Begriffsarbeit in der StZ – Andreas Geldner zu Liberalismus versus Libertarismus

“Alle Menschen sind Philosophen.” – Karl Popper (1902 – 1994)

Für mich als passionierten Zeitungsleser ist der Samstagmorgen oft etwas ganz Besonderes: Die Chancen stehen an keinem Wochentag so gut, dass ich in Ruhe die Zeitung und mindestens eine Zeitschrift lesen und vielleicht auch ein paar starke Sätze notieren kann. Gelegentlich kommt es dabei vor, dass mich ein Text so begeistert, dass ich ihn direkt mit Anderen an starken Begriffen Interessierten teilen möchte. So auch heute morgen.

Auf Seite 27 der Stuttgarter Zeitung (StZ) erschien der Essay “Der Kult der Ich-Menschen” von Andreas Geldner, in dem er den monistischen, staatskritischen Liberalismus vom dualistischen, staatsfeindlichen Libertarismus unterschied. Oft hatte ich zu diesem Thema geschrieben und gesprochen und fand Geldners Sätze dazu so prägnant, dass ich einige Zitate zur Diskussion direkt auf Mastodon postete.

Die obere Seite 27 der Stuttgarter Zeitung vom 15.02.2025 mit dem Essay "Der Kult der Ich-Menschen" von Andreas Geldner, darauf ein Smartphone mit einem Mastodon-Thread zum Artikel.

“Der Kult der Ich-Menschen” von Andreas Geldner am 15.02.2025 ließ mich noch am Frühstückstisch begeistert zum Smartphone greifen, um einige Zitate mit-teilen und zum Dialog stellen zu können. Foto der Szene: Michael Blume, Cowboy-Titelfoto des Essays von Ed Jones / AFP 

Schon die Bildauswahl der Rückansicht eines “naked Cowboy”, der nur mit Hut, Unterhose, Stiefeln und Gitarre durch städtischen Schnee stapft, unterstrich: Während sich die Idioten der Vergangenheit vor allem in ihr Privatleben zurückziehen wollten, geht es den Thymoten von heute in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie darum, sich selbst zu inszenieren. Der treffende Bildkommentar dazu lautet: “Ich bin so frei – so lautet der Kernsatz der libertären Weltsicht. Sie kombiniert konservativen Habitus mit dem lustvollen und oft anarchistischen Bruch mit der traditionellen Moral.”

Geldner entfaltet dann die rechtslibertäre Mythologie am Beispiel des Buches “Atlas shrugged” (1957) der aus der Sowjetunion in die USA geflohenen Philosophin Ayn Rand (1905 – 1982). Leider bleibt dabei unerwähnt, dass Rand und ihr Ehemann trotz ihrer heftigen Kritik am Sozialstaat später selbst New Deal-Sozialleistungen bezogen.

Doch dann gelingen Geldner prägnante Sätze für die digitale Ewigkeit:

„Den Libertären geht es anders als klassischen Liberalen nicht um eine Mäßigung des Staates, sondern um dessen Zerstörung.“

Genau hier liegt der vermeintlich kleine, aber zugleich riesige Unterschied, weswegen Demokratinnen und Demokraten in den USA und in Kanada als “Liberals” bezeichnet und von den rechtsdualistischen “Libertarians” unterschieden werden. Der dualistische Libertarianismus greift ebenso den demokratisch-monistischen Liberalismus an wie einst der dualistische Kommunismus die dialogisch-monistische Sozialdemokratie und immer wieder feindselige Reaktionäre den demokratischen Konservatismus.

Die PowerPoint-Folie von Dr. Michael Blume zeigt links den Ausdruck einer Wortwolke der FAZ zum Liberalismus, in der Mitte das Buch "Ein verheißenes Land" von Barack Obama und rechts "Why Liberalism failed" von Patrick J. Denen.

Folie meines Online-Vortrags “Liberalismus und Verschwörungsglauben” für das Walter-Eucken-Institut am 8. März 2021. Siehe auch am Blogschluss. Screenshot: Michael Blume

Zitiert wird dazu auch die US-Publizistin Kara Swisher, die das Ziel der Rechtslibertären im Silicon Valley mit der Ansage formulierte: “Das Motto lautet: Lass uns alles wegmachen – und dann bauen wir die Zivilisation, die wir wollen.”

Während klassische Liberale oft religiös aktiv waren oder doch die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation von Kirchen, Religionsgemeinschaften, Verbänden und kinderreichen Familien wertschätzten, wandte sich bereits Rand auch gegen die Religion – wie zuletzt nach einer kritischen Predigt einer Washingtoner Bischöfin auch Donald Trump & MAGAs.

Geldner auch dazu präzise:

„Mit der auch in den USA schwindenden Religiosität wird ein Egoismus salonfähig, dem Freiheit wichtiger ist als Moral.“

Tatsächlich empfinden viele Libertäre auch die traditionelle Familie als Einschränkung ihrer individuellen Freiheit und schwimmen auch damit im Strom der digitalen Säkularisierung. So befinden sich auch in den USA die lange erhöhten Geburtenraten im freien Fall auf derzeit noch 1,7 Kinder pro Frau etwa im Bereich der Türkei, mit jeweils weiter sinkender Tendenz. (Die EU befindet sich derzeit bei etwa 1,45, Südkorea nur noch knapp über 0,7, Israel bei ca. 3,0.)

Zu Religion haben fast alle eine Meinung, @Tom aber postete auf Mastodon dazu kundig:

“Religion kann hilfreich sein, um die Freiheit in den wertebasierten Schranken der Verantwortung zu halten. Freiheit ohne Verantwortung ist Rücksichtslosigkeit, Freiheit ohne Werte ist Tyrannei.”

Auf die Nachfrage eines weiteren Mastodon-Accounts zum gerade auch in den USA verbreiteten “Wohlstandsevangelium” ergänzte ich gerne:

“Ja, schon Max #Weber wies darauf hin, dass ein säkularisierter #Calvinismus von der religiösen Verpflichtung des Teilens in den „protestantischen Arbeitsethos“ des #Kapitalismus führe. Nach meiner Einschätzung erleben wir auch hier das Überdrehen der linear-säkularen Zeitverheißung: Von der zeitlichen Welt wird nun egozentrisch verlangt, was einst Vorrecht der #Ewigkeit war.” #Zeit #Philosophie #Religion #Diesseits #Jenseits”

Mir ist als Religionswissenschaftler schon klar, dass ein religionsbezogenes Denken jenseits dualistischer Klischees nicht allen Menschen gelingt. Aber wer diese Debatte verstanden hat, versteht auch, warum ich notfalls auch öffentlich darauf bestehe, dass Deutschland eine starke christdemokratische, aber keine rechtslibertäre Partei benötigt.

Und dann gelang Geldner auch noch eine ebenso prägnante wie in meinen Augen schöne Fomulierung der digitalen Thymotisierung samt des Konzern-Neurohacking:

„Libertäres Denken passt zu einer Gesellschaft, in der der Blick auf andere Menschen durch Bildschirme gefiltert wird. Er spiegelt das Gefühl der virtuellen Selbstermächtigung.“

Foliendarstellung von Gamma.app zur Thymotisierung durch digitale Medien und zum Medienmengen-Paradox. Klick führt zu einem Blogpost mit Erläuterungen dazu.

Die digitale Thymotisierung macht zumal in Kombination mit Konzern-Neurohacking süchtig, wütend und einsam. Screenshot: Michael Blume

Aber auch eine Prognose zum kommenden Konflikt zwischen den beiden Flügeln des US-Rechtsdualismus, den sozialdarwinistischen Libertären und den völkischen Sozialisten, wagt Geldner:

“Einig ist man sich bei der Aufteilung der Welt in Überlegene und Unterlegene, in der Verachtung des Staates, im aggressiven Bruch mit den bestehenden Verhältnissen. Doch Libertäre gehen weiter: Sie glauben allein an die Freiheit des Individuums. Die Nation ist kein Referenzpunkt. […] Und so ist es wenig verwunderlich, dass Trumps nationalistischer Ex-Berater Steve Bannon dem Ober-Libertären Musk schon den Fehdehandschuh hingeworfen hat.”

Was für präzise Formulierungen!

Begriffsarbeit gegen die Manipulation

Aus meiner Sicht gehört die sorgfältige Begriffsarbeit zur philosophischen Aufgabe aller mündigen Menschen. Ohne starke Be-Griffe können wir weder Wissenschaft noch Politik be-greifen. Wenn wir uns durch Informationsfluten und Neurohacking so weit ablenken lassen, dass wir sogar unseren gemeinsamen Wortschatz verlieren, dann gibt es keine demokratische und freiheitliche Öffentlichkeit mehr. Wir selbst sind der Diskurs und entscheiden also mit, ob wir uns auf Manipulationen und Diskursverschiebungen einlassen.

Mir bedeutet es etwas, Autorinnen und Autoren starker Texte auch digital zu würdigen und gedruckte Worte in den digitalen Dialog zu geben. Dass thematische Mastodon- und Blog-Debatten zudem ins KI-Fediversum eingehen und über lesende Menschen wie auch KI-Crawler weitere Wirkungen entfalten, kommt als Bonus hinzu. Auch deswegen freue ich mich als dialogischer Monist über jede dialogische Begriffsarbeit. 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

49 Kommentare

  1. Guten Morgen, @Michael,

    Vielen Dank für die frühmorgendliche Lektüre! Ich schätze Deine präzise Begriffsarbeit sehr und stimme Dir zu, dass Klarheit über Begriffe essenziell ist, um die Welt um uns herum und die aktuellen Veränderungen besser zu verstehen – insbesondere beim Begriffspaar Liberalismus versus Libertarismus.

    Gerade das Konzept des Libertären Autoritarismus und das dazu erschienene Buch von Carlin Amlinger und Oliver Nachtwey machen die fragwürdige Umdeutung des „Freiheits“-Begriffes in den letzten Jahren besser be-greifbar. Ein interessanter Beitrag dazu.

    Leider fallen viele Menschen – möglicherweise, weil sie genau diesen Unterschied nicht verstanden haben – auf libertäre Narrative herein und lassen sich von einer vermeintlich fortschrittlichen „Freiheits“-Auffassung und den vermeintlichen „Genies“ aus der Tech-Branche täuschen. Besonders tragisch ist dies bei Liberalen, die eigentlich für Werte stehen, die ich schätze. Ein Beispiel dafür ist das berühmte „Mehr Musk wagen“ von Christian Lindner – ein entlarvender Ausspruch, der viel über diese ideologische Verschiebung aussagt.

    Umso schmerzlicher ist es, dass mit Gerhart Baum ein aufrichtiger, wirklich Liberaler von uns gegangen ist – einer, der nie daran zweifeln ließ, den Unterschied zwischen libertär und liberal klar zu erkennen und zu benennen. Seine Stimme, sein klarer Verstand und seine kritische Stimme werden in den kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen schmerzlich fehlen.

    • Vielen herzlichen Dank, lieber @Peter Gutsche 🙏

      Nachdem gestern der Tod des großen Liberalen Gerhart Baum bekannt wurde, haben mich liebe Freude darauf angesprochen. Das hat mich sehr berührt und auch an den bleibenden Wert des Liberalismus erinnert.

      Viele heutige Alltagsbegriffe wie „Bildung“, „Weltanschauung“ oder eben „liberal“ begannen als hoch komplizierte Fachsprache, bevor sie allgemein und intuitiv verständlich wurden. Niemand braucht ein Studium, um sie durch Dialog besser zu verstehen.

      Gerade habe ich auf Mastodon eine erstaunlich intensive Debatte ausgelöst, als ich die These zur Diskussion stellte:

      „In einer digitalen Demokratie sollten alle Menschen dialogische Philosophie betreiben.“

      https://sueden.social/@BlumeEvolution/114012419427168231

      Denn nach meiner Auffassung werden wir alle durch die Vielzahl der medial einströmenden Informationen manipuliert, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, Begriffe immer wieder dialogisch und philosophisch zu bedenken. Es geht dabei um nicht weniger als um unsere Würde und Freiheit.

      Danke für Deine so wertvollen Beiträge zum digitalen Dialog, lieber Peter! 🙏📚🙌

    • Sehr geehrter Herr Blume,
      erlauben Sie mir eine ganz grundlegende Frage zu Ihren Begrifflichkeiten: Sie arbeiten sehr häufiger mit dem Begriffen dualistisch, bzw. monistisch, wobei sie mit ersterem Begriff Widerspruch als “undemokratisches” definieren, Monismus hingegen als “demokratisch”.

      Ist diese Betrachtung nicht vielleicht unterkomplex und ein “Dualismus” an sich? Bsp.: wenn ich z.b. mit einem Faschisten keinen Konsens finden will, wäre das ja dualistisch. Sie kennen ja das Toleranzparadox.

      Wie passt das zusammen?

      • Vielen Dank für Ihre begründete Nachfrage, @Matthias 🙏

        Gerne gehe ich etwas ausführlicher darauf ein:

        Die Dreiteilung der menschlichen Kategoriebikdungen in die drei Grund-Weltanschauungen des Monismus (eine gemeinsame Welt), der vielfältigen Welten (Pluralismus, auch: Relativismus) und des Dualismus (zwei einander verfeindete Welten) ist philosophisch sehr alt und taucht in der Geistesgeschichte immer wieder auf. Wir finden Sie beispielsweise auch schon im über zweitausend Jahre alten Talmud in sogar mehrfacher Weise.

        Im 20. Jahrhundert kamen über die Psychologie – etwa bei Kohlberg – und die Psychoanalytik – etwa bei Blumenberg – immer mehr Bestätigungen zu einer auch biografischen Entfaltung hinzu: Wir alle starten als Kinder im egozentrischen Relativismus, befassen uns dann in der Jugend massiv mit Fragen des gruppenbezogenen Dualismus und können idealerweise (und leider selten) zum dialogischen Monismus reifen.

        Dies gilt quer durch alle Kulturen und Weltreligionen und wird daher in diesen auch oft als Initiationsweg gestaltet. So werden Kinder im Judentum noch nicht an strengen Geboten gemessen (egozentrischer Relativismus), bis sie mit zwölf bis vierzehn Jahren als lesefähiger Sohn oder auch Tochter des Gebotes (Bar bzw. Bat Mizwa) rituell anerkannt werden. Haben sie sich dann in Beruf und Familie etabliert, steht ihnen auch die Einweihung in die Mystik (Kabbala) offen, früher traditionell ab 40 Jahren.

        Ähnliche Stufenwege finden sich auch zum Beispiel im Hinduismus und in der Alltagsweisheit („Erst wer selbst Kinder hat, versteht…“).

        Ihre Intuition, dass eine Zweiteilung der menschlichen Wahrnehmungen in Monismus und Dualismus „unterkomplex“ wäre – ist also völlig richtig! Wir haben es mit einer Dreiteilung zu tun und der dialogische Monismus ist kognitiv und auch emotional anspruchsvoller als jeder selbst dualistische Anti-Dualismus!

        Bei Interesse finden Sie hier einen eigenen Blogpost genau dazu:

        https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/warum-der-dialogische-monismus-mehr-als-ein-anti-dualismus-dualismus/

        Ihnen noch einmal herzlichen Dank für die weiterführende Nachfrage! 🤓🙌📚✅

    • Vielen Dank für diesen inspirierenden Beitrag!
      Ein Argument mehr für mich, dass es eine klare liberale Partei in unserem Land geben muss, die den Freiheitsgedanken auch mit Verantwortung zu verknüpfen weiss und darin kommunikationsstark ist. Verwässern wir den Begriff der Liberalität, suchen sich Menschen ihre Lösungen im Libertarismus (und halten diesen vielleicht für liberal).

  2. Immer wenn ich das Hohelied der Religiosität als gesellschaftlichem Wertelieferanten höre, schüttelt es mich ein wenig.

    Da denke ich an Jordan Peterson, der von der christlich-judäischen Zivilisation schwärmt, an den IS, Hamas und “Amerikas Gotteskrieger” [nach Annika Brockschmidt], die gerade in den USA die Macht ergreifen.

    Ihnen allen ist gemein, dass sie selbst gar nicht tatsächlich religiös sind, sondern den Wunsch der Massen nach spirituellem Halt instrumentalisieren, um sich selbst Vorteile zu verschaffen.

    Nun ist die Doppelmoral seit mindestens 1000 Jahren das vielleicht hervorstechendste Merkmal der Kirche (besonders der katholischen). Nichts Neues unter der Sonne als das alte Bündnis von Fürst und Pfaffe (“Halt du sie dumm, ich halt sie arm”), also.

    Unbestreitbar ist allerdings ist die oft positive Wirkung von Religiosität auf Individuen: Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Kraft in der Not und Liebe zum Leben und zur Schöpfung sind wunderbare Dinge, die oft in der Religion ihre Wurzel finden.

    Problematisch ist die philosophische Komponente. Die Wurzel von Wahrheit und Moral außerhalb der Ratio und im Übermenschlichen und damit Unmenschlichen zu sehen, macht sie zum perfekten Instrument unangreifbarer Autorität (“Wahr ist, was geschrieben steht”).

    Das ist fatal.

    • Vielen lieben Dank, liebe @Mina 🙏

      Emotional bin ich da ganz bei Dir, aber die Kulturgeschichte der Menschheit enthält leider bittere Erkenntnisse: Es gibt keine angeborenen oder naturrechtlichen Anlagen für Menschenwürde, Gleichberechtigung, die Abschaffung von Sklaverei, Bildung oder auch „nur“ Tierethik und Mitweltschutz. Selbst die Anthropodizee-Frage (nach den Gründen zur Weitergabe menschlichen Lebens) konnte bisher nur religiös-theistisch ausreichend beantwortet werden – alle nichtreligiösen Menschen-Populationen der Vergangenheit und Gegenwart verebben demografisch.

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/atheisten-sterben-nicht-aus-sie-verebben-nur-demografisch/

      Wo sich solche Überzeugungen herausgebildet haben, brauchte es Jahrtausende der Traditionsbildung, die dann auf überempirische Akteure wie Geister oder Gottheiten zurückgeführt wurden. Entsprechend erinnern mich links-säkulare Progressive immer wieder an beeindruckend hoch gestiegene Menschen, die die Leiter hinter sich vergessen und verworfen haben. So beruht auch Dein Urteil über die „Heuchelei“ von Kirchen auf der Verinnerlichung jüdischer, christlicher und dann humanistischer Fortschritts-Werte.

      Machen also Religionen Menschen grundsätzlich „moralisch besser“? Nein, auch das nicht. Religionsgemeinschaften eröffnen durch den gemeinsamen Glauben an überempirische Akteure kooperative und reproduktive Potentiale, die zum Guten wie auch zum Bösen gedreht werden können. Erst wenn religiöse Menschen auch gelernt haben, sich selbst und ihre eigenen Überzeugungen immer wieder dialogisch zu reflektieren und die Menschheit nicht dualistisch in Gläubige versus Ungläubige zu unterteilen, können sie das Gute befördern.

      Also: Auch Religionen brauchen Dialog und Begriffsarbeit, ja Philosophie. Immer und immer wieder.

      Dir daher noch einmal herzlichen Dank für die progressive Kritik! 😊🙏📚🙌

      • Guten Morgen @Mina und @Michael,

        Beim Lesen der Kommentare ist mir etwas eingefallen.
        Vor gut 6 Jahren bekam ich das Buch von Jordan Peterson “Twelve Rules for Live” und muss sagen, es hatte einige Dinge die mir weiterhalfen oder die ich als nützlich empfand. Wenn ich es nun lesen würde, wäre sicher einiges anders aber ich bin ja auch so gesehen ein anderer Mensch nach 6 Jahren.

        Um zum Punkt zu kommen, viele seiner Argumentationen und Grundlagen im Buch waren sehr durchdrungen von der Mystik der Religionen, der Psychologie und auch dem Biologischen verhalten des Menschen. Das er umstritten war, war mir damals schon bekannt, doch sein starkes hinwenden dann in eine Reaktionäre Gruppe überrascht mich jetzt noch.

        Hier meine Frage: Wenn man in einem Kampf/Flucht/Starre Modus sich befindet, kann man nicht klar denken, handelt also sehr instinktiv und aus dem Bauch heraus.
        Wenn jetzt radikale Kräfte jemanden bedrängen, kann das diesen dann nicht zusehends ebenfalls radikal machen, nur eben genau auf das Feindbild der ersten radikalen zugeschnitten?

        Hoffe es ist ungefähr klar was ich Fragen wollte. Ist mir gerade geschossen und wollte es noch schnell mitteilen.

  3. Ein sehr gutes Beispiel für philosophische Begriffsarbeit aus der wissenschaftlich informierten Arbeitserfahrung postete gerade @DerApotheker auf Mastodon:

    „ Es gibt keine Schulmedizin.


    Sie heißt einfach nur Medizin.


    Wenn es wirkt, ist es Medizin.
Wenn es nicht wirkt, ist es keine Medizin.


    Es gibt auch keine Alternativmedizin.


    Wäre sie eine Alternative zur Medizin, würde das ja voraussetzen, dass sie auch tatsächlich wirkt.

    
Würde sie aber tatsächlich wirken, warum sollte sie dann eine Alternative sein?


    Sie wäre dann ebenfalls einfach nur Medizin.“

    https://norden.social/@DerApotheker/114012664673659375

    Finde diese Sätze auch deswegen gut, weil sie nur scheinbar komplexe Zusammenhänge auf ihren Kern zurückführen und sowohl psychologische Schwächen wie auch dubiose Geschäftsmodelle entlarven.

    • Das bringt es gut auf den Punkt.

      Ich will hier aber noch zu Ihrem letzten Satz Stellung nehmen.

      “…psychologische Schwächen…dubiose Geschäftsmodelle…”

      Jeder, der einigermaßen gesund ist, kann sich nur schwer in Menschen hineinversetzen, die z.B. unheilbar krank sind. Erkrankungen, die sich sukzessive, schubweise verschlechtern wie MS, Parkinson etc.

      Man hat damit täglich zu kämpfen. Man nimmt die verordneten Medikamente, die wieder neue Beschwerden mit sich bringen. Übelkeit, Depressionen, Müdigkeit usw.

      Ich gehöre noch nicht zu denen, die irgendwelche alternative Behandlungsmethoden suchen. Ob es je so kommt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Mir ist durchaus klar, dass die sog. alternative Medizin nicht wirklich hilft. Was aber auch nicht dienlich ist, ist die Arroganz von Menschen, die nicht betroffen sind!

      Man kann sich psychologische Hilfe suchen, um mit der Belastung für sich und die Angehörigen fertig zu werden. Dennoch wird man immer spüren, dass man manchmal eine Last ist.

      Menschen, die nach anderen Behandlungsmethoden suchen, tun dies nicht aus Dummheit oder Ignoranz, sondern weil sie leiden und weil sie sich von Ärzten im Stich gelassen fühlen.

      Arzneimittel sind teuer. Das reißt häufig ein Loch ins Budget. Apotheker verdienen übrigens gut daran.

      • Das ist wahr, @Marie H. – und deswegen sprach ich mich ja gerade auch angesichts der digitalen Thymotisierung und wachsenden Gewaltbereitschaft für eine bessere, psychosoziale Versorgung in Deutschland aus:

        https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/nachahmung-via-medien-terror-durch-thymos-statt-durch-logos/

        In der Bundesrepublik Deutschland werden Milliarden im Bereich von Heilpraktikern und sog. Alternativmedizin umgesetzt, in Österreich nennt sich dieses privat finanzierte Berufsfeld Energetiker. Hier besteht m.E. ein ernsthafter und riesiger Bedarf von Menschen, der jedoch nach meiner Auffassung mit besserer Ausbildung, evidenzbasierten Qualitätsstandards und nicht nur gegen Privatgeld bedient werden sollte.

        Auch gegen Placebo-Wirkungen etwa von Homöopathie habe ich nichts einzuwenden, solange damit keine esoterischen (Verschwörungs-)Mythen verbunden werden.

        • Mir geht es nicht darum, die sog. Alternativmedizin zu verteidigen!

          Aber das Unverständnis für Menschen, die jeden Tag mit den Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen von unheilbaren Erkrankungen konfrontiert sind, gefällt mir nicht.

          Man bekommt eine Diagnose und die Ärzte lassen häufig den Einzelnen allein damit.

          Mein Anliegen ist, dass Ärzte nicht arrogant auf die Reaktion nach solchen einschneidenden Diagnosen reagieren.

          Menschen mit ihrer Verzweiflung allein zu lassen, kann nicht die Lösung sein.

          Ja, eine bessere Versorgung im Bereich der Psychotherapie ist wünschenswert.

          Allerdings würde ich mir heute gut überlegen, eine solche Therapie in Anspruch zu nehmen. Ich hätte keine Lust, in einem Fahndungsregister der Ermittlungsbehörden zu landen.

          Leider habe ich es in meinem Umfeld zweimal erlebt, wie Menschen alleingelassen wurden von den Halbgöttern in Weiß. Die Betroffenen sind nicht auf die sog. Alternativmedizin hereingefallen. Die größte Angst war nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst vor dem Leiden, den Schmerzen und davor, eine Last zu sein.

          • Lieben Dank, @Marie H. – da sind wir dann doch einer Meinung!

            Im Blogpost über die mediale Thymotisierung schrieb ich erst vor wenigen Tagen:

            “Daneben braucht es aber m.E. eine sehr viel stärkere, psychosoziale Betreuung für Bleibeberechtigte und Einheimische, damit etwa antisemitische und sexistische Verschwörungsmythen sowie Traumatisierungen früher erkannt und rechtzeitig behandelt werden können. Gerade auch für Männer sollte es kein Stigma mehr sein, rechtzeitig Hilfe anzunehmen – übrigens auch, um die Zahl der Gewalttaten und Femizide (Morde an Frauen) zu senken! Auch diese wären nach meiner Auffassung Parlamentsdebatten und demokratische Resolutionen wert, meine ich.”

            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/nachahmung-via-medien-terror-durch-thymos-statt-durch-logos/

            In diesem Blogpost thematisierte ich auch China, das trotz eines massiven Überwachungsstaates, der Zensur von Nachrichten und Tausendfacher Todesstrafe die Not und Gewalt nicht zu zügeln vermag. Auch ich meine, das ist nicht der Weg, den Europa einschlagen sollte. Schon jetzt erlebt meine Tochter als Medizin-Studentin massive Mängel etwa auch in der Kinderheilkund mit:

            https://www.youtube.com/watch?v=aQHbtTcMSss

            Auch hier zeigen sich furchtbare Verkrustungen unserer Gesundheits- und Bildungssysteme.

  4. Danke, @Michael Blume, für den Hinweis auf das problematische Begriffspaar Schulmedizin / Alternativmedizin.

    Ich denke, es ist auch ganz hilfreich, sich in Erinnerung zu rufe, dass der Begriff „Schulmedizin“ auch von den Nazis zumindest verwendet wurde, um die wissenschaftliche Medizin zu diskreditieren (Artikel im Standard).

    Da klingt also einiges Ungutes an, wenn jemand diese Begriffe verwendet, finde ich.

    Bei mir zumindest schrillen die Alarmglocken, wenn jemand – ich will in den meisten Fällen unterstellen: ohne böse Absicht – von „Schulmedizin“ spricht. Aber meiner Erfahrung nach kommt dann noch weiteres, dass Impfungen ja schlecht seien uns so weiter.

    Perplexity gibt dies dazu aus:
    Ja, das Begriffspaar “Schulmedizin / Alternativmedizin” hat tatsächlich einige problematische Konnotationen. Diese Begriffe schaffen eine irreführende Dichotomie und verzerren die Wahrnehmung der medizinischen Praxis[3][6].

    Der Begriff “Schulmedizin” impliziert fälschlicherweise eine starre, veraltete Tradition, während “Alternativmedizin” einen frischen, unkonventionellen Ansatz suggeriert[3]. Diese sprachliche Unterscheidung verschleiert die Tatsache, dass es in Wirklichkeit nur eine evidenzbasierte Medizin gibt, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und systematischer Forschung beruht[3][4].

    Kritiker argumentieren, dass der Begriff “Schulmedizin” abwertend ist und das Gegenteil von dem ausdrückt, was die wissenschaftliche Medizin tatsächlich ausmacht – nämlich die kontinuierliche Selbsthinterfragung und Anpassung an neue Erkenntnisse[4]. Stattdessen wird vorgeschlagen, von “wissenschaftlich orientierter Medizin” oder einfach “Medizin” zu sprechen[4][7].

    Die Verwendung des Begriffs “Alternativmedizin” ist ebenfalls problematisch, da er suggeriert, dass es sich um eine gleichwertige Alternative zur evidenzbasierten Medizin handelt. In Wirklichkeit umfasst dieser Begriff oft Praktiken, die nicht wissenschaftlich belegt sind und bei ernsthaften Erkrankungen sogar gefährlich sein können[5].

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verwendung dieses Begriffspaars eine künstliche und potenziell irreführende Trennung zwischen verschiedenen medizinischen Ansätzen schafft, die der Komplexität und dem wissenschaftlichen Anspruch der modernen Medizin nicht gerecht wird.

    Citations:
    [1] https://www.aekno.de/fileadmin/user_upload/RheinischesAerzteblatt/Ausgaben/2011/2011.01.012.pdf
    [2] https://www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss236.pdf
    [3] https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/hom-pathische-sprachfallen-und-wie-geo-sie-nicht-vermeidet/
    [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schulmedizin
    [5] https://www.senologie.org/aktuelles/pressemitteilungen/detail/schulmedizin-versus-alternative-medizin-ein-widerspruch
    [6] https://www.sprachlog.de/2011/08/27/homoeopathische-sprachfallen-und-wie-geo-sie-nicht-vermeidet/
    [7] https://www.internisten-im-netz.de/fachgebiete/komplementaermedizin/naturheilkunde-schulmedizin.html
    [8] https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kommunales/detailansicht-kommunales/artikel/corona-hat-dem-bloedsinn-noch-auftrieb-gegeben.html
    [9] https://krautreporter.de/psyche-und-gesundheit/3379-nieder-mit-der-schulmedizin
    [10] https://www.ebi-pharm.ch/wissen/ebi-aktuell/unterschied-schulmedizin-und-komplementaermedizin

    Ende der Antwort von Perplexity

    • Vielen herzlichen Dank, lieber @Peter Gutsche 🙏👍

      Inhaltlich bin ich da ganz bei Dir, bei @DerApotheker und auch bei Perplexity.ai.

      Aus meiner Sicht bedient die faktisch falsche Entgegensetzung von Schulmedizin versus Alternativmedizin einen kognitiven Dualismus, der nicht wenige Menschen auf esoterische Abwege gegen die wissenschaftliche Evidenz führt.

      Aus den gleichen Gründen lehne ich ja auch das falsche Begriffspaar Theorie versus Verschwörungstheorie ab. Antisemitische, antiwissenschaftliche oder frauenfeindliche Verschwörungsvorwürfe, die sich jeder Überprüfung und Widerlegung entziehen, sind „keine“ wissenschaftlichen Theorien und sollten auch nicht als solche geadelt werden. Es sind und bleiben dualistische Verschwörungsmythen.

      Leider jedoch ist uns wissenschaftliches Denken nicht angeboren, während uns dualistisches Denken in der gruppenbezogenen Identitätsbildung der Jugend zuwächst.

      Und so muss uns der geschätzte Prof. Carsten Könneker in der aktuellen Ausgabe 03.25 von Spektrum der Wissenschaft auf den Seiten 31 und 32 die eher ernüchternden Befunde des (bundesdeutschen) „Wissenschaftsbarometer 2024“ vorstellen.

      Demnach setzte auch in 2024 nur eine knappe Mehrheit von 56 Prozent der in Deutschland befragten und antwortenden Erwachsenen Vertrauen in die Wissenschaft: Nur 12% vertrauen „voll und ganz“, 42% „eher“. 34% äußerten sich „unentschieden“, 7% vertrauten „eher nicht“ und 3% „nicht“, der kleine Rest machte „weiß nicht“ bzw. „keine Angaben“.

      Interessanterweise hatten zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie im April 2020 noch drei Mal so viel Befragte (36%) „voll und ganz“ der Wissenschaft vertraut und auch 2022 waren es noch 23 Prozent gewesen. Nach der Überwindung der Pandemie durch Kontaktmaßnahmen und Rekord-schnelle Impfungen 💉 ist das Vertrauen in die Wissenschaft also wieder gesunken!

      Und in der Tat hat sich doch der mediale Diskurs wieder weitgehend losgelöst von der Datenlage auf die Folge- und mutmaßlichen Impfschäden der Pandemie-Bekämpfung gerichtet, statt auf ihre Erfolge! Hier liegt offensichtlich ein massives Präventionsparadox plus Diskursverschiebung vor.

      Beklemmend ist auch, dass selbst unter den Befragten mit Abitur oder Hochschulabschluss nur 75% „voll und ganz“ oder „eher“ der Wissenschaft vertrauen. Auch hier also bestätigt sich, dass formale Bildung ohne Herzensbildung keinen völligen Schutz vor verschwörungsmythologischem Dualismus zu bieten vermag.

      Ich fürchte, diese Zustimmungswerte zum dialogischen Monismus könnten nicht ausreichen, um Wissenschaft und Demokratie gegen Rechtsdualismus und digitale Thymokratie aufrecht zu erhalten. Auch deswegen versuche ich hier mehr Menschen für den philosophischen und interdisziplinären Dialog zu gewinnen.

      Dir daher Dank für Deine wertvollen Beiträge, lieber Peter! 🙏🙌

  5. Auf Mastodon wies mich Mark Stoneman zu diesem Blogpost auf einen der großen, liberalen Historiker und Autoren unserer Zeit hin, auf Timothy Snider. Er postete:

    “You might find Timothy Snyder’s conception of liberty useful.”

    https://sueden.social/@markstoneman@zirk.us/114014335494481455

    Und das ist wahr, Snyder ist es wert, gelesen zu werden! Habe daher Felo.ai um eine Zusammenfassung seiner Aussagen zur Freiheit gebeten. Interessant ist, dass die KI dazu zunächst Links zu Jakob Böhme (1575 – 1674) auswertete, auf den ich in meiner Didacta-Rede und auf Mastodon hingewiesen hatte. Hier die KI-generierte Antwort:

    ## Timothy Snyders Liberty-Konzept

    Timothy Snyder, ein amerikanischer Historiker, hat in seinen Werken, insbesondere in “On Freedom”, das Konzept der Freiheit neu definiert und untersucht, wie es in der modernen Welt verstanden wird.

    **1. Negative und positive Freiheit**

    Snyder unterscheidet zwischen negativer Freiheit (Freiheit von) und positiver Freiheit (Freiheit zu). Negative Freiheit bezieht sich auf die Abwesenheit von Zwang und die Möglichkeit, ohne äußere Einflüsse zu handeln. Positive Freiheit hingegen bedeutet, die Fähigkeit zu haben, das eigene Leben aktiv zu gestalten und an der Gesellschaft teilzuhaben.

    **2. Verantwortung und Solidarität**

    Ein zentrales Element von Snyders Konzept ist die Idee, dass Freiheit auch Verantwortung mit sich bringt. Er betont, dass Individuen nicht nur für ihre eigenen Freiheiten kämpfen sollten, sondern auch für die ihrer Mitmenschen. Solidarität und gemeinschaftliches Handeln sind entscheidend, um eine echte Freiheit zu gewährleisten.

    **3. Die Rolle der Bildung**

    Snyder sieht Bildung als essenziell für die Aufrechterhaltung der Freiheit. Eine informierte und kritische Bürgerschaft ist notwendig, um autoritären Tendenzen entgegenzuwirken und die Demokratie zu schützen.

    **4. Historische Perspektive**

    In seinen Schriften zieht Snyder Parallelen zu historischen Ereignissen und warnt vor den Gefahren des Autoritarismus. Er ermutigt die Menschen, aus der Geschichte zu lernen, um die Freiheit in der Gegenwart zu verteidigen.

    **5. Globale Dimension**

    Snyder betrachtet Freiheit nicht nur im nationalen Kontext, sondern auch global. Er argumentiert, dass die Herausforderungen der Freiheit international sind und dass eine globale Perspektive notwendig ist, um die Menschenrechte zu schützen.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Timothy Snyders Liberty-Konzept eine umfassende Sicht auf Freiheit bietet, die sowohl individuelle Rechte als auch kollektive Verantwortung betont. Es fordert die Bürger auf, aktiv an der Gestaltung ihrer Gesellschaft teilzunehmen und die Lehren der Geschichte zu berücksichtigen, um die Freiheit für zukünftige Generationen zu bewahren.

    [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Jakob_B%C3%B6hme
    [2] https://librivox.org/author/10493
    [3] https://theosophy.wiki/en/Jakob_B%C3%B6hme
    [4] https://www.britannica.com/biography/Jakob-Bohme
    [5] https://www.jacobboehmeonline.com/
    [6] https://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/book/lookupname?key=B%26ouml%3Bhme%2C%20Jakob%2C%201575%2D1624
    [7] https://faculty.cah.ucf.edu/bbjanz/resources/boehmeresources/bibliography/
    [8] https://www.ccel.org/b/boehme/boehme.html
    [9] https://www.researchgate.net/publication/303345254_An_Introduction_to_Jacob_Boehme_Four_Centuries_of_Thought_and_Reception
    [10] https://archive.org/details/JacobBoehmesAurora-ElectronicText-edition
    [11] https://www.reddit.com/r/DestinyLore/comments/12b5wts/the_veil_as_shown_by_the_shoemaker_philosopher/
    [12] http://emlo-portal.bodleian.ox.ac.uk/collections/?catalogue=jakob-boehme
    [13] https://www.jstor.org/stable/26975032
    [14] https://timothysnyder.org/books
    [15] https://www.washingtonpost.com/outlook/arguing-for-a-right-to-life-liberty-happiness-and-health-care/2020/10/01/44c1343e-f2ad-11ea-bc45-e5d48ab44b9f_story.html
    [16] https://www.katadyngroup.com/us/en/Services/FAQ%20-%20Knowledge%20Hub?urlstring=https://piryazeva.ru/kpihmwbjdappfe61v
    [17] https://philarchive.org/archive/SEISTM
    [18] https://judgmentcallpodcast.com/2024/10/timothy-snyders-on-freedom-redefining-liberty-in-the-modern-era/
    [19] https://openscholarship.wustl.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1366&context=art_sci_etds
    [20] https://timothysnyder.org/on-freedom
    [21] https://www.press.uillinois.edu/journals/?id=jegp
    [22] https://www.newstatesman.com/culture/books/2024/10/timothy-snyders-liberty-bell
    [23] https://headbutler.com/reviews/timothy-snyder-our-malady-lessons-in-liberty-from-a-hospital-diary/
    [24] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10049613/
    [25] https://dokumen.pub/radikalitt-der-reformation-aufstze-und-abhandlungen-9783666552007-9783525552001.html
    [26] https://issuu.com/barbera2/docs/medienimpulse_2012_2013
    [27] https://bigthink.com/the-present/freedom-positive/
    [28] https://www.amazon.com/Our-Malady/dp/1847926665
    [29] https://forbetterscience.com/2024/10/21/on-freedom-by-timothy-snyder-book-review/
    [30] https://www.delawarepublic.org/2024-09-14/timothy-snyders-on-freedom-explores-how-we-misunderstand-the-concept

  6. Ayn Rand war keine Philosophin sondern Sektenführerin. Rothbard hat sich ausführlich mit diesem peinlichen Kult befasst. Niemand weiß über Sekten besser Bescheid als Aussteiger.

    https://rothbard.altervista.org/essays/the-sociology-of-the-ayn-rand-cult.pdf

    Atlas Shrugged hab ich zum Glück nie gelesen. The Fountainhead war bereits grausam genug und ich bereue immer noch den Verlust wertvoller Lebenszeit.

    Ayn Rands Kult kann wohl am besten mit den berühmten Worten von John Rogers zusammengefasst werden:

    There are two novels that can change a bookish fourteen-year old’s life: The Lord of the Rings and Atlas Shrugged. One is a childish fantasy that often engenders a lifelong obsession with its unbelievable heroes, leading to an emotionally stunted, socially crippled adulthood, unable to deal with the real world. The other, of course, involves orcs.

    • Nun ja, @Lars – da ich ja das Auseinanderbrechen liberaler und libertärer Strömungen in der Hayek-Gesellschaft selbst miterleben konnte, vermag ich zu beurteilen: Das dualistische Sektierertum unter Libertären und Rechtsdualisten ist nicht von Ayn Rand erfunden, von ihr auch nicht zelebriert worden. Für mich unvergessen und abschreckend war die Erfahrung, dass sogar Friedrich August von Hayek selbst als “Sozialdemokrat” geschmäht wurde – denn diese Bezeichnung hielt man(n) dort für eine Schande! Den sog. Anarchokapitalismus von Rothbard fand ich schwer erträglich, am ehesten entsprach er noch dem Anarchosyndikalismus aus dem Cyberpunk-Rollenspiel Shadowrun.

      Für alle, die mal einen Einblick in das Gegeneinander rechtslibertärer Schulen gewinnen wollen, hier ein Vergleich der Staatstheorien von Rand und Rothbard durch Perplexity.ai:

      Ayn Rand und Murray Rothbard haben unterschiedliche Ansichten zur Rolle des Staates in ihren Theorien:

      ## Ayn Rand

      Rand vertritt eine minarchistische Position:

      – Sie befürwortet einen minimalen Staat als notwendiges Übel[2].
      – Der Staat sollte auf grundlegende Funktionen beschränkt sein, wie den Schutz von Bürgerfreiheiten und Eigentumsrechten[2].
      – Rand sieht einen begrenzten Staat als erforderlich für die Aufrechterhaltung öffentlicher Institutionen wie Polizei, freiwilliges Militär und Gerichte[2].

      ## Murray Rothbard

      Rothbard vertritt eine anarchokapitalistische Position:

      – Er lehnt jede Form von Staat als illegitim und schädlich ab[1][5].
      – Rothbard sieht den Staat als eine unsoziale Einrichtung, die Individuen in ihrer Freiheit einschränkt und unrechtmäßig Gewalt ausübt[1].
      – Er argumentiert für eine Gesellschaft ohne Staat, in der alle Funktionen von privaten Organisationen übernommen werden[2].
      – Rothbard betrachtet staatliche Steuern, das staatliche Gewaltmonopol und staatliche Gesetzgebung als verwerflich[2].

      ## Gemeinsamkeiten

      Trotz ihrer unterschiedlichen Positionen zum Staat teilen Rand und Rothbard einige Grundprinzipien:

      – Beide betonen die Souveränität des Individuums und das Recht auf Selbstbestimmung[1][2].
      – Sie befürworten einen freien Markt und lehnen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft weitgehend ab[1][2].
      – Beide sehen Privateigentum als fundamentales Recht an[1][2].

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rand einen minimalen Staat als notwendig erachtet, während Rothbard jegliche Form von Staat ablehnt und für eine vollständig private Gesellschaftsordnung eintritt.

      Citations:
      [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchokapitalismus
      [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus
      [3] https://www.woz.ch/1806/libertaere-in-der-schweiz/die-staatshasser-und-ihre-freunde
      [4] http://athene-forschung.unibw.de/doc/97206/97206.pdf
      [5] https://www.spiegel.de/geschichte/murray-rothbard-mensch-wirtschaft-und-staat-a-cc3d078d-ea71-41e3-8237-1ad085876777
      [6] https://brill.com/downloadpdf/book/9783969750100/BP000006.xml
      [7] https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845245119-127.pdf
      [8] https://www.misesde.org/2015/05/der-eine-machtbesessen-der-andere-wahrheitsliebend-leben-und-karriere-von-alan-greenspan-und-murray-n-rothbard/

      • Die libertäre Bewegung hat sich nicht ohne Grund in den 70er Jahren radikalisiert, nachdem die Golddeckung endgültig aufgehoben wurde.

        Wir sehen an Libertären wie Javier Milei aktuell, dass sie moralisch so kurrupt wie alle anderen sind, sobald sie an die Macht kommen. Der Mann zockt gerade seine Anhänger mit seiner shitcoin ab, wie es Trump tut.

        Eine der beliebtesten Utopien in der libertären Bewegung ist bekanntlich die der Privatstadt. Die versuchen Tech-Milliardäre wie Marc Andreesen in die Tat umzusetzen. Welch Ironie, dass sie den Staat in Kalifornien dazu einsetzen, um private Bauern von ihrem Land zu klagen. Peter Thiel versucht es in Grönland.

        https://www.insidehook.com/internet/peter-thiel-praxis-next-great-city-greenland

        So oder so, auch Privatstädte werden am Ende staatliche Strukturen bilden, Parlamente, Beamte, Steuerbehörden und es geht wieder von vorne los.

        • Ja, @Lars, da sind wir in der Einschätzung durchaus dicht beieinander.

          Einen der erfolgreichsten Texte, den ich jemals veröffentlichen konnte, war “Querdenken: Die libertäre Verschwörungsmythologie des Geldes”. Eigentlich ein Buchkapitel für einen Sammelband zu dieser digitalen Covid19-Verschwörungssekte, wurde der Artikel in gekürzter Form von der ZEIT aufgegriffen und löst bis heute Resonanz aus, hier:

          https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-04/querdenken-verschwoerer-mythologie-bargeld-antisemitismus-michael-blume

          Gleichwohl hat auch die massenhafte Abzocke durch die oft auch antisemitisch werbenden Verschwörungsunternehmer bisher noch wenige Verschwörungsgläubige zum Umdenken gebracht – viele von ihnen stecken noch in der Commitmentfalle, vgl.

          https://commitmentfalle-uhpb7zv.gamma.site/

          Sinnigerweise haben mir jedoch gerade auch die Reaktionen von ganz unterschiedlichen Leuten wie Michael Ballweg, Tilman Knechtel, Markus Krall, Nizar Akremi und Philip Hopf gezeigt, dass meine auch digitale Aufklärungsarbeit doch einen starken Effekt auf die ggf. für Verschwörungsmythen anfällige, aber noch an Aufklärung interessierte Menschen hat.

          Auch gegen die dualistische Terror-Ideologie des sog. Islamischen Staates IS / Daesh konnte ich öffentlich und vor Gericht aufklären, wurde sogar in die USA zu Vorträgen gegen den feindseligen Dualismus eingeladen. Der Podcast Verschwörungsfragen und dieser Blog erreichen täglich mehr Menschen.

          Daher auch Ihnen herzlichen Dank für Ihr immer wiederkehrendes und kritisch-konstruktives Interesse, das mich freut und motiviert! 🙏📚🙌

        • Guten Abend @Lars,

          in der Bioshock Reihe wird genau das durchgespielt, sogar mit Bezugpunkt auf staatlichkeit die dann von einer Firma ausgeübt wird.

  7. Eine Seite des Menschen taucht in den Gedanken – für mich schon auch etwas überraschend – kaum auf.

    Als soziale Wesen ist Kooperation ja ganz tief in unsere Anlagen eingeschrieben. Das Bedürfnis dazu zu gehören, oder auch die Interaktionen innerhalb einer Familie zeigen in meiner Wahrnehmung sehr deutlich, dass es in diesem Zusammenhang auch ganz andere Handlungsmuster gibt, als individuelle Aktivitäten.

    Viele Jahre habe ich zuerst als Spieler, dann auch als Trainer, Mannschaftssport betrieben. Immer wieder konnte ich beobachten, wie die Kraft eines Teams den Unterschied machen konnte. Also Spiele gewonnen werden konnten, auch wenn die andere Mannschaft individuell sichtbar besser aufgestellt war.

    Und damit Kooperation gut gelingt, gibt es, so wird u.a. hier https://www.usip.org/events/forgiveness-stunningly-original-strategy bei der Ankündigung einer Tagung von einigen Jahren oder hier https://greatergood.berkeley.edu/article/item/forgiveness_instinct in einem Berkley-Artikel dokumentiert in den Menschen Muster, die für das Miteinander eine große Rolle spielen und durch eine entsprechende Kultur eher aktiviert werden.

    Dies kann die Überlegungen, die sich auf die Entwicklung von moralischen Vorstellungen (Kohlberg) beziehen, vermutlich noch ergänzen.

    • Vielen Dank & volle Zustimmung, @HG Unckell 🙏👍

      Wir können sagen, dass Liberale über-individuelle Kooperationsmodelle wie Staaten, Religionsgemeinschaften, Parteien, Vereine, Unternehmen, Familien zwar der dialogisch-monistischen Kritik aussetzen, aber dadurch verbessern wollen. Libertäre lehnen dagegen jede fortdauernde Institution oberhalb des Individuums dualistisch ab – ihnen ist nur noch der egozentrische Thymos heilig, während jede andere Form der Kooperation jederzeit aufgekündigt werden kann.

      Doch so hat menschliches Leben nie funktioniert und wird auch nie so funktionieren. Aktuell hat der rechtslibertäre Präsident von Argentinien, Javier Milei beispielsweise riesige Probleme, weil er auch seine eigene Anhängerschaft als KryptoBro abgezockt hat. Und da fällt dann doch vielen ein, dass ein Präsident höhere Ziele haben sollte als nur die individuelle Profitmaximierung…

      https://www.dw.com/en/argentina-milei-faces-impeachment-threat-over-crypto-post/a-71627300

      Auch die Solana-Blockchain basierten Krypto-Memecoins $TRUMP und $MELANIA kosten viele ihrer dualistischen Anhängerinnen und Anhänger bereits erheblich Geld und dürften auf Dauer das Ansehen der Präsidentenfamilie belasten.

  8. Guten Abend,

    ich möchte in dem Zusammenhang bekennen, dass mich das dialogische philosophieren mit KI wirklich weiterbringt. – Aber es geht nichts über den Austausch mit Menschen 🙂

    Das hier lässt sich auch sehr gut mit dem dialogischen Monismus verbinden:
    Niklas Luhmanns Systemtheorie ist eine umfassende Theorie sozialer Systeme, die Gesellschaft, Organisationen und Kommunikation erklärt. Sie basiert auf der Annahme, dass soziale Systeme nicht aus Menschen bestehen, sondern aus Kommunikation. Menschen sind für diese Systeme Umwelt – sie liefern Beiträge, sind aber nicht selbst Teil des Systems.

    1. Grundprinzip: Autopoietische Systeme

    Luhmann übernimmt aus der Biologie (Maturana & Varela) das Konzept der Autopoiesis: Systeme reproduzieren sich selbst, indem sie ihre Elemente immer wieder neu erzeugen. In sozialen Systemen ist das grundlegende Element nicht der Mensch, sondern Kommunikation.

    Gesellschaft = ein System aus Kommunikationen.

    Organisationen = spezialisierte Systeme, die sich durch Regeln und Entscheidungen strukturieren.

    Individuen sind keine Bestandteile sozialer Systeme, sondern deren Umwelt.

    2. Drei zentrale Systemtypen

    Luhmann unterscheidet zwischen verschiedenen Systemtypen, die sich durch spezifische Operationen erhalten:

    1. Psychische Systeme (Bewusstsein): Menschen denken, aber ihre Gedanken sind nicht direkt Teil der Gesellschaft.

    2. Biologische Systeme (Organismen): Der Körper gehört nicht zur Gesellschaft, sondern ist Umwelt für das Soziale.

    3. Soziale Systeme (Kommunikation): Bestehen ausschließlich aus Kommunikationen, nicht aus Menschen.

    3. Differenzierung der Gesellschaft

    Luhmann beschreibt, wie sich moderne Gesellschaften in Funktionssysteme differenzieren, die jeweils eigene Codes und Logiken entwickeln:

    Politik (Macht/Nicht-Macht)

    Wirtschaft (Zahlen/Nicht-Zahlen)

    Wissenschaft (Wahr/Falsch)

    Recht (Rechtmäßig/Unrechtmäßig)

    Medien (Information/Nicht-Information)

    Jedes dieser Systeme operiert autopoietisch, das heißt, es erzeugt seine eigene Wirklichkeit, unabhängig von den anderen.

    4. Kommunikation als Grundelement

    Kommunikation entsteht nur, wenn drei Dinge zusammenkommen:

    Information (Was wird gesagt?)

    Mitteilung (Wie wird es gesagt?)

    Verstehen (Wird es verstanden?)

    Kommunikation ist also ein eigener Prozess, der nicht von Individuen gesteuert wird, sondern sich selbst organisiert. Die Gesellschaft ist daher eine „Gesellschaft der Kommunikation“.

    5. Selbstreferenz & System/Umwelt-Differenz

    Jedes System unterscheidet sich von seiner Umwelt und nimmt nur das wahr, was es für seine eigene Funktion braucht. Dies nennt Luhmann operative Geschlossenheit: Jedes System kann nur in seiner eigenen Sprache „denken“ (z. B. Wirtschaft in Geld, Wissenschaft in Wahrheit).

    Zusammenfassung in einem Satz:

    Luhmann beschreibt die Gesellschaft als ein System aus Kommunikation, das sich in verschiedene selbstreferenzielle Funktionssysteme differenziert, wobei Individuen und ihre Gedanken nicht direkt Teil der Gesellschaft sind, sondern deren Umwelt.

    …jeder vernünftige Dialog ist eine Annäherung an die Realität…

  9. Hallo

    … wie drüben auf Mastodon vorgeschlagen, hier nochmal mein Vorschlag zur Terminologie:
    Wenn der Begriff “libertär” eine ideologisch motivierte und im Freiheitsbezug falsche Eigenbezeichnung einiger rechtsextremer Kreise ist, sollten wir ihn nicht durch Verwendung in der Fremdbezeichnung validieren… Andreas Kemper schlägt im Gefolge Picketys “proprietär” vor…
    https://de.wikipedia.org/wiki/Proprietarismus

    https://www.linksnet.de/index.php/artikel/48716 (aus der Graswurzelrevolution – antiautoritäre Linke sind natürlich besonders sauer über die Appropriation des Labels durch Rechtsradikale, da “libertär” eigentlich ein ihr eigenes differenzierendes Merkmal zur Abgrenzung zu einerseits nichtsozialistischen Freiheitlichen (Liberalen) und andererseits autoritären Sozialist*innen (v.a. Leninist*innen) war)

    Da auf Mastodon auch hinterfragt wurde, was Begriffsarbeit denn überhaupt so bringt, auch das noch:

    Das Geschick, mit dem Kulturkämpfende sich die Definitionsmacht über Begriffe angeeignet haben, war ein Element ihres Erfolgs, die Volksmassen übern Tisch zu ziehen. Es ist wichtig, daß wir aufhören, uns ihre Sprache aufdrücken zu lassen.

    Dazu gehört, daß wir sie als das benennen, was sie sind (autoritär, besitzversesssen und antisozial) und nicht als das, was sie vorgeben zu sein (freiheitsliebend, volksnah und bodenständig).

    • Vielen herzlichen Dank für den Druko und Hinweis, @Matthias Varul 🙌

      Andreas Kemper schätze und lese ich immer wieder gerne!

      Gleichwohl sollten sich nach meiner Empfehlung auch Linke kritisch der Geschichte des Linksdualismus stellen: Der dualistische und antisemitische Verschwörungsglauben, die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und demokratischer Parteien entfaltete sich nicht nur über Marx und Lenin, sondern daneben auch über den Linksanarchisten Mikhail Bakunin (1814 – 1876)! Die meisten Libertären kennen ihn, viele haben ihn gelesen und verinnerlicht.

      Auch Felo.ai benennt es sehr klar:

      Mikhail Bakunin war eine zentrale Figur im anarchistischen Denken des 19. Jahrhunderts und hatte einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Libertarismus, insbesondere in seiner kritischen Haltung gegenüber dem Staat und der Autorität.

      **Einfluss auf den Libertarismus**

      Bakunin vertrat die Auffassung, dass der Staat eine Form der Unterdrückung darstellt und dass wahre Freiheit nur durch die Abschaffung staatlicher Strukturen erreicht werden kann. Diese Ideen trugen zur Verbreitung eines libertären Anarchismus bei, der sich gegen die zentralisierte Macht und für individuelle Freiheit einsetzte. Seine berühmte Parole „Eigentum ist Diebstahl“ spiegelt seine Überzeugung wider, dass private Eigentumsverhältnisse die soziale Ungleichheit fördern und die Freiheit des Individuums einschränken[2].

      **Demokratiefeindliche Einstellungen**

      Die von Bakunin propagierten Ideen können als Teil eines breiteren Spektrums von demokratiefeindlichen Einstellungen betrachtet werden, die in bestimmten libertären Strömungen zu finden sind. Diese Strömungen neigen dazu, die Notwendigkeit von demokratischen Institutionen und Prozessen in Frage zu stellen, da sie als potenzielle Werkzeuge der Unterdrückung angesehen werden. Bakunins Ablehnung des Staates und der politischen Institutionen kann somit als ein Vorläufer solcher Ansichten interpretiert werden, die in der heutigen Diskussion über libertären Anarchismus und dessen Verhältnis zur Demokratie relevant sind[1][2].

      **Zusammenfassung**

      Insgesamt spielte Bakunin eine entscheidende Rolle bei der Formulierung und Verbreitung von Ideen, die sowohl die Grundlagen des Libertarismus als auch die feindseligen Haltung gegenüber demokratischen Strukturen prägten. Seine Theorien und Schriften haben nicht nur die anarchistische Bewegung beeinflusst, sondern auch die Diskussion über Freiheit, Eigentum und die Rolle des Staates in der modernen politischen Theorie angestoßen.

      [1] https://www.academia.edu/117178073/Eibisch_Politische_Theorie_des_Anarchismus
      [2] https://makroskop.eu/01-2024/reichsburger-und-reiche-burger/
      [3] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/was-ich-vom-politischen-koordinatensystem-links-mitte-rechts-halte/
      [4] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-widerspruch-zwischen-freiheit-und-gleichheit-und-der-lebensbaum-des-foederalismus/
      [5] https://www.nomos-elibrary.de/de/10.5771/9783845292793.pdf?download_full_pdf=1&page=31

      • PS
        Zu Bakunin kann ich nicht viel sagen, weil ich den zuletzt als Teenager gelesen hab… ich erinnere mich aber noch an eine für einen Anarchisten überraschende Regelungsdichte. Habe gerade mal den Band Staatlichkeit und Anarchie und andere Schriften (Frankfurt: Uhlstein 1972) rausgeholt und stelle mit Erstaunen fest, daß er bei der Aufzählung individueller Rechte anfängt mit dem Recht darauf, erzogen zu werden und gefolgt wird vom zweiten Punkt: “Gleiches Recht eines Jeden auf Beratung” (S.6) – ich erinnere mich jetzt, warum mein 14-jähriges Ich schwer enttäuscht von den “Prinzipien und Organisation einer Geheimgesellschaft (1866)” war,

        • Sehr geehrter Herr Matthias Varul,

          Hier eine kurze Zusammenfassung von Perplexcity einer Anarchistischen Strömung die eher wenig bekannt ist, aber sehr viele interessante Aspekte in sich vereint.

          Christlicher Anarchismus ist eine Bewegung, die christlichen Glauben mit anarchistischen Prinzipien verbindet. Sie basiert auf der Überzeugung, dass nur Gott, verkörpert durch die Lehren Jesu, die höchste Autorität ist. Daraus folgt die Ablehnung von staatlicher Macht und Hierarchien, da diese als unvereinbar mit der Botschaft Jesu von Gleichheit, Gewaltfreiheit und Mitmenschlichkeit gesehen werden12.

          Die Bergpredigt und das Leben Jesu dienen als zentrale Grundlage. Christliche Anarchisten kritisieren den Staat als gewalttätig und den Kapitalismus als ausbeuterisch. Stattdessen streben sie eine herrschaftsfreie, egalitäre Gesellschaft an. Bekannte Vertreter sind Leo Tolstoi, Jacques Ellul und Ammon Hennacy17.

          Vielleicht ja interessant für sie 🙂

  10. … das sehe ich nicht anders – benenne ich auch immer wieder – da ich grad beim Tröt-Pasten bin: hier noch ein Selbstzitat (mit Don Camillo und Peppone Bezug):

    “@BlumeEvolution … und noch ein Letztes (wegen des Bezugs auf Don Camillo und Peppone)… Sowohl die christlichen als auch die sozialistischen/kommunistischen Kirchen haben historische Traditionen der totalitären Grausamkeit, die es allen in diesen Traditionen Stehenden auferlegen, im eigenen Denken die verantwortlichen Strukturen aufzudecken und zu eliminieren – die Rechtfertigung mit den Grausamkeiten der Anderen ist eine auf Wiederholung angelegte Strategie. Der italienische antifaschistische Konsens, der unter Berlusconi zerschlagen wurde (und der nirgends so schön illustriert ist wie beim heimlichen Zusammenkommen des katholischen Priesters und kommunistischen Bürgermeisters beim Melken) wäre ein Ansatz, der wieder aufgenommen werden müßte “

    Aber es ist nicht nur der gute Wille sondern eben auch eine Begriffsarbeit (im hegelschen Sinn) – auch die auf den ersten Blick moralisch unbelastet aussehenden Bezugspunkte (wie der genannte Bakunin, dessen Wagner-Affinität sich eben nicht nur auf die Zirkusmusik, sondern auch auf den Judenhass) oder beispielsweise bei unorthodoxen oder antiorthodoxen Marxist*innen wie Antonio Gramsci – von dem ich mehr lerne als von Bakunin (z.B. hier oder hier), der aber trotzdem auf totalitäre Potenziale abzuklopfen bleibt und deswegen von mir auch daraufhin hinterfragt wird… z.B. hier

    • Vielen Dank, @Matthias Varul – und genau dies Begriffsarbeit meine ich positiv und wertschätzend! 🙂

      Wir sehen: Unter zentralen Begriffen wie “Freiheit” oder “Staat” verstanden nicht nur die Linken und Rechten des 19. und 20. Jahrhunderts ganz Unterschiedliches, sondern auch die Anarchisten und heutigen Libertären! Selbst die Musik- und Stilrichtungen des Punk waren kaum je parteipolitisch “links”, sondern eher anarchistisch. Und vom Anarchismus zog – nicht zuletzt auch über den früh-digitalen Cyberpunk – eine mächtige Karawane von links nach rechts, hin zum heutigen Libertarismus, der (den mir persönlich ebenfalls sehr unsympathischen) Bakunin-Anarchismus nicht zufällig feiert…

  11. Den Blogpost habe ich bis jetzt noch nicht kommentiert, weil ich Verständnisprobleme damit habe.

    Wenn Sie von der Begriffsarbeit sprechen, so wende ich ein, dass für die Definition von (philosophischen) Begriffen doch eine akademische Bildung oder zumindest Gymnasium eine Voraussetzung ist. Sie versuchen zwar – mit Popper – jeden Menschen zum Philosophieren zu animieren, aber wer ist denn gemeint, wenn Sie monieren, dass “wir sogar unseren gemeinsamen Wortschatz verlieren”?

    “..dass ein religionsbezogenes Denken jenseits dualistischer Klischees nicht allen Menschen gelingt..” Das hieße im Umkehrschluss, dass nicht religiöse Menschen feindselige Dualisten sind?

    Religion kann ein Wertefundament sein. Sie kann Menschen aber auch in ein enges Korsett pressen. Meine Beschäftigung mit dem Pietismus und dessen – zumindest für mich – negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit von Menschen hat mir dies durchaus gezeigt. Zur Begriffsarbeit: Religion und Glaube – worin besteht genau genommen der Unterschied? Meine Religion ist evangelisch und im Glaubensbekenntnis heißt es: Ich glaube an Gott den Vater… Nicht meine Religion sondern mein Glaube sind ein Wertefundament.

    “…empfinden..auch die traditionelle Familie als Einschränkung ihrer individuellen Freiheit…” Was verstehen wir unter der “traditionellen Familie”? Das Patriarchat?
    Mutter, Vater und 4 Kinder? Der Mann bringt das Geld nach Hause und die Mutter schmeißt den Haushalt und die Erziehung der Kinder?

    Kinder sind eine Bereicherung; man muss aber auch zum Verzicht bereit sein. Mit nunmehr Ü60 wird mir immer mehr bewusst, worauf ich verzichtet habe. Dennoch will ich meine Kinder nicht missen.

    Der Begriff “Idioten der Vergangenheit” gefällt mir nicht. Von welcher Vergangenheit reden wir hier? Vom klassischen Altertum?

    Danke.

    • Vielen Dank, liebe @Marie H. – und das meine ich wirklich so! Denn ich verfasse gerade einen Blogpost zu den teilweise sehr energischen Nachfragen zur “Philosophie für alle” und gehe daher auch sehr gerne auf Ihre Nachfrage ein. Denn das, was Sie tun, “ist” bereits Begriffsarbeit!

      Sie merken doch bereits selbst aktiv an, dass Begriffe in lauter Mikroblasen mehrdeutig gewesen sind und sogar feindselig ausgelegt werden können. Und das ist genau mein Argument: Noch vor wenigen Jahrzehnten konnten wir uns darauf verlassen, dass Alltagsbegriffe “Bildung” (aus der Bibel) oder “Weltanschauung” (von Immanuel Kant) von wenigen studierten Experten und auch Expertinnen verwaltet werden, aber im Großen und Ganzen das Gefühlte meinen. Notfalls konnte mensch sie im Duden nachschlagen.

      Und genau diese Selbst-Verständlichkeit zerfällt jetzt in zahllose Mikroblasen, in denen die einen bei Bildung an Universitäten denken, die anderen an praktische Aus-Bildung und die Dritten an unnütze Seminare, denen sich echte Schaffer gar nicht aussetzen sollten (vgl. dazu die Debatte über den auch in Europa stattfindenden “Male Flight”, den Rückzug vor allem junger Männer aus immer mehr Studienfächern.)

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/blume-ince-32-der-male-flight-maennliche-rueckzug-aus-bildungs-und-berufswegen/

      Und so schreiben Sie aus meiner Sicht völlig zu Recht:

      Den Blogpost habe ich bis jetzt noch nicht kommentiert, weil ich Verständnisprobleme damit habe.

      Ich verstehe daher auch Ihren Ärger darüber, dass selbst studierte und promovierte Köpfe die Ordnung nicht mehr herstellen können. Ich denke, diese Zeit ist vorbei. Wir Akademikerinnen und Akademiker schaffen es nicht mehr alleine. Wenn nicht möglichst viele Menschen selbst Begriffsarbeit mit-leisten, fliegt uns der Laden auseinander.

      Wenn Sie von der Begriffsarbeit sprechen, so wende ich ein, dass für die Definition von (philosophischen) Begriffen doch eine akademische Bildung oder zumindest Gymnasium eine Voraussetzung ist. Sie versuchen zwar – mit Popper – jeden Menschen zum Philosophieren zu animieren, aber wer ist denn gemeint, wenn Sie monieren, dass “wir sogar unseren gemeinsamen Wortschatz verlieren”?

      Darüber soll der Blogpost berichten, der idealerweise noch heute Abend erscheint. In Kurzform gab es schon von Anfang an einerseits den dialogischen Philosophen Sokrates, der bewusst das Gespräch mit allen auf dem Marktplatz suchte und die Sophisten, die ihre “Künste” nur reichen Leuten gegen Bezahlung anboten.

      Platon begründete dann die Akademie und forderte, jeden Menschen von Kind an auf seine Aufgaben zu erziehen und die Philosophie nur noch für wenige Akademiker (fast alles Männer) zu reservieren. Ich plädiere mit Popper für die sokratische Dialogphilosophie. Berufsphilosophen sollen die philosophischen Gespräche der Allgemeinheit unterstützen, aber nicht dominieren und auf keinen Fall entmutigen. Wer die Begriffe kontrolliert, kontrolliert die Wahrnehmung.

      “..dass ein religionsbezogenes Denken jenseits dualistischer Klischees nicht allen Menschen gelingt..” Das hieße im Umkehrschluss, dass nicht religiöse Menschen feindselige Dualisten sind?

      Nein, erfreulicherweise nicht. Die meisten Nichtreligiösen sind a-gnostisch und wissen, dass sie dazu wenig wissen. Auch viele A-Theisten glauben zwar an keine Gottheit, lehnen deswegen aber Religionen nicht ab und viele respektieren religiösen Glauben, manche beneiden ihn sogar. Nur im Bereich des Anti-Theismus lässt sich von feindseligem Dualismus sprechen, der hier auf dem Blog noch vor wenigen Jahren sehr stark vertreten war. Sie glauben gar nicht, wie oft ich mit Leuten zu tun hatte, die religiöse Menschen generell “Religioten” nennen.

      Religion kann ein Wertefundament sein. Sie kann Menschen aber auch in ein enges Korsett pressen. Meine Beschäftigung mit dem Pietismus und dessen – zumindest für mich – negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit von Menschen hat mir dies durchaus gezeigt. Zur Begriffsarbeit: Religion und Glaube – worin besteht genau genommen der Unterschied? Meine Religion ist evangelisch und im Glaubensbekenntnis heißt es: Ich glaube an Gott den Vater… Nicht meine Religion sondern mein Glaube sind ein Wertefundament.

      Danke & da sind wir erneut mitten in der Begriffsarbeit! Die Begrifflichkeit von englischen “Values” und deutschen “Werten” ist eng mit der Ökonomisierung der Diskurse im 19. Jahrhundert verbunden, da dieser Zeitraum durch die Industrialisierung sowie das Wachstum von Städten und Verkehrswegen geprägt war. Zwischen Gehaltsverhandlungen, Börsenkursen, Liberalismus und Sozialismus wurde nun immer weniger über “Ideen” gestritten, sondern zunehmend über “Werte”. Religionsgemeinschaften wurden nun zunehmend als mehr oder weniger glaubwürdige “Wertelieferanten” beurteilt, wogegen der individuelle Glauben weiterhin aus Ideen bzw. Überzeugungen bestand.

      So war gerade auch der Pietismus eigentlich als evangelische Basis- und Reformbewegung entstanden, wurde aber zunehmend als engstirnig und gestrig kritisiert. In meiner Heimatregion kursierte sogar der Spott über sog. “Piet-Cong”, der auf den antimodernen Dualismus einiger Strömungen abzielt, aber nach meiner Erfahrung der Vielfalt des pietistischen Lebens längst nicht mehr gerecht wird.

      “…empfinden..auch die traditionelle Familie als Einschränkung ihrer individuellen Freiheit…” Was verstehen wir unter der “traditionellen Familie”? Das Patriarchat?
      Mutter, Vater und 4 Kinder? Der Mann bringt das Geld nach Hause und die Mutter schmeißt den Haushalt und die Erziehung der Kinder?

      Voila – genau das ist mein Argument! Selbst ein vermeintlich unschuldiger Begriff wie “traditionelle Familie” bedeutet heute für Menschen etwas komplett Anderes – von heile Welt bis patriarchale Vorhölle. Im klassischen Liberalismus wurde die Familie eher als positiv gewachsene Tradition bewertet, für Libertäre erscheint sie dagegen oft als eine Zwangsveranstaltung, in der wirtschaftliche Leistungsträger durch Frauen und Kinder abgezockt werden und der Staat zum Beispiel Unterhaltszahlungen verlangt. Für radikale Libertäre sind Familienväter wie ich “Betas”, die so dumm sind, sich von einer Familie Vorschriften machen zu lassen und einen Großteil ihres Einkommens abzuliefern. Diese Leute verstehen sich dagegen selbst als, klar, “Alphas”.

      Meine Studierenden habe ich gebeten, einmal “Eine glückliche deutsche Familie” in KI-Bildgeneratoren einzugeben und einmal die Frage “Was macht eine glückliche, deutsche Familie aus?” in KI-Textgeneratoren. Damit wurde sehr schnell deutlich, wie die Bilddaten nach rechts und die Textdaten nach links ausschlagen:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/ki-klischees-und-vertrauen-grafiken-rechts-texte-links/

      Kinder sind eine Bereicherung; man muss aber auch zum Verzicht bereit sein. Mit nunmehr Ü60 wird mir immer mehr bewusst, worauf ich verzichtet habe. Dennoch will ich meine Kinder nicht missen.

      Das freut mich sehr, wobei wir den Verzicht durch Kinder schon Mitte zwanzig erfahren haben. Und immer wieder bekamen und bekommen wir zu hören: “Selber Schuld – Ihr wolltet ja (drei) Kinder!” Kinder galten und gelten als “Privatvergnügen” und nur sehr langsam beginnen Menschen zu begreifen, dass eine demografisch schrumpfende Gesellschaft in nicht nur wirtschaftliche Abgründe blickt. Habe auch das ja auf dem Blog immer wieder zur Diskussion stellen können, etwa auch an den Beispielen Japan und Südkorea:

      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-polarisierende-macht-der-saekularen-demografischen-traditionalismusfalle/

      Der Begriff “Idioten der Vergangenheit” gefällt mir nicht. Von welcher Vergangenheit reden wir hier? Vom klassischen Altertum?

      Danke, mir gefällt der Begriff “Idioten” auch nicht, der in der griechischen Klassik geprägt wurde. Ich wünschte, er wäre nicht gebraucht worden. Heute sehe ich aber das Hauptproblem eher bei den Thymoten.

      Danke.

      Sehr gerne. Danke für Ihre Bereitschaft zur kritisch-konstruktiven, ja philosophischen Begriffsarbeit! 🙂

  12. @Matthias Varul 17.02. 11:28

    „Dazu gehört, daß wir sie als das benennen, was sie sind (autoritär, besitzversesssen und antisozial) und nicht als das, was sie vorgeben zu sein (freiheitsliebend, volksnah und bodenständig).“

    Tja, wenn das der Wähler denn nun merken würde, wären wir ein paar Schritte weiter.

    Demokratie geht tatsächlich vom Volke aus. Und womöglich auch wieder unter.

  13. @Berthold Forster 17.02. 20:47 / Perplexcity

    „Christliche Anarchisten kritisieren den Staat als gewalttätig und den Kapitalismus als ausbeuterisch. Stattdessen streben sie eine herrschaftsfreie, egalitäre Gesellschaft an.“

    Nicht jeder ist Christ, und wer glaubt, sieht den Glauben auch nicht gleich. Irgendwie braucht selbst das schon ein spezielles Management, wie man mit diesen Differenzen dann umgehen soll.

    Und dann kommen die rein praktischen Probleme. Wie will man Leistung und Organisationsleistung soweit fördern, dass dann genug für alle da ist? Wie genau schafft man eine Inklusion von nicht oder wenig Leistungsfähigen? Wer kümmert sich konkret um die Kinder und um die Alten?

    Und hat man hier Regelungen gefunden, wie setzt man die dann durch, erst recht, wenn zu viele das einfach anders sehen?

    Ich denke, es wäre schon viel geholfen, wenn unser Staat im Zweifelsfall untätig wäre, wenn gar nicht klar ist, ob hier konkrete Regelungen wirklich hilfreich sind. Und der Umgang mit akkumuliertem Vermögen und dessen Vererbung könnte mal überprüft werden.

    Ansonsten fühle ich mich in der aktuellen Demokratie ziemlich frei, und die Wirtschaft und das Zusammenleben funktioniert ja ganz gut. Ich sehe echt keinen Bedarf an einem Christlichen Anarchismus, zumal der Christliche Glaube selber eben keinesfalls eine eindeutige Sache ist, und ich mich außerdem überhaupt nicht als Christ sehe. Auch wenn ich den Christlichen Glauben durchaus inspirierend finde.

    • Guten Morgen @Tobias Jeckenburger

      Danke für das Nachfragen!

      Ich bin selbst über unseren Philosophen Stammtisch auf diese kleine Strömung gestoßen, habe dann über die Graswurzelbewegung die Zusammenfassung gekauft und bin ziemlich begeistert, aus verschiedenen Gründen.

      Darin sieht man eines Erachtens nämlich auch die Tendenz in Religiösen Traditionen, sich von staatlichen oder weltlichen Gruppen und Herrschaftsgebieten abzukapseln. Gerade bei den Amish kann man ja sogar ein paar Parallelen ziehen. Kleine Strukturen, große Selbstversorgung, Abkehr von staatlicher Gewalt ect.
      Klar, keiner würde die Amish als Anarchisten ansehen, jedoch praktizieren die zum teil genau das, was im Anarchismus als teil der Praxis gesehen werden würde.
      Spannend oder?

      Man braucht so gesehen ja keinen Staat der sich um einen kümmert, wenn man die Gemeinschaft hat, die das tut. Was sich jetzt nach einem Widerspruch anhört, aber ich glaube man muss immer bedenken, das die Anarchie eben nur keine Hierarchie ist. Also die Absage an den Leviathan der den Menschen zum Gut sein knechtet. Somit kann in der Anarchie sehr wohl Struktur sein, sie ist nur weitaus flexibler und wird von jeden Menschen von sich aus gemacht.
      Vielleicht ähnlich zur Basisdemokratie mit stark ausgeweiteter Autonomie einzelner Gretzl? Oder dem zusammenleben Nomadischer Gruppen.

      Es ist ja nicht so das die CA jeden dazu bekehren will, wäre ja auch fragwürdig jeden zum Christen und zum Anarchisten machen zu wollen. Glaub auch nicht das das funktioniert.
      Es geht da eher um eine Verbindung aus sehr egalitären Verhältnissen und dem gleichzeitigen erhalt von Traditionen. Das ist es, was ich auch daran so interessant finde, das theoretische Widersprüche eben gar keine sind, sondern eigentlich sogar miteinander fusionieren können.

      Ich würde sagen, es stellt eher ein paar unangenehme Fragen, was mein Staat darf, wieviel Macht auf einen Menschen oder Position konzentriert wird usw.

      Zum Beispiel habe ich gestern mit unserer alten Pfarrerin in meiner Gemeinde gesprochen und dabei kamen wir über meine Lehrdame zum reden. Diese kommt aus der Ukraine und frischt quasi ihre Beruflichen Kenntnisse bei mir auf weil die Abschlusszeugnisse aus der Ukraine nicht gleichwertig gesehen werden. Meines Erachtens purer Protektionismus der Menschen Steine in den Weg legt, nebenbei gesagt.
      Das eigentliche Thema war aber, was ich bis jetzt nicht gewusst hatte, sie ist zusammen mit ihrer Tochter und mit ihrem Mann nach Österreich gekommen. Scheinbar aus Scham hat sie das bis jetzt mir verschwiegen, weil sie befürchtet das sie dafür verurteilt wird, warum er nicht für seinen Staat kämpft und geflohen ist. Sie sagte da noch zu mir den Satz: “Kein Quadratmeter Erde ist es Wert, dafür ein Leben zu geben”. Aus meiner Sicht ist das völlig legitim. Wer kämpfen will, soll es tun und wird dafür auch mit Respekt und Hochachtung gesehen. Wer es nicht will oder lieber für seine Familie da sein will darf aber nicht als Feigling gesehen werden oder als Verräter.

      Schon früher habe ich mich gefragt, warum man einen Menschen laut den Menschenrechten nicht zur Arbeit zwingen darf, es aber in Ordnung ist Zwangsweise Rekrutiert zu werden. In Österreich haben wir seit den 70er Jahren des Zivildienst, ich schätze in Deutschland wird das ähnlich lang sein. Damals wurden die ersten Zivildiener noch massiv mit Missachtung gestraft weil es ja zu den Pflichten gehört sich für sein Land zu Opfern.

      Sehr interessant finde ich dabei die Catholic Workers aus den USA, da diese eine sehr spannenden Spagat hinlegen zwischen einer Zugehörigkeit zu einer Kirche und dem pochen auf die einzelne Freiheit und Gleichheit des Menschen.

  14. @Berthold Forster 18.02. 09:14

    „Klar, keiner würde die Amish als Anarchisten ansehen, jedoch praktizieren die zum teil genau das, was im Anarchismus als teil der Praxis gesehen werden würde.“

    Wenn die genutzte Technik entsprechend simpel ist, kann das funktionieren. Aber so will ich nicht leben, und so kann sich auch kein Staat mehr gegen Aggressoren wie Putin wehren. Komplizierte Technik braucht komplexere Gesellschaften.

    Auch ein Solarpunk lebt von entsprechender Technologie und muss sich gegen fossile Autokraten erfolgreich wehren können. Höchstens kann man gemeindenahe Strukturen schaffen, die ein Mehr an Anarchismus erlauben.

    Weniger zweifelhafte Vorschriften aller Art und mehr Steuern auf Vermögen aller Art würde uns Menschen jedenfalls sehr helfen können. Bleibt noch zu hoffen, dass die KI den Großteil der öffentlichen Verwaltung und manches Andere leisten kann, und hier dann auch massiv Staatsausgaben eingespart werden.

    „Somit kann in der Anarchie sehr wohl Struktur sein, sie ist nur weitaus flexibler und wird von jeden Menschen von sich aus gemacht.“

    Soweit der Bürger selbst vernünftig handelt, soll er das tun können. Staat brauchen wir in der Tat nur für die Dinge, die der bzw. einzelne Bürger nicht selbstverantwortlich vernünftig hinbekommen?

    Weniger Staat gerne, aber ganz ohne, das kann ich mir echt nicht vernünftig vorstellen. Muss ja auch nicht.

    Ohne EU hätten wir nebenbei gegen Putin keine Chance.

    • Guten Abend @Tobias Jeckenburger

      Volle Zustimmung!
      Vielleicht wäre eher eine Einteilung von Technologie in nützlich und wichtig und welche die im Prinzip Luxus ist. Gerade Gemeinden wissen ja meist am besten was sie brauchen und was sie benötigen.

      Tatsächlich entspricht die EU ebenfalls zum teil Anarchistischen Bestrebungen, da es ein überstaatliche Institution ist, aber sehr machtzersplittert agiert und somit auf Konsens und nicht gehorsam hinzielt.

      Vielleicht wird es eine neue Struktur Form einmal geben, mit den Vorteilen vieler verschiedener Bewegungen 🤔

  15. @Berthold Forster 18.02. 19:16

    „Vielleicht wird es eine neue Struktur Form einmal geben, mit den Vorteilen vieler verschiedener Bewegungen“

    Da geht mehr, keine Frage. Neben weniger Vorschriften und mehr Reichenbesteuerung erscheinen mir auch die Bürgerräte als sehr vielversprechend. Die Parlamentarier sind durchweg Besserverdiener und sorgen auch durchaus für sich selber. Und Lobbyistenanfällig sind sie auch noch. Das lässt sich mit Bürgerräten sehr gut ergänzen.

    Ich kann mir auch gut vorstellen, dass einerseits die ÉU mehr regelt, und auch die Kommunen mehr Spielraum und Zuständigkeiten bekommen. So können die Kommunen z.B. gerne selber entscheiden, wie viele Zuwanderer sie haben wollen und die EU dafür sorgen, dass auch nur so viele überhaupt erst einreisen können.

    Und für eine wirklich schlagkräftige europäische Armee braucht es auch EU-Kompetenzen.

    Das mit der Christlichen Anarchie setzt dann wohl auch eine einheitliche Kirche voraus, in denen der Großteil der Bürger Mitglied sind? Das wird es wohl nie wieder geben.

    Und wenn sich eine Kirchenorganisation dann zum Staat macht wie z.B. im Iran, dann verhilft uns das auch wohl nicht zur Freiheit.

    • Guten Abend @Tobias Jeckenburger

      Ich glaube, wir kommen bei den meisten Themen auf einen guten Punkt 🙂

      Zum Christlichen Anarchismus:

      Die meisten Vertreter dieser Bewegung waren nicht teil einer Kirche oder Gemeinschaft, es kam in der Regel immer zu zerwürfnissen, bis auf die Catholic Workers interessanterweise. So gesehen sind die meisten dieser Libertären Bewegung staatsfern und Kirchenfern. Maximale Freiheit mit Gott als einzige Autorität und auch ohne mittelsmänner.

      Wieweit sich das entwickelt, man wird es sehen, nicht unwahrscheinlich ist das kleinere Religiöse Gruppen der jetztzeit in Einem Jahrhundert die Mehrheit bilden können.
      Ob dabei der Christliche Anarchismus eine Rolle spielt glaube ich dabei weniger. Ist eher etwas für den einzelnen, nicht die große Masse.

      Genau genommen setzt der CA nur voraus daß man sich auf die Gebote Jesu bezieht und sich daran hält, die Organisation usw. wird eher als hinderlich gesehen.

      Also, es wäre kein Gottesstaat angedacht, schließlich ist das im Iran ja auch eine Hierachie 🙂

  16. @Berthold Forster 18.02. 19:16

    „Genau genommen setzt der CA nur voraus daß man sich auf die Gebote Jesu bezieht und sich daran hält, die Organisation usw. wird eher als hinderlich gesehen.“

    Weniger Staat und mehr Eigenverantwortung geht ja nun auch noch. Neben einer kompletten Anarchie. Diese Eigenverantwortung kann sogar sowieso jetzt schon jeder selber suchen. So kann man auch gucken, wie man nach Kräften selber die Energiewende fördert, z.B. durch weniger Konsum oder eigene Investitionen in grüne Technik.

    Oder gucken, wie man mehr Kinder und eine dauerhaft stabile Beziehung hinbekommt. Das sind ganz praktische Möglichkeiten. Die können vielfach verschiedentlich religiös oder sogar säkular begründet sein.

    Der Staat kann dann gucken, und auch seine Regelungswut endlich mal wieder herunterfahren, wenn sich hier abzeichnet, dass die Leute immer weniger egoistisch und dafür umso selbstverantwortlicher unterwegs sind.

    Wer sich sogar zutraut, in einer Christlichen Anarchie produktiv so ein Modell leben zu können, der kann auch mitten in der aktuellen Staatlichkeit in vielen Bereichen seiner eigenen Selbstverantwortung folgen. Je mehr die Demokratie funktioniert, desto eher kann man genau das doch machen.

    Mir reicht das dann auch. Ganz ohne Staat wäre mir irgendwie auch einfach zu schwierig, man hätte doch ständig Auseinandersetzungen mit Anderen, wie man jetzt konkret die Dinge handhabt. Das ist doch viel zu kompliziert. Jedenfalls stelle ich mir das so vor.

    • Guten Morgen @Tobias Jeckenburger 🙂

      Das Problem was der Anarchismus allgemein mit Staatlichkeit hat, ist die Unterdrückung die durch diesen entstehen kann. Man will quasi eine egalitäre Gesellschaft ohne jeglichen Klassenunterschiede erreichen. Bei einem Staat gibt es aber zwangsweise immer wenn, der über einem steht. Besser formuliert, wäre Russland eine Anarchie und keine Oligarchie mit Nationalistischen Charakter, dann gebe es wohl keinen Ukraine Krieg.

      Deswegen werden sich wohl Libertäre Strömungen immer wieder einbringen im Politischen Spiel, aber im Endeffekt hoffen sie auf eine Utopie die ohne Staat und Machtunterschiede auskommt.

      Ob das wahrscheinlich ist, eine ganz andere Frage.

  17. @Berthold Forster 20.02. 08:44

    „Deswegen werden sich wohl Libertäre Strömungen immer wieder einbringen im Politischen Spiel, aber im Endeffekt hoffen sie auf eine Utopie die ohne Staat und Machtunterschiede auskommt.“

    Libertär ist nicht dasselbe wie liberal. Die Libertären wollen die maximale Macht des Geldes, scheint mir eher. Mehr Freiheit im Sinne von mehr Selbstverantwortung eben nicht, das mag dann eher liberal sein.

    So oder so, mehr wirkliche Selbstverantwortung kann ein Weniger an Staat ermöglichen. Aber nicht, wenn die Superreichen dann noch rücksichtsloser immer mehr Geld anhäufen. Das wird uns nicht helfen. Nicht für weniger Hierarchie, und auch nicht beim Umsetzen von mehr Religiosität im eigenen Leben. Das wird nur eine korrupte Oligarchie mit mangelhafter Rechtssicherheit, keine Freiheit.

    • Hallo @Tobias Jeckenburger

      Absolut, wobei Libertäre eben auch ein anderer begriff für Anarchisten ist. Anarcho-Kapitalisten die einen völlig freien Markt wollen, werden derzeit hauptsächlich mit Libertär gleichgesetzt. Bei diesen trifft auch das völlig zu.

      Die anderen Libertären Strömungen sind da zum teil vollkommen Gegenteilig, wollen eine zum teil Geldlose Gemeinschaft oder lehnen das recht auf Eigentum eher ab.

      Ein sehr windiger Haufen mit vielen Gesichtern der Anarchismus/Libertarismus.

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