Bundeskanzleramt, Jüdische Gemeinde, Simon-Wiesenthal-Institut in Wien

Einige werden sich vielleicht noch erinnern: Ende 2021 missbrauchten der rechtsextreme Dauer-Troll Benjamin Weinthal und ein Pro-Trump-Center in Los Angeles den Namen von Simon Wiesenthal, um wiederum meinen Namen anzugreifen. Der Angriff ging jedoch völlig daneben und wurde nur von verwirrten Rechtsaußen wie Stefan Homburg und Ex-MdL Heinrich Fiechtner (Ex-Afd) “begrüßt”. Ansonsten gab es eine unfassbar große Solidarität, die vom Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne) und Vize-MP Strobl (CDU) über den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz (ORD) bis hin zu den Kirchen, jüdischen und weiteren Religionsgemeinschaften des Landes Baden-Württemberg, Verbänden, demokratischen Parteien und unzähligen Einzelpersonen reichte. Der gemeinsamen Presseerklärung der Israelitischen Religionsgemeinschaften Baden und Württemberg mit Rami Suliman und Prof.in Barbara Traub hatte und habe ich nicht mehr als ein “Danke” hinzuzufügen. Bewegend war auch eine mündliche und schriftliche Ehrenerklärung der Generalkonsulin des Staates Israel, Carmela Shamir, die vor allem die Angriffe gegen meine (christlich-muslimische) Familie klar zurückwies.

Mir blieb nach all dem jedoch ein persönliches Anliegen, auch den Namen des großen, jüdischen Österreichers Simon Wiesenthal vor weiterem Missbrauch zu schützen. Der später als “Nazi-Jäger” bekannt gewordene Wiesenthal wurde am 31.12.1908 in Butschatsch, damals Galizien, heute Ukraine geboren. Sein Vater starb im Ersten Weltkrieg als Soldat des Habsburger Kaiserreiches. Sein Stiefvater wurde später als “Kapitalist” von den Sowjets inhaftiert und zu Tode geprügelt. Die Nationalsozialisten ermordeten dann große Teile seiner Familie, deportierten auch  Simon Wiesenthal in verschiedene Konzentrationslager. Er wurde am am 5. Mai 1945 von US-amerikanischen Einheiten im KZ Mauthausen befreit, seine Ehefrau Cyla hatte mit Tarn-Identität in Warschau überlebt.

Wiesenthal war streitbar, vielen unbequem und in seinen Nachforschungen nach NS-Verbrechern auch erfolgreich. Er setzte sich für “Recht, nicht Rache” ein und gewährte dem verurteilten, aber teil-geständigen Albert Speer sogar eine bis heute diskutierte Freundschaft. Wiesenthal schlug sich in den heftigen Debatten der österreichischen Nachkriegszeit überwiegend auf die Seite der bürgerlich-konservativen ÖVP (was in der jüdischen Gemeinde zu Wien durchaus nicht Mehrheitsmeinung war), wurde immer wieder aus den Reihen der FPÖ angegangen und überstand auch heftige Fehden mit dem damaligen SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky, der die Zusammenarbeit mit ebenjener FPÖ suchte. Auch seine Familie und enge Freunde waren mit manchen seiner Entscheidungen nicht einverstanden, er wurde auch von jüdischen Kritikern bisweilen hart angegangen – doch niemand kann bestreiten, dass er in der Aufarbeitung von NS-Verbrechen und der Verteidigung der österreichischen Demokratie Großes geleistet hat.

Ein lesenswerter Text- und Bildband über das bewegte Leben von Simon Wiesenthal des beeindruckenden Jüdischen Museums in Wien. Foto: Michael Blume

Die Einladung aus dem Bundeskanzleramt zu Wien, zum “Nationalen Forum gegen Antisemitismus der Republik Österreich” zu sprechen, ergriff ich daher auch als Gelegenheit, auch für den guten Namen von Simon Wiesenthal einzutreten und ihn (ebenso wie Karl Popper, Martin und Paula Buber) namentlich zu würdigen. Aus Respekt für unsere guten Beziehungen und den EUSALP-Alpenraum-Föderalismus trug ich an diesem Wiener Sommertag komplett Fliege. Und alleine schon der Besuch des hervorragenden Jüdischen Museums in Wien hätte einen eigenen Blogbeitrag verdient…

Nach der Worthaus-Rede in Tübingen ging es ins Bundeskanzleramt nach Wien. Foto: Staatsministerium BW

Am Folgetag besuchte ich dann die Israelitische Kultusgemeinde Wien, lernte den engagierten IKG-Präsidenten Oskar Deutsch kennen und traf alte Freunde wie den jetzigen Geschäftsführer Benjamin Nägele und den seit 2020 amtierenden Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer, mit dem ich bereits 2012 einen eindrucksvollen Schabbaton in Frankfurt erlebt hatte. Die Geschichte und Architektur der Hauptsynagoge zu Wien hat mich tief beeindruckt.

Austausch mit Oberrabbiner Jaron Engelmayer (links) und IKG-Präsident Oskar Deutsch (rechts) in Wien am 14.06.2022. Foto: Staatsministerium BW

Alexia Weiss vom jüdischen Stadtmagazin Wina gab ich zudem ein längeres Interview, das etwa Mitte Juli in einer kurzen Print- und einer längeren Online-Version erscheinen soll.

Auf keinen Fall aber konnte ich Wien verlassen, ohne die Einladung von Professorin Éva Kovács ins “echte” Wiesenthal-Institut, dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI), anzunehmen. Nachdem Simon Wiesenthal schon zu Lebzeiten mit dem zunehmenden Rechtsdrall des nach ihm benannten Centers in Los Angeles zunehmend unzufrieden geworden war, hatte er seinen Nachlass dem von ihm mitbegründeten Institut in Wien vermacht. Vor der Leitung, Mitarbeiten, Fellows und Freund:innen des Institutes konnte ich hier über unsere demokratische und rechtsstaatliche Arbeit gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg berichten und den Namen gegen jeden Missbrauch in Schutz nehmen.

  

Zum Vortrag beim echten, österreichisch-europäischen, seriösen und demokratischen Wiesenthal-Institut in Wien (VWI) – mit sehenswerter Ausstellung! Foto: Staatsministerium BW

Allerdings war ich keineswegs nur als Lehrender beim VWI. Einen unfassbaren Aha-Moment durfte ich erleben, als ich entdecken durfte, dass ein mir wichtiges und oft aufgegriffenes Zitat von Lord Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, bereits einen direkten Vorläufer bei Simon Wiesenthal hatte!

Dieser hatte bereits am Unabhängigkeitstag 1980 in einer Rede vor dem “American Congress of Jews from Poland” ausgeführt:

“Gefahr für die Juden lässt die anderen kalt. Deswegen ist es wichtig daran zu erinnern, dass es tatsächlich mit den Juden beginnt, aber dass es dort nicht aufhört und der Nationalsozialismus also eine Bedrohung für die ganze Welt darstellt. Wenn wir das sagen, reduziert dies die Verluste des jüdischen Volkes? Reduziert es die jüdische Tragödie, wenn sie Teil der weltweiten Tragödie ist? Aber wir haben selbstverständlich zu betonen – und ich habe das immer getan -, dass der Holocaust an den Juden partikular war.”

Die englische Aussage von Simon Wiesenthal vor dem “American Congress of Jews from Poland” vom 04.07.1980 im Wiener Wiesenthal-Institut (VWI). Foto & Übersetzung: Michael Blume

Ganz klar: Hätte ich dieses Zitat von Simon Wiesenthal bereits beim Verfassen von “Warum der Antisemitismus uns alle bedroht” gekannt, hätte ich sie dort auch diskutiert. So stand ich staunend vor der Zitat-Tafel. Aber es spricht doch für die Weitsicht und Courage des Gelehrten, dass Wiesenthal diese Erkenntnis bereits Jahrzehnte vor dem meinerseits zitierten Rabbi Sacks in den USA ausgesprochen hatte.

Dankbar und bewegt blicke ich also auf unglaublich eindrucksvolle Tage in Wien mit tiefen Gesprächen mit interessanten und auch befreundeten Menschen zurück. Die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und der Republik Österreich gerade auch in der Erinnerungsarbeit und Bekämpfung von Verschwörungsmythen möchte ich gerne vertiefen. Und mir ist noch einmal bewusster geworden, wie sehr wir unsere europäischen, liberalen Demokratien gegen jede Art von Dualismus verteidigen müssen – auch gegen jene, die den so wichtigen Kampf gegen Antisemitismus für antidemokratische, rassistische und antieuropäische Agenden missbrauchen. Von Simon Wiesenthal bleibt zu lernen, dass nur ein demokratischer Rechtsstaat (!) samt kultureller Fairness ein gelingendes Zusammenleben in Vielfalt und Sicherheit ermöglicht. Seinen Namen gilt es zu ehren und zu schützen.

Und, ja, selbstverständlich möchte ich zu gegebener Zeit auch international und auf Englisch gegen den v.a. US-amerikanischen Missbrauch des Namens von Simon Wiesenthal vorgehen.

Alle Leserinnen und Leser dieses Blogs möchte ich aber mit einem kleinen Wiener Highlight verabschieden: Diese großartige und geschichtsträchtige Stadt hat völlig zu Recht auch eine große Straße nach Karl Popper benannt!

Die Karl-Popper-Straße im 10. Stadtbezirk der österreichisch-europäischen Bundeshauptstadt Wien. Foto: Michael Blume

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

25 Kommentare

  1. Sehr nett, Herr Dr. Michael Blume, Dr. Webbaer mag Juden ebenfalls, selbstverständlich ohne irgendwie “Phil” zu werden, was dann ja auch problematisch sein könnte, Dr. W kennt bzw. kannte viele von ihnen.
    Hierzu noch kurz :

    Er setzte sich für “Recht, nicht Rache” ein und gewährte dem verurteilten, aber teil-geständigen Albert Speer sogar eine bis heute diskutierte Freundschaft.

    An Herrn Speer kann sich Opa Webbaer noch erinnern, er war aus diesseitiger Sicht nicht iO.

    Und Herr Weinthal ist vielleicht ‘Troll’, aber sicherlich nicht ‘rechtsextrem’.

    Wenn es gegen Juden geht, geht es irgendwie gegen Alle, korrekt.

    Mit freundlichen Grüßen und weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer

  2. @Antisemitismus und Autokratie

    Offenbar gehört der Antisemitismus zur Autokratrie bzw. autokratischen Bestrebungen dazu. Und ist natürlich ein Ansatzpunkt für demokratieförderlichen Diskurs.

    Jetzt gibts aber auch noch andere Ansatzpunkte, um Autokratien entgegenzuwirken. Das eine ist sicherlich ganz aktuell, eben auch militärisch aktiv zu werden. Zumindest, wenn hier mal eine überwiegende Demokratie von einer eher überwiegenden Diktatur angegriffen wird, und das in Europa.

    Das nächste ist, hier unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden, und damit Rentierstaaten die Grundlage zu entziehen. Das dauert aber mindestens 20 Jahre, bis hier komplett die Investitionen im Energiesektor auf erneuerbare Technik umgestellt ist. Die Frage ist jedoch: haben wir so viel Zeit auch mit der Förderung von florierender Wirtschaft und Demokratie in den entsprechenden Ländern?

    Was auch mindestens 20 Jahre dauert, dass wäre wenn wir mal wieder bestandserhaltenden Kinderreichtum hätten, bis die mal auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Derweil sind wir in D zumindest wohl noch auf weiteren Zuzug angewiesen, solange, wie unsere Wirtschaft entsprechende Kräfte nachfragt. Der Sog von freien Arbeitsplätzen ist nun im wesentlichen unwiderstehlich.

    Alternativ wäre es allerdings eine theoretische Option, ganz aktiv unsere Wirtschaftstätigkeit zu reduzieren. Mit weniger überflüssigem Konsum und ohne Außenhandelsüberschuss wäre dies ja möglich. Die entsprechenden Lobbyisten, die sich seit vielen Jahrzehnten hier im Land um maximalen Umsatz bemühen, ständen hier allerdings dagegen.

    Es wäre jedenfalls auch mehr Kinderreichtum möglich, wenn einfach nur weniger gearbeitet würde, und die damit frei geworden Arbeitskraft in Kinderaufzucht investiert würde. In der Tat gibt es viele Familien, die mehrere Kinder haben und derweil auch noch fleißig arbeiten gehen, aber so fit sind dann sehr viele eben dann doch wieder nicht. Und verzichten dann eben auf Kinder, angesichts des Arbeitspensums, in das sie hereingeraten sind.

    Alternativ fände ich es auch nicht schlecht, wenn die inzwischen eingewanderten Hilfskräfte deutlich besser integriert würden. Zumal die wohl überwiegend hier bleiben wollen. Wenn hier Neuankömmlinge gleich zum Deutschlernen motiviert würden, und die 2. Generation nicht in den Schulen überwiegend unter sich bleiben würde, dann würden die sich wohl deutlich schneller in moderne demokratische und vor allem nicht-patriarchale Verhältnisse einleben können.

    Die Bekämpfung von dualistischen Einstellungen ist sicher ein wichtiger Ansatzpunkt, aber eben nicht der Einzige.

    • Volle Zustimmung, @Tobias Jeckenburger – Autokratien greifen zur Begründung Ihrer Gewaltherrschaft und ihrer Ablehnung von Demokratie regelmäßig auf Verschwörungsmythen zurück. Und es gäbe eine Vielzahl von Möglichkeiten, diesem entgegen zu wirken – ja!

  3. @Jeckenburger/Blume
    Sie scheinen Ich in Wir zu übersetzen.
    Momentan halten sich die Russen für überlegen.Die Chinesen so oder so.
    Mir scheint,die Selbstzuschreibung der Überlegenheit fördert das Feindbild,an dem man sich abreibt.

    • Noch einen Schritt vorher, lieber @Mussi: Die Wahrnehmung von Völkern als einheitlichen Gruppen („die Russen“, „Die Chinesen so oder so.“) reduziert die reale Komplexität der Menschen. Viele Russ:innen fliehen vor Krieg und Diktatur, viele Chines:innen leiden unter den ZeroCovid-Lockdowns, der Unterdrückung auch in HongKong etc.

      Ich würde nie von der Einheitlichkeit oder Überlegenheit einer Gruppe über die andere ausgehen. Freilich bin ich tatsächlich der Auffassung, dass Demokratische Staatssysteme besser, menschenwürdiger und friedlicher sind als autokratische oder gar diktatorische Staatsregime.

  4. Auch auf die Gefahr hin,dass ich ‘Kommentarspalte’ genannt werde: Wer sich mit Prof. Reckwitz Gedanken zur Singularität auseinandersetzt,wird vermutlich erkennen,dass das Übel unserer Zeit ist,dass jeder,im Sinne von Ego oder Klasse oder Gemeinschaft oder Volk usw,sich als BESONDERS begreift und gesehen werden will.
    Daraus wird Legalität,Legitimität und Rechte abgeleitet.

  5. @Blume
    Ich stimme Ihnen zu,das demokratische Systeme das Besondere auffangen.
    Aber man muss sich schon fragen,warum das Besondere immer wieder Überlegenheit anstrebt,nicht einfach nur Akzeptanz.

    • Danke, @Mussi. Ich vermute Entitlement als Grundproblem: Wer in privilegierteren Verhältnissen aufwächst, wird zur Akzeptanz von Narrativen tendieren, die diese Privilegien rechtfertigen.

  6. In der Tat ist Anspruch ein interessantes psychologisches und soziologisches Phänomen zwischen müssen,sollen,können,dürfen,wollen und tun.

  7. @Mussi 16.06. 19:40 / 20:22

    „Definieren Sie Bestandserhaltung.
    Auch mit 100 mio. stirbt die Menscheit nicht aus.“

    Ich meinte hier eine stabile Populationsgröße. In der Tat können wir auch noch weiter schrumpfen, das wäre auf jedem Fall besser als eine Überbevölkerung. Ich meine nur, wenn wir wieder mehr Kinder haben wollen, dann müssen wir etwas weniger arbeiten, und damit das funktioniert, müssen wir weniger konsumieren und auch weniger exportieren.

    Wie groß eine optimale Größe der Menschheit wäre, ist scheint mir eine komplexe Frage. Wie glücklich ist ein Menschenleben überhaupt, mit wie vielen Ressourcen können wie viele Menschen gut leben, wie viele Menschen sind optimal in Bezug auf eine Weiterentwicklung der Weltkultur? Und wie viel Lust mag man haben, selber Nachwuchs aufzuziehen?

    „Aber man muss sich schon fragen,warum das Besondere immer wieder Überlegenheit anstrebt,nicht einfach nur Akzeptanz.“

    So fern man eigene Stärken hat, kann man die auch sehen und nutzen. Warum denn nicht. Eine völlige Überschätzung der tatsächlichen eigenen militärischen Möglichkeiten Russlands jedenfalls kann zu nichts Vernünftigem führen. Wenn China seine Wirtschaftskraft hochhält jedenfalls, dann ist das doch auch eine tatsächliche Stärke.

    Vor Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht dachte man überwiegend, dass autokratische Systeme zu einer florierenden Wirtschaft nicht fähig sind. Offenbar haben die Chinesen einen Weg gefunden, dies hinzubekommen. Aus meiner Sicht ein in jedem Fall interessantes Experiment. Bisher wohl ohne Vorbild als Präzedenzfall, entsprechend schwierig ist es einzuschätzen, wie es mit China wirklich weitergeht.

    Ob der chinesische Wirtschaftsaufschwung doch ein Ende findet, weil die autokratischen Strukturen doch wieder die Produktivität der Menschen lähmt, oder ob man auf der Basis einer großen Zustimmung der Menschen zu ihrem Staat zunächst mehr Meinungsfreiheit, später politische Mitwirkung und am Ende sogar freie Wahlen realisiert.

    Kann ja alles noch werden. Bei uns hat sich die Demokratie auch erst langsam weiterentwickelt. Und das nicht nur nach kriegerischen Katastrophen. Die Weiterentwicklung der Kultur wirkt sich öfter auch irgendwann politisch aus.

  8. @Jeckenburger

    Es war die Gier und damit die (zum großen Teil auch gezwungenermaßenen) Fehleinschätzungen des Westens, die dazu geführt haben, daß China den “freiheitlichen” Wettbewerb dermaßen gewinnen konnte – Weil sich daraus mit dem Westen nichts wirklich-wahrhaftig Vernünftiges für das globale Zusammenleben entwickeln läßt, zieht sich China wieder verstärkt in den Nationalismus und die eigenen Probleme zurück (was wiederum offensichtlich zu fatalen Fehleinschätzungen und … des Westens führt!!!).

    Bei Russland ist es mehr der Komplex, den die Russen schon zur Zarenzeit an Europa erlebten/entwickelten – Es mangelt an menschenwürdig-fusionierender Kommunikation, aber es mangelt vor allem dem Westen nicht an konfusionierender Pflege der gleichermaßen Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein”, wo Friedensverhandlungen für ein globales Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik die geistig-heilende Lösung wäre, dann würde auch keiner mehr von Überbevölkerung reden.

  9. Wie war es möglich, dass das sogenannte Wiesenthal-Center ins Rechtsextreme abfallen konnte? Welche Verschwörungsmythen liegen dieser Radikalisierung zugrunde?

    • Durch das Mehrheitswahlrecht & die Digitalisierung haben sich auch in den USA sog. Culture Wars zwischen Stimmen der republikanisch-rechten & demokratisch-liberalen Lager immer weiter verschärft. Das sog. Wiesenthal-Center in Los Angeles schlug sich früh auf die Seite der US-Rechten und feierte z.B. Donald Trump, wogegen es auch die Regierung von Barack Obama auf seine „Antisemitenliste“ setzte. Schon für die öffentliche Aufmerksamkeit und das Fundraising greift es zudem immer wieder europäische und insbesondere deutsche Stimmen an, ohne sich mit den jüdischen Gemeinden vor Ort dazu abzustimmen. Schon zu seinen Lebzeiten bemerkte der stolze & bürgerlich-demokratische Österreicher Simon Wiesenthal diesen Rechtsdrift, konnte seinen Namen aber nicht mehr zurückholen und gab seinen Nachlass daher dem echten Wiesenthal-Institut in Wien.

      Tragisch – aber schon zur Verteidigung des bedeutenden Europäers Wiesenthal werde ich darüber auch in Zukunft gerne aufklären. In Zukunft gerne auch mal in Englisch.

  10. Betrifft Simon Wiesenthal Center

    In der Sache sind wir sowieso einig.

    Das Simon Wiesenthal Center ist eine jüdische, politisch tätige Internationale Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Los Angeles. Es wurde 1977 gegründet und ist nach Simon Wiesenthal benannt … Simon Wiesenthal selbst war dabei nur als Namensgeber, aber weder an der Gründung noch der Leitung des Centers beteiligt.

    Zunächst empfand Simon Wiesenthal es als große Ehre, dass das Center nach ihm benannt wurde. Dessen Leiter Marvin Hier vermittelte ihm zahlreiche Vorträge und Ehrungen in den Vereinigten Staaten. In späteren Jahren fühlte sich Wiesenthal häufig übergangen oder schlecht informiert, so dass sich die Konflikte häuften. Marvin Hier gelang es immer wieder, ihn zu besänftigen.

    Wikipedia

    Und auch Sie schreiben oben:

    Auf keinen Fall aber konnte ich Wien verlassen, ohne die Einladung von Professorin Éva Kovács ins “echte” Wiesenthal-Institut, dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI), anzunehmen. Nachdem Simon Wiesenthal schon zu Lebzeiten mit dem zunehmenden Rechtsdrall des nach ihm benannten Centers in Los Angeles zunehmend unzufrieden geworden war, hatte er seinen Nachlass dem von ihm mitbegründeten Institut in Wien vermacht.

    Man darf mit guten Gründen also annehmen, daß Wiesenthal die Entwicklung des amerikanischen Zentrums nicht für gut geheißen hat und die heutige Entwicklung entschieden nicht für gut geheißen, gar mißbilligt hätte. Dennoch bleibt, daß es mit seinem Wissen und seiner Billigung seinen Namen trägt, und das bis zu seinem Lebensende.

    Bei der Privatperson, Bloggerer und Twitterer liebe ich Ihren (an @RealDonaldTrump angelehnten?) Spott, aber ihn in den offiziellen Verlautbarungen des Antisemitismusbeauftragten zu finden, befremdet mich auch. Ironie steht einem Amt eigenartig zu Gesicht.

    • Danke, @Alubehüteter. Ja, Simon Wiesenthal hatte seine Namensrechte bereits geteilt, bevor das nach ihm benannte Zentrum in LA immer weiter nach rechts driftete. Werde dazu zu gegebener Zeit auch mal in Englisch kommunizieren.

      Was digital funktioniert und angemessen ist, muss immer wieder neu ausprobiert werden. Sie haben sich ja gleich ins Troll-Gefecht gestürzt! 💁‍♂️🤣🙏

      • Hat Spaß gemacht, ja 😅

        Aber nur, weil ich nicht muß. Wenn man das mal von innen erlebt, ist man ja noch beeindruckter – Von Ihnen, vor allem von denen, die das ehrenamtlich und ohne Mitarbeiter stemmen. Quattromilf, Natascha Strobl, wie sie alle heissen. Ich kann da mal reinschneien, oder es lassen.

        Beeindruckend auch, wie viel man „in die Fresse kriegt“, nur weil man von Ihnen geliked wird – Gibt es eigentlich schon Menschen, die Sie bitten, von Ihnen nicht geliked zu werden?

        • Ja, @Alubehüteter – eine Zeitlang hatte ich sogar Leute entfolgt, damit sie nicht auch noch getrollt werden. Allerdings waren die Reaktionen überwiegend: „Danke, ich bin selber groß und werde mit Trollen schon fertig.“

          Und tatsächlich verliert das Trolling von Weinthal, Sockenpuppe Tucker etc. immer mehr an Wirkung, da es ja auch immer mehr Menschen kennen. Inzwischen habe ich sogar erste Leute, die darüber rätseln, warum sie noch „nicht“ getrollt wurden. Es gehört für einige zunehmend dazu. 💁‍♂️🤭🤣

  11. Kann ich mir leider lebhaft vorstellen, daß Sie gebeten werden müssen, zu entfolgen. Mein Account hat bislang träge vor sich hingeschlummert, ab und an mal kleiner Tweetwechsel, aber jetzt ist da richtig Musik drin.

    Ich sehe mir das belustigt, kopfschüttelnd und rauflustig an, aber ich kann mir ja auch leisten, zu sagen, meine Güte, wenn’s mir zu blöd wird, kuschle ich mich zurück in meiner Kern-online-community.

    Ich verstehe vor allem nicht, wie man so besessen sein kann davon, IHNEN das Leben schwer zu machen. Wir hatten hier ja auch schon unsere Dispute. Auch heftigste. Naja, meine Güte, schlimmstenfalls hätte ich mir gedacht „Herr Blume ist doof und uneinsichtig, nicht belehrbar“, dann gehe ich halt wo anders hin. Und wenn ich aktivistisch kämpfen will, da gibt es doch genügend Nazis, Antisemiten, wo das wirklich lohnt. Sie richten ja nun wirklich keinen Schaden an, selbst wenn man Sie für eine Fehlbesetzung hielte.

    • Volle Zustimmung, @Alubehüteter. Es ist ja leider der Wesenskern des Freund-Feind-Dualismus, dass er ausgesuchte Personen als Projektionsfläche aufbläst. Herr Weinthal und seine Mini-Bubble haben Hunderte Stunden kostbarer Lebenszeit sowie sehr viel Reputation (und auch die des sog. Simon-Wiesenthal-Centers in LA) dafür vergeudet, vgl.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wer-von-den-dreien-bin-ich-eine-persoenliche-reflektion-zu-segen-und-fluch-der-digitalen-kultur/

      Ich finde das, ehrlich gesagt, auch für die Angreifer tragisch – sie schaden sich ja selbst. Doch immerhin gewinnen dadurch viele Menschen, wie auch Sie, Einblicke in und sogar Erfahrungen mit Freund-Feind-Dualismus. Sie werden ja inzwischen auf Twitter auch von diesen Leuten angegriffen und beschimpft. Das hätte ich Ihnen gerne erspart, respektiere aber, dass Sie das als erwachsener Mensch selber entscheiden und damit umgehen wollen.

      Ihnen einen schönen und geselligen Sonntag!

      • Immerhin, dieser Twitterabend hat mir jetzt ein kleines Stammkapital an freundlichen Followern eingefahren. 😃 Vorher hätte ich ja nicht gewußt, für wen ich hätte twittern sollen.

  12. Als Schüler, damals ca. 14 , habe ich Herrn Wiesenthal noch persönlich hören können. Dieser Vortrag bleibt mir unvergessen, einerseits wegen einiger heute amüsanter Randereignisse (damals waren sie mir megapeinlich), vor allem aber wegen des Satzes des Referenten: “Wenn der Holocaust in Deutschland geschehen konnte, kann er überall geschehen. Das ist mein Antrieb, das zu verhindern” (aus dem Gedächtnis zitiert). Mir bleibt davon in Erinnerung, das er die individuelle Schuld des einzelnen Täters betonte und eine Kollektivschuld ablehnte. Danach hatte ich eine heftige Diskussion mit meinem Geschichtslehrer, der vertrat, die Shoa hätte nur in Deutschland stattfinden können. Später lernte ich dann bei meinem pietistischen Hebräischlehrer, dass man das griechische Wort “Holocaust” besser nicht verwenden sollte, weil es das höchste Opfer im alten Israel bezeichnet, und man den Massenmord an den europäischen Juden nicht mit einem sakralen Begriff des Judentums beschönigen sollte. Bei der These, ein solcher Massenmord könne wieder geschehen bleibe ich, man sieht es – aktuell – im Osten Europas, aber auch anderswo, eben überall wo nicht die Stärke des Rechts sondern das Recht des Stärkeren gelten soll.

    • Danke, @Joachim Fischer. Ja, auch in Wien präsentierte man mir einen unglaublich komplexen Simon Wiesenthal, der in keiner Weise in das Schema von US-Trumpisten gepasst hätte. Ich werde auch weiterhin gegen den Missbrauch seines Namens durch Rechtsaußen aufklären.

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