Ao – Der letzte Neandertaler im Film

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Kennen Sie den Choral “Lobe den Herren, den mächtigen König der Erde”? Verfasst wurde er von dem begabten Pastorensohn und Hilfsprediger Joachim Neander, der Pfingsten 1680 mit gerade einmal 30 Jahren starb. Eine Schlucht, in der er gedichtet, komponiert und Gottesdienste gefeiert hatte, wurde ihm zu Ehren zum “Neandertal”. Und genau dort fanden sich dann Jahrhunderte später jene Fossilien, die dem Neandertaler – Homo neanderthalensis – den Namen geben würden…

Bis vor wenigen Jahren hätte man das Ganze noch für eine ziemliche Ironie halten können: Neandertaler galten als eher tumbe und grobe Gesellen, die mit Sprache und Musik oder gar Kunst und Religion wenig bis gar nichts zu schaffen gehabt hätten. Doch mehr und mehr Funde und Forschungen zeigten auf, dass die Neandertaler sehr viel komplexer waren, als es Höhlenmenschen-Klischees vermitteln. Erfreulicherweise hat sich ein französisches Filmteam um Jacques Malaterre mit engagierten Darstellerinnen und Darstellern wie Simon P. Sutton, Aruna Shields und Vesela Kazakova daran gemacht, mit “Ao – Der letzte Neandertaler” einen Film zu drehen, der ein neues Bild des Neandertalers bietet.

Der Film verschweigt dabei nicht die Not, Verzweiflung und auch Brutalität, die in sterbenden Wildbeuterpopulationen herrschte. Aber er zeigt eben auch die sich entwickelnde Menschlichkeit und lässt uns an Szenen neuen Lebens wie auch Gedanken des Neandertaler-Helden Ao teilhaben. Dieser bricht nach dem Verlust seiner Gruppe aus dem eisigen Norden nach Südeuropa auf, um seinen verlorenen Bruder wieder zu finden. Auf dem Weg trifft er tierische und menschliche Gegner, aber auch Aki, eine Homo sapiens-Mutter – Stoff für eine Liebe zwischen Vorurteil und Einsamkeit.

Die gute Nachricht vorweg: Dieser Film will auch unterhalten, und das gelingt ihm. Die Story ist geradlinig, aber bietet doch auch Überraschungen und vor allem immer wieder starke Bilder. Gelegentlich lassen sich die Filmemacher auf Kitsch ein, doch bemühen sie sich auch immer wieder um den Stand wissenschaftlicher Forschung – mit einer Einschränkung: Kannibalismus ist für Homo sapiens in der Steinzeit nicht belegt und nicht sehr wahrscheinlich. Das Bemühen um ein fachlich anspruchsvolles Bild zeichnet Ao, im Vergleich etwa zu anderen “Steinzeit”-Filmen wie 10.000 BC, dennoch aus und der Film trägt dazu bei, überholte Neandertaler-Klischees zu überwinden.

Zwar kann und will der Film technisch nicht mit Filmen wie Avatar mithalten, doch besticht die sorgfältige Gestaltung. Zugleich soll der letzte Neandertaler nicht als Doku, sondern als Actionheld mit Innenleben vorgestellt werden. Wenn man Evolution und Urgeschichte auch in die breitere Öffentlichkeit vermitteln will, ist das sicher ein guter Ansatz.

Bisweilen kann Kunst der Wissenschaft auch voraus sein. So spielte der Film bereits mit dem Gedanken gemeinsamer Nachkommen von Homo sapiens und Homo neanderthalensis – die inzwischen belegt sind. Wenn Sie Europäer sind, tragen Sie auch Gene von Neandertaler-Vorfahren mit sich.

Zuletzt mag ich noch auf einen kleinen Schmankerl verweisen, auf den ich beim Suchen des Trailers stieß. Die Filmemacher haben ihren Neandertaler Ao über die Champs Elysees im moderne Frankreich stapfen lassen – und so sehr fiel er gar nicht auf…

Also, ich kann nur empfehlen, Ao auch einmal Zutritt zu Ihrem Kinoabend bzw. Ihrer Fernsehecke zu gestatten.

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

18 Kommentare

  1. Ach nun. Neandertaler

    Das ist wohl eher so eine Männer-Sache, oder? Die Idee mit dem in Paris ist aber creatif. Haben die Franzosen auch Neandertaler-Uropas? ~_~

  2. @Kasslerin & @Hussein

    Hmm, einerseits ist es sicher richtig, dass auch die Neandertaler bislang fast durchgehend von Männern erzählt wurden, mit deutlicher Konzentration auf Jagd, Kampf, Eroberung etc. Dem Film “Ao” kann man diesen Vorwurf der Einseitigkeit aber m.E. nicht mehr machen: Hier gibt es auch Motive wie Liebe, Glauben, Babies, sogar weiße Pferde (okay, die hatte ich unter Kitsch gewertet… 😉 ). Würde mich interessieren, wie der Film Ihnen gefällt!

    @Hussein

    Danke für das Interesse! Wenn Du ihn dann gesehen hast, debattieren wir mal drüber, ja!? Freue mich darauf! 🙂

  3. @ Kasslerin

    soweit ich verstanden habe, haben alle Europäer Neandertaler unter ihren Vorfahren. Bemerkenswerter Weise scheinen die einzigen reinerbigen Homo sapiens die Afrikaner zu sein. Eine Tatsache, diue von unseren rassistischen “Freunden” sicher einiges an Tapferkeit abverlangen dürfte…

  4. @AO

    Danke für den Hinweis! Ich finde es ganz erhellend, über Folgendes nachzudenken:

    Beim Gang durch Paris: Was sind die Schlüsselfaktoren dafür, dass ein “Neanderthaler” auffällt oder nicht auffällt? Woran, denken wir, würden wir ihn erkennen?

    Das klassische Vorurteil lautet: Haare überall am Körper, keine besondere Kopfbehaarung, fliehende Nase, fliehende Stirn, gebückter Gang mit hängenden Armen und Verständigung durch Grunzlaute. Davon ist allenfalls die Stirn durch Ausgrabungen belegt: Haare und Nase sind reine Spekulation, da davon nichts geblieben ist, der Gang ist aufgrund der Skelettfunde ziemlich unwahrscheinlich und die Vorstellung einer praktisch nicht vorhandenen Sprache stimmt nicht mit der zunehmenden Entdeckung von Artefakten und Ritualen zusammen.

    Offensichtlich ist das Bild entstanden aus Assoziationen zu “Vormensch”, “primitiv” usw. Davon war nur ein kurzer Weg zu “affenartig”, woraus die meisten Merkmale stammen mit Ausnahme des Grunzens (Affen grunzen nicht). Ich habe keine einzelne Quelle für diese Vorstellung finden können, Vermutlich stammt es von einem Klischeebild “zurückgebliebener” oder “idiotischer” Menschen.

    Um die Botschaft des Films: “Die waren ja gar nicht so” herüber zu bringen, haben sie Haare und Nase an den Homo Sapiens angepasst, seinen Gang korrigiert und ihn in einen Anzug gesteckt. Das hat gereicht. Ich finde es immer wieder interessant, daran erinnert zu werden, wie wenige Schlüsselreize es benötigt, um unsere Vorurteile zu an- und abzuschalten.

    Übrigens: Woran könnte man ihn den nun erkennen? Er war wesentlich muskulöser als wir. Er hätte vermutlich Schwarzenegger den Kopf abschrauben können, ohne außer Atem zu gelangen.

    (@Michael Blume: Stimmt das alles noch? Meine Kenntnisse sind auch schon ein paar Jahre alt …)

  5. AO

    Ich habe diesen Film zwar noch nicht gesehen, als Kind liebte ich jedoch das Buch “AO – der Mammutjäger” von S. W. Pokrowski. Ist Ihnen bekannt, ob der Titel des Films von diesem Buch inspiriert wurde?

    Vielen Dank für diesen Artikel! Werde mir den Film bestimmt mal anschauen.

  6. @Eric Djebe

    ´Ja, durch immer neue Funde und Studien – zuletzt v.a. der Genetik – verändert sich das Bild der Neandertaler (wie überhaupt der Vergangenheit) immer weiter. Hier eine kleine Übersicht nur der letzten Monate (!):
    http://www.spektrumdirekt.de/artikel/847348

    Selbstverständlich kann die öffentliche Wahrnehmung dem kaum folgen, deswegen ist es so unverzichtbar, dass Filme, Bücher, Spiele etc. wenigstens hin und wieder nachziehen und die neueren Erkenntnisse vermitteln. “Ao” würde ich deswegen schon als wertvoll auch im Sinne der Wissenschaft bezeichnen.

  7. @A. Venenbaum

    Vielen Dank für den Hinweis! Nein, das wusste ich noch nicht – ein Zufall erscheint mir aber hier sehr unwahrscheinlich. Wenn Sie den Film gesehen haben könnten Sie uns ja ggf. mitteilen, ob sich zwischen Film und Buch erkennbare Parallelen, Hommagen o.ä. entdecken lassen. Das wäre wirklich klasse!

  8. AO

    Vielen Dank für den Tipp, Herr Blume!
    Allerdings habe ich verbeblich auf eine Bemerkung Ihrerseits gewartet, dass das Verschwinden des Neandertalers etwas mit seiner im Vergleich zum modernen Menschen geringeren Religosität zu tun hat.;-)

  9. @Francois Pütz

    Freut mich, dass ich Sie überraschen konnte! 🙂

    Und Sie wissen doch: Ein guter Lehrender lässt die Lernenden wichtige Zusammenhänge selbst entdecken, bis sie ihn eines nahen Tages übertreffen. Ich bin schon ganz stolz auf Sie! 😉

  10. “Und Sie wissen doch: Ein guter Lehrender lässt die Lernenden wichtige Zusammenhänge selbst entdecken, bis sie ihn eines nahen Tages übertreffen. Ich bin schon ganz stolz auf Sie! ;-)”

    Wissen Sie, was es heißt, posthum geboren zu werden? Nein. Ich will nicht wissen, was man darunter versteht. Das weiß ich selber. Doch erahnen Sie die Zukunft? Geben Sie Acht auf sich!

  11. @Dietmar Hilsebein: Posthum geboren

    Mir scheint, das geschieht ohnehin täglich, nicht nur in den Erzählungen anderer, sondern auch in denen, die wir über uns selbst erschaffen. Wer also ist, auf den ich achtgeben müsste – oder auch nur könnte?

  12. Posthum geboren @ Blume

    Nun, wenn Sie erkennen, daß Sie auch auf sich selbst warten müssen, dann wäre Ihnen der Satz “Ich bin schon ganz stolz auf Sie! ;-)” so wohl nicht herausgerutscht. Lange muß man schwanger gehen, um gebären zu können. Wir sind immer auch Lehrer und Schüler zugleich.

  13. @ Blume

    “Lange muß man schwanger gehen, um gebären zu können.”

    Nicht, daß Sie mich mißverstehen: dieser Satz beschränkt sich nicht auf ein Menschenleben. Manchmal wird es mir geradezu schlecht, wenn ich bedenke, wieviel ich lernen muß und wie wenig Leben mir dabei bleibt. Dabei ist das Lernen gar kein aktiver Prozeß, es erstreckt sich über die Jahre und manches Mal muß man diesen Prozeß weitergeben und spätere Generationen nehmen das Land ein, was nur von Ferne zu sehen einem selbst vergönnt war. Dies ist eine noch schöner Beschreibung des posthum Geborenwerdens.

  14. @Dietmar Hilsebein

    Ja, das sehe ich auch so. Und genau deswegen glaube ich nicht an die unbegrenzte Erkenntniskraft des Einzelnen, sondern daran, dass wir uns alle bestenfalls in einem Netzwerk Erkennender befinden. Deswegen blogge ich so gerne, weil so in der Interaktion Neues, Unvorhersehbares entsteht, das bisweilen überdauert. Und deswegen schrieb ich bewusst, nicht stolz auf “mich” zu sein, sondern auf denjenigen, der sich einbrachte. Kurz: Ich denke, es lernt kaum ein “Ich”, sondern wenn, dann stets ein “Wir”.

  15. Ok, dann habe ich Sie mißverstanden. Es schien mir doch so, daß Sie sich als den Lehrenden empfinden und den Leser als den Lernenden. Aber gut, Sie schreiben ja oft selbst, daß es mit dem geschriebenen Wort nicht immer leicht ist, da die Körpersprache, die Physiognomie und die Sprachmelodie nicht mit übertragen wird.

  16. @Dietmar Hilsebein

    Ja, genau so habe ich es dann auch empfunden. Eigentlich hätte zu meinem Satz eine angedeutete Verbeugung gehört, die echten Respekt ausdrücken sollte. Stattdessen kam bei Ihnen aber wohl an, dass ich mich nicht “zu”, sondern “über” dem Anderen stellte – was ich gerade nicht wollte.

    Danke aber für die klare und hilfreiche Rückmeldung!

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