Mount Nyiragongo – Afrikas tödlichster Vulkan

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Der vermutlich wohl tödlichste Vulkan Afrikas, der Nyiragongo, ist in den letzten Tagen erneut ausgebrochen. Der jüngste Ausbruch forderte mindestens 32 Menschenleben. So tragisch das auch sein mag, es sieht so aus, als wenn die Stadt Goma, die zwischen dem Vulkan und dem Lake Kivu liegt, noch einmal Glück gehabt hat.

Die Stadt Goma mit dem Vulkan Mount Nyiragongo im Hintergrund, wie sie sich 2015 präsentierte. MONUSCO Photos Abel Kavanagh (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2015_Goma_&_volcano_Nyiragongo_in_background_-_North_Kivu_(20875766889).jpg), „2015 Goma & volcano Nyiragongo in background – North Kivu (20875766889)“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/legalcode

Der Ausbruch vom 22. Mai 2021

Der jüngste Ausbruch des Nyiragongo begann am 22. Mai 2021 um gut 19 Ortszeit. Ein Lavastrom bewegte sich vom Vulkan in Richtung der 2 Millionen Stadt Goma. Das führte zu einer Panik und Massenflucht in der Stadt, die Menschen flohen auf höher gelegenes Gelände oder gleich ganz aus der Stadt. Die benachbarte Grenze zu Ruanda wurde noch in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai geöffnet.

Der Lavastrom kam in den Außenbezirken zum Stehen und verschonte die Stadt, aber in den umliegenden Dörfern starben mindestens 32 Menschen. Mindestens 5 Menschen starben bei dem Versuch, die frischen Lavaströme zu überqueren. Möglicherweise spielt Kohlendioxidgas eine Rolle, welches sich in den Senken gesammelt hat.

Die meisten Toten scheinen nicht direkt auf die Lava, sondern auf andere, von ihr ausgelöste Ursachen zurückzuführen zu sein.

Zurzeit ist noch nicht ganz klar, ob der Ausbruch zu Ende ist oder ob der Vulkan nur eine kurze Pause einlegt. Das liegt auch daran, dass über den aktuellen Ausbruch noch vieles im unklaren ist. Stammt die Lava des aktuellen Ausbruches aus dem zentralen Schlot, oder ist sie über einen Spalt aus dem Lavasee im Krater des Vulkans ausgeflossen? Oder war es etwa eine Flankeneruption mit einem unabhängigen Magmareservoir. Dichte Wolken haben bislang eine Klärung der Frage, ob der Lavasee im Krater noch da ist unmöglich gemacht.

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Text hier gerade hochladen wollte, kommen neue Informationen herein. Man hat zwischenzeitlich die Gelegenheit gehabt, den Vulkan mit INSAR Radaraufnahmen unter die Lupe zu nehmen. Hierbei zeigte sich, dass sich der Boden südlich des Vulkans seit dem Ausbruch um mehrere Zentimeter gehoben hat. Die stärkste Hebung findet sich direkt unterhalb der Stadt Goma. Dort haben sich auch etliche Spalten gebildet.

Die Ursache dafür ist noch unklar. Ob diese Hebung und die Bildung der Spalten auf eine erneute Flankeneruption hindeutet, ist ebenfalls nicht deutlich. Auch nach den Ausbrüchen von 1977 und 2002 zeigten sich ähnliche Spalten, ohne dass dies zu einem weiteren Ausbruch führte. Die Bodenbewegungen könnten demnach auch auf die Volumen des Magma zurückzuführen sein, die bereits ausgeflossen sind. Dabei muss sich die Oberfläche dem jetzt im Untergrund fehlenden Volumen anpassen.

Gleichzeitig scheint das Gebiet seismisch recht aktiv zu sein, die Beben erreichen Magnituden bis zu 4,5 und 5,1. Noch unklar ist die Ursache dafür. Sind es Setzungen, nachdem ein Magmareservoir geleert wurde? Oder, was unangenehmer wäre, vielleicht neues Magma, das sich im Inneren des Vulkans bewegt. Die Epizentren zumindest der stärkeren Beben liegen im Bereich des nahen Lake Kivu.

Der Lavasee im Krater des Mount Nyiragongo im Mai 2011. Cai Tjeenk Willink (Caitjeenk) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lava_Lake_Nyiragongo_2.jpg), „Lava Lake Nyiragongo 2“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

Historische Ausbrüche

Um die Panik der Menschen in Goma und Umgebung besser verstehen zu können, muss man die jüngere Eruptionsgeschichte des Vulkans genauer anschauen. Dabei spielen zwei größere Ausbrüche eine Rolle.

Januar 1977

Der bislang tödlichste Ausbruch des Vulkans Nyiragongo ereignete sich im Januar 1977. Dieser Ausbruch hat eine sehr lange Vorlaufzeit gehabt. In dem Zeitraum von 1894 bis 1977 war der Krater des Vulkans mit einem Lavasee gefüllt. Am 10. Januar 1977 brachen die Kraterwände in sich zusammen und der See floss innerhalb einer Stunde leer. Dieser Ausbruch forderte vermutlich mehr als 600 Todesopfer.

Januar 2002

Einer der Ausbrüche, die zumindest mir noch im Gedächtnis haften geblieben sind, ist der vom Januar 2002. Er begann am 17. Januar. Dabei traten mehrere Lavaströme aus dem Vulkan, die sich schnell in Richtung der Stadt Goma bewegten. Damals war Goma noch wesentlich kleiner als heute und hatte ca. 250 000 Einwohner (nach anderen Angaben 500 000, die Zahlen variieren je nachdem, ob umliegende Bezirke mitzählen und wegen der vielen Flüchtlinge in der Stadt). Die Lava trat aus verschiedenen Spalten an der Flanke des Vulkans aus.

Die Lava erreichte die Stadt Goma und Umgebung, wo mehr als 350 000 Menschen hauptsächlich in Richtung Ruanda flohen. Mindestens 170 Menschen starben. (Die Angaben zur Bewohnerzahl von Goma ist hier kleiner als die der Geflohenen, da auch die umgebenden Bezirke bei letzteren mitzählen)

Nach rund 12 Stunden versiegten die Spalten an dem Vulkan, auch wenn noch für einige Stunden Lava in den Lake Kivu floss. Hier bildete sich ein rund 120 m langes und gut 80 m breites Delta.

In Goma wurde gut 1/3 der Landebahn des Flughafens zerstört, ebenso wie das Geschäftszentrum der Stadt. Gut 120 000 Menschen verloren ihr Zuhause, viele blieben für einen langen Zeitraum obdachlos. Die meisten Toten und Verwundeten forderte die Explosion einer Tankstelle, die durch die heiße Lava eingeschlossen war.

Die Rauchfahne der Eruption von 2002. Foto: NASA.

Was macht den Nyiragongo zu einem Killer?

Vulkane sind gefährlich. Das ist eine Tatsache, die sicher wenige bestreiten würden, die man sich aber immer wieder vor Augen führen muss. Denn Vulkane sind, zumindest in jüngerer Zeit auch ein Ziel von Touristen.

Grob gesagt gibt es zwei Arten von Vulkanen (ja, ich weiß, sehr, sehr grob gesagt). Die explosiven, wie sie am pazifischen Feuerring zu finden sind, oder auch in der Karibik. Diese Vulkane haben meist eine saure, SiO2-reiche Lava, die extrem zäh ist. Sie neigen daher dazu, bei ihren Ausbrüchen ein explosives Verhalten zu zeigen. Gute Beispiele sind die eben genannten karibischen Vulkane wie auf Montserrat oder die Vulkane Indonesiens. Der Mt. St. Helens gehört ebenso zu ihnen.

Auf der anderen Seite gibt es die mehr effusiven Vulkane. Ihre Lava ist meist ärmer an SiO2 und deutlich flüssiger. Sehr bekannte Beispiele sind die isländischen Vulkane oder die auf Hawaii. Sie sind weniger explosiv und zeichnen sich durch ausfließende Lavaströme aus. Im günstigsten Fall kann man vor diesen Lavaströmen relativ gemütlich weggehen. Man schaue sich nur das Happening um den aktuellen Ausbruch des Fagradalsfjall bei Reykjavik an.

Normalerweise sind die explosiven Vulkane fast immer extrem gefährlich, während sich die effusiven im Vergleich dazu doch recht anschaulich gebärden. Manchmal können ihre Ausbrüche auch regelrecht zu einem Touristenspektakel werden, wie das eben erwähnte Beispiel bei Reykjavik.

Aktiver Vulkan mit schneller Lava

Normalerweise. Der Nyiragongo gehört zwar zu den effusiven Vulkanen, er ist aber etwas anders als der Rest. So ist seine Lava zum Beispiel extrem arm an SiO2 (ultramafisch) und gleichzeitig extrem flüssig. Sie mit gehört zu den dünnflüssigsten aller bekannten natürlichen Laven. Sie können dabei Geschwindigkeiten erreichen, die problemlos im Bereich mehrerer Zehner Kilometer pro Stunde liegen. Es wurden während des Ausbruches von 1977 Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h berichtet.

Da der Vulkan nur gut 12 bis 15 km nördlich der Stadt Goma liegt, ist die Vorwarnzeit entsprechend kurz bis nicht vorhanden.

Oft macht sich Lava, die im Inneren eines Vulkans aufsteigt, rechtzeitig durch ihre seismischen Signale bemerkbar, was die Vorwarnzeit durchaus erhöhen kann und den Menschen in der Umgebung des Vulkans etwas Zeit verschaffen kann. Abgesehen von dem Problemen mit der Überwachung des Vulkans, auf die ich weiter unten noch eingehen werde, spielt der Vulkan hier selber auch nicht voll mit.

Ein See aus Lava

Denn der Nyiragongo beherbergt in seinem Krater auch zumindest zeitweise den größten permanenten Lavasee auf der Erde. Der Spiegel dieses Lavasees kann zeitlich stark variieren. Wenn der Spiegel steigt, besteht die Gefahr, dass die umgebenden Kraterwände einbrechen und die Lava aus dem See ausläuft. So geschehen bei dem Ausbruch 1977. Das kann also durchaus die Vorwarnzeit wieder stark verkürzen. Auch nach dem Ausbrüchen von 1977 und 2002 füllte sich der Krater schnell wieder mit Lava.

Der Lavasee kann als Barometer für den im Inneren des Vulkans herrschenden Druck in der Magmakammer dienen. Ein steigender Spiegel des Lavasees deutet auf steigenden Druck hin. Übersteigt dieser die Stabilität der Vulkanflanken, kann Lava austreten. Die gegenwärtige Situation deutete sich demnach schon im Herbst 2020 an, als der Lavasee erneut anstieg. Die Deutung ist aber wohl nicht ganz so gradlinig, wie man es gerne hätte.

Abgesehen davon ist der Nyiragongo ein äußerst aktiver Vulkan. Er zählt zu den aktivsten Vulkanen der Erde. Zusammen mit seinem direkten Nachbarn, den Nyamuragira ist er für gut 40 % der bekannten historischen vulkanischen Ausbrüche in Afrika verantwortlich.

Lake Kivu – eine Zeitbombe?

Die Lava ist nicht die einzige Gefahr, die für die Stadt Goma und die Region um den Lake Kivu besteht. Der See enthält, ebenso wie der bekanntere Lake Nyos in Kamerun, große Mengen an Gas. Dazu ist der Lake Kivu deutlich größer. Die geschätzten Gasmengen liegen bei 256 km³ Kohlendioxid. Hinzu kommen noch etwa 54 km³ Methan. Da die Sättigung der gasreichen Schicht noch nicht erreicht ist, besteht vorläufig keine größere Gefahr für die Stadt und die Umgebung. Erdbeben, Erdrutsche, aber auch der Eintrag größerer Lavamengen in den See könnten die Schichtung aufheben und zu einer Freisetzung der gelösten Gase führen.

Überwachung des Nyiragongo

Durch die historischen Ausbrüche war der Vulkan als Gefahr für die anliegenden Gemeinden durchaus bekannt und wird durch das Goma Volcanic Observatory (GVO) überwacht. Seismische Daten des Vulkans werden im alle 4 Minuten, Temperaturdaten alle zehn Minuten gemessen. Das klingt erst einmal beeindruckend, aber wir sind hier in einer besonderen Region. Hinzu kommt, das die Demokratische Republik Kongo nicht gerade als vorbildlich funktionierender Staat bekannt ist.

Aber selbst wenn das alles so lehrbuchmäßig abliefe, hätten wir hier ein kleines Problem. Vulkane halten sich ungern an Drehbücher. Sie sind alle recht individuell, sodass sich Daten und Erfahrungen von einem oftmals nur schwer auf einen anderen ohne Weiteres übertragen lassen. So konnte auch im Herbst 2020 die seismische Aktivität des Vulkans festgestellt werden. Wie ungewöhnlich diese aber ist, oder ob sie vielleicht die übliche Aktivität des Lavasees widerspiegelt, wussten die Forscher nicht. Denn dazu fehlten Langzeitbeobachtungsdaten. Das GVO wurde erst 1986 gegründet und 2002 war die erste größere Eruption, die von ihm überwacht wurde.

Dazu kommt, dass der Betrieb der Anlagen und der seismischen Sensoren viel Geld kostet. Sie werden oft Ziel von Vandalismus oder gleich ganz gestohlen. Die Unruhen in der Region erschweren auch die Überwachung des Vulkans. Man darf nicht vergessen, dass im Frühjahr 2020 13 Ranger des direkt angrenzenden Virunga National Volcano Parks von Rebellen ermordet wurden.

Unsichere Zukunft

Als wäre die Unsicherheit und die ständige Gefahr durch den Bürgerkrieg nicht schon genug, so steht auch die Finanzierung des GVO auf mehr als nur tönernen Füßen. Bislang trägt die Weltbank einen großen Teil der Kosten für die rund 40 Mitarbeiter, die nicht nur den Vulkan und den See überwachen, sondern auch die Flucht- und Evakuierungspläne für die 2-Millionen Einwohner zählende Metropole Goma ausarbeiten.

Die gut 2,3 Millionen US$ waren ein Teil des Projekts, das hauptsächlich den 2002 zerstörten Flughafen wieder aufbauen sollte. Und dieses Projekt läuft jetzt aus. Die Weltbank hatte letztes Jahr bereits angekündigt, hier keine weitere Förderung mehr durchzuführen. Mir ist bislang nicht bekannt, wie die Lage zurzeit ist, aber der neuerliche Ausbruch des Vulkans zeigt ganz deutlich, wie wichtig eine möglichst enge Überwachung der geologischen Gefahren in der Region ist.

Die Stadt Goma ist eine ziemlich schnell wachsende Metropole. Man darf nicht vergessen, dass sie 1 zum Zeitpunkt des Ausbruches von 2002 „nur“ 500 000 Einwohner zählte. Heute sind es ca. 2 Millionen Menschen. Hoffentlich findet sich hier schnell eine gute und vor allem auch nachhaltige Lösung. Der Vulkan bleibt gefährlich, auch wenn dieser Ausbruch bislang nur den Rand der Stadt traf und die ganz große Katastrophe zum Glück ausgeblieben ist. Dennoch sind mindestens 32 Menschenleben zu beklagen. Und es wurden rund 2500 Häuser zerstört, darunter auch 3 medizinische Zentren.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

4 Kommentare

  1. Gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Stärke der seismischen Aktivität und Viskosität der Lava? Ich könnte mir vorstellen, dass eine dünnflüssige Lava sich bei Magmaverschiebungen seismisch nicht so stark bemerkbar macht wie Lava, die wesentlich zähflüssiger ist.

  2. Sehr interessanter Bericht mit vielen Informationen, aber etwas irritiert mich: die Einwohnerzahlen von Goma. Bei der Beschreibung von 2002 sagen Sie zunächst, dass es 250ooo Einwohner seien, dann aber als die Lava Goma erreicht, fliehen mehr als 350000 in Richtung Ruanda. Weiter hinten kommen Sie dann nochmal auf 2002 zurück und da sagen Sie “nur” 500000 Einwohner. IRGENDWAS STIMMT DA NICHT.
    Interessant wäre es auch, etwas über das rasante Wachstum von Goma auf heute über 2 Mio in den relativ wenigen Jahren zu erfahren. Wie kann man das erklären?

    • Danke. Da stimmt tatsächlich was nicht. Das liegt unter anderem daran, dass die Zahlen unterschiedliche Grundlagen haben. Goma als Stadt alleine und mit dem Umland. Und dann kommen auch noch jede Menge unregistrierte Flüchtlinge hinzu, die vor den Bürgekriegsunruhen geflohen.

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