40 Jahre PKC Synagoge Freudental – Text der dualen Stiftungsrede zu Juden- und Christentum, Aschkenas, Japhet und Schem

Weil sich eine damalige Bürgerinitiative weigerte, die von den Nazis zertrümmerte, einstige Synagoge in Freudental dem Abriss zu überlassen, konnte vor 40 Jahre mit dem Pädagogisch-Kulturellen Centrum ein einzigartiger Ort des Lernens und der Begegnung zwischen christlichen und jüdischen, deutschen und israelischen Menschen sowie zunehmend generell Interessierten entstehen.

Eine prägende Geschichte ergab sich mit dem einstigen, jüdischen Lehrer von Freudental, Seew Berlinger (1909 – 1997). Nachdem er 1938 nach Schawe Zion hatte auswandern können, kehrte auch er als Gast in den einstigen Heimatort und zum PKC zurück. Gefragt, ob er “sich wieder heimisch” fühlen könne, antwortete er mit einer Parabel, die zum geflügelten Wort wurde:

Ein Vater schlägt jedes Mal einen Nagel in den Türrahmen, wenn er schlimme Nachrichten von seinem Sohn erhält; beim Empfang guter Nachrichten zieht er einen Nagel heraus. Als der Sohn schließlich heimkehrt, sieht er den Rahmen – und weint, obwohl kein Nagel mehr in ihm steckt. Denn er sieht die Löcher, in denen einst Nägel waren.

Vorderseite eines Programmes, Deckblatt der Stiftungsrede von Dr. Michael Blume und eine Karte mit einem Nagel und der Nagel-Parabel von Freudenstadt in den Händen des Redners.

Auch eine Programmkarte mit Nagel erhielt ich kurz vor meiner Rede in Freudental. Foto: Michael Blume

Schon mehrfach war ich zu Veranstaltungen dieses besonderen Ortes und seiner Engagierten geladen gewesen und hatte mich also über die große Ehre gefreut, zum 40. Jahrestag die Stiftungsrede zu halten. Wie auch etwa bei der JSUW-Demonstration in Stuttgart schrieb ich auch dazu eine duale Rede: Also einen Text, den ich dann aber auch frei sprechen und auf die Situation anpassen konnte.

So stießen gestern beispielsweise der langjährige Europa-Abgeordnete und jetzige Regionalpräsident Rainer Wieland (CDU), der Landtagsabgeordnete Tayfun Tok (Grüne) und der IRGW-Vorstand Michael Kashi dazu, die ich also noch begrüßen konnte. Auf die gelungene Rede von Gadi Lahav – den ich bereits von SCORA kannte – konnte ich eingehen.

Vor allem aber pingte mitten in den Start meiner Rede die glückliche Nachricht aufs Smartphone: Die von den Hamas-Terroristen entführten Geiseln Romi GonenEmily Damari und Doron Steinbrecher waren endlich frei!

Ich las die Nachricht in den gemeinsamen Jubel der Menschen hinein und konnte später dazu erklären:

“Wir haben hier in Freudental als jüdische, christliche, muslimische, nichtreligiöse Menschen gemeinsam über die Freilassung der Geiseln gejubelt.

Wir bitten gemeinsam, dass alle israelischen Geiseln zu ihren Lieben kommen und alle Menschen in Israel, Gaza und Libanon Frieden und Sicherheit finden mögen.”

Zitatkachel von Dr. Michael Blume, 19.01.2025, gepostet auf Mastodon und Instagram: “Wir haben hier in Freudental als jüdische, christliche, muslimische, nichtreligiöse Menschen gemeinsam über die Freilassung der Geiseln gejubelt. Wir bitten gemeinsam, dass alle israelischen Geiseln zu ihren Lieben kommen und alle Menschen in Israel, Gaza und Libanon Frieden und Sicherheit finden mögen.”Zitatkachel Dr. Michael Blume, 19.01.2025

Auf mehrfachen Wunsch stelle ich hier aber nun auch den ursprünglichen, verschrifteten Redetext als pdf und Fließtext zur Verfügung. Und danke allen, die sich interessieren.

Lieber Herr BM Albrecht Dautel (1. Vorsitzender),

lieber Herr Landrat Dietmar Allgaier (2. Vorsitzender),

lieber Herr Gadi Lahav,

lieber Vorstand des PKC und liebes Kuratorium,

liebe Frau Isolde Kufner, liebe Frau Hildegard Gooss
und lieber Michael Volz aus der Geschäftsleitung,

liebe Gäste allen Ranges und liebe Unterstützende PKC Freudental!

Es ist mir eine Freude und Ehre, heute zu Ihnen allen angesichts des 40jährigen Jubiläums des PKC Freudental zu Ihnen zu sprechen!

Erst einmal hoffe ich, dass Sie alle einen „guten Rutsch“ ins neue Jahr 2025 gehabt haben! Denn das wünschen wir uns im Deutschen, ob religiös oder nicht, mit frohem Herzen, Lächeln und Umarmungen. Doch wenige wissen: Der „gute Rutsch“ stammt vom „guden Rosch“, dem jüdischen Neujahrstag „Rosch HaSchana“! Einen „Guden Rosch, hazlacha uwracha!“ so erklang es segnend im Judendeutsch, das heutige Jiddisch. Und nun wissen Sie, warum wir im Deutschen „Einen guten Rutsch, Hals- und Beinbruch!“ rufen – und dabei eher ahnen als wissen, dass es ein Segenswunsch ist.

Und es ist heute hier in Freudental auch nicht irgendein Jahr, sondern das 40te. Gadi Lahav hat es bereits angesprochen: Im Judentum ist das 40. Lebensjahr von besonderer Bedeutung. So wurde früher gelehrt, dass ein Mann erst im Alter von 40 Jahren mit Familie und Beruf die Reife habe, die jüdische Mystik, die Kabbalah, zu lernen. Diese Lehre floss unter anderem über den Begründer der „christlichen Kabbalah“, Johannes Reuchlin (1455 – 1522), in die Traditionen von Baden und vor allem Württemberg ein. Noch heute gibt es im Schwäbischen sogar ein Sprichwort, dass „ein Schwabe mit 40 Jahren weise“ werde, wenn er „ein Haus gebaut, ein Kind gezeugt und einen Baum gepflanzt“ habe. Aber kaum jemand weiß oder ahnt, dass wir auch hier aus den gemeinsamen Quellen schöpfen.

Und die Frauen? Als ich Charlotte Knobloch einmal fragte, ob es sie denn nicht störe, dass sie als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zwar einen Ehrenplatz auf der Empore der Synagoge habe, aber jeder Mann – ob Jude oder nicht – im Hauptraum Platz nehmen könne, da blitzten ihre Augen mit weisem Humor und sie lehrte mich: „Die Frau, die in der Familie ihre Pflichten erfüllt, die ist schon bei G‘tt. Es ist der Mann, der sich erst beweisen muss!“ Gerne habe ich diese kluge Lehre 2010 sogar zum Schluss eines wissenschaftlichen Aufsatzes gemacht! 😊

Aber warum denn unbedingt die 40? Freundinnen und Freunde der Bibel wissen: Es brauchte 40 Jahre, bis Moses das Volk aus Ägypten ins Heilige Land geführt hatte – obgleich die direkte Strecke über den Sinai nur wenige Wochen reicht. Warum also so lange? Gab es denn noch keine Navigationsgeräte, nicht einmal Karten? Die Weisen lehren, dass es 40 Jahre braucht, bis ein Volk aus der Diktatur in die Freiheit finden kann. Deswegen die vielen Herausforderungen und Rückschläge auf dem Weg.

Nach dieser Deutung dürfen wir also einen tieferen Sinn dahin erkennen, dass der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 – 2015) genau 40 Jahre nach der militärischen Niederwerfung des Nationalsozialismus aussprechen konnte: Dieser Tag war auch ein Tag der Befreiung. Unsere Vorfahren mussten frei werden von der Diktatur und vom Judenhass des Pharao! Doch wie die damaligen Reaktionen auf die Rede und auch unsere heutigen Realitäten zeigen, ist dies noch immer nicht allen gelungen.

Und ich frage auch als Beauftragter unserer Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben heute: Wo werden wir am 3. Oktober 2030, dem 40. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung stehen? Werden wir noch eine Demokratie sein, die auf Dialog und Vernunft, griechisch dem „Demos“ und „Logos“, beruht? Oder stürzen auch uns die antisozialen Medien in eine nach Empörung süchtige Thymokratie, benannt nach dem griechischen „Thymos“ für Stolz und leider auch Wut.

Der Thymos kann gerecht sein, wenn etwa die israelische Armee ihren Staat gegen die terroristischen Mörder und Geiselnehmer der Hamas verteidigt, wie es nach dem 7. Oktober 2023 geschah und geschehen musste. Der Thymos kann aber auch Umkippen wie einst in Deutschland und aktuell wieder in Österreich, wenn die Zusammenarbeit der demokratischen Parteien zerbricht und stattdessen Extremisten, ja Faschisten nach der Macht greifen.

Bewusst habe ich hier einige wenige Begriffe aus dem Griechischen verwendet, weil auch die Synagoge nach dem griechischen Wort für „Versammlung“ benannt ist. Auch der historische Rabbi Jehoschua, griechisch Jesus, arabisch Isa, legte nie in einer Kirche, sehr wohl aber in einer Synagoge die Bibel, konkret das Buch Jesaja aus. Mir ist wichtig, anzuerkennen, was Sie hier gemeinsam seit 40 Jahren leisten: Sie bewirken nicht nur, dass Deutsche und Israelis, Christinnen und Juden einander besser verstehen. Sondern Sie bewirken, dass wir alle auch „uns selbst“ besser verstehen!

Unsere Völker und Religionen sind so eng miteinander verbunden, dass die jüdische Tradition den deutschen Sprachraum nach einem Enkel des Japhet, nach Aschkenas benannte. Und Japhet selbst galt als der Begründer des griechischen Alphabets, wie auch sein Bruder Schem als Begründer des hebräischen Alphabetes. Und obgleich der größte Segen über Schem ausgesprochen wurde, so vermittelt uns 1. Mose 9, 27 doch, dass auch Japhet „in den Zelten Schems wohnen“ dürfe.

Ich hoffe also, es wird deutlich, warum ich so dankbar bin, dass das „Zelt des Schem“, die zerstörte Synagoge in Freudental nicht abgerissen, sondern als ein Lern- und Begegnungsort wiedereröffnet wurde. Und ich hoffe, es wird also deutlich, warum ich Ihren gemeinsamen Weg von 40 Jahren für so bedeutungsvoll halte.

Ich habe bei unserer ersten Begegnung dem israelischen Botschafter Ron Prosor unbedingt empfohlen, diesen guten Ort zu besuchen – und freue mich, dass dieser Besuch inzwischen stattgefunden hat. Denn hier passiert etwas Gutes, etwas sehr Gutes sogar.

Michael Volz hat mich jedoch gebeten, über den Dank hinaus noch etwas dazu sagen, wie wir durch „Bildung“ dem Antisemitismus wehren können. Und das will ich gerne tun, denn ich habe am 9. November 2023 – dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht, an dem der Hass auch gegen Ihre Synagoge wütete, am 100. Jahrestag des ersten Hitler-Putsches, als die Justiz ihn noch hätte stoppen können – im Landtag von Baden-Württemberg gesagt:

„Der Noahsohn Sem, dessen Namen auch mit dem Titel meiner Beauftragung durch Sie verbunden wurde, beschreibt in der jüdischen Auslegung der Thora gerade nicht den Begründer einer „Menschenrasse“ oder Sprachgruppe, sondern den ersten Begründer einer Schule in Alphabetschrift. Jede koschere Thorarolle besteht aus 304.805 handgeschriebenen Alphabet-Buchstaben. Mit dem anwesenden Rabbiner Pushkin kann man es nachlesen; er zeigt es gerne in der Synagoge!

Bis heute benennen wir alle daher auch unser gemeinsames lateinisches Alphabet selbstverständlich nach dem Hebräischen Aleph-Beth. Unser gesamtes Recht basiert auf der Alphabetschrift; unsere heiligen Schriften, auch in Christentum und Islam, unsere philosophischen Werke, all das stützt sich auf die Alphabetschrift. Auch der schönste Begriff der deutschen Sprache „Bildung“, entstammt direkt der Thora, dem 1. Buch Mose, in dem es heißt, der Mensch – jeder Mensch! – sei „im Bilde Gottes geschaffen.“ [1. Mose 1, 27]“

Es war der deutsche Dominikaner Meister Eckhart (1260 – 1328), der dieses Wort prägte, nachdem er sich in die tiefen Bibelauslegungen seines „Rabbi Moyses“ – des Rambam, des Maimonides (1135 – 1204) versenkt hatte. Im Streit darüber, ob auch christliche Frauen außerhalb der Klöster Lesen und Schreiben lernen sollten, lernte der Christ durch den Juden: Jeder Mensch ist im Bilde Gottes geschaffen, also hat auch jeder Mensch ein Recht auf Bildung! Und er lehrte dies noch vor der Reformation auch auf Deutsch!

Doch, ach, wir wissen leider auch, dass diese offene, lernende Haltung im Christentum und im deutschen Sprachraum die Ausnahme war. Weil das Judentum die erste Religion war, in der jedes Kind Lesen und Schreiben lernte, ist der Judenhass bis heute immer mit Verschwörungsmythen verbunden. Wenn Menschen an eine weltweite Verschwörung glauben – und das tun leider in Zeiten des Internets mehr Menschen denn je -, dann verbinden sie diesen Verschwörungsglauben leider immer und immer wieder mit antisemitischen Verschwörungsmythen. Deswegen ist der Antisemitismus ein Rassismus, aber nicht irgendein Rassismus.

Der Antisemitismus kam also nicht über die Menschheit, weil Jüdinnen und Juden etwas falsch gemacht, den Monotheismus begründet hätten, sich für auserwählt gehalten haben oder besonders reich gewesen wären. Der Antisemitismus kam über die Menschheit, weil das Judentum die Bildung in Alphabetschrift zur religiösen Pflicht erhoben und damit uns alle beschenkt hat. Der Judenhass entstand wesentlich aus Bildungsneid.

Deswegen war und ist er nie nur eine Angelegenheit der vermeintlich Ungebildeten gewesen, sondern eskaliert auch heute wieder an Schulen und Universitäten, unter Professorinnen und Juristen. Deswegen braucht es einerseits das Wissen um unsere gemeinsame Wurzeln, dieses Wissen müssen wir aber auch in unsere Herzen lassen. Echte Bildung ist immer auch Charakterbildung, Herzensbildung.

Schauen wir uns dazu also abschließend die drei Alphabet-Buchstaben an, die Sie dem Verein zur Pflege der Synagoge gegeben haben.

Das P steht für Pädagogisch, aus dem Altgriechischen Paidagōgik, auf Deutsch „Erziehung“. So lehrte etwa Platon, dass schon Kinder von klein auf in Berufsklassen eingeteilt und nur darauf erzogen werden sollten. In seinem berühmten „Höhlengleichnis“ beschrieb er den Menschen als Gefangenen in einer Höhle, in dem ihm Wahrheiten nur vorgegaukelt würden. Er müsse mit Gewalt aus der Täuschung befreit werden und wiederum mit Gewalt rechnen, wenn er andere befreien wolle.

Der biblische Begriff von Bildung argumentiert jedoch anders herum – jeder Mensch, welcher Herkunft und Hautfarbe, welchen Geschlechts, welcher Religions- oder Volkszugehörigkeit auch immer – hat ein Recht auf Bildung nach den eigenen Wünschen und Möglichkeiten. Bildung soll Menschen nicht nur nützlich machen, sondern ihre Würde zum Leuchten bringen.

Mir wurde dies letzten Sonntag in meiner Heimatstadt Filderstadt deutlich, als Menschen mit Behinderungen von ihrer Arbeit in den Karl-Schubert-Werkstätten berichteten. Denn auch sie haben eine Würde und ein Recht auf Bildung. Ich betone das, weil die erste Gaskammer hier im württembergischen Grafeneck errichtet wurde, um Menschen mit Behinderungen zu ermorden.

Der große Gelehrte Rabbi Jonathan Sacks (1948 – 2020) hat uns alle gewarnt und er hatte Recht damit: „This hate always starts with Jews, but it never ends with Jews.“ – „Dieser Hass beginnt immer bei Juden, aber endet nie bei ihnen.“ Ich bitte uns alle zu verstehen: Wenn wir gegen Antisemitismus einstehen, dann tun wir damit jüdischen Menschen und Israelis keinen Gefallen. Wenn wir gegen Antisemitismus einstehen, dann schützen wir die Demokratie, die Würde und Sicherheit aller Menschen! Wir müssten eine Bildung gegen Antisemitismus auch dann entfalten, wenn es – wie ich es im Irak erlebte – gar keine jüdischen Gemeinden mehr im Land gäbe. Wir dürfen also daher dankbar sein, gerade auch hier, gerade auch heute, dass wir diesen Kampf gegen das Böse im Menschen gemeinsam führen dürfen!

Das K in Ihrem Namen steht für Kultur aus dem Lateinischen Cultura für die Landwirtschaft wie den Ackerbau, die agricultura. Kulturen sollen nicht starr und tot sein, sondern lebendig und immer wieder neu! Deswegen sprechen wir zu Recht von gemeinsamen Wurzeln und lebendigen Quellen, von guten Gründen und gemeinsamen Licht. Eine der schönsten Bibelauslegungen des Talmud sagt, dass die Welt geschaffen wurde für den Atem der Schulkinder. Die Synagoge wurde im Deutschen als „Judenschule“ übersetzt, denn jede lebendige Kultur schaut immer und immer wieder auf die Bedürfnisse der nächsten Generation.

Wenn ich heute im ganzen Land und in allen Schularten spreche, dann fange ich also nicht damit an, die Schülerinnen und Schüler über Religionen zu belehren. Denn ob jüdisch, christlich, muslimisch, von anderer oder keiner Konfession – nur noch ein Teil unserer Jugend interessiert sich für Religion. Sie alle aber interessieren sich für Medien wie das Smartphone oder den Fernseher. Ich beginne also so, wie ich es auch hier getan habe – ich erzähle ihnen vom Aleph-Bet, vom Alphabet. Und dann entdecken wir gemeinsam das die Bibeln und auch der Koran, die Verfassungen von Deutschland, Israel und Dutzenden anderer Staaten, ja alle bedeutenden Texte und sogar Programmiersprachen in Alphabet-Schrift gehalten sind.

Deswegen möchte ich Sie im PKC ausdrücklich ermutigen, den Weg der Alphabet- und Medienbildung fortzusetzen. Ob religiös oder nicht religiös – von einem Verständnis der Medien gewinnen alle und nach meiner Erfahrung wollen das auch alle!

Und damit sind wir beim letzten Buchstaben angekommen, bei C wie Centrum. Dafür bin ich Ihnen besonders dankbar. Denn eigentlich schreibt man im Deutschen Zentrum ja mit Z. Doch Sie haben das notwendige Feingefühl bewiesen, dass eine Benennung als P – K – Z an die Abkürzung von Konzentrationslagern erinnert und Menschen verletzt hätte. Vielleicht halten Sie diese Rücksicht für selbstverständlich, aber das ist sie leider nicht. Als ich mein Amt antrat, musste ich mich auch darum kümmern, dass die Nazis einstmals alle jüdischen Namen aus der deutschen Buchstabiertafel entfernt hatten. Es hatte vor ihnen nämlich „D wie David“ geheißen – und nicht „D wie Dora“. Und es war „S wie Samuel“ und nicht „S wie Siegfried“.

Seltsamerweise waren Jahrzehnte vergangen und die Buchstabiertafel auch mehrfach überarbeitet worden, aber niemand hatte diese Streichung der jüdischen Namen jemals rückgängig gemacht. All die selbsternannten Sprachwächter, die gegen jede Rechtschreibreform und gegen jedes Gendern in die Schlacht ziehen, hatten sich nie darüber empört, dass die Nazis das deutsche Alphabet „entjudet“ und „arisiert“ hatten. Also bat ich das DIN-Institut, dass wir dieses Unrecht gegen allen Spott und alle Widerstände aufarbeiten. Wir haben nun eine offizielle Buchstabiertafel auf Basis von Städtenamen, die für unsere gemeinsame Vergangenheit, unsere gemeinsame Gegenwart und unsere gemeinsame Zukunft stehen.

Dass Sie das „C“ und nicht das „Z“ ans Ende Ihres Namens gestellt haben, gibt mir Hoffnung, dass Sie die Bedeutung und Würde unseres gemeinsamen Erbes, der Alphabete nach Schem und Japhet, nicht nur verstehen, sondern auch spüren. Und wenn wir uns in diesem Zelt und Zentrum der Bildung treffen dann, ja dann können wir auch Antisemitismus besiegen.

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren gemeinsamen Weg, Ihre gemeinsame Arbeit, Ihr gemeinsames Hier-Sein! Und ich wünsche Ihnen allen von Herzen G’ttes guten Segen.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

7 Kommentare

  1. Das überraschend große und breite Interesse an den gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum, Islam und weiteren Religionen und Weltanschauungen in den semitischen und jafetitischen Alphabetschriften sowie in Leben und Lehren des Moses freut und überrascht mich sehr.

    Für meine Überlegungen und auch Reden zum Thema ist immer wieder Rabbi Jonathan Sacks (1948 – 2020) von besonderer Bedeutung. Sein Buch “Not in God’s Name. Confronting Religious Violence” (2015) gehört m.E. zu den besten Büchern der Extremismus- und Antisemitismusforschung ever. Und ich las es auch, weil mich der große Gelehrte als junger Wissenschaftler per EMail zu Religion & Demografie kontaktiert, befragt und in obigem Buch dann auch zitiert hat. Wie beeindruckend ist es denn bitte, dass ein weltbekannter Oberrabbiner einen (damals) jungen, deutschen Religionswissenschaftler zu einem konkreten Thema befragt und dessen Arbeiten würdigt? Rabbi Sacks war nicht nur ein Vorbild in dem, “was” er schrieb, sondern auch “wie” er dies tat.

    Seine Erläuterung zur Frage, warum Moses nicht das Heilige Land erreichen durfte, hat mich tief beeindruckt, meinen Blick auf die gesamte Exodus-Geschichte sowie auf Zeiten und Zahlen verändert. Hier steht der Text, der mir Richtung und Schub zu obiger Rede gab:

    https://rabbisacks.org/covenant-conversation/chukat/why-was-moses-not-destined-to-enter-the-land/

    Danke allen, die sich für den interreligiösen Dialog und dialogischen Monismus interessieren! Ihr werdet gebraucht…

  2. Lieber @Michael Blume,

    Deine Reden lese ich besonders gern. Sie sind so wertschätzend und lebendige Bildung mit einem umfassenden geschichtlichen Hintergrund.

    Leider habe ich in dieser Zeit das Gefühl, dass Bildung gegenüber Wut, Empörung und Machtstreben den kürzeren zieht. Hoffentlich irre ich mich.

    Vielen Dank, dass Du Deine Reden mit uns teilst. 🙏

    • Vielen herzlichen Dank, liebe @Elisabeth K

      Dein Interesse und das Interesse so überraschend vieler bedeutet mir viel. Denn manchmal fürchte ich, dass alles Reden gegen den Hass nicht hilft, dass die digitale Macht der antisozialen Medien unser Zusammenleben zertrümmert. Doch als eine Journalistin nach dem (oben auf dem Foto zu sehenden) Manuskript trotz der freien Rede und den handschriftlichen Notizen fragte, als mehrere Menschen Interesse bekundeten, da bekam ich doch wieder etwas Hoffnung. Denn wenn ein Redetext auch nur einen Menschen erreicht, so ist das doch mehr als nichts. Und auch Deiner Rückmeldung darf ich entnehmen, dass es manchmal auch mehr als Einzelne sind.

      Danke, sehr. Gerne werde ich auch weiterhin hin und wieder ein Redeskript posten. Denn wir mögen wenige sein, die sich für dieses Set von Themen interessieren. Doch damit sind wir schon jetzt “der lesende Widerstand” gegen digitale Fluten von Hass und Hetze, von Verschwörungsmythen und feindseligem Dualismus. Und wir geben nicht auf. ✊🙏📚🖖

  3. Eine lehrreiche und berührende Rede. 40 Jahre. Ich schließe mich da gerne der Gratulation an und hoffe, dass die nachfolgenden Generationen auch zum 80. Geburtstag in Freudental zusammen kommen können.

    Freudental war mir bisher kein Begriff. Nachdem Sie aber den Landrat Allgaier in Ihrer Begrüßung erwähnten, wusste ich zumindest, dass der Ort im Landkreis Ludwigsburg liegt. Es ist nicht zu leugnen, dass die Gemeinde eine interessante Geschichte hat – auch in landesgeschichtlicher Hinsicht, da sie mit dem Grävenitz’schen Namen verbunden ist.

    Es entstanden im 18. Jahrhundert hier im Südwesten einige Synagogen wie Rexingen, Baisingen, die sich hier in der Nähe befinden. Ihre Rede erinnert mich daran, wieder einmal das von Thorsten Trautwein herausgegebene Buch über jüdisches Leben im Nordschwarzwald aus dem Regal zu holen.

    Dass die ehemalige Synagoge in Freudental eine so religionsverbindende Einrichtung beherbergt, beeindruckt mich sehr.

    Danke, dass Sie Ihre Rede hier zum Lesen und Nachdenken zur Verfügung stellen.

    • Vielen Dank für die freundliche und ermutigende Rückmeldung, @Marie H. 🙏

      Und, ja, ich meine tatsächlich, dass weiterhin jeder echte Dialog zwischen konkreten Menschen stattfindet, nicht abstrakt zwischen Völkern, Religionen, Parteien usw. Deswegen sind für mich Orte der Begegnung wie das PKC in Freudental echte Orte des Friedens, des Dialoges, ja sogar des Sinns.

      Die Programmübersicht 1/2025 haben Hildegaard Gooss, die neue Leiterin der Geschäftsstelle und Michael Volz, der Leiter für Pädagogik & Kultur, mit diesen Worten eingeleitet, die mir aus Kopf und Herzen sprechen (zitiert von S. 3):

      40 Jahre Charakterbildung und Dialog

      Dem britischen Großrabbiner Jonathan Sacks folgend kann man sagen, dass sich alle Formen des politischen und religiösen Extremismus auf einen krankhaften Dualismus zurückführen lassen, bei dem eine absolut gute Eigengruppe gegen absolut böse Fremdgruppe[n] steht. Man selbst fühlt sich natürlich überlegen und dieses Verhalten wird noch befördert durch die modernen technischen ‘Verbindungsmöglichkeiten’, die dem möglichen Dialog wegen der Blasenbildung immer weniger Chancen lassen.

      Gleichzeitig sehen wir, dass mit der grundsätzlichen und weltweiten Beschleunigung erstaunlicher Weise ein Zeitmangel einhergeht. Wer sich jedoch keine Zeit nimmt, denkt dualistisch – Hass und Hetze breiten sich schneller aus.

      Mit den Veranstaltungen des Jubiläumsjahres antworten wir auf diese Beobachtung und wollen mit der Bildungsarbeit und dem Kulturprogramm im PKC den Blick weiten und die Orientierung stärken.”

      Dieser Text und diese Haltung sprechen mir aus der Seele und machen Mut, dass ein dialogisches Miteinander auch im 21. Jahrhundert gelingen kann. Es ist nicht mehr linear-säkular, sondern bereits dialogisch-regenerativ gedacht und bietet Menschen Halt, statt sie in Hass und Hetze, in feindseligen Dualismus und Verschwörungsmythen abstürzen zu lassen.

  4. The dual foundation speech on Judaism and Christianity at the 40 Years PKC Synagogue Freudental celebration offers profound insights into the connections between faiths and cultures. Exploring themes like Ashkenaz, Japheth, and Shem adds a rich historical and theological dimension, making this event a significant milestone for understanding shared heritage.

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