Blume & Ince 34: Gibt es auch eine soziale Infrastruktur?

Die Einigung von Union, SPD und Grünen auf eine Schuldenaufnahme für dringend notwendige Ausgaben in Verteidigung, Mitweltschutz (also: erneuerbare Friedensenergien) und Infrastruktur habe ich sehr begrüßt. Allerdings sehe ich heftige Debatten in der Frage voraus, was genau unter “Infrastruktur” zu verstehen sei. Gehören nur Brücken und Straßen dazu oder auch Schulen? Nur die Gebäude oder auch die Medien, gar Lehrkräfte? Schon jetzt zeichnet sich ein Konsens darüber ab, dass etwa auch Mütterrenten (also die Anerkennung von Erziehungsleistungen) nicht unter die förderfähige Infrastruktur, sondern unter “konsumtive Ausgaben” zu fassen seien. Aber wer soll in einer demografisch schrumpfenden Gesellschaft denn dann später die materielle Infrastruktur bauen und nutzen? Oder sollen die Milliarden-Investitionen gleich auf jene Arche-Regionen beschränkt werden, die durch Zuwanderung noch wachsen?

Erfreulicherweise muss ich über solche Fragen nicht alleine grübeln, sondern habe mit dem BWL-Prof. Dr. Inan Ince einen hervorragenden, interdisziplinären Dialogpartner. Und weil wir uns auch gemeinsam nicht für allwissend halten, laden wir uns immer wieder auch gerne Gäste zu Blume & Ince ein, diesmal Nathalie Wollmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg. Sie sagt in dieser Folge 34 zum Beispiel ab Minute 10:00: “Jeder Cent, der in soziale Arbeit investiert wird, ist eine Investition in die Zukunft. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass sich dadurch viele positive Synergieeffekte ergeben.” 

Die Kachel zur Folge Blume & Ince 34 zeigt zwischen Dr. Michael Blume links und Prof. Dr. Inan Ince rechts auch Nathalie Wollmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in der Mitte.In Folge 34 von Blume & Ince ist Nathalie Wollmann zu Gast. Screenshot: Michael Blume

Konkret Sorgen macht mir zudem, dass in den letzten Wochen der feindselig-dualistische Deep-State-Verschwörungsmythos aus den USA in die Berliner (Medien- und Politik-)Blase geschwappt ist und damit auch in Deutschland NGOs für Soziales, Diversität und Demokratiebildung der Verschwörung beschuldigt werden. Auch darüber möchte ich in den kommenden Wochen und Monaten aufklärend sprechen.

Inan und ich wollen in 2025 eine ganze Reihe zur Frage der “sozialen Infrastruktur” machen – nicht, weil wir dazu schon fertige Meinungen hätten, sondern weil wir dazu wirklich den Dialog, hier auch den Trialog suchen. Eure Kommentare und Anregungen dazu sind uns also besonders wichtig! Denn: Mit den sog. Sondervermögen – die ja eigentlich riesige Sonderschulden, Schuldentöpfe auf Kosten zukünftiger Generationen sind – betritt die Bundesrepublik Deutschland Neuland, das sich kaum mit den Begriffen des 20. Jahrhunderts erkunden lässt. Demokratinnen und Demokraten sollten darüber nachdenken und sprechen, meinen wir.

Und weil ich es schon gefragt wurde: Diesmal trug ich, weil ich zu Fuß geeilt kam, einen Upcycling-Hoodie von “Weischwasichmein”. Diesen hatte ich mir nach einem Gespräch bei Geheimtipp Stuttgart privat gekauft, weil ich beruflich genug Hemden trage und mir als Solarpunk das regionale und ökologische Konzept zusagte. Für Blume & Ince nehmen wir keinen Cent von niemandem, auch nicht für unsere Kleidung. Auch unsere Gäste bekommen oder bezahlen kein Geld. Es geht uns um Dialog, nicht um Dialog-Marketing.

Wir wünschen Euch also viel Freude beim Podcast-Hören, Videocast-Schauen und Mit-Dialogisieren! Denn wer sich jetzt schon Gedanken über die “soziale Infrastruktur” unserer Demokratie macht, wird in 2025 mehr zu sagen haben! 🙂

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

27 Kommentare

  1. Soziale Infrastruktur ?
    Kurz und bündig. Der Sozialstaat hat eine soziale Infrastruktur.
    Dazu zählen nicht nur staatliche Institutionen, kirchliche Einrichtungen oder private wohltätige Vereinigungen,
    es zählt auch der soziale Friede, der sozusagen das Konzentrat aller kulturellen Anstrengungen darstellt.

  2. @Inan 09:59 Uhr

    Vielen Dank, lieber Inan! Gerne gehe ich näher auf Deinen Druko ein.

    “Wahnsinn, wieder so ein Chat-Tool, mit dem ich herumexperimentieren muss!”

    Danke, das freut mich sehr, denn wir kennen ja Deine Begeisterung für Japan! 🙂

    Sehr bewusst verwende ich zunehmend die japanische KI Felo.ai, die im ProSearch-Modus bereits mehrere, internationale KI-Module einsetzt. Wie Du weißt, sehe ich die Dominanz US-amerikanischer Tech-Konzerne kritisch und setze mich für die Stärkung eines dezentralen Fediversums ein. Aus dem gleichen Grund habe ich auch die australische Leonardo.ai für Grafiken abonniert, statt die Dominanz von Midjourney (USA) zu stärken. Im beruflichen Kontext nutze ich F13 von Aleph Alpha, vgl.:

    https://www.heise.de/news/Baden-Wuerttemberg-nimmt-KI-System-von-Aleph-Alpha-in-Betrieb-9813355.html

    Wie Du weißt, liegt mir dabei an einer kritisch-konstruktiven Anwendung von KI-Tools. Sehr viel halte ich daher vom Aufruf von Nele aus dem eBildungslabor mit dem Titel: “Sei kein Bot-Papagei!”

    https://seikeinbotpapagei.de/

    “Selbst die Quellenanzahlen scheinen zu steigen.”

    Ja, wir hatten ja eine ganze Folge zum KI-Fediversum gemacht und ich beobachte dessen Entwicklung fasziniert Tag für Tag!

    https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/blume-ince-31-das-ki-fediversum-und-die-digitale-thymokratie/

    So zeigte mir Felo.ai gestern in den Quellen an, dass mein Mastodon-Account inzwischen auch auf Bluesky gespiegelt wird!

    https://web-cdn.bsky.app/profile/BlumeEvolution.sueden.social.ap.brid.gy

    Die Behauptung, wir “müssten” in antisozialen Konzernmedien mitwirken, um unsere “Reichweiten” zu erhöhen, wird nach meiner Beobachtung längst widerlegt. Es gilt doch zunehmend umgekehrt: Wer den eigenen Content im Fediversum postet, statt ihn an ein Konzern-Datensilo zu verschleudern, ist für alle Suchmaschinen und KI-Crawler findbar.

    “Eine funktionierende Gesellschaft und Wirtschaft benötigt sowohl eine gut ausgebaute materielle als auch soziale Infrastruktur.”

    Ja, dieser Satz hat mich auch berührt, da er dual und gerade nicht dualistisch ist. Materielle und soziale Infrastruktur werden hier also nicht als feindselige Gegensätze begriffen, sondern als gegenseitige Ergänzung.

    Und genau so sehe ich es auch: Materielle Infrastruktur erfüllt ja gar keinen Sinn und kann auch wirtschaftlich nicht produktiv sein, wenn sie nicht durch Menschen genutzt wird. Auch hier bedingen sich also Ökonomie und Demografie!

    Ebenso würde ich das Fediversum und konkret die Wikipedia stärker als Bestandteil der sozialen als nur materiellen Infrastruktur begreifen und unterstütze sie daher auch als zahlendes Mitglied von Wikimedia e.V. seit vielen Jahren. Dass Elon Musk die Wikipedia als “Wokepedia” angreift, unterstreicht nach meiner Einschätzung, wie machtvoll das Fediversum für die Wahrnehmung der Realität bereits geworden ist!

    https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wokepedia-vorwurf-elon-musk-attackiert-das-fediversum-wikipedia/

    Weiter geht es:

    “Spannend (und nachvollziehbar), dass die Befriedigung materieller Bedürfnisse, im Rahmen der materiellen Infrastruktur, gewissermaßen Voraussetzung sind für sozialen Frieden – auch wenn die KI derzeit noch fossile und Atomenergie mit dazu zählt 🙂”

    Genau deswegen befürworte ich erneuerbare Friedensenergien als Bestandteil der materiellen Infrastruktur und den Solarpunk als Bestandteil der sozialen Infrastruktur!

    Freue mich schon sehr darauf, mit Dir in der nächsten Folge über den aus meiner Sicht ambivalenten Begriff des Humankapital zu dialogisieren! 😊📚🙌☕

  3. Was nehme ich aus dem Podcast, den ich mit Interesse gehört habe, mit?

    Auch die soziale Infrastruktur braucht Geld, sie muss auf einem solide finanzierten Fundament stehen.
    Die Wohlfahrtsverbände leisten einen enormen Beitrag zur Integration und fördern das gute soziale Miteinander. Ich hoffe, dass diese Verbände aus dem Infrastrukturpaket eine finanzielle Unterstützung erhalten.
    Der paritätische Wohlfahrtsverband, der durch Frau Nathalie Wollmann in den Podcast vertreten wurde, ist auf allen Landesebenen ein starker Dachverband für viele sozialengagierte Vereine.
    Der Seniorenverein, in dem ich ehrenamtlich tätig bin, gehört auch zum niedersächsischen Landesverband des paritätischen Wohlfahrtverbandes.
    In dem Podcast hat der Beitrag von Frau Nathalie Wollmann sehr deutlich gemacht, wie wichtig die Arbeit der Menschen Vorort ist. Besondere Unterstützung brauchen die Projekte, die direkt an der Basis für mehr Mitmenschlichkeit und gegen Rassismus eingesetzt werden, um die Spaltung, die nach meiner Auffassung richtig beschrieben wurde, zu überwinden.
    Die Überwindung der Spaltung in unserer Gesellschaft mündet wiederum in einen Bildungsauftrag und auch dafür braucht man Geld aus dem Infrastrukturpaket, denn Bildung ist Teil der sozialen Infrastruktur.

    Wie verheerend die Auswirkungen sein werden, die zur Zeit durch die Zerschlagung von Bildungseinrichtungen in den USA an der Tagesordnung sind, werden wir wohl bald leider erleben müssen. Dort schafft sich das Bildungsministerium gerade selber ab.

    Wieder ein guter Podcast, danke🙏

  4. Die Infrastruktur, die Eingeweide des Staates, dient vor allem der Umverteilung, Wartung und Selbstheilung. Dazu gehören Dienstleistungen, interner Handel, Bürokratie, Sozialstaat, Korruption, auch die Beziehungen und Freundschaften der Menschen untereinander, all das Soziale ist untrennbar mit den Straßen, Häusern, Geschäften verbunden und wird heutzutage über Geld geregelt. All das bildet den Hauptteil des riesigen Kohlkopfes Staat und hängt auf Gedeih und Verderb an seiner Wurzel, wächst so sehr, wie es die Nährstoffzufuhr erlaubt.

    Vor 500 Jahren haben Heinrich der Seefahrer und Kolumbus den Kohlkopfgarten Europa in die Welt gepflanzt, es wuchs ein Wurzelwerk, das die Erde umspannt. Doch daraus gingen größere Kohlköpfe hervor und viele kleinere, die Nährstoffe reichen nicht für alle, also werden die Schwachen abgetrennt, und dazu gehört auch das alte, schwache, auf felsigem Grund in schweren Stürmen gewachsene Europa – je mehr die Wurzel zur Welt durchschnitten wird, desto mehr werden wir das, was wir ohne die Reichtümer der Welt waren.

    All euer Wohlstand kommt von Draußen, kriegt es in eure Kohlköpfe. Und ihr habt nichts, was nicht irgendwo anders in der Welt besser gedeihen könnte. Berlin allein zählt nichts im globalen Wurzelwerk, da zählt nur die EU. Wenn diese nicht handlungsfähig ist, weil sie von internen Kämpfen zerfetzt wird, sieht die Welt in Europa nur einen Haufen leckeres, wehrloses totes Fleisch, das nach Geiern ruft.

    Die Waffe ist der Dosenöffner für die Welt, sie ist das Erste und das Letzte, was Sie brauchen, wenn Sie überleben wollen. Sie können ein Schwert ohne Brot haben, doch kein Brot ohne Schwert, denn wenn Sie ein Schwert haben, wird schon irgendeiner Brot haben, und wenn Sie Brot haben, wird schon irgendeiner ein Schwert haben. Wenn Sie nicht von Raub und Krieg leben wollen, brauchen Sie beides. [Wegen Überlänge und unangemessener Sprache ab hier gekürzt, M.B.]

    • Danke für Ihren wieder sehr meinungsstarken und leider allzu langen Druko, @Paul S

      Diesmal kann ich Ihnen jedoch leider nicht folgen. So schrieben Sie:

      “Die Infrastruktur, die Eingeweide des Staates, dient vor allem der Umverteilung, Wartung und Selbstheilung.”

      Das ist aus meiner Sicht falsch und ich habe es in der o.g. Blume & Ince-Folge auch gesagt: Familien und Religionsgemeinschaften gehören evolutionär unverzichtbar zur sozialen Infrastruktur und sind sehr viel älter als jeder Staat und übrigens auch als jeder Markt. Die soziale Infrastruktur kann also nicht “die Eingeweide des Staates” sein, sondern umgekehrt – der Staat, der Markt und jede Regierungsform sind mögliche und keinesfalls ewige Ausdrucksformen sozialer Infrastruktur.

      Erneut möchte ich dazu auf das große “Jenseits von Markt und Staat” der ersten Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom (1933 – 2012) verweisen, deren Ansatz wir auch in Blume & Ince 9 vorgestellt und diskutiert haben.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/elinor-ostrom-und-diskussionen-mit-marxismus-glaeubigen/

      Weder Staat noch Markt bilden das Eigentliche des Sozialen, sondern nur mögliche und fehlbare (emergente und kontingente) Ausdrucksformen der menschlichen Sozialität. Meine ich.

    • Paul S.
      “Die Infrastruktur, die Eingeweide des Staates,” ja, die Eingeweide müssen gesund bleiben, damit es nicht zu kulturellen Blähungen kommt.
      Ein Molch hat auch Eingeweide, aber er hat keine geistigen Ansprüche.
      Menschen haben geistige Ansprüche und deswegen haben Menschen auch einen Kopf mit einem empfindlichen Gehirn. Und in diesem Gehirn finden sich Gedanken und die Gedanken können schön-geistig sein aber auch zerstörerisch und abartig sein.

      Und deswegen gehört zur gesunden Infrastruktur eines Staates “ein gesunder Geist”.
      (Auch unter dem Namen Bildung bekannt.)
      Vielleicht wolltest du das über Wurzelwerk und totem Fleisch zum Ausdruck bringen ?

  5. Guten Morgen, liebe @Nathalie Wollmann, lieber @Michael Blume und lieber @Inan Ince,

    Vielen Dank für diesen äußerst sehenswerten Beitrag! Ich habe wieder viel gelernt und neue Denkanstöße erhalten. Besonders beeindruckt hat mich das starke Engagement von Frau Wollmann für die Menschenwürde.
    Ich möchte daher nochmals drei Aussagen hervorheben, die im Video gefallen sind und die ich Frau Wollmann zuschreibe:

    „Es ist schade dass wir an einem Punkt sind, wo wir die Nützlichkeit von Vielfalt beweisen müssen“

    „Keine Herausforderung rechtfertigt, die Axt an der Menschenwürde anzulegen oder an unserem Grundgesetz.“

    Themen wie Menschenwürde, Nächstenliebe (auch diesen schönen Begriff habt ihr erwähnt) und Solidarität scheinen auf dem Rückzug zu sein und wirken, als wären sie aus der Mode gekommen. Öffentlich und in der Politik scheint man damit offenbar nichts mehr gewinnen zu können – so der Eindruck. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Umso wichtiger ist der Dialog über die „soziale Infrastruktur“.

    Im Gespräch wurde bereits alles Wichtige gesagt: Die soziale Infrastruktur stärkt eine Gesellschaft. Umso erschreckender ist es zu sehen, wie derzeit (ihr habt euch aus gutem Grund auf Deutschland fokussiert, ich erlaube mir jedoch, einen Blick „über den Teich“ zu werfen) der Abbau jeglicher sozialen Miteinanders in den USA vorangetrieben wird. Dies wurde auch schon oft auf dem „Natur des Glaubens“-Blog diskutiert. Da es gut zum Thema passt, möchte ich einen Beitrag von Natascha Strobl zu den von Peter Thiel angestrebten „Cities of Freedom“ teilen

    „Es ist der feuchte Traum der faschistischen Libertären: Sie wollen Städte errichten bzw. kaufen, die fortan jeder staatlichen und demokratischen Kontrolle entzogen sind. Zugang haben nur jene, die entsprechendes Kapital besitzen. Sie können dort ohne jede Form von Gesetzen, Steuern oder Regulierungen wirtschaften und ihr Vermögen vermehren.“

    Für mich klingt das nach einer übersteigerten Entwicklung dessen, was Libertäre unter dem Begriff „Freiheit“ verstehen, nämlich einer absoluten Konzentration auf das eigene Ego ohne Rücksicht auf andere. Ein Konzept, das Werte wie Menschenwürde (insbesondere die der Schwächsten, die sich nicht selbst verteidigen können) sowie Nächstenliebe und Solidarität missachtet. In einem solchen Umfeld des „Survival of the Fittest“ werden die Reichen letztendlich zu Oligarchen oder absoluten Herrschern.

    Ich fände es äußerst spannend, wenn in einem zukünftigen Podcast noch einmal vertieft auf das Thema der „sozialen Infrastruktur“ eingegangen würde und dieses beispielsweise in Bezug zum Konzept der „offenen Gesellschaft“ gesetzt würde. Zudem finde ich das sogenannte Böckenförde-Diktum nach wie vor sehr interessant (das ich auf NdG kennenlernen durfte und das mich irgendwie nicht loslässt). Es besagt, dass der moderne, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, insbesondere die moralischen und ethischen Werte, die für das Zusammenleben der Bürger notwendig sind.

    Meine Frage hierzu wäre: Wie verhalten sich das Böckenförde-Diktum und die soziale Infrastruktur zueinander? Gehört die soziale Infrastruktur zu den dort genannten Voraussetzungen oder sind diese komplementär?

    • Vielen Dank für den starken Druko und die direkte Frage auch an mich, lieber @Peter Gutsche 🙏

      Gerne gehe ich darauf ein:

      “Wie verhalten sich das Böckenförde-Diktum und die soziale Infrastruktur zueinander? Gehört die soziale Infrastruktur zu den dort genannten Voraussetzungen oder sind diese komplementär?“

      Gerade bin ich auf der Rückfahrt von einer gemeinsamen, stark besuchten Veranstaltung mit MdL Florian Wahl (SPD) in Böblingen. Auch Florian und sein Team wurden im Vorfeld von einem rassistischen Trump-Rechtsdualisten aus dem Ausland bedroht. Und wir haben uns selbstverständlich als Demokratinnen und Demokraten davon in keiner Weise abschrecken lassen, sondern gemeinsam für unsere Demokratie, das interreligiöse Miteinander und gegen Antisemitismus aufgeklärt. Die Hater und Trolle machen unseren Zusammenhalt nur noch stärker! 😊🙌

      Aus meiner Sicht beschreibt das Böckenförde-Diktum also eine wesentliche Leistung der sozialen Infrastruktur aus Kirchen und Religionen, Parteien und Vereinen, NGOs, Bildungseinrichtungen und Familien für die Akzeptanz der Menschenwürde. Diese innere, demokratische und lebensbejahende Haltung kann nicht nur alleine durch materielle Infrastruktur erwachsen, sondern braucht auch das zwischenmenschliche Miteinander.

      Genau deswegen besorgt mich auch die Verbreitung der antisemitisch konnotierten Deep-State-Verschwörungsmythen während des Bundestagswahlkampfs 2025. Denn wenn da demokratische Parteien, Kirchen, Öffentlich-Rechtliche Medien und sogar NGOs wie etwa „Omas gegen Rechts“ dualistisch einer vermeintlichen Weltverschwörung zugeschlagen werden, dann sehe ich darin einen drohenden Übergriff gegen genau die soziale Infrastruktur, die wir so dringend brauchen.

      Deswegen bin ich für diese Folge von Blume & Ince mit den beiden starken Dialogisierenden so dankbar – und verspreche, auch meinerseits am Thema dran zu bleiben!

  6. Danke für diesen Beitrag und ein ganz besonderer Dank geht an Frau Wollmann.

    “Angst essen Seele auf” heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder.

    Ängste belasten. Auch mich. Ich werde nie wieder in Vollzeit tätig sein können. Glücklicherweise bin ich nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen, was sich aber ändern könnte – nicht durch eigenes Verschulden! Es macht mir Angst, dann beim Staat “betteln” gehen zu müssen. Aufgrund einer zwar mit Medikamenten einigermaßen beherrschbaren, aber nicht heilbaren Erkrankung gehöre ich somit zu jenen, die nicht voll belastbar sind. Mit bald 62 bin ich auch nicht unbedingt vermittelbar. Aber manche Politiker sind dann schnell mit dem Urteil der Faulheit zur Stelle. Übrigens: Psychischer Stress ist dem langsameren Fortschreiten einer solchen Erkrankung nicht dienlich. Fühle ich mich im Sinne dieser Politiker nützlich? Wohl eher nicht.

    Es ist ganz gleich gegen wen gehetzt wird – es ist immer falsch. Es trägt zur Spaltung bei, die die meisten von uns bestimmt nicht wollen.

    Solidarität gibt es immer wieder. Nach Hochwasserkatastrophen gibt es Spenden, wenn es irgendwo einen Brand gibt – viele helfen mit, nehmen die Leute auf, die zunächst vielleicht alles verloren haben.

    Einen Begriff, den ich nervig finde, möchte ich hier gerne noch einbringen: “sozial schwach” für Menschen, die finanziell zu kämpfen haben. Unter sozial schwach verstehe ich etwas anderes. Mein Vorschlag: Solche Formulierungen möglichst vermeiden. Das hat etwas mit Menschenwürde zu tun.

    Danke für die Arbeit des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

    • Vielen herzlichen Dank, @Marie H. 🙏 – auch für Ihre Offenheit.

      Und ich stimme Ihnen völlig zu: „Sozial schwach“ sind doch nicht arme Menschen, sondern generell und gerade auch reichere Menschen, die mit anderen lieblos umgehen.

      Mich besorgt das Umschlagen von berechtigten Fragen nach Leistung und Nutzen in eine Beweispflicht für die Existenz. Wenn etwa erkrankte Menschen sich Sorgen machen müssen, ob sie weiterhin respektiert oder unterstützt werden, dann stimmt doch etwas nicht. Ebenso mag ich es nicht, wenn Opfergruppen gegeneinander ausgespielt werden mir Leute versichern, sie würden ja „Juden klasse“ finden, Roma und Sinti aber nicht. Denn das bedeutet doch, dass das dualistische Denken in Gruppen nicht wirklich überwunden wurde – und sich niemand seiner Existenz wirklich sicher sein kann.

      Ich freue mich, dass Sie hier sind, sich einbringen und Mitmenschen informieren und ermutigen. Und ich wünsche Ihnen von Herzen noch gute Zeiten der Aktivitäten und guter Gesundheit.

      Ich bin froh, dass es Sie gibt. Und ich bin mir sicher, damit bin ich nicht alleine! 😊🙌🖖

      Ihnen Dank und eine gute Nacht! 🌙

      • Vielen herzlichen Dank für Ihre Antwort.

        Es ist in unserer Gesellschaft viel von Teilhabe die Rede. Zur Teilhabe gehört m.E. eine soziale Infrastruktur. Dazu zählt für mich auch die Vereinslandschaft in Deutschland. Der Fußball gilt beispielsweise als ein Beispiel, wie Integration gelingen kann.

        In den Vereinen sind vor allem Ehrenamtliche tätig, die dieses Engagement in ihrer Freizeit erbringen. Wenn nun immer wieder die Rede davon ist, dass in unserem Land die Leute nicht mehr leistungsbereit seien, nur Dienst nach Vorschrift machen würden und fehlender Fleiß beklagt wird, so ist dies nur eine Seite der Medaille.

        Fleiß und Leistung von Menschen gehen auch in die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Institutionen ein. Es kann doch nicht sein, dass nur noch die berufliche Tätigkeit eines Menschen zählt.

        Die Statistik der beruflichen Mehrarbeit zeigt jedes Jahr, wie viel zusätzlich an Arbeitsstunden geleistet wird. Was hätte es also zur Folge, wenn manche Politiker noch mehr Überstunden fordern, Rentner und Rentnerinnen am besten Vollzeit arbeiten sollten oder gar Beschränkungen durch den Arbeitsschutz aufgeweicht werden würden?

        Diese Gesellschaft wäre um so vieles ärmer! Durch Überforderung steigt das Risiko zu erkranken. Burn-Out ist keine Marginalie.

        Grundsätzlich halte ich sehr viel davon, wenn es gelingt, arbeitslos gemeldete Menschen wieder an einen Arbeitgeber zu vermitteln. Wenn wir uns aber einmal anschauen, wo genau Arbeitskräfte fehlen, ist dies z.B. im Bereich der Pflege. Nicht jeder Mensch ist dazu geschaffen, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen zu arbeiten. Gerade die Arbeit Hilfsbedürftige zu unterstützen, zehrt auf vielfältige Art und Weise am Personal.

        Ich glaube, wir brauchen auf politischem Gebiet Leute, die gesellschaftliches Engagement nicht nur in Sonntagsreden oder bei Ordensverleihungen loben, sondern die für diesen Teil der sozialen Infrastruktur die erforderlichen Grundlagen schaffen.

        Zum freiwilligen Engagement zählen m.E. auch im so wichtigen Bereich der Bildung übrigens die Volkshochschulen.

  7. Ich mische mich doch nochmal ein:
    Ist Infrastruktur Materie ODER Geist bzw. Materie UND Geist?
    Das westliche philosophische Problem…
    Es gärt: fantastisch!

  8. Sie sind in der Spur, aber noch nicht im Zenit.
    Sie mögen das wiederum als arrogant empfinden, aber was ist Leiten?

  9. Ich glaube an Sie nicht wegen chat.gpt perplexicty und felo in Ausgaben, sondern weil es Inhalt heisst.
    Und Inhalt ist komplementärer Dialog!
    Algorithmen verstehen die Aussagenlogik nicht!
    Das versteht nur Gehirn!

  10. @Podcast Nr. 34

    Ich kam jetzt erst dazu, den Podcast zu hören.

    Was das Existenzrecht betrifft, dann gilt das natürlich für alle Menschen. Aber das beinhaltet doch nicht unbedingt ein uneingeschränktes Recht, überall frei einzureisen.

    Existenziell bedroht ist nun mal nicht jeder, der hier in Deutschland einreisen will. Unabhängig davon können wir natürlich Fachkräfte einladen, die wir dringend brauchen können. Ich sehe da eigentlich keine Widersprüche.

    Die Menschen gegeneinander ausspielen ist natürlich nicht hilfreich. Wenn man allerdings auf dem Niedriglohnsektor und teils auch auf dem Wohnungsmarkt mit sehr vielen Einwanderern konkurrieren muss, dann kann man das schon auch als eine persönliche Schwierigkeit sehen. Die Pläne von einem Mindestlohn von 15 Euro sind sicher wichtig, nur wird das leider öfter unterlaufen. Man müsste auch gucken, wie man den besser durchsetzt.

    Wo ich ganz viel von halte, dass wäre sicher eine schnellere Integration von Einwanderern. Insbesondere wenn hier die 2. Generation in den Schulen der Brennpunktstadtteile unter sich bleibt, trägt das wenig zur Integration bei.

    Speziell der Wohnungsmarkt steht derzeit in den meisten großen Städten ziemlich unter Druck. Neben den Einwanderern aus der EU und der Ukraine, die sich hier ohne jede Genehmigung frei bewegen können, kommen da dann noch die aus Afrika und dem Nahen Osten dazu.

    Insgesamt weniger würde ich mir wünschen. Wenn denn jetzt viele Syrer und Ukrainer wieder zurückgehen würden, dann würde sich das wohl gleich sehr förderlich auf den Wohnungsmarkt auswirken. Ob man das gut oder schlecht findet, hängt natürlich davon ab, ob man Miete bezahlt oder ob man Wohneigentum besitzt und eventuell noch die Mieten kassiert.

    Mit dem sozialen Wohnungsbau ist das so eine Sache. Einmal kann man keine günstigen Altbauten neu bauen, und anderseits sind Neubauten eine Investition auf 50 Jahre, und entsprechend in einer Situation, wo sehr viel in Infrastruktur aller Art investiert werden muss, gar nicht so einfach.

    Hier geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Arbeitskräfte. Klar gibt es auch eingewanderte Bauarbeiter, wenn die dann aber selber wieder zusätzlichen Wohnraum brauchen, dann reduziert das durchaus deren Wirkung.

    Wir müssten vielleicht mal gucken, dass jeder, der sich sowieso wohnungsmäßig verkleinern kann und will, dass der das schneller macht. Das hätte das Potential, den Neubaubedarf ganz entscheidend zu senken, und würde dem Klimaschutz auch noch helfen.

    Als Wahlkampfthema hilft das Thema Zuwanderung sicher eher der AfD. Aber wirklich weniger Zuwanderer nicht unbedingt? Das ist ja nicht dasselbe. Im Westen haben jetzt vor allem Menschen die AfD gewählt, die wenig verdienen und derzeit in ziemlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind. Wenn es denen besser ginge, könnte das einen Unterschied machen.

  11. Es ist ein Unterschied, ob ich Natur oder Kultur bzw. Natur und Kultur sage und meine. Daraus leitet sich jeweils wenn-dann ab.
    Diesen Phasenwechsel wird auch ein Quantencomputer nicht schaffen.
    Atmen, Hunger, Durst und Wärme ist evident für Natur und Kultur.
    Der Rest ist die Frage nach Zerstörung bzw. Erhalt.
    Daran sollte Politik sich ableitend orientieren.

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