Wer hat schon einmal von Bierasbest gehört?

Achtung, Asbest!

Bislang war zumindest ich immer davon ausgegangen, dass Asbest erst in der Lunge ein Problem darstellt. Dass es eigentlich vergleichsweise unproblematisch ist, wenn Asbestfasern über die Nahrung oder Getränke in den Körper gelangen. Da hab ich vermutlich falsch gelegen. Vermutlich bin ich da auch nicht alleine, denn es gibt durchaus Hinweise, dass Asbest, wenn er auf anderen Wegen in den Körper gelangt, ebenfalls zu Krebserkrankungen führen kann. So zum Beispiel als Bestandteil von Talkpuder bei Eierstockkrebs. Und vergleichbares gilt auch bei Getränken, etwa wenn Bier über Asbestfilter filtriert wurde, und dabei Fasern in das Getränk gelangen. Aber der Reihe nach.

Achtung, Asbest!
Achtung, Asbest! Auch in Bier...

Speiseröhrenkrebs

Die Fälle von Speiseröhrenkrebs haben sich in den letzten 50 Jahren um bis zum sechsfachen gesteigert, wobei ganz besonders das westliche und das nördliche Europa , sowie Nordamerika und Ozeanien vorne liegen. Und noch etwas fällt ins Auge: Der Anstieg von Speiseröhrenkrebs ist ein vornehmlich männliches Phänomen, das Verhältnis kann bis zu 9:1 betragen [Xie & Lagergren 2016].

Auffällig ist auch, dass die Fallzahlen je 100 000 Männer von Land zu Land sehr unterschiedlich sein können. Großbritannien hatte 2005 eine Rate von 6,33, die Niederlande von 5,32. Dagegen war das Risiko, an Speiseröhrenkrebs zu erkranken in Italien mit 0,76 und Kroatien mit 0,60 deutlich niedriger.

Es gibt für diese Steigerung zwar einige Erklärungsversuche, wie zum Beispiel erhöhte Fettleibigkeit oder die Abnahme von durch Heliobacter pylori ausgelöster Gastritis, und die dadurch vermutlich zu einem erhöhten Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre verbunden wird.

Saurer Reflux kann einige Krankheiten auslösen, wie etwa Barretts Ösophagus, der auch vorwiegend Männer betrifft. Allerdings nur etwa 2:1.

Interessant mag vielleicht auch die Altersverteilung sein. In England verdreifachten sich die Fälle von Speiseröhrenkrebs (bezogen auf 100 000 Männern) zwischen 1972 und 2012. Bei der Altersgruppe der 40 – 49-Jährigen stiegen die Fälle von 1.7 auf 3.1, bei den über 80-Jährigen von 23.0 auf 84.1 [Thrift & Whiteman 2012]. Auffällig ist auch, dass die Anzahl der Fälle in den besonders betroffenen Ländern, wie etwa England oder Dänemark, seit ungefähr 2010 zu stagnieren scheint und sogar leicht fällt [Offman 2018].

Asbest und Speiseröhrenkrebs

Alkohol spielt in der Liga der krebserzeugenden Verbindungen in einer sehr hohen Liga (etwas, dass ich beim Geschrei über Glyphosatspuren im Bier schon bemerkte). Dennoch ist er bislang nicht mit Speiseröhrenkrebs in Verbindung gebracht worden (zumindest meines Wissens nach nicht, und in der vorliegenden Studie wird dies auch verneint [Fitzgerald & Rhodes 2019]). Zumindest die Autoren der Studie verweisen auch darauf, dass bislang zumindest die Asbest Exposition durch alkoholische Getränke in dieser Hinsicht als Risikofaktor auch lange vernachlässigt wurde.

Dagegen hat zumindest eine Studie von 2016 zumindest angedeutet, dass Asbestexposition ein Risikofaktor hinsichtlich Speiseröhrenkrebs sein könnte, auch wenn in dieser Studie keine Unterscheidung zwischen Plattenepithelkarzinom und Adenokarzinom getroffen wurde [Li et al. 2016].

Eine niederländische Untersuchung sowie eine schwedische deuteten für Männer auf ein leicht erhöhtes Risiko hin, an einem Adenokarzinom zu erkranken, während für ein Plattenepithelkarzinom kein erhöhtes Risiko zu bestehen scheint. Allerdings sind die Risiken hier, verglichen mit der eines Mesotheliom, deutlich geringer [Offermans et al: 2014].

Dabei wird angenommen, dass die Asbestfasern entweder über kontaminierte Nahrung oder nach dem Einatmen verschluckt wurden.

Es könnte also problemlos sein, dass bisherige Studien die Exposition beispielsweise über Asbestgehalte in Getränken als Risikofaktoren schlicht übersehen haben. Dabei gibt es schon länger einige Hinweise, dass Asbestfasern beispielsweise im Trinkwasser das Risiko einer Krebserkrankung im Bereich des Verdauungssystems erhöhen können, wie Untersuchungen an Leuchtturmwärtern gezeigt haben. Hier wurde das Trinkwasser über Asbestzementdächer aufgefangen [Andersen et al. 1993][Kjærheim et al. 2005].

In diesem Zusammenhang passt auch, dass die bereits erwähnte niederländische Untersuchung ebenfalls Hinweise auf ein leicht erhöhtes Risiko für Magenkrebs sowie für Dickdarm- und Rektalkrebs fand, auch wenn hier andere Risikofaktoren eine deutlich größere Rolle spielen [Offermans et al: 2014].

Interessanterweise scheinen sich Mesotheliome und Adenokarzinome der Speiseröhre auch auf molekularbiologischer Ebene zu ähneln.

Wenn die Hinweise auf Asbest als Risikofaktor bei Adenokarzinomen der Speiseröhre korrekt sind, könnte, zumindest in Groß Britannien, der Verlauf der Adenokarzinome der Speiseröhre in etwa parallel zu der Kurve der Mesotheliome verlaufen. Dann sollten die bislang vergleichsweise hohen Fallzahlen (im Vergleich mit anderen Ländern) ab einem Zeitpunkt langsam wieder abnehmen und ab 2050 wieder den „normalen“ Hintergrundlevel erreichen. In anderen Ländern kann diese Kurve, je nach der Verwendung und dem Verbot der Filtration von Getränken über Asbestfilter, individuell anders verlaufen.

Asbest und Bier

Eine der weniger bekannten Verwendungen von Asbest lag in der Herstellung alkoholischer Getränke wie zum Beispiel Bier [Hornsey 2003]. Vor der Abfüllung in Flaschen mussten die betreffenden Getränke sehr häufig von Sediment, Trübstoffen und Mikroorganismen befreit werden, denn das Auge trinkt ja bekanntlich mit.

Um gekühltes Bier erfolgreich abzufüllen ist der Filter und die Pulpe von größter Bedeutung. Bester Bierasbest sollte einmal pro Woche in einer Menge von 8 Unzen pro cwt ausgewaschener hinzugefügt werden. Es muss darauf geachtet werden, nicht zu viel Asbest hinzuzufügen, sonst verstopft die Filterplatte. Der Asbest sollte immer mit Wasser zu einer Creme verrührt und langsam zu der zirkulierenden Pulpe zugesetzt werden. „ [Hadley 1914]

Als sogenannter Bierasbest wurde (vermutlich) hauptsächlich Chrysotil verwendet. Das passt ganz gut zu Befunden, nach dem sich in veraschtem Zentrifugat aus verschiedenen Bierproben bis zu 5000 Fasern Chrysotil pro Pint befanden [Biles & Emerson 1968].

Es gibt Berichte, nach denen sich der Gebrauch von Asbest bei der Bierherstellung bis in die späten 1970´er Jahre fortsetzte.

Den Erzählungen eines der Autoren der mir vorliegenden Studie bringt außerdem eine ganz faszinierende – und auch sehr erschreckende – Anekdote, die aber ein bezeichnendes Licht auf den sehr sorglosen Umgang mit Asbest wirft, wie er sich vermutlich in vielen britischen Pubs abgespielt haben kann [Fitzgerald & Rhodes 2019].

Einer seiner Patienten im Jahr 1973 hatte ihm berichtet, dass er, als Barkeeper in einem Pub, beruflich Asbest ausgesetzt sei.

Bier wurde früher auch mit Asbest gefiltert. Prost! Public domain.

Er berichtete, dass „Slops“ vom Bier, die in einem Eimer unter der Handpumpe gesammelt wurden, am Ende des Tages mit Asbest aufgeschlämmt und filtriert wurden. Dieses Wurde am nächsten Tag den ersten Kunden als Bier kredenzt. Den Aussagen des Barkeepers zufolge, der sich wegen einem Plattenepithelkarzinom am Finger in Behandlung befand, war diese Vorgehensweise in britischen Pubs zu der Zeit durchaus üblich.

Wenn das so war, dürften sehr viele vor allem männliche Biertrinker auf diese Weise zu einer sehr hohen Dosis an Asbest gekommen sein, ohne dies zu wissen oder zu bemerken.

Auch wenn die Hinweise von Asbest als Risikofaktor für die Krebse der Verdauungsorgane nicht so deutlich sind, wie etwa für das Mesotheliom der Lunge, so finde ich es doch faszinierend und erschreckend, dass Asbest anscheinend überall im Körper zu entsprechenden Reaktionen führt. Das führt uns wieder die enormen Gefahren vor Augen, die mit dieser ehemaligen Wunderfaser verbunden sind.

Literaturverzeichnis

Xie, S-H. & Lagergren, J., The Male Predominance in Esophageal Adenocarcinoma, 2016

Thrift, A.P. & Whiteman, D.C., The incidence of esophageal adenocarcinomacontinues to rise: analysis of period and birth cohort effects on recent trends, 2012

Offman, J., Pesola, F. & Sasieni, P., Trends and projections in adenocarcinoma andsquamous cell carcinoma of the oesophagus in England from 1971 to 2037, 2018

Fitgerald, R.C. & Rhodes, J.M., Ingested asbestos in filtered beer, in addition to occupational exposure, as a causative factor in oesophageal adenocarcinoma, 2019

Li, B., Tang, S.P. &Wang, K.Z., Esophagus cancer and occupational exposure to asbestos: results from a meta-analysis of epidemiology studies., 2016

Offermans, N.S.M., Vermeulen, R., Burdorf, A., Goldbohm, R.A., Keszei, A.P., Peters, S., Kauppinen, T., Kromhout, H. & van den Brandt, P.A., Occupational asbestos exposure and risk of esophageal, gastricand colorectal cancer in the prospective Netherlands Cohort Study, 2014

Andersen, A., Glattre E. & Johannsen, B.V., Incidence of Cancer among Lighthouse Keepers Exposed to Asbestos in Drinking Water, 1993

Kjærheim, K., Ulvestad, B.,Martinsen, J.I. & Andersen, A., Cancer of the gastrointestinal tract and exposure to asbestos in drinking water among lighthouse keepers (Norway), 2005

Hornsey, I. S. A., A history of beer and brewing, 2003

Hadley, A., Chilled Botled Beers, 1914

Biles, B. & EmersonT.R., Examination of Fibres in Beer, 1968

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

6 Kommentare

  1. Die Deutsche Krebsgesellschaft gibt für 75% der Plattenepithelkarzinome hochprozentigen Alkohol und/oder Rauchen als Ursache an.

  2. Interessanter aber erschreckender Beitrag! Ich denke es werden uns zukünftig immer mehr bisher nicht bekannte, bzw. vergessene (oder verdrängte) Verwendungsfälle begegnen. Die produktgebundene Anwendung mit Asbestzementplatten und in asbesthaltigen Rohren im Bauwesen sind ja bekannt – vielfach nicht bekannt ist, dass z.B. bei den frühen Anwendungen von Fliesenklebern den Mörteln teilweise auf der Baustelle individuell Asbestfasern zugemischt wurden. Hiermit kann selbst bei der unwahrscheinlichen Kenntnis über die in den 60ziger/70ziger Jahren verwendeten Baustoffe nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass diese asbesthaltig sind… gleiches gilt für den Spachtel an den ersten Schnellbauplatten etc. IM VDI haben wior diese Thema auch schon diskutiert:

  3. Trinkwasserrohre bestanden früher aus Asbestfaserzement. Viele Kilometer davon sind wohl noch in Betrieb vorhanden? Und wo könnten Anreicherungen der daraus gelösten Fasern stattfinden?

  4. In einem früheren Spiegelartikel (Ende der 80er) stand mal etwas von ca. 30000km, hauptsächlich in Norddeutschland. Es können sich wohl mehrere 100Mio. Fasern/m³ lösen (Messung aus den USA).

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