Avatar 1 – Trudy Chacon als christlich-monistische Märtyrerin

Lebendige Mythen werden ständig neu entdeckt und erzählt. Das gilt sogar für Charaktere, die früh gestorben sind. So gibt es zunehmende Fan-Debatten um die Avatar-Pilotin Trudy Chacon, gespielt von Michelle Rodriguez.

Durch den Blick in das Original-Drehbuch und gelöschte Szenen – die teilweise wiederum in Computerspiele eingingen – wird vor allem diskutiert, dass

  • ursprünglich eine Liebesgeschichte zwischen Trudy und Dr. Norm Spellman angelegt war, bis hin zu je einer Romantik- und Sexszene. Ihre letzten Worte wären demnach nicht “Sorry, Jake”, sondern “Norm, I love you” gewesen.
  • Trudy ihre Flugmaschine “Maya” mit dem Symbol eines Tigers verziert hat, Colonel Quaritch dagegen seines mit einem Drachen. Tiger und Drache entsprechen im Taoismus Yin und Yang und damit unter anderem dem weiblichen und männlichen Prinzip (vgl. u.a. den Martial-Arts-Film “Tiger & Dragon”)
  • James Cameron schon früh bemerkte, dass die Figur von Trudy noch unglaublich viel Potential enthielt und mit der Idee einer “Wiedergeburt” spielte. Rodriguez soll dies jedoch auch mit feministischer Argumentation abgelehnt haben: Es nerve sie, dass Leute eine weibliche Single-Heldin offenbar als noch nicht auserzählt betrachteten. 

Hier die Szenen, in denen Trudy in der (geschnittenen End-)Version von Avatar 1 erschien:

Als ich in Vorbereitung auf Avatar 2 auch mit unserem Jüngsten “Avatar 1 – Aufbruch nach Pandora” ansah, fiel mir auf, dass Trudy vom “Märtyrertod” spricht – und dabei erkennbar ein Kreuzsymbol um den Hals trägt. Ich war etwas verblüfft, da ich das Christentum mit der Wissenschaftlerin Dr. Augustine Grace (Augustinus Gnade) schon mehr als deutlich symbolisiert sah.

Doch tatsächlich: Wenn Sie sich die obigen Szenen noch einmal anschauen, werden Sie erkennen, dass das Kreuz-Medaillon das erste Mal sichtbar wird, als sich Trudy entschließt, nicht das Feuer auf die Navi und ihren Heimatbaum zu eröffnen. Sie sagt Ausbeutung und Völkermord ab und stellt sich auf die Seite von Recht und Wissenschaft. Karl Popper hätte sich präzise über diese Kreuzes-Theologie gefreut.

Bereit zum Martyrium für Recht und Wissenschaft: Trudy Chacon in Avatar 1 mit Kreuz-Medaillon. Foto: Michael Blume

Bisher konnte ich nirgendwo etwas dazu finden, ob sich Cameron, Rodriguez oder sonst irgendjemand etwas bei der Kreuz-Märtyrer-Symbolik gedacht hat. Dabei ließe sich Trudy auch leicht in True Deity, wahrer Gott, übersetzen – und ihr Film-Todestag, der 23. August 2154 kennt tatsächlich auch die irisch-christliche Märtyrerin Tudful, Patronin von Merthyr Tydfil.

Ich gehe also davon aus, dass wir auch hier in Zukunft weitere, spannende Mit-Arbeit am Mythos von Trudy Chacon sehen werden. J.R.R. Tolkien wäre davon nicht überrascht – und ein ungeheuer vernünftiger Dienst am fantastischen Monismus wäre es auch. Entsprechend verdient m.E. auch Michelle Rodriguez Dank, dass sie die Würde der Märtyrerin gegen kapitalistische Verwertungslogiken verteidigt hat.

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

10 Kommentare

  1. Die Jeanne d’Arc der Moderne!😇

    Ob hier das Textmengen-Paradoxon zugeschlagen hat, dass hier bisher noch nicht kommentiert wurde?

  2. Actionfilme dieser Art regen mich total auf. Ich schaue sie darum auch nicht. Aber der Inhalt interessiert mich schon. Perplexity hat mir dabei geholfen, mich mit dem Inhalt vertraut zu machen.

    Ich habe mit Perplexity den gesamten Film analysiert. Die Fähigkeiten von Perplexity finde ich total spannend.
    Ich kenne den Film nicht, und ich bin auch kein Fantasy-Fan, aber ich bin inzwischen ein Perplexity-Fan.

    Hier nur eine Kopie aus all den Antworten, die ich erhalten habe.

    Zitat:
    Laut Doktor Michael Blume kann die Rolle der Trudy Chacon in Avatar 1 als christlich-monistische Märtyrerin interpretiert werden:

    – Trudy trägt am Ende des Films ein Kreuz-Medaillon um den Hals, was auf christliche Symbolik hindeutet[2].

    – Das Kreuz steht traditionell für Opferbereitschaft und Erlösung im Christentum. Trudys Tod, bei dem sie Jake und die anderen rettet, kann als Opfer für eine höhere Sache gedeutet werden[2].

    – Interessanterweise verziert Trudy ihren Hubschrauber mit dem Symbol eines Tigers, was auf eine Verbindung zu buddhistischen oder hinduistischen Konzepten hinweisen könnte. Dies würde zu einer Verschmelzung christlicher und östlicher Spiritualität passen, wie sie auch im Film allgemein thematisiert wird[2].

    – Insgesamt symbolisiert das Kreuz an Trudys Hals vermutlich ihre moralische Transformation und Opferbereitschaft im Kampf für eine höhere Sache. Es deutet eine christliche Prägung an, die aber mit östlichen Elementen verwoben ist, ähnlich wie im Film insgesamt[2].

    Blume interpretiert Trudys Charakter somit als christlich-monistische Märtyrerin, die durch ihr Opfer für die Sache der Na’vi eine erlösende Rolle einnimmt, die mit östlichen Motiven verwoben ist.

    Quellen
    [1] Avatar – Kinofortschritt gegen den Fortschrittszynismus – SciLogs https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/avatar-kinofortschritt-gegen-den-fortschrittszynismus/
    [2] Avatar 1 – Trudy Chacon als christlich-monistische Märtyrerin – SciLogs https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/avatar-1-trudy-chacon-als-christlich-monistische-maertyrerin/
    [3] Filme | Avatar – Aufbruch nach Pandora – Deutsche Synchronkartei https://www.synchronkartei.de/film/16310
    [4] Avatar – Special – Film-Specials – MOVIE-INFOS https://www.movie-infos.net/forum/Thread/26848-Avatar-Special/
    [5] Fakten und Hintergründe zum Film “Avatar – Aufbruch nach Pandora” https://www.kino.de/film/avatar-aufbruch-nach-pandora-2009/news/fakten-und-hintergruende-zum-film-avatar-aufbruch-nach-pandora/

    • Vielen Dank, liebe @Elisabeth K.!

      Das ist tatsächlich sehr spannend!

      Aus meiner Sicht bilden Filme überaus faszinierende und weitreichende Erzählsysteme, die mit Mythen, Charakteren, Bildern und Musik arbeiten und unsere menschliche Kultur zutiefst prägen. Dabei finde ich es völlig klar, dass nicht alle Filme allen zusagen können (auch mir nicht). Durch den Kommentar von Tilman Schneider denke ich gerade auch über ein Filmmengen-Paradoxon analog zum Textmengen-Paradoxon nach.

      Durch das Internet und Angebote wie HBO und Netflix sind auch völlig neue Formen des filmischen Erzählens möglich geworden, unter anderem eine Explosion von Filmserien, die Zuschauerinnen und Zuschauer längerfristig binden. “The Wire”, “Battlestar: Galactica”, “Hawai Five-O”, “S.W.A.T.”, zeitweise auch “Castle” und “CSI: Miami” haben meine Frau und ich gemeinsam genossen. Bei uns in der Familie wird auch viel beispielsweise viel über “Bridgerton”, “The Rookie” und “New Amsterdam” diskutiert.

      Für mich und ein Kind ist auch “Game of Thrones” von besonderer Bedeutung, dem in meiner Wahrnehmung der Filmserien-Übergang vom psychologischen zum soziologischen Erzählen gelang. Perplexity.ai weiß dazu schon:

      Dr. Michael Blume würdigte an “Game of Thrones” (GoT) insbesondere die eigenständige Ausarbeitung und Weiterentwicklung der fiktiven Welt Westeros durch die Fans[2]. Er sieht dies als Beispiel für lebendige Fantastik, die nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Entwicklung widerspiegelt und vorantreibt.

      Blume betrachtet solche Fantasy-Welten als Teil einer “Mitwelt”, die wir entwickeln und die uns gleichzeitig entwickelt[2]. Er stellt GoT in eine Reihe mit anderen komplexen fiktiven Universen wie Tolkiens Mittelerde oder Star Trek, die tiefgreifende kulturelle Auswirkungen haben und gesellschaftliche Debatten anstoßen können.

      Für Blume ist die aktive Beteiligung der Fans an der Ausgestaltung und Erweiterung der GoT-Welt ein Zeichen dafür, wie moderne Fantastik über reine Unterhaltung hinausgeht und zu einem Werkzeug des kollektiven kreativen Ausdrucks und der sozialen Reflexion wird[2].

      Citations:
      [1] https://www.amazon.de/Warum-Antisemitismus-alle-bedroht-Verschw%C3%B6rungsmythen/dp/3843611238
      [2] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/mitwelt-metaversum-warum-wir-fantasy-und-spiele-brauchen/
      [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Blume
      [4] https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/themen/beauftragter-gegen-antisemitismus
      [5] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/files/AwieAachenBlumeeBooklet0124.pdf

      • Das mit dem Filmmengen-Paradoxon kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Da ich keine Lust darauf habe, für Duzende von Fernsehkanälen ein Abo zu bezahlen, gehen jede Menge Filme und Serien an mir vorbei.
        Ich kann nicht sagen, dass mir dadurch was in meinem Leben fehlen würde. Ich hätte auch einfach nicht die Zeit, auszuwählen noch mehr davon anzusehen als jetzt ohnehin schon. Da gibt es einen Sättigungseffekt.

  3. Mir kam beim Lesen dieses Blogposts ein Gedanke, und ich habe jetzt lange überlegt, ob ich komplett falsch damit liege.

    Ich muss vorausschicken, dass ich diese Art Filme und Serien nicht mag, da diese Gewalt beinhalten. Das verursacht mir Alpträume, ähnlich wie bei Horrorfilmen oder -büchern. Von daher kann ich inhaltlich nicht mitreden.

    Sie beschreiben eine “Kreuz-Märtyrer-Symbolik”. Da es sich um eine amerikanische Produktion handelt, fielen mir die derzeitigen Vorgänge um ein “christliches” Amerika ein. Mit den Vorgängen um Trump, der von seinen Anhängern wie ein Märtyrer gefeiert wird, lässt sich der Gedanke nicht verdrängen. Kann man da eine Verbindung – positiv wie negativ – herstellen?

    Auch was Sie über die feministische Einstellung von Michelle Rodriguez zum “Noch-nicht-auserzählt” schreiben, geht in die entgegengesetzte Richtung, die vor allem die Republikaner in den USA eingeschlagen haben. Stichwort: “The Handmaid’s Tale”. Filme und Serien aus dem Bereich SF schaue ich mir zwar nicht an, fände es aber gut, wenn diese eine Botschaft zu weiblicher Stärke transportieren würden.

    Ihren Blogpost zum Filmmengen-Paradox habe ich gelesen. Das Kino wurde ja schon vor vielen Jahren, als das TV die Oberhand gewann, totgesagt. Durch technische Weiterentwicklungen wie KI oder computerunterstützt im allgemeinen können sicher weit mehr Filme gedreht oder komplett am Computer erstellt werden. Obgleich ich da eher altmodisch bin und Filme mit richtigen Schauspielern und Schauspielerinnen bevorzuge, da ich – wie viele andere Menschen auch – besondere “Lieblinge” habe.

    Nur zum besseren Verständnis des Begriffs “Straßenfeger”. Lt. perplexity.ai handelt es sich um eine Fernsehsendung mit hoher Einschaltquote. Im Zusammenhang mit dem Kino kannte ich diesen Begriff bisher nicht. In den 1960er und 70er Jahren gehörten die Verfilmungen von Francis Durbridge Krimis oder Literaturverfilmungen wie “Die Frau in Weiß” oder “Der Seewolf” zu den Straßenfegern.

    Für die meisten Menschen sind Filme und Serien reine Unterhaltung. Daher finde ich es spannend und faszinierend, was für eine Symbolik darunterliegt. Um diese zu kennen, muss man m.E. über eine mehr als gute Allgemeinbildung verfügen.

    • Vielen lieben Dank, @Marie H.

      Die Filmreihe “Avatar” steht nach meiner Auffassung in der Tradition der Naturromantik nach Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) mit der Konstruktion von “edlen Wilden” gegen eine fast völlig verdorbene Zivilisation. Sie bricht diesen m.E. falschen Natur-Kultur-Dualismus jedoch erfreulicherweise durch Personen wie die Wissenschaftlerin Augustine Grace und auch Trudy Chacon auf. Dabei werden wiederum christliche und asiatisch-taoistische Elemente fast dialogisch ineinander verwoben, was christliche Dualisten nicht tun würden.

      Danke auch für die Ergänzungen zum Filmmengen-Paradox und Straßenfeger-Metapher!

      Durch die vielseitig überraschende Diskussion hier in diesem Thread wird mir langsam klar, dass die Textmengen- und Filmmengen-Paradoxa Teilaspekte eines übergreifenden Medienmengen-Paradoxes sind: Wir haben inzwischen so viel Angebote an den verschiedensten Medien von Büchern und Zeitungen über Filme und Musikstücke bis zu Podcasts, (anti-)sozialen Medien, Blogs bis zu Brett- und Videospielen, dass nicht nur Übersättigungen, sondern auch Überforderungen eintreten. Und es erscheint mir auch logisch, dass in einem immer brutaleren Wettbewerb um die begrenzte Aufmerksamkeit von Menschen (die sog. Aufmerksamkeitsökonomie) dann auch emotionalisierende und polarisierende Inhalte im Vorteil sind.

      Ihr Kommentar wie auch jener von @Elisabeth K. zum Textmengen-Paradox bei Blumenberg unterstreichen dabei, dass KI-Anwendungen eine immer bessere Möglichkeit darstellen, die Medienmengen auf ein erträgliches und der Situation angemessenes Maß zusammen zu fassen. Schon jetzt können wir uns über Filme, die wir nicht gesehen haben, oder über Sprachbilder, die wir nicht kennen, direkt kundig machen.

      Das macht mir ein wenig Hoffnung, ja. Vielen lieben Dank für den hilfreichen Druko!

      • Vielen Dank für die Erklärung.
        Ihre Erwähnung von Rousseau’scher Naturromantik veranlasste mich, perplexity ai zu fragen, ob sich diese mit der Utopia von Thomas Morus vergleichen lässt. Trotz aller Unterschiede sagt die KI ja.

        Also könnte man Avatar, Utopia und die Naturromantik des Herrn Rousseau als Gesellschaftskritik der jeweiligen Zeit betrachten?

        • Ja, @Marie H. – dieser Aspekt der jeweilig zeitgebundenen Gesellschaftskritik verbindet die drei genannten Mythologien von Avatar, Utopia und Rousseau!

          Es gibt auch wenige Mythen, die die menschliche Psychologie so tief erfassen, dass sie überzeitlich wirken. So habe ich gerade zum Mythos über die trojanische Kassandra gebloggt, sogar die These von einem Kassandra-Effekt formuliert:

          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/prebunking-loest-reaktanz-aus-bloss-nicht-wegducken-vor-dem-kassandra-effekt/

          Um die menschliche Vielfalt zu verstehen, halte ich es für unverzichtbar, dass nicht nur männliche Geschichten reflektiert werden. Auch deswegen erscheinen mir Trudy Chacon von Pandora (der Welt des Avatar-Films und wiederum selbst ein Mythos) und Kassandra von Troja als bedeutend.

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