Antisemitismus – Semitismus. Der Kampf der Mythologien

Trotz scharfer Covid19-Sicherheitsmaßnahmen konnten wir am 09. Juli 2020 die lange geplante Fachtagung “Alte Feindbilder in neuem Gewand. Antisemitische Verschwörungsmythen und was man ihnen entgegensetzen kann” an und mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart ausrichten. Stellvertretend für das großartige GastgeberInnen-Team danke ich dem Fachbereichsleiter Dr. Christian Ströbele.
Einen Tagungsüberblick mit einigen Video-Vorträgen gibt es hier zu sehen. Direkt aus der Tagung – vor allem auch dem anregenden und lebendig diskutierten Vortrag von Prof. Dr. Frederek Musall, Hochschule für jüdische Studien Heidelberg – entstand auch schon die Verschwörungsfragen-Podcast-Folge 24 zu jüdischen Superhelden und -schurken.
Da hier auf dem Blog jedoch intensive Debatten über den Mythos-Begriff geführt werden, hier im Folgenden auch mein Einführungsvortrag, der sich insbesondere auf “Arbeit am Mythos” von Hans Blumenberg (2006) bezieht.
Mythos definiere ich zudem klar – und auch im neuen “Verschwörungsmythen” (2. Auflage im Druck) – nach David Atwood:
“Unter einem Mythos werden diejenigen Erzählungen verstanden, die durch die Imagination einer paradigmatischen, d.h. bedeutsamen Geschichte die Welt raumzeitlich ordnen und damit Handlungsanweisungen für Individuen wie für Kollektive anbieten.”

Während ich die Podcast-Folgen ja schreibe und lese, halte ich Vorträge wegen der Dynamik der Situation und Rede lieber frei, habe also leider kein schriftliches Skript zur Verfügung. Aber ich wünsche Ihnen viel Freude beim Hören und/oder Schauen und ggf. Mit-Diskutieren der Eröffnungsrede!
@Blume
Ja,vielleicht liegt darin das Phänomen:das Erzählungen zu Handlungsweisen führen.
Was ist aber, wenn der Kern der Erzählungen sich widersprechen?Was begründet Handlungsweisen,wenn es eben nur eine Erzählung ist?Nicht wahr?Was begründet Handlungsweisen auf Grund von Fiktion? Welche Rolle spielt Fiktion zur Realität?
Widersprüche sind m.E. immer auch Bedrohung wie Chance, @Mussi. Menschen können sich davor in fundamentalistischem Regress zurückziehen, oder aber mit neuen, idealerweise fundierten Erzählungen durch sie hindurchwachsen. Ein geschlossenes System erstarrt, auch im Bereich der Religionen und Weltanschauungen.
@Blume
Fiktion gegen Fiktion. Das geht mir nicht in den Kopf…
Aber genau darum geht es, @Mussi: In der Wissenschaft werden Theorien an der Realität überprüft und weiterentwickelt – über die Ausgestaltung von Mythen müssen wir mündig in Diskursen immer wieder neu entscheiden. Immer neue Medien verstärken das Leben in (unterschiedlich geeigneten) Fiktionen eher.
Was ich nicht so ganz verstehe, ist, warum Sie sich gerade das Höhlengleichnis Platons ausgesucht haben. Sie schimpfen gegen die Platoniker, die heute eh keiner mehr kennt. Warum? Sie könnten sich doch die Homöopathen aussuchen, die sind doch viel zeitgemäßer. Aber die Platoniker? Verstehe ich nicht. Ich meine Plotin kennt doch kein Mensch mehr…
Platon hat Generationen von Verschwörungsmythologen und später Antisemiten inspiriert, massiv zum Beispiel Heidegger. Popper war in seiner Kritik an ihm noch schärfer, führte u.a. Konzentrationslager auf ihn zurück.
Poppers Kritik an Platon ist mit Vorsicht zu genießen und man sollte sich da nicht von zweifelhaften Interpretationen mitreißen lassen. Platons Entwurf eines Idealstaates wurde durch die politischen Wirren im Stadtstaat Athen und durch sein Misstrauen gegenüber der Politik inspiriert. Vieles aus seinem Werk mag einem heute antiquiert und undemokratisch erscheinen. Ursächlich ging es ihm jedoch um mehr Gerechtigkeit und Moral. Politik sollte zum Wohle des Volkes gemacht werden und nicht nur für die Reichen. Es kann schon sein, dass Popper in Platons 2400 Jahre alter Staatstheorie eine Vorwegnahme des Faschismus sah, aber dazwischen gab es jede Menge anderer Theorien mit denen er sich hätte beschäftigen können. Zudem war er bei seiner Kritik alles andere als neutral. Zitat: „Die Platon-Deutung von Karl Popper ist hochtendenziös. Sie arbeitet mit allerlei sinnentstellenden Übersetzungstricks und selektiven Zitatbelegen, die allein dem Ziel dienen, Platon als totalitären, ja rassistischen Vordenker des 20. Jahrhunderts zu präsentieren. Mehr noch aber muss irritieren, wie sehr Popper dabei seine eigenen wissenschaftsethischen Standards unterläuft. Seine Interpretation lässt es exakt an jener Redlichkeit und Fairness fehlen, die er selbst allenthalben als Prinzipien der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eingefordert hat.“
Quelle: https://www.budrich-journals.de/index.php/zpth/article/download/5114/4270
Durchaus, @Mona – wobei auch Popper selbst Platon von den Umwälzungen seiner Zeit und seiner Biografie her deutet. Sehe es persönlich weniger scharf als Popper, werde seine Kritik mal extra vorstellen.
Poppers Kritik an Plato und Hegel ist doch mehr die Kritik am Plato- und Hegelverständnis seiner Zeit.
Plato hat ja gerade die Trennung zwischen Mythos und Logos eingeführt und damit die Disziplin der Theologie (das wissenschaftliche Diskutieren über die Götter) begründet.
Er war es ja, der semitischsprachige Traditionen massiv ins europäische Denken eingebracht hat, wie den Urmenschmythos im Symposion oder den Atlantisbericht.
(Der andere Autor, der massiv Texte der hebräischen Bibel aufgreift ist übrigens Vergil)
Ja, @j, diese Unterscheidung zwischen platonischer Ur-Erzählung (wie Höhlengleichnis, Tyrann, Atlantis usw.) und den daraus abgeleiteten (Verschwörungs-)Mythen würde auch ich stärker ziehen als Popper – und viele PlatonikerInnen selbst… 🤦♂️
Plane eine eigene Folge zur popperschen Platon-Kritik.
Darum geht es ja primär auch. Die Ideen Platons und wie sie wirken, werden von Popper kritisert, nicht Platon selber.
Man sollte allerdings auch nicht vergessen, dass sich Platon damals sehr deutlich gegen die damalige Demokratie positioniert hatte. Und gerade diese Aussagen halt auch über die Zeit wirkten.
Dietmar Hilsebein,
ein abschließendes Urteil über die Homöopathie ist nicht zu erreichen.
Die Wirkung eines Medikamentes hängt nicht nur von der “Chemie” ab, sondern auch von dem Patienten der das Medikament nimmt.
Platon ist eine geschichtliche Gestalt. Hahnemann ist eine Gestalt der Geschichte. Wenn man gegen diese Leute schießt, dann bekommen sie nur Beachtung. Langfristig setzt sich das Vernünftige durch.
@ H.Wied
Ob Platon oder Hahnemann, ich finde es immer etwas vermessen, nach heutigen moralischen oder wissenschaftlichen Verständnis über Menschen zu urteilen, die Kinder ihrer Zeit waren. Bei Apotheken.de heißt es:
“Im Grunde war die Entwicklung der Homöopathie ein Protest gegen die medizinischen Verfahren der damaligen Zeit – vom Aderlass über oft giftige Arzneien bis zum Schröpfen –, die Hahnemann wegen der fehlenden Wirksamkeit und der vielen Nebenwirkungen ablehnte.”
Wenn man urteilt, dann müssen die Menschen unter der Berücksichtigung ihrer jeweiligen Zeit beurteilt werden.
Man muß nämlich durchaus annehmen bzw. unterstellen, daß Platon, Hahnemann -wer auch immer- würden sie heute leben, die Größe hätten, ihre eigene Lehre in Zweifel zu ziehen.
Daß heute Menschen nicht auf der Höhe wissenschaftlichen Kenntnisstandes sind oder schlimmer noch, wider besseres Wissen die Leute um des schnöden Mammons willen hinters Licht führen, kann man Platon et al. nicht vorwerfen. Zumal Platon viele Strömungen inspiriert hat -Plotin und Augustinus erwähnte ich bereits, Kant und Schopenhauer darf man auch nicht vergessen- daß es für Laien schwierig sein dürfte, den Überblick zu behalten.
Dietmar Hilsebein,
Um bei der Homöopathie zu bleiben, Hahnemann war ein Kind seiner Zeit und hat Erstaunliches geleistet. Das war keine Kritik an der Homöopathie. Sie hat ihre Berechtigung überall da, wo die Schulmedizin nicht hilft.
Plato dagegen ist viel bedeutender. Er stand an der Zeitenwende, wo mystisches Denken an Einfluss verlor und der Rationalist Aristoteles die Bühne der Wissenschaft betrat.
Ich selbst schätze beide Philosophen , weil sie unterschiedliche Sichtweisen hatten. Platon hat sich mit dem Ding an sich beschäftigt und wie weit wir in das Wesen des Dinges eindringen können.Das Höhlengleichnis ist für seine Landsleute geschrieben um klarzumachen, dass wir “zuerst” das Phänomen des Dinges sehen, den Schatten an der Wand und uns dann von diesem Schatten entfernen müssen , um Klarheit zu gewinnen.
Aristoteles war ein Begriffsphilosoph, dem es um die Methode ging, wie wir Wissen erlangen.
Ich selbst halte es mit Platon, weil der die Ideenlehre begründet hat. Eine Idee ist unsterblich im Gegensatz zu dem einzelnen Menschen. Ideen sind geistiger Natur, man kann sagen sie sind die Abstraktion der Wirklichkeit. Und abstrahieren kann die Natur nicht, das kann nur der menschliche Geist und deswegen ist eine Trennung von Materie und Geist sinnvoll.
@hwied
Zwei Nachfragen:
1. Welche „Ideen“ könnten denn ohne Medien und sie nutzende Menschen „ewig“ überleben?
2. Welche „Ideen“ wären dann nicht in jeder Generation und jedem Jahrhundert immer wieder neu ausgelegt worden? Wenn ich da nur an die krass unterschiedlichen Wahrnehmungen von Gott, Bibel und Jesus denke…
Michael Blume,
man muss unterschieden zwischen einer Vorstellung und einer Idee. Ideen sind zeitlos, weil sie eine Logik zu Grundlage haben. Die Logik ist zeitlos , weil sie immer gilt, unabhängig von der Zeit, der Kultur, weil sie auch die Grundlage der Materie ist, hier mathematisch-physikalische Gesetzmäßigkeit genannt.
Die Idee von der Ursache und Wirkung findet ihren Niederschlag in der Idee eines Schöpfers, in Europa Gott genannt, woanders hat man andere Bezeichnungen.
Die Idee von der “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” die wird immer wieder aufflammen auch ohne Medien. Wenn eine Kultur einen bestimmten Reifegrad erreicht hat, dann sind diese Ideen die Ausprägung des Reifestandes.
Das was sich ändert, das sind die Vorstellungen über die Idee, die Ausformung der Idee. Leider kann diese Ausformung die Idee in ihr Gegenteil verkehren, wie es die Geschichte bei den Judenverfolgungen und den Hexenverbrennungen gezeigt hat. Dass gerade die christlichen Kirchen sich dabei hervorgetan haben, das begreife ich bis heute nicht.
Danke, @hwied. Ich glaube tatsächlich nicht an „ewige Ideen“, sondern an eine multidimensionale Wahrheit, der wir uns tastend, forschend, dialogisierend annähern. Wir sind keine Gefangenen in einer Höhle – und es waren genau solche platonischen, später antisemitischen & sexistischen Verschwörungsmythen, die auch die Kirchen ⛪️ lange vergiftet haben.
@einer
Zu Platos Zeit ist ja noch völlig ungeklärt, wie sich Demokratie und Rechtsstaat zueinander verhalten müssen. Sokrates hatte sich im Arginusenprozess als Gerichtspräsident ja sehr viel Ärger eingehandelt, als er den Prozess nach dem geltenden Recht durchführen wollte und nicht dem Populismus (wir sind das Volk- darum dürfen wir die Gesetze ändern, wenn es uns passt) nachgab.
Erst Aristoteles unterschied zwischen der Demokratie und der Ochlokratie (Pöbelherrschaft). (Kleine biblische Anmerkung: Das Johannesevangelium verwendet bei der Verurteilung Jesu für die Menschenmenge genau diesen Begriff: “ochlos”. Es ist, so habe ich gelernt, eben nicht das “jüdische Volk” sondern ein Jerusalmer Pöbel. )
Zu den “Ideen”: Ich denke, es gibt Grunderfahrungen des Seins, die allen Menschen, ja teilweise allen Lebewesen gemeinsam sind.
Zu den letzteren würde ich den Prozess der Trauer und des Verlustes rechnen.
Bei der Idee Gott haben wir nach P. Heidrich sowieso nur vier Grundformen zur Verfügung, die in unserer körperlichen Konstitution begründet sind.
A.K. Szagun konnte übrigens in Rostock experimentell nachweisen, dass alle Kinder eine Vorstellung von Gott haben (ist jetzt sehr zugespitzt- mehr ein anderes Mal.
@ Blume
“Ich glaube tatsächlich nicht an ‘ewige Ideen'”
Ich schon. Denn es muß etwas geben, das die Erscheinung (auf der Höhlenwand) hervorbringt! Sonst wäre ich ja Solipsist.
“sondern an eine multidimensionale Wahrheit, der wir uns tastend, forschend, dialogisierend annähern.”
Sehen Sie, Sie bemühen sich, im Reigen Ihrer Forscherkollegen, sich Stück für Stück von den Fesseln zu befreien -sich also herumzudrehen. Eine “multidimensionale Wahrheit” gibt es freilich nicht. Was es gibt, ist, daß man sich der Wahrheit annähern kann. Eine “multidimensionale Wahrheit” macht die Wahrheit beliebig, hängt die Fahne nach dem Wind. Das sollte nicht sein. Es sollte aber auch nicht sein, sich selbst zum Guru zu machen oder einem Guru nachzulaufen. Sapere aude! im Sinne Kants ist hochaktuell. Und dennoch muß es etwas geben, das meine Vernunft leitet, denn wie wäre es mir sonst möglich, “Vernunft anzunehmen”?
Nein, @Dietmar Hilsebein – wir sind keine Gefangenen in einer Höhle, die durch „Umdrehen“ die Wahrheit erblicken würden. Aus diesem Verschwörungsmythos speist sich ja der Anspruch von Gurus, die die Wahrheit behaupten schon gesehen zu haben.
Stattdessen nähern wir uns gemeinsam der Wahrheit, von der wir etwa durch empirische Wissenschaft, Theologien / Philosophien, Literatur und Recht je unterschiedliche Dimensionen zu erfassen suchen. Platonismus und vermeintlich unfehlbare Führer schaden dabei nur.
@Ewige Ideen
Mit Ideen meint man meistens, was sich Menschen denken können. Das ist immer wieder neu, und auch öfter ziemlich speziell menschlich sowie individuell.
Wenn es sich auf ganz bestimmte Sachverhalte bezieht, wird es aber manchmal doch sehr absolut. Zum Beispiel die Idee vom Wildschwein an sich hat einen harten Kern in der Wirklichkeit, nämlich dass eine Tierart als sexuelle Fortpflanzungsgemeinschaft wirklich absolut abgegrenzt existieren kann. Oder eben das aktuelle Coronavirus, genetisch fast identisch verursacht es Covid19, und ist damit ein Ding an sich, dass eine Art ewiges Urbild hat.
Aber wenn das Coronavirus in den nächsten Jahrzehnte mutiert, und sich gleichzeitig die Menschen durch Immunität daran anpassen, wird es sich als Ding an sich auch wieder verändern, aufspalten oder auch wieder ganz verschwinden.
Der genetische Code sorgt bei Tierarten wie Viren dazu, dass hier eine ewige Idee denkbar wird. Der Code selbst ist hier das Urbild.
Mit den meisten Sachen ist das nicht so einheitlich. Bei Bergen zum Beispiel. Hier ist jeder Berg vergleichsweise einzigartiger, es gibt eben keinen Bergcode in der Natur.
Wieder anders verhält es sich mit chemischen Elementen und deren Verbindungen, den Molekülen. Hier hat die Natur eine Art Legobaukasten hervorgebracht, der auch absolut gültig ist. Die Idee von Methan wird jede intelligente Spezies im gesamten Universum irgendwann entdecken, und in ihrer Chemischen Industrie entsprechend seiner Eigenschaften einsetzen.
In der Chemie gibt es eben tatsächlich Urbilder, bei Bergen oder Stränden ist es dagegen uneindeutig, mit fließenden Übergängen und je nach Weltgegend in verschiedenen Varianten vorkommend, gibt es hier kein eindeutiges Urbild.
Zu Platons Zeiten waren die heute bekannten tatsächlichen Urbilder allesamt nicht bekannt. Von Genetischem Code und von chemischen Formeln wusste man rein gar nichts, hat aber in der Natur durchaus beobachten können, das es eben Wildschweine, Sumpfgas und andere Chemischen Verbindungen gibt, die sich verhalten, als würden sie Urbildern folgen.
Die Idee war naheliegend, dass alle Formen dieser Welt ihre Urbilder haben könnten. Heute weiß man da einfach mehr: Es gibt allerhand, dass fest existiert wie nach einer ewigen Idee, aber das Meiste zwischen Himmel und Erde ist dann doch vielfältig, variabel, subjektiv und vorübergehend. Und muss wirklich ständig neu gedacht, diskutiert und ausgelegt werden.
Wichtig ist hierbei, dass unsere Konstitution sehr gut geeignet ist, diese Welt zu entdecken, zu entschlüsseln, zu verstehen und uns sehr wohl zurecht zu finden, sowie auch unsere Freude an der Welt um uns herum zu haben. Als Kulturwesen mit einer inzwischen weltweiten Zusammenarbeit erreichen wir eine Effektivität, die es uns sogar ermöglicht, dass wir gemeinsam Wissenschaft betreiben und uns gemeinsam um weltweite Probleme wie den Klimawandel kümmern können.
Und wir können auch mehr Freude an diesem Planeten haben, wenn wir weniger arbeiten müssen, und umso mehr Zeit haben, persönlich die Welt kennen und lieben zu lernen. Hierbei kommt uns unsere Konstitution auch gut entgegen. Mit unseren eigenen Sinnen ist diese Welt wohl recht optimal wahrnehmbar, in abgespeckter Form sogar auf Bildschirmen zu bewundern.
Wie interessant mag das noch werden, wenn wir mal tausende von belebten Exoplaneten kennen und kilometergroße Riesenweltraumteleskope haben, mit denen wir da Details von beobachten können?
Tobias Jeckenburger, Michael Blume, Dietmar Hilsebein,
Den unterschiedlichen Auffassungen zu dem Begriff der Idee möchte ich noch einen Gedanken hinzufügen.
Um mal bei Herrn Jeckenburger zu beginnen. Diese Sichtweise geht in Richtung Ursprung , dem geschichtlichen Ursprung , Herr Hilsebein denkt auch in dieser Weise und da es nur einen Ursprung gibt, ist die Idee davon nicht multidimensional.
Ich meine , Idee und Vorstellung sind nur zwei verschiedene Sichtweisen. Die Idee abstrahiert, sie ist das Konzentrat, das immer galt und immer gilt unabhängig von der Zeit. Die Geisteswissenschaften nennen das ein Prinzip. Zum Wesen des Prinzips gehört es, dass es nicht erklärt werden kann. Principe = das Erste. Ihm folgt nur etwas nach.
Die Vorstellung geht in die andere Richtung, in Richtung Zukunft. Sie malt die Idee aus, macht Bilder von ihr. All das , was die Religion von der Idee “Gott” macht. Sie gibt ihm menschliche Eigenschaften. Und das führt direkt in einen Widerspruch, den wir als Theodizee kennen, die als Beweis für die Nichtexistenz Gottes benutzt wird.
Und deshalb sei hier mal auf den Dekalog verwiesen, wo ausdrücklich verboten ist, sich ein Abbild von Gott zu machen. Ein Abbild setzt eine Vorstellung voraus. Und diese Vorstellung führt zu den Mythen, die Herr Blume so vehement anprangert.
Herr Blume , sie denken sich Idee als Vorstellung und damit sind sie gegen Platon. Wenn man sich Idee als den letzten Grund denkt, als letzte Abstraktion, dann kommt man zur Genesis. “Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.”
Da ist kein Platz für Vorstellungen, das ist das was Plato meint, das was ewig ist und war und bleiben wird.
In der Philosophie nennt man diese Denkweise Idealismus.
Leider kann ich Ihnen hier – auch als Christ – nicht zustimmen. Ein „Wort“ steht für einen kommunikativen Prozess, setzt Sprechen & Hören, also Leben voraus. Die von Ihnen stattdessen eingesetzte, platonisch-ewige Idee ist dagegen ewig, transzendent und unpersönlich – bei Platon sogar noch durch Gaukelei verborgen. Das ist platonische und regelmäßig verschwörungsgläubige Gnosis, aber nicht mehr semitisch, nicht mehr jüdisch und also auch weit vom Rabbi Jesus und den Verfassern der Evangelien entfernt.
Joh. 1.1 ff spielt aber doch unverkennbar an auch auf Platon und/oder Heraklit? Semitisch sieht mir das in der Entfaltung jedenfalls nicht aus, auch wenn angespielt wird auch auf Gen 1.1.
Oh ja, wieviel Hellenismus und Antisemitismus schon im Johannesevangelium steckt, ist eine wichtige, theologische Debatte. Liest man Johannes auch noch platonisch, wird es furchtbar… 😰
Wie sehen Sie Aussage aus der Bibel, die Gott als unveränderliche ewige Konstante beschreiben?
Sind die erste durch eine Hellenisierung in das Judentum gekrochen, oder waren diese Ideen schon vorher drin?
@einer
Nach meiner Auffassung „sagen“ religiöse Texte gar nichts ohne die Menschen, die sie deuten. Zudem ist „die Bibel“ kein geschlossenes Werk, sondern aus zahlreichen Quellen zusammengewachsen. Und ich gehe auch – etwas irritiert – davon aus, dass Sie all das selbstverständlich wissen. Was also sollte diese seltsame Frage? 🤷♂️
Man sieht in der Bibel auch im Alten Testament einzelne Texte, die Platon vorauszusetzen, daher die Frage .. was war zuerst Platon oder das Alte Testament.
Auch so sehe ich vieles in der Bibel was gut zu Platon zu passen scheint. Man kann natürlich auch unabhängig von Platon aufähnliche Ideen kommen.
Und das, was wir kennen, @einer, nehmen wir dann auch selbstverständlich häufiger als „passend“ wahr. Auch deswegen liest keine Generation den gleichen Text in gleicher Weise…
Michael Blume,
sehr gut, jetzt verstehe ich Ihre Denkweise. Bildhaft gesprochen “die Schöpfung ist noch nicht zuende” Richtig ?
Nicht dass sie denken, ich wäre ein “Wortgläubiger “. Die Sprache hat ihre Grenzen, genau wie die Mathematik ihre Grenzen hat. Erkenntnis gewinnt man nicht nur über Denken und Sprache, sondern auch über Gefühle und Erlebnisse.
Dieses philosophische Gespräch sehe ich auch nicht als einen Widerspruch, es war ein Gedankenaustausch, der zum Nachdenken anregt.
In diesem Sinne verabschiede ich mich für kurze Zeit, was Sie meinen ist logisch, aber eben nicht in meinem Sinne.
Bleiben Sie bei Ihrem Kurs !
Ja, @hwied. Wenn Sie so wollen, verstehe ich den Gott Jesu nicht platonisch als abgeschottetes Sein, das ein paar ewige Ideen in die Zeit gelassen hat, sondern semitisch als ein lebendiges Gegenüber.
Entsprechend auch Ihnen Dank für den lebendigen, wort-reichen Dialog.
@Michael Blume
Du schreibst weiter oben: „und es waren genau solche platonischen, später antisemitischen & sexistischen Verschwörungsmythen, die auch die Kirchen lange vergiftet haben“.
An anderer Stelle vertrittst Du die Ansicht: „Platonismus und vermeintlich unfehlbare Führer schaden dabei nur.“
Letzteres mag zutreffen. Fakt ist jedoch, dass die griechische Philosophie das westliche Denken maßgeblich beeinflusste, wovon auch die Kirche nicht verschont blieb. So benutzte beispielsweise der Kirchenvater Augustinus Platons Philosophie, bzw. den Neoplatonismus, für seine Auslegung der Bibel, um die Autorität der Kirche zu erhöhen. Von den einfachen Gläubigen waren nur wenige in der Lage diesen geistigen Höhenflug zu verstehen, was dazu führte, dass die römische Kirche den Laien das Lesen der Bibel verbot und sämtliches Wissen, das aus der Antike stammte, zu unterbinden versuchte. Kritiker behaupten, die Kirche hätte so dazu beigetragen, das Abendland länger als nötig im finsteren Mittelalter zu belassen. Strenggenommen hat sich die Kirche damit selbst „vergiftet“. Seit einiger Zeit ringt allerdings auch die Theologie mit der “Leib-Seele-Problematik”, die durch die Aufnahme platonischen Gedankenguts ins frühe Christentum entstand, weil man sich dadurch vom ursprünglichen Glauben entfernte und eine ontologische Aufspaltung der Wirklichkeit in Diesseits und Jenseits schuf. Zudem wird der Leib-Seele-Dualismus platonischer Prägung, der das christliche Denken bis heute bestimmt, von immer mehr Menschen in Frage gestellt, weil er nur schwer mit der modernen Hirnforschung in Einklang zu bringen ist.
Dazu Zustimmung, @Mona. Wobei ich mir den Hinweis erlaube, dass Platon natürlich nicht alleine „die griechische Philosophie“ repräsentiert, sondern n.E. sowohl von seinem Lehrer Sokrates wie auch z.B. von Aristoteles in vielem übertroffen wurde. Nicht zuletzt im Verzicht auf elitäres Geraune und Obskurantismus (der sich freilich teilweise aus Platons Biografie erklärt).
@hwied, @Michael Blume / Im Anfang war das Wort
Excusez-moi messieurs, aber diese Worte stehen im Johannes Evangelium, nicht in der Genesis:
Selbstverständlich tun sie das, @Chrys. Sollte jemand von uns dies irrtümlich anders verortet haben? 😳🤷♂️📖
Ich frage mich, ob das semitische `a m a r und das griechische logos wirklich identisch sind.
Liegt hier vielleicht schon ein sprachlicher Unterschied vor?
Selbstverständlich, @j., ist schon jede Übersetzung auch eine neue Deutung. Ohne Septuaginta auch kein Christentum (wie wir es kennen).
Wow, wo wir einen Fachmann hier haben, das wollte ich schon immer mal wen fragen: Gen 1.1, wie weit ist „en arche“ eine korrekte Wiedergabe von „berreschit“? Hätten sich da nicht andere altgriechischen Übersetzungen besser angeboten?
Denn en arche ist in der Vorsokratik in einer Weise aufgeladen, wie ich sie Himmel und Erde eben gerade nicht zugesprochen sehe. Es sind keine Urstoffe wie Tales das Wasser, Heraklit das Feuer.
@hwied Gott
Den Ursprung der kosmischen Geisteswelt würde ich dann naheliegenderweise in den Urknall verlegen. Wo sie bzw. er schon mal direkt dabei ist, hätte er auch gleich die Gelegenheit, die Details der Naturgesetze so auszuarbeiten, dass hier Sterne, Planeten, Leben, Menschen und menschliches Bewusstsein draus werden kann.
Im weiteren Verlauf der 13,8 Mrd Jahre ist im Kosmos eine Menge passiert. Wir Menschen sind gerade dabei, zu verstehen, wie das alles funktioniert. Mag sein, dass so manche außerirdische Intelligente Art schon ein paar Milliarden Jahre weiter ist. Aber offenbar lassen die uns – zumindest vorerst – in Ruhe.
Überhaupt sind die Distanzen zwischen belebten Planeten so groß, dass man miteinander eigentlich nichts zu tun hat. Von daher ist der Mensch im weiten kosmischen Umkreis von mindestens 100 Lichtjahren die einzige Intelligenz, und die Abteilung des kosmischen Geistes, die sich mit uns befasst, ganz auf uns und unseren Planeten konzentriert.
Was Verschwörungsmythen und Mythen von einer bösartigen Übermacht in der Geisteswelt angeht, so denke ich dass das wirklich unzutreffende Fantasien sind. Eine Zerstrittene Geisteswelt könnte so wenig funktionieren wie ein Internet, in dem sich die Server und Netzknoten gegenseitig bekriegen würden. Daher gehe ich von einer durchgängig organisierten Geisteswelt aus, der man grundsätzlich vertrauen kann.
Streit und Kampf der Menschen um Macht, Reichtümer und Lebensraum sind unser eigenes ganz menschliches Bestreben. Die Geisteswelt muss damit nur leben, sie initiiert dieses nicht. Die Fähigkeit des Menschen zur Zusammenarbeit steht auf der anderen Seite, und bringt die Perspektive ein, die wir angesichts unserer umfassenden Wirkung auf den ganzen Planeten brauchen. Hier würde ich dann tatsächlich auch mit geistiger Unterstützung seitens der Geisteswelt rechnen.
@Tobias … die Server und Netzknoten bekriegen sich durchaus im Internet. (natürlich nicht alle)
Es war ein wichtige Eigenschaft bei der Entwicklung des Internet, dass es trotzdem weitgehend funktioniert.
Tobias Jeckenburger,
abschließend, weil Sie sich soviel Mühe gemacht haben.
Die Geisteswelt ist schon ein Widerspruch in sich, denn der Geist unterliegt nicht den Kategorien von Raum und Zeit.
Geist ist die Ursache des Materiellen, die Möglichkeit, dass es Materie gibt. Und der Geist beantwortet die Frage, warum gibt es das Universum ?
Das muss sich jeder selbst beantworten.
Eine Überlegung:
sind die Verschwörungsmythologien eventuell durch eine überholte Metaphysik begründet. (Metaphysik hier als Begriffslehre der Philosophie verstanden)
Der Wahrheitsbegriff der Antike ist: a-lanthos: unverborgen und geht von einem naiven Erkenntnisoptimismus aus.#
Der Wahrheitsbegriff seit Thomas von Aquin: Wahrheit ist Übereinstimmung der Dinge mit dem Verstand.
Hat das Geraune von der Verschwörung möglicherweise mit der Kränkung durch diesen modernen Wahrheitsbegriff zu tun?
Ist es die naive Sehnsucht zurück zu wyswyg( What you see, is what you get) ?
@Michael Blume / 24.08.2020, 15:39 Uhr
Eigentlich steht da Λόγος. was als eine christliche Denkfigur mit “Wort” freilich völlig unzureichend übersetzt ist und auch nicht für einen “kommunikativen Prozess” steht — das ergäbe hier doch gar keinen Sinn.
@hwied hat insofern schon recht, als damit ein (personifiziertes) Prinzip gemeint ist, das ersichtlich der stoischen Idee von λόγος entlehnt und mit der Figur des Christus verknüpft wurde.
Das ist dann nicht mehr die traditionelle bibl. Genesis; hier werden hellenist. Vorstellungen christlich assimiliert. In diesem Fall aber gerade nicht eine platonische, sondern eine stoische Vorstellung.
Wird jetzt klarer, was mir dabei alles falsch verortet vorkommt?
Ja, @Chrys – hier hat m.E. ja auch niemand bestritten, dass das Johannesevangelium bereits (Jahrzehnte nach Jesu Kreuzigung) hellenistische Einflüsse aufweist. Umso schlimmer, wenn man es dann noch platonisch überformt. Zum Beispiel, indem man Logos / Wort mit apersonalen, platonischen Ideen verbindet und sich damit ggf. auch noch gnostische Verschwörungsmythen einfängt.
@ Blume
“Nein, @Dietmar Hilsebein – wir sind keine Gefangenen in einer Höhle, die durch „Umdrehen“ die Wahrheit erblicken würden. Aus diesem Verschwörungsmythos speist sich ja der Anspruch von Gurus, die die Wahrheit behaupten schon gesehen zu haben.”
Ja, ich weiß jetzt, daß man das so sehen kann. Ich behaupte mal, hab’ sogar mit meiner Freundin drüber geredet, daß die Mehrheit der Leute in der Schule oder im Studium, wenn das Höhlengleichnis zur Sprache kam, dies erkenntnistheoretisch im Sinne Kants aufgefaßt haben. Der Erlösungsgedanke im Sinne Augustinus’ dürfte den meisten völlig fremd sein.
“Stattdessen nähern wir uns gemeinsam der Wahrheit…|…je unterschiedliche Dimensionen zu erfassen suchen.”
Mit dieser Formulierung bin ich einverstanden, das war ein Mißverständnis meinerseits. Mir ist nur wichtig, daß die Wahrheit im Singular steht.
@hwied 24.08. 18:17
„Die Geisteswelt ist schon ein Widerspruch in sich, denn der Geist unterliegt nicht den Kategorien von Raum und Zeit.“
Kosmischer Geist kann sich sicher auch wirklich außerhalb der Kategorien von Raum und Zeit bewegen. Wenn sich ein Teil der Geisteswelt mit unserem konkreten psychischem Leben befasst, muss sich das aber auch an unseren Ort und an unsere laufende Zeit halten.
„…,warum gibt es das Universum?“
Weil es schön ist und Spaß macht, darin zu leben, vielleicht?
„Das muss sich jeder selbst beantworten.“
Jeder hat seine Traditionen, sein eigenes Wissen und seine eigenen spirituellen Erfahrungen. Von daher sind Mythen schon unbedingt vielfältig. Aber mehr Wissen, vielleicht auch mehr Theologie und Religionswissenschaft, und am Ende sogar Hirnforschung könnten den Raum des Wissens auf Kosten des Raums der Mythen doch noch etwas reduzieren. Aber klar, das Leben wird immer zumindest zu einem guten Teil persönlich bleiben.
@j „Ist es die naive Sehnsucht zurück zu wyswyg( What you see, is what you get) ?“
Warum nicht? Mensch muss mit dem arbeiten, was in seinen eigenen Kopf passt. Der eine hat Zeit und Muße zu philosophieren, der andere nicht. Das Leben bleibt persönlich. Zuweilen primitiver Pöbel – aber aus wessen Sicht? Auch einfache Menschen machen sich ein Bild von der Welt. Und dieses unterscheidet sich mehr oder weniger von der akademischen Welt. In der Demokratie nochmal konfliktträchtig, aber ok. Das geht eben nicht anders.
Streiten muss also sein. Wenn es um Fakten geht, aber auch wenn es um die Qualität von Mythen geht. Einfach ad hominem Menschen, die Unsinn glauben, den Mund verbieten und das Wahlrecht entziehen ist schwierig.
Woran liegt das eigentlich? 🤔 Physiker und Künstler erlernen ihr Handwerk, um es kreativ zu zerstören und Neues zu schaffen. Juristen und Philosophen erweisen sich stets als strukturkonservativ. Selbst wenn sie, wie Hegel und Heidegger, revolutionär starten.
Hegel war vor allem ein Meister des Rumschwurbelns. Gerade die “dialektische Methode” hat etwas von “ich kann alles beweisen, ob wahr oder nicht, wenn ich nur will.”
Nur weil ein Text nahezu unverständlich ist, was bei Hegel in der Regel der Fall ist, ist es noch keine (gute) Philosophie.
Z.B. in Poppers “Falsche Propheten” finden man einige Dinge, die Hegel bewiesen hat … die völlig absurd und natürlich falsch sind.
Der Hauptunterschied zwischen Hegel und Platon ist, dass Platon einen pessimistischen Historizismus erdachte und Hegel einen optimistischen.
Hegel steht sozusagen für den Fortschrittsglauben. Aber real ist weder früher alles besser gewesen noch wird in der Zukunft alles besser sein.
Die Wirkung der Philosophie Hegels aber ist praktisch die gleiche wie bei Platon. Sie will einen “starken” oder aggressiven Staat, der totalitär sein muss.
So zu lesen bei Popper, Bertrand A.W. Russel u.a.
Beispiel:
(so Russel)
Der rassistische Antisemitismus entstand aus dem (angeblich) religiös motiviertem Antisemitismus.
Es macht am Ende auch keinen Unterschied, ob man Menschen wegen der “falschen” Religion oder der “falschen” Volkszugehörigkeit tötet.
Auch ist der rassistische Antisemitismus nicht 1900 aus dem Nichts aufgetaucht, sondern war schon lange da – man kann ihn problemlos bis 1800 zurückverfolgen. Man denke auch nur an die Hep-Hep-Unruhen 1819. Das Klischee des profitgierigen Juden war 1855 schon etabliert und populär.
Es gab 1878 sogar eine Partei die diesen Judenhass im Programm hatte, die Christlich-soziale Arbeiterpartei!
Das Jahr danach gilt als Geburtsjahr des modernen Antisemitismus …
Was stimmt ist, dass es vor Nazideutschland niemand gewagt hatte einen Völkermord im industriellen Stil durchzuführen. (Völkermord gab es auch schon vorher und auch von Deutschen)
Ich bin bei dieser Diskussion um die Abgründe Heideggers ja immer mit dabei.
Und dann aber stehe ich wieder draußen und schüttele verständnislos den Kopf: Was soll das? Die Nummer ist längst durchdiskutiert! Wir haben diese Diskussion längst schon einmal geführt! Und wir haben gesehen, was dabei rausgekommen ist!
Es war auch noch ein Frankfurter, Ludwig Börne, der feststellte, Goethe sei nun mal der gereimte, und Hegel der ungereimte Knecht Preußens. Müssen wir uns nicht mit befassen, braucht kein Mensch.
Und Heinrich Heine meldete sich zu Wort und meinte, so einfach ist das nicht. Die beiden sind zu groß, an denen kommen wir nicht so ohne weiteres vorbei. Wo wir ja gar nicht fragen brauchen, wie Heine zu Preußen steht. Und am Ende herausgekommen war dann – Marx. Und ich bin überzeugt, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis einer mal Heidegger so vom Kopf auf die Füsse stellt, wie Marx das mit dem Hegel gemacht hat.
Marx ist nicht vom Himmel gefallen. Der war kein junger, genialischer Student, dem erst einmal die Phänomenologie des Geistes umgeblasen hat, und der dann nach einigem Grübeln zu dem Schluß gekommen wäre: Hm, so ganz genau stimmt das noch nicht, das muß man irgendwie noch ganz anders machen. Marx steht am Ende einer längeren Reihe des Linkshegelianismus; ein wichtiges Glied etwa war Feuerbach.
Und so sehe ich heute auch zum einem die orthodoxen „Das Sein ist Gott und Heidegger ist sein Interpret“-Heideggerianer. Den orthodoxen Hegelianern galt Hegel ja auch als letztmögliches Wort der Philosophiegeschichte, das es nur noch in die Details auszuarbeiten gälte (für den Katholizismus zu Zeiten Heideggers wird Thomas von Aquin diese Rolle einnehmen, was Heidegger die Karierre zu einem philosophischen Konkordatslehrstuhl verbauen wird). Auf der Gegenseite die Frankfuturisten: Bah, Heidegger, der olle Nazi, was wollt Ihr mit dem eigentlich noch. Und längst die unorthodoxen Linksheideggerianer – links nicht primär in einem politischen Sinne (wobei freilich Heidegger sich so weit rechtsaußen befindet, daß jeder, der noch alle Tassen im Schrank beisammen hat, weit links von ihm steht) –, die mit Heidegger gegen Heidegger denken, die daran anschließen, weiterbauen, das Ganze noch in eine ganz andere Richtung weiterentwickeln. Konkret hat man sich bislang viel gemüht, das Denken Hannah Arendts produktiv mit dem ihres Lehrers zu verbinden.
Was Marx freilich bei Hegel nicht geleistet hat, das ist, den totalitären Herrschaftsanspruch wissenschaftlich geleiteter Vernunft zu überwinden. Den hat er geerbt, aufgehoben; die Philosophenkönige werden jetzt repräsentiert von der Hauptverwaltung Ewige Wahrheiten der Partei. Das wird, so weit ich das zu sehen vermag, bei Heidegger nicht noch einmal passieren.
Platon glaubt anders als Kant, die „Dinge an sich“ gesehen zu haben. Und die Welt dort oben, jenseits der Höhle, die Wirklichkeit, gar die Sonne selber gesehen zu haben, das ist so faszinierend, daß man den Philosophen überhaupt erst mal wieder beschwatzen muß, in die traurige Höhle zurückzukehren. Zumal ihm dorten auch noch sehr viel Unbill droht von den Ignoranten. Daß ihn die Schattenwelt wieder so gefangen nimmt, daß er noch/wieder was gibt auf so schnöden Tand wie Mammon und Macht, das will Platon gar nicht in den Sinn kommen.
Das war jetzt gegen den Einwand von Kant. Der Philosophenkönig Platons gleicht eher einem buddhistischen Mönch, der seine wahre Buddha-Natur längst erlangt hat, als einem technokratisch orientierten Wissenschaftler an der Macht, von dem Kant postuliert, er würde den Versuchungen kaum widerstehen können, die Macht nun mal mit sich bringt. (Was vermutlich genau das ist, was.im „Wissenschaftlichen Sozialismus“ dann geschehen ist, dem größten Versuch eines Philosophenkönigtums.) Am anderem Ende des Eurasischen Gürtels denkt Laodse übrigens ganz ähnlich über einen Philosophenkaiser nach.
Schopenhauer hatte auch einiges wenig Nettes zu Hegel zu sagen 😉
Aber vermutlich sind alle nicht Hegel Fans
Wie nennt man diese Form von Unargument noch … ach ja argumentum ad hominem war das.
Tobias Jeckenburger,
Geist als Objekt unserer Anschauung, da wären wir bei der Subjekt-Objekt – Spaltung.
Geist steht über Sprache, über Logik, über Zeit und Raum. Am nächsten kommt man ihm als philosophisches Prinzip.
In der Religion wird er heiliger Geist genannt, weil er das Gute im Visier hat, das Gute für alle, das , was die Welt im Innersten zusammenhält.
Der Gedanke von Ihnen, dass das Universum existiert weil es schön ist, das ist schon prophetisch. Das lasse ich undiskutiert so stehen wie es ist.
Und damit sind wir bereits bei den Lügenmythen, Lügen, wenn sie menschenverachtend sind. Lügen sind nicht schön, sie tragen den Keim des Unterganges in sich.
@hwied 28.08. 11:36
„Geist steht über Sprache, über Logik, über Zeit und Raum. Am nächsten kommt man ihm als philosophisches Prinzip.“
Mag sein, aber sofern er sich an den Niederungen der konkreten psychischen Existenz beteiligt, so muss er eben die Nebenbedingen von Zeit und Raum, und auch von Sprache und Logik beachten.
Und ein kosmischer Geist interessiert mich in erster Linie, wenn er sich mit dem Irdischen beschäftigt. Aus welcher Perspektive er dieses nun macht, ist womöglich auch selbst ziemlich irdisch: Das Leben und insbesondere das Bewusstsein, die Subjektivität der eigenen Innenwelt, brauchen einfach geistige Unterstützung, um wirklich vernünftig funktionieren zu können.
Das Endergebnis ist dann hoffentlich als nächstes, dass auch der Mensch sich in die Ökosysteme dieses Planeten wieder so integriert, dass wir in, mit und zusammen mit der übrigen Natur hier unser Paradies wiederherstellen können – zumindest im wesentlichen.
„In der Religion wird er heiliger Geist genannt, weil er das Gute im Visier hat, das Gute für alle, das , was die Welt im Innersten zusammenhält.“
Was jetzt darüber hinaus geht, an Eigenschaften und Agenda des kosmischen Geistes, so würde ich diese Fragen gerne einfach für das 22. Jahrhundert aufschieben. Und erstmal die dringenden Probleme des 21. Jahrhunderts anfassen.
Soweit hier religiöser und weltanschaulicher Fanatismus und die folgende Intoleranz problematisch sind, so wäre hier gerade mein Vorschlag, doch erstmal die offensichtlichen irdischen Angelegenheiten zufriedenstellend zu gestalten, und den Streit um den richtigen Glauben weiter hinten anzustellen.
Zu dem Zeitpunkt, wo sich das System als massenmörderisch herausstellte, hat Heidegger es schon lange nicht mehr unterstützt. Er hielt es für einen Teil, gar Steigerung des Problems, dessen Lösung er sich eigentlich vom Nationalsozialismus erhoffte: Der Frage nach der Technik.
Noch einmal zum “Philosophenkönig”
Zu Platos Zeit, das ist auch bei Xenophons Sokratesdarstellung deutlich, gab es keine wissenschaftlich ausgebildeten Menschen, außer vielleicht den Sophisten, zu denen die Volksmeinung damals auch Sokrates (Aristophanes Die Wolken) rechnete.
Platos Forderung nach Philosophenkönigen kann man auch verstehen als die Forderung nach wissenschaftlich qualifiziertem, politischen Führungspersonal.
Diese Forderung halte ich doch grundsätzlich für berechtigt.
Man muss sich klarmachen: jeder Ausbildungsberuf hat heute mehr naturwissenschaftliche und mathematische Bildung als Plato oder Aristoteles selber; die Anforderungen im Abitur in Mathematik übersteigen die Kenntnisse von Professoren des 16. Jhds. nach Christus. (Dieses Beispiel wählte ich, weil ich mich hier besonders gut auskenne- nicht in Mathematik sondern in Wirtschaftsgeschichte)
Insofern war diese Forderung damals gerechtfertigt (möglicherweise). Zu Heideggers Zeiten war sie lächerlich, wenn auch weit verbreitet. (z.B. im rumänischen Traire oder dem italienischen Futurismus).
Der zweite wichtige Quell für Verschwörungstheorien wurde noch gar nicht erwähnt: Carl Schmitt https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt
Dort sollte man auch noch einmal hinschauen
Der Nazi sagt zum Juden,
Ich mag dich nicht,
Ich hasse dich wegen deiner Talente, Gott gegeben, dass ich nicht lache,Wer braucht Gott?
Ein Alibi für deine Gier!
Scheiss Jude!
Diene mir!
Was, du kannst das nicht machen, dann mach ich Rauch aus dir und deinen Sachen,
nur deine Talente, die raub ich mir, so eigne ich mir an deine Gier.
Mythen dekonstruieren und neu konstruieren? Sprich eine Verbesserung erreichen?
Es gibt den Antisemitismus ja schon sehr lange. Sie betonen immer wieder, dass dem der Bildungsneid zugrunde liegt. Die Menschen des Mittelalters hatten nur wenig Bildung, was von der Obrigkeit so gewollt war. Wussten diese Menschen überhaupt etwas über das Judentum? Schreiben und Lesen war den Klöstern vorbehalten. Wenn wir uns die Gründung der Universität Tübingen ansehen, dann lag dem Akt der Gründung eine antisemitische Handlung zugrunde. Die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung aus Württemberg. Lagen Hass auf und Hetze gegen die Juden nicht auch an Unwissenheit der Bevölkerung? Außerdem hat die Kirche noch bis in unsere Zeit an der üblen Schuldzuweisung an die Juden festgehalten, was den Tod Jesu betrifft. Dieser Mythos sollte aber doch mittlerweile dekonstruiert sein.
Der in Deutschland lange Zeit populäre Mythos der Nibelungensage hat sich weitgehend in Luft aufgelöst. Es gibt noch die Musikdramen Richard Wagners, aber die Nibelungentreue spielt keine große Rolle mehr. Handelt es sich hierbei also um die Zerstörung eines Mythos? Und womit wurde er ersetzt? Denn wenn ich Sie richtig verstehe, brauchen wir Menschen Mythen.
Im Zuge meines Interesses für Literatur und Theater fiel mir in einem Buch aus dem Jahr 1987 etwas auf, das mich verblüfft hat. 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, jährte sich der Todestag von William Shakespeare zum 300. Mal. Im Hoftheater gab es über Wochen hinweg Stücke von Shakespeare zu sehen. Shakespeare! Der englische Nationaldichter. In Frankreich standen sich deutsche und britische Soldaten im erbitterten Kampf gegenüber. In einem deutschen Hoftheater rühmte der Festredner Shakespeare und seinen Einfluss auf die deutsche Sprache. Aus heutiger Sicht ist das wohl ebenfalls ein Mythos. Das vollbesetzte Haus applaudierte. Der Festredner war Theodor Heuss. Manchmal werden eben auch positive Mythen entzaubert.
So ist es, @Marie H.
Nach meiner Einschätzung brauchen Menschen monistische Mythen (bzw. genauer: monistische Auslegungen von Mythen), um in Demokratien überleben zu können. Freilich werden immer und buchstäblich täglich auch relativistische (v.a. Werbe-)Mythen und dualistische Verschwörungsmythen verbreitet. Wer glaubt, durch immer mehr Geld und Güter glücklich zu werden oder sich gar als Opfer einer demokratisch-jüdischen Weltverschwörung fantasiert, ist für extreme Parteien und Tyrannophilie (der Sehnsucht nach autoritären Anführern) bereits ansprechbar geworden.
Sogar KIen wie ChatGPT haben die drei Grund-Weltanschauungen des egozentrischen Relativismus, feindseligen Dualismus und dialogischen Monismus bereits gut drauf. Hier einen Blogpost dazu, auch mit Star Wars-Bezügen:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/relativismus-dualismus-und-monismus-auf-twitter-mastodon-chatgpt-und-instalive/
Danke auch für den schönen Hinweis auf Theodor Heuss! Diesen unseren ersten Bundespräsidenten achte ich sehr, habe auf Einladung der nach ihm benannten Bundesstiftung sein Haus in Stuttgart “offiziell” besucht und erst vor Kurzem an der Theodor-Heuss-Preisverleihung für Düzen Tekkal & weitere Engagierte teilgenommen:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/bin-kein-optimist-mehr-aber-habe-noch-hoffnung-die-feuer-des-hasses-als-gedicht/
Zu Heuss und gerade auch seiner noch zu wenig bekannten, beeindruckenden Gattin Elisabeth Heuss-Knapp plane ich auch in Zukunft verschiedentlich zu bloggen.
Ihnen Dank für Ihr konstruktives Interesse und einen guten Wochenstart!
Vielen Dank. Heuss sprach am 23.04.1916 im Kgl. Hoftheater in Stuttgart bei einer vom württ. Goethebund veranstalteten Morgenfeier. Ein Bericht über die Veranstaltung erschien am 25.04.1916 in der Württemberger Zeitung. Zitat: “Zum Schluß legte Dr. Heuß noch dar, was Deutschland, die deutsche Geisteswelt und nicht zuletzt die deutsche Nationalsprache dem großen Briten schuldet. Aufs lebhafteste dankten die das ganze Haus bis auf den letzten Platz füllenden Zuhörer dem Redner, der auch in der Darlegung verhältnismäßig schwieriger Fragen stets anschaulich geblieben war, da er nichts Fertiges vorlas, sondern in freier Rede das ganze Bild vor dem Hörer sozusagen erst entstehen ließ. Und bekanntlich zwingt nur eine solche Vortragsart zum Mitgehen und Mitdenken.”
Die Informationen entnahm ich den entsprechenden Seiten online der WLB.
Lieben Dank für den schönen Fund in der Druko, @Marie H.!
Die Ausführungen aus der Württemberger Zeitung von 1916 erinnern mich auch an eine Auswertung der Copilot-KI vom Wochenende zum Konzept der dualen Rede, vgl. hier:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-rede-zu-stuttgart-haelt-zusammen-2024-dual-und-monistisch/#comment-151559
Ich stimme zu, dass die frei vorgetragene Rede der “Vorlesung” vorzuziehen ist. Es ist ja heute möglich, eine geschriebene Rede digital zu veröffentlichen, sich in der Redesituation aber frei und spontan in die Situation und zum Publikum zu äußern.