Ablass per Twitter – Welche Religionen und Weltanschauungen gewinnen im Internet?

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Als mächtiges Medium verändert das Internet nicht nur Prozesse der Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern natürlich auch der Religion(en). Ein lebendiges Interview durch Tinia Würfel von Radiobremen über die religiösen Gewinner und Verlierer der neuen Online-Welten nehme ich als Anlass, noch einmal jene “drei Gewinner” zu benennen, die sich meines Erachtens abzeichnen.

Dies sind 1. antitheistisch-religionsfeindliche Strömungen, 2. stark personalisierbare Religionsgemeinschaften wie die katholische Kirche und der tibetanische Buddhismus und 3. kundennahe, oft fundamentalistische und esoterische Anbieter wie z.B. Intelligent Design-Kreationisten und Engelreligionen. Schauen wir uns diese drei doch einmal näher an.

Medien und Weltanschauungen

Jeweils neue Medien haben auf die Religionsgeschichte enorme Einflüsse ausgeübt. Ohne die Erfindung der Schrift wäre der Siegeszug des doch sehr abstrakten, abrahamitischen Monotheismus kaum denkbar gewesen – Juden, Christinnen und Musliminnen, aber auch z.B. Buddhistinnen und Taoisten und später Kommunisten stützen ihre Traditionen und Gemeinschaften maßgeblich auf “Heilige Schriften”, die immer wieder neu ausgelegt werden.

Ebenso sind auch z.B. die heute auf oberflächliche Beobachter “mittelalterlich” wirkenden Old Order Amish Kinder des Buchdruckes – erst die Verfügbarkeit der Bibel für einfache Leute ermöglichte Entstehung und Ausbreitung der Wieder- bzw. Erwachsenentäuferbewegung.

Derzeit wirbelt das Internet die religiösen Erfahrungswelten insbesondere der jüngeren Generationen um. Beispielsweise kommen junge, häufig bildungserfolgreiche Mormoninnen und Mormonen heute sehr viel leichter auch an kritisches Material und in Kontakt mit Zweiflern, als dies früher der Fall war.

Tatsächlich zeichnen sich als Gewinner der neuen Medien ab…

1. Antitheistisch-religionsfeindliche Strömungen

Der Aufstieg des so genannten “Neuen Atheismus” ist maßgeblich auch ein Internetphänomen. Denn zum einen wird die Internetkultur zumindest in ihren neuen Bereichen maßgeblich von rational hochgebildeten, meist kinderarmen Männern geprägt – der am wenigsten religiösen bzw. religionskritischsten Schicht in wohlhabenden Gesellschaften. Entsprechend prägt eine religionsferne bis abwertend-höhnische Kultur noch immer weite Bereiche der Online-Kultur. In Bereichen wie den Sozialen Medien (Facebook & Co.), in denen sich auch Frauen und Männer mit Kindern einbringen, bilden sich dagegen auch häufiger religiöse Enklaven (vgl. 3.).

Hinzu kommt, dass sich der Antitheismus wesentlich über die Absage an Religion(en) definiert – darüber hinaus gibt es z.B. in politischen Fragen wenige Übereinstimmung, zumal sich einzelne Antitheisten häufiger auch auf bestimmte Gegner (wie die katholische Kirche, den Islam, das Judentum, die Esoterik etc.) “einschießen”. Vor der Entstehung des Internets war es für Antitheisten entsprechend schwer, sich gemeinschaftlich zu organisieren. Heute sind dagegen Gruppen, die die gleichen Neigungen und Abneigungen teilen, oft nur wenige Klicks entfernt und bilden für die Betreffenden Online-Resonanzräume, in denen sie einander bestätigen und sich hochpuschen können.

2. Stark personalisierbare Religionsgemeinschaften wie die katholische Kirche und der tibetanische Buddhismus

Viele Beobachterinnen rieben sich verblüfft die Augen, als sie lasen, dass katholische Christen (unter bestimmten Bedingungen) per Twitter-“Folgen” einen Ablass auf ihre Sündenstrafen im Fegefeuer erhoffen dürfen. Kirchlich-theologisch ist aber die Nutzung neuer Medien (wie eben Twitter) nicht grundsätzlich schlechter zu bewerten als die Nutzung klassischer Medien (wie religiöse Bücher oder religiöses Radio). Gerade auch aufgrund ihres hohen Alters hat die römisch-katholische Kirche sogar schon einen ziemlich großen Erfahrungsschatz in der Aufnahme “neuer” Medien angesammelt – bis hin zum vatikanischen Bloggertreff.

Tatsächlich gehört das Papstamt sogar zu den klaren Gewinnern der neuen Medien: War der Papst früher oft weit “hinter dem Berg”, so kann er heute per Facebook, Twitter & Co. binnen Sekunden Millionen von Anhängerinnen und Anhängern erreichen. Noch nie konnte der “Bischof von Rom” seinen Anhängerinnen und Anhängern so schnell so nahe sein wie heute, er ist längst zu einer Art “Klassensprecher der Weltreligionen” geworden.


Jeder Papst ein Superstar. Franziskus in Rom. Foto: Edgar Jimenez

Bewusst betreibt der Vatikan daher nicht nur einen eigenen YouTube-Kanal, sondern nutzt auch die neuen Möglichkeiten, um globale Signale zu setzen.

Sowohl die katholischen Ortsbischöfe wie auch evangelische, islamische, jüdische und buddhistische Kolleginnen und Kollegen haben es da immer schwerer, noch wahrgenommen zu werden – wenn sie nicht wie der derzeitige Dalai Lama selbst ebenfalls personalisierbar und medienaffin sind.

3. Kundennahe, oft fundamentalistische und esoterische Anbieter

Sie sind der Auffassung, dass Ihr Schutzengel Ihnen etwas mitteilen möchte? Dass Illuminaten die Weltgeschichte steuern? Dass Homöopathie eine Alternative zur “mechanistischen” Schulmedizin darstellt? Dass die Heilige Schrift “wieder wörtlich” genommen werden sollte?

Früher hätten Sie es nicht leicht gehabt, zu diesen sehr speziellen Positionen ausreichend Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Jetzt profitieren Sie vom gleichen Effekt wie die Antitheisten (1.) – das Internet erlaubt die globale und schnelle Vergemeinschaftung mit Gleichgesinnten.

Christoph Wagenseil von REMID nahm im November 2012 eine Analyse religionsbezogener Pages mit Alexa vor – und konnte aufzeigen, dass tatsächlich religionskritische (in Deutschland v.a.: islamkritische), religiös-fundamentalistische und esoterische Anbieter sehr viel besser abschnitten als die “normalen” Angebote etwa der großen Kirchen.

Fazit

Wie andere Medien vor ihm prägt das Internet auch das religiös-weltanschauliche Feld und die Religionsgeschichte in neuer, oft überraschender Weise mit. Tendenziell werden religionskritische wie auch religiöse Weltanschauungen personalisierter, scharfkantiger und vielfältiger. Das 21. Jahrhundert wird auch religionsbezogen spannend bleiben…

Wer mag, zum Weiterlesen:

* Blume, M. (2012): “Gott in Wilden Netzen”, Herder Korrespondenz, 5/2012, S. 65 ff.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

25 Kommentare

  1. Online-Resonanzräume

    schönes Wort in einer notwendigen Analyse. Ich verglich das Phänomen bisher mit einem gewissen “Tunnelblick”: Einzelheiten, Differenzierungen ff interessieren nicht, wenn man zielstrebig nach Gleichgesinnten sucht und sich ebenso zielstrebig auf vermeintliche oder tatsächliche Gegner stürzt.
    Irgendwo las ich, damals als das mit dem Oslo-Attentat aktuell war, einen Vergleich jenes Attentäters mit Karl Marx (Man muss wohl heutzutage extra betonen, dass Vergleiche nicht unbedingt Gleichsetzungen sind, sondern auch Unterschiede herausarbeiten sollen):
    Beide haben sich an Manifeste gemacht. Aber während der eine sich in jahrelanger Arbeit durch Bibliotheken mühte und Argumente auf Stichhaltigkeit prüfte, konnte der andere per Mausklick sich schnell seine “Meinung” zusammenbrauen und in Online-Resonanzäumen genüsslich Stimmen Gleichgesinnter reinziehen…

    Irgendwie erinnert manches auch an Cliquenbildungen auf Pausenhöfen. Oder daran, was Hölderlin schon beklagte:
    “Ach! der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt. Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen.”
    Na, manchmal denke ich: so sehr ich mich in meinem Alter auf dies Feld begab, an manchem kann ich doch keinen Spaß haben. Oder: es sind gemischte Gefühle.

  2. @Hermann

    Gerade aber diese “gemischten Gefühle“ machen Deinen Blog auch wertvoll – Du wirkst damit einer gewissen Monokultur entgegen und speist Gedanken ein, die sonst verloren gingen.

    Ich bin sehr froh, dass wenigstens einige von uns “gegen den Strom“ schwimmen, auch wenn das nicht immer nur Freude macht…

  3. Thx

    für den Hinweis auf meinen Alexa-Ranking-Artikel.

    Über Deine These mit den drei einflussreichsten Strömungen (im Internet) werde ich überdenken. Große Widersprüche zu dem von mir verfassten Trendreport 2013 finde ich nicht (der überdachte ja auch eher Entwicklungen von Mitglieder- oder Anhängerzahlen).

    Allerdings sieht auch der

  4. Kommentar unterbrochen

    Nochmal guten Morgen,
    mein erster Kommentar wurde nicht vollständig abgedruckt. Vielleicht kann man den halben Satz löschen.

    Ich ging noch auf einen österreichischen Esoterikreport ein, der auch Strömungen unterschied.

    However, ich wunderte mich über diese Kategorie der “Religionsfeindlichen” als Oberbegriff, da ja z.B. die Islamophoben nicht notwendig atheistisch sind. Auch die Neue Rechte hat gerne esoterische Elemente oder liebäugelt mit Heidentum oder auch bestimmten Formen von Christentum. Insofern würde ich die Säkularen nicht mit den z.B. rechten Esoterikern gleichsetzen, obwohl es sicher Überschneidungsmengen gibt. Ich vermute, Dein Bild ergibt sich bei einem engen Religionsbegriff. Für mich sind auch Heidentum und Esoterik Religion.

  5. @Christoph Wagenseil

    Vielen lieben Dank für Deine Rückmeldung! Mir macht es immer wieder Freude, Deinen Blog zu lesen und auf ihn zu verlinken.

    Zu “religionsfeindlich”: Da sehe ich tatsächlich große Überschneidungen zwischen Gruppen, die sich gegen eine bestimmte, verschiedene (z.B. monotheistische) und alle Religionen wenden. Bei der Beschneidungsdebatte ergab sich z.B. schnell eine Allianz aus antitheistischen “Humanisten” und Neopaganen in der Ablehnung des vermeintlich “archaischen” Brauchs. Ebenso wird z.B. das islamophobe pi-news sowohl von atheistischen Rationalisten wie von islamophoben Evangelikalen etc. frequentiert. Online-Gruppenidentitäten können sich m.E. nicht nur positiv, sondern auch über gemeinsame Feindbilder leicht etablieren, da die Vergemeinschaftungskosten sehr niedrig geworden sind.

  6. Allianzen, Vergemeinschaftung …

    … Hmm. Harte Neonazis, die z.B. die christlichen Traditionen hoch halten und den Geburtenrückgang beklagen, (wie diese z.B.: http://www.avaaz.org/de/petition/Volkstod_stoppen) wären dann also auch z.B. mit Ihnen “vergemeinschaftet” und bilden eine “Allianz” mit z.B. Michael Blume! in eben diesen Fragen? Sehe ich das richtig?

  7. @Detlef Piepke

    Wenn sie die Menschenrechte bejahen und Rassismus ablehnen…

    Oh, jetzt habe ich zuviel verlangt… 😉

  8. Medien/Internet mögen befördernd sein

    aber es gibt offensichtlich – unabhängig davon – einen Trend weg von der herkömmlichen kirchengebundenen Religiosität (Opium fürs Volk) zu einer Esoterisierung (Opium2.0 fürs Volk), die bunte Blüten treibt. Ausgerechnet in der Informationsgesellschaft blüht eine große Skepsis gegenüber Rationalität, Wissenschaftlichkeit, logischem Denken. Lieber wird geglaubt, wo denken angesagt wäre, werden Weltbilder bemüht, wenn nüchterne Risikoabwägung notwendig wäre.
    s.auch (aus scienceblogs, Florian Freistetter) Die Verbreitung von Pseudowissenschaft ist nicht akzeptabel und eine Gefahr für die Demokratie

  9. @Kathrin Siebert

    Tja, aber wer sollte “Pseudowissenschaft“ definieren? Gehören Stringtheorien und Rechtswissenschaften auch dazu? Und wäre eine Art Internet-Inquisition (ggf. kooperierend mit der NSA) wirklich wünschenswert? Sollte nicht gerade auch im Netz im Zweifel die Freiheit erhalten bleiben, solange das Strafrecht nicht verletzt wird?

  10. @ M. Blume Rechtswissenschaft hat mit

    Pseudowissenschaft wohl kaum etwas zu tun. Religionswissenschaft ja wohl auch nicht, nehme ich an. Aber Esoterik schon, wenn sie sich auf vermeintlich Wissenschaftliches beruft, wie das z.B. die Anthroposophie tut oder Scientology oder andere in der Wahrnehmung mit den etablierten Religionen konkurrierenden Seiten.
    Wieso psiram allerdings auf der Liste steht, leuchtet allerdings nicht ein.

  11. @Kathrin Siebert

    Da stimme ich Ihnen selbstverständlich zu – die Rechtswissenschaft, aber auch Philosophien und Theologien funktionieren auf anderen Grundlagen und Methoden als z.B. die Physik und die Religionswissenschaft – das macht sie aber m.E. nicht zu “Pseudowissenschaften”. Obwohl und weil ich selbst begeisterter “Empiriker” bin, muss ich anerkennen, dass verschiedene Wissenschaftsbereiche auch verschieden funktionieren. Hier hatten wir das schon einmal ausführlicher diskutiert:
    https://scilogs.spektrum.de/…haftler-existieren-rechte

    Mir ist aber nicht klar, wer wie Äußerungen etwa von Anthroposophen unterbinden sollte. Ich denke, dass zur Freiheit eben auch gehört, dass Anschauungen geäußert werden, die nicht die unseren sind – und die wir (solange sie keine strafbaren Inhalte wie z.B. Gewaltaufrufe enthalten) auch nicht verbieten können. Umgekehrt müssen diese aber eben auch Kritik, z.B. durch Pages wie psiram, erdulden.

  12. @ Blume, wer sagt etwas von unterbinden

    sondern es geht lediglich um einordnen.
    Genauso, wie religiöse Vorstellungen oder Praktiken kritisierbar (sogar je nach den Erfahrungen des Einzelnen auch hassenswert sein können, wenn repressive Erfahrungen damit verbunden waren – man denke an Missbrauchserfahrungen in religiösen Einrichtungen)so kann alles einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
    Natürlich kann jeder der will an grüngestreifte Außerirdische glauben, nur einen Gültigkeitsanspruch hat das nicht – schon gar nicht, wenn versucht wird, dass wissenschaftlich zu verbrämen. In einem Teil der Esoterikszene ist dies üblich, scheint aber immer weiter in Akademikerkreisen Fuß zu fassen und die Grenze zwischen Glauben und erhärtbarer Erkenntnis verschwimmt. Das ist nicht ganz unwesentlich.

  13. @Kathrin Siebert

    Okay, dann sind wir da einer Meinung! 🙂 Gerade auch über UFO-Religionen hatte ich auch schon selbst ein kritisches sciebook veröffentlicht, das Alienkontakte, Paläo-SETI und entsprechende Phänomene (religions-)wissenschaftlich unter die Lupe nimmt und für rege Debatten gesorgt hat:
    http://www.sciebooks.de/cms/books/ufo-religionen

    Mir war einfach wichtig, zu betonen, dass ich dennoch UFO-Glaubende nicht “verbieten” und ihre Glaubensaussagen nicht “verfolgen” würde. (Und wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, wollen Sie das ja auch nicht.) Ich denke, wir müssen uns mit ihnen auseinander setzen und habe z.B. Florian Freistetters Blog und Buch zur “Maya-Apokalypse 2012” im Uniseminar behandelt und auch hier auf NdG empfohlen:
    https://scilogs.spektrum.de/…k-von-florian-freistetter

    Haben Sie es auch gelesen? Ich fand es klasse und zudem gut, dass er ein zunächst vielleicht ärgerliches Thema in eine Lernchance umgewandelt hat. Zumindest für diejenigen, die noch zum Dazulernen bereit waren… 😉

  14. @Blume: nochmal “Vergemeinschaftung”

    Ob man sich zufällig “in Gesellschaft von soundso” befindet, oder sich “vergemeinschaftet” sind zwei völlig unterschiedliche Angelegenheiten. (wir leben in einer Gesellschaft, während die Nazis eine Volksgemeinschaft beschwören, auch in dem Link zu sehen) Sie schreiben in einem Kommentar: “Ebenso wird z.B. das islamophobe pi-news sowohl von atheistischen Rationalisten wie von islamophoben Evangelikalen etc. frequentiert.” Daraufhin von geringen “Vergemeinschaftungskosten”. Dass atheistischen Rationalisten und islamophoben Evangelikalen sich “vergemeinschaften” ist extrem unwahrscheinlich, oder gar unmöglich, wenn es sich bei den Atheisten tatsächlich auch um Rationalisten handelt. Es wird also eher eine zufällige “Vergesellschaftung” stattfinden, die beiden Seiten höchst unangenehm sein dürfte.

  15. @Detlef Piepke

    Da gehe ich im Grundsatz mit Ihnen durchaus konform, sogar bis in Fragen der Terminologie hinein.

    Das Internet führt nicht automatisch zu Vergemeinschaftungen, aber es senkt die Kosten für “zufällige”, aber themenbezogene “Begegnungen” und damit für weitergehende Vergesellschaftungen, auf deren Grundlage dann auch (neue) Vergemeinschaftungen entstehen.

    Ein bereits erwähntes Beispiel sind die sog. “Engelreligionen”, in denen christliche, hinduistische und andere (v.a. esoterische) Strömungen zu neuen Vernetzungen und Gemeinschaftsformen (z.B. Engelkongressen, Engel-“Ausbildungen”, Heiler-Retreats etc.) zusammen fließen und Frauen überrepräsentiert sind, vgl.
    http://www.engelmagazin.de/

    Bei den “Brights” dominieren dagegen zahlenmäßig eher Männer, zugleich räumen sie schon auf ihrer Startseite ein:

    “Zwischen den Menschen mit einem naturalistischen Weltbild bestehen große Unterschiede. Einige sind Mitglied in Organisationen, die eine Anschauung fördern, die frei von übernatürlichen Komponenten ist. Die allermeisten sind jedoch nicht in einer Gruppe organisiert und identifizieren sich nicht mit einem bestimmten Begriff.

    Unter dem Dachbegriff des naturalistischen Weltbilds kann die Bewegung der Brights auf einer gesellschaftlichen und bürgerlichen Ebene aktiv werden und so Einfluss auf eine Gesellschaft nehmen”

    http://www.brights-deutschland.de/

    Die Vergemeinschaftungen ergeben sich also nicht zufällig, sind aber dennoch auch in sich vielfältig.

  16. @Kathrin Siebert

    Natürlich kann jeder der will an grüngestreifte Außerirdische glauben, nur einen Gültigkeitsanspruch hat das nicht – schon gar nicht, wenn versucht wird, dass wissenschaftlich zu verbrämen.

    Was soll das bedeuten, “Gültigkeitsanspruch”?
    Im Grunde genommen geht es doch darum, dass wissenschaftliche Ideen (oder das, was sich plausibel dafür ausgibt ;-)) durch öffentliche Gelder in öffentlichen Anstalten unterstützt werden, oder das zumindest sollten, während “pseudowissenschaftliche” oder gar “unwissenschaftliche” Ideen diesen Anspruch auf Alimentierung nicht haben.
    Zumindest ideell.

    Deshalb versuchen auch so viele “Pseudowissenschaften” als richtige Wissenschaften anerkannt zu werden. Abgesehen natürlich von Betrügern, die vom Ansehen der Wissenschaft profitieren wollen…

    In einem Teil der Esoterikszene ist dies üblich, scheint aber immer weiter in Akademikerkreisen Fuß zu fassen und die Grenze zwischen Glauben und erhärtbarer Erkenntnis verschwimmt.

    Ich kann Ihnen hier ehrlich gesagt gar nicht folgen. Was genau meinen Sie?

  17. Faszination des Grauens

    Zum Alexa-Ranking:

    Kann man irgendeine seriöse Aussage darüber treffen, wie hoch bei den extremistischen Seiten der Anteil der echten Anhänger ist, und wie hoch der Anteil derer, die sich das aus, sagen wir mal, in weiterem Sinne, Interesse, anschauen? Mit Interesse meine ich alles zwischen dem Wunsch, zu verstehen, was in diesen Köpfen vor sich geht, und der “Faszination des Grauens”.

    Ich meine, wer von uns hat sich nicht, als er das erste Mal, vielleicht eher zufällig, einem Link auf kreuz.net, auf PI, auf irgendeine VT- oder eine Lichtarbeiter-Schwadronierer-Site gefolgt ist, anschließend erstmal gebannt zwischen ungläubigem Staunen, unkontrollierbaren Lachanfällen, Verzweiflung, nicht selten auch Ekel, durch diese Ozeane von Schwachsinn geklickt – und ist vielleicht auch öfter mal wieder dahin zurückgekehrt, neugierig, ob es wohl noch schlimmer geht (ja, meistens geht es), bevor die eigene Frustrationstoleranz und/oder der Gedanke an das unnötig gepushte Google-Ranking sagt: “Halt, mehr brauche ich davon wirklich nicht”?

  18. @Quercus

    Also, ich kenne keine empirischen Studien zur Motivation der Seitenbesucher im Einzelnen. Sicher sind nicht alle Besucher extremer Seiten selbst extrem. Aber auch umgekehrt: Extremisten durchforsten moderate Pages, nicht zuletzt auf der Suche nach Argumenten und Angriffspotential. Ein sehr hohes Pageranking ist jedoch m.E. fast nur zu erreichen, wenn wiederkehrende Besucher da sind, sich aktive “Communities“ – Gemeinschaften – gründen.

  19. Wirklich? @Wegdenker

    “während “pseudowissenschaftliche” oder g’ar “unwissenschaftliche” Ideen diesen Anspruch auf Alimentierung nicht haben. Zumindest ideell.” Das wäre schön, wenn es wirklich so wäre.
    Um nicht immer wieder die viel kritisierte Homoepathie anführen zu müssen (die ja durchaus öffentliche Anerkennung und bisweilen auch monitaere Unterstützung) sind in akad. ausgebildeten Kreisen Bachbluten, Ajuveda, Reflexzonenmassage u. im Grunde jedwede esoterische Praxis kein Ausnahmephaenomen.

  20. kleine Anmerkung

    Ich wollte nur mal anmerken, dass kreuz.net offensichtlich sehr gute Kontakte in die katholische Kirche hat und es wird vermutet, dass dort auch radikale Theologen aus der katholischen Kirche mitschreiben, obwohl sich die katholische Kirche distanziert hat.

  21. @Anton Maier

    Vielen Dank für die Recherche – und Zustimmung. Gerade an diesem Beispiel ist auch zu sehen, wie Versprengte, die sonst wenig bewegen könnten, das Web zur Vernetzung, Vergesellschaftung und Propaganda nutzen. Für die etablierten Strukturen und deren Kommunikation wurden sie dabei zu einem richtigen Problem.

  22. Das wäre schön, wenn es wirklich so wäre.[…]sind in akad. ausgebildeten Kreisen Bachbluten, Ajuveda, Reflexzonenmassage u. im Grunde jedwede esoterische Praxis kein Ausnahmephaenomen.

    Es geht doch hier um die “Wissenschaftlichkeit” und den Alimentierungsanspruch, nicht um die Beliebtheit.
    Das ist schon ein Unterschied. Das eine sind Patienten, die eine Behandlung auf diese “pseudowissenschaftliche” Weise wünschen und dazu auch die Möglichkeit haben, das andere sind Lehrstühle und Forschungsgelder.
    Man findet eigentlich recht schnell Leute, die behaupten, sie haben eine revolutionäre neue Idee darüber gefunden, wie die Welt aufgebaut ist usw.
    Aber nur wenige Leute bekommen auch Geld dafür, ihre Ideen systematisch auszuarbeiten. Dabei ist es für diese Personen hilfreich, wenn sich zumindest das Gerücht verbreitet hat, dass das, was sie da machen, “wissenschaftliche Forschung” ist.
    Natürlich reicht das selbst auch noch nicht. Oft genug bekommen andere Forschungsgebiete mehr Geld.

    Im Falle der Homöopathie ist es so, dass durch die große Popularität dieser Methode auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird und man deshalb erforschen will, welche Resultate sie wirklich hat beim Heilen von Krankheiten.

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