Neue Einblicke in Lawinen

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Jedes Jahr sterben alleine in den europäischen Alpen rund 100 Menschen durch Lawinen, die Schäden an Infrastruktur können schnell in die Millionen gehen. Dennoch ist noch vergleichsweise wenig über die internen Vorgänge in den Lawinen selber bekannt. Ein Schweizer Forscherteam im Vallée de la Sionne arbeitet jetzt daran, hier tiefere Einblicke zu bekommen.
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Lawinen stellen in Hochgebirgen eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.
Für Lawinen gilt in etwa vergleichbares, wie ich es bereits für die pyroklastischen Ströme festgestellt habe. Die sich schnell hangabwärts bewegenden Schneemengen können problemlos Geschwindigkeiten von 200 km/h erreichen und verbergen ihre interne Dynamik dabei unter einer Wolke von Schnee, was die direkte Beobachtung selbst aus sicherer Entfernung enorm erschwert. Diese mangelhafte Kenntnis der Lawinen erschwert es auch, den von ihnen ausgehenden gefahren zu begegnen. Auch wenn die ersten Modelle von Lawinen mittlerweile gut 60 Jahre alt sind, wurde es in all den Jahren nicht leichter, sie anhand von realen Lawinen zu überprüfen.

der internen Dynamik auf der Spur

Ein Team um Anselm Köhler vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung benutzten ein seit 2010 neu und weiter entwickeltes Radar, GEODAR (GEOphysical flow dynamics using pulsed Doppler radAR) an 5 künstlich ausgelösten Lawinen, um die Schneewolken über der Kernzone der Lawine zu durchdringen. Dies ermöglicht, die Strukturen im Inneren der der Lawinen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu erfassen. Die Radarbilder werden mit Videoaufzeichnungen der Lawinen kombiniert und zeigen so jeden Teil der Lawine mit den unter der Oberfläche verborgenen Strukturen. Der Vorteil der künstlich ausgelösten Lawinen gegenüber natürlich vorkommenden im Testgebiet liegt einfach daran, dass man auf diese Weise auch die Anfangsstadien einer Lawine gut erfassen kann. Bei natürlichen Lawinen wurden die Sensoren durch die seismischen Erschütterungen aktiviert. Hierfür mussten die Lawinen aber erst eine entsprechende Geschwindigkeit erreichen, so dass ausgerechnet die Anfangsbedingungen nicht erfasst wurden.
So kann man die jeweilige Lawine auch parallel mit verschiedenen anderen Sensoren, wie beispielsweise Videokameras, Laserscannern und FMCW Radar (quasi ein umgedrehtes Bodenradar) beobachten und die Daten später zusammenfügen.

Dabei zeigte sich, dass Lawinen keine einfache Masse sich schnell bewegenden Schnees darstellen, sondern vielmehr aus mehreren internen Wellen aufgebaut sind, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen und sogar gegenseitig überholen. Besonders letzteres sorgte für eine Überraschung, denn keines der bisherigen Modelle schien dies vorherzusagen, auch wenn Lawinenforscher schon länger die Vermutung hegten, dass dies passieren könnte.
Der Grund für dieses Verhalten könnte in der Reibung im Inneren der Lawine und dem Untergrund liegen. Bereiche mit engerem Kontakt zum Untergrund werden langsamer, während andere Bereiche dann an Geschwindigkeit gewinnen.

In weiteren Versuchen will die Arbeitsgruppe um Anselm Köhler, diesen und weiteren Geheimnissen der Lawinen auf die Spur zu kommen. Damit sollen in Zukunft die Lawinenpfade mit weit größerer Genauigkeit vorhergesagt werden können. Dies könnte dann helfen, Menschenleben und Infrastruktur besser zu schützen.

BBC special über zum Thema.

Köhler, A., McElwaine, J., Sovilla, B., Ash, M., & Brennan, P. (2016). The dynamics of surges in the 3 February 2015 avalanches in Vallée de la Sionne Journal of Geophysical Research: Earth Surface DOI: 10.1002/2016JF003887

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

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