Rippelmarken auf fossilem Meeresboden – Geotop #6

BLOG: Mente et Malleo

Mit Verstand und Hammer die Erde erkunden
Mente et Malleo

Heute wollen wir einen Blick auf den Meeresboden werfen. Dazu müssen wir nicht einmal ans Meer, sondern nur ein wenig in die Vergangenheit reisen. Im Göttinger Stadtwald, in der Nähe des Dorfes Herberhausen, kann man plötzlich durch die Zeit reisen. Nein, natürlich nicht wirklich, aber man kann sich fast so fühlen.

versteinerter Meeresboden
Fossiler Meeresboden. Man kann die Rippelmarken aus dieser Perspektive nur erahnen. Eigenes Foto

Der Steinbruch „Hoher Brunnen“

Denn hier liegt der alte, längst aufgegebene Steinbruch „Hoher Brunnen“. Wer ihn betritt, reist quasi 240 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit des Ortes, in die Zeit des Unteren Muschelkalk.

Das Zeitalter des Muschelkalk

Der Begriff Muschelkalk ist für die meisten Menschen wahrscheinlich zunächst etwas irritierend und man denkt an einen Kalk, der Muschelschalen enthält oder aus Muschelschalen besteht.

Mit Muschelkalk ist hier aber ein geologischer Zeitabschnitt gemeint. Und zwar die mittlere der drei lithostratigrafischen Gruppen der Germanischen Trias, die etwa 243 bis 235 Millionen Jahre vor unserer Zeit liegt. Das entspricht in etwa der mittleren Trias.

Der Name ist übrigens etwas irreführend, auch wenn Muscheln im Muschelkalk durchaus vorkommen. Denn damals dominierten die Armfüßer (Brachiopoden), die den Muscheln zwar sehr ähnlich sehen, aber nicht weiter mit ihnen verwandt sind.

Große Teile Mitteleuropas, das sogenannte Germanische Becken, waren damals von einem flachen und warmen Meer bedeckt. In diesem Meer lagerten sich kalkhaltige Schlämme und Schichten von Schalenresten ab.

Gliederung des Muschelkalks

Der Muschelkalk selbst gliedert sich nochmals in Unteren, Mittleren und Oberen Muschelkalk, was die Entwicklung des Germanischen Beckens widerspiegelt. Im hier interessierenden Unteren Muschelkalk waren nur Teile des Beckens vollmarin, vor allem im östlichen und mittleren Bereich. Küstennahe und Teile des westlichen und südlichen Beckenrandes nicht. Teile des Unteren Muschelkalks werden auch als Wellenkalk bezeichnet.

Ein markanter Leithorizont des Unteren Muschelkalks ist die Terebratelbank, benannt nach einem charakteristischen Armfüßer. Dieser Horizont lässt sich im Gelände oft über weite Flächen als Härtling verfolgen. Ich erinnere mich noch gut an meine Anfängerkartierung im Raum Hardegsen, wo wir oft über Hunderte von Metern an ihm entlang gelaufen sind.

Klima und Leben im Muschelkalk

Im Muschelkalk herrschte, wie wahrscheinlich in der gesamten Trias, ein warmes Klima. Zudem lag Mitteleuropa damals viel weiter südlich, vergleichbar mit dem heutigen Nordafrika. In diesem warmen Klima konnten im flachen Meer viele Lebewesen gedeihen, darunter Muscheln, vor allem aber die bereits erwähnten Armfüßer und Stachelhäuter, deren Überreste im Trochitenkalk häufig zu finden sind. Trochiten sind die Stielglieder der Seelilien. Aber auch andere Stachelhäuter wie Seesterne, Schlangensterne und Seeigel kamen vor. Ceratiten, Verwandte der Tintenfische, waren wahrscheinlich ebenfalls recht häufig.

Alter Meeresboden

Nun geht es über den Wanderweg in den alten Steinbruch hinein. Als Erstes fällt wahrscheinlich die wellige Oberfläche auf. Das ist der ehemalige Meeresboden, auf dem sich die Rippelmarken erhalten haben. Wer schon einmal an der Nordsee war, hat vielleicht schon die moderne Version gesehen.

versteinerter Meeresboden
Von hier lassen sich die Rippelmarken schon gut erkennen.. Eigenes Foto

Rippelmarken

Besonders bei Ebbe kann man im Wattenmeer gut beobachten. Rippelmarken, wellenförmige Gebilde auf dem Meeresboden. Dabei sind sie nicht auf den Meeresboden beschränkt. Auch an Land können diese seltsamen Gebilde entstehen. Vereinfacht gesagt entstehen sie überall dort, wo ein strömendes Medium Sediment bewegt.

Wenn die Strömungsgeschwindigkeit dabei über einer für das Sediment kritischen Geschwindigkeit liegt. Dann reichen schon kleine Hindernisse an der Oberfläche aus, damit sich die Sedimentkörner daran anlagern. Das so vergrößerte Hindernis lagert immer weitere Körner an. Es entstehen asymmetrische Strömungsrippel mit einer flachen Luv- und einer steileren Leeseite.

Wenn diese Rippel trocken fallen, kann man anhand ihrer Form immer noch die Strömungsrichtung erkennen. In unserem Fall hier im Steinbruch kam die Meeresströmung aus nördlicher Richtung.

Amrum
Zum Vergleich rezente, also heutige Rippelmarken im Sandwatt vor Amrum. Eigenes Foto.

Erdbeben und andere Katastrophen

Nicht nur urzeitliche Strömungsverhältnisse lassen sich im Gestein ablesen. Auch Naturkatastrophen haben ihre Spuren hinterlassen. Wer die Sedimente genau betrachtet, kann ihre Geschichte erkennen. So sind die Kalkbänke manchmal gefaltet. Wie kann das sein, fragt man sich.

Damals gab es hier Seebeben. Dabei geriet der noch nicht verfestigte Kalkschlamm in Bewegung und es entstanden Gleitfalten. Diese Strukturen, auch Sigmoidalklüfte genannt, sind vor allem im oberen Teil der Felswand zu beobachten.

Gelegentlich treten auch Schichten oder geologische Bänke auf, in denen sich viele Schalen von Muscheln und Armfüßern ansammeln, während sich dazwischen wieder Bänke mit tonigen Kalken befinden. Die Schalenbänke können auf Sturmereignisse hinweisen, bei denen das Meer aufgewühlt wurde und viele bodenlebende Muscheln losgerissen und zerbrochen wurden. Der dabei aufgewirbelte feinere Schlamm könnte auch dazu geführt haben, dass einige Lebewesen, wie z.B. Seelilien, einfach erstickten.

Die tonigen Kalkbänke stammen dagegen aus ruhigeren Zeiten, in denen sich feiner Kalkschlamm ablagerte.

Gefährdetes Naturdenkmal

Diese und ähnliche Geotope erzählen uns viel über die Vergangenheit der Erde. Sie bedürfen deshalb eines besonderen Schutzes. Deshalb dürfen der Steinbruch und vor allem die Bereiche mit den Rippelmarken nicht betreten werden. Es mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, dass Steine, die Millionen von Jahren überdauert haben, so empfindlich sein sollen. Aber wenn man bedenkt, dass jeder Tritt eine, wenn auch kleine, Zerstörung bedeutet, die sich mit der Zeit und der Anzahl der Besucher summiert.

Außerdem stellen die vielen Löcher, Hohlräume und herabfallenden Steine im Bereich der Steilkanten eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.

Auch wenn es manchen in den Fingern jucken mag: Vernünftige Menschen suchen hier keine Fossilien. Zu schnell könnte ein einzigartiges Naturdenkmal zerstört werden.

Avatar-Foto

Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

Schreibe einen Kommentar