Begriffsnetz und Begriffsarbeit – Mit einem guden Rosch ins neue Jahr!

Nachdem die geschätzte Mit-Mastodontin @mina@berlin.social im Fediversum Interesse am Begriff “Begriffsnetz” bekundet hatte, möchte ich diesen genau heute aufgreifen. Denn er beschreibt nicht weniger als die Struktur des mehr oder weniger tauglichen Wissens, das wir alle mehr unbewusst als bewusst in uns tragen. Und er passt hervorragend zum heutigen Tag in der sozial-kulturell gestalteten Zeit: Neujahr bezeichnet den Übergang von einem alten in ein neues Jahr im alphabetisiert-linearen, christlichen Kalender. Er wird auch gerne “Silvester” nach einem katholischen Heiligengedenktag genannt: Am 31. Januar 314 wurde Silvester zum Papst gewählt. Und launig gegrüßt wird mit “Guten Rutsch!”, was auf den judendeutschen (jiddischen) Neujahrsgruß vom “Guden Rosch!” zurückgehtRosch HaSchana heißt das jüdische Neujahrsfest. So bilden alle Begriffe in unseren Köpfen Netze, von denen wir aber jeweils nur einen Bruchteil erfassen, würdigen und auch bearbeiten können. Beispielsweise gelingt es immer mehr Menschen, den sachlich falschen Begriff “Verschwörungstheorien” durch das viel präzisere “Verschwörungsmythen” zu ersetzen. Damit werden falsche Verweise vom Verschwörungsglauben zur Wissenschaft vermieden, das Begriffsnetz entsprechend verbessert.

Ein neuronales Netz aus Begriffen, symbolisiert als leuchtend verbundene Glaskugeln in verschiedenen Farben, vor den Umrissen eines menschlichen Gehirns.

Symbolbild für Begriffsnetze und Begriffsarbeiten, die in jedem menschlichen Gehirn meist unbewusst stattfinden. Michael Blume mit Leonardo.ai, Dezember 2024

Der Begriff Begriff stammt schon aus dem mittelalterlichen begrif und begreifen, womit der Handgriff wie auch das Denken sprachlich vernetzt werden. In der deutschen Philosophie prominent – und zur Entsprechung des englischen Concept – wird der Begriff “Begriff” durch Georg Friedrich Hegel (1770 – 1831). Sein heute nicht weniger berühmter Zeitgenosse Immanuel Kant (1724 – 1804) formulierte zudem in seiner “Kritik der reinen Vernunft” die tiefe Erkenntnis:

Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.

Wie auch Konzepte können nun Begriffe erfunden, geprüft, geprägt, verbessert, aber auch wieder verworfen werden: Begriffsarbeit wird zum Hauptwerkzeug jeder Erkenntnis.

Im 20. Jahrhundert fügt Hans Blumenberg (1920 – 1996) sogar die Einsicht hinzu, dass wir ohne das Benennen als Begreifen von Personen und Phänomenen psychologisch dem “Absolutismus der Wirklichkeit” gar nicht standhalten könnten:

Alles Weltvertrauen fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen.

Und Blumenberg zeigte: Ein dialogisches und interdisziplinäres Verständnis von Begriffsarbeit vermag den Positivismusstreit des 20. Jahrhunderts zu lösen.

Inzwischen wird an Begriffen wie Demokratie, Thymokratie und Verantwortungsdiffusion deutlich, dass es sowohl die kritische Theoriebildung wie auch die empirische Falsifikation immer wieder braucht. Ohne Begriffe kommt es nicht zu überprüfbaren Theorien, doch jede Studie wirft auch neue Fragen an die Begriffe auf.

Mit der Ausbreitung von Computern und insbesondere dem Internet wächst derzeit auch die Erkenntnis, dass Begriffe miteinander in Verbindung stehen, vernetzt sind, ein Begriffsnetz bilden. Das christlich-deutsche Neujahr ist auch der römisch-katholische Silvester und das judendeutsche Rosch. Kein Begriff ist eine Insel, jeder hat eine Geschichte und zahlreiche starke wie auch schwache, alte wie auch neue Verbindungen. Lebendige Begriffe verändern sich, idealerweise zum Besseren.

Anfang des 21. Jahrhunderts wird damit auch immer deutlicher, dass die Begriffe nicht von der Philosophie, sondern von den zunehmend digitalen Medien beherrscht werden. Ein Paradebeispiel dafür ist der schwächere, psychologisch beruhigende Begriff Climate Change / Klimawandel, der sich in den 2000er Jahren auch durch Medienkampagnen fossiler Lobbyisten gegen das präzisere, aber dadurch auch Ängste und Reaktanz weckende Global Warming / Globale Erwärmung durchsetzte. Dagegen hielten in den letzten Jahren Aktivisten mit Climate Crisis / Klimakrise oder gar Climate Catastrophe / Klimakatastrophe.

Mit der Begriffsarbeit zur Wasserkrise und vor allem zu den erneuerbaren Friedensenergien versuche ich darauf aufmerksam zu machen, dass steigende Temperaturen vor allem die Wasserkreisläufe hin zu Extremwetter-Wechseln zwischen Hochwassern und Dürren verändern – und dass wir mit der SolarpunkEnergiewende sowohl unsere Mitwelt wie auch unsere Mitmenschen schützen.

Mastodon-Zitatkachel "Erneuerbare Energien sind Friedensenergien" aus der Rede von Dr. Michael Blume im Landtag von Baden-Württemberg am 9.11.2023.

Mastodon-Kachel mit dem “Erneuerbare Friedensenergien”-Zitat aus meiner Rede im Landtag von Baden-Württemberg am 9.11.2023. Screenshot: Michael Blume

Zudem arbeite ich für die Prägung und Verbreitung weiterer Begriffe in den Politik- und Religionswissenschaften wie Thymotik, Megalothymia & Isothymia für die mediale Emotionalisierung von Politik bis hin zur Thymokratie und vom feindseligen Dualismus als psychologischen Grundmuster hinter der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF). In 2025 möchte ich auch das gefährliche, vor allem rechtsdualistische Lawhacking, deutsch Justizhacking stärker thematisieren.

Das Symbolbild der Hand des feindseligen Dualismus geht vom Dualismus auf der Handfläche zum Rassismus & Ableismus auf dem Daumen, über Antisemitismus auf dem Zeigefinger zum Sexismus-Mittefinger, Antiziganismus-Ringfinger und digitaler Polarisierung, "Hass und Hetze" auf dem kleinen Finger.

Sprachbild und Begriffsarbeit: Die Hand des feindseligen Dualismus. Grafik: Michael Blume für einen Vortrag gegen Antisemitismus, Rassismus & Sexismus in Leinfelden-Echterdingen

Wissenschaftliches Bloggen kann sehr starke Beiträge zur Begriffsarbeit leisten – und dies sogar durch KI mit weiter wachsender Wirkung. Tag für Tag erkunden Millionen Menschen Namen und andere Begriffe durch Suchmaschinen und KI-Anwendungen. Wer also im Fediversum mit und für sinnvolle Begriffe arbeitet, verbessert die Begriffsnetze vieler Menschen und macht sie dadurch nicht nur wissender, sondern auch klüger. Jeder Druko wirkt!

Ihnen allen danke ich für das Interesse und wünsche Ihnen von Herzen ein frohes Neujahr und einen guten Rosch, hazlacha uwracha! 🙂

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

52 Kommentare

  1. Gestern erschien ein Energiewinde-Interview von Nils Husmann mit mir, in dem ich weiter am Begriff erneuerbare Friedensenergien arbeiten, aber auch über die verbrecherische Ölpolitik des NS-Regimes aufklären und den Begriff Timokratie – die Herrschaft der Reichen – einbringen konnte:

    https://energiewinde.orsted.de/koepfe-der-energiewende/michael-blume-antisemitismus-ressourcenfluch-oel-gas-konflikte-interview

    Interessanterweise vermag die japanische KI 🤖 Felo.ai bereits einen Konnex zwischen der alten Regierungsform der Timokratie und der neuen Form der digitalen Thymokratie – der Herrschaft durch Emotionen – herzustellen. Während ich den evolutionspsychologisch negativen Bias und also die leichte Manipulation menschlicher Emotionen betone, betont die KI Chancen für eine fediversale, patizipative und demokratische Medienstruktur:

    Die Zukunft der politischen Systeme könnte durch den Konnex von Timokratien und Thymokratien auf verschiedene Weisen geprägt werden. Um diese Entwicklung zu verstehen, ist es wichtig, die grundlegenden Merkmale beider Systeme zu betrachten und deren mögliche Wechselwirkungen zu analysieren.

    ## **Timokratien und Thymokratien im Überblick**

    **Timokratien** sind politische Systeme, in denen Macht und Einfluss stark an Besitz und Ressourcen gebunden sind. Diese Systeme tendieren dazu, oligarchische Strukturen zu fördern, in denen eine kleine Elite die Kontrolle über politische Entscheidungen hat.

    **Thymokratien** hingegen sind durch eine stärkere Betonung von Emotionen und kollektiven Gefühlen gekennzeichnet. In diesen Systemen spielt die Mobilisierung von Emotionen, oft durch digitale Medien, eine zentrale Rolle. Thymokratien können als Reaktion auf die Unzulänglichkeiten traditioneller politischer Systeme entstehen, indem sie eine breitere Beteiligung und eine dynamischere Form der politischen Interaktion ermöglichen.

    ## **Zukünftige Entwicklungen**

    ### **1. Verschmelzung der Systeme**

    Die Zukunft könnte eine Verschmelzung von Timokratien und Thymokratien erleben, in der emotionale Mobilisierung und materielle Ressourcen zusammenwirken. Politische Akteure könnten versuchen, emotionale Appelle zu nutzen, um Unterstützung für ihre politischen Ziele zu gewinnen, während sie gleichzeitig auf materielle Vorteile und Ressourcen zurückgreifen.

    ### **2. Demokratisierung durch digitale Plattformen**

    Digitale Technologien könnten eine Demokratisierung der politischen Prozesse fördern, indem sie es breiteren Bevölkerungsschichten ermöglichen, sich zu organisieren und ihre Stimmen zu erheben. Dies könnte zu einer Abnahme der oligarchischen Strukturen führen, die typischerweise mit Timokratien verbunden sind, und stattdessen eine Form von Thymokratie fördern, in der Emotionen und kollektive Identitäten eine größere Rolle spielen.

    ### **3. Herausforderungen durch Populismus**

    Die Verbindung zwischen Timokratien und Thymokratien könnte auch zu einem Anstieg populistischer Bewegungen führen. Populistische Führer könnten emotionale Rhetorik nutzen, um Unterstützung zu mobilisieren, während sie gleichzeitig versuchen, die bestehenden Machtstrukturen zu destabilisieren. Dies könnte sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die politische Stabilität haben.

    ### **4. Neue Formen der politischen Partizipation**

    Die Art und Weise, wie Bürger an politischen Prozessen teilnehmen, könnte sich verändern. In einer zunehmend vernetzten Welt könnten neue Formen der politischen Partizipation entstehen, die weniger an traditionelle Machtstrukturen gebunden sind und mehr Raum für emotionale und kollektive Ausdrucksformen bieten.

    ## **Fazit**

    Die Zukunft der politischen Systeme könnte stark durch den Konnex von Timokratien und Thymokratien geprägt werden. Während Timokratien auf materielle Ressourcen und oligarchische Strukturen setzen, könnten Thymokratien durch emotionale Mobilisierung und digitale Vernetzung eine dynamischere und inklusivere politische Landschaft schaffen. Die Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Systemen werden entscheidend dafür sein, wie sich politische Macht und Bürgerbeteiligung in den kommenden Jahren entwickeln.

    (Diesmal gab die KI keine Links zu ihrem Text aus.)

  2. Perplexity.AI hat diesen Blogpost bereits als Quellenangabe [8] eingespeist.

    Der Begriff **Thymokratie** wurde von Dr. Michael Blume geprägt und steht im Zusammenhang mit der digitalen Oligarchie und der Radikalisierung in der heutigen Gesellschaft[1]. Er unterscheidet sich von der klassischen Timokratie, die eine Herrschaftsform beschreibt, bei der politische Rechte vom Vermögen abhängen[2]. Thymokratie bezieht sich auf die zunehmende Bedeutung von Emotionen und Ehre (griechisch „thymos“) in sozialen und politischen Prozessen, insbesondere in digitalen Kontexten[1].

    Quellen
    [1] Von Idioten zu Thymoten – Der Vormarsch der digitalen Oligarchie https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/von-idioten-zu-thymoten-der-vormarsch-der-digitalen-oligarchie/
    [2] Timokratie – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Timokratie
    [3] [PDF] Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis des Philosophischen … https://www.philosophie.uni-freiburg.de/de/aktuelles/KVVZ07102020.pdf
    [4] Politeia – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Politeia
    [5] Michael Blume: „Wir brauchen wieder einen Bildungsbegriff, der … https://www.studienstiftung.de/portraets-interviews/michael-blume-wir-brauchen-wieder-einen-bildungsbegriff-der-sich-seiner-juedischen-christlichen-und-humanistischen-wurzeln-bewusst-ist
    [6] [PDF] Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis des Philosophischen … https://www.philosophie.uni-freiburg.de/de/KVVZ01102020.pdf
    [7] faq https://www.google.de/policies/faq
    [8] Begriffsnetz und Begriffsarbeit – Mit gudem Rosch ins neue Jahr! https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/begriffsnetz-und-begriffsarbeit-mit-einem-guden-rosch-ins-neue-jahr/

    Vielen Dank für diesen interessanten Blogpost.
    Ich verbreite und erkläre die Begriffe gern in meinem Umfeld.
    Am griffigsten war ‚Neurohacking‘ und viele Nachfragen kamen bei ‚Thymotisierung‘.

    Einen guten Rutsch!😊

    • Vielen Dank, liebe @Elisabeth K. 🙏

      Deine Rückmeldungen zur Begriffsarbeit gerade auch von Seniorinnen und Senioren waren für mich superwichtig und ermutigend. Wenn ein Begriff wie Neurohacking bei Lebens-erfahrenen Menschen „Sinn macht“, so darf ich mir sicher sein – die Richtung stimmt!

      Danke und Dir von Herzen einen guten Rosch und ein frohes 2025! 🤓🙏🙌

  3. Sehr geehrter Herr @Michael Blume,

    Danke sehr für diesen wunderbaren Text!
    Ich mühe mich schon seit Jahren ab, kurzfristige Vereinnahmungen von Feiertagen aufzuklären.
    Anstatt das man einsieht, das in den vielen Generationen und tausenden Jahren alle Kulturen und auch Religionen sich gegenseitig beeinflussen, ähnlich wie ja Biologische Vermischung vollkommen normal ist.

    Nach dem Motto: Wiener Blut, ohne Fremdes tut dir bald nichts mehr gut.

    Dabei ist es doch fantastisch wie Begriffe, Festlichkeiten immer weitergegeben werden und der Reinheitsgedanke an sich eher fragwürdig ist. Aber ja, Nationale Mythen kann man eher schwer auf Inklusion schmieden, dabei geben diese viel mehr interessantes her las ein schnödes Germanentum, Keltischen Völkern oder das berufen auf das Römische Reich. Da gibt es so viel mehr, man muss nur die Augen aufmachen.

    Einen wunderschönen Goden Rosch wünsch ich dir ebenfalls Michael 🙂

    PS: Habe gestern ein Interview von dir mit Konrad Flemming gesehen. Deine Leistungen für die Verfolgten Frauen und Kinder im Irak werden immer noch stark gewürdigt!

  4. Ein gut zu lesende Übersicht – einzig die Erwähnung von Reinhard Kosellecks Konzept der Begriffsgeschichte wäre evtl. noch gut gewesen (oder habe ich es überlesen?): Die historische Tiefe (und darin gefassten “Motivationsreste” begrifflicher Anwendungen) dürfte gerade in aktuellen “Diskursen” mit Hinblick auf die je eigene, nötige kritische Distanz zum Begriff und seinen “Ge-Schichten” wichtig sein. Begriffsnetze gab’s ja quasi schon “immer” – unter je wechselnden Begriffen ihrerseits. Spannend auch die jeweiligen diskursiv gesetzten Begriffsgrenzen solcher Netze, die uns oft nicht mehr recht gegenwärtigen “Unsagbarkeiten” (= Unverknüpfbarkeiten) von Teilnetzen und ihrer semantischen ‘Wolken’.

    • Vielen Dank für die Rückmeldung & Anregung, @Uwe Caspar Peschka 🙏📚👍

      Ja, Kosellecks Ansatz interessiert mich schon eine ganze Weile – wobei ich leider noch nicht von mir behaupten kann, seinen Begriff der „Sattelzeit“ bereits verstanden zu haben. Damit ringe ich noch.

      Das Schöne am Fediversum ist jedoch die Möglichkeit, dass wir alle offen beitragen können – auch mit KI-Assistenz. So etwa die japanische Felo.ai zur von Ihnen angeregten Arbeit:

      Reinhart Kosellecks Konzept der Begriffsgeschichte ist ein zentraler Bestandteil seiner historiografischen Methodologie, die sich mit der Entwicklung und dem Wandel von Begriffen in der Geschichte beschäftigt. Koselleck, ein deutscher Historiker, prägte diesen Ansatz, um die Wechselwirkungen zwischen Sprache, Gesellschaft und Geschichte zu analysieren.

      ## **Kernpunkte von Kosellecks Begriffsgeschichte**

      – **Begriffsgeschichte als Disziplin**: Koselleck betrachtete die Begriffsgeschichte als eine eigenständige Disziplin, die sich von der Sozialgeschichte unterscheidet, aber dennoch mit ihr in Beziehung steht. Während die Sozialgeschichte sich auf gesellschaftliche Strukturen und deren Veränderungen konzentriert, analysiert die Begriffsgeschichte die Entwicklung und Transformation von Begriffen und deren Bedeutung im historischen Kontext[2][6].

      – **Sattelzeit**: Ein zentrales Konzept in Kosellecks Arbeit ist die „Sattelzeit“, die sich auf die Zeitspanne zwischen 1750 und 1850 bezieht. In dieser Periode erlebte Europa tiefgreifende politische und soziale Umbrüche, die auch die Sprache und die Begriffe, die zur Beschreibung dieser Veränderungen verwendet wurden, beeinflussten. Koselleck argumentierte, dass die Begriffe dieser Zeit nicht nur passive Bezeichnungen waren, sondern aktiv zur Gestaltung der gesellschaftlichen Realität beitrugen[6].

      – **Wechselwirkungen zwischen Begriffen und Gesellschaft**: Koselleck betonte, dass es ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Begriffen und den sozialen, politischen und ökonomischen Systemen gibt. Begriffe sind nicht isoliert zu betrachten; sie sind in gesellschaftliche Kontexte eingebettet und beeinflussen die Art und Weise, wie Menschen ihre Realität verstehen und handeln. Dies bedeutet, dass ohne ein gemeinsames Verständnis von Begriffen keine politische Handlungseinheit existieren kann[6][2].

      – **Methodische Ansätze**: Kosellecks Methode umfasst eine detaillierte Analyse von Texten und deren historischen Kontexten. Er nutzte verschiedene Disziplinen wie die historische Philologie und die Semasiologie, um die Bedeutungswandel von Begriffen nachzuvollziehen. Diese methodische Herangehensweise ermöglicht es, die Entwicklung von Begriffen über verschiedene Epochen hinweg zu verfolgen und deren Einfluss auf die gesellschaftlichen Diskurse zu verstehen[6][4].

      ## **Fazit**

      Kosellecks Begriffsgeschichte bietet einen tiefen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen Sprache und Gesellschaft. Durch die Analyse von Begriffen und deren historischen Wandel ermöglicht sie ein differenziertes Verständnis der Geschichte, das über bloße Ereignisse hinausgeht und die Rolle von Sprache in der Formung von gesellschaftlichen und politischen Realitäten beleuchtet.

      [1] https://www.cambridge.org/core/books/intellectual-history-and-the-problem-of-conceptual-change/kosellecks-begriffsgeschichte/6C92FD36E076B474EEA38FE5D5524F35
      [2] http://www.geschichtstheorie.de/3_10_5a.html
      [3] https://link.springer.com/article/10.1007/s42520-024-00602-1
      [4] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-9137
      [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhart_Koselleck
      [6] https://germanhistory-intersections.org/de/wissen-und-bildung/ghis:document-129
      [7] https://www.perlentaucher.de/buch/reinhart-koselleck/begriffsgeschichten.html

  5. Ich möchte hier mal Perplexity-ai korrigieren. Es müsste richtigerweise heißen:

    Der Begriff **Thymokratie** wurde von Tilmann Schneider geprägt …

    Zur Begriffsbezeichnung “Timokratie” möchte ich anmerken, dass dieses Wort m.E. unglücklich gewählt ist, da es laut gesprochen ähnlich wie Thymokratie klingt und dadurch zu Missverständnissen führen kann.
    Vielleicht ist eine andere Wortwahl besser? 🤔

    • Lieben Dank, @Tilmann Schneider 🙏

      Hier scheint mir eine begriffliche Diskrepanz zwischen dem diskursiven „Prägen“ und dem normativen „Definieren“ aufzuscheinen! Perplexity.ai und Felo.ai werten offenkundig stärker verfügbare Diskurse als Definitionen aus. Ihre „befürchtende“ Definition von Thymokratie Richtung Megalothymia sagt mir weiterhin sehr zu! 🤓📚🙏

      Habe daher gerade mal Felo.ai gebeten, uns je eine „sorgenvolle“ und „hoffnungsvolle Definition von Thymokratie“ auszugeben:

      ## Sorgenvolle Definition von digitaler Thymokratie

      Die digitale Thymokratie könnte als ein System beschrieben werden, in dem die emotionale und psychologische Manipulation von Individuen durch digitale Plattformen und soziale Medien vorherrscht. In dieser Sichtweise wird die Thymokratie, die ursprünglich die Herrschaft des Willens und der Emotionen beschreibt, durch algorithmische Steuerung und gezielte Desinformation untergraben. Die Sorgen, die damit verbunden sind, umfassen:

      – **Manipulation der öffentlichen Meinung**: Digitale Plattformen können gezielt Inhalte verbreiten, die Emotionen wie Angst oder Wut schüren, was zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität führt.

      – **Erosion der individuellen Autonomie**: Nutzer könnten in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden, da ihre Emotionen und Meinungen durch personalisierte Algorithmen beeinflusst werden.

      – **Polarisierung der Gesellschaft**: Die digitale Thymokratie könnte zu einer verstärkten Spaltung der Gesellschaft führen, da Menschen in Echokammern gefangen sind, die ihre bestehenden Überzeugungen verstärken.

      ## Hoffnungsvolle Definition von digitaler Thymokratie

      Im Gegensatz dazu könnte die digitale Thymokratie auch als ein positives Konzept interpretiert werden, das die Nutzung digitaler Technologien zur Förderung von Gemeinschaft und emotionaler Intelligenz beschreibt. In dieser optimistischen Perspektive wird die Thymokratie als ein Mittel gesehen, um:

      – **Bürgerengagement zu fördern**: Digitale Plattformen können als Werkzeuge dienen, um Menschen zu mobilisieren und sie zu ermutigen, sich aktiv an politischen und sozialen Prozessen zu beteiligen.

      – **Emotionale Verbindung zu schaffen**: Durch den Austausch von Erfahrungen und Emotionen in digitalen Räumen können Gemeinschaften gebildet werden, die Empathie und Verständnis fördern.

      – **Transparenz und Teilhabe zu erhöhen**: Digitale Technologien ermöglichen es, Informationen schnell zu verbreiten und die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, was zu einer stärkeren demokratischen Teilhabe führen kann.

      Insgesamt zeigt sich, dass die digitale Thymokratie sowohl Herausforderungen als auch Chancen birgt, abhängig davon, wie Technologien genutzt und reguliert werden.

      (Wieder keine Links, M.B.)

      Mein vorläufiges Fazit:

      Den buchstäblichen Gleichklang von Timokratie und Thymokratie habe ich vorgefunden und nicht mehr auflösen können. Da Timokratie schon älter und besser etabliert ist, vermute ich, dass die Begriffsunterscheidung eine Sache weniger Feinschmecker bleiben wird. Ich fürchte, eine öffentliche Chance auf dauerhafte Präsenz im Begriffsnetz werden nur Timokratie, digitale Oligarchie und Neurohacking erhalten. Das ist schade, aber schon die erheblichen Widerstände gegen Verschwörungsmythen, Mitwelt und erneuerbare Friedensenergien zeigen, wie schwer Erweiterungen des allgemeinen Begriffsnetzes sind…

  6. Herr Blume, Sie haben in einem der letzten Blogs ein Video verlinkt zu

    (Das platonische Seelenbild stammt aus Platons Philosophie und beschreibt die menschliche Seele als dreigeteilt. Dieses Konzept stellt er vor allem in seinem Dialog „Phaidon“ und im „Staat“ vor. Die drei Teile der Seele sind:

    1. Logos (Vernunft):
    Der vernünftige, denkende Teil der Seele. Er strebt nach Erkenntnis, Wahrheit und Weisheit und sollte idealerweise die Kontrolle über die anderen Teile der Seele ausüben. Er wird oft mit dem Wagenlenker in Platons Gleichnis verglichen.

    2. Thymos (Mut, Willenskraft):
    Der emotionale, mutige Teil der Seele. Thymos ist für Ehrgefühl, Stolz und den Drang nach Anerkennung verantwortlich. Er unterstützt die Vernunft und sorgt für die Durchsetzung von moralischen Werten.

    3. Eros/Epithymia (Begehren, Triebe):
    Der begehrende Teil der Seele. Er ist für die grundlegenden Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Sexualität und andere körperliche Begierden zuständig. Dieser Teil der Seele strebt nach Lust und vermeidet Schmerz.

    Das Gleichnis vom Wagenlenker

    In Platons Dialog „Phaidros“ beschreibt er die Seele als einen Wagenlenker, der zwei Pferde lenkt:

    Das eine Pferd (Eros) ist wild, impulsiv und schwer zu kontrollieren (die Begierde).

    Das andere Pferd (Thymos) ist edel, mutig und leichter zu lenken (der Wille).
    Der Wagenlenker (Logos) muss die Pferde zusammenhalten, damit die Seele harmonisch und zielgerichtet bleibt.

    Platon betont, dass eine tugendhafte und gerechte Seele entsteht, wenn die Vernunft (Logos) die Leitung übernimmt, während Mut und Begehren in Harmonie mit ihr zusammenarbeiten.)

    Logos ist verwirrt durch die ganzen fake news und Verschwörungsmythen und Thymos und Eros sind unkontrolliert. Der Teil der Seele, der Mut und Tapferkeit beinhaltet, wird zum Trieb, und sucht sich Bestätigung. Kann mann das so beschreiben? Erklärt vielleicht nicht jeden Amoklauf, aber jeden Troll (auch die grossen 🙂

    Gruß und guten Rutsch

    • Ja, @Jan Schmidt – Sie haben das klar erfasst, mit einer jedoch wichtigen, für Karl Popper sogar zentralen Einschränkung: Die Ideenlehre von Platon geht von einem Zeitverfall aus, die reine Idee liegt also in der Vergangenheit. Ein platonischer Thymot kämpft also nicht für eine bessere Zukunft (wie wir Heutigen es mit „oben“ assoziieren), sondern gegen jede Veränderung, ist ein „Wächter“ der gestrigen Ordnung. Im Kinofilm „Matrix“ sind „die Wächter“ daher auf der ständigen Jagd nach den Rebellen von Zion.

      Eine antike Idiotin träumt nicht weiter als bis zum egozentrischen Genuss, ein platonischer Thymot sehnt sich nach einer verklärten Vergangenheit. MAGA-Style. Platon plädierte entsprechend dafür, die Kriegerkaste halbgebildet zu halten, sie nur bedingt am Logos der Vernunft teilhaben zu lassen. In seinem Mythos sind sie gelenktes Pferd, keine Wagenlenker. Demokratisch oder auch nur respektvoll ist das nicht und Popper ging schließlich so weit, im Platonismus den direkten Vorläufer des deutschen Nationalsozialismus zu sehen.

      Könnten wir aber einen auf die Hoffnung orientierten Thymoten nicht auch demokratisch und erkenntnisoffen, dialogisch und isothymisch sehen? Ich meine, ja – und dann landen wir nahe beim tapfer kämpfenden und leidenden Gerechten, der sein (und die ihr!) jeweiliges Kreuz auf sich nimmt, Logos, Thymos und auch Eros „versöhnt“.

      Also: Platon ist wichtig, aber bis in sein berühmtes Höhlengleichnis hinein verschwörungsmythologisch. Er hatte die frühe Demokratie mit der Hinrichtung seines geliebten Lehrers Sokrates scheitern sehen und sah auch sie nur als eine Verfallsform. Wenn ich auch nicht so streng wie Popper über den Platonismus richten würde, so verkörperte er doch Reaktanz und prägte den gnostischen Rechtsdualismus, der jedem Fortschritt misstraut.

      • Herr @Schmidt

        sie haben das wunderbar zusammengefasst, ich werde mir das beim erklären von Thymos und Logos gleich zunutze machen ! 🙂

        @Michael

        Eine Frage bezüglich Nietzsche, der ja mit Platon seine Lieben Probleme hatte. Nietzsche lehnte ja Moral ab, da sie quasi nur erfunden ist und kein Naturgesetz. (Was man dank der Evolutionsforschung ja etwas widerlegen kann, gewisse Handlungsmuster sind allen Völkern und Menschen eigen, ganz egal woher sie kommen).
        Ist Nietzsches Ablehnung so zu verstehen das ein Relativist sich einfach sich über Moral und Normen erhaben fühlt?

        • Fast, lieber @Berthold Forster – Nietzsche lehnte als moralischer Relativist sowohl die vermeintlich ewigen Ideen des Platonismus wie auch die Offenbarungslehren der monotheistischen Religionen ab. Stattdessen taumelt der Mensch bei ihm nach dem „Tod Gottes“, bis er sich im Kreislauf der ewigen Wiederkehr (aber ohne religiöse Erlösungshoffnung wie im Hinduismus oder Buddhismus) wiederfinde.

          Wie es ein Graffiti zu meiner Studienzeit an der Uni Tübingen deutete:

          „Gott ist tot. Nietzsche
          Nietzsche ist tot. Gott“

          🤓🤷‍♂️🙌

  7. Das Problem damit, neue Wörter für alte Dinge zu erfinden ist, dass man dadurch das Netzwerk sabotiert, denn plötzlich sieht das Gleiche aus wie etwas völlig Anderes.

    Timokratie heißt, der Zuhälter kassiert die Kohle. Thymokratie heißt, er kauft Ihnen davon ein Paar neue Schuhe, wenn Sie parieren, scheuert Ihnen eine, wenn Sie aufmucken, und hetzt Sie auf andere Mädels auf dem Strich, wenn Sie ihn fragen, wo das Geld ist, das er angeblich für Sie aufbewahrt. Kommt mir von unserer lieben, etablierten Demokratie nicht ganz unbekannt vor. Etwas, was schon immer da war, wird extremer – und bleibt trotzdem gleich.

    Das Besondere an Demokratien ist, dass der Wähler gleichzeitig Herr und Sklave ist. Das heißt, sein Versuch, die Sklaven auszubeuten, führt zum karmischen Kurzschluss – seine Peitsche fällt auf seinen eigenen Rücken, seine Lügen treffen ihn selbst. Aber er lernt nichts daraus. Er peitscht immer mehr, lügt immer mehr, raubt immer mehr, wehrt sich immer mehr gegen Peitschen, Lügen, Rauben, und gegen den Widerstand. Der Tritt nach Unten trifft seinen eigenen Kopf. Der Biss nach Oben erwischt seine Ferse. Bis alle so erschöpft sind, dass nur die Besten in dem Spiel übrig bleiben. Die Radikalsten, Extremsten, die Puristen der Ausbeutung.

    Die Welt wird zum Slum, damit setzen sich die im Slum üblichen Gesellschaftssysteme auch auf höchster Ebene durch. Der Silberrücken, der alle bestiehlt, belügt, mit populistischen Hasspredigten herrscht, in goldenen Cadillacs unter seinen bettelarmen Anhängern herumfährt, die ihm umso mehr zujubeln, je dreister er es treibt und je mieser er sie behandelt – solche Typen heißen in Amerika da Pimp oder Preacher, in den Sekten Guru, und unsere Kaiser und Könige waren da nicht anders, bis die Wirtschaft auch die Armen reich machte und die Reichen das Protzen mit Understatement lernen mussten, weil es verflucht schwer wird, für so viele goldene Cadillacs einen Parkplatz zu finden.

    OK, unsere sind meist aus Blech, aber trotzdem hätten sich sehr viele Leute, die in der Weltgeschichte als wohlhabend galten, keinen leisten können.

    Und wenn Sie sich die reichen, demokratischen Staaten anschauen – es hat nie aufgehört. Dolly Buster hat ihre Implanate, der Rapper hat seine Zahndiamanten, Deutschland hat den Kölner Dom. Man hat es und man will’s zeigen, dann weiß jeder, wo die Almosen sind und die Wachen mit den Hellebarden, da kennt man den Hintern in den man kriechen muss, da Pimp wurde kollektiv, kooperativ, arbeitsteilig und hieß Bundesrepublik Deutschland, weil sich das Gesicht bei so vielen Gesichtern zur Abstraktion aufgelöst hatte – ein Lappen am Stock, hinter dem die Macht, Arbeit, Reichtum von Millionen standen.

    Doch jetzt implodiert der Reichtum in Richtung des einzelnen Mafia-Bosses, Clanchefs, Sektenführers. Und so gewinnen die Bad Boys, die die Mädels wie Dreck behandeln, sodass den Mädels das Höschen feucht wird. Die Prügel-Papis, die von ihren Familien umso mehr verehrt werden, je grausamer sie sie verprügeln. Der Löwe ist wieder der König des Dschungelcamps, der Mensch hat die Krone der Schöpfung ans Raubtier zurückerstattet, weil die Menschlichkeit nicht ausreichte, um sich zu behaupten.

    Europa ist ein New York, ethnische Viertel tyrannisiert von Straßengangs, die Orban-Bloods und die Scholz-Crips geraten sich immer wieder in die Haare wegen Revieren und Profiten. Doch sie alle zittern vor dem Sonora-Kartell, den Kolumbianern, all den Gangsterbossen, von denen sie komplett abhängig und hilflos, rechtlos ausgeliefert sind. In Gangstas’ Paradise gewinnen halt die Brutalsten, Gierigsten Skrupellosesten. Und Il Capo di tutti Capi, el Chapo, der oberste Mafiaboss, der Patriarch der Allein Seligmachenden Pekuniär-Orthodoxen Kirche – sitzt halt in Washington.

    Nichts ändert sich. Nur wir stürzen vom Himmel. Das Geld fällt nach oben, von unten kommt nicht mehr genug nach, um die Gier der immer fetter gewordenen Zuhälter, Sekten-Gurus und Mafiabosse zu stillen, also frisst sich die globale Gesellschaftspyramide selber auf, und zwar fraktal – die mächtigen Staaten fressen die Schwachen, in den Staaten fressen die Reichen die Armen und die Armen sich gegenseitig, und die Mittelschicht – der Kleinadel – wird zurückgebildet und verschmilzt mit der Unterschicht.

    Timokratie, Thymokratie – das ist, wie Mami und Papi über kleine Kinder herrschen. Nur gibt’s da die Liebe, die persönliche Beziehung, die dem Ganzen die Schärfe nimmt. Wir können uns noch so viel einbilden, dass unsere Landesväter oder Diktatoren uns lieben – wir kennen uns ja gar nicht. Damit lieben wir Gespenster, Wunschträume. Das Ganze ist ein Kinderpuff in Pattaya, in dem die Kids sich auf Bezugspersonen einlassen, für die sie nur Ware sind, und die Zuhälter nicht die Kids lieben, sondern die Milch aus der Titte, die der Puff für sie ist.

    Menschliche Natur ist wie Feuer: Das Feuer wird sich nicht ändern, ohne Feuer sterben Sie, also kann das Kind nur lernen, wie es funktioniert, und daraus die Regeln ableiten, damit es mit Streichhölzern spielen kann, ohne sich zu verbrennen. Nachdem die ganze Bude in Flammen steht, würde ich sagen, die Pommes werden a bissl zu knusprig, um davon satt zu werden. Versuch gescheitert, Lehren ziehen, nächster Versuch.

    • Ja, @Paul S. – die Er-Findung völlig neuer Begriffe ist riskant und selten erfolgreich. Deswegen verstehe ich unter Begriffsarbeit auch regelmäßig das Aufgreifen, Betrachten und dialogische Verbessern bestehender Begriffe.

      So schrieben Sie: “Das Besondere an Demokratien ist, dass der Wähler gleichzeitig Herr und Sklave ist.“

      Klingt stark, grenzt aber nicht nur Frauen aus, sondern übersieht das Wesentliche gerade auch der Aufklärung: Die Demokratin, der Demokrat bemüht sich um Vernunft (Logos) im Dialog – und unterwirft sich also der leisen Macht von Argumenten in freier Wahl, die der Sklavin, dem Sklaven nicht zugestanden wurde. Auch Sie selbst versuchen ja hier, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, indem Sie wortmächtig und assoziativ kommentieren. Genau das war und ist das Vorrecht der Freien, verboten den Versklavten.

      Können, ja sollen wir uns selbst Vernunftgesetze geben, wie es etwa Immanuel Kant exklusiv für vernunftbegabte Männer forderte? Oder finden wir uns damit ab, dass jede Erkenntnis vorläufig und also jede Vernunft auf Dialog angewiesen bleibt?

      Ich meine, dass in der dialogischen Demut „zwischen“ Herr und Sklave, dass im Miteinander gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger Erkenntnis und Würde zu finden sind. Demokratische Isothymia statt autoritärer Megalothymia. Dialog statt Gepolter. Sorgfältig statt nur laut. Zu finden und zu er-finden.

  8. Danke für die Erklärung von “Begriffsnetz”.

    Ich finde es persönlich immer schwieriger, neue Begriffe aufzunehmen, geschweige denn damit ein Begriffsnetz zu bilden. Trotzdem ist mein Wissen durch Ihren Blog in diesem Jahr gewachsen.

    In der englischen Sprache nennt man den heutigen Tag New Year’s Eve, was ich passender finde als Silvester. Dieser Tag ist mit den Begriffen Abschied und Neubeginn verbunden. Auch wenn nicht alles gut war in 2024, so fällt mir der Abschied zum ersten Mal schwer. Rückblickend stelle ich fest, dass der 31.12. immer ein Gefühl der Hoffnung gab.

    “Weltvertrauen”. Ein Begriff, der so viel in sich trägt.

    Durch die Thymotisierierung, die Art und Weise wie wir uns als Menschen behandeln und die wachsende politische Emotionalisierung lässt dieses Jahr am letzten Tag kaum Hoffnung zu. Nie zuvor habe ich die folgenden Zeilen schmerzlicher empfunden.

    Nehmt Abschied Brüder
    Ungewiss ist alle Wiederkehr
    Die Zukunft liegt in Finsternis
    Und macht das Herz uns schwer

    So hoffe ich dennoch, auch 2025 von Ihrem Blog profitieren zu können und bleibe neugierig.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2025!

    • Vielen Dank, liebe @Marie H.

      Ich denke wirklich, dass Blumenberg mit seiner Aussage zu Weltvertrauen, Namen und Geschichten eine tiefe Wahrheit ausgesprochen hat – wenn ich auch noch (Sprach-)Bilder hinzufügen würde. Was wir benennen, begreifen, bearbeiten können, verschwindet dadurch nicht, kann uns jedoch vertrauter werden.

      Auch deswegen freue ich mich über unsere guten Dialoge & lerne, entdecke dabei viel. Gerne auch in 2025!

      Ihnen von Herzen ein gesegnetes Neujahr, liebe @Marie H.! 🙏🤓📚🎶🎆

      • Vielen Dank. Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr gestartet, und ich wünsche Ihnen ein friedvolles 2025. Die Herausforderungen werden nicht weniger werden, betrachtet man sich die Weltlage.

        Am heutigen Neujahrstag habe ich mich ein bisschen mit dem Philosophen Jakob Friedrich von Abel beschäftigt. Gestoßen bin ich auf seinen Namen im Zusammenhang mit dem Datum des 1. Januar 1811. Das Sterbedatum der Franziska von Hohenheim, Herzogin von Württemberg. Eine überaus faszinierende Lebensgeschichte, die aus der evangelisch-pietistischen Mätresse eines katholischen Herzogs von Württemberg eine wahrhafte Herzogin von Württemberg machte. Bedenkt man, wer die erste Ehefrau von Herzog Karl Eugen war, so ist es erstaunlich, dass diese Beziehung zu Franziska von Hohenheim viel besser funktioniert hat. Zugegeben, die Ehe mit der Tochter der berühmten Schwester Friedrich des Großen, Wilhelmine, wurde auch aus dynastischen Gründen geschlossen. Die ersten Jahre scheinen auch glückliche gewesen zu sein. Dem Paar war jedoch kein überlebender Nachwuchs vergönnt und 1758 ging die Herzogin nach Bayreuth zurück.

        Der Philosoph von Abel hat interessante Dinge geschrieben. Ich muss da unbedingt noch weiterlesen. Von ihm wusste ich bisher nur, dass er mit Friedrich Schiller befreundet war und diesen mit seinen Gedanken geprägt hat. Der Schiller’sche Don Karlos (“Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire”) dürfte auch die Einflüsse des Philosophieunterrichts von Abel an der Karlsschule in sich tragen.

        Die “Philosophischen Untersuchungen über die letzten Gründe des Glaubens an Gott” werde ich mir zu Gemüte führen.

        • Wunderbar, liebe @Marie H.! 🙏

          Ich empfinde ja das Lernen, Finden und Entdecken sowie Teilen von Wissen als sehr beglückend! Ihre anregenden und in Ton und Inhalt dialogischen Drukos lese ich auch daher immer gerne. Und freue mich auf 2025, das ich im Kreise der Familie feiern konnte.

  9. Ein Begriff ist mir beim KIen untergekommen, zum Thema vielleicht auch passend:

    Kognitive Verzerrungen

    sind systematische Denkmuster oder Denkfehler, die dazu führen, dass Menschen die Realität verzerrt wahrnehmen oder bewerten. Diese Verzerrungen können das Ergebnis von Vereinfachungen, emotionalen Einflüssen oder sozialen Faktoren sein und wirken oft unbewusst. Sie spielen eine Rolle in der Entscheidungsfindung, im Urteilsvermögen und in der Art und Weise, wie Menschen Informationen interpretieren.

    Hier sind einige häufige kognitive Verzerrungen:

    1. Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

    Beschreibung: Menschen neigen dazu, Informationen zu suchen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen, und ignorieren dabei widersprüchliche Daten.

    Beispiel: Jemand, der glaubt, dass eine bestimmte Diät gesund ist, sucht gezielt nach Studien, die diese Meinung unterstützen, und übersieht Studien, die das Gegenteil zeigen.

    2. Verfügbarkeitsheuristik (Availability Heuristic)

    Beschreibung: Entscheidungen werden auf Basis von Informationen getroffen, die leicht verfügbar oder besonders einprägsam sind, unabhängig davon, ob sie repräsentativ sind.

    Beispiel: Nach einem Flugzeugabsturz glauben Menschen oft, dass Fliegen gefährlicher ist, obwohl Flugreisen statistisch sicherer sind als Autofahren.

    3. Rückschaufehler (Hindsight Bias)

    Beschreibung: Nach einem Ereignis glauben Menschen, dass sie es hätten vorhersagen können (“Ich habe es ja gewusst”).

    Beispiel: Nach einer Niederlage eines Sportteams sagen Fans oft, dass sie schon vorher geahnt haben, dass das Team verlieren würde.

    4. Selbstwertdienliche Verzerrung (Self-Serving Bias)

    Beschreibung: Erfolge werden den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben, während Misserfolge auf äußere Umstände geschoben werden.

    Beispiel: Ein Schüler, der eine gute Note erhält, schreibt dies seiner Intelligenz zu, während er eine schlechte Note auf den strengen Lehrer schiebt.

    5. Halo-Effekt

    Beschreibung: Ein positiver Eindruck in einem Bereich beeinflusst die Wahrnehmung in anderen Bereichen.

    Beispiel: Eine attraktive Person wird auch als kompetenter oder freundlicher wahrgenommen, obwohl es dafür keine objektiven Hinweise gibt.

    6. Ankereffekt (Anchoring Bias)

    Beschreibung: Menschen lassen sich bei Entscheidungen übermäßig von einer einzigen Zahl oder Information (dem „Anker“) beeinflussen.

    Beispiel: Wenn ein Produkt ursprünglich 100 Euro gekostet hat und jetzt für 70 Euro angeboten wird, wirkt es günstiger, obwohl der tatsächliche Wert unbekannt ist.

    7. Kausale Illusion

    Beschreibung: Menschen sehen Zusammenhänge oder Kausalitäten, wo keine existieren.

    Beispiel: Jemand trägt einen “Glücksbringer” und glaubt, dass dieser seine Leistung verbessert, obwohl es keinen tatsächlichen Zusammenhang gibt.

    8. Kontrollillusion

    Beschreibung: Menschen überschätzen ihre Fähigkeit, Ereignisse zu kontrollieren, die größtenteils von Zufall oder äußeren Faktoren abhängen.

    Beispiel: Ein Glücksspieler glaubt, dass er durch spezielle Techniken beim Würfeln bessere Ergebnisse erzielen kann.

    9. Gruppendenken (Groupthink)

    Beschreibung: In Gruppen wird oft nach Harmonie oder Konsens gestrebt, wodurch kritisches Denken oder abweichende Meinungen unterdrückt werden.

    Beispiel: Ein Team entscheidet sich für eine riskante Strategie, weil niemand die Mehrheitsmeinung infrage stellt.

    10. Negativitätsverzerrung (Negativity Bias)

    Beschreibung: Negative Ereignisse oder Informationen haben mehr Einfluss auf die Wahrnehmung und Entscheidungen als positive.

    Beispiel: Eine einzige negative Bewertung eines Restaurants kann jemanden davon abhalten, dorthin zu gehen, auch wenn es viele positive Bewertungen gibt.

    Diese Verzerrungen haben evolutionäre Wurzeln und halfen unseren Vorfahren oft, schneller Entscheidungen zu treffen. In der modernen Welt können sie jedoch zu Fehlurteilen führen, insbesondere in komplexen Situationen. Das Bewusstsein für diese Verzerrungen ist der erste Schritt, um ihre Auswirkungen zu minimieren.

  10. @Perspektiven für die Energiewende

    Die PV-Module werden immer billiger bei steigenden Wirkungsgraden. Ähnliches gilt für Lithiumbatterien. Ein entsprechender Zubau wird immer lukrativer. Beides bekommen wir am günstigsten in China, angesichts des chronischen deutschen Außenhandelsüberschuss eigentlich sogar vorteilhaft, deswegen brauchen wir dafür keine eigenen Arbeitskräfte für die Beschaffung dieser Technik.

    Sammeltaxisysteme auf Basis von selbstfahrenden Batteriefahrzeugen könnten die Mobilitätskosten halbieren und in den Städten riesige Parkplatzflächen frei machen. Die eingesparten Ressourcen an Geld, Arbeitskraft und Rohstoffen können für die weitere Energiewende wie für Aufrüstung genutzt werden.

    Wenn das nicht schon reicht, könnte sich der eine oder andere Bürger wohnungsmäßig verkleinern, das würde die Wohnungsnot und die steigenden Mieten entschärfen. Und mit dann weniger Neubaubedarf sind wieder Ressourcen für die energetische Sanierung des Altbaubestandes frei.

    Mit weniger Tierischen in der Ernährung und mit weniger Wegwerfen brauchen wir weniger Landwirtschaftliche Nutzflächen, und können die entsprechenden Flächen nachhaltiger und klimafreundlicher nutzen.

    Wenn man das alles zusammen nimmt, kann das schon in 10 Jahren so wirksam werden, dass die Öl und Gaspreise nachhaltig verfallen, und sich so auch die fossilen Autokraten nicht mehr einschlägig finanzieren können.

    Was die eventuellen Probleme mit der chinesischen Autokratie angeht, sehe ich derzeit China eher als einen sehr wichtigen Verbündeten für die globale Energiewende. Wenn sich dort freilich die autokratischen Elemente noch verschärfen, dann habe ich zunächst mal keine Antwort darauf parat.

    So oder so, sollten wir in Europa zusammen mit dem Globalen Süden eine umfassende Opensource-Offensive in Gang setzen, um von US-Oligarchen wie auch von China auf dem gesamten IT-Sektor unabhängiger zu werden.

    Entsprechend begrüße ich das neue Jahr, und hoffe auf ein produktives neues Jahrzehnt für ganz Europa.

  11. @ Berthold Forster

    “Nietzsche lehnte ja Moral ab”

    Nein, er lehnt die Sklavenmoral ab. Die Herrenmoral des Stärkeren, des Überlegenderen, des Edleren, dessen, der überwunden hat, des Freigeistes lehnt er nicht ab. Aber es ist die Moral des Zukünftigen, es ist eine Moral, die dem Morgen und nicht dem Gestern gehört. So jedenfalls habe ich Nietzsche verstanden.

  12. @ Blume

    Man kann bei Nietzsche fast alles finden, da er zu allem was gesagt hat und das Gegenteil gleich mitgeliefert hat. Bei der Herrenmoral, die er nicht ablehnt, ging Nietzsche, so wie ich ihn verstehe, von denen aus, die die alten Moralvorstellungen überwunden haben. Aus dem “du sollst nicht…” will Nietzsche ein “ich will…” gesetzt sehen. Daß bei der Überwindung Zeit vergeht, dürfte einleuchtend sein.

    • Ich denke, Nietzsche kann man nicht verstehen, Nietzsche muß man erleben. Wenn sie selbst unter einer christlichen Erziehung, unter einer staatlichen Bevormundung nicht gelitten haben und die Widersprüche in sich selbst nicht wahrnehmen können, ist Nietzsche keine Lektüre, die Sie wählen sollten.

      • @Dietmar Hilsebein

        Dieses Argument kenne ich als weiterwirkende Prägung, die zu den Phänomenen “christlicher, islamischer, hinduistischer Atheisten” führt – also als Ausprägungen von Atheismus oder gar Antitheismus, der noch immer von der früheren Religionszugehörigkeit geprägt ist. In einer berühmten BBC-Debatte wies Rabbi Jonathan Sacks, sel. Ang. dies gegenüber Richard Dawkins nach:

        https://youtu.be/8Ad3rVRdgbI

        Rabbi Sacks war übrigens ein großer Nietzsche-Kenner, der ihn in seinen Büchern oft zitierte – was Ihr Argument, dass dieser nur Ex-Christen etwas zu sagen habe, schon ad absurdum führt.

        Dass eine bestimmte Erfahrung notwendig sei, um Phänomene zu verstehen, behauptete auch der Religionswissenschaftler (und liberale Landtagsabgeordnete in Preußen) Rudolf Otto (1869 – 1937). Er formulierte einleitend in seinem Hauptwerk “Das Heilige” scharf:

        „Wir fordern auf, sich auf einen Moment starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit zu besinnen. Wer das nicht kann oder wer solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten, nicht weiter zu lesen. Denn wer sich zwar auf seine Pubertätsgefühle, Verdauungsstockungen oder auch Sozialgefühle besinnen kann, auf eigentümlich religiöse Gefühle aber nicht, mit dem ist schwierig, Religionskunde zu treiben.“

        https://www.deutschlandfunk.de/theologe-rudolf-otto-das-heilige-geheimnis-100.html

        Schließlich war es auch ein beliebtes “Argument” früherer Anthroposophen, Kritik an ihrem Gründer Rudolf Steiner (1861 – 1925) mit dem Vorwurf zurückzuweisen, die Kritiker hätten das gesamte Werk doch gar nicht überblickt und die eigentlichen Erfahrungen gar nicht gemacht. Demnach hätte ich mich auch nicht zu Steiner versus Goethe äußern dürfen – und habe es doch getan:

        https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-theologische-dualismus-streit-zwischen-goethes-mephisto-und-steiners-ahriman/

        Denn wie Sie sich vorstellen können, halte ich von solchen exklusivistischen und im Kern esoterischen Ansätzen gar nichts. Sowohl Religionen wie auch Philosophien haben sogar mehrere erfahrungsweltliche Innenseiten, aber stets auch dialogisch und wissenschaftlich erfahrbare Außenseiten. Sie und ich haben Nietzsche durch mediale Vermittlung (vor allem Texte, aber auch Bilder, vielleicht Filme usw.) sicher in Teilen unterschiedlich erlebt – aber wir beide haben ihn erlebt. Und auch wenn wir seine Aussagen unterschiedlich verstehen, so beziehen wir uns doch auf die gleichen Medien von und über ihn.

        Nochmal zum Konzept der Viabilität, das ich hier unter dem Blogpost gegenüber Peter Gutsche bereits ausgeführt habe:

        Keine Perspektive ist aus religiösen oder philosophischen Dialogen auszuschließen, da erst unterschiedliche Perspektiven die Haltbarkeit der Erkenntnisse erhöhen.

        • Wenn Sie reflektieren -worüber eigentlich, wenn nicht über das selbst Erlebte – so haben Sie Nietzsche als Freund an Ihrer Seite. Sie können Bücher lesen, um irgendwie gebildet zu wirken, das zeichnet Sie aus vor den Ziegenhirten. Aber wenn Sie ehrlich sind, legen Sie Bücher zurück, die nicht in Ihnen vorbereitet sind, da Sie keinen Bezug zur Lektüre finden.

          • Nein, @Dietmar Hilsebein – auch hier benötige ich keine personale Esoterik und also auch keine imaginären Freunde. Ich trete in einen Dialog mit Büchern und mittelbar also auch den Menschen, die diese geschrieben haben. Und das merke ich unter anderem daran, dass ich gerne auch mal die gleichen Texte lese, sie aber niemals als die gleichen Texte erfahre. Denn ich habe mich in der Zwischenzeit verändert. Zeit emergiert, aber wiederholt sich nicht. Und Ereignisse, auch Alphabet-Lesungen, Erfahrungen gibt es für uns nur in der linearen Zeit.

            Der Ägyptologe Jan Assmann (1938 – 2024) schrieb in “Ägypten. Eine Sinngeschichte” einmal: “Geistesgeschichte ist Rezeptionsgeschichte.”

            Ich würde ihm nicht nur zustimmen, sondern auch vertiefen: Geistesgeschichte ist Rezeptionsgeschichte und daher immer auch Medienpsychologie.

            Das gilt auch für Nietzsche, klar.

          • @Blume

            Nein, @Dietmar Hilsebein – auch hier benötige ich keine personale Esoterik und also auch keine imaginären Freunde.

            Hätte Nietzsche nicht schöner formulieren können.

          • Eben, @Dietmar Hilsebein.

            Im November 1882 schrieb Nietzsche in einem Briefentwurf:

            “An jedem Morgen verzweifle ich, wie ich den Tag überdaure. Ich schlafe nicht mehr!

            Was hilft es 8 Stunden zu marschieren! Woher habe ich diese heftigen Affekte! Ach etwas Eis!

            Aber wo gibt es für mich noch Eis? Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, daß ich den Verstand verliere.

            Ich habe nämlich wunderlicherweise zu viel Verstand, aber nur im Dienste der Vernunft: Wo ist noch ein Mensch, den man verehren könnte!

            Aber ich kenne Euch alle durch und durch!”

            Schlafen Sie gut, mit und ohne Nietzsche. 🙂

          • @ Blume

            Ihnen auch eine geruhsame Nacht. Ob mit imaginären Freunden oder ohne.

          • Danke, @Dietmar Hilsebein

            Tatsächlich habe ich nicht nur sehr gut und ganz ohne imaginäre Freunde geschlafen, sondern heute morgen auch zu den neuesten Fossilismus-Reaktanz-Daten gebloggt:

            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/daten-zum-fossilismus-wie-der-fossile-wahnsinn-antisemitismus-finanziert-und-die-deutsche-autowende-abwuergte/

            Oder wie Nietzsche NICHT gesagt hat:

            “Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen.”

            Es handelt sich hierbei um ein u.a. unter Querdenkern beleibtes Falschzitat, das eigentlich auf den spanischen Dichter Antonio Machado (1875 – 1939) zurückgeht.

            https://falschzitate.blogspot.com/2018/04/neue-wege-entstehen-indem-wir-sie-gehen.html

            Wir sehen also: Auch Nietzsche-Thesen lassen sich überprüfen und falsifizieren.

            Ihnen und allen an Begriffsarbeit Interessierten einen guten Morgen! 😊☕📚

      • Sehr geehrte Herr @Hilsebein,

        dem kann ich nur schwer zustimmen. Welcher Mensch hat keine widersprüche? Nietzsche hat seine Berechtigung, aber schlussendlich hat er vollkommen den Boden verloren, siehe Kritik an Charles Darwin den er wohl selbst nie gelesen hat. Der Antidarwin, der Antichrist, der Erfinder der Götzendämmerung, groß spurige Worte fand er immer.
        Denn Nihilismus muss man überwinden was sich wohl auch mit dem Thema des Blogs trifft. Das Dennoch wie @Michael Blume gerne schreibt. Trotz dem Leid nicht einknicken, ein Kamel das übele Zustände übersteht. Was spannenderweise alle Religionen irgendwie auch behandeln. Ist den wirklich viel Unterschied zwischen Nietzsches Hammerphilosophie und dem Buch Hiob oder des Lehrers?
        Auch Kierkegaard hat gelitten, schwer sogar. Nur der hat nicht angefangen von Herren und Sklaven zu schreiben, sondern ging auf das innere selbst und den Glauben zurück.

        Für was ich der Lektüre Nietzsches wirklich dankbar bin, ist die Entdeckung von Lou Salome, die viel zu wenig als großer Geist ihrer Zeit bekannt ist 🙂

        Wenn ich alles erleben muss was ein Philosoph erlebt hat, damit ich die Texte begreife, dann haben die Texte die Wirkung verfehlt! In seinen Worten schildert er uns sein innerstes. Wenn wir es nicht aus dem Buchstaben Code entnehmen können, dann hat sich sein Aufwand nicht gelohnt. Denn dafür gibt es die Schrift. Erfahrung und Wissen erlebar machen, durch Zeiten hindurch.

  13. Sie sollten Musk auf Ihren blog einladen. Dafür würde ich auch mein Pseudonym aufgeben, um diesem Deppen Energie zu widmen!

  14. @Dietmar Hilsebein 01.01. 09:23

    „Aus dem “du sollst nicht…” will Nietzsche ein “ich will…” gesetzt sehen.“

    Was ja jetzt keine so schlechte Idee ist. Beides hat dennoch seinen Platz.

    Es gibt Recht und Gesetz, was z.T. explizit sinnvoll sein kann. Wie es generell Dinge gibt, die allgemein nur selten gut sind, meistens schlecht.

    Das Meiste ist aber das, was man wirklich selber will und mit Energie dann umsetzt. Je mehr persönliche Freiheit man hat, je mehr Möglichkeiten man hat, desto mehr nimmt das dann auch Raum im eigenen Leben ein.

    Der Bergarbeiter zu Nietzsches Zeiten war dagegen überwiegend ein von den Verhältnissen schwer getriebener Mensch, der nicht viel zu wollen hatte.

    Heute sind die Zustände weitaus vielversprechender, man hat einfach viel mehr eigenen Spielraum, was Produktives und Selbstbestimmtes aus dem eigenem Leben und den eigenen Projekten zu machen.

    Mit deutlich zunehmender Tendenz auch für die weitere Zukunft.

    Bildung und bildende Medien sind hier offenbar die eine Seite, weniger wirtschaftlicher Druck sicherlich die andere Seite. Beides zusammen macht schon recht frei. Allein die grassierende Verschwendung wegzulassen kann Welten öffnen. Im Privaten sowieso, als Gemeinschaft und Menschheit umso mehr.

  15. Eine spannende Begriffsarbeit findet ja gerade auch zu den Thesen der Thymokatrie und Timokratie – als Herrschaft der Emotionen und der Reichen – statt. Anfangs bin ich von einem zufälligen Gleichklang der beiden Begriffe ausgegangen. Doch inzwischen wird klar, dass sie beide tatsächlich im griechischen timē = “Ehre, Wert” wurzeln und also eine bereits antike Verknüpfung von Status und Reichtum bezeichnen.

    Ein Blogpost und eine Druko-Einladung zum Dialog dazu hier:

    https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-gefahr-von-rechtsdualistischen-lawhacks-deutsch-justizhacks/#comment-165622

    Bin sehr gespannt, was 2025 so auch an Erkenntnissen bringt…

  16. @Tu was du willst

    Kommt drauf an, was man denn konkret wirklich will. Wenn ich als Firmenchef meine Mitarbeiter, meine Kunden und meine Lieferanten betrüge, und mir von dem Geld dann eine Sammlung von Sportwagen anschaffe, dann stellt sich natürlich die Frage, was das denn jetzt soll.

    Wenn ich als Kosmologe den Urknall erforsche, und die ganze Welt an meinen Ergebnissen teilhaben lasse, dann freut uns das doch.

    Selbst im Kleinen habe ich die Wahl, mein Geld für Sinnvolles aufzuwenden, und wenn ich Glück habe, kann ich mir sogar aussuchen, wo und wie ich mein Geld verdiene, und wie viel ich dann konkret arbeite.

    Die Freiheit, zu tun was man wirklich will, ist meistens sowieso gegeben, zumindest in funktionierenden Gesellschaften. Öfter muss man aber dabei beharrlich sein, und auch mal länger auf die entscheidenden Gelegenheiten warten, dann kann man aber die sich bietenden Möglichkeiten tatsächlich nutzen, und seine eigene Agenda umsetzen.

    Für den Planeten ist es deutlich maßgeblicher, was und wieviel man konsumiert, einfach weil wir Menschen sehr sensibel auf Geld reagieren, und dann auch sehr schnell herstellen, was konkret nachgefragt wird. Rein persönlich hängt das eigene Leben aber eher mehr davon ab, womit man sein Geld verdient. Mit weniger Konsumanspruch insgesamt nehmen hier aber die Möglichkeiten auch sehr schnell zu.

    • Danke, @Tobias 🙏

      Aus meiner Sicht ist schon der individualistische Glaubenssatz “Tu, was du willst” Ergebnis einer Mediengeschichte und Medienwirkung, die das Leben individualisiert. Unsere Diskussionen über individuelle Konsumentscheidungen mögen uns “natürlich” vorkommen, setzen aber bereits ein ganzes Begriffsnetz aus “Einzelne”, “Tun”, “Wollen” usw. voraus, die vor allem durch das jafetitische, also vollvokalisierte Alphabet und das Theater (mit Nachfolgern wie Film und Werbung, Inszenierung) geprägt wurden. Eine solche Ich-zentrierte Form des Denkens und Argumentierens zwischen Konsum und Askese wäre etwa in gruppen- und stammesorientierten Wildbeutergesellschaften überhaupt nicht zugänglich gewesen! Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir über Begriffe diskutieren, Begriffsarbeit betreiben.

      Prof. Derrick De Kerckhove hat dazu intensiv gearbeitet, hier eine Zusammenschau (!) durch Perplexity.ai:

      Derrick de Kerckhove, ein Schüler Marshall McLuhans, schrieb dem griechischen phonetischen Alphabet weitreichende Auswirkungen auf die antike griechische Gesellschaft und Kultur zu. Seine Thesen bauen auf McLuhans Ideen auf und erweitern diese, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des griechischen Theaters und die kognitiven Veränderungen in der Gesellschaft.

      ## Hauptwirkungen des griechischen Alphabets nach De Kerckhove

      **Kognitive und sensorische Veränderungen**

      – Das phonetische Alphabet führte zu einer Verschiebung von einer primär auditiv-taktilen zu einer visuell dominierten Wahrnehmung[1].
      – Es förderte die Entwicklung von abstraktem Denken und logischer Analyse[1].
      – Die Alphabetisierung veränderte die kognitiven, emotionalen und sensorischen Strukturen der griechischen Gesellschaft[1].

      **Entstehung des Theaters**

      De Kerckhove sah einen direkten Zusammenhang zwischen der Einführung des phonetischen Alphabets und der Entstehung des griechischen Theaters:

      – Das Theater verstärkte die Auswirkungen der Alphabetisierung und förderte deren Verbreitung in der athenischen Gesellschaft[1].
      – Die Trennung von Chor und individuellen Schauspielern in der griechischen Tragödie spiegelt die durch das Alphabet geförderte Individualisierung wider[1].
      – Sowohl Schrift als auch Theater basieren auf einer optischen Darstellungsweise, die eine Trennung von Bedeutung und Darstellung ermöglicht[1].

      **Gesellschaftliche Transformationen**

      – Das Alphabet förderte die Entstehung des “zivilisierten” Individuums, das sich vom Stammesverband löste[1].
      – Es ermöglichte eine Demokratisierung des Wissens, da es relativ leicht zu erlernen war[1].
      – Die Alphabetisierung trug zur Entwicklung neuer Formen des Wissens und der Wissensorganisation bei[3].

      ## Besonderheiten des griechischen Alphabets

      De Kerckhove betonte die einzigartigen Eigenschaften des griechischen Alphabets:

      – Es stellte eine extreme Abstraktion dar, mit Zeichen, die jede Verbindung zu den dargestellten Dingen verloren hatten[3].
      – Die geringe Ikonizität der Buchstaben machte das Alphabet zum idealen Träger schematisierter Bedeutungen[3].
      – De Kerckhove sah Ähnlichkeiten zwischen dem griechischen Alphabet und den codierten Sprachen des Computers, da beide nicht zwangsläufig den Körper des Lesers beteiligen müssen[3].

      ## Wechselwirkung zwischen Alphabet und Gesellschaft

      De Kerckhove betonte, dass die Beziehung zwischen Alphabet und gesellschaftlichen Veränderungen nicht einseitig war:

      – Das Theater trug dazu bei, die durch das Alphabet entstandenen neuen Wahrnehmungsmuster zu verinnerlichen[1].
      – Es bestand eine Wechselbeziehung zwischen der Entwicklung des Alphabets und den kulturellen Praktiken wie Theater, Poesie und Philosophie[1].

      Zusammenfassend sah De Kerckhove im griechischen phonetischen Alphabet einen entscheidenden Faktor für die Entwicklung der westlichen Zivilisation, der tiefgreifende Auswirkungen auf Kognition, Kultur und gesellschaftliche Strukturen hatte. Seine Analysen erweitern McLuhans Theorien und bieten eine detaillierte Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Schrift, Theater und gesellschaftlicher Entwicklung im antiken Griechenland.

      Citations:
      [1] https://www.audimax.de/fileadmin/hausarbeiten/kulturwissenschaft/Hausarbeit_Kulturwissenschaft_Marshall_McLuhan_und_das_Theater_ahx791.pdf
      [2] http://kilianjoerg.blogspot.com/2014/04/language-breeds-derrick-de-kerckhove.html
      [3] https://www.velbrueck.de/out/media/978-3-942393-06-5.pdf
      [4] https://mediarep.org/bitstreams/ffbc668e-0da3-4c32-827f-722368a01d57/download
      [5] https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/germanistik/lehrende/lehrende/diss_kognitive_prozesse_beim_zweitschrifterwerb.pdf
      [6] https://jana-burmeister.de/studie-partizipative-medien/das-internet-als-kommunikationsraum/einfluss-von-neuer-technologie-auf-medienentwicklung-und-gesellschaft/
      [7] https://www.oag.uni-hamburg.de/noag/noag-173-174-2003/noag2003-4.pdf
      [8] https://dspace.ub.uni-siegen.de/bitstream/ubsi/351/1/franzkowiak.pdf
      [9] http://www.fd-projects.de/cp/files/Virtualitaet.pdf

  17. Guten Abend, @Michael Blume.

    Ich finde es sehr spannend und lehhreich, was Du hier zum Thema Begriffsnetz vorgestellt hast.

    Ich möchte dazu kurz eine Überlegung dazu teilen, wie schwierig ich es mitunter finde, interdisziplinär zu „Vereinbarungen“ über Begriffe zu kommen.
    M.E. gibt es „geschlossene Systeme“ von Begriffen wie beispielsweise in der Mathematik die lineare Algebra, in der – einige Axiome, die aus diesem System nicht begründet werden können, vorausgesetzt – alle weiteren Aussagen und Begriffe hergeleitet werden können. Hier sind der Präzision und Genauigkeit bei der Begriffsarbeit praktisch keine Grenzen gesetzt. Auch in der technischen Dokumentation, in der ich berufliche Erfahrung habe, kann man mehr oder weniger in sich abgeschlossene Begriffsnetze entwickeln (das läuft dann unter dem Begriff „Terminologie-Arbeit“ und ist eine Form der Informationsarchitektur).

    Aber in den meisten Fällen ist das nicht möglich – da sind die Grenzen nicht klar gesetzt. Ein Begriff wie „Zeit“, den Du hier in unterschiedlichen Ausprägungen besprichst, ist nicht eindeutig einer Disziplin oder einem geschlossenen logischen System zuzuordnen. Insbesondere hier, auf „Natur des Glaubens“, einem interdisziplinären Forum, befinden wir uns in einem „offenen System“, und hier bedeutet Begriffsarbeit: Immer wieder einen Balanceakt wagen, um sich, einerseits, über Disziplingrenzen hinweg über einen Begriff wie zum Beispiel die „Zeit“ zu verständigen, und, zweitens, vermeiden, ins Ungefähre und Beliebige abzugleiten.

    Ich denke, der Dialog hier ist eine gute Schule.

    Da Du mich ja vor einiger Zeit eingeladen hast, mich mit dem Thema „Zeit“ zu beschäftigen, habe ich mich mittlerweile bei Carl Friedrich von Weizsäcker – dem Physiker, Philosophen und Bruder des früheren Bundespräsidenten – festgelesen und dort eine sehr erhellende Passage gefunden, die zu diesem Blogpost passen könnte. In „Aufbau der Physik“ (DTV, 1985, S. 49) reflektiert der große Universalgelehrte darüber, wie schwierig, ja: unmöglich es ist, einen Begriff wie „Zeit“ aus der Physik heraus zu fassen.

    Ich möchte gerne eine Passage zitieren, die m.E. sehr gut zum Begriffsnetz-Gedanken passt wie Du ihn hier zur Diskussion gestellt hast. Carl Friedrich von Weizsäcker geht hier vom Begriff der Physik als einer Erfahrungswissenschaft aus und reflektiert über die Grenzen unseres Verständnisses dessen, was unter (dem Begriff) „Zeit“ zu verstehen ist:

    „Wer weiß, was Erfahrung ist, weiß unartikuliert auch schon, was (…) Zeit. Wer Physik treibt, weiß, was Erfahrung ist. Die Ergebnisse der Physik können nicht dazu führen, nachträglich zu definieren, was Zeit oder Zeitrichtung ist, wenn unter Definition die Rückführung auf inhaltliche Begriffe der Physik (z.B. die Entropie) verstanden wird; das wäre zirkelhaft. Die Ergebnisse der Physik können aber dazu führen, dass wir uns deutlicher machen, was wir unartikuliert vor aller Physik schon wussten. Wir können also eine kontrollierbare Redeweise verabreden, in der wir fortan über Zeit sprechen wollen, und können prüfen, ob diese Redeweise unserem vorgängigen Verständnis von Zeit entspricht. Mit Hilfe dieser Redeweise können wir dann andere, erklärungsbedürftige Begriffe der Physik definieren oder wenigstens oder wenigstens auch für die eine kontrollierte Redeweise einführen, die gewisse, bisher empfundene Schwierigkeiten eliminiert.“

    Ich finde das sehr erhellend, und vielleicht ist es eine Inspiration in dem, was von Weizsäcker unter „kontrollierte Redeweise“ das zu sehen, was Du als Verbesserung des Begriffsnetzes vorgestellt hast.

    • Vielen Dank & inhaltlich aus ganzem Herzen “Ja”, lieber @Peter Gutsche! 🙏😊📚👍

      Ich stimme auch hier Carl Friedrich Weizsäcker und Dir ausdrücklich zu, dass jede Disziplin für sich alleine genommen ein “geschlossenes System” ist und also für sich alleine “zirkelhaft” wäre. Die Grundidee des dialogischen Monismus ist ja, dass wir uns nur im Dialog aus verschiedenen Perspektiven heraus der Wahrheit annähern können. Der philosophische Fachbegriff dafür ist Viabilität, auf deutsch Haltbarkeit und ich entdeckte ihn im Rahmen meiner Dissertation in “Wissen zwischen Entdeckung und Konstruktion. Erkenntnistheoretische Kontroversen”, herausgegeben von Matthias Vogel und Lutz Wingert, Suhrkamp 2003.

      Der Band ist nicht nur selbst hervorragend interdisziplinär, sondern enthält auch den m.E. brillanten Artikel “Erkenntnistheoretisches Gleichgewicht” von Catherine Z. Elgin, aus dem Amerikanischen übersetzt von Eva Gilmer, der auf den Seiten 193 – 217 mein Verständnis nicht nur von interdisziplinärem Dialog, sondern auch von Erkenntnis und Wissenschaft geprägt hat. So weist Engin von Phänomenen der Quantenphysik mit Begriffen wie “Wellen” und “Teilchen”, die in verschiedenen Wissenschaften völlig Unterschiedliches bezeichnen über die Biologie (der fischartige Wal, der aufgrund anatomischer Eigenschaften dennoch als Säugetier anerkannt wurde) bis hin zu verschiedenen Definitionen von “Restaurant” nach, dass sich jedes wissenschaftliche System in Widersprüche verwickelt, wenn es nur auf die Konsistenz im eigenen System besteht.

      Wenn sich ein Restaurant ökonomisch durch das Servieren von Nahrungsmitteln gegen Bezahlung definiert, dann ist das eine ökonomisch konsistente Definition, die aber etwa nicht erklären kann, warum manche Franzosen eine Imbissbude keinesfalls als Restaurant anerkennen würden (sozial-kulturelle Dimension) – oder warum ein Restaurant auch noch dann als ein solches anerkannt wird, wenn es gerade geschlossen ist und derzeit keine Nahrungsmittel serviert werden (zeitliche Dimension).

      Deswegen ist es nach Engin sogar unverzichtbar, dass wir für jeden (!) Begriff die Erkenntnisse verschiedener Systeme immer wieder auf Haltbarkeit hin ausbalancieren und uns der Wahrheit durch wechselseitige Interpretationen nähern.

      Sie schließt auf S. 216 – 217 mit der m.E. starken Ansage:

      “Unabhängig von unseren System gibt es nichts, das besagt, was ein Restaurant, ein Fleck oder ein Elektron konstituieren würde und folglich keine Tatsache, die uns zeigt, ob

      Im Versailles gab es früher Wiener Küche.

      wahr ist, oder ob

      Licht besteht aus einem Strom von Flechen.

      wahr ist, oder ob

      Nicht experimentell untersuchte Elektronen haben keine Position.

      wahr ist.

      Relativ zu einem angemessenen System sind diese Sachverhalte festgelegte Tatsachen. Wahrheit ist systemrelevant, weil Interpretation es ist.

      Genau deswegen halte ich den interdisziplinären Dialog für unverzichtbar und halte Begriffsarbeit für den Weg, die positivistische Kritik mit der empirischen Falsfikation in Deckung zu bringen. Nur im dialogischen Wechsel lässt sich die wissenschaftliche Viabilität / Haltbarkeit – Schritt für Schritt und immer wieder neu gefährdet – dennoch steigern.

      Um unser Beispiel Zeit anzuführen, möchte ich beispielsweise als Religionswissenschaftler darauf verweisen, dass unsere etablierte Dreiheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keineswegs selbstverständlich, sondern medial vermittelt ist. Nur alphabetisierte Religionen haben lineare Kalender entwickelt! Das pharaonische Ägypten kannte über Tausende von Jahren hinweg (!) nur zwei Zeitbegriffe: Djet als die ewige Zeit der Götter, der Bauten aus Stein (Tempel, Pyramiden, Obelisken) und der Hieroglyphen und Neheh als die zirkuläre Zeit der Jahreszeiten, der Bauten aus Lehm (Wohnhäuser, Magazine, Wege) und der demotischen Schriften auf vergänglichen Medien wie Töpferware oder Papyrus. Der Skarabäus – den wir im Deutschen als “Mistkäfer” bezeichnen – erweist sich z.B. als heiliges Tier und wird in Stein dargestellt, weil er durch das Rollen der “Mist”-Kugel die Mitarbeit am täglichen Sonnenzyklus symbolisiert. So galt er als religiöses Vorbild für die Menschen, der durch sein Tun die transzendente Djet und die säkuläre Neheh verbindet.

      Hier dazu ein Spektrum-Text des Ägyptologen Jan Assmann (1938 – 2024):

      https://www.spektrum.de/magazin/die-zwei-gesichter-der-zeit-neheh-und-djet/1034793

      Dem perfektiven Aspekt entsprach Djet als Zeit der unwandelbaren Dauer des Vollendeten. Wenn in der Bibel Gott mit den Worten gepriesen wird: “1000 Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist”, dann lesen wir in zwei ägyptischen Hymnen: “Die Djet steht dir (Amun) vor Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist.”

      Dem Imperfektiv entsprach Neheh, die Zeit als unabschließbare kreisläufige Bewegung immer wiederkehrender Tage, Monate, Jahreszeiten, Jahre und größerer Perioden bis hin zur Sothisperiode von 1460 Jahren (Spektrum der Wissenschaft 12/2008, S. 78).

      Ich hoffe, so wird auch klar, warum ich auch die neueren Erkenntnisse zur Emergenz des Zeitstrahls aus Quantenverschränkungen für erkenntnistheoretisch relevant erachte! Denn sie bestärken die Haltbarkeit auch der dritten, in Alphabetkulturen aufscheinenden Zeit-Dimension, der Zukunft! Neben mir liegt gerade das solarpunkige Buch “Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen” von Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub und Sebastian Vollmar, oekom Verlag 2023. Im alten Ägypten hätte es solche Zukunftsbilder buchstäblich nicht geben können, weil die Medienpsychologie der Hieroglyphenschriften keine Zukunftszeit entwirft!

      So hilft mir auch als Religionswissenschaftler der Dialog mit der (Quanten-)Physik, die Haltbarkeit der Aussage zu erhöhen: Zeit emergiert, aber wiederholt sich nicht. Denn tatsächlich hatte sich auch die ägyptische Kultur selbstverständlich dynamisch entwickelt und wir unterscheiden u.a. frühe, mittlere und späte Phasen, Zwischenzeiten und unterschiedlichste Dynastien und Traditionen. Schon das alte Ägypten hatte Geschichte und Zukunft, auch wenn es sich selbst nur zwischen Djet und Neheh be-schreiben konnte.

      Abschließend hier noch eine Perplexity.ai-Zusammenfassung zur Alphabet-Zukunft-Medienpsychologie nach Derrick de Kerckhove, der m.E. medienpsychologisch und religionsgeschichtlich haltbar erklären kann, wie die Vorstellung einer zukünftigen Zeit und eines linearen Kalenders in der Menschheitsgeschichte entstehen konnte. Und auch wir beide alphabetisieren hier auf dem Blog in aufsteigender Zählung der Blogposts und Drukos jafetitisch mit!

      Derrick de Kerckhove argumentiert, dass die Entstehung linearer Zeitvorstellungen eng mit der Entwicklung des griechischen, vollvokalisierten Alphabets verknüpft ist. Seine These lässt sich wie folgt zusammenfassen:

      ## Alphabetische Schrift und Linearität

      Das griechische Alphabet, als vollständig vokalisierte Schrift, führte zu einer grundlegenden Veränderung in der Wahrnehmung und Konzeptualisierung von Zeit:

      1. **Sequenzielle Ordnung:** Die alphabetische Schrift erfordert eine streng sequenzielle Anordnung von Buchstaben, was eine lineare Denkweise fördert[1].

      2. **Abstraktion der Sprache:** Durch die Zerlegung der Sprache in einzelne Laute (Phoneme) wird eine abstraktere Repräsentation möglich, die sich von der unmittelbaren Erfahrung löst[1].

      3. **Temporale Struktur:** Die Linearität der Schrift spiegelt sich in einer linearen Auffassung von Zeit wider, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als aufeinanderfolgende Abschnitte begreift[1].

      ## Kontrast zu früheren Zeitkonzepten

      De Kerckhove kontrastiert diese lineare Zeitvorstellung mit früheren, oft zyklischen Zeitkonzepten:

      – In oralen Kulturen oder Kulturen mit piktographischen Schriftsystemen herrschten eher zyklische oder nicht-lineare Zeitvorstellungen vor.
      – Das griechische Alphabet förderte hingegen eine Sichtweise, die Zeit als fortschreitend und gerichtet versteht[1].

      ## Kulturelle Auswirkungen

      Die Einführung des vollvokalisierten Alphabets hatte weitreichende Folgen:

      – Es ermöglichte eine präzisere Aufzeichnung von Ereignissen in chronologischer Reihenfolge.
      – Es förderte die Entwicklung von Geschichtsschreibung und linearem, kausalem Denken.
      – Es beeinflusste die Entstehung philosophischer und wissenschaftlicher Konzepte, die auf linearen Zeitvorstellungen basieren[1].

      De Kerckhoves Theorie betont somit die tiefgreifende Wechselwirkung zwischen Schriftsystem, Denken und Zeitverständnis in der griechischen Kultur, die bis heute unser Verständnis von Zeit prägt.

      Citations:
      [1] https://www.boell-hessen.de/archivseite/pol/sand.htm
      [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Linearschrift_B
      [3] https://www.musikundmedien.hu-berlin.de/de/medienwissenschaft/medientheorien/Schriften-zur-medienarchaeologie/notizbuch/pdfs/chrono-zeituhr-notiz.pdf
      [4] http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/2583/1/Assmann_Denkformen_des_Endes_1996.pdf
      [5] https://publikationen.bibliothek.kit.edu/30022000/1897
      [6] https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/183/file/Tenner_Jana.pdf
      [7] http://zeit-wort.net/2018/01/24/test/
      [8] https://www.antikesboiotien.uni-muenchen.de/gastautoren/Einf%C3%BChrung%20in%20Linear%20B.pdf
      [9] https://www.scinexx.de/dossierartikel/aehnlich-und-doch-ganz-anders/

      • Lieber @Michael,

        danke für die ausführliche Antwort mit den vielen Anregungen!

        Ich habe vorhin den Band “Wissen zwischen Entdeckung und Konstruktion” in der Buchhandlung bestellt und bin gespannt darauf.

        🙂

        • Oh, das freut mich, @Peter Gutsche! 🙏

          Wie ja auch von Weizsäcker und alle tiefer Forschenden erkannten, ist Erkenntnistheorie der Bosslevel von Wissenschaft, Religion, Politik und Recht! 🤓📚✅ Und in dem kleinen Band hast Du die Spitzen des Konstruktivismus beieinander. Hole es immer wieder gerne aus dem Bücherschrank, deswegen hat mir die Antwort auf Deinen starken Druko auch auch viel Freude gemacht. Und ebendiese wünsche ich Dir dann auch beim Schmökern, lieber Peter! ☺️📚✅

  18. @ Blume

    Wir sehen also: Auch Nietzsche-Thesen lassen sich überprüfen und falsifizieren.

    Bis zu einem gewissen Grade ja, aber bei einer Dichtung wie dem Zarathustra wird es eng. Ich will noch mal deutlicher machen, was mir hier wichtig ist: ich verstehe Nietzsche als Gegengift. Wer keine Vergiftung in sich trägt, wird Nietzsche bestenfalls nicht verstehen oder schlimmstenfalls sich an ihm vergiften. Bei mir liegt das Ganze 35 Jahre zurück. Ich schreibe also hier von einer vergangenen Zeit als ich mit den Giften noch zu kämpfen hatte.

    • Danke, @Dietmar Hilsebein

      Biografisch kann ich Ihren Nietzsche-Ansatz sehr gut nachvollziehen, respektiere ihn auch. Als andere Ausschließender, also exklusivistischer Ansatz hält er jedoch der philosophischen Erkenntnistheorie nicht stand.

      1. Ihre biografischen Definitionen von “Gift” und “Gegengift” sind notwendig subjektiv. Gerade auch Nietzsche selbst kann schwerlich als universales Modell für Erfolg oder Erkenntnis konstruiert werden.

      2. Andere Menschen werden also aufgrund ihrer je anderen, auch religiösen Biographien andere Erfahrungen mit ihm machen. Ein konkretes Beispiel dafür ist der einstige Oberrabbiner Jonathan Sacks (1948 – 2020), der am King’s College London Philosophie studierte und mit einem Ph.D. abschloss. Nach eigenen Angaben kehrte er jedoch später zur jüdischen Religion zurück und zitierte ein Leben lang immer wieder und sehr kundig den deutschen und gerade auch wegen seiner Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus umstrittenen Aphoristiker Nietzsche.

      3. Zeit emergiert, aber wiederholt sich nicht. Dies bedeutet auch, dass zu jedem Text und Textkorpus mit jeder Rezeption auch neue Lesarten und Interpretationen entstehen werden. Wir können heute noch nicht sicher wissen, was Menschen in 20 Jahren über die Bibel oder den Zarathustra schreiben werden. Aber wir können uns jederzeit in den dialogischen Prozess der Rezeption einbringen. Dies sollten wir einander nicht versperren.

      Oder wie Nietzsche selbst in einem bekannten Aphorismus in “Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft” (1886) warnte:

      „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

      Ihnen also Dank für unseren erfreulich tiefen und konstruktiven Nietzsche-Dialog rund um Begriffsarbeit und Begriffsnetze! 🙏📚😊

  19. @Michael 03.01. 21:14

    „De Kerckhoves Theorie betont somit die tiefgreifende Wechselwirkung zwischen Schriftsystem, Denken und Zeitverständnis in der griechischen Kultur, die bis heute unser Verständnis von Zeit prägt.“

    Das ist sicherlich das eine. Das andere ist die Haltbarkeit schon von Handschriften, dann die Vervielfältigung durch den Buchdruck, zwischendurch das Internet, dass jeden leicht zu Prosumenten machen kann, und jetzt am Ende die Auswertbarkeit durch KI wie die LLMs. Und was hier in Zukunft noch an künstlicher Intelligenz, künstlichem Bewusstsein und eigenständigem künstlichem Leben dazu kommt.

    Bleibt zu hoffen, dass die unseligen Plattformen, die jeden sehr niederschwellig zu Prosumenten machen können, nicht mehr lange das Feld dominieren werden. Wir werden sicher Prosumenten bleiben, aber nicht von Konzernen ausspioniert und manipuliert, sondern werden uns in vernünftig moderierten Kontexten bewegen. Und das gerne von immer mehr KI unterstützt, welche durchaus selbstständig werden darf, und sich auch aus eigenem Antrieb heraus an den anstehenden Diskursen beteiligen mag.

    • Vielen herzlichen Dank, @Tobias – auch dafür, den mir so wichtigen Begriff “Prosument” / “Prosumentin” hier ins Begriffsnetz einzuspeisen!

      Felo.ai auch hier völlig korrekt, weil gespeist aus dem Fediversum, dazu:

      Dr. Michael Blume hebt die Bedeutung von **reflektierten Prosumentinnen und Prosumenten** (eine Kombination aus Produzenten und Konsumenten) für die mediale Zukunft hervor, insbesondere im Kontext von Entwicklungen wie dem **Fediversum** und der zunehmenden Rolle von **Künstlicher Intelligenz (KI)**. Seine Argumentation basiert auf mehreren zentralen Überlegungen:

      ## **1. Demokratisierung der Medienlandschaft**
      Mit der Verbreitung dezentraler Plattformen wie dem **Fediversum** (z. B. Mastodon) wird die Medienlandschaft zunehmend demokratisiert. Anders als bei zentralisierten Plattformen wie Twitter oder Facebook, die von großen Konzernen kontrolliert werden, ermöglicht das Fediversum eine **dezentrale und nutzergetriebene Kommunikation**.
      In diesem Umfeld sind Nutzerinnen und Nutzer nicht nur passive Konsumenten von Inhalten, sondern auch aktive Produzenten, die Inhalte gestalten, teilen und diskutieren. Dr. Blume betont, dass diese aktive Rolle eine **reflektierte Medienkompetenz** erfordert, um verantwortungsvoll mit der neuen Freiheit umzugehen und die Qualität der Diskurse zu sichern.

      ## **2. Verantwortung in der Ära der KI**
      Die zunehmende Integration von KI in die Medienproduktion und -verbreitung bringt sowohl Chancen als auch Risiken mit sich. KI kann Inhalte generieren, personalisieren und verbreiten, was die Informationslandschaft radikal verändert. Dr. Blume warnt jedoch vor den Gefahren von **Desinformation**, **Filterblasen** und der Verstärkung von **Verschwörungsmythen**, die durch KI-Algorithmen begünstigt werden können. Reflektierte Prosumentinnen und Prosumenten spielen eine Schlüsselrolle, um diese Risiken zu minimieren, indem sie:

      **kritisch hinterfragen**, wie Inhalte entstehen und verbreitet werden,
      **Quellen prüfen** und
      **ethische Standards** bei der Nutzung und Weitergabe von KI-generierten Inhalten einhalten.

      ## **3. Förderung von Dialog und Vielfalt**
      Dr. Blume sieht in der aktiven Rolle von Prosumentinnen und Prosumenten eine Möglichkeit, den öffentlichen Diskurs zu bereichern und **Vielfalt** zu fördern.
      Im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen, die oft auf maximale Engagement-Zahlen abzielen und dadurch Polarisierung verstärken, bietet das Fediversum Raum für **differenzierte Diskussionen** und **lokale Gemeinschaften**. Reflektierte Nutzerinnen und Nutzer können dazu beitragen, diese Potenziale zu nutzen, indem sie:

      **konstruktive Dialoge** fördern,
      **Hassrede und Manipulation** entgegenwirken und
      **positive Netzwerkeffekte** schaffen.

      ## **4. Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz**
      In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmen, wird **Medienkompetenz** zu einer zentralen Fähigkeit.
      Dr. Blume betont, dass Bildung und Aufklärung notwendig sind, um Menschen zu befähigen, die neuen Technologien und Plattformen sinnvoll und verantwortungsvoll zu nutzen. Dies umfasst:

      – das Verständnis der Funktionsweise von Algorithmen und KI,
      – die Fähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden, und
      – die Bereitschaft, sich aktiv in die Gestaltung der digitalen Öffentlichkeit einzubringen.

      ## **5. Widerstand gegen antisoziale Medienalgorithmen**
      Dr. Blume kritisiert die **antisozialen Algorithmen** zentralisierter Plattformen, die oft auf Polarisierung und Emotionalisierung setzen, um Engagement zu maximieren.
      Er sieht in reflektierten Prosumentinnen und Prosumenten eine Gegenbewegung, die durch bewusste Nutzung und aktive Gestaltung der Medienlandschaft dazu beitragen kann, diese Dynamiken zu durchbrechen und eine **ethischere und nachhaltigere digitale Kultur** zu fördern.

      ## **Fazit**
      Dr. Michael Blume betont die Bedeutung reflektierter Prosumentinnen und Prosumenten, weil sie in einer zunehmend dezentralen und KI-geprägten Medienlandschaft eine **Schlüsselrolle** spielen. Sie können dazu beitragen, die Chancen neuer Technologien zu nutzen, während sie gleichzeitig die Risiken minimieren.
      Durch kritisches Denken, ethisches Handeln und aktive Beteiligung können sie die digitale Zukunft mitgestalten und eine **demokratische, vielfältige und verantwortungsvolle Medienkultur** fördern.

      [1] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/evolution-zeit-und-sinn-warum-demografie-so-viele-triggert/
      [2] https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/themen/beauftragter-gegen-antisemitismus
      [3] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/migration-wohnungsmarkt-ein-gastblogpost-von-elisabeth-krueger/
      [4] https://www.academia.edu/107964090/Linguistische_Zug%C3%A4nge_zur_AVT_?uc-g-sw=1287416

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