgearbeitet hat und vieles von dem Alten mitschleppt, was mit seinen eigenen wesentlichen Aussagen nicht übereinstimmt. Insofern ist das, was der -ismus aussagt, nicht nur differenzierter, sondern auch konsistenter als das, was der Namengeber selbst vertrat. Man unterscheidet üblicherweise zwischen z. B. der Platon’schen Lehre, dem Platonismus und, wenn man den Eindruck hat, die Abweichungen sind allzu groß, dem Neoplatonismus. Wenn man diese terminologischen Üblichkeiten kennt, dann gibt es hier doch gar kein Problem. –

    Wenn Darwin Vorstellungen von Vollkommenheit (im Bereich der Biologie) gehabt haben sollte – ich weiß das nicht –, dann wären die unvereinbar mit den Kernstücken seiner eigenen Theorie und es ist in Ordnung, wenn sie im Darwinismus nicht mehr vorkommen – und es ist in Ordnung, hier von Darwinismus zu sprechen. Was die sich auf Religion beziehenden Vorstellungen Darwins angeht, so gehen die einen Darwinismus, der sich als Biologie versteht, gar nichts an. Das wußte auch Darwin selber. Seine Theorien widerlegen zwar naturwissenschaftliche Theorien, die im Rahmen religiöser Lehren vertreten bzw. als Dogma behandelt wurden (es ist eine naturwissenschaftliche Aussagen, daß die Menschen nicht von Affen abstammen), aber nicht das, was Religion ausmacht, denn die entsprechenden Aussagen sind metaphysischer Art.
    Hochgradig dumm sind natürlich Äußerungen von Kommentatoren der Art, bestimmte Aussagen habe Darwin “unter dem Druck der Religionslobby hinzugefügt”, da haben Sie recht. Was Darwin an den zitierten Stellen sagt, ist wenigstens im Prinzip einfach das, was ein einigermaßen philosophisch informierter Wissenschaftler – damals wie heute – zu solchen Fragen sagen würde.

  18. @Ludwig Trepl

    Mit “Vermischen” habe ich es eigentlich nicht, sondern kann mit Ihren Ausführungen eigentlich gut leben. Ich würde auch nicht soweit gehen, heutigen Darwinisten (Marxisten, Platonikern etc.) den jeweiligen Namensbezug irgendwie verbieten zu wollen. Was ich jedoch schon erwarten würde, ist ein offenes Auseinandersetzen mit den Positionen des Namensgebers, mit dem man sich “schmückt”.

    Die Unterscheidung empirischer und metaphysischer Aussagen galt m.E. zu Darwins Zeiten wie heute auch. Wer diese nicht kennt, hat Darwin nicht “weiterentwickelt”, sondern wissenschaftliche Grundlagen nicht verstanden.

    Ebenso denke ich, dass man Darwin keine Positionen oder Unterstellungen unterschieben sollte. Gegen solche Entstellungen ist m.E. die Aufklärungsarbeit von Kultur- und Geisteswissenschaftlern gefordert.

    Lassen Sie es mich so sagen: Es kann sich “Darwinist” nennen, wer will oder es nötig hat. Dann jedoch muss er oder sie es sich schon gefallen lassen, vom historischen Darwin auch “gestört”, d.h. mit ihm konfrontiert zu werden… Dem Nachdenken kann es doch nur hilfreich sein – und vielleicht nimmt dann ja auch mal mancher die brillanten Originalwerke Darwins mal wieder (oder erstmals…) zur Hand. 😉

  19. Darwin

    … hat versucht seine Erkenntnisse und Theorien nicht in Gegensatz zu den üblichen christlichen Glaubensmengen zu bringen. Wer heute als Darwinist dieses vorhat, Dennett spricht bspw. von “gefährlichen Fragen”, was ja richtig ist, kann sich nicht direkt auf Darwin berufen; die aufgeführten Darwin-Zitate scheinen alle recht klug, auch diesbezüglich agnostische bleibend und die Epistemologie beachtend. – Wobei seine Theorien aber durchaus ein gefährliches Potential hatten und haben.

    MFG
    Dr. Webbaer (der allerdings die christlichen Positionen in den US nur unzureichend kennt)

  20. “Der Theologe Darwin…”

    Michael Blume bereitet es eine geradezu (spitz-bübische) Freude in jedem seiner Blogposts mindestens einmal die Formulierung der „Theologe Darwin“ zu verwenden. Es kann nicht mehr lange dauern, bis ihm das nicht mehr genügt und der offenbar einzig authentische und autorisierter Darwinkenner, der gläubige Religionswissenschaftlicher Michael Blume, den ’Theologen Darwin‘ zu einem frühmodernen Kirchenvater verklären wird.

    Kommen wir zu den überlieferten Fakten:
    Von seiner langjährig legendären Reise mit dem Forschungsschiff „Beagle“ kam der (zu Beginn der Reise) 22-jährige studierte Theologe nicht als vom biblischen Schöpfungsglauben inspirierter Theologe, sondern als Biologe und Evolutionist zurück. Es ist bekannt, dass er das grundlegende Werk „Principles of Geology“ des Geologen Charles Lyell mit auf die Reise nahm. Ob er auch das Buch „Natural Theology“ des überzeugten Anhängers der Schöpfungslehre William Paley mitnahm, ist mir nicht bekannt. Die Bibel dagegen mag damals zur Grundausstattung eines solchen Schiffes gehört haben.

    In seinem knapp 800 Seiten umfassenden zweiten Hauptwerk „Die Abstammung des Menschen“ widmet Darwin dem Thema „Gottesglaube, Religion“ genau drei Seiten*):

    Zu Ihrem Lieblingsthema „übernatürliche bzw. überempirische Akteure“ äußert er sich u. a. wie folgt:

    „Verstehen wir indessen unter dem Ausdruck „Religion“ den Glauben an unsichtbare oder geistige Kräfte, so stellt sich der Fall völlig verschieden; denn dieser Glaube scheint bei den weniger civilisirten Rassen ganz allgemein zu sein. Auch ist es nicht schwer zu verstehen, wie er entstanden ist. Sobald die bedeutungsvollen Fähigkeiten der Einbildungskraft, Verwunderung und Neugierde, in Verbindung mit einem Vermögen nachzudenken, theilweise entwickelt waren, wird der Mensch ganz von selbst gesucht haben, das was um ihn her vorgeht zu verstehen, und wird auch über seine eigene Existenz dunkel zu speculiren begonnen haben.“

    „Die Neigung bei Wilden, sich einzubilden, dass natürliche Dinge und Kräfte durch geistige oder lebende Wesen belebt seien, wird vielleicht durch eine kleine Thatsache, welche ich früher einmal beobachtet habe, erläutert. Mein Hund, ein völlig erwachsenes und sehr aufmerksames Thier, lag an einem heissen und stillen Tage auf dem Rasen; aber nicht weit von ihm bewegte ein kleiner Luftzug gelegentlich einen offenen Sonnenschirm, welchen der Hund völlig unbeachtet gelassen haben würde, wenn irgend Jemand dabei gestanden hätte. So aber knurrte und bellte der Hund wüthend jedesmal, wenn sich der Sonnenschirm leicht bewegte. Ich meine, er muss in einer schnellen und unbewussten Weise bei sich überlegt haben, dass Bewegung ohne irgendwelche offenbare Ursache die Gegenwart irgend einer fremdartigen lebendigen Kraft andeutete; und kein Fremder hatte ein Recht, sich auf seinem Territorium zu befinden.“

    „Nichtsdestoweniger sehen wir eine Art Annäherung an diesen Geisteszustand in der innigen Liebe eines Hundes zu seinem Herrn, welche mit völliger Unterordnung, etwas Furcht und vielleicht noch anderen Gefühlen vergesellschaftet ist. Das Benehmen eines Hundes, wenn er nach einer Abwesenheit zu seinem Herrn zurückkehrt, und, wie ich hinzufügen kann, eines Affen bei der Rückkehr zu seinem geliebten Wärter, ist sehr weit von Dem verschieden, was diese Thiere gegen Ihresgleichen äussern. Im letzteren Falle scheinen die Freudenbezeigungen etwas geringer zu sein, und das Gefühl der Gleichheit zeigt sich in jeder Handlung. Professor BRAUBACH geht so weit, zu behaupten, dass ein Hund zu seinem Herrn wie zu einem Gott aufblickt.“

    Lieber Herr Blume, ich will Ihnen mit diesen auszugsweisen Zitaten (die immerhin fast ein Drittel des Gesamtkapitels “Gottesglaube, Religion“ umfassen) nur zeigen, dass es völlig albern ist, Darwin als Theologen zu bezeichnen, denn vom Reich Gottes, den Evangelisten, den frühen Kirchenvätern, dem Menschensohn, dem Ostermahl, den Sakramenten, der Sintflut (außer dass er deren Existenz verneint), Adam und Eva oder der Genesis ist in diesem und auch in seinem anderen großen Werk nicht die Rede. Und deshalb sind es gerade Sie, der den Schöpfer der berühmtesten als Evolutionstheorien so verzerrt darstellt und für seine skurrilen Thesen vereinnahmt, dass er für einen Biologen oder auch Theologen nicht wieder zu erkennen ist.

    *) Dem Thema die „Rassen des Menschen“ widmet der ‚Theologe‘ Charles Darwin übrigens immerhin knapp 40 Seiten. Darin ist dann folgender typisch ‘theologischer’ Satz zu lesen:

    „Die Eskimos erstrecken sich wie andere arctische Thiere, rund um die ganze Polargegend herum.“

  21. Darwin

    @Geoman
    Bedenken Sie bitte, dass früher anders kommuniziert worden ist, eine Politische Korrektheit gab es in Bezug auf Herrschaftsstrukuren, Herrschenden und Religion, nicht aber in dieser Sache.

    Ihre Zitate belegen also nicht, das sich Darwin von seinem Theologen-Dasein entfernt hätte, also wirklich entfernt hätte.

    Schauen’S mal in ‘The Descent Of Man And Selection In Relation To Sex’ und in dbzgl. Aussagen Darwins, ‘Man as a social Animal’ etc.

    Früher war man noch ziemlich “trocken” und sachnah. 🙂

    MFG + schöne Weihnachtszeit + guten Rutsch!
    Wb

  22. @Geoman

    Danke für den humorvollen Kommentar!

    Sie vermuteten: Michael Blume bereitet es eine geradezu (spitz-bübische) Freude in jedem seiner Blogposts mindestens einmal die Formulierung der „Theologe Darwin“ zu verwenden.

    Da haben Sie völlig Recht! Ich liebe es, gerade auch die Leute zum Denken anzuregen, die ernsthaft geglaubt haben, sie wüssten schon alles! Wir Menschen können m.E. soviel erreichen, wo immer wir bereit sind, auch unsere eigenen Vorurteile – z.B. auch über Darwin – zu überwinden.

    Es kann nicht mehr lange dauern, bis ihm das nicht mehr genügt und der offenbar einzig authentische und autorisierter Darwinkenner, der gläubige Religionswissenschaftlicher Michael Blume, den ’Theologen Darwin‘ zu einem frühmodernen Kirchenvater verklären wird.

    Tja, da war ein anderer schon schneller: Der Mathematikprofessor und Jesuit Dieter Hattrup hat 2009 auf der “Evolution neu denken”-Tagung der evangelischen Akademie Villigst bereits (augenzwinkernd) zum Thema: “Haben wir richtig verstanden: Darwin als Kirchenvater?” gesprochen. Zur Tagung gibt es einen nicht leicht zu bekommenden, aber sehr lesenswerten Tagungsband, zu dem ich *hüstel* ebenfalls beitragen durfte… 😉
    http://d-nb.info/1008813958/about/html

    Danke auch für das Heraussuchen der darwinschen Tiervergleiche. Ich stimme ihm da übrigens völlig zu und wundere mich, dass Sie anderes erwarten: Vorformen bzw. Grundlagen von Religiosität können wir bereits bei Tieren beobachten. Wie sollte es auch anders sein? Habe ich schon erwähnt, dass ich auch zu diesem Themenbereich bereits gearbeitet, einen Uni-Lektürekurs angeboten, vorgetragen und publiziert habe? Auch einen NdG-Blogpost genau dazu finden Sie schon hier:
    https://scilogs.spektrum.de/…ere-gar-religi-se-gef-hle

    Übrigens lohnt es sich tatsächlich, Darwin im Original zu lesen. Wussten Sie, dass er sich nicht nur in dem von Ihnen zitierten Kapitel zur Evolution der Religion geäußert hat? Wenn Sie sich z.B. das fünfte Kapitel über die “intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen” durchlesen, werden Sie reichlich fündig werden, zum Beispiel hier:
    Viele noch jetzt existirende abergläubische Züge sind die Ueberbleibsel früherer falscher religiöser Glaubensansichten. Die höchste Form der Religion – die grossartige Idee eines Gottes, welcher die Sünde hasst und die Gerechtigkeit liebt – war während der Urzeiten unbekannt.
    http://de.wikisource.org/…ammungMensch1.djvu/235

    Das Kapitel endet dann mit dem bemerkenswerten Schlusssatz: Allem Anscheine nach ist es eine richtigere und wohlthuendere Ansicht, dass Fortschritt viel allgemeiner gewesen ist als Rückschritt, dass der Mensch, wenn auch mit langsamen und unterbrochenen Schritten, sich von einem niedrigeren Zustande zu dem höchsten jetzt in Kenntnissen, Moral und Religion von ihm erlangten erhoben hat.
    http://de.wikisource.org/…I/F%C3%BCnftes_Capitel

    Wir haben erst begonnen, den historischen Darwin wieder zu entdecken. 🙂 Bleiben Sie doch bitte dabei, machen Sie mit – es gibt noch viel zu entdecken!

  23. Immwer wieder pathetische Schlusssätze

    @Michael Blume

    Ihre gesamte Argumentation, die behauptet, dass der ‚Theologe‘ Darwin eine brillante Theorie zur Evolution der Religiosität begründet hätte, die in etwa besagt, dass sich religiöse Menschen natürlich selektiert werden, weil sie sich besser vermehren, beruht auf pathetischen Schlussätzen in Darwins Werken.

    An anderer Stelle habe ich Ihnen bereits am Beispiel des von Ihnen bemühten Fortschritts- oder Vervollkommnungsglauben gezeigt, dass dieser Glaube im Widerspruch zu Darwins elementaren Theorien und allen seinen sonstigen Ausführungen steht.

    Man muss kein großer Historiker sein, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass diese pathetischen Schlusssätze dem religiösen Zeitgeist, seinem gesellschaftlichen Status oder auch seiner frommen (von ihm innigst geliebten) Frau geschuldet sind.

    Auch in Ihrem letzten Kommentar haben Sie wieder Schlusssätze zitiert oder ergoogelt. Im Originalregister von Darwins Werk “Die Abstammung des Menschen” sind sie nämlich keiner Erwähnung wert.

    Ich will Ihnen Ihren Fehler nochmal an einem Beispiel deutlich machen. Sie rekurrieren immer wieder und mit der unbeirrbaren Überzeugung, den „historischen Darwin“ richtig verstanden oder wiederentdeckt zu haben, auf folgenden religiös anmutenden Schlusssatz aus Darwins Werk „Die Entstehung der Arten“ (1860):

    “Es ist wahrlich eine grossartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht habe,….“

    Sie haben aber offenbar keine Ahnung davon, dass er 1871 in einem Brief an den Botaniker J. D. Hooker schrieb:

    „Aber wenn (oh welch ein großes Wenn) wir es zu Stande brächten, dass in einem kleinen, warmen Teich, in welchem alle Sorten von Ammonium- und Phosphorsalzen, Licht, Wärme, Elektrizität, etc vorhanden sind, auf chemischem Wege eine Proteinverbindung entsteht, die dann noch kompliziertere Veränderungen durchlaufen könnte, dann würde eine solche Substanz heute sofort gefressen oder absorbiert werden, das wäre aber vor der Entstehung der Lebewesen nicht geschehen.“

    Kurz: Keine Spur von einem Schöpfer der dem irdischen Leben dem Keim einhaucht!

    Entsprechend empfehle ich Ihnen in dem von Ihnen angeführten Kapitel „Über die Entwicklung der inellectuuellen und moralischen Fähigkeiten der Urzeit und der civilisierten Zeiten“ nachzulesen, was Darwin so über den Vermehrungstrieb der unteren (weniger zivilisierten) und höheren Klassen dachte. Das kommt weniger ihren skurrilen Thesen als Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“-Thesen nahe.

  24. Religionsfreundliche Umdeutung?

    Hallo Michael

    Ob Darwin damit einverstanden wäre, wenn Du ihn als Theologen bezeichnest?
    Sah er doch seine Studienzeit als verschwendet an. Seine Leidenschaft war das Sammeln von Käfern, nicht das Zählen von Engeln! Und für ihn stand fest:

    „(…)I joined the Beagle as Naturalist.“

    So lange du Darwin also als Theologen bezeichnest, bezeichne ich ihn als Seemann (Cambridge 3 Jahre – Beagle 5 Jahre), Michael Schumacher als Automechaniker, Goethe als Anwalt und Dich als Finanzassistenten. 😉

    Charles Darwin behauptet gar nicht, an einen Schöpfergott und einen Fortschritt des Lebens zu glauben. Er erkennt jedoch an, dass dies eine “grossartige Ansicht” sei.

    Die “grossartige Ansicht” bezieht sich mit Sicherheit nicht auf einen Schöpfergott oder einen Fortschritt des Lebens!

    “There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed into a few forms or into one; (…)”

    Die Zurückhaltung in religiösen Fragen könnte durchaus mit dem öffentlichen Druck (“But I have long regretted that I truckled to public opinion & used Pentateuchal term of creation, (…); Darwin to J. D. Hooker-29 Mar 1863 ) und der Rücksicht auf die Familie („I may, however, have been unduly biased by the pain which it would give some members of my family, if I aided in any way direct attacks on religion.“; Darwin to E. B. Aveling -13 Oct 1880 ) zu erklären sein.

    Fest steht nur, dass er sich selbst als Agnostiker bezeichnet hat – „after all, ‚Agnostic‘ was but ‚Atheist‘ writ respectable“

  25. @Geoman

    Ui, das ist aber jemand sauer… Wie gut, dass der historische Darwin nicht Ihrer Form der Inquisition in die Hände fiel. 😉

    Es ändert aber nichts, lieber @Geoman: Die von mir zitierten Sätze stammen allesamt von Darwin selbst, jede(r) kann sie nicht nur im Internet, sondern besser noch in den Originalwerken (erhältlich in jeder guten Bibliothek und Buchhandlung) nachlesen. Und wenn Sie der Auffassung sein wollen, dass Darwin nicht wusste, was er schrieb bzw. bewusst täuschte – okay, das denken ja viele religiöse Fundamentalisten auch.

    Vielleicht aber gelingt es Ihnen aber irgendwann doch zu verstehen, dass Darwin völlig logisch argumentierte: Alle geistigen Fähigkeiten des Menschen sind evolviert und haben beobachtbare Vorläufer im Tierreich. Deswegen forschte und schrieb er bemerkenswerte Hypothesen zur Evolution von Sprache(n), Musik(en), Kunst, Ästhetik und eben auch Religion. Und er meinte, was er schrieb. Dass er jede Form des Intelligent Design ablehnte, sondern einen immanenten Evolutionsprozess des Lebens annahm, kann ich persönlich nur begrüßen – und hoffe, Sie stimmen ihm wenigstens in diesem Punkt zu.

    Hat sich Darwin auch in vielen Fragen geirrt? Selbstverständlich! Er hat nie etwas anderes behauptet, war ein empirischer Wissenschaftler und Mann seiner Zeit, vertrat den Malthusianismus und ging nicht nur von der Überlegenheit bestimmter “Rassen”, sondern auch z.B. des Menschenmannes über die Frau aus. Hier finden Sie einen Artikel von mir, in dem ich zu dem letzteren Thema arbeite und die Arbeiten seiner Zeitgenossin Antoinette Brown Blackwell dagegen stelle:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/…e.pdf

    Natürlich ist es denkbar, dass Sie, lieber @Geoman, im Gegensatz zu Darwin tatsächlich unfehlbar sind – ich bin es nicht und finde es glaubwürdig, dass auch der große Gelehrte, über den wir hier diskutieren, solches von sich nicht behauptete. Und vielleicht finden Sie ja irgendwann die Kraft, sich wirklich auf diesen bedeutenden Wissenschaftler einzulassen. Evolutionsforschung rockt, auch heute noch, wenn sie mutig und ohne Scheuklappen betrieben wird. Und Darwin lohnt im Original, auch heute noch!

  26. @itz Religionsfreundliche Umdeutung?

    „I may, however, have been unduly biased by the pain which it would give some members of my family, if I aided in any way direct attacks on religion.“
    Da muß man schon unterscheiden: vermeidet er direkte Attacken auf die Religion aus Rücksicht auf seine Familie oder schreibt er Sätze, die seinen Ansichten entgegenstehen? Letzteres tun Wissenschaftler von einiger Charakterstärke im allgemeinen nicht, ersteres schon. Es hat auf jeden Fall etwas Billiges und auch Ignorantes, derartiges zu vermuten. Soweit mir bekannt, war es auch bei anderen bedeutenderen Geistern immer falsch. Das berühmteste Beispiel ist wohl die Religiosität Kants, die Heine in einem – immerhin lustigen – Text seiner Rücksicht auf den Gemütszustand seines armen Dieners zugeschrieben hat. Wer sich auskennt, sieht aber leicht, daß so gut wie alle entsprechenden Äußerungen Kants in seinem Gedankensystem notwendig sind. Er konnte, eben weil er Aufklärer, ja „der“ Aufklärer war, nicht anders, als die Atheisten zu attackieren.

  27. @itz: Religionsfreund Darwin?

    Tja, @itz, wenn ich tatsächlich nur den Abschluss als Finanzassistenten gemacht hätte, würdest Du mir eine Selbstbezeichnung als Religionswissenschaftler kaum durchgehen lassen, oder!? Bei Darwin ist aber genau das der Fall: Er hat in seinem ganzen Leben keinen anderen Studienabschluss erworben als den eines Bachelors in anglikanischer Theologie, dafür u.a. auch klassische Sprachen und Philosophen gebüffelt sowie sich zu Paley prüfen lassen. Auch ein Seefahrerpatent hat er m.E. nicht erworben.

    Wenn Du es also jemanden vorwerfen willst, dass Darwin (nur) Theologe war, dann bitte ihm. Ich finde, er war brillant und muss sich für seine Studienwahl nicht verstecken, zumal die damalige Theologie bewundernswert interdisziplinär war! 🙂

    Übrigens, um ein paar Vorurteilen abzuhelfen: Dass Theologen auch durchaus Kirchenkritik und Glaubenszweifel haben können lässt sich auch heute z.B. in den Werken von Eugen Drewermann, Adolf Holl oder Hans Küng nachlesen. Und neulich hatte ich hier erst das ausdrücklich religionskritische Buch “Der Jesuswahn” des habilitierten Theologen Heinz-Werner Kubitza vorgestellt:
    Der Jesuswahn von Heinz-Werner Kubitza

    Was die Religionsfreundlichkeit Darwins angeht, so hat er (siehe oben) ja deutlich gemacht, dass er “nie Atheist”, aber vor allem gegen Lebensende zunehmend “Agnostiker” gewesen sei. Wenn er aber den moralischen Monotheismus als “höchste Form der Religion” lobt oder von “Fortschritt… in Kenntnissen, Moral und Religion” schreibt, so verwendet er in der Tat freundlichere Formulierungen, als ich es tun würde. Zweifelsfrei ein spannender Mann, dieser Darwin!

    Und im übrigen schließe ich mich den diesbezüglichen Ausführungen meines Vorkommentators @Ludwig Trepl einfach an. 🙂

  28. MFG

    Es ist auf jeden Fall immer wieder erfrischend zu lesen, dass jemand Religionen gut begründet gut finden kann; das ist ja relativ selten geworden. Dabei ist die Religion, wie es sich immer wieder zeigt, ein wichtiges Merkmal einer Zivilisation. Auch für Agnostiker und oft sogar für Atheisten und Antitheisten.

    Der Webbaer liest immer gerne mal bei Ihnen rein, mit Darwin liegen Sie hier sicherlich richtig, auch wenn Darwin seine Wirkung wohl kannte und ein wenig verharmloste, aber er ist nie daran interessiert gewesen gegen die Kirche vorzugehen. Am Atheismus kritisiert er zurecht dessen Aggressivität, ansonsten kann man noch etliche Zitate bringen und weiterdiskutieren…

    Was Dr. W nicht vor hat, insofern weiterhin viel Erfolg auch im neuen Jahr, denken Sie vielleicht auch noch einmal über die Religion der schnell Beleidigten nach,
    Wb

  29. Darwins finsterer Unglaube

    @ itz: Respekt bezüglich Ihres Kommentars

    @ Blume (und ggf. auch Trepl):

    Raten Sie mal von welchem berühmten und verkannten Theologen und Kirchenvater folgende ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmten finsteren (autobiografischen)Sätze stammen?:

    “Und in der Tat, ich kann es kaum begreifen, wie jemand, wer es auch sei, [vielleicht Sie Herr Blume?] wünschen könne, die christliche Lehre möge wahr sein; denn, wenn dem so ist, dann zeigt der einfache Text [der Bibel], daß die Ungläubigen, und ich müßte zu ihnen meinen Vater, meinen Bruder und nahezu alle meine besten Freunde zählen, ewige Strafe verbüßen müssen.

    Eine abscheuliche Lehre!”

    In einem selbstgewiss-erbaulich-ironisch-geschönten zuvor an mich gerichteten Kommentar bemerkte Herr Blume:

    “Wir haben erst begonnen, den historischen Darwin wieder zu entdecken. 🙂 Bleiben Sie doch bitte dabei, machen Sie mit – es gibt noch viel zu entdecken!”

    Z. B. diese finstere Bemerkung, die er gegen Ende seines Lebens machte und die seine fromme Frau Emma in der ersten Version seiner fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlichten Autobiografie unterschlug.

    Und nun lieber Herr Blume, tun Sie mir noch einen Gefallen und lassen den wackeren Darwin in Frieden ruhen, damit er sich nicht ständig wegen Ihrer verzerrten Vereinnahmung seines Lebenswerkes im Grabe herumdrehen muss!

  30. @Geoman

    Haben Sie wirklich gedacht, ich würde diese Aussagen Darwins nicht kennen? Sie stammen aus der Autobiografie Darwins und sind eine scharfe Absage an den noch zu seinen Zeiten vorherrschenden, sog. “Heilsexklusivismus”, nach dem nur Christen (der jeweiligen Glaubensrichtung) ins Paradies kommen könnten.

    Ganz unter uns: Auch hier gebe ich Darwin Recht und will nicht hoffen, dass “diese Lehre” wahr sei – sie würde im übrigen auch große Teile meiner Familie und meines Freundes- und Kollegenkreises betreffen. Und wird von den großen Kirchen auch so längst nicht mehr vertreten. Auch hier also äußert sich Darwin als lesenswerter Theologe!

    Ich kann mich nur wiederholen, lieber @Geoman: Die differenzierte Auseinandersetzung mit Darwin und seinem Lebenswerk lohnt sehr! Genau das wollte er, dafür hat er ja seine Werke und auch seine Autobiografie geschrieben! Nicht dafür, dass man sie ignoriert und einen “Darwinismus” erfindet, der ihn verleugnet. 🙂 Und da Sie sich, sympathischerweise, sogar um Darwins Seelenfrieden im Jenseits sorgen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich wirklich (und über Google hinaus) mit ihm zu beschäftigen! 🙂

  31. @Webbär

    Vielen Dank für die freundliche und ermutigende Rückmeldung!

    Mir fällt auch immer wieder auf, dass man die wirklich interessanten Gesprächspartner nicht daran unterscheiden kann, ob sie nun Theisten, Agnostiker oder Atheisten seien, sondern ob sie auch mal über sich selber schmunzeln und dazulernen können – oder ausfallend werden. Danke, dass Sie hier etwas freundlichen Humor rein bringen, das tut NdG sicher gut. 🙂

  32. @ Michael Blume: Darwin Theologe?

    Zitate, wie sie @Geoman als Beleg für die religionsfeindliche Haltung Darwins bringt („abscheuliche Lehre“), findet man bei Denkern, deren ganzes Werk explizit in der Verteidigung des Christentums bestand, ebenfalls, und zwar in ähnlich scharfem Ton, z. B. bei Herder. Das sagt also über eine religionsfeindliche oder eine dem Christentum feindliche Haltung gar nichts.

    Dennoch, „Theologe Darwin“ ist zumindest schief. Natürlich hat die differenzierte Haltung Darwins in Fragen der Religion damit zu tun, daß er auch ein geisteswissenschaftliches Fach studiert hat. Es hätte aber nicht Theologie sein müssen; ich kann in keinem der im Artikel und in den Kommentaren zitierten Sätze einen Hinweis darauf entdecken, daß das nötig gewesen wäre. Was er schreibt, war unter aufgeklärten und einigermaßen philosophisch gebildeten Leuten seiner Zeit üblich – auch wenn eine atheistische Haltung damals nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Denkwelt des englischen Liberalismus bereits möglich war und vorkam. Sie war aber selten, und der Grund war weniger der Einfluß überkommener irrationaler Lehren, sondern vor allem das für aufgeklärte Menschen damals weithin selbstverständliche Wissen, daß ein Atheismus so wenig beweisbar ist wie das Gegenteil – weder auf den Wegen der Metaphysik noch mit den Mitteln empirischer Wissenschaft –, daß es sich also beim Atheismus sozusagen auch nur um eine dogmatische Religion (mit umgekehrtem Vorzeichen) handelt.

    Darum blieb nur der Agnostizismus: Man kann über diese Dinge nichts wissen. Das heißt aber nicht, daß man auf diesem Gebiet nichts (mit vernünftigen Gründen) glauben kann. Eben dieser Unterschied zwischen objektivem Wissen und (begründeter) subjektiver Gewißheit war im späten 18. Jahrhundert ins Bewußtsein gerückt, und Darwin scheint er klar gewesen zu sein. Darum konnte er sich Agnostiker nennen und zugleich zumindest Sympathien hegen z. B. für die Vorstellung eines Schöpfergottes.

  33. Gummi-Theologische Weltanschauuung

    @ Michael Blume,

    langsam wird’s peinlich, nicht nur dass Sie zum Gummi-Theologen mutieren, sondern auch noch darauf bestehen, dass ein ausgewiesener Naturalist und ausdrücklicher Ablehner des Eingriffs überirdischer Akteure ein lesenswerter Theologe ist.

    Im Verlauf dieser Diskussion haben Sie bezüglich der Frage, ob Darwin an Gott glaubte, immer dickere Kröten schlucken müssen. Sie erinnern mich dabei an eine Schlange, die sich die Kiefer ausrenkt, um auch noch die fetteste Kröte, die ihr hingeworfen wird, verdauen zu können. Soll heißen, Sie blähen Ihr Weltanschauungsgebäude zu einem dermaßen unförmigen Konstrukt auf, dass für Sie auch noch der größte Kirchenhasser zu einem lesenswert-bekömmlichen Theologen und Kirchenvater vereinnahmt werden kann.

    Fassen wir noch mal zusammen: Für Ihre persönliche Weltanschauung, die eine seltsame Melange aus theistischen und naturalistischen Zutaten ist, ist es notwendig, sich auf einen großen evolutionstheosophischen Gründervater berufen zu können. Deshalb müssen Sie ignorieren, dass aus dem studierten Naturtheologen Charles Darwin im Laufe seines Lebens ein bekennender Naturalist wurde, der das Christentum als abscheuliche Lehre bezeichnete.

    Nachbemerkung I: Wenn Sie die Stelle aus Darwins Autobiografie kannten, in der er das Christentum als abscheuliche Lehre bezeichnete, dann haben Sie diese Stelle doch sicherlich nicht Ihren Lesern vorenthalten und Sie in einem Ihrer Werke zitiert, oder?

    Nachbemerkung II: Für meine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Darwin ist übrigens ziemlich gleichgültig, ob er Theist, Atheist oder Agnostiker ist. Ich interessiere mich und setze mich im Unterschied zu Ihnen kritisch mit seinen naturwissenschaftlichen Theorien auseinander und vereinnahme ihn nicht für meine Weltanschauung.

    Geoman

  34. @Ludwig Trepl

    Ob Darwin nur als Theologe die Evolutionstheorie hätte entdecken und formulieren können? Spannende Frage…

    Aber ich würde doch einschätzen: Nein. Sein Mitentdecker Alfred Russel Wallace war ja z.B. “lediglich” gelernter Landvermesser (und blieb sinnigerweise lebenslang glaubender Christ) und kam dennoch zu den fast identischen Schlüssen und Begriffen. Ich würde sagen, dass die Evolutionstheorie zu Zeiten Darwins bereits “in der Luft lag”, d.h. empirisch gut vorbereitet war. Gerade aber die Breite von Darwins theologisch-empirischer Ausbildung und seine Interessen dürfte doch dazu beigetragen haben, dass Darwin sie für die Erkundung nicht nur biologischer, sondern auch kultureller und geistiger Phänomene nutzbar machte. Und da er nun einmal “nur” studierter Theologe war, plädiere ich dafür, das auch nicht nachträglich verschämt weg zu retuschieren. Dass dieser Tatsachenhinweis massive Emotionen und Widerstände auslöst spricht ja m.E. dafür, dass auch heute nur wenige so gelassen und offen damit umgehen können wie Sie.

  35. @Geoman

    Man hatte mich ja schon “gewarnt”, dass Sie in Diskussionen grundsätzlich persönlich ausfallend werden würden. Tja, Vorhersage eingetroffen. Erst halten Sie Darwin vor, dass er angeblich nicht wusste, was er so schrieb und nun beschimpfen Sie mich als “Gummi-Theologen” und “Schlange”. Abgesehen von der Frage nach der Kinderstube – glauben Sie ernsthaft, mit solchen Ausfällen tun Sie sich und Ihren Argumenten einen Gefallen? Ich finde, sie sprechen für sich…

    Erlauben Sie mir dennoch noch einmal freundlich auf Ihre Einwände einzugehen.

    1. Ich betätige mich nicht als “Gummi-Theologe”, sondern nehme Darwin lediglich als der Theologe ernst, der er nun einmal war. Und das heißt eben auch, genauer hinzuschauen, was er so alles im Bezug auf Religion(en) geschrieben hat und nicht nur oberflächlich drauf zu schauen.

    2. Wie kommen Sie darauf, dass ich aus Darwin nachträglich einen Theisten machen wollte? Oben habe ich doch ausdrücklich und in Fettschrift seine Selbstaussage von 1879 zitiert, nach der er auch gegen Lebensende “nie ein Atheist”, sondern “Agnostiker” gewesen sei. Wenn ich mich nur für evolutionäre Theisten interessieren würde hätte ich mit Asa Gray, Charles Kingsley, Alfred Russel Wallace, Antoinette Brown Blackwell, später Teilhard de Chardin, Theodosius Dobzhansky usw. usf. doch mehr als genug Beispiele. Wie Sie aber in der Spalte rechts sehen können, habe ich bislang eigene Kategorien nur zwei evolutionären Agnostikern gewidmet, die zur Evolution der Religion gearbeitet haben: Charles Darwin und Friedrich August von Hayek. Und beispielsweise meine letzten, lobenden Buchrezensionen zu zwei evolutionären Atheisten – Greg Graffin und Jesse Bering – gemacht. Mich interessiert die empirische Religionsforschung, zu der freilich die Vorsicht gegenüber allen groben Umdeutungen und Vereinfachungen gehört.

    3. Bevor diese Diskussion hier anfing, hielten Sie nach eigenem Bekunden Darwin noch für einen Atheisten, wussten nichts von seinem Theologiestudium und seinen evolutionären Hypothesen zur Religion, glaubten, dass er die Tiervergleiche höhnisch gemeint habe usw. Umgekehrt hat mich z.B. das von Ihnen gefundene Schlupfwesen-Zitat zur Theodizee-Frage gefreut. Der Sinn wissenschaftlicher Diskussionen besteht doch nicht in der Beleidigung Anderer, sondern darin, dass am Ende alle Beteiligten ein wenig schlauer geworden sind. Und da kann es doch nur von Vorteil sein, wenn nicht alle von vornherein geschlossen einer Meinung sind, oder!?

    Sie haben sicher Verständnis, dass ich meine knappe Zeit ungerne für Gesprächspartner aufwenden möchte, die allzu persönlich ausfallend werden. Da ich Sie eigentlich für eine recht intelligente Person halte, würde ich es begrüßen, wenn Sie sich hier um ein angemessenes Diskussionsverhalten bemühen würden. Ansonsten müßte ich Sie leider ignorieren oder löschen, wie es ja schon verschiedene andere Wissenschaftsblogger mit Ihnen halten. Ich fände das schade, zumal wir uns ja in echt noch nie begegnet sind.

  36. @Michael Blume @ Ludwig Trepl

    „Ob Darwin nur als Theologe die Evolutionstheorie hätte entdecken und formulieren können? Spannende Frage…“
    Die Frage sollte man differenzieren:
    „Nur“ als Theologe hätte es nicht gekonnt; er hätte ja die Arten gar nicht bestimmen können, die er untersucht hat. Gemeint ist sicher: Hätte er es gekonnt, wenn sein Denken ganz von der Theologie bestimmt gewesen wäre? Und da muß man wieder differenzieren:
    Bestimmt von „der “ Theologie: Ja.
    Von der damaligen Theologie: Da muß man wieder differenzieren:
    Von der orthodoxen Theologie (jeder Konfession): Nein, denn deren Dogmen haben ja bereits die vor-darwinschen Nachweise der stammesgeschichtlichen Entwicklung, auf die Darwin aufbaute, zerstört
    Von der in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in England noch einflußreichen Physikotheologie: Nein, denn die war mit Darwins eigener Evolutions-, insbesondere Selektionstheorie unvereinbar und ist von ihr endgültig zerstört worden.
    Von romantischen Theologien etwa im Gefolge von Schleiermacher: Theoretisch vereinbar wäre das vielleicht, aber dann hätte er sich nicht mit so was befaßt.
    Von der Aufklärungstheologie etwa im Gefolge von Kant (war ja damals recht einflußreich): Ja.
    Es mag noch mehr geben. Interessanter aber finde ich folgende Frage: Nicht, ob die Darwinsche Theorie vereinbar ist mit Religion überhaupt im Sinne eines Glaubens an „überempirische Akteure“, sondern ob die spezielle Weltsicht Darwins, die des Liberalismus (und bekanntlich ist der Darwinismus ja der [die] in die Natur projizierte [liberale Deutung des] Konkurrenzkapitalismus, hat schon F. Engels gesagt), einem irgendwie in den Bahnen der christlichen Lehre denkenden Menschen damals einleuchtend erschienen wäre. Ich halte das für schwer beantwortbar.
    Einerseits gibt es ja vor allem in den USA christliche Richtungen, die mit dem Liberalismus alles andere als inkompatibel zu sein scheinen. Andererseits ist der Liberalismus in seiner Grundstruktur das genaue Gegenteil dessen, was von Anfang an die Grundstruktur der christlichen Lehre war; man denke etwa an den liberalen Individuumsbegriff, die liberalen Vorstellungen des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die gänzliche Irrelevanz von Moral usw. (Man lese eine beliebige Rede des jetzigen, vorigen oder eines früheren Papstes oder eines lutherischen Würdenträgers: der Liberalismus ist immer der Feind schlechthin.) So gesehen ist man eher geneigt, die liberalen amerikanischen Strömungen aus dem Christentum hinauszudefinieren als zu sagen, daß das Christentum auch diese übergreift.
    Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: hätte jemandem mit einem christlichen Weltbild (und sei es ein völlig säkularisiertes, wo etwa „Natur“ oder „Geschichte“ den Ort von „Gott“ einnimmt) die Darwin’sche Heuristik zur Verfügung gestanden? Solche Weltbilder liefern ja, auf der methodologischen Ebene, Heuristiken für die Hypothesenbildung. Hätte also eine Heuristik zur Verfügung gestanden, die die lebende Natur als ein Kampf- und Konkurrenzgeschehen, in dem immerfort Neues entsteht und in dem die Zukunft radikal offen ist, es in keinem Sinne auf ein Ziel zugeht, zu sehen erlaubt bzw. nötigt? Das scheint mir sehr unwahrscheinlich.
    Also: die Frage, ob ein Mensch religiös oder auch irgendwie christlich sein kann und zugleich Evolutionsbiologe, also jemand, der sich an die Regeln von Naturwissenschaft hält, sollte man strikt von der Frage trennen, was ein bestimmtes Weltbild, das liberale, das sich (natürlich) aus dem Christentum heraus entwickelt hat, aber in systematischer Gegnerschaft zu seiner Grundstruktur, heuristisch im Falle von Darwin geleistet hat.

  37. @Ludwig Trepl

    Toll, wie tief Sie einsteigen! Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie ja Naturwissenschaftler – mit einem offenbar besonderen Interesse an Ideengeschichte. Finde ich klasse!

    Zu dem Thema habe ich noch keine fertige Meinung, erstmal nur Annahmen: Notwendig kann christliche Theologie m.E. für die Entdeckung der Evolution allenfalls indirekt gewesen sein – auch der Landvermesser Alfred Russel Wallace entdeckte sie ja. Allerdings stützten sich sowohl er wie Darwin dabei wiederum auf die Arbeiten von Thomas Robert Malthus, der Theologe und Landpfarrer gewesen war.

    Über die Rezeption der antiken Klassiker wie Aristoteles (Darwin hatte dafür extra Griechisch gelernt!), aber auch Arbeiten von Thomas von Aquin (Vorstellungen von einem geordneten Universum, dem “Buch der Natur” etc.) und natürlich der Begründung von Universitäten wie schließlich auch den protestantischen Lese- und Bildungsidealen sehe ich schon förderliche Einflüsse des Christentums auf die Entwicklung der empirischen Wissenschaften gerade auch in Großbritannien. Man kann auch argumentieren, dass schon Paleys “natürliche Theologie” (über die Darwin geprüft wurde) insofern empirisch angelegt war, als sie geradezu nach Falsifikation schrie. Und die Traditionen z.B. katholischer Inquisition waren gerade im Anglikanismus schwach ausgeprägt, wo man sich der Freiheiten und Leistungen z.B. eines Newtons rühmte. Theoretisch halte ich es zwar für möglich, dass die Evolutionstheorie früher oder später auch in anderen (z.B. islamischen oder chinesischen) Kontexten entdeckt worden wäre, aber die wirtschaftliche und wissenschaftliche Blüte im christlichen (und besonders protestantischen) Europa ist ja nicht von der Hand zu weisen.

    Im Sommer hatte ich hier ein lesenswertes Buch von Eckart Roloff über Geistliche in Wissenschaft & Technik rezensiert – “Göttliche Geistesblitze”. Es könnte für Ihre Überlegungen ziemlich spannend sein.
    https://scilogs.spektrum.de/…chichte-von-eckart-roloff

    Beste Grüße!

  38. Abwendung von der biblischen Lehre

    Die Frage ob, ein (gläubiger) Naturtheologe eine Evolutionstheorie hätte entdecken können, ist ganz einfach mit nein zu beantworten.

    Die Bibel sieht einen oder mehrere Schöpfungsakte für Lebewesen/Arten vor. Das widerspricht dem Evolutionsgedanken diamentral.Darwin macht an unzähligen Stellen/Beispielen in seinem Werk deutlich, dass Schöpfungsakte unsinnig sind.

    Die Entdeckung der Evolution setzt folglich eine Abwendung von der biblischen Lehre bzw. die Negierung eines biblischen Schöpfergottes voraus.

  39. Geoman Abwendung von der biblischen Lehr

    Ja natürlich, aber nicht jeder „Naturtheologe“ muß diese Aussagen der Bibel zu den Schöpfungsakten für richtig halten. Die Theologen-Szene war auch damals differenzierter. Für die vor allem unter den britischen Naturforschern verbreitete Physikotheologie war die Bibel eher egal, wichtig war, daß man im „Buch der Natur“ Gottes Willen lesen konnte – was mit der Darwin’schen Theorie selbstverständlich völlig unverträglich war. Für die in der Aufklärung verbreitete natürliche oder Vernunfttheologie gar waren die biblischen Aussagen ohnehin nur alte Geschichten, brauchbar bzw. wahr im wesentlichen nur in den Teilen, die vernünftige moralische Lehren enthalten. Ein grundsätzliches Argument gegen den Gedanken der Evolution hätte sich in dieser Theologie kaum finden lassen. Für die im 19. Jahrhundert sehr einflußreichen romantischen Theologien ist der Satz Schleiermachers typisch: „Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern der welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte.“ – Man darf jedenfalls, wenn man nach dem (möglichen) Verhältnis von Darwin und Theologie fragt, nicht glauben, Theologie sei das, was die Sätze der Bibel für wahr hält.

    Was – ich bin mir da nicht ganz sicher – den für das Christentum (nicht unbedingt der “Theologie”, auf die hat das Christentum kein Monopol) insgesamt typischen Auffassungen widerstrebt, ist nicht der Evolutionsgedanke, sondern das dem Liberalismus entnommene Naturbild; ich habe es oben angedeutet.

  40. @Michael Blume

    „Zu dem Thema habe ich noch keine fertige Meinung, erstmal nur Annahmen: Notwendig kann christliche Theologie m.E. für die Entdeckung der Evolution allenfalls indirekt gewesen sein – auch der Landvermesser Alfred Russel Wallace entdeckte sie ja.“

    Es gibt Theorien, nach denen die christlichen Vorstellungen von Anfang und Ende der Welt notwendig waren für die Historisierung des Weltverständnisses insgesamt (insbesondere gegen griechische Kreislauf-Vorstellungen), aber das war allenfalls eine sehr indirekte Vorbedingung für biologische Evolutionstheorien. Die seit etwa 1800 vorherrschenden Ideen vom lebenden Organismus als eines notwendig sich ständig verändernden Systems (was radikal von vorherigen Vorstellungen von „Lebewesen“ abwich, dazu siehe vor allem Foucault, Ordnung der Dinge) sind sicher ebenfalls Vorbedingungen gewesen; sie leiten sich vor allem von Leibniz’ Monadologie her (dazu vor allem die Dissertation von Tobias Cheung, Campus-Verlag), und die ist ja eine philosophische Formulierung der christlichen Grundvorstellungen vom Wesen der Welt.

    Das spezifisch Darwin’sche allerdings, die Selektionstheorie und die gesamte dazugehörige Vorstellung von der lebenden Natur als eines in die Zukunft völlig offenen Systems konkurrierender Einzelner, entspricht, wie gesagt, dem Weltbild des Liberalismus und ist insofern ausgesprochen antichristlich. (Auch wenn die Ideengeschichtler den Liberalismus überzeugend vom mittelalterlichen Nominalismus, also von einer Überhöhung des Gedankens von Gottes Allmacht herleiten: das ist ins dezidiert Antichristliche umgeschlagen.)

    Es bringt bei solchen Fragen nicht viel, wenn man nach Personen fragt, ihrer Stellung zur Kirche, ihrer Frömmigkeit usw., man muß nach den Strukturen der Theorien und der Weltsicht fragen. Ob Russel oder gar Darwin religiös waren, ist relativ uninteressant. Nicht nur, weil es Arten von Religiosität geben könnte, die sich mit der Theoriestruktur des Darwinismus vertragen: Es gehen ja oft Risse durch Personen. Gerade in der angelsächsischen Kultur – anderswo weniger – ist es sehr verbreitet, daß jemand in der Wissenschaft strikt empiristisch denkt und privat religiös ist. Gedeckt ist das durch das liberale Credo, daß Religion Privatsache zu sein hat, und die dem Liberalismus-Empirismus von der frühen Neuzeit an eigene Grundtendenz, daß Religion nicht etwa widerlegt werden muß, sondern daß sie einfach unnötig ist. Dann kann man sie aber halt auch haben, als privaten Luxus sozusagen.

  41. Abstruse Ursprungsprobleme

    @ Michael Blume schrieb:

    “sondern nehme Darwin lediglich als der Theologe ernst, der er nun einmal war.”

    Darwin als Theologen ernst zu nehmen, heißt, dass er im Laufe seines Lebens nicht nur dem christlichen Dogma abgeschworen, sondern auch jeglichen Glauben an einen personalen Gott aufgegeben hatte.

    “Wie kommen Sie darauf, dass ich aus Darwin nachträglich einen Theisten machen wollte? Oben habe ich doch ausdrücklich und in Fettschrift seine Selbstaussage von 1879 zitiert, nach der er auch gegen Lebensende “nie ein Atheist”, sondern “Agnostiker” gewesen sei.

    Darwin kommentierte die Frage nach der Geburt des Universums und dem letztendlichen Ursprung des Lebens in seiner Autobiografie wie folgt: “Ich darf mir nicht anmaßen, auch nur das geringste Lichte auf solche abstrusen Probleme zu werfen. Das Geheimnis des Anfangs aller Dinge ist für uns unlösbar; und ich für meinen Teil muß mich bescheiden, ein Agnostiker zu bleiben”. Darwin war froh, dass es diesen Begriff gab, den sein Freund Huxley geprägt hatte, denn der Begriff Atheist erschien ihm zu agressiv und selbstherrlich. Die beiden Begriffe unterscheiden sich daher nicht substanziell, sondern nur geschmacklich. Jeder reflektierte oder bescheidene Atheist ist im Grunde auch ein Agnostiker.

    “Bevor diese Diskussion hier anfing, hielten Sie nach eigenem Bekunden Darwin noch für einen Atheisten, wussten nichts von seinem Theologiestudium und seinen evolutionären Hypothesen zur Religion, glaubten, dass er die Tiervergleiche höhnisch gemeint habe usw. Umgekehrt hat mich z.B. das von Ihnen gefundene Schlupfwesen-Zitat zur Theodizee-Frage gefreut.”

    Die Theodizee-Frage, die sie so erfreut, hatte Darwin für sich eindeutig gelöst. Es gibt für ihn keinen Gott und keinen intelligenten Planer. Er schrieb in seiner Autobiografie im Kapitel “Religious Belief”: “In der Variabilität der organischen Wesen und in der Wirkungsweise der natürlichen Zuchtwahl scheint mir nicht mehr Zweckmäßigkeit zu liegen als in der Richtung, aus der der Wind weht.”

    Resümee: Darwin selbst hat die Frage, ob sich seine Evolutionstheorie mit einem irgendwie gearteten Gottes- oder Ursprungsglauben verbinden lässt, am Ende seines Lebens für sich persönlich negativ entschieden, aber allgemein als absurd-abstruses Problem gemieden oder ausgeklammert.

    PS: Wer von uns beiden mehr über Darwin und seine Biografie weiß, sollten – im Fall, dass die Frage für Sie von Bedeutung ist – die Tribüne dieser Arena bzw. die Leser entscheiden.

  42. Ein Kommentar ohne jede Relevanz

    Drei Beiträge zur Kunst des identischen Reimes:

    1.) Präsens:
    Darwin ist Darwinist.

    2.) Imperfekt (is’ ja tot, der gute) und Persistenz der Wahrheit:
    Darwin war. Darwin wahr!

    3.) Morbides Mus: “Charles Darwin’s body lies a-mouldering in his grave..”
    Darwinismus? Darwin is’ Mus!

  43. @Ludwig Trepl: Liberalismus

    Hmm, ich würde da – mit de Tocqueville und von Hayek – doch sehr zwischen dem kontinental-religionsfeindlichen Liberalismus (der sich u.a. in Frankreich gegen die katholische Kirche durchsetzen musste) und dem angelsächsich-religionsfreundlichen Liberalismus (der sich mit protestantisch-pietistischem Gedankengut verband) unterscheiden. Es ist m.E. kein Zufall, dass die Evolutionstheorie in protestantischen Kontexten entdeckt wurde, dort aber auch wiederum besonders heftig “dezentral” attackiert wird. Der Gedanke aus Wettbewerb und Vielfalt findet sich – ausdrücklich auch im Bezug auf die Religionen und als Begründung von Religionsfreiheit! – bereits bei Adam Smith, der Liberalismus und evolutionäres Denken entscheidend vorgeprägt hat. Aber auch im jüdischen Talmud und dem Koran findet sich das Wettbewerbskonzept – mit Bezug auf religiöse Traditionen – bereits.

  44. @Geoman

    Sehen Sie – sachlich geht doch! Und macht doch auch viel mehr Spaß und Sinn! 🙂

    M.E. scheint uns fast nur noch das Mißverständnis zu trennen, dass es sich bei Theologen grundsätzlich um Glaubende handeln müsse. Aber viele Theologen haben ihren überlieferten Glauben verloren und sind zu neuen, bisweilen agnostischen und atheistischen Ufern aufgebrochen. Das Theologiestudium gilt vielfach sogar als eigene Form der Glaubensprüfung. Ich darf noch einmal auf Beispiele wie Eugen Drewermann oder den auf NdG rezensierten, religions- und kirchenkritischen Heinz-Werner Kubitza hinweisen. Oder auch auf Giordano Bruno. Und eben Charles Darwin.

    Und lassen Sie es mich klar sagen: Ich stimme Darwin absolut zu, dass viele wichtige Fragen metaphysischer Art und es “abstrus” ist, sie empirisch beantworten zu wollen. “Gottesbeweise” halte ich z.B. für ebenso fragwürdig wie ich es für unmöglich halte, die “Existenz” von Menschenrechten empirisch zu beweisen. Wir können allenfalls erforschen, wie sich der jeweilige Glauben bzw. Nichtglauben auswirkt. Und ich bin z.B. sehr froh, dass Menschen an Menschenrechte “glauben” und teilweise für sie sogar ihr Leben riskier(t)en. Ich glaube auch an deren “Existenz”, obwohl mir völlig klar ist, dass dies empirisch unbeweisbar, ja noch nicht einmal eine abschließende Definition möglich ist.

    Sie bemerken zu Recht: Darwin selbst hat die Frage, ob sich seine Evolutionstheorie mit einem irgendwie gearteten Gottes- oder Ursprungsglauben verbinden lässt, am Ende seines Lebens für sich persönlich negativ entschieden, aber allgemein als absurd-abstruses Problem gemieden oder ausgeklammert. – und genau darin sehe ich eine seiner Leistungen: Klar unterscheiden zu können zwischen der je eigenen persönlichen Glaubenshaltung (und die anderer respektieren zu können) einerseits und empirischen Fragestellungen andererseits. Wer Gott oder Menschenrechte im Labor sucht, hat auch Darwin nicht verstanden. Und wer meint, seinen persönlichen (Nicht-)Glauben zum Maßstab für alle anderen machen zu müssen, auch nicht. Und schließlich erkannte Darwin auch, dass Religiosität in der Evolution des Menschen als insgesamt erfolgreiches Merkmal entstanden ist – bevorzugte also empirische Befunde und evolutionäre Logik auch über seine persönlichen Vorlieben.

    Wären doch nur mehr heutige Darwinisten so reflektiert wie schon Darwin selbst es war!!! Das genau ist das Anliegen (auch) dieses Blogposts und dieser Diskussion.

  45. @ Blume

    Der Vorteil der Poesie liegt nämlich darin, dass man als Poet, selbst wenn man sich keinen Reim auf die Welt machen kann, sich immer noch einen Reim darauf machen kann. Ja, ich würde geradezu sagen: die Ungereimtheit des Seins ist die Voraussetzung für das Sein des Gereimten. Denn der Poet (ihm ist bekanntlich nichts zu blöd) arbeitet sich daran ab. An den Ungereimtheiten.

    (Lob auf traurige Lyriker, sagen wir zettBe mal: Hofmannsthal und Platen, meine momentanen Lieblinge. Der Reim ist übrigens ein sogenannter “Krüppelschüttel”, was für Feinschmecker..)

    “Den Dichtern, gross, im Ruhm geeint
    erschien die Welt meist ungereimt.”

    (Sagte ich schon, dass mir langweilig ist?)

  46. Erschreckende naturwissens. Erkenntnisse

    @ Michael Blume schrieb:

    M.E. scheint uns fast nur noch das Mißverständnis zu trennen, dass es sich bei Theologen grundsätzlich um Glaubende handeln müsse. Aber viele Theologen haben ihren überlieferten Glauben verloren und sind zu neuen, bisweilen agnostischen und atheistischen Ufern aufgebrochen.

    Das Missverständnis, dass uns noch trennt, besteht vor allem darin, dass ich weiterhin der Auffassung bin, dass Sie gewollt oder ungewollt Missverständnisse über Darwin verbreiten, wenn Sie Darwin als Theologen bezeichnen und dies mit einigen dem (erbosten) Zeitgeist geschuldeten theistischen Schlussformeln aus seinen Werken würzen.

    Erst durch die Kommentare hier wurden diese Missverständnisse zurechtgerückt. Darwin hat (außer in seinem kurzen Studium) nie theologisch gearbeitet, das Christentum verabscheut und durch seine erschreckenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse eine der größten Krisen der christlichen Lehre ausgelöst:

    Wenn Menschen und Affen einen gemeinsamen Vorfahren haben, gibt es dann eine gottgewollte Bestimmung des Menschen, ein Seele, ein Leben nach dem Tod etc.??? Hier stand Darwins unübersehbarer Materialismus nahezu unversönlich gegen viktorianischen Theismus.

    Über diese gravierende Begleiterscheinungen von Darwins Ideen wird heute allzu leicht – und offenbar auch von Ihnen – hinweggesehen.

  47. @Geoman

    Es kann ja sein, dass Sie naturwissenschaftliche Erkenntnisse “erschreckend” finden oder denken, andere müssten das tun – ich tat und tue das nicht. Und schon zu Zeiten Darwins hatten auch bekennende Theisten wie Alfred Russel Wallace, Charles Kingsley, Asa Gray u.v.m. mit der Evolutionstheorie kein Problem. Umgekehrt schufen auch erklärte Atheisten aus ideologischen Gründen nichtempirische “Biologien”, z.B. den Lyssenkoismus. Gerne mache ich dazu auch einmal einen Blogpost.

    Dass Darwin (nur) einen Abschluss in Theologie erhielt ist nun einmal Fakt – ebenso, dass er gerade auch bei Lehrern lernte, die Theologie(n) mit empirischen Forschungen verknüpfte. Und wie oft, differenziert und vielfältig er sich zu Religion(en) äußerte, ist ja auch deutlich geworden. Sie können doch nicht einerseits den Vorwurf erheben, dass ich seine vielfältigen Aussagen zu Religion(en) zitiere, und andererseits behaupten, er habe zu diesen Themen nichts Relevantes geschrieben…

  48. Paradigmenwechsel nicht Kontinuum

    Fast alle Naturforscher hatten damals Theologie studiert oder waren insoweit Theologen als sie physiko-theologischen Denkfiguren anhingen. Der studierte Theologe Darwin hatte mit der physiko-theologischen Tradition bzw. Interpretation der Welt radikal gebrochen. Ihre kesse Formulierung „der Theologe Darwin“ lenkt davon ab und täuscht dort, wo es einen radikalen Paradigmenwechsel gab – ein Kontinuum vor.

    Die Formulierung macht bestenfalls Sinn, wenn Sie damit ausdrücken wollen, dass Darwin durch seine damals erschreckenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nebenbei einer neuen Theologierichtung zu einer allerdings sehr schweren und sich über Jahrzehnte hinziehenden Geburt verholfen hat; eine Theologierichtung, in der sich Gläubige – so wie Sie heute – vor Darwin sicher fühlen können, nämlich die theistische Evolution. Aber das meinen Sie nicht, wenn Sie vom ‚Theologen Darwin‘ sprechen.

    Im Übrigen habe ich nicht behauptet oder kritisiert, dass Sie Darwins “vielfältige Aussagen” zur Religion zitieren, sondern dass Sie in ihren Beiträgen einseitig theistische Aussagen von Darwin zitieren, ohne ihren gesellschaftshistorischen Hintergrund zu berücksichtigen.

  49. @Geoman

    Doch, jetzt haben Sie mein Anliegen ganz gut erfasst. Mir geht es um evolutionäre und empirische Forschung, die ich von metaphysischen Fragen (wie der Existenz von Gott, Menschenrechten usw.) durchaus unterschieden sehe. (Wenn mich die primär interessiert hätten, hätte ich ja Theologie studieren können. Das habe ich aber bewusst nicht getan.) Darwin hat entscheidend dazu beigetragen, sowohl diese Forschungen zu befördern wie auch festgefahrene Dogmatiken aufzubrechen (wie z.B. nach ihm auch noch andere Theologen-Naturforscher z.B. Teilhard de Chardin). An Darwin lohnt es auch heute noch anzuknüpfen – vor allem aus empirischer, aber gerne auch aus atheistischer, agnostischer oder theistischer Perspektive. Vor empirischer Wissenschaft und Evolutionsforschung sowie der vielschichtigen Persönlichkeit dieses großen Gelehrten braucht m.E. niemand Angst zu haben oder zu “erschrecken”. Zuletzt noch einmal der Hinweis, dass ich oben ausdrücklich und in Fettdruck die Selbstauskunft Darwins als “Agnostiker” zitiert habe. Wie Sie immer wieder darauf kommen, ich würde Darwin als Theisten präsentieren, wird wohl das Geheimnis Ihrer ganz persönlichen Wahrnehmung bleiben… 😉

  50. Religionswissenschaftlicher aus Freude

    @ Michael Blume

    “Mir geht es um evolutionäre und empirische Forschung, die ich von metaphysischen Fragen (wie der Existenz von Gott, Menschenrechten usw.) durchaus unterschieden sehe.”

    Ihr politik- und religionswissenschaftliches Studium (‘Religionswissenschaftler aus Freude’) qualifiziert Sie nicht gerade für empirisch-evolutionäre Forschung.

  51. @Geoman

    Aber natürlich tut es das. Nur kein Neid.

    1. Schon die größten Klassiker der Religionswissenschaft wie Friedrich Max Müller, E.B. Tylor, Emile Durkheim, Max Weber, James Frazer, Mircea Eliade etc. forschten im Rahmen der Evolutionstheorie. Und es ist der Religionswissenschaft m.E. gar nicht gut bekommen, davon abzulassen. Wenn die Evolutionstheorie zutrifft, ist auch die Entwicklung von Religiosität und Religionen in ihrem Rahmen empirisch erforschbar.

    2. Die auch schon von Charles Darwin (s. oben) betriebene Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen ist nur interdisziplinär möglich. Man kann ja auch die Evolution der Musik, Sprache etc. nicht ohne Musik-, Sprach-(etc.)wissenschaftler erforschen.

    3. Über mangelnde Resonanz aus dem In- und Ausland kann ich mich nun wahrlich nicht beklagen. Sie können gerne mal googeln, was sich z.B. so in Dialog und Zusammenarbeit mit David Sloan Wilson, Susan Blackmore, Jesse Bering u.v.m. ergeben hat. Und Richard Dawkins hat sich gar geärgert. 😉

    4. Charles Darwin hatte übrigens nicht einmal Religionswissenschaft, sondern nur Theologie studiert – und war dennoch ein recht erfolgreicher Evolutionsforscher. Nicht wahr!? 😉

  52. @Hermann Aichele

    Lieber Herr Aichele,

    besten Dank für den Link zum “forum-grenzfragen”.

    War sehr interessant, die Vorträge von Eve-Marie Engels und Philip Clayton zu hören, insbesondere auch die an Clayton anschließende Diskussion mit Thomas Junker und Hans Dieter Mutschler. Wobei ich von Junker etwas mehr an Einwänden erwartet hätte.

    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Darwinschen Theorien zur Erklärung der Evolution für die christliche Glaubenslehre vermutlich bedeutsamer waren als für die Biologie selbst (insoweit ist verständlich, dass Michael Blume immer wieder betont, dass Darwin gelernter Theologe war). Die Biologen hatten dank Darwin eine stimmige Erklärung für die beobachteten Phänomene, aber die Kirchen standen vor dem Problem, die Lehre von der göttlichen Schöpfung des Menschen neu überdenken zu müssen.

    Was Darwins “Creator” im Schlussabsatz seines On the origin of species angeht, so denke ich schon, dass es ihm ernst damit war, als er 1863 an J. D. Hooker schrieb:

    But I have long regretted that I truckled to public opinion & used Pentateuchal term of creation, by which I really meant “appeared” by some wholly unknown process.— It is mere rubbish thinking, at present, of origin of life; one might as well think of origin of matter.—

    Soweit ich weiß, war es Darwin schon wichtig, Glaube und Wissenschaft zu trennen. Und warum hätte Darwin J.D. Hooker diesbezüglich etwas vormachen sollen?

    Alles Gute für das neue Jahr! 🙂

    “Let each man hope & believe what he can.”
    (Darwin 1860, an Asa Gray)

  53. @ Geoman

    „Darwin war froh, dass es diesen Begriff [Agnostizismus] gab, den sein Freund Huxley geprägt hatte, denn der Begriff Atheist erschien ihm zu agressiv und selbstherrlich. Die beiden Begriffe unterscheiden sich daher nicht substanziell, sondern nur geschmacklich.“

    Das ist ganz falsch. Das Wort mag Huxley geprägt haben, das weiß ich nicht, aber den Begriff gab es schon in der Antike. In den Philosophie spielte er schon geraume Zeit vor Huxley – der den Begriff nur in der weltanschaulichen Diskussion populär gemacht hat – eine große Rolle, und der Unterschied zum Begriff des Atheismus ist keineswegs „nicht substanziell, sondern nur geschmacklich“: Atheismus und Theismus behaupten beide, daß in Fragen der Metaphysik ein Wissen möglich sei (im Bereich der theoretischen Vernunft, bei der praktischen ist es anders), der Agnostizismus bestreitet das. Das ergibt eine viel tiefere Kluft zwischen diesem und den beiden erstgenannten, als sie zwischen Atheismus und Theismus besteht. Wenn Darwin in seinem Theologiestudium auch nur ein bißchen was von Philosophie mitbekommen hat, dann muß ihm das klargewesen sein.

  54. Darwins bedeutendstes Ereignis im Leben

    @ Michael Blume schrieb:

    “Charles Darwin hatte übrigens nicht einmal Religionswissenschaft, sondern nur Theologie studiert – und war dennoch ein recht erfolgreicher Evolutionsforscher. Nicht wahr!? ;-)”

    Wikipedia antwortet:

    “Während der Rückreise hatte Darwin seine Notizen geordnet und mit Unterstützung seines Gehilfen Syms Covington insgesamt zwölf Kataloge seiner Sammlungen erstellt. Seine zoologischen Notizen umfassten 368 Seiten, die über Geologie waren mit 1383 Seiten etwa vier mal so umfangreich. Zusätzlich hatte er 770 Seiten seines Reisetagebuchs beschrieben. 1529 in Spiritus konservierte Arten sowie 3907 Häute, Felle, Knochen, Pflanzen etc. waren das Ergebnis seiner fast fünfjährigen Reise. Rückblickend resümierte Darwin später in seiner Autobiographie: „Die Reise mit der Beagle war das bei weitem bedeutendste Ereignis in meinem Leben und hat meinen gesamten Werdegang bestimmt.

    Worin bestand denn Ihr bei weitem bedeutendstes Ereignis in Ihrem Leben, das Sie von der Religionswissenschaft weg- und zur Evolutionsbiologie hingeführt (sowie entsprechend qualifiziert)hat?

  55. @Michael Blume @Ludwig Trepl: Liberalism

    „Es ist m.E. kein Zufall, dass die Evolutionstheorie in protestantischen Kontexten entdeckt wurde, dort aber auch wiederum besonders heftig “dezentral” attackiert wird. Der Gedanke aus Wettbewerb und Vielfalt findet sich – ausdrücklich auch im Bezug auf die Religionen und als Begründung von Religionsfreiheit! – bereits bei Adam Smith, der Liberalismus und evolutionäres Denken entscheidend vorgeprägt hat. Aber auch im jüdischen Talmud und dem Koran findet sich das Wettbewerbskonzept – mit Bezug auf religiöse Traditionen – bereits.“

    „Protestantische Kontexte“ stimmt schon, aber das hat nichts damit zu tun, daß „der Protestantismus“ irgendeine Affinität zum „Wettbewerbsdenken“ gehabt hätte. Der erste Grund ist einfach, daß die von der Gegenreformation geprägten Gebiete lange vor der Zeit Darwins kulturell abgehängt waren und mit der Entwicklung der Wissenschaften und auch speziell der Biologie nur noch wenig zu tun hatten. Das hatte viele Gründe – die bekannten Weber’schen, aber auch den wohl wichtigeren ganz banalen, daß die Leute in den protestantischen Gebieten lesen und schreiben konnten, in den katholischen nicht –, aber keinen Grund, der eine direkte Verbindung mit der Evolutionstheorie erkennen ließe. Die Physikotheologie, eine ausgesprochen protestantische (na ja: anglikanische) Angelegenheit, hat z. B. die Entwicklung der Biologie sehr gefördert, das schaffte natürlich einerseits günstige Bedingungen für die evolutionsbiologische Forschung, andererseits war die teleologische Grundstruktur der Physikotheologie dem Darwinismus genau entgegengesetzt.

    Nein, entscheidend war die liberale Weltsicht, an der auf der Theoriestrukturebene nichts spezifisch Protestantisches ist, auch wenn auf anderer Ebene die durch den Calvinismus begünstigte Kapitalismusentwicklung (wenn Weber recht hat) die Durchsetzung dieser Weltsicht gefördert hat. Und diese ist nicht nur nichts spezifisch Protestantisches, sondern dem spezifisch Christlichen diametral entgegengesetzt – und allem Religiösen. Da hilft es nicht, darauf zu verweisen, daß im Talmud und im Koran das „Wettbewerbskonzept“ vorkommt. Es geht um den Liberalismus als ein System des Denkens. Ich merke, daß ich Ihnen das mit ein paar Andeutungen nicht verständlich machen kann. Ich rate Ihnen darum dringend, sich mit der einschlägigen Literatur zur Struktur politischen Philosophien zu befassen, wenn Sie etwas über den Zusammenhang von Darwinismus und Christentum herausbekommen wollen; das geht auf der Ebene, auf der Sie es bisher versuchen, nicht.

  56. @Ludwig Trepl

    Entschuldigung, aber Ihr letzter Kommentar hat sich mir nicht erschlossen. Ich würde z.B. ausdrücklich bestreiten, dass man den Liberalismus “als ein System des Denkens” bezeichnen kann. M.E. ist er genau deswegen so erfolgreich (aber auch politisch so schwierig “anzuwenden”), weil er eben nie ein geschlossenes System gebildet hat. Ich halte es da ausdrücklich mit dem bereits erwähnten F.A. von Hayek (Zitat aus “The Road to Serfdom”):

    „Nichts in den Grundprinzipien des Liberalismus macht ihn zu einem festen Glauben; es gibt keine ewigen und unveränderlichen Gesetze für jede Situation. Das fundamentale Prinzip dass wir in der Ordnung unserer Angelegenheiten so viel wie möglich die spontanen Kräfte der Gesellschaft zur Anwendung kommen lassen und so wenig Zwang wie möglich ausüben sollten, taugt für eine unendliche Vielfalt von Anwendungen. […] Die Haltung des Liberalen zur Gesellschaft gleicht der eines Gärtners, der sich um eine Pflanze kümmert und so viel wie möglich über ihre Struktur und Funktionen erfahren muss, um ihr förderliche Bedingungen für ihr Wachstum zu schaffen.“

    Wenn Sie konkrete Literaturtips haben, die die unzähligen Varianten des Liberalismus ernsthaft als “System” fassen, bin ich dafür gerne offen. Auf allzu herablassende Generalbelehrungen (“Ich rate Ihnen darum dringend, sich mit der einschlägigen Literatur zur Struktur politischen Philosophien zu befassen…”) bitte ich jedoch zu verzichten – die haben wir beide nicht nötig, und sie tragen auch nicht zu einem echten Dialog bei. Gerade bei Online-Kommunikation kommt es m.E. sehr auf den Ton an.

  57. @Michael Bume: Liberalismus

    Da haben Sie wohl was in den falschen Hals gekriegt. Aber ich habe halt bemerkt, daß Ihnen ein ganz entscheidender Teil dessen, was für die Frage „Darwin und Christentum“ von Bedeutung ist, nicht bekannt ist; das ist doch nicht schlimm, ich hab’ auch riesige weiße Flecken.

    Was den Liberalismus angeht: Der reale Liberalismus, da haben Sie recht, ist so wenig ein System wie der reale Konservativismus oder Sozialismus oder das Christentum, überall gibt es eine Unzahl von Varianten. Aber verstehen, warum es bestimmte Varianten gibt und andere nicht, warum manches nur marginal vorkommt, anderes immer im Zentrum steht, das kann man nur, wenn man das diffuse wirkliche Gebilde als System rekonstruiert (etwa als Idealtyp im Sinne von M. Weber). Das kann man natürlich gut oder schlecht machen.

    Ein Buch, das alle Fragen beantwortet, kann ich Ihnen nicht empfehlen; es gibt einige gute alte Sachen von Habermas, von Kühnl, von I. Fetscher; empfehlenswert scheint mir vor allem das Buch von Nonnenmacher (Nonnenmacher, Günther (1989): Die Ordnung der Gesellschaft. Mangel und Herrschaft in der politischen Philosophie der Neuzeit: Hobbes, Locke, Adam Smith, Rousseau, Weinheim: VCH, Acta Humaniora.); am besten gefällt mir – natürlich, sonst hätte ich es ja nicht so geschrieben – mein eigenes Zeug, bzw. das von Schülern und ähnlich denkenden Kollegen, man findet es auf meiner Homepage (http://ludwig-trepl.blogspot.com/), allerdings ist den Titeln selten zu entnehmen, daß es darin um “Liberalismus” geht, der wird im Kontext anderer Fragen behandelt.

  58. Klasssische Scheinkorrelation

    Als Resümee der Diskussion können wir festhalten, dass es in der Mitte der streng religiösen viktorianischen Epoche wohl kaum ein religionsfeindlicher Mensch als Charles Darwin denkbar ist.

    Und da er zudem 10 Kinder zeugte, scheint er mir zudem ein idealtypisches Beispiel dafür zu sein, dass es sich bei dem von Ihnen vermuteten Zusammenhang zwischen Religionsausübung und Kinderzahl um eine klassische Scheinkorrelation handelt.

  59. @Ludwig Trepl

    Ja, ich denke auch, dass das Internet hervorragende Möglichkeiten bietet, dialogisch zu lernen. Mein Schwerpunkt ist ja die empirische Evolutionsforschung zur Religiosität, aber Ideengeschichte finde ich ebenfalls durchaus spannend. Ihre Page sieht sehr interessant aus, ich werde mich da gerne umschauen.

    Nur: Gerade weil uns die biologische Evolution schlecht auf Online-Kommunikation vorbereitet hat ist m.E. besonders viel Kultur nötig. 😉 Sonst machen die Leute die Schotten dicht und schnauzen sich nur noch an. (Und diese auch selbstkritische Einsicht habe ich nicht abstrakt-theoretisch gewonnen…)

    Ihnen und den Ihren alles Gute und einen guden Rosch in ein gesegnetes 2012!

  60. @Geoman: Resümee

    Auch mit Freundlichkeit und Geduld habe ich Sie leider nicht zu einem angemessenen Diskussionsverhalten gewinnen können. Nun muss es also doch noch die rote Karte sein.

    Sie haben sicherlich Verständnis, dass ich in Zukunft für Ihre Mischungen aus persönlichen Attacken und inhaltlich unsachlich provozierenden Auslassungen hier keine Zeit mehr aufbringen möchte. Nun ja, also schließe ich diesen Diskussionsfaden halt mit einem eigenen, freundlichen Resümee.

    1. Der studierte Theologe Darwin hatte eine hoch interessante und sehr differenzierte Haltung zu Religion(en). Am Ende seines Lebens tendierte er zum Agnostizismus. Heutige “Darwinisten” kennen diese oft kaum und nehmen bisweilen irrtümlich an, Darwin sei ein pauschal religionsfeindlicher Atheist gewesen.

    2. Interessanterweise hat Darwin uns schriftliche Dokumente gelassen, als er als junger und noch religiöser Mann die Fragen von Familien und Kindern abwog und schließlich eine fromme Christin heiratete und eine große Familie gründete. Interessierte finden hier genau auch dazu eine Leseprobe aus “Gott, Gene und Gehirn” von Rüdiger Vaas & mir:
    http://www.hirzel.de/…-datei/9783777616780_p.pdf

    3. Wer auch angesichts aller empirischen Daten und der aktuellen Konflikte in Israel um das massive Anwachsen der Ultraorthodoxie immer noch leugnet, dass verbindliche Religionsgemeinschaften ein hohes, reproduktives Potential aufweisen, der ist für empirische Argumente wohl leider gar nicht mehr zu erreichen.

    So wünsche ich Ihnen, lieber @Geoman, einen guten Rutsch in ein 2012, in dem Sie in sinnvollen und konstruktiven Tätigkeiten jenseits der Trollerei Erfüllung finden mögen.

  61. Die religiöse Überzeugung Darwins

    wird klar von Darwin vor allem in seinen Briefen dargelegt. Ich muss gestehen das ich Darwin nur aus dem Original kenne, und gerade in seinen Briefen bzw, Autobiographie bezeichnet Darwin sich stets als Agnostiker. Wenn Leute wie Dawkins sich darauf berufen Darwin wäre zum Atheisten geworden ist dieses schlichtweg falsch. (man darf nicht vergessen das Dawkins Ansichten nicht einer Offenbarung gleichkommen sondern nur seine Meinung widerspiegeln, bedenkt man doch das seine Theorie des egoistischen Gens für die Evolution zwar akzeptiert sind, aber nur einen kleinen Teil dieser widerspiegeln und keine Erklärung für das Ganze darstellen).
    Er sah grundsätzlich kein Problem darin den Glauben an Gott und die Evolution miteinander zu vereinen. Darwin sprach sich auch gegen das Christentum aus und verglich dieses mit falschen Religionen und Glaubenssätzen. Ich muss allerdings den vorherigen Kommentatoren zustimmen das Darwin sich dem ‘Trend der Zeit’ anpasste, bedenkt man doch das er aus Rücksichtnahme seiner Familie gegenüber, speziell seiner gläubigen Frau und seinem Vater, dieses Thema vermied. Auch die Tatsache, das er in ‘On the origins of species’ eher dazu tendierte das Wort ‘ Schöpfung’ anstelle von Evolution zu benutzen gibt ein eindeutiges Beispiel für seine Zurückhaltung gegenüber dem Glauben/Zeitgeist. Wer seine Werke und Briefe tatsächlich liest wird erkennen das Darwin sich erst nach seinem Werk “The descent of man’ seiner eigenen Einstellung gegenüber öffnete. Zu behaupten Darwin hätte pro-theologische Ansichten wird in seinen Briefen klar widerlegt, er kokettierte zuweilen sogar mit Zurückhaltung und lies sich grundsätzlich beide Seiten offen. Er bezog sich auch auf Paley (es tauchte kurz die Frage nach seinen literarischen Kenntnissen auf) und widersprach seinen Ansichten eines intelligenten Schöpfers massiv. Ich begrüße es allerdings das dieses Thema so intensiv diskutiert wird, wobei ich anmerken muss das sich bei mir das Gefühl einschleicht, das sich Herr Blume nicht auf eine eindeutige Meinung festlegen möchte, im Gegensatz zu Darwin. Nur eine Vermutung ohne Anspruch auf Gültigkeit, ich begrüße ihre Denkansätze.
    Darwins Briefe und seine Autobiographie, genau wie seinen Werke, sind übrigens mittlerweile im Original gratis zum Download verfügbar.

  62. @visualiser33

    Danke für den ausführlichen Kommentar. Sie merkten u.a. an: Ich begrüße es allerdings das dieses Thema so intensiv diskutiert wird, wobei ich anmerken muss das sich bei mir das Gefühl einschleicht, das sich Herr Blume nicht auf eine eindeutige Meinung festlegen möchte, im Gegensatz zu Darwin.

    In der Tat arbeite ich an dem Thema und auch an den Veränderungen, die sich im Lebenslauf Darwins immer wieder ergaben. Wussten Sie z.B., dass Darwin in seinem letzten Lebensjahr von einem bestimmten Buch zu Wissenschaft & Religion sehr begeistert war? Es war “The Creed of Science” von William Graham, vgl.
    http://www.scilogs.eu/…-william-graham-1839-1911

    Da gibt es also noch einiges zu entdecken, und ich bin gerade mit Verve dabei. 😉

  63. Evolution und Religion

    Beides ist nach meiner Auffassung vereinbar. Viele Menschen sind erschrocken üer das viele Leid und Unrecht in dieser Welt. Aber dafür wäre eine andere eher nicht bekannte biblische Aussage von Paulus an die Römer bedeutsam: Römer 8 die ganze Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen bis jetzt und liegt in Schmerzen und warte auf dei Offenbarung oder Freiwerdung durch die Söhne Gottes.
    Wir könnten auch anders argumentieren: Wir schauen abends einen herrlichen Film über die Natut und Menschen. Hier sind wir Zuschauer und im Film sind die Schauspieler. In Gottes großem programierten Quanten-PC Natur ist es anders. Er ist der Zuschauer und schaut einen virtuellen Film MEIN LEBEN und ich bin Schauspieler. Er beobachtet mich. Irgendawnn ist dieser Film zu Ende, denn alles war virtuell. Und dann? Staub sagt der Fridhof, nein sagt Gott, ich habe eine herrliche Lebensfrucht gepflückt: Liebe zu meiner ganzen Schöpfung, incl. Meschen und damit viel Ehre auf meinen heiligen Namen. Und nun stop, jetzt werde ich das Leben dieses Menschen heiligen durch meinen Geist und Kraft. Nur was ich nicht mehr brauche, das legt in die Erde, denn es war virtuell von mir angelegt.

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